Niedersächsische Behörden versuchen, durch Psychokrieg die streikenden Asylbewerber im Lager Blankenburg zu isolieren

Die Situation im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde im niedersächsischen Blankenburg spitzt sich zu. Wie berichtet, befinden sich in diesem sieben Kilometer von Oldenburg entfernten Lager schon seit dem 4.Oktober rund 250 meist schwarzafrikanische Flüchtlinge in einem unbefristeten Streik. Sie boykottieren die Kantine und die lagerinternen Ein-Euro-Jobs, fordern Geld zum eigenen Lebensmitteleinkauf statt Lagerfraß und eine bessere ärztliche Versorgung. Doch nun wird eine Aktion vom vergangenen Wochenende zum Vorwand genommen, um die Streikenden zu kriminalisieren.

Rund 20 Unterstützer der Flüchtlinge hatten ein Transparent vor dem Privathaus von Lagerleiter Christian Lüttgau aufgehängt sowie um das Haus einen symbolischen Zaun errichtet. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach daraufhin von »strafbaren Handlungen«, die mit berechtigtem Protest nichts zu tun hätten. Inzwischen wurden auch die Polizeieinheiten im Lager verstärkt, die dort nun jeden weiteren Protest bereits im Keim unterdrücken sollen. Zuvor hatte der Innenminister geleugnet, daß die Flüchtlinge nur vitaminarmes und fades Essen bekämen. Das Essen sei immerhin frisch zubereitet, hatte Schünemann betont. Demgegenüber forderte der niedersächsische Flüchtlingsrat die sofortige Schließung des Lagers sowie dezentrale Unterkünfte für alle Bewohner in verschiedenen Kommunen des Landes. Die Unterbringung in Lagern sei teuer, menschenunwürdig und auch verfassungsrechtlich bedenklich, heißt es in einer Stellungnahme.

Kritik kommt auch vom bundesweiten Netzwerk »No Lager«. Schünemann wolle mit seiner Diffamierung des Protests nur davon ablenken, daß die Forderungen der Flüchtlinge mit denen von Menschenrechtsorganisationen identisch sind. Doch in großen Zeitungen, wie etwa der Welt, der Neuen Presse, der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ), im Weserkurier und der Nordwestzeitung wird nun einseitig Schünemanns Darstellung wiedergegeben. Der Boykott sei ferngesteuert, wobei antirassistische Gruppen bei den Bewohnern auch ein »Klima der Angst« erzeugten, heißt es in einigen der Medien. Von »wenigen Aufwieglern« im Lager selbst sprechen hingegen andere, und die HAZ verglich nun das Lager sogar mit einem »Kurpark«, das – trotz Metallgitterzaun – vor allem durch einen großen Teich und »schönen Laubwald« gekennzeichnet sei. Doch dieser Wald sei nun offenbar in Gefahr, weil es hier schon »nächste Woche brennt«, wie Lagerleiter Christian Lüttgau zitiert wird. Auch von zunehmenden »Schlägereien« ist bei ihm die Rede. Und Oldenburgs Polizeichef Johann Kühme spricht unterdessen von einer »offenen Drogenszene«. So solle der Protest isoliert werden, betonten jedoch Vertreter des antirassistischen Plenums in Oldenburg am Mittwoch gegenüber jW.

Doch auch Bedrohungen kommen hinzu. Vor allem schwarzafrikanische Flüchtlinge werden seit einigen Tagen gezielt für Vorführungen bei den Botschaften ihres tatsächlichen oder mutmaßlichen Heimatlandes ausgesucht, um sie so gegebenenfalls schneller abzuschieben. Auf den Streikversammlungen betonten aber auch sie, daß der Ausstand fortgesetzt werde. Schon am heutigen Donnerstag soll es in Oldenburg eine weitere Protestkundgebung geben, und für die nächste Woche ist eine Aktion in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover geplant. Dazu werden dann auch Flüchtlinge aus Bramsche und Braunschweig erwartet.

http://www.jungewelt.de/2006/10-19/045.php



Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Antifaschisten wegen verfremdeter Hakenkreuze auf Plakaten ein

Dürfen auf Antifaplakaten Hakenkreuze in die Tonne getreten werden? Wie berichtet, hatte Ende September das Stuttgarter Landgericht den Geschäftsführer eines Versandhandels zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt, weil dieser Plakate, Buttons und T-Shirts, die zerschlagene, durchgestrichene oder im Mülleimer landende Hakenkreuze zeigten, vertrieb. Rund 17000 Artikel wurden beschlagnahmt, weil sie angeblich Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen zeigen würden. Am Dienstag wurde indes bekannt, daß die Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Stade in einem ähnlichen Fall ihre Ermittlungen eingestellt hat und das eingezogene Material betroffenen Antifagruppen bereits wieder zurückgegeben hat. Dies bestätigte Staatsanwalt Johannes Kiers gegenüber jW.

In Stade hatten Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und der Grünen Jugend am 9. September mit Plakaten, auf denen in die Mülltonne getretene Hakenkreuze zu sehen war, gegen einen Infostand der NPD zur Kommunalwahl protestiert. Die Polizei beschlagnahmte das Material. Doch anders als ihre Stuttgarter Kollegen halten die Staatsanwälte in Stade den Strafrechtsparagraphen 86 a, der die »Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen« untersagt, ausdrücklich für nicht tangiert. Die Abbildungen würden eine »Gegnerschaft zu den Zielen der verfassungsfeindlichen Organisationen« klar zum Ausdruck bringen, betonte die Staatsanwaltschaft in einer schriftlichen Stellungnahme. In Berlin und Leipzig hatten Staatsanwälte bereits zuvor auf eine Verfolgung der Träger solcher Symbole verzichtet, dies aber nicht explizit begründet. VVN und die Landtagsfraktion der Grünen in Hannover begrüßten die Entscheidung der Stader Staatsanwälte.

http://www.jungewelt.de/2006/10-18/022.php



Aufstand im niedersächsischen Flüchtlingslager Blankenburg: Rund 250 Bewohner wehren sich gegen Erniedrigung und mieses Essen.

In Niedersachsens Provinz werden Flüchtlinge schikaniert. Seit knapp zwei Wochen befinden sich die rund 250 ständigen Bewohner des sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen Flüchtlingslagers Blankenburg in einem unbefristeten Streik. Es sind Menschen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, die das Kantinenessen verweigern und lagerinterne Ein-Euro-Jobs boykottieren. Statt des schlechten Essens fordern sie eigenes Geld, eine bessere Gesundheitsversorgung und die Unterbringung in normalen Wohnungen. Doch auch die Forderung nach dem Ende aller Abschiebungen und nach einem gesichertes Leben in Deutschland steht nun mit im Vordergrund der zahlreichen Demonstrationen, die Oldenburg zur Zeit erlebt.

Entzündet hatte sich der Streik aber am Essen, das so mies ist, daß bei etlichen Flüchtlingen Mangelerscheinungen und Krankheiten auftraten. Am 4. Oktober war das Maß voll: Der suppenähnliche Fraß landete nicht im Magen, sondern auf dem Fußboden. 200 Menschen zogen anschließend durch das Lager und verlangten, mit dessen Leiter Christian Lüttgau zu diskutieren. Doch der holte die Polizei, die mit 20 Einsatzwagen und Hunden anrückte. Mit Pfefferspray und mehreren Festnahmen wurde der Protest aufgelöst.

Nun aber ging die Revolte erst richtig los. Schon am nächsten Tag demonstrierten die Lagerinsassen erneut und erweiterten ihre Forderungen. Sie verlangten zusätzlich eine bessere Gesundheitsversorgung und die Ablösung der Lagerärztin, die alle Krankheiten angeblich nur mit ein und demselben Schmerzmittel behandelt.

Tägliche Schikanen

Die Lebensbedingungen in dem ehemaligen Dominikanerkloster sind so schlecht, daß Flüchtlingsorganisationen seit Jahren dessen Schließung fordern. Hinzu kommen die täglichen Schikanen des Lagerpersonals, das öffentlich durch rassistische Sprüche auffiel. Etliche Flüchtlinge zogen die Flucht vor – was Lüttgau aber wohl ganz recht ist, weil auf diese Weise die Unterhaltskosten des Lagers gesenkt werden. Flüchtige aber werden über kurz oder lang geschnappt und dann noch schneller abgeschoben.

Wer bleibt, erhält monatlich 38 Euro Taschengeld. Doch nur dann, wenn er sich an der Beschaffung der für seine Abschiebung nötigen Papiere beteiligt. Solche »guten« Flüchtlinge können sich bei den lagerinternen Ein-Euro-Jobs durch Putz- und Reinigungsarbeiten etwas hinzuverdienen. Doch seit dem 4. Oktober muß das Lagerpersonal selbst an die Arbeit – bei den Flüchtlingen läuft nichts mehr.

Diese Entschlossenheit beeindruckt immer mehr Oldenburger, die mit Lebensmittel- oder auch Geldspenden die Flüchtlinge unterstützen. Eine Erwerbslosengruppe sammelte zum Beispiel 300 Euro. Händler des Wochenmarktes lieferten Gemüse. Kirchliche Gruppen sammelten Geld für Getränke. Auch einzelne Bürger gehen vermehrt auf die Flüchtlinge zu. Dazu trägt auch die Kommunalpresse bei, die das Thema nun aufgegriffen hat. Nur die Nordwest-Zeitung verläßt inzwischen jedes Gebot der Fairneß. Sie präsentiert nun aufgetischte Festessen der Lagerleitung als Normalität. Doch das überzeugt nur wenige, weshalb selbst der Stadtrat über die Flüchtlingsproblematik sprechen will.

Koordiniert wird alles durch das Antirassistische Plenum in Oldenburg, das schon vor Beginn des Streiks mit »Lagertagen« die Flüchtlinge informierte und zu den Flüchtlingsdemonstrationen mit aufrief.

Streikbruch wird belohnt

Die Lagerleitung reagiert scharf auf die Proteste. Die Flüchtlinge müssen nun regelmäßig ihre Lagerpässe vorlegen, in denen sie für jeden Kantinenbesuch einen Stempel erhalten. Boykotteure lassen sich so leichter identifizieren. Wer überhaupt keine Stempel gesammelt hat, riskiert seine Verlegung in andere Lager. Auch Polizeimitarbeiter traten an einzelne Flüchtlinge heran und versprachen Hilfe bei der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung – allerdings nur, wenn sie die Führer des Streiks verraten. Anderen entzog Lüttgau die Besuchserlaubnis oder das Taschengeld. Wer den Streik verrät, hat Vorteile: Er bekommt Urlaub und kann Freunde und Verwandte bis zu vier Wochen lang in ganz Deutschland besuchen.

Diese Strategie von Zuckerbrot und Peitsche will Lüttgau offenbar fortsetzen, denn er handelt im Auftrag von Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der Flüchtlinge zur »freiwilligen Ausreise« bewegen möchte. Freiwillig reist aber nur aus, wer diese Lagermentalität nicht mehr aushalten kann. Ungenießbares Kantinenessen, überbelegte Wohnräume und systematische Beleidigungen durch das Lagerpersonal sind deshalb in Niedersachsen politisches Programm. Nur Solidarität kann den mutigen Flüchtlingen jetzt noch helfen.

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Lagerleben: Integration soll verhindert werden
und Eine Art mentaler Folter

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[Das nachfolgende Interview hat Kathrin Hedtke für eine gemeinsame Schwerpunktseite geführt.]

Druck auf Flüchtlinge, Deutschland zu verlassen. Ein Gespräch mit Kamil N

Kamil N. lebt als Flüchtling im Lager Blankenburg, in der Nähe von Oldenburg

Seit zwei Wochen machen die Flüchtlinge im Abschiebelager Blankenburg in Niedersachsen mit Demonstrationen auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam. Wogegen richtet sich Ihr Protest?

Wir wehren uns gegen die schlechten Bedingungen im Flüchtlingslager. Aus diesem Grund boykottieren wir das Essen in der Kantine und die Ein-Euro-Jobs. Es beteiligen sich rund 90 Prozent der Flüchtlinge an dem Protest, das sind etwa 120 der hier lebenden Personen. Wir verlassen unser Lager und demonstrieren in der Öffentlichkeit. Dabei haben wir dem Bürgermeister, den großen Parteien und einer Kirchengemeinde einen offiziellen Besuch abgestattet.

Was können Sie über die Lebensbedingungen im Flüchtlingslager berichten?

Das Problem in Blankenburg ist, daß dieses Lager ursprünglich eingerichtet wurde, um Flüchtlinge für eine kurze Zeitspanne unterzubringen. Vor zwei Jahren wurde es in ein Dauerlager umgewandelt, doch die Bedingungen sind die gleichen geblieben. Das Essen ist miserabel. Es gibt jeden Tag nur ein einziges Gericht zur Auswahl und seit Jahren alle zehn Tage den gleichen Essensplan. Das ist auf Dauer kaum auszuhalten. Außerdem ist die Qualität der Nahrungsmittel schlecht und das Essen hat zu wenig Vitamine. Ein weiteres Problem ist die medizinische Versorgung. Es gibt nur einen Allgemeinarzt vor Ort. Bei allen möglichen Beschwerden und Krankheiten verabreicht er immer die gleiche Sorte Schmerztabletten. Wir werden so gut wie nie an Spezialärzte außerhalb des Lagers überwiesen. Außerdem kritisieren wir den Platzmangel. Es müssen zwischen vier und sechs Personen in einem kleinen Raum zusammenleben. Wir haben keinerlei Privatsphäre.

Teilen Sie die Einschätzung, daß die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge mit Absicht so schlecht sind?

Es ist ganz eindeutig, daß wir vertrieben werden sollen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder die Lagerleitung und Behörden gebeten, uns zu helfen, und sogar konkrete Verbesserungsvorschläge vorgebracht. Doch die Antwort war immer die gleiche: »Wir sind hier kein Hotel. Als Flüchtlinge solltet ihr die Situation akzeptieren. Schließlich geht es euch hier besser als in eurer Heimat. Wenn es euch nicht gefällt, geht doch zurück in euer Land.« Das zeigt, daß sie unsere Probleme gar nicht lösen wollen. Es ist ihre Politik, auf uns Druck auszuüben, damit wir Deutschland schnell wieder verlassen. Ich empfinde das als eine Art mentale Folter.

Welche Reaktionen gab es bislang von offizieller Seite auf Ihren Protest?

Es gab ein einziges offizielles Treffen, das ohne Ergebnis blieb. Der Leiter des Flüchtlingslagers erklärte uns, daß die Lebensbedingungen hier in Einklang mit dem Gesetz stünden und es deshalb keiner Veränderungen bedürfe. Jeden Tag wird hier ein Polizeiaufgebot aufgefahren. Meiner Meinung nach ist es Teil der Strategie, die Leute einzuschüchtern, damit sie sich nicht länger an dem öffentlichen Protest beteiligen. Es wird auf einzelne Personen Druck ausgeübt, deren Situation besonders schlecht ist, weil sie beispielsweise keine Aufenthaltserlaubnis haben. Ihnen wird gedroht, sie in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Dieser Druck steigt mit jedem Tag.

Gibt es Solidarität der Anwohner?

Ohne Hilfe von außen ginge es gar nicht. Wir boykottieren das Essen der Kantine, müssen aber trotzdem die Menschen hier im Lager versorgen. Glücklicherweise können wir unsere Aktionen bislang durchhalten, da wir Lebensmittel und Unterstützung von außen erhalten.

Gibt es Kontakte zu Flüchtlingen in anderen Lagern?

Letzte Woche kamen Leute aus dem Flüchtlingslager Bramsche und haben sich an unserem Protest beteiligt. Wir versuchen über das Internet, über Zeitungen und Radio auf unsere Aktionen aufmerksam zu machen und die Flüchtlinge in anderen Camps zu informieren. Wir hoffen, daß sich noch mehr zu uns gesellen werden.

http://www.jungewelt.de/2006/10-16/053.php

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Lagerleben: Integration soll verhindert werden
und Zuckerbrot und Peitsche

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Der Streik in Blankenburg setzt an konkreten Forderungen an, die sich letztlich auf das Sachleistungsprinzip des sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen. Gefordert werden Geld- statt Sachleistungen. Das ist in einigen Bundesländern, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern, wo auch schon die Lagerkantinen abgeschafft wurden, bereits üblich. Auch in Berlin, Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, NRW und selbst in Hamburg wird inzwischen überwiegend Bargeld ausgezahlt. In Niedersachsen wird hingegen eine Politik betrieben, nach der Flüchtlinge möglichst nur noch in den Lagern leben sollen.

Diese Lager haben lediglich die Aufgabe, den Druck auf die Menschen zu erhöhen, damit diese wieder »freiwillig« ausreisen. Das niedersächsische Innenministerium mußte kürzlich zugeben, daß die Kosten bei dezentraler Unterbringung pro Flüchtling 4270 Euro jährlich betragen. Die Lagerunterbringung verschlingt hingegen 9662 Euro. Schünemann rechtfertigte dies mit der größeren Effizienz bei »Rückführungen«.

Die Lagerpolitik verfolgt dabei nur ein Ziel: Die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft und damit eine mögliche Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus’ soll unter allen Umständen verhindert werden. Nur erfolgreiche Rückführungen stehen im Zentrum der niedersächsischen Flüchtlingspolitik. In den Lagern gibt es deshalb nur für solche Flüchtlinge Vergünstigungen, die in ihre »freiwillige Rückkehr« einwilligen.

Kein Streik ohne Streikkasse! Erwünscht sind in erster Linie Geldspenden: Mit dem Geld werden die Grundnahrungsmittel gekauft, die jeden Tag zum Lager gefahren und dort von den Flüchtlingen selbst verteilt werden. Das Geld sollte auf folgendes Konto überwiesen werden: Arbeitskreis Dritte Welt e.V., Konto-Nr. 015 131 337, BLZ 280 501 00, LZO, Verwendungszweck: Aktionstage. Aber auch Lebensmittelspenden sind willkommen: Sie können im Oldenburger Kulturzentrum Alhambra abgegeben werden, das sich in der Hermannstr. 83 in 26135 Oldenburg befindet.

Nähere Infos unter: www.papiere-fuer-alle.org/blankenburg

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Zukerbrot und Peitsche
und Eine Art mentaler Folter

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Verlegerin des Gefangenen Info in Hamburg hat Klage gegen Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz durchgesetzt. Ein Gespräch mit Christiane Schneider

Die Verlegerin Christiane Schneider war bis Februar 2006 auch Landessprecherin der Linkspartei.PDS in Hamburg

Sie konnten vor dem Verwaltungsgericht gerade eine Unterlassungsklage gegen den Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Heino Vahldieck, (CDU) durchsetzen. Worum ging es?

Vahldieck hat am 23. Oktober 2005 in der ZDF-Sendung Mona Lisa behauptet, daß die Zeitung Gefangenen Info, die ich verlege und für die ich auch redaktionell Verantwortung trage, »jegliche Art von politisch motivierter Aktion, auch von gewalttätigen terroristischen Aktivitäten« rechtfertige und ich mich mit den »Tätern identifiziere«. Das haben Millionen Zuschauer gesehen. Weitere Verleumdungen folgten dann im Hamburger Abendblatt sowie in einer Sendung des NDR, wo Vahldieck seine eigenen Behauptungen über meine verlegerische Tätigkeit als Indiz für die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der Hamburger Linkspartei.PDS heranzog.

Produziert der Verfassungsschutz nicht fast täglich solche Lügen? Warum haben Sie das Risiko einer Klage auf sich genommen?

Ich bin seit knapp 18 Jahren für das Gefangenen Info zuständig. Dabei stand ich viele Jahre im Fadenkreuz strafrechtlicher Ermittlungen. Fast dreißig Verfahren sind gegen mich geführt worden. Die Vorwürfe haben sich jedoch immer wieder als haltlos erwiesen. Vahldieck hätte dies wissen müssen. Schließlich wird das Gefangenen Info im Hamburger Verfassungsschutzbericht nicht einmal erwähnt. Dann kam hinzu, daß das Hamburger Abendblatt mit der Schlagzeile »PDS-Landessprecherin unter Verdacht« Vahldiecks Behauptungen aufgriff. Die Springer-Presse schlachtete die Vorwürfe aus, um die Linkspartei zu diskreditieren.

Warum richtet sich die Kampagne ausgerechnet gegen das Gefangenen Info?

Bei uns kommen politische Gefangene – auch aus der RAF – schon seit vielen Jahren zu Wort. Die Meinungsfreiheit gilt auch für sie. Es ging hier also direkt um die Pressefreiheit, die auch kleine und kritische Verlage und Zeitungen schützt. Solche Verleumdungen, die die Zeitschrift in Verruf bringen und mich einschüchtern sollten, müssen nicht widerstandslos hingenommen werden. Dabei geht es nicht, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, darum, ob ein tatsächlicher Schaden entstand, schon die Gefahr einer Schädigung reicht aus.

Viele Linke nehmen solche Verleumdungen aber weitgehend widerstandslos hin. Man hat sich daran fast schon gewöhnt.

Wenn mein Erfolg andere dazu ermuntert, sich gegen Bespitzelungen und Verleumdungen künftig stärker zu wehren, würde ich mich freuen. Ob man klagen sollte, hängt natürlich vom Einzelfall ab, ein solches Verfahren kostet Anstrengungen und womöglich viel Geld. Generell halte ich es aber für notwendig und aussichtsreich, sich auch rechtlich stärker zu wehren.

Was bewegt Sie eigentlich, diese Zeitung noch immer herauszugeben?

Die Auseinandersetzung zwischen der RAF und der Bundesrepublik Deutschland hat über zwei Jahrzehnte angedauert und zu tiefen Erschütterungen in diesem Land geführt. Ich bin in einem Alter, daß ich Zeitzeugin dieser Auseinandersetzungen war. Als das Blatt 1989, im Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF, gegründet wurde, bestand in der Öffentlichkeit an der Aufklärung über diese Geschichte erhebliches Interesse, was sich auch an einer Verkaufsauflage von anfangs fast 10000 Exemplaren zeigte. Die Zeitschrift, die damals und über lange Zeit von den Angehörigen der Gefangenen aus der RAF herausgegeben wurde, erfüllte ein öffentliches Interesse, weil es die Gelegenheit bot, sich über die Motive der politischen Gefangenen aus erster Hand zu informieren.

Das alles ist Jahre her …

Ja, inzwischen sind andere Gründe hinzugekommen. Ich denke an die beunruhigende Entwicklung im deutschen und weltweiten Gefängniswesen, die sich unter anderem in einer Zunahme von Isolations- und Einzelhaft ausdrückt, wo Gefangene 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen werden. Wir beschäftigen uns auch mit den Abschiebegefängnissen und informieren über die Zustände in den USA, wo es zahlreiche politische Gefangene gibt, die oft schon seit 30 oder 40 Jahren im Knast einsitzen. In der deutschen Öffentlichkeit ist dies kaum bekannt.

Das Gefangenen Info kann bezogen werden bei: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg

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Recht auf Bildung: Hamburger Rektoren verweigern Herausgabe von Daten für Zentralregister

In Hamburg nimmt der Widerstand gegen ein neues zentrales Schülerregister (ZSR) zu, das die Bürgerschaft erst im letzten Jahr beschlossen hatte, um so von Verwahrlosung bedrohte Kinder besser zu schützen. Doch trotz dieser Absicht, hat bisher nur ein Drittel aller Schulen Daten abgeliefert. Ursprünglich sollte das Register schon Anfang Oktober komplett sein. Doch viele Lehrer verweigern die Herausgabe – um Schüler zu schützen.

Warum sich etliche Hamburger Schulleiter weigern, Daten für das geplante zentrale Schulregister herauszugeben, kam erst vor einigen Tagen heraus. Ein Rektor hatte sich anonym an das »Hamburger Abendblatt« gewandt.

Seit mindestens 15 Jahren werden demnach in etlichen Hamburger Schulen auch Kinder unterrichtet, deren Eltern keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Weil aber auch diese Kinder ein »Recht auf Bildung« haben, hätten er und seine Kollegen, die Kinder nicht bei der Ausländerbehörde gemeldet. Greife nun aber das neue Register, würden betroffene Eltern ihre Kinder wieder von der Schule nehmen, um nicht entdeckt und abgeschoben zu werden, befürchtete der Rektor.

Reihenweise schlossen sich daraufhin weitere Pädagogen dieser Stellungnahme an, die auf viele Hundert solcher Fälle aufmerksam machten. Scharf reagierte daraufhin Schulsenatorin Alexandra Dinges- Dierig (CDU), die nun am vergangenen Freitag alle Schulleiter schriftlich dazu aufforderte, illegale Schüler sofort bei der Ausländerbehörde zu melden. Eventuell würden sonst sogar disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Im Zweifel für die Kinder

Doch dem widersprechen nun fast 70 Vertreter von Kinder- und Flüchtlingsorganisationen, aus den Gewerkschaften und Kirchen, die in einem offenen Brief betroffene Pädagogen dazu aufforderten, sich im Zweifel für die Kinder zu entscheiden, also sie weder bei der Ausländerbehörde, noch im neuen Register zu melden. Empörte Christdemokraten, aber auch einige Spitzenpolitiker der SPD, wie etwa der Hamburger Fraktionschef Michael Neumann, sehen darin nun einen »Aufruf zum Rechtsbruch «.

Rechtspopulistische Töne

Schon zuvor hatte der frühere Innensenator Roger Kusch, der inzwischen eine eigene rechtspopulistische Partei gegründet hat, via Springerpresse die betroffene Pädagogen mit Kriminellen verglichen. Illegale Ausländerkinder müssten sofort abgeschoben werden, forderte Kusch, was im Übrigen auch in ihrem eigenen Interesse wäre.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Hamburger Linkspartei, Karin Haas, widersprach dem scharf. Das »humanitäre Handeln« der Hamburger Lehrer sei durch die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen gedeckt, die auch das bundesdeutsche Ausländerrecht nicht brechen könne, sagte Haas.

Ein Standpunkt, den auch der Menschenrechtsexperte Hendrik Cremer vertritt, der sich außerdem auf die Kinderrechtskonvention der UN bezog. Demnach bestehe das Recht auf Bildung auch unabhängig vom Aufenthaltsstatus oder der Staatsangehörigkeit eines Kindes. Ähnlich argumentierte auch Antje Möller von den Grünen, die sich nun außerdem auf eine Empfehlung der so genannten Süssmuth- Kommission bezieht.

In dieser nach der CDU-Politikerin Rita Süssmuth benannten Zuwanderungskommission der Bundesregierung, waren auch unabhängigen Experten zu dem Ergebnis gelangt, dass Lehrer nicht dazu verpflichtet werden könnten, den Aufenthaltsstatus ihrer Schüler zu ermitteln.

Quelle: Printausgabe des Neuen Deutschland, 09.10.2006, Seite 5



Polizei schlug Revolte von 200 Asylbewerbern nieder. Sie verlangten bessere Lebensbedingungen

Eine Revolte von rund 200 Insassen eines zentralen Aufnahmelagers der Ausländerbehörde Oldenburg ist in dieser Woche von der Polizei niedergeschlagen worden. Wie das Online-Nachrichtenportal redglobe.de am Freitag meldete, hatten die Flüchtlinge in einer spontanen Demonstration auf dem Hof des im Nachbarort Blankenburg gelegenen Lagers bessere Lebensbedingungen, vor allem gesünderes Essen, gefordert. In diesem Lager sei die Ernährung besonders vitaminarm, was zu Krankheiten und Mangelerscheinungen bei den überwiegend afrikanischen Flüchtlingen führe.

Statt auf die Forderungen einzugehen, habe die Lagerleitung jedoch die Polizei gerufen, die bei ihrem Einsatz mehrere Demonstranten verletzt habe, hieß es. Einigen Flüchtlingen drohen nach Mitteilung der Blankenburger Polizei nun noch Strafanzeigen, da bei dem Einsatz ein Beamter leicht verletzt worden sei.

Zu Protesten in dem sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen ehemaligen Dominikanerkloster, das seit 1990 zunächst als Erstaufnahmelager und dann als Sammellager für Flüchtlinge genutzt wird, kam es schon vor Jahren. 1994 traten 40 Flüchtlinge in einen Hungerstreik, wonach zusätzliche Kochmöglichkeiten eingerichtet wurden. Flüchtlingsorganisationen fordern seit Jahren die Schließung des Lagers und die dezentrale Unterbringung der Bewohner.

Anläßlich des europäischen Migrationsaktionstages war für den Freitag abend in Oldenburg eine Protestdemonstration angekündigt. Aktionen für ein besseres Leben der Flüchtlinge und gegen die Politik der Abschiebungen sind auch in Köln, Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Jena, Augsburg, Hamburg und Nürnberg vorgesehen.

Weitere Infos unter www.redglobe.de und www.noborder.org

http://www.jungewelt.de/2006/10-07/012.php



Streit in Hamburg: Dürfen Kinder von Eltern ohne Aufenthaltspapiere zur Schule gehen?

In Hamburg planen Schulleiter, die Kinder von Eltern ohne Aufenthaltspapiere an ihren Schulen unterrichtet haben, ohne sie der Ausländerbehörde zu melden, ein heimliches Gipfeltreffen, um sich über ihr gemeinsames Vorgehen gegenüber der Schulbehörde zu verständigen. Dies meldete am Mittwoch das Hamburger Abendblatt. Die Direktoren befürchten, daß die Kinder wegen des geplanten neuen zentralen Schülerregisters (ZSR), auf das auch die Ausländerbehörde Zugriff hätte, von dieser ermittelt und somit – samt ihrer Eltern – abgeschoben werden könnten.

Daß in Hamburg überhaupt Kinder von Eltern ohne gültigen Aufenthaltsstatus heimlich unterrichtet werden, war erst Ende letzter Woche bekanntgeworden, nachdem sich ein Schulleiter an Journalisten wandte. Demnach hätten etliche Schulen seit mindestens 15 Jahren solche Kinder unterrichtet, obwohl sie diese nach gültigem Recht hätten melden müssen. Doch die Pädagogen wollten durch ihr couragiertes Verhalten auch solchen Kindern den Zugang zu Bildung und sozialer Integration ermöglichen, den ihnen das Ausländerrecht sonst verwehrt. Aber nach Einführung des ZSR befürchten die Lehrer nun, daß die Eltern betroffener Kinder diese nicht mehr zur Schule schicken, weil sie Angst haben könnten, entdeckt und abgeschoben zu werden.

Kirchen- und Flüchtlingsorganisationen, aber auch Vertreter der Elternkammer appellierten daraufhin an den Senat, auf das neue Melderegister zu verzichten. Dieser Vorstoß trifft aber auf den erbitterten Widerstand der Abschiebungsverfechter in Bürgerschaft und Senat. Die fordern vielmehr, daß sich die Schulleiter nun disziplinarrechtlich verantworten müssen. Den Aufruf kirchlicher Hilfsorganisationen, betroffene Kinder auch weiterhin zu unterrichten und sie einfach nicht in das neue Melderegister einzutragen, bewerten sie als eine »Aufforderung zum Rechtsbruch«. Doch inzwischen hat das Verhalten der Schulleiter dazu geführt, daß auch Kommunalpolitiker aller Parteien eine Überprüfung der bisherigen Abschiebepraxis fordern, denn in einigen Schulen, die sich in Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil befinden, sind offenbar noch viel mehr Kinder betroffen, als zunächst angenommen. Während der SPD-Migrationspolitiker Aydan Özoguz für sie eine weitere Schulausbildung forderte, verglich der frühere Hamburger Innensenator Roger Kusch, der eine neue rechtspopulistische Partei gegründet hat, um Schill zu beerben, deren Eltern, aber auch die Pädagogen mit Kriminellen. Illegale Ausländerkinder hätten in Hamburg nichts zu suchen und müßten sofort abgeschoben werden, forderte Kusch.

http://www.jungewelt.de/2006/10-05/005.php



Europäischer Aktionstag

Europaweit bereiten sich Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen in diesen Tagen auf einen europäischen Ak­tionstag gegen die restriktive Flüchtlings- und Asylpolitik der Europäischen Union und ihrer Regierungen vor. Für den kommenden Samstag sind in 18 europäischen und afrikanischen Ländern zeitgleich Demonstrationen und Aktionen geplant.

Die Initiative geht auf ein Treffen des Europäischen So­zialforums im Mai 2006 in Athen zurück, an dem seinerzeit fast 15 000 Menschen teilnahmen. In Köln, Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Jena, Augsburg, Hamburg und Nürnberg finden am Samstag Demonstrationen statt. Die Aktion in Hamburg wird auch von Gruppen aus Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Gerade in der Hansestadt betreibt der CDU-Senat nun schon seit Jahren eine besonders rigide Abschiebepolitik.

Gleichzeitig werden am Samstag auch Tausende Demonstranten in London, Paris, Warschau, Amsterdam, Wien und Madrid auf die Straße gehen. Weitere Aktionen finden in Mauretanien, Italien, Tunesien, Togo, Griechenland und Benin statt. Darauf haben sich über 100 Organisationen und Bündnisse aus Europa und Afrika verständigt, die sich in einem gemeinsamen Aufruf zu diesem dritten europäischen Migrations-Aktionstag (ihm gingen schon 2004 und 2005 gemeinsame Aktionen voraus), für die »bedingungslose europäische Legalisierung« aller hier lebenden, aber auch zureisenden Menschen einsetzen. Zugleich soll mit diesem Aktionstag auch an die Ereignisse vor einem Jahr erinnert werden, als Hunderte Flüchtlinge die Grenzzäune zu den in Marokko gelegenen spanischen Enklaven Ceuta und Melilla buchstäblich überrannten und das spanische Militär nur noch mit Todesschüssen, Masseninternierungen und dem Aussetzen von Menschen in entfernten Wüstenregionen die Lage unter Kontrolle bringen konnte. Doch dabei sei auch deutlich geworden, daß sich das Recht der Menschen auf Bewegungsfreiheit dauerhaft nicht unterdrücken lasse, heißt es im Aufruf. Orientiert wird deshalb auf einen Prozeß der »fortlaufenden Unterminierung dieses Migrationsregimes« durch zunehmend politische und soziale Aktionen für die Gleichberechtigung aller Menschen.

Nähere Informationen unter www.noborder.org

Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/10-05/003.php

Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite der Jungen Welt zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland gewesen. Lesen Sie hier zwei weitere Beiträge dieser Seite:

Wurst im Plastikbeutel, von Maja Schuster

»Blutiger Stift« für Schünemann, von Raimar Paul

und hier Schwerpunkt_jW_05_10_06 können Sie sich die Seite als PDF-Datei herunterladen



Hamburg. Unter dem Motto »Keine Abschiebungen nach Afghanistan« rufen Flüchtlingsrat und afghanische Gemeinde für Samstag vormittag zu einer Demonstration in Hamburg auf. Sie beginnt um 11 Uhr am Hachmannplatz. Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan zunehmen, würden jede Woche weitere Menschen über den Flughafen in Frankfurt am Main abgeschoben, begründeten Vertreter der größten afghanischen Gemeinde in der BRD ihren Demoaufruf, der auch von Linkspartei.PDS und WASG getragen wird. Einen sofortigen Abschiebestopp für die Betroffenen fordert inzwischen auch SPD-Landeschef Mathias Petersen. Familien, die hier seit langer Zeit leben, müsse ein »humanitäres Bleiberecht« zuerkannt werden.

(jW)

http://www.jungewelt.de/2006/09-02/065.php



CDU-Senat will auffällige Jugendliche wegsperren, um Strafanstalt besser auszulasten

In Hamburg hat der Senat am Montag nachmittag sein Rettungskonzept für den umstrittenen Kinderknast in der Feuerbergstraße vorgestellt. Um dessen geringe Auslastung zu erhöhen, sollen dort nun auch Schulschwänzer oder Kids untergebracht werden, die im Unterricht besonders auffällig wurden. Es sei Zeit für eine Bankrotterklärung gewesen, betonte hingegen am gestrigen Dienstag Thomas Böwer, der die SPD im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu dem Heim vertritt, das mehrfach wegen schwerer Rechtsbeugungen ins Gerede gekommen war.

Daß das Wegsperrkonzept des CDU-Senats gegenüber minderjährigen Jugendlichen, denen Straftaten zu Last gelegt werden, längst gescheitert ist, hatte auch die Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen, Christiane Blömecke, betont. In dem Heim sind nicht mal ein Drittel aller Plätze belegt, weil sich auch Familien- und Jugendrichter häufig weigern, Jugendliche dort einzusperren. So stiegen die Kosten für einen einzelnen Heimplatz auf fast 300000 Euro im Jahr. Doch statt das Heim – das 2003 auf Druck des damaligen Innensenators Ronald Barnabas Schill eingerichtet wurde – zu schließen, wird zur Steigerung der Auslastung nun krampfhaft nach neuen Zielgruppen gesucht. Damit das klappt, müssen die Zuweisungskriterien für den Kinderknast erweitert werden. Zuweisungen konnte es bisher nur auf Initiative des »Familieninterventionsteams« und nach ausdrücklicher Zustimmung durch ein Jugend- oder Familiengericht geben. Nun sollen sie durch das Amt für soziale Dienste (ASD) und ohne richterlichen Beschluß möglich sein. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen müssen dafür nur getrennt von den übrigen Insassen untergebracht sein. Zudem soll das Zuweisungsalter von 14 auf 13 Jahre gesenkt werden.

»Wir können nicht erst aktiv werden, wenn die Jugendlichen massiv straffällig sind«, begründete Staatsrat Dietrich Wersich (CDU) diese Maßnahme. Er wies darauf hin, daß »Freiheitsentzug nicht zwingend an Delinquenz« gebunden sei. Auch Jugendliche, die am Hauptbahnhof rumhängen, seien in der Feuerbergstraße gut aufgehoben. Wie die anderen Insassen würden diese von Securitas-Mitarbeitern bewacht, die darüber ins Gerede kamen, daß sie eingesperrte Jugendliche mehrfach mit Psychopharmaka ruhiggestellt hatten. Andere wurden mit Klettbändern an Händen und Füßen gefesselt.

http://www.jungewelt.de/2006/08-30/052.php



Rote Hilfe erwartet massive Eingriffe in die Rechte von Demonstranten und Bürgern

In Mecklenburg-Vorpommern bereiten sich nicht nur außerparlamentarische Gruppen auf den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm vor. Auch die SPD-Linkspartei-Landesregierung trifft ihre Vorkehrungen. Am Wochenende warnte Jan Steyer von der Roten Hilfe Greifswald gegenüber junge Welt, daß sich schon jetzt ein Großeinsatz der Sicherheitskräfte abzeichne, bei dem Grundrechte der Bürger auf der Strecke blieben. Grundlage dafür sei das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG), das der Landtag in einem Schnellverfahren im Juni auf Antrag von SPD und Linkspartei.PDS beschlossen hat.

Die Mecklenburger Polizei wußte auch ohne SOG, wie Demonstranten in ihrem Protest behindert werden können. Zwar war die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausdrücklich untersagt, doch andere Kontrollverfahren, wie Identitätsfeststellungen oder erkennungsdienstliche Behandlungen konnten die Beamten jederzeit anwenden. Auch Platzverweise, vorläufige Festnahmen, verdeckte Ermittlungen, Hausdurchsuchungen und das Einschleusen von V-Leuten in politische Bewegungen gehörten längst zum polizeilichen Repertoire.

SPD und Linkspartei reichte das nicht. Nach Hamburger Vorbild wurden vor allem Möglichkeiten für sogenannte präventive Polizeimaßnahmen erweitert. Kritikern aus den eigenen Reihen, wie dem Landtagsabgeordneten der Linkspartei, Gerhard Bartels, hielt Landeschef Peter Ritter entgegen, daß die Zustimmung der SPD zu einem neuen Informationsfreiheitsgesetz nur so zu erhalten sei. Damit sollen die Bürger mehr Einsicht in die über sie geführten Behördenakten bekommen.

An der Verschärfung von Repression und Überwachung durch das neue SOG ändert das nichts. War eine Rasterfahndung bisher zum Beispiel nur möglich, wenn ganz konkrete Gefahren vorliegen, so würde bei den Protestaktionen zum G-8-Gipfel schon ein »Internetaufruf zu Straftaten« ausreichen, um den Fahndungsapparat in Bewegung zu setzen. Angeblich um Beamte vor Infektionen zu schützen, können laut SOG nun bei »Gefahr im Verzug« Blutentnahmen ohne richterliche Anordnung durchgeführt werden. »Gefahr im Verzug« ist immer dann gegeben, wenn »Körperflüssigkeiten« auftreten. Daß es dabei in Wirklichkeit um den Aufbau einer DNA-Datenbank geht, zeigten die Landtagsberatungen. Linkspartei und SPD begründeten ihren Antrag ausdrücklich damit, daß so Möglichkeiten zum Abgleich der Daten mit denen aus Speichern von BKA und Bundespolizei geschaffen werden können. Vorbei ist auch die kameralose Zeit. Bei Massenveranstaltungen, wie den G-8-Protesten, so hieß es, habe die offene Verwendung von Videokameras den Vorteil, daß dies beim Bürger zu einer »Risikoabschätzung« führe. Im Klartext: Wer nicht auf dem Polizeivideo landen möchte, bleibt besser zu Hause. Angewandt werden sollen auch »automatische Kfz-Kennzeichen-Lesesysteme« und IMSI-Catcher, mit denen Handygespräche von G-8-Gegnern abgehört und deren genauer Standort geortet werden kann.

Das Material der Roten Hilfe kann per E-Mail abgefordert werden: greifswald@rote-hilfe.de

http://www.jungewelt.de/2006/08-21/006.php



In Hamburg sorgt ein Politskandal mit Kiezbezug für Aufregung

Welche Kontakte hatten Hamburger Politiker ins Rotlichtmilieu? Welchen Einfluss hat die Kiez-Größe Burim Osmani? Welche Rolle spielte Ex-Bausenator Mario Mettbach? Und was wusste Bürgermeister Ole von Beust? Das sind Fragen aus einem Polit-Krimi, der seit Tagen Hamburg bewegt.

Die Berufung des Hamburger Ex-Senators Mario Mettbach (CDU) zum neuen Logistikbeauftragten der Stadt sorgt – ein Vierteljahr nach der Berufung – für Streit. Von »Täuschung der Öffentlichkeit« spricht SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Denn seit Längerem ist klar, dass der Senat damals bereits über Mettbachs Kontakte zum so genannten Osmani-Clan wusste. Die drei Brüder Felix, Burim und Bekin Osmani gelten als Kiezgrößen, die mit nicht immer lauteren Methoden ein Millionenvermögen angehäuft haben sollen. Ohne Unterstützung aus den Reihen der Hamburger Behörden sei dies kaum denkbar, wird behauptet.

Der Skandal kam ins Rollen, nachdem Burim Osmani im Mai dieses Jahres verhaftet wurde. Ein Beratervertrag Mettbachs (früher Schill-Partei, Statt-Partei und schon mal CDU) mit den Osmanis wurde öffentlich. Seinen Job als Logistikbeauftragter war er wieder los. Doch zumindest Bürgermeister Ole von Beust und Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (beide CDU) konnte das nicht überraschen. Schon im März hatte Mettbach Medienberichten zufolge beide besucht, um Unterstützung für den Umbau einer Osmani-Immobilie zu erbitten. Rechtzeitig vor der Fußball-WM sollte das Grundstück auf der Reeperbahn, das nach einer bekannten ehemaligen Imbissstube »Heiße Ecke« heißt, zur Luxus-Bar umgebaut werden. Auch SPD-Bezirksamtsleiter Mitte, Markus Schreiber, soll an den Gesprächen beteiligt gewesen sein.

Der SPD-Abgeordnete Thomas Böwer befragte den Senat nach dem Vorgang. Bürgerschaftspräsident Bernd Röder (CDU) kündigte jedoch an, eine Antwort nicht zu veröffentlichen. Anwalt Gerhard Strate, der Osmani verteidigt, habe Einspruch erhoben, heißt es. In dieser Woche nun erklärte ein Senatssprecher gar, dass man die Anfrage aus »rechtlichen Gründen« gar nicht beantworten werde.
500 Millionen Euro, so wird geschätzt, nennen die Osmanis inzwischen ihr Eigen. Stripteaselokale, Szenebars wie das »Cafe Keese«, aber auch Hotels gehören dazu. Einen wohltätigen Anstrich gaben sich die »Albaner«, wie man sie auf dem Kietz nennt, durch Spenden an Kirchen und Kindergärten. Sie wollten für den FC St. Pauli sogar ein neues Stadion bauen. Doch daraus wurde nichts.

Inzwischen hat eine weitere Anfrage des SPD-Abgeordneten Andreas Dressel ergeben, dass etwa zum Zeitpunkt des Rauswurf von Innensenator Ronald Schill 2003 ein »Leitfaden zur Bekämpfung organisierter Kriminalität« bis heute dauerhaft verschwunden ist. Eine Sachfahndung hätte zum Verbleib bis heute nichts ergeben, antwortete der Senat. Dressel hat bereits eine nächste Anfrage angekündigt. Auch auf der Bürgerschaftssitzung am 23. August kommt die Mettbach-Affäre zur Sprache. SPD-Mann Neumann will dann »rückhaltlose Aufklärung«.

Quelle: Printausgabe Neues Deutschland, 17.08.2006, Seite 6



Methadon oder Heroin? Bund-Länder-Kommission evaluiert Langzeitstudie

Am heutigen Montag findet in Hamburg das erste Treffen der Bund-Länder-Gruppe zur Bewertung der Ergebnisse der sogenannten Heroin-Studie statt. Unter Federführung des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) wurde drei Jahre lang in sieben Städten unter ärztlicher Aufsicht an etwa 500 Opiatabhängige Diamorphin (reines Heroin) abgegeben. Zu Vergleichszwecken wurden weitere 500 Patienten in den dafür geschaffenen Drogenambulanzen mit Methadon behandelt. So sollte beurteilt werden können, welche der Behandlungsmethoden für Schwerstabhängige, die für andere Hilfsangebote nicht mehr erreichbar sind, zu besseren Ergebnissen führt. Diese Ergebnisse sind nun vorhanden, und sie sprechen in fast allen Einzelheiten für die Fortführung einer kontrollierten Heroinbehandlung, die Gesundheit und Alltag der Schwerstabhängigen deutlich stabilisierte.

Doch für CDU-Politiker auf allen Ebenen ist das nichts weiter Teufelszeug. Zum Jahresende soll das Programm nun auslaufen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe will heute nach Kompromissen suchen. Die aber dürften nur schwer zu finden sein, denn noch Ende letzter Woche betonte etwa Hamburgs CDU-Staatsrat Dietrich Wersich, daß es oberste Priorität staatlicher Drogenpolitik sein müsse, den Ausstieg aus der Drogensucht zu befördern. Hingegen würde sich der Staat bei unveränderter Fortführung des Programms selbst zum Drogendealer machen. Allenfalls könne es nun noch eine befristete Versorgung von Heroinpatienten geben, deutete Wersich die Grenzen eigener Kompromißbereitschaft an. Gleichzeitig fordert die CDU eine deutliche Senkung der Fallzahlen.

Demgegenüber drängt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Bätzing, schon seit Monaten auf eine Reform des Betäubungs- und Arzneimittelgesetzes. Erst dann könne die Heroinbehandlung als eine Regelversorgung für Schwerstsüchtige endlich durchgesetzt werden. Bundesweit gebe es immerhin fast 150000 Opiatabhängige. Doch mit ihrer Forderung, dieses Thema in der Koalitionsrunde zu behandeln, konnte sich Bätzing nicht durchsetzen.

Unterstützung erhält die SPD-Abgeordnete hingegen von Suchtforschern, die nun unisono befürchten, daß die Schließung der Ambulanzen ihren Patienten den Boden unter den Füßen regelrecht wegreißt. Alle so­zialen und gesundheitlichen Fortschritte würden auf einem Schlag zunichte gemacht. Zudem betonen sie, daß Methadon von vielen Patienten nur sehr schlecht vertragen wird, was dann zum Therapieabbruch führt. Drogenambulanzen gab es bisher in Hamburg, Bonn, Köln, Frankfurt am Main, Karlsruhe und München.

http://www.jungewelt.de/2006/08-07/018.php



Hamburg hat das zwangsweise Erbrechen klammheimlich eingestellt

In Hamburg zieht die Justizbehörde nun doch Konsequenzen aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der vor zweieinhalb Wochen die Zwangsvergabe von Brechmitteln zur Beweissicherung bei Drogendelikten als Verstoß gegen die Menschenrechte bezeichnet hatte. Unmittelbar nach dem Urteil hatte die Hamburger Behörde diese Konsequenz noch mit dem Argument abgelehnt, das Strasbourger Verfahren betreffe nur einen Einzelfall.

In der Zwischenzeit haben sich die Hamburger Verantwortlichen aber klammheimlich dem Vorbild Bremens und Berlins angeschlossen – die zwangsweise Brechmittelvergabe wurde einem Bericht des Hamburger Abendblattes zufolge klammheimlich eingestellt. Dagegen feuert seit Freitag die SPD. »Wir Sozialdemokraten sind und bleiben für Brechmitteleinsätze«, erklärte deren innenpolitischer Sprecher Andreas Dressel.

Der Gerichtshof habe die »Drogentoilette« als die »mildere Methode« gegenüber der Brechmittelvergabe anerkannt, erläuterte Justizbehördensprecher Carsten Grote gegenüber Journalisten. In einer solchen »Drogentoilette« sollen verschluckte Drogenpäckchen auf natürliche Weise wieder zum Vorschein kommen. Grote fügte hinzu, Drogendealern werde auf freiwilliger Grundlage das Brechmittel auch weiterhin angeboten. Das sei auch in ihrem eigenen Interesse, denn das Platzen eines verschluckten Drogenpäcken im Magen oder im Darm könne zum Tode führen.

Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller forderte nun eine Überprüfung sämtlicher Drogenverfahren seit 2003. Sollte sich dabei herausstellen, daß relevante Beweismittel nur unter dieser vom Gerichtshof abgelehnten Methode gewonnen wurden, sei eine Wiederaufnahme der Verfahren unumgänglich. Zudem stelle sich die Frage nach Schadensersatz.

Die Wiederaufnahme eines Ermittlungsverfahrens hat unterdessen die Familie des 2001 in Hamburg während eines Brechmitteleinsatzes ums Leben gekommenen Achidi John gefordert. Diesem hatten Beamte unter Einsatz von Gewalt 2001 eine Nasensonde zur Brechmitteleingabe eingeführt. John brach daraufhin bewußtlos zusammen, ein Arzt wurde jedoch viel zu spät hinzugezogen. Nach dem Tod des 19jährigen hatte die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen die beteiligten Beamten eingeleitet. Doch diese wurden 2002 eingestellt. Fünf Jahre später sei nun aber die Rechtslage nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs anders, erklärten die Anwälte der Familie.

http://www.jungewelt.de/2006/07-29/046.php



Datenschutzbeauftragter Schaar über Geheimdienstkompetenzen und Informationskontrolle

Peter Schaar, geboren 1954 in Berlin, ist seit Ende 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Der studierte Volkswirt war Anfang der 80er Jahre in der Hamburger Verwaltung tätig und wurde 1994 stellvertretender Hamburgischer Datenschutzbeauftragter. Schaar lebt in Hamburg und ist verheirateter Vater zweier Kinder.

ND: Anfang der Woche hat BND-Präsident Ernst Uhrlau eine stärkere internationale Kooperation der Geheimdienste bei der Weitergabe von Informationen gefordert. Was halten Sie davon?

Peter Schaar: Ernst Uhrlau will Informationen so weit wie möglich und nicht nur nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit gestreut wissen. Doch die Informationsweitergabe ist nach deutschem Verfassungsrecht an bestimmte Voraussetzungen gebunden, weshalb ich diese Forderung für problematisch halte.

Auch die Bundesregierung hat gerade eine Erweiterung der Anti-Terror-Gesetze beschlossen. Konto- und Telekommunikationsdaten können leichter angezapft werden.

Dieser Gesetzentwurf ist mit einem völlig veralteten Bericht aus dem Bundesinnenministerium begründet, in dem nur Maßnahmen bis 2004 ausgewertet sind. Es ist schon ziemlich mutig, damit jetzt eine Ausweitung von Geheimdienstkompetenzen zu begründen. Danach sollen die Befugnisse von BND und MAD so ausgeweitet werden, dass sie denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz entsprechen. Bevor ein neues Gesetz verabschiedet wird, sollte es einen aktualisierten Evaluationsbericht geben, der dann zunächst auch im Bundestag gründlich beraten werden muss. Noch ist es dafür nicht zu spät.

Im Koalitionsausschuss haben CDU und SPD größeren Informationspflichten für Fluggesellschaften, Banken, Post- und Telekommunikationsunternehmen bereits zugestimmt.

Eine Auskunftspflicht besteht nicht! Die Dienste haben die Befugnis, Daten abzufragen, doch eine Pflicht zur Beantwortung entsteht daraus nicht. Leider hat sich das Bundesinnenministerium dazu mehrfach missverständlich geäußert. Trotzdem ist die Befugniserweiterung für den BND problematisch, der damit nun auch das Recht erhalten soll, für seine Aufgabenerfüllung inlandsrelevante Informationen zu erheben.

Das hat die Regierung mit der Hetze von Rechtsextremen und Islamisten begründet. Gewalt könne so besser bekämpft werden.

Dies überzeugt mich nicht. Noch kritischer sehe ich aber, dass nun die Hürden für solche Maßnahmen gesenkt werden. Beispielsweise konnte es Datenanfragen bei Fluggesellschaften bisher nur auf Anordnung des Bundesinnenministeriums auf Antrag des Verfassungsschutz-Präsidenten geben, das dafür zuvor auch die G10-Kommission des Bundestages anhören musste. Diese Anordnungsbefugnis soll jetzt per Dienstanordnung auf einzelne Mitarbeiter des Verfassungsschutzes übertragen werden. Die G10-Kommission wird überhaupt nicht mehr eingeschaltet.

Zugriff sollen die Geheimdienste auch auf das europaweite Schengener Informationssystem (SIS) haben. Werden damit nicht die Grenzen geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit verwischt?

Ja, denn die Geheimdienste würden durch verdeckte Ausschreibungen Informationen an die Polizeibehörden übermitteln, während andererseits polizeiliche Informationen direkt an die Nachrichtendienste gehen könnten. Das aber halte ich bereits mit Blick auf die unterschiedliche Kontrolldichte für sehr problematisch, denn Maßnahmen der Polizei können – anders als nachrichtendienstliche Aktivitäten – von Gerichten überprüft werden. Auch gibt es grundlegende Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Befugnisse. Nachrichtendienste dürfen weit im Vorfeld beobachten und dabei auch »weiche« Daten sammeln, haben aber keine Exekutivbefugnisse. Der Trennungsgrundsatz zwischen Polizei und Geheimdiensten hat Verfassungsqualität, weshalb ich hier verfassungsrechtliche Probleme sehe.

Besorgnis haben Vorgänge bei der belgischen Firma SWIFT ausgelöst, die als Dienstleister im internationalen Zahlungsverkehr tätig ist. Diese hat Finanztransaktionsdaten aus ganz Europa an die CIA weitergeleitet. Wie kann man sich davor schützen?

Sicherlich muss bei Geldüberweisungen in die USA auch das US-Recht beachtet werden. Doch wenn es um Überweisungen an Drittländer geht, hätte SWIFT die Daten nicht weiterleiten dürfen. Die EU-Kommission und die europäischen Regierungen stehen jetzt in der Pflicht, solch rechtswidrigen Zugriffen vorzubeugen.

»Big brother is watching you«. Diesen Eindruck hatte man auch bei der Fußball-WM. Besteht nicht allmählich die Gefahr einer Totalüberwachung?

Es gibt in der Tat die Gefahr einer Überwachungsgesellschaft. Nicht nur auf Grund staatlicher Aktivitäten, sondern auch weil sich viele Bürger mit einer solchen Überwachung einverstanden erklären. Ich würde deshalb auch nicht vom Überwachungsstaat sprechen. Wenn es zum Beispiel, wie jetzt in Sachsen, um einen Gentest für bis zu 100 000 Menschen geht, trifft dies auf viel Verständnis in der Bevölkerung. Nicht nur hier sehe ich noch sehr viel Arbeit für uns Datenschützer.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=94387&IDC=2



Nur zwei Bundesländer haben bislang einen Abschiebestopp in den Libanon verfügt

In Schleswig-Holstein hat Innenminister Ralf Stegner (SPD) einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus dem Libanon angeordnet. Dieser gelte nun für drei Monate, wie ein Ministeriumssprecher am Mittwoch nachmittag in Kiel mitteilte. Von den Abschiebungen wären sonst 68 Menschen gegenwärtig betroffen gewesen. Mit seiner Anordnung hat Stegner auch auf eine Forderung des Schleswig-Holsteinischen Flüchtlingsrats reagiert, der sich zwischenzeitlich auch die Landtagsfraktionen von FDP und SSW angeschlossen hatten.

Hintergrund dafür sind die israelischen Bombardements von Städten im Libanon. Mehr als 500000 Menschen sind dort nun in Richtung syrischer Grenze auf der Flucht. Stegner wollte deshalb seinen Abschiebestopp auch als Signal an andere Bundesländer verstanden wissen, ebenso zu handeln. Doch außer der Kieler hat bisher nur die Landesregierung von Rheinland-Pfalz einen offiziellen Abschiebestopp erlassen. Dies hatte in Mainz Staatssekretär Roger Lewentz (SPD) mit den »kriegsähnlichen Ereignissen« im Libanon begründet. Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Berlin haben eigene Abschiebungen hingegen nur de facto ausgesetzt. In Berlin immerhin kalkulierbar für drei Monate, wie ein Sprecher von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Donnerstag erklärte. NRW gab hingegen nur bekannt, daß ein geplanter Charterflug vorerst abgesagt worden sei. Ähnlich mager sind nach Informationen von Pro Asyl auch die Erklärungen aus den Innenministerien in Niedersachsen und Hessen, wo die Unterbrechung der Abschiebungen lediglich damit begründet wurde, daß man den Beiruter Flughafen nicht anfliegen könne. Dem schloß sich am Donnerstag auch ein Vertreter der Ausländerbehörde in Hamburg an. In Bayern und Sachsen-Anhalt hält man hingegen an einer prinzipiellen Option fest, obwohl dort im Moment Abschiebungen von Libanesen gar nicht anstehen. Komme es dazu, müsse darüber nun aber »im Einzelfall« entschieden werden, wie das Magdeburger Innenministerium erklärte.

Das reicht Pro-Asyl-Sprecherin Marei Pelzer nicht aus, die gegenüber junge Welt offizielle Abschiebestopps für alle Bundesländer forderte. Nur so könne den Betroffenen die Sicherheit gegeben werden, nicht doch noch zur Ausreise in das Kriegsgebiet gezwungen zu werden.

http://www.jungewelt.de/2006/07-21/008.php



Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein leitete Kontrollverfahren gegen elf Geldinstitute ein. Verdacht auf Verstoß gegen Bankgeheimnis

Das Unabhängige Landesdatenschutzzentrum Schleswig-Holstein überprüft die elf größten Banken des Bundeslandes wegen des Verdachts, Daten ihrer Kunden an den US-Geheimdienst CIA weitergeleitet zu haben. Dabei werde auch untersucht, welche Vorkehrungen die Geldinstitute dagegen getroffen haben, daß Kundendaten über die in Brüssel ansässige »Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications« (SWIFT) an den US-Geheimdienst gelangen, informierte Landesdatenschutzbeauftragter Thilo Weichert am Dienstag.

Nach Presseberichten hatte der US-Geheimdienst einräumen müssen, daß er solche Daten aus Europa und zur »Fahndung nach terroristischen Geldquellen« schon seit 2001 empfange und auswerte. Weichert vermutet nun, daß davon auch Bankkunden in Schleswig-Holstein betroffen sein könnten.

Dies ist durchaus begründet, denn zur Informationsbeschaffung nutzt die CIA die Firma SWIFT, die seit 30 Jahren als Dienstleister für mehrere tausend europäische Finanzinstitute tätig ist. Die dort verarbeiteten Daten betreffen am Tag zwölf Millionen Finanztransaktionen mit einem Volumen von 4,8 Billionen Euro. In diesen sind auch Informationen zum Zahlungsverkehr von Privatkunden enthalten. Doch die Weitergabe dieser Daten an die CIA sei nicht zulässig, sagte Weichert am Dienstag gegenüber jW. Er wies zugleich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach etwa deutschen Sicherheitsbehörden enge Grenzen bei verdachtsunabhängigen »Jedermann-Kontrollen« auferlegt worden seien. Zudem bestehe aber auch die Befürchtung, daß über die SWIFT und die CIA Finanztransaktionsdaten von europäischen Firmen an amerikanische Konkurrenten weitergeleitet werden.

Für die Wahrung des Bankgeheimnisses tragen die einzelnen Geldinstitute selbst die Verantwortung. Nach einer Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union haben die Banken laut Weichert das Recht, international tätige Organisationen wie SWIFT dazu zu verpflichten, eigene Kundendaten nicht an Dritte weiterzugeben.

http://www.jungewelt.de/2006/07-19/023.php



Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein verlangt großzügige Regelungen für Personen aus dem Libanon

Im Libanon herrscht Krieg. Seit Tagen fordern israelische Bombenangriffe auf Städte im ganzen Land Hunderte Tote und Tausende Verletzte. Im ganzen Land werden systematisch auch zivile Einrichtungen der Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Landebahnen, Sende- und Energieanlagen bombardiert. Vor diesem Hintergrund hat nun der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein am Dienstag Kiels Innenminister Ralf Stegner (SPD) dazu aufgefordert, einen umgehenden Abschiebestopp für Personen aus dem Libanon zu verhängen. Die CDU-SPD-Landesregierung solle zudem durch den Bund die umgehende und großzügige Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Libanon auch in Deutschland vorbereiten.

Begründet hat der Flüchtlingsrat diese Forderungen vor allem mit den Bombardements auf Wohnviertel in Beirut, aber auch mit den militärischen Gewaltattacken Israels auf libanesische Kleinstädte und Dörfer. Die Opfer dieser Gewalt seien fast ausschließlich Zivilisten, sagte Flüchtlingsratsgeschäftsführer Martin Link. Doch während die Bundesregierung deutsche Staatsangehörige evakuiere, blieben Zehntausende einheimische Flüchtlinge nur auf sich selbst gestellt, weil auch internationale Hilfsorganisationen von den Bombardements betroffen sind.

Daß eine Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Libanon bei akutem Bedarf für Deutschland aber durchaus unkompliziert möglich ist, hatte die Bundesregierung zuletzt im Jahr 2000 bewiesen. Damals nahm allein Schleswig-Holstein in kürzester Zeit etwa 400 Angehörigen der sogenannten Südlibanesischen Armee (SLA) auf. Die Kollaborateure mit Israel mußten fliehen, weil sie sich brutalster Verbrechen gegen die libanesische und palästinensische Bevölkerung schuldig gemacht hatten und sich Israel selbst nach zwei Jahrzehnten der Besatzung aus dem Südlibanon wieder zurückgezogen hatte. »Die Großzügigkeit, die Deutschland noch vor wenigen Jahren für diese Täter im libanesisch-israelischen Konflikt hat walten lassen, sollte nun zumindest ebenso für die aktuellen Opfer des Krieges gelten«, forderte Link.

Unterdessen sind allein in den vergangenen fünf Tagen etwa 100000 Libanesen ins Nachbarland Syrien geflohen, um dort den israelischen Angriffen zu entgehen.

http://www.jungewelt.de/2006/07-19/019.php



Europäischer Gerichtshof verbietet Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung bei Drogendelikten

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verstößt der Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung gegen die Menschenrechte. Brechmitteleinsätze seien eine »inhumane und erniedrigende« Methode, die zudem auch das Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigen würde. Doch trotz dieses eindeutigen Urteils, daß die Strasbourger Richter am Dienstag nachmittag mit einer deutlichen Mehrheit faßten, will man in Hamburg bis auf weiteres am Einsatz solcher Brechmittel festhalten. Wie Justizbehördensprecher Henning Clasen am Mittwoch gegenüber junge Welt erklärte, warte man zunächst auf eine vollständige Urteilsbegründung und entscheide erst dann, welche Konsequenzen gegebenenfalls zu ziehen seien. Doch gleichzeitig betonte Clasen, daß in Strasbourg nur ein »Einzelfall« verhandelt worden sei und aus der Urteilsbegründung auch hervorgehe, daß man solche Zwangsmaßnahmen »nur unter strikter Kontrolle« anwenden könne. Im Umkehrschluß schließe dies aber ein generelles Verbot aus.

BRD muß zahlen

Doch die Strasbourger Richter sehen dies völlig anders. Daß dieser »Einzelfall« für sie eine sehr grundsätzliche Bedeutung hatte, geht schon daraus hervor, daß sie das Verfahrens des Kläger Abu Bakah Jalloh gleich an die höchste Instanz im Europäischen Gerichtshof, die große Kammer, verwiesen. Gegen ihre Entscheidungen können Rechtsmittel anschließend nicht mehr eingelegt werden.

In dem behandelten Fall hatten Zivilpolizisten den 41jährigen Mann aus Sierra Leone schon 1993 in Wuppertal dabei erwischt, wie er bei seiner Festnahme ein Päckchen Kokain herunterschluckte. Gewaltsam wurde dem Mann dann mit Hilfe einer Salzlösung und über einen Schlauch in der Nase der Brechmittelsirup Ipecacuanha in den Magen gepumpt. Dieses Brechmittel, das auch in anderen Bundesländern genutzt wird, stammt aus dem Saft einer toxischen tropischen Pflanze, für deren Genuß zahlreiche Fälle von Kreislaufzusammenbrüchen oder inneren Verletzungen schon seit Jahren dokumentiert sind. Im Wuppertal kam so ein Kokainpäckchen von gerademal 0,2 Gramm zum Vorschein. Die Folge war eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten.

Doch selbst gegen dieses Urteil könnte Jalloh nun noch nachträglich vorgehen, denn die Strabourger Richter haben zudem festgestellt, daß ein solcher Brechmitteleinsatz prinzipiell gegen den Grundsatz verstoße, daß niemand dazu gezwungen werden könne, sich in Strafverfahren selbst zu belasten. Den deutschen Behörden warfen die Richter vor, die körperliche Unversehrtheit des Klägers leichtfertig und »in schwerwiegender Weise« verletzt zu haben. Wegen dieser an »Brutalität grenzenden Gewalt« verurteilten sie die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10000 Euro.

So ein Schmerzensgeld können zwei andere Schwarzafrikaner nun nicht mehr einklagen, die schon 2001 und 2004 zunächst in Hamburg und dann in Bremen an den Folgen eines solchen Brechmitteleinsatzes starben. In Bremen wurden Brechmitteleinsätze daraufhin gestoppt, während man diese Praxis in Hamburg bis heute fortführt. Allein für das letzte Jahr zählte hier die Justizbehörde 55 solcher Einsätze.

Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Norman Paech (Linksfrak­tion) erklärte, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes sei »überfällig« gewesen. Brechmitteleinsätze verletzten die Menschenwürde vor allem von Migranten, die im oftmals rassistisch gefärbten Visier von Strafverfolgungsorganen um ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müßten. Daß Strasbourg nun endlich auch die Hamburger Behörden zum Verzicht auf ihre erniedrigende, qualvolle und lebensgefährliche Praxis zwinge, sei »begrüßenswert«. Nach dem Urteil, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Erklärung von Norman Paech weiter, müssen nicht nur die Hamburger Behörden die »Folter per Brechmittel« sofort einstellen. Es müsse auch endlich ein ordentliches Verfahren gegen die Verantwortlichen für den Tod des Afrikaners Achidi John im Jahre 2001 eingeleitet und ans Tageslicht gebracht werden, weshalb die Hamburger Staatsanwaltschaft damals versagte.

http://www.jungewelt.de/2006/07-13/020.php



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Schleswig-Holsteins CDU-SPD-Regierung will die Eigenbedarfsgrenze für den Besitz von Cannabis von 30 auf sechs Gramm senken

Als »beispielllose Radikalisierung« hat der Deutsche Hanf-Verband (DHV) am Dienstag die Absicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung bezeichnet, den Besitz von Cannabis künftig schon ab sechs Gramm und nicht wie bisher ab 30 Gramm zu bestrafen. Zuvor war bekannt geworden, daß Justizminister Uwe Döring (SPD) schon in der nächsten Woche diese neue Eigenbedarfsgrenze festlegen will. Die drogenpolitische Sprecherin der schleswig-holsteinischen Grünen, die Landtagsabgeordnete Angelika Birk, warf der Koalitionsregierung aus CDU und SPD »zunehmende Repression« und »hilflosen Populismus« vor.

Mit der neuen Eigenbedarfsgrenze von sechs Gramm liegt Schleswig-Holstein weit unter dem Bundesdurchschnitt von neun Gramm. Die Festlegung dieser Mengen scheint allerdings eine rein politische Frage zu sein. So halbierte Hessen nach dem Wechsel von der SPD zur CDU die Höchstmenge von 30 Gramm – in Berlin hingegen hob der SPD/PDS-Senat die Grenze von 15 auf 30 Gramm an. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte vor zwölf Jahren festgelegt, daß der »gelegentliche Eigenkonsum« von Cannabis straflos bleiben müsse. Wenige Jahre später verpflichtete das BVerfG die Bundesländer, die Strafverfolgung von Cannabis-Sündern anzugleichen. Das allerdings führte fast überall dazu, daß die Eigenbedarfsgrenze gesenkt wurde. Man könne nicht Schüler wegen Zigarettenrauchens von der Schule verweisen, während man beim Cannabis untätig bleibe, begründete ein Sprecher von Dörings Ministerium den bevorstehenden Erlaß. Die Absenkung der Eigenbedarfsgrenze sei auch deshalb nötig, weil Joints heute wesentlich mehr von dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten als früher.

Doch für Birk sind gerade diese erhöhten THC-Konzentrationen eher ein Grund dafür, »staatliche Qualitätskontrollen« zu ermöglichen, ähnlich wie bei Nikotin oder Alkohol. Das aber werde erschwert, wenn diese Droge illegalisiert werde. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) habe zudem ergeben, daß zwischen dem Cannabiskonsum in einem Bundesland und dessen Höhe bei den Eigenbedarfsgrenzen kein Zusammenhang existiere. Das würde beweisen, daß durch staatliche Repression kein einziger Joint weniger geraucht werde.

Sollen Bürger, die mehr als sechs Gramm Cannabis besitzen, künftig als Dealer bezeichnet werden? Diese Frage stellt der DHV, der es zudem für unsinnig hält, nun 100000 – größtenteils erwachsene – schleswig-holsteinische Cannabiskonsumenten künftig härter zu bestrafen als in anderen Ländern. Bundesweit gibt es nach offiziellen Schätzungen etwa vier Millionen Cannabiskonsumenten, von denen rund 90 Prozent die Droge lediglich als angenehmes Genußmittel benutzen.

http://www.jungewelt.de/2006/07-12/018.php



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Schleswig-Holsteins SPD-Innenminister will seine »ideologischen Ordnungsphantasien« durchsetzen. Selbst Polizeigewerkschaft geht auf Distanz

In Schleswig-Holstein trifft ein neues Polizeigesetz der CDU-SPD-Landesregierung, wie es Innenminister Ralf Stegner (SPD) seit Monaten plant, erneut auf heftigen Widerstand. In einer Anhörung des Landtags am Mittwoch nachmittag bemängelten nicht nur Juristen und Datenschützer, sondern auch Richter- und Anwaltsverbände Stegners Gesetzentwurf, der ihrer Meinung nach einer Klage beim Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde. Die vorgesehene Totalüberwachung stehe in vielen Punkten im Widerspruch zu den Freiheitsrechten der Bürger, sagten auch Vertreter des ADAC.

Das sehen, wie berichtet, auch die Oppositionsparteien FDP, Grüne und SSW (Südschleswigscher Wählerverband, die Partei der dänischen Minderheit) so, die sich schon im März gegen die geplante Überwachung aller öffentlichen Verkehrsräume durch Videokameras und mit Hilfe einer automatischen Kennzeichenerfassung ausgesprochen hatten. Doch Stegner will das neue Gesetz, das er vor allem mit einer wachsenden Gefahr vor dem »internationalen Terrorismus« begründete. Deshalb soll es künftig auch »vorbeugende« Handy-, Telefon- und Wohnraumüberwachungen von Bürgern geben, die ins Visier polizeilicher Ermittler geraten sind.

Protest ruft auch hervor, daß diese Ermittler dann solche Maßnahmen künftig auch nach »eigenem Ermessen« selbst festlegen sollen. Das aber bezeichnete selbst die Polizeigewerkschaft GdP als »völlig überzogen«. Sie verwies darauf, daß es eine »akute Terrorgefahr« im Land zwischen Nord- und Ostsee überhaupt nicht gebe. Außerdem, so die Polizeigewerkschafter, reichten vorhandene Rechtsvorschriften völlig aus, um konkrete Gefahren abzuwehren.

So sieht es auch Karl-Martin Hentschel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kieler Landtag, der die Landesregierung dazu aufforderte, Bürgerrechte nicht länger zum Experimentierfeld »ideologischer Ordnungsphantasien« zu machen. Nach der Anhörung sei nun das gesamte Parlament aufgefordert, dem neuen Polizeigesetz eine Absage zu erteilen. Das hatte auch FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki betont, der vor allem das unkontrollierte Anzapfen von Telefonen und Handys für »unzulässig« und »verfassungswidrig« hält.

http://www.jungewelt.de/2006/07-07/051.php



Alternatives Turnier in Hamburg / Kritik an Abschiebe-Weltmeister BRD

Wenn heute bei der Fußball-WM zunächst Portugal auf den Iran, dann Tschechien auf Ghana und schließlich Italien auf die USA treffen werden, hat eine zweite Fußball-WM im Hamburger Stadtteil St. Pauli längst begonnen. Vier Tage lang werden dort nun 24 Teams um ihren eigenen »World Cup« in der »Abseits – Fußballweltmeisterschaft der Asylsuchenden« spielen.

In der Auftaktbegegnung der »Abseits-WM« an diesem Wochenende in Hamburg treffen »Juventus Kroonhorst« und die »Pitbulls« aufeinander. Wie bei allen anderen Mannschaften auch, spielen hier ausschließlich Flüchtlinge und Asylsuchende.

Damit haben Veranstaltungsleiter Martin Groß und sein 40-köpfiges Organisationsteam, in dem sich vor allem Künstler und kritischen Journalisten aus der Hansestadt ehrenamtlich engagieren, das offizielle FIFA-Motto für die Fußball-WM »die Welt zu Gast bei Freunden« sehr wörtlich genommen. Nicht nur Fußballstars und ihre Fans seien gegenwärtig zu Gast in Deutschland, sondern allein in Hamburg auch etwa 12 000 Flüchtlinge und Asylbewerber.

Auf ihre Probleme hinzuweisen, sie nun ins Rampenlicht zu stellen und dafür ganz ungeniert auch die gegenwärtige Fußballbegeisterung zu nutzen, ist das Hauptanliegen des Turniers. Das sei gerade in Hamburg sehr wichtig, wo der parteilose Innensenator Udo Nagel sich manchmal ebenfalls wie ein Weltmeister aufführe – ein Weltmeister im Abschieben.

Fußball ist deshalb am Wochenende am Schanzenpark auch nicht alles. Zum Turnier kommt ein imposantes Bühnenprogramm, das die Besucher mit kostenlosen Theater-, Musik- und Filmveranstaltungen lockt. Auch Lesungen und Diskussionen, wie etwa mit dem Schauspieler Sascha Göpel (»Das Wunder von Bern«) oder dem Starregisseur Michael Richter (»Abschiebung im Morgengrauen«) stehen auf dem Programm. Eine szenische Lesung von Schauspieler Jörg Kleemann (»Ein Sommernachtstraum«), inszeniert von Regisseur Branko Simic, ist schließlich als Hommage an Fußball-Idol Diego Maradona gedacht und am Montag und Dienstag runden ein Benefizkonzert und ein großes Abschlussfest die spektakuläre Veranstaltung ab.

Infos: www.abseits-wm.de

Quelle: Nur Printausgabe vom 17.06.2006



Asylsuchende tragen in Hamburg ihren eigenen »World Cup« aus. Viertägiges Turnier mit Unterstützung von Schauspielern und Journalisten

Als gestern abend im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion die Weltmeisterschaftspartie zwischen den Niederlanden und der Elfenbeinküste angepfiffen wurde, begann in Hamburg eine völlig andere Fußball-WM. Vier Tage lang werden dort 24 Mannschaften um den »World Cup« der Asylsuchenden spielen.

Das aus 40 Personen bestehende Vorbereitungsteam, darunter Schauspieler und Journalisten, hat das FIFA-Motto »Die Welt zu Gast bei Freunden« wörtlich genommen. Nun solle erfahrbar werden, daß gegenwärtig nicht nur Fußballmannschaften und deren Anhänger in Deutschland zu Gast sind, sondern auch Zehntausende Asylbewerber und Flüchtlinge, erklärte Veranstaltungsleiter Martin Groß. Die seien aber im Unterschied zu den Profikickern keineswegs freiwillig gekommen – sie habe vielmehr die Angst vor Hunger, Krieg, Unterdrückung und Folter ins Ausland getrieben. Die 12000 Menschen dieser Personengruppe, die alleine in Hamburg lebten, träfen dort jedoch auf Innensenator Udo Nagel, der »Weltmeister im schnellen Abschieben« sei. Auch dagegen wendet sich dieses Turnier, das den Titel trägt: »Abseits – Weltmeisterschaft der Asylsuchenden«.

Die Spiele des heutigen Samstags bestreiten Mannschaften mit so klangvollen Namen wie »Juventus Kroonhorst« oder »Pitbulls«. Die Spieler kommen aus Afghanistan, der Türkei, aus Togo oder auch von der Elfenbeinküste. Fußball ist im Schanzenpark, wo die Spiele ausgetragen werden, allerdings nicht alles. Das Turnier wird ergänzt durch ein Bühnenprogramm mit Theater-, Musik- und Filmveranstaltungen. Auch Lesungen und Diskussionen sind angekündigt. Mit dabei sind außerdem Schauspieler wie etwa Sascha Göpel (»Das Wunder von Bern«). Zu den Höhepunkten der Veranstaltung werden sicherlich die Begegnungen mit Regisseur Michael Richter (»Abschiebung im Morgengrauen«) oder dem Schauspieler Jörg Kleemann (»Ein Sommernachtstraum«) zählen.

Eine weitere Fußball-WM wirft unterdessen ihre Schatten voraus: Im September treffen sich in Südafrika Mannschaften, die sich aus Obdachlosen vieler Länder zusammensetzen. Ein Spieler der deutschen Mannschaft, der aus Bosnien stammende Jamal, wird wahrscheinlich nicht mit nach Kapstadt fahren dürfen – er soll vorher abgeschoben werden. Das Straßenmagazin draußen! aus Münster, für das Jamal spielt, versucht nun, durch eine bundesweite Kampagne die Abschiebung des vielleicht besten Obdachlosen-Kickers Deutschlands zu verhindern.

Wie in Hamburg gibt es auch andernorts Alternativveranstaltungen zu dem oft schwarz-rot-gold drapierten WM-Getöse. In Berlin z. B. findet am Samstag eine Demonstration gegen die an einen Polizeistaat erinnernden Sicherheitsmaßnahmen zur WM statt. »Freiheit statt Sicherheitswahn« heißt das Motto der Veranstaltung, die um 14 Uhr auf dem Alexanderplatz beginnt.

* Info: www.abseits-wm.de

http://www.jungewelt.de/2006/06-17/006.php



Bush-Besuch Mitte Juli wird vom größten Polizeieinsatz in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns begleitet

Um den geplanten Besuch von US-Präsident George W. Bush am 13. /14. Juli in Stralsund gibt es erneut heftigen Streit. So forderte am Freitag die Fraktionschefin der Linkspartei.PDS im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Angelika Gramkow, die Bundesregierung auf, die Kosten für die Sicherheit zu übernehmen. Bush sei im Juli schließlich nicht auf Einladung der Landesregierung, sondern der Bundesregierung im Land. Ähnlich äußerte sich auch Landesinnenminister Gottfried Timm (SPD).

Doch solche Debatten hält Mecklenburgs CDU-Generalsekretär Lorenz Caffier für »kleinkariert«. Wer wie Timm und Gramkow eine öffentliche Debatte über die Kosten der Sicherheit führe, zeige nur, daß ihm der Besuch des US-Präsidenten eigentlich nicht passe. Immerhin 15000 Einsatzkräfte will die Landesregierung nach den Planungen ihres Innenministeriums für die Sicherheit des Merkel-Gastes aufbringen, was auf den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns hinausläuft.

Bürger und Touristen werden ebenfalls ihren Beitrag leisten. Diese allerdings eher unfreiwillig, wenn am 13. und 14. Juli ganze Stadtbezirke hermetisch abgeriegelt werden. Betroffen ist jedoch nicht nur Stralsund, sondern auch Rostock, wo das Flugzeug mit dem Präsidenten am 13. Juli landen wird. Schon einen Tag zuvor sind aber die 15000 Sicherheitskräfte im Einsatz, zu denen nicht nur 7000 Bereitschaftspolizisten zählen, sondern auch Sondereinsatzkommandos, Hubschrauberbesatzungen, Präzisionsschützen, Spürhunde und Taucher. Mit dabei sind ebenfalls 33 Notärzte und 83 Rettungssanitäter sowie 13 Polizeiseelsorger.

Das aber kann Mecklenburg-Vorpommern allein nicht wuppen, weshalb Timm sich nun an seine Amtskollegen in den übrigen Ländern wandte. Diese sollen, wie auch die Bundesregierung, ihren Teil zur Sicherheit des US-Präsidenten aufbringen. Dabei wird Mecklenburg-Vorpommern Mitte Juli nicht nur mit eigenen Kräften in ein Notstandsgebiet verwandelt, sondern auch durch Sicherheitskräfte, die Bush selbst mitbringt. Von 800 bis 1200 Spezialkräften ist die Rede, die ihren obersten Chef auf Schritt und Tritt begleiten werden. Es geht um rund 400 Straßenkilometer, an denen vielerorts Kanaldeckel und andere potentielle Schlupflöcher unliebsamer Kameraden zugeschweißt werden sollen. Nur den geringsten Teil dieser Straßen wird Bush wirklich sehen, denn eigentlich wird er zwischen Rostock und Stralsund mit dem Hubschrauber befördert. Bei den Straßen handelt es sich vor allem um »Ausweichstrecken«, die gesichert werden sollen.

Begründet wird dieses Sicherheitsspektakel angeblich unter anderem mit den geplanten Protestaktionen der Friedensbewegung, die für den 14. Juli zur Demonstration gegen Bush in Stralsund aufruft. Schon am Tag zuvor soll es auch in anderen Bundesländern wie in Berlin zu regionalen Kundgebungen kommen. Die »Koalition der Unwilligen«, wie sich etwa ein regionales Aktionsbündnis in Berlin genannt hat, will für die Teilnahme an der Demo in Stralsund auch eigene Busse anmieten.

http://www.jungewelt.de/2006/06-10/035.php



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Platzverweise in der City und in Altona, Bußgeldbescheide über 130 Euro. Heftige Kritik aus christlichen Kirchen

Drei Wochen vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft zeigt Hamburg seinen Bettlern die rote Karte. Wie am Montag bekannt wurde, hat der Stadtbezirk Altona am Wochenende mehrere Platzverweise gegen behinderte bulgarische Bettler ausgesprochen, die zuvor durch den Ordnungsdienst von City-Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD) aus der Innenstadt vertrieben worden waren. Dort hatte das Bezirksamt den Bettlern sogar Gebührenbescheide über 130 Euro wegen einer angeblich unerlaubten »Sondernutzung öffentlicher Wege« zugestellt. Doch so weit wollte Altonas Stadtbezirksbürgermeister Hinnerk Fock (FDP) noch nicht gehen, der seine Platzverweise zunächst mit den Fraktionschefs von CDU, SPD und Grünen in der Bezirksversammlung abgesprochen hatte. Gebührenbescheide will Fock erst ausstellen, wenn ein »organisiertes und gewerbsmäßiges« Betteln nachgewiesen sei. Dieses hatte Amtskollege Schreiber den bulgarischen Bettlern pauschal unterstellt.

Ein generelles Bettlerverbot für die Innenstadt hatte Innensenator Udo Nagel (parteilos) zuletzt Ende letzten Jahres gefordert, nachdem verschiedene City-Manager, darunter Schuhketten-König Ludwig Görtz und Karstadt-Hamburg-Chef Werner von Appen über eine »unerträgliche Belästigung« ihrer Kunden durch den Anblick »verkrüppelter Bettler aus Bulgarien« geklagt hatten. C&A-Geschäftsführer Frank Middendorf und Alsterhaus-Geschäftsführerin Claudia Leske sprachen schließlich sogar von »kriminellen und organisierten Bettlerbanden aus Osteuropa«, mit denen nun rechtzeitig vor der Fußball-WM aufgeräumt werden müsse. Doch eine von Nagel geplante neue Stadtverordnung, die das Betteln in bestimmten Straßen generell untersagen sollte, traf schließlich auf heftigen Widerstand karitativer und kirchlicher Organisationen, weshalb sie im CDU-Senat auch zunächst nicht durchsetzbar war.

Deshalb knüpfen die Bezirksamtsleiter nun an den Vorwurf eines »gewerbsmäßigen und kriminellen Bettelns« an, wobei sie zugleich bestreiten, daß ihr Handeln mit der bevorstehenden Fußball-WM zusammenhänge. Schreiber argumentierte sogar, daß es ihm um die Menschenwürde gehe, weil er mit seinen Maßnahmen eine Zurschaustellung behinderter Menschen verhindere, die von organisierten »Hintermännern« ausgenutzt werden, was aber leider nicht nachweisbar sei.

Doch so stößt das Bettelverbot erneut auf heftige Kritik. Für den Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer vom Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt ist die Vertreibung der bulgarischen Bettler erst der Anfang, während das eigentliche Ziel in einer »bettlerfreien Stadt« zur Fußball-WM bestehe. Heftige Kritik kommt auch von Bischöfin Maria Jepsen und Erzbischof Werner Thissen, die für die evangelische und katholische Kirche das Vorgehen gegen die Bettler erneut als »inhuman« kritisierten und »mehr Großzügigkeit und Liberalität« im Umgang mit armen und bettelnden Menschen einforderten.

http://www.jungewelt.de/2006/05-23/027.php



Hamburg: Datenschützer beklagen Verletzung von Bürgerrechten durch Sicherheitswahn vor Fußball-WM

Die Hamburger werden aus Sicht ihres Datenschutzbeauftragten Hartmut Lubomierski immer mehr zu »gläsernen Menschen«. Das führe zur Verletzung von Bürgerrechten wie dem auf Persönlichkeitsschutz, unterstrich Lubomierski bei der Vorstellung seines jährlichen Berichts am Dienstag nachmittag im Hamburger Rathaus. Im Fokus der Kritik steht Innensenator Udo Nagel (parteilos), der im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft eine Totalüberwachung der Reeperbahn durch Videokameras anordnete, deren Testphase schon begonnen hat. Mit ihnen können die Flaniermeile sowie anliegende Hauseingänge und Wohnungen bis hinauf in den ersten Stock ausspioniert werden. Durch gezielte Schwenk- und Zoombewegungen der Geräte können einzelne Personen gezielt beobachtet werden. Dies verurteilte der Datenschützer: Jeder Bürger habe das Recht, sich im im öffentlichen Raum unbeobachtet bewegen zu können. Auch Till Steffen, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, bezeichnete die geplanten Massenkontrollen als »rechtswidrig, unverhältnismäßig und überflüssig«.

Lubomierski kritisierte zudem, daß immer mehr Telefongespräche aufgezeichnet werden sollen. Darüber hinaus sollen alle Mitarbeiter bei WM-Spielen grundsätzlich durch Verfassungsschutz oder Bundesnachrichtendienst überprüft werden, ohne daß es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt. Letzteres geht auf einen Vorschlag von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zurück. Scheinbare Sicherheit vor »terroristischen Anschlägen« ist offenbar das einzige, was auch in Hamburg zählt.

Erst kürzlich waren Pläne der Innenbehörde bekanntgeworden, einen Sonderknast mit 150 Plätzen während der Fußball-WM einzurichten, in dem »potentielle Gewalttäter« bis zu 14 Tage eingesperrt werden könnten. Nach dem neuen Hamburger Polizeigesetz ist dergleichen möglich. Bespitzelt werden aber auch die 300000 Fans, die Hamburg während der fünf Spiele in der Vorrunde und im Viertelfinale erwartet. Gezielte Anfragen beim Verfassungsschutz über einzelne Besitzer von Eintrittskarten sind bereits eingeleitet.

http://www.jungewelt.de/2006/04-13/005.php



„Was brauchen Kriminelle eine Sporthalle?“ Das ist ein typischer Kusch. Den brachte Hamburgs Justizsenator schon kurz nach seinem Amtsantritt. Damals besuchte er eine Jugendhaftanstalt und wurde von den Mitarbeitern auf die marode Sporthalle aufmerksam gemacht.
Über die Jahre fing sich der heute 51-jährige Roger Kusch (inzwischen aus der CDU ausgetreten – Red.) durch seine Vorstöße in Sachen innere Sicherheit den Spitznamen „lachende Guillotine“ ein.

Sein Kampf gegen auffällig gewordene Kinder und Jugendliche mündete schließlich in dem Vorschlag, das Jugendstrafrecht komplett abzuschaffen. Auch wenn er damit nicht durchkam, gelang es ihm doch, die Lockerungen im Hamburger Strafvollzug ersatzlos zu streichen. Als es darum ging, den letzten Spritzenautomaten für drogenabhängige Häftlinge endlich aus der Wand zu reißen, krempelte er die Ärmel hoch und legte selbst Hand an.

Widerspruch duldet ein Mann wie Kusch selbstverständlich nicht. Reihenweise ließ der Senator nicht nur das Spitzenpersonal in seiner eigenen Behörde, sondern auch Staatsanwälte, Richter und Vollzugsbeamte über die Klinge springen.

Bevor Kusch Senator wurde, war er schon Volljurist, später dann Leiter des Referats für innere Sicherheit im Bundeskanzleramt. Im Oktober wurde er schließlich Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof. Von dort holte ihn Bürgermeister Ole von Beust nach Hamburg.
Kusch sollte dem Rechtspopulisten Ronald Barnabas Schill, auch Richter Gnadenlos genannt, das Wasser abgraben. Dessen Anhänger sollten ihr Herz wieder für die CDU entdecken. Im August 2003 musste Schill abtreten, unter anderem weil er behauptet hatte, dass Beust und Kusch ein Pärchen seien. Ohne Schill verblasste auch Kusch.

„Heute steht im Hamburger Strafvollzug kein Stein mehr auf dem anderen“, hatte Kusch sich bei der Eröffnung eines neuen Hochsicherheitsgefängnisses in Billwerder selbst gefeiert (Bild). Als sich Häftlinge beschwerten, dort nackt auf Pritschen angeschnallt und eingesperrt worden zu sein, störte ihn das selbstredend nicht. Für die Regierungspartei CDU war aber doch der Grad erreicht, den Mann loszuwerden. Am Montag musste er seine Sachen Packen – nicht wegen Fesselungen, Folter oder penetranter Jugendfeindlichkeit. Er stolperte über die Weitergabe vertraulicher Akten und geht wegen einer Protokollaffäre.

Seite 16: http://85.183.64.11/archiv/Lokal/Hamburg/2006/07hh.pdf



Der Streit um die Protokollaffäre, die am Montag (27.3.) Justizsenator Roger Kusch (Ex-CDU) das Amt kostete, setzt sich in unverminderter Härte fort. In einer ungewöhnlich turbulenten Bürgerschaftsdebatte kündigten Redner von SPD und Grüne am Mittwochabend (29.3.) sogar an, dass sie nunmehr und zur vollständigen Aufklärung der Affäre einen zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) beantragen werden. Im Fokus ihrer Kritik steht nun die Sozialsenatorin und zweite Bürgermeisterin der Stadt, Birgit Schnieber-Jastram (CDU), deren sofortigen Rücktritt SPD-Landeschef Mathias Peters vor der Bürgerschaft forderte. Vorwürfe werden unterdessen aber auch gegen Carsten-Ludwig Lüdemann (CDU) laut, den das Parlament gerade zuvor und in geheimer Abstimmung als neuen Justizsenator bestätigt hatte. So äußerten verschiedene Redner ihre Vermutung, dass auch Lüdemann in die Affäre verwickelt sei, weil er zuvor Kusch als Staatsrat gedient habe.

Wie nervös und angeschlagen auch Bürgermeister Ole von Beust (CDU) in dieser Situation ist, hatte bereits zuvor das Abstimmungsprocedere zur Bestätigung von Lüdemann gezeigt. Auf einer Sondersitzung der CDU-Fraktion hatte von Beust sogar mit seinem Rücktritt gedroht, würde sein Wunschkandidat nicht schon im ersten oder zweiten Wahlgang der Bürgerschaft eine klare Mehrheit erhalten. Er sei nicht Heide Simonis, hatte der Bürgermeister dann noch warnend hinzugefügt. Trotzdem verweigerte einer der CDU-Abgeordneten in der geheimen Abstimmung dem Bürgermeister die Gefolgschaft, so dass Lüdemann nur mit knapper Mehrheit bestätigt werden konnte. Die Forderung aber von Petersen, dass nun Schnieber-Jastram zu entlassen sei, kam schon wenige Minuten später.

Auch in ihrer Behörde waren geheime Protokollunterlagen aus dem Untersuchungsausschuss zum geschlossenen Kinder- und Jugendheim in der Feuerbergstraße aufgetaucht. Die Senatorin hatte erklärt, dass sie davon nichts gewusst habe. Doch dann hatten sich und kurz vor Bürgerschaftssitzung die Hinweise verdichtet, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Journalisten hatten recherchiert, dass Schnieber-Jastram bereits im letzten Jahr und während eines Interviews indirekt auf die geheimen Papiere in ihrer Behörde zu sprechen kam. Als eine ungeheuerliche Anschuldigung, die nicht der Wahrheit entspreche, wies dies von Beust im Parlament zurück, bevor er dann seinerseits und ungewöhnlich scharf zu einem Gegenangriff überging und schließlich SPD-Parlamentarier dafür attackierte, wohl ihrerseits vertrauliches Material aus dem PUA weitergegeben zu haben.

Doch davon unbelastet zeigte sich SPD-Rechtsexperte Andreas Dressel, der nun seinerseits Carsten Lüdemann unter die Lupe nahm und erklärte, dass dessen Rolle als ehemaliger Staatssekretär von Kusch und im Rahmen der Protokollaffäre noch gar nicht aufgeklärt sei. Das sah auch die grüne Fraktionschefin Christa Götsch so, die ihrerseits den Bürgermeister aufforderte, den Bericht des Sonderermittlers zur Affäre, den die Senatskanzlei unter Verschluss hält, auch den Fraktionen der Bürgerschaft zugänglich zu machen.
Mit dem neuen PUA wird sich die Hamburger Bürgerschaft nun noch Monate mit der Protokollaffäre beschäftigen. Stellt sich dabei aber raus, dass an den Vorwürfen der Opposition gegenüber Schnieber-Jastram oder Lüdemann auch nur das Geringste dran ist, könnte sich die gegenwärtige Krise schnell zur Krise des gesamten Senats und auch der CDU-Bürgerschaftstraktion ausweiten, die dann auch auseinander gerissen werden könnte. Parlamentsbeobachter halten dann auch Neuwahlen für nicht mehr ausgeschlossen.

Seite 15/16: http://85.183.64.11/archiv/Lokal/Hamburg/2006/07hh.pdf