30. April 2008
Als neuer und alternativer Stadtführer für Hamburg hat sich im April 2008 das Projekt Hamburg News gegründet. Ziel der Gruppe ist es, ohne Schwarz-Weiß-Malerei die verschiedenen Stadtteile Hamburgs auch aus der Sicht der Arbeiterbewegung, der Lohnabhängigen, der Erwerbslosen, der so genannten einfachen Frauen und Männer, also »een lütt beten anners« darstellen; dort auf Wissenswertes aufmerksam zu machen. Für Einheimische, wie für Hamburg-Besucher. Kaum gestartet offeriert die Gruppe für den Monat Mai bereits eine Vielzahl von Veranstaltungen:
Das Reiherstieg-Viertel Geschichte, Gegenwart und Zukunft (Spaziergang)
Geprägt vom Aufschwung des Hafens, entstand das Viertel Ende des 19. Jahrhunderts als typisches Arbeiterwohngebiet in Wilhelmsburg. Ebenfalls mit dem Hafen hatte es allerdings zu tun, dass der Stadtteil Ende der 70iger und in den 80iger Jahren dann weitgehend verkam. Die Politik antwortet darauf heute mit einem Aufwertungsprozess. 2013 werden in Wilhelmsburg die Internationale Bau- und die Internationale Gartenbausstellung stattfinden. Für die Aufwertung sollen vorhandene Potentiale, wie etwa die städtebaulich reizvolle Altbausubstanz im Reiherstieg-Viertel genutzt werden. Doch was passiert, mit den jetzt hier lebenden Menschen, wenn durch Neuzuzüge dann die Mieten steigen?
Das optisch reizvolle Viertel ist schon heute geprägt durch unterschiedliche Kulturen. Das Straßenleben ist hier besonders lebendig und interessant. Doch ebenso ist auch die große Armut eines Teils der Bevölkerung kaum zu übersehen. Welche Chancen und welche Risiken liegen deshalb im Sprung über die Elbe?
In unmittelbarer Nähe des Hafens, entwickelte sich das Reiherstieg-Viertel schon frühzeitig zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung. Am Vogelhüttendeich etwa sprach Rosa Luxemburg schon 1905. In der Weimarer Republik galt die Gegend um die Ernastraße als tiefrot. Wie funktionierte und wie tickte diese proletarische Massenbewegung? Überall finden wir während unseres Rundgangs Spuren dieser interessanten Geschichte.
Beginn: Samstag, 17. Mai 11 Uhr am S-Bahnhof Veddel. Unser Rundgang einzelne Strecken werden mit dem Metrobus zurückgelegt dauert etwa 2 bis 2 ½ Stunden.
Barmbek und Dulsberg zum Reinschnuppern
Vielen Hamburgern, erst recht Auswärtigen, sind beide Stadtteile weitgehend unbekannt. Interessantes ist häufig in Vergessenheit geraten. Dies soll mit unserem Rundgang ein klein wenig wieder wettgemacht werden. Hauptsächlich umtreibt uns dabei die Frage, wie sich die sozialen, die politischen, die baulichen Verhältnisse entwickelt haben. Fast im Vorbeigehen streifen wir das Museum der Arbeit und somit ein Stück Hamburger Industriegeschichte. Ebenfalls die zahlreichen Vergnügungsmöglichkeiten, die es in Barmbek traditionell gibt.
Wer war der Lord von Barmbek? Was hat auf sich mit dem Roten Platz? Welche Bedeutung hatte die Bürgerburg? Während unseres Rundgangs werden Episoden der Geschichte lebendig. Auch solche aus dem Roman Neger, Neger Schornsteinfeger.
In Richtung Dulsberg rücken dann die städte- und wohnungsbaulichen Fragen in den Vordergrund. Der Baustil ist bis heute von den Bauten Fritz Schumachers in der 20er Jahren vielfach geprägt. Und wenn dann die Zeit noch ist, soll auch das Gelände der Schiffbauversuchsanstalt begangen werden.
Beginn: Freitag, 23. Mai 2008, 14 Uhr am S-Bahnhof Rübenkamp. Unser drei bis dreieinhalbstündige Rundgang ist als eine erste und lockere Kenntnisnahme verborgener Schätze gedacht.
Abendspaziergang durch die Altonaer Altstadt
Wenn von Altona die Rede ist, wird meist an Ottensen, bei einigen vielleicht auch an Blankenese gedacht. Wir aber wollen mit unserem politisch-historischen Abendspaziergang die Altonaer Altstadt und damit eines der ältesten Arbeiterwohngebiete Hamburgs begehen.
Hamburgs? Dass Altona noch bis 1938 eine selbständige und aufstrebende Großstadt war, ist den meisten wohl bekannt. Doch wusstet ihr, dass die Stadt fast 200 Jahre zum Staatsgebiet von Dänemark gehörte? Dass sie nach Kopenhagen zeitweilig sogar die zweitgrößte Stadt auf dänischem Staatsgebiet war? Wie wirkte sich das, wie wirkt sich das bis heute, auf die Beziehungen ins Hamburger Rathaus aus?
Reichhaltiges gibt es an verschiedenen Punkten aus der Geschichte der Altonaer Arbeiterbewegung zu erzählen. Gleich zu Beginn unseres Rundgangs stoßen wir auf den Walter Möller Park. Er erinnert an den Altonaer Blutsonntag von 1932, an den Widerstand der Arbeiterschaft gegen die Nazis. Doch ebenso an den so genannten Preußenschlag durch Reichskanzler Hugo von Papen. Dann geht es zum Platz der Republik. 1918 bildeten sich hier die ersten Arbeiter- und Soldatenräte, war der Platz ein Zentrum der Revolution. Was sagt uns der Stuhlmannbrunnen, was die Black Box?
Kurz danach stehen wir am Altonaer Balkon. Wir sehen den Hafen, hören das schrille Pfeifen der Van Carriers. Schlagartig werden auch Probleme der Hafenentwicklung deutlich. Dies alles und vieles mehr wollen wir in einer der ältesten Hafenkneipen Altonas bei leckeren Matjes und einem kühlen Pils gut verdauen.
Beginn: Freitag, 30. Mai 2008, 19:30 Uhr am S-Bahnhof Holstenstraße. Unser Rundgang inklusive des Kneipenaufenthalts dauert etwa 3 bis 3½ Stunden.
Wilhelmsburg erleben Große Fahrradtour quer über die Elbinsel
Wilhelmsburg ist Hamburgs größter Stadtteil. Jahrzehntelang eher vernachlässigt, rückt die große Insel im Fluss nun ins Interesse der Hamburger: Wegen ihrer landschaftlichen Schönheit, ihrer Industrieromantik, aber auch als Wohnort und für Großvorhaben. Doch die Internationale Bauausstellung (IBA) verspricht den Bewohnern nicht nur Positives. Was läuft da quer? Wo liegen die Chancen?
Im Westen von Wilhelmsburg sehen wir den alten Luftschutzbunker. Er erinnert an den Krieg und die Nazis. Doch nur wenige Schritte entfernt stoßen wir auf Spuren des Widerstands, hören wir von den Aktionen des Studenten Hans Leipelt und des Arbeitersportlers Rudolf Mokry.
Wilhelmsburg ist vielfältig und bunt. Fast unberührt wirkende Naturparadiese, wie etwa die der Dove Elbe oder den Tide-Auenwald, können wir vom Fahrradsattel besonders gut erleben. Im Auenwald lockt uns ein wahres Meer von Gräsern, Bäumen und Ästen. Im Mai landschaftlich besonders schön ist auch die Bunthäuser Spitze und unsere Tour über den Jenerseite- und den Einlagedeich.
Beginn: Samstag, 31. Mai 2008 um 11 Uhr an der Einfahrt zum Alten Elbtunnel in St. Pauli. Inklusive der verschiedener Stopps dauert die Tour etwa 4 Stunden.
Anmeldung und Kostenbeteiligung:
Pro Veranstaltung und Person erheben wir eine Kostenbeteiligung zwischen 7 und 8 Euro. Ermäßigt 5 Euro. Die Gebühr wird bei Veranstaltungsbeginn erhoben.
Für alle Veranstaltungen bitten wir um eine rechtzeitige Anmeldung, so dass wir unsererseits kalkulieren können, ob es wirtschaftlich vertretbar ist, sie durchzuführen. Wir informieren euch dann über die Einzelheiten.
Anmelden könnt ihr Euch entweder über das Anmeldeformular auf unserer Web-Seite oder aber telefonisch bzw. mit einer einfachen Rückmail. Wir bestätigen euch dann die genaueren Daten der jeweiligen Veranstaltung.
Kontaktdaten:
0176-54730581
http://hamburg-news.org
hamburg-news@alice-dsl.net
Wer und was ist Hamburg News?
Die Gruppe besteht aus verschiedenen Referentinnen und Referenten, die sich in unterschiedlichen Projekten der Erwachsenenbildung kennen gelernt haben. Dort bieten sie einige der Veranstaltungen bereits seit Jahren an. Die Idee diese auch für weitere Personen zu öffnen, entstand dann Anfang 2007, denn die Rundgänge und Führungen machen den Beteiligten sehr viel Spaß. Kaum auf Sendung gibt es nun zudem Anfragen von Personen, die für ihren Stadtteil Vergleichbares anbieten möchten. Ab Mitte Mai soll es außerdem eine große Stadtrundfahrt und eine alternative Hafenrundfahrt regelmäßig geben. Letztere dann in Kooperation mit Hafenbetriebsräten. Nähere Infos findet man auf der Web-Seite von Hamburg News.
05. April 2008
Auch die tibetische Opposition muß sich Fragen nach Menschenrechtsverletzungen gefallen lassen. Ein Gespräch mit Christiane Schneider
Christiane Schneider ist Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft
Der Forderung der Grünen, sich mit Tibet und dem Dalai Lama solidarisch zu erklären, haben Sie am Mittwoch in der Bürgerschaft widersprochen. In den Medien werden Sie dafür nun als jemand gegeißelt, der in »kalter kommunistischer Kadersprache« Menschenrechtsverletzungen billige. Was haben Sie tatsächlich gesagt?
Daß ich Schwarz-Weiß-Zeichnungen der schrecklichen Ereignisse und die darauf beruhende Voraussetzungslosigkeit, mit der die Grünen-Fraktion »Solidarität mit Tibet« forderte, ablehne. Die Forderung, Menschenrechte einzuhalten, richtet sich selbstverständlich in erster Linie an den Staat. Doch im weiteren gilt das auch für die Opposition. Fakt ist, daß es Augenzeugenberichte und Nachrichten gibt, wonach es bei den Protesten zu pogromartigen Ausschreitungen gegen chinesische Bewohner Tibets kam. Da wurden Geschäfte geplündert, Menschen zusammengeschlagen, nur weil sie Han-Chinesen sind, Häuser mitsamt ihrer Bewohner in Brand gesetzt. Deshalb muß sich auch die tibetische Oppositionsbewegung die Frage gefallen lassen, wie sie denn Menschenrechtsverletzungen künftig ausschließen will.
In den Medien wird behauptet, Sie würden den Dalai Lama auf eine Stufe mit dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini stellen.
Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich habe lediglich ausgeführt, daß es mit Religionsführern, die sich als Repräsentanten gesellschaftlicher Opposition in politische Prozesse einmischen, weltweit keine guten Erfahrungen gibt. Nur in diesem Zusammenhang habe ich den Namen von Khomeini erwähnt. Es ging mir um dieses grundsätzliche Problem, nicht um einen Vergleich oder die Gleichsetzung der Personen.
Warum lehnen Sie die Vermischung von Religion und Politik so grundsätzlich ab?
Jede Religion erfordert ein Bekenntnis. Ein Staat, der auf der Grundlage von Bekenntnissen aufgebaut ist, versperrt sich demokratischen Willensbildungsprozessen, weil keine Meinungsfreiheit herrscht, sondern ein Bekenntnis gefordert wird. Daß sich Politik vom Zwang zum Bekenntnis lösen muß, ist ja historisch wie auch analytisch eine Grundlage der Menschenrechte. Denn die beinhalten die Freiheit zum Bekenntnis ebenso wie die Freiheit vom Bekenntnis. Die Haltung des Dalai Lama hierzu ist völllig unklar. Auch die sozialistische Bewegung hat damit schlechte Erfahrungen gemacht. [Daraus muss in China die Konsequenz gezogen werden muss, dass auf der Grundlage von Meinungsfreiheit ein toleranter Meinungsaustausch stattfinden muss.]
Gegängelt fühlen sich viele Tibeter heute aber nicht vom Dalai Lama, sondern von der chinesischen Regierung.
Daß es im Tibet Unterdrückung, kulturelle Diskriminierung und eine Benachteiligung von Tibetern auf vielen Gebieten gibt, kann nicht bestritten werden. Ebensowenig wie die Tatsache, daß die Politik der Modernisierung nicht nur, aber eben auch in der autonomen Region Tibet zu erheblichen Verwerfungen, zu einem Anstieg der Armut, zum Ausschluß von Entwicklung für viele Menschen führt. Der Forderung, solche Menschenrechtsverletzungen einzustellen, schließen wir uns uneingeschränkt an.
Obwohl Tibet seit 1253 zu China gehört, wird in der deutschen Öffentlichkeit immer so getan, als sei früher ein unabhängiger Staat gewesen. Diese Unabhängigkeit sei nun wieder herzustellen. Wie sehen Sie das?
Die Volksrepublik China hat sich aus kolonialer Abhängigkeit durch einen langen Krieg befreien müssen. Die nationale Unabhängigkeit und die damit verbundene staatliche Einheit gehören zum Grundkonsens der Volksrepublik. Dessen Erschütterung hätte unabsehbare Konsequenzen. Nicht nur für China, sondern für die gesamte Region. Es ginge nicht ohne Gewalt und wäre ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.
Bis zum Abtritt des Dalai Lama waren fast 90 Prozent aller Tibeter Leibeigene oder Sklaven. Angenommen, der tibetische Buddhismus käme erneut an die Macht. Was hieße das für Tibet?
Das vermag ich nicht zu beurteilen. Gerechtfertigt ist aber die Forderung, daß auch die tibetischen Religionsführer und die Oppositionsbewegung die Frage beantworten müssen, welchen Kurs sie denn bei der Modernisierung, gegen Armut und für die Verwirklichung sozialer und politischer Menschenrechte steuern würden.
Anmerkungen:
In der Veröffentlichung für die Tageszeitung Junge Welt wurde der Satz von Christiane Schneider leider weggekürzt, dass daraus (aus der Vermischung von Politik und Bekenntnis] für ganz China der Schluss gezogen werden müsse, die gesamte Gesellschaft auf der Grundlage von Meinungsfreiheit und eines toleranter Meinungsaustausches zu entwickeln. Der Satz ist oben in einer Klammer []hinzugefügt.
Passend zum Thema lesen Sie bitte auch die Abschrift aus einem Buch von Alan Winnington zur Herrschaft des Dalai Lama im Tiber: Freiheit für Leibeigene.
Verwendung: Junge Welt vom 05. April 2008
Zur Geschichte des Dalai Lama: Das Adelsregime in Tibet sah bis Ende der 50er Jahre für Untergebene Rechtlosigkeit und grausame Strafen vor
Aber während die Einwohnerzahlen und die Produktion zurückgingen, stiegen die Ansprüche des Adels. Mit den ausländischen Einflüssen kam das Verlangen nach Industriewaren, ausländischen Weinen und den verschiedensten Luxusartikeln, aber sie brachten keine Veränderung im System der Produktion und der Verteilung, die allgemeinen Wohlstand vergrößert hätte. Aussaugen und immer noch mehr aussaugen das war die einzige Antwort dieser in der Vergangenheit verankerten Gesellschaft.
Man kann sich keine Vorstellung vom tibetischen Feudalismus machen, wenn nicht wenigstens kurz auf die Methode des Auspeitschens eingegangen wird. Es ist oft darüber geschrieben worden, daß Menschen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wurde, daß man ihnen die Augen ausdrückte, sie verstümmelte und die Sehnen durchschnitt. Das hat es in Tibet wirklich gegeben als Strafmaßnahme und Mittel zur Befriedigung sadistischer Gelüste des Adels. Das Auspeitschen aber war bis zum Ausbruch des Aufstandes (1959 d. Red.) ein anerkanntes Recht. Es erfolgte in den Kerkern der Gutsherren und der Klöster, und es gibt nur wenige Leibeigene, die nicht Spuren schwerer Prügelstrafen vorzeigen können. Geschlagen wurde mit der geflochtenen Reitpeitsche, die, wie mir der Lhasaer Mebon 1955 erzählte, einen Menschen schwer, ja tödlich verletzen konnte. In dem Bewußtsein, daß Zahlungsversäumnis unter Umständen 200 oder 300 Peitschenhiebe bedeutete, war ein Leibeigener zu allem bereit, wenn er nur seinen Verpflichtungen nachkommen konnte. Im übrigen wußte der Verwalter es bei ein bißchen Bestechung schon so einzurichten, daß die Hiebe gerade noch erträglich und nicht allzu folgenschwer waren andernfalls konnte es leicht geschehen, daß die Peitsche statt des Gesäßes die Sehnen der Oberschenkel und der Kniekehlen traf und das Opfer verstümmelte. In jedem Gutshaus fanden sich schwere geflochtene Reitpeitschen und auch ein oder zwei menschliche Unterarme und andere grausige Reliquien. So sah ich in Loka die mumifizierte Leiche eines jungen Mädchens, das von seinem adligen Herrn vergewaltigt und ermordet und dann als Andenken aufbewahrt worden war. Auf einem der Güter Khemeneys entdeckte ich eine versilberte Schale, die aus einer menschlichen Schädeldecke hergestellt und noch zur Hälfte mit verschimmeltem Gerstenbrei und Buttertee gefüllt war. Die unglücklichen tibetischen Leibeigenen lebten in ständiger Furcht vor den »anderen«, wie sie die Adligen nannten.
Wußte man im Ausland schon nicht viel von der Lage der Leibeigenen in der tibetischen Landwirtschaft, so war noch weniger über jenes Fünftel des tibetischen Volkes bekannt, das in den hohen Weidegebieten oberhalb von Lhasa und Schigatse mit Hüten von Jaks und Schafen sein Dasein fristete. Vor noch nicht allzu vielen Jahrhunderten müssen diese Hirten freie Nomadenstämme gebildet haben. Von deren Stammesdemokratie haben sich jedenfalls noch Überreste erhalten. Alles spricht dafür, daß sich der Adel durch die verschiedensten Mittel nach und nach einen immer größeren Teil der Erzeugnisse und des Jungviehs aneignete und Eigentümer aller Weiderechte wurde. (…)
Die Kernfrage, die die chinesische Revolution im tibetischen Teil Chinas aufwarf, lautete: Freiheit des Besitzes von Leibeigenen oder Freiheit für die Leibeigenen? Das von Vertretern der Dalai-Lama-Gruppe in Peking unterzeichnete Abkommen sah vor, daß die Zentralregierung in dem ihr unterstehenden Gebiet das bestehende politische System nicht ändern würde; der Kaschag (die Exekutive des Dalai Lama d. Red.) sollte jedoch freiwillig in geeigneter Weise Reformen durchführen. 1956 erklärte die chinesische Regierung, daß die Diskussion über die Reformen bis 1962 aufgeschoben werden könnte. Inzwischen wandte sie große Mittel auf, um Hilfsmaßnahmen durchzuführen und den Handel zu entwickeln; dabei muß es dem Adel wohl klargeworden sein, daß er immer geringere Aussicht hat, seine Leibeigenen für Aktionen zur Aufrechterhaltung des Status quo zu mobilisieren, wenn er den Dingen ihren Lauf ließe.
Auszug aus: Alan Winnington: Tibet. Ein Reisebericht. Berlin 1960, Seite 1013
Quelle: Junge Welt vom 05. April 2008
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03. Dezember 2007
In Italien verurteilte NS-Verbrecher leben unbehelligt in Deutschland
Mit einem Aktionstag unter dem Motto »Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen« haben Antifa-Initiativen am Samstag auf das Unrecht verwiesen, daß in Italien zu lebenslanger Haft verurteilte Kriegsverbrecher sowohl in Deutschland als auch in Österreich auf freiem Fuß leben. In zwölf Städten zogen die Antifaschisten vor die Wohnhäuser der ehemaligen SS- und Wehrmachtsoffiziere. Sie waren von italienischen Gerichten zwischen 2005 und 2007 zu lebenslanger Haft und zu hohen Entschädigungsleistungen verurteilt worden, weil sie im Jahre 1944 an Massakern in Marzabotto, SantAnna di Stazzema oder Civitella beteiligt waren. Die deutschen und österreichischen Justizbehörden weigern sich jedoch, die Mörder auszuliefern oder die Urteile zu vollstrecken.
Die Massaker gehören zu den brutalsten Kriegsverbrechen des II. Weltkriegs in Italien. Mehr als 800 Menschen, darunter 216 Kinder, starben allein als zwischen dem 29. September und dem 2. Oktober 1944, als gemischte Einheiten der SS und der Wehrmacht in das Bergdorf Marzabotto und in die umliegenden Gemeinden der Emilia Romagna eindrangen. Als Vergeltung für Partisanenaktionen wurden die Bewohner erschlagen und erschossen. Schon im Sommer 1944 traf es die Bewohner von Sant Anna di Stazzema. Hier wurden 560 Dorfbewohner auf brutalste Weise ermordet. 207 Zivilisten starben in Civitella in Val di Chiana.
Doch nach dem Krieg gelang es vielen der daran beteiligten Kriegsverbrecher unterzutauchen oder ihre Taten zu verwischen. Ermittlungsakten der Alliierten wurden zudem von den italienischen Behörden jahrelang verschlossen. Im beginnenden kalten Krieg wollte es es sich die italienische Regierung mit ihrem neuen Verbündeten nicht verderben. Die rund 700 Aktenbündel kamen so erst Mitte der 90er Jahre wieder ans Licht. Erst jetzt wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen. Doch die Verurteilung der Kriegsverbrecher blieb in Deutschland ohne Folgen. Nach BRD-Recht dürfen deutsche Staatsbürger nicht ausgeliefert werden und die dann begonnenen Ermittlungen der hiesigen Staatsanwälte, werden verschleppt. Die alten Herren seien zum Teil nicht mehr verhandlungsfähig, ein niedriger Beweggrund und eine besondere Schwere der Kriegstaten zudem kaum nachzuweisen, hieß es bei den zuständigen Staatsanwälten in Stuttgart.
Die Aktionen sollten zu einer »stärkeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung« und dazu beitragen, daß die Täter endlich zur Verantwortung gezogen werden, sagte der Sprecher der Antifa-Initiativen, Ralph Klein, zu junge Welt. Zugleich sollten aber auch die Bürger darüber aufgeklärt werden, daß in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Mörder lebt. So war es Samstag früh in Berlin, als etwa 40 Nazigegnern zur Wohnung des Kriegsverbrechers Max Schneider in der Rheinberger Straße 22 zogen. In Hopfgarten (Tirol) gelang es den Nazigegnern sogar, den ehemaligen SS-Offizier Hubert Bichler direkt zu stellen. Reue zeigte er nicht. In Hamburg zogen rund 50 Antifaschisten vor die noble Wohnresidenz in der Lerchenstraße Nummer 4 des ehemaligen SS-Untersturmführers Gerhard Sommer. Sommer hatte in Sant Anna di Stazzema den Schießbefehl gegeben. Schuldig fühlt er sich trotzdem nicht. Genauso wenig, wie Max Josef Milde aus Bremen. Vor dem Haus des ehemaligen Unteroffiziers aus der Devision Hermann Göring versammelten sich am Samstag rund 100 Menschen. Aktionen fanden auch im nordrhein-westfälischen Greven, in Duisburg, in Saarbrücken, in Ottobrunn und Eurasburg (Bayern)sowie im sächsischen Freiberg statt.
Dies sind einige der Kriegsverbrecher, die in Deutschland auf freiem Fuß leben: Paul Albers (Saarbrücken), Josef Baumann (Grafenwiesen), Max Roithmeier (Eurasburg), Adolf Schneider (Nürnberg), Max Schneider (Berlin), Kurt Spieler (Wurzen), Heinz Fritz Träger (Duisburg), Georg Wache (Düsseldorf), Helmut Wulf (Darmstadt), Werner Bruss (Reinbek), Alfred Mathias Concinca (Freiberg), Ludwig Göring (Karlsbad, Baden-Württemberg), Karl Gropler (Wollin), Georg Rauch (Lörrach), Horst Richter (Krefeld), Heinrich Schendel (Lißberg/Ortenberg), Gerhard Sommer (Hamburg), Josef Scheungraber (Ottobrunn), Herbert Stommel (Wohnort unbekannt), Heinrich Nordheim (Greven), Max Milde (Bremen).
Ausführliche Informationen zu diesen Aktionen finden Sie in meinem Beitrag Erste Berichte vom Aktionstag gegen Kriegsverbrecher in Deutschland. Eine Übersicht, über welche Kriegsverbrecher es sich dabei handelt und wo diese wohnen, habe ich in meinem Beitrag In Deutschland lebende Kriegsverbrecher gegeben.
Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 3. Dezember 2007
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01. Dezember 2007
Zu dem heute stattgefundenen Aktionstag gegen Kriegsverbrecher – vergleiche Aktionstag gegen Kriegsverbrecher und in Deutschland lebende Kriegsverbrecher gibt es erste Berichte aus verschiedenen Städten. Die nachfolgenden Berichte stammen aus Saarbrücken, Bremen, Hamburg, Hopfgarten (Tirol/Österreich), Eurasburg, Ottobrunn, Berlin, Greven, Nürnberg, Grafenwiesen, Duisburg, Freiberg und Wurzen. Sie wurden mir durch die Antifa-Initiativen zugestellt und werden hier unverändert dokumentiert:
Saarbrücken
Am 1. Dezember fand in Saarbrücken im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages gegen NS-Kriegsverbrecher eine Kundgebung auf dem Rathausplatz statt. Rund 50 Menschen aus allen Altersspektren waren zusammengekommen um auf den in Saarbrücken lebenden und in Italien wegen des Massakers in der der Stadt Marzabotto verurteilten NS-Kriegsverbrecher Paul Albers aufmerksam zu machen. Bereits am Vormittag verteilten 25 AktivistInnen zahlreiche Flugblätter in der direkten Nachbarschaft von Paul Albers und sangen italienische Partisanenlieder wie Bella ciao und Bandiera rossa vor dessen Wohnhaus und es kam zu Gesprächen mit interessierten Nachbarn.
(mehr …)
01. Dezember 2007
Heute, am Samstag dem 1. Dezember 2007, findet in 11 Städten Deutschlands (und zusätzlich in Tirol) ein antifaschistischer Aktionstag gegen in Deutschland (und Österreich) noch lebende Kriegsverbrecher statt. Näheres dazu unter Aktionstag gegen Kriegsverbrecher.
Wie dringlich diese Aktion ist, wird an der folgenden Übersicht deutlich:
Von italienischen Gerichten zu lebenslanger Haft verurteilte und in Deutschland auf freiem Fuß lebende Kriegsverbrecher:
Verurteilt Anfang 2007 wegen der Beteiligung an den Massakern in und um Marzabotto vom Militärgericht in La Spezia:
[Bei diesen Massakern zwischen dem 29. September und dem 1. Oktober 1944 wurden allein in Marzabotto 770 Zivilpersonen auf brutale und sadistische Weise ermordet. Hunderte Weitere in umliegenden Dörfern und Gemeinden. Darunter auch 200 Kinder.]
- Albers, Paul (SS-Hauptstabsoffizier), wohnhaft in Saarbrücken (Saarland)
- Baumann, Josef (SS-Kompaniechef), wohnhaft in Grafenwiesen (Bayern)
- Roithmeier, Max (SS-Oberscharführer), wohnhaft in Eurasburg (Bayern)
- Schneider, Adolf (Stabsfeldwebel), wohnhaft in Nürnberg (Bayern)
- Schneider, Max (Unteroffizier), wohnhaft in Berlin (Berlin)
- Spieler, Kurt (SS-Schütze), wohnhaft in Wurzen (Sachsen)
- Träger, Heinz Fritz (Heinrich) (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Duisburg-Rheinhausen (NRW)
- Wache, Georg (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Düsseldorf (NRW)
- Wulf, Helmut (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Darmstadt (Hessen)
- In Österreich (Hall in Tirol) lebt zudem der ehemalige SS-Kommandant und Oberscharführer Hubert Bichler. Er wurde ebenfalls wegen der Massaker in und um Marzabotto zu lebenslanger Haft verurteilt.
Verurteilt im Juni 2005 wegen der Beteiligung am Massaker in St. Anna di Stazzema vom Militärgericht in La Spezia:
[Bei diesem Massaker, ausgeführt von der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ im August 1944, wurden etwa 560 Dorfbewohner brutal gequält und dann ermordet.]
- Bruss, Werner (SS-Unteroffizier), wohnhaft in Reinbek bei Hamburg (Schleswig-Holstein)
- Concinca, Alfred Mathias (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Freiberg (Sachsen)
- Göring, Ludwig (SS-Rottenführer), wohnhaft in Karlsbad (Baden-Württemberg)
- Gropler, Karl (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Wollin (Brandenburg)
- Rauch, Georg , (Unterleutnant), wohnhaft in Rümmingen bei Lörrach (Baden-Württemberg)
- Richter, Horst, (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Krefeld (NRW)
- Schendel, Heinrich, (Unteroffizier), wohnhaft in Lißberg / Ortenberg (Hessen)
- Sommer, Gerhard (Untersturmführer), wohnhaft in Hamburg-Volksdorf (Hamburg)
- Schöneberg, Alfred, (SS-Unterscharführer), wohnte bei Urteilsverkündung in Düsseldorf (NRW), ist aber inzwischen verstorben.
- Sonntag, Ludwig Heinrich, (Unterscharführer), wohnte bei Urteilsverkündung in Dortmund (NRW), ist aber inzwischen verstorben.
Verurteilt im September 2006 wegen der Beteiligung am Massaker in Falzano di Cortona vom italienische Militärgericht in La Spezia:
[Unter der Leitung von Josef Scheungaber wurde dieses Massaker im Juni 1944 als „Vergeltungsmaßnahme“ von der SS durchgeführt. 15 Zivilisten wurden in ein Bauernhaus gesperrt, das dann gesprengt wurde.]
- Scheungraber, Josef (Unteroffizier), wohnhaft in Ottobrunn (Bayern)
- Stommel, Herbert (Major), Wohnort unbekannt
Verurteilt im November 2006 wegen der Ermordung von insgesamt 10 Geiseln in den Dörfern Branzolino und San Tome (bei Forli) im August und September 1944 vom italienische Militärgericht in La Spezia:
- Nordheim, Heinrich (Leutnant), wohnhaft in Greven (NRW)
Verurteilt im Oktober 2006 wegen der Beteiligung am Massaker im italienische Dorf Civitella vom italienischen Militärgericht in La Spezia:
[Bei diesem Massaker wurden 207 Zivilisten in dem italienischen Dorf Civitella in Val di Chiana am 29. Juni 1944 im Rahmen einer so genannten ?Vergeltungsaktion“ ermordet. Unter ihnen viele Kinder.]
- Milde, Max (Unteroffizier), wohnhaft in Bremen / Steintorviertel
Bisher nicht verurteilt wurden Beteiligte des Massakers in Cefalonia. In Italien fand dazu bisher kein Verfahren statt. In Bayern wurde es schon nach kurzer Zeit niedergeschlagen:
[Bei diesem Massaker wurden am 24. September 1943 in Cefalonia das Kommando gegeben den italienischen General Antonio Gandin, zwölf seiner Offiziere und eine nicht genau bekannte Anzahl bereits entwaffneter italienischer Soldaten zu erschießen.]
- Mühlhauser, Othmar (SS-Kommandeur), wohnhaft in Dillingen an der Donau (Bayern)
Zusammenstellung: Andreas Grünwald (nach unterschiedlichen Quellen)
Verwendung: 0815-info vom 1. Dezember 2007
Verwendung ebenfalls bei: Kaffeesatz.blog.de vom 3. Dezember 2007
Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 3. Dezember 2007
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30. Juli 2007
Bei der Gewerkschaft GEW heißt das Gebäude in der Hamburger Rothenbaumchaussee ganz kurz »Ro 19«. Gegenwärtig residiert in dem schönen Altbau das Institut für internationale Politik der Uni Hamburg. Doch die Immobilie sorgt seit längerem für nicht nur innergewerkschaftlichen Streit.
In Hamburg streitet die GEW über ein 1935 aus jüdischem Besitz erworbenes Haus
In der Hamburger GEW gibt es heftigen Streit: Soll eine Villa, die in der Nazizeit einer jüdischen Erbengemeinschaft weit unter Wert abgekauft wurde, nun als Zeichen der Sühne an die Stadt übertragen werden, damit dort ein Museum zur Geschichte der Juden entsteht? Oder hat die Gewerkschaft das Recht, dieses Haus zu behalten?
Seit die Vertreterversammlung der GEW im April mit knapper Mehrheit beschlossen hat, das 1935 von einer jüdischen Erbengemeinschaft weit unter Wert erworbene Haus zu behalten und gewissermaßen zum Ausgleich jährlich 10 000 Euro in einen Fonds gegen rassistische und fremdenfeindliche Aktivitäten fließen zu lassen, kommt die GEW nicht mehr zur Ruhe. Kritiker sehen in dem Beschluss »winklig-opportunistisches« Verhalten und fordern dessen Revision.
Fast mustergültig und im großen Einvernehmen hatte die Gewerkschaft alle Einzelheiten dieser jahrzehntelang verdrängten Geschichte zuvor aufgearbeitet. Das Problem begann demnach schon 1933, als die GEW-Vorläufer »Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens« im »Nationalsozialistischen Lehrerbund« gleichgeschaltet wurde. Dieser kaufte im April 1935 für 40 000 Reichsmark die im Uni-Viertel gelegene Gründerzeitvilla. Das Haus fiel 1945 an die GEW. Die jüdischen Vorbesitzer hatten Deutschland 1937 verlassen.
Für den Gewerkschafter Bernhard Nette war damit die Sache klar. Ein »arisiertes Gebäude« könne seine Gewerkschaft nicht behalten. Sie würde sonst zum Profiteur des nationalsozialistischen Unrechts werden. Eine eingesetzte Arbeitsgruppe unter seiner Leitung schlug die Umwandlung in ein Museum vor. Bei den Nachfahren der Vorbesitzer (sie leben inzwischen in den USA), in der jüdischen Gemeinde und unter Kulturpolitikern fand das viel Beifall.
Doch die Mehrheit im Vorstand sah es anders. Weil einer der Vorbesitzer noch nach 1935 weitere Immobilien in Deutschland erwarb und keiner der ehemaligen Eigentümer 1945 Restitutionsansprüche stellte, könne von einer typischen Arisierung nicht gesprochen werden. Unklar sei außerdem, ob der Kaufpreis zu niedrig war, denn das Gebäude hätte sich 1935 in einem schlechten Zustand befunden. Unterstützt wurde dies von GEW-Landeschef Klaus Bullan. Er erklärte, dass seine Gewerkschaft auf die Mieteinnahmen aus dem Haus angewiesen sei. Diese liegen bei 150 000 Euro im Jahr. Der Fonds sei ein Kompromiss. Die Vertreterversammlung bestätigte diese Haltung mit 57 zu 50 Stimmen, bei 10 Enthaltungen.
Nun aber ging die Debatte erst richtig los. Selbst Bürgermeister Ole von Beust (CDU) appellierte an die Gewerkschaft, ihre Entscheidung zu überdenken. Es ginge hier nicht um finanzielle oder juristische Fragen, sondern um »moralische und historische Verantwortung« sowie um »menschlichen Anstand«, sagte der Bürgermeister. Noch deutlicher wurde Ralph Giordano. Ihm hatte Bullan das Geld für den Bertini-Preis vorgeschlagen. »Bertini-Preis und Arisierung«, das passe nicht zusammen »kategorisch und unwiderrufbar«. Die 10 000 Euro seien zudem nur ein »Blutgeld« und um sich freizukaufen, schimpfte Giordano. Dass sich ein Teil der GEW auf ein Gutachten des Historikers Jörg Berlin berufen hatte, empörte die jüdische Gemeinde. In dem Papier steht, dass es zum Zeitpunkt des Immobilienverkaufs eine konkrete Bedrohungssituation für die Vorbesitzer nicht gegeben habe. Diese hätten Deutschland nur aus wirtschaftlichen und familiären Gründen verlassen.
Eine solche Sichtweise versperre den Blick auf die »Bedeutung des politischen Systems des deutschen Faschismus für das Handeln der Menschen«, sagt der Gesamtschullehrer Ulrik Ludwig. Er forderte Anfang der Woche »die Revision der Beschlüsse und eine Absage an jeglichen Geschichtsrevisionismus«. Mit der Zielsetzung der Wiedergutmachung soll nun die Debatte, samt einer »Gesamtschau auf das nicht unbeträchtliche GEW-Vermögen«, neu aufgerollt werden. Geschehe dies nicht, verliere die »GEW als Ganzes« ihre Glaubwürdigkeit, sagt auch Benjamin Ortmeyer vom Vorstand der GEW in Frankfurt am Main. Er sammelt nun Unterschriften für einen Offenen Brief an den Hauptvorstand der GEW, damit dieser sich einmische.
Verwendung: Printausgabe Neues Deutschland vom 30. Juli 2007, Seite 3
und Lokalberichte Hamburg vom 2. August 2007, Printausgabe Seite 4.
25. Juli 2007
GEW Hamburg will arisiertes Gebäude nicht für jüdisches Museum zur Verfügung stellen. Spende in Antirassismusfonds. Gespräch mit Ulrik Ludwig
Ulrik Ludwig ist Mitglied des Landesvorstandes der GEW Hamburg
Die Debatte um eine 1935 von einer jüdischen Erbengemeinschaft durch die Vorgängerorganisation der GEW Hamburg erworbene Immobilie (»Ro 19«) hört nicht auf. Auf einer Versammlung wurde es abgelehnt, das Haus für ein jüdisches Museum zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig sollen nun jedes Jahr 10 000 Euro in einen Antirassismusfonds fließen. Sie nennen das »winklig-opportunistisch«. Was meinen Sie damit?
Das Problem beginnt schon 1933, als »Die Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Erziehungswesens« zerschlagen und im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) aufgegangen ist. Dieser kaufte 1935 das Haus weit unter Wert für 40 000 Reichsmark. Also im gleichen Jahr als die Rassengesetze in Kraft traten. Hinzu kommt, daß nach 1945 ehemalige Nazifunktionäre mit einem Gutachten dazu beitrugen, daß die GEW das Haus behalten konnte.
Der nun gefaßte Beschluß erweckt jetzt den Eindruck, die GEW hielte dies für akzeptabel. Gleichzeitig wurden die vorgebrachten politischen und moralischen Bedenken bestätigt, in dem Geld für antirassistische Arbeit bereitgestellt wird. Von den jährlichen Mieteinnahmen von 150000 Euro ist man also bereit 6,5 Prozent abzugeben. Das ist ihnen die Sühne also wert.
Eingewandt wurde, daß einige der Vorbesitzer der »RO 19« nach dem Verkauf weitere Immobilien kauften und nach 1945 keine Restitutionsansprüche stellten. Von einer typischen Arisierung könne daher nicht gesprochen werden.
Solche Verweise blenden die Bedeutung des politischen Systems des deutschen Faschismus für das Handeln der Menschen aus. Nachdem die GEW in vorbildlicher Weise die Hintergründe dieses Immobilienerwerbs aufgearbeitet hat, kann sie nun nicht annehmen, daß ein Beschluß Bestand haben kann, der die Rechtfertigung eines Arisierungsgewinns beinhaltet. Das markiert für viele einen fatalen Paradigmenwechsel.
Was meinen Sie damit?
Antifaschismus, Solidarität mit den Opfern, die kritische Verarbeitung einer verdrängten und verschwiegenen Vergangenheit das waren für die GEW in den letzten Jahrzehnten prägende Inhalte. Sie galten als Voraussetzung zur Erkenntnis der Gegenwart und der Verpflichtung zur Sühne. Anerkannt war, daß bei Käufen zwischen 1933 und 1937 der Käufer den zwangfreien Erwerb nachzuweisen hatte. Jetzt wird diese Beweislast umgekehrt. Es wird verlangt, daß die eingetretene Arisierung lückenlos nachgewiesen werden muß. Wenn also nicht mehr alles daran gesetzt wird, nicht von einer wie auch immer gearteten Arisierung zu profitieren, dann liegt darin ein Paradigmenwechsel. So verlieren wir an Glaubwürdigkeit. Auch im Umgang mit einem nach rechts rückenden Staatsapparat.
Scharfe Kritik gab es von der jüdischen Gemeinde. Der Fonds sei der Versuch, begonnenes Unrecht ins Gegenteil zu verkehren, hieß es in einer Stellungnahme.
Das liegt an diesem widersprüchlichen und verschleiernden Beschluß. Die Marginalisierung der Zeitumstände, die interessengeleitete Befassung mit Biographien, die unausgewiesene Prioritätensetzung der Finanzen, machen die Kritik verständlich. Es wird ja anerkannt, daß es eine moralische Verpflichtung zur Gutmachung gibt. Doch andererseits wird die finanzielle Absicherung der eigener Handlungsfähigkeit bevorzugt.
Ist denn die Situation der GEW so labil, daß sie einen Verzicht nicht verkraften könnte?
Wenn die GEW in finanziellen Schwierigkeiten stecken würde, wäre es dumm, das hier hinauszuposaunen. Doch es ist nicht mal der ernsthafte Versuch unternommen worden, die bisherige Verwendung des nicht unbeträchtlichen Vermögens der Hamburger GEW einer vorbehaltlosen Prüfung zu unterziehen. In der Debatte sind Vorschläge gemacht worden, die aber allesamt auf steinigen Boden fielen. Bezeichnenderweise gibt es kein Vorstandsmitglied, das explizit sagen würde: Wir können uns eine nachträgliche Wiedergutmachung nicht leisten.
Was fordern Sie konkret?
Klare Absagen an alle Argumentationen, die in die Nähe von Verharmlosung des Faschismus und Geschichtsrevisionismus führen, Revision des Beschlusses der Landesvertreterversammlung, Neueröffnung der Debatte um die »Ro 19«. Mit der Zielsetzung der Wiedergutmachung und die Klärung der Finanzierbarkeit durch eine Gesamtschau auf das GEW-Vermögen.
Verwendung: Junge Welt vom 25. Juli 2007und Lokalberichte Hamburg vom 2. August 2007, Printausgabe Seite 4f.
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18. Mai 2007
Neuer Dokumentarfilm über Opfer des SS-Massakers von Distomo: Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Ein Gespräch mit Argyris Sfountouris
Argyris Sfountouris hat als Vierjähriger im Juni 1944 das SS-Massaker im griechischen Distomo überlebt
In Berlin, Hamburg, Hannover und München fanden in dieser Woche Premiereveranstaltungen für den von Stefan Haupt gedrehten Schweizer Dokumentarfilm »Ein Lied für Argyris« statt. Der Film, in dem ihre eigene Lebensgeschichte dokument wird, soll dann noch in 50 weiteren Städten gezeigt werden. Was löst das bei ihnen aus, wenn Sie so immer wieder an das Massaker erinnert werden?
Tiefe Erschütterung, denn dieses Massaker war so schrecklich, daß es mein ganzes Leben geprägt hat. In weniger als zwei Stunden wurden 218 Einwohner unseres Dorfes ermordet. Bestialisch gequält. Die SS-Soldaten waren so verroht, dass sie auch schwangeren Frauen die Bäuche aufschnitten und Kinder mit ihren Stiefeln traktierten, bis sie tot waren.
Der Befehlshaber dieser SS-Einheit, Hauptsturmführer Fritz Lautenbach, behauptete später, es habe aus dem Dorf heraus Partisanenangriffe gegeben.
Das war eine Lüge. Denn tatsächlich war an diesem Tag nicht diese, sondern eine andere Einheit der SS in solche Partisanenkämpfe verwickelt. In Distomo gab es keine Partisanen.
Sind die Täter je zur Rechenschaft gezogen worden?
Alle Untersuchungen in Deutschland verliefen im Sande. Es gab nicht mal Gerichtsverhandlungen.
Sie haben damals Ihre Eltern verloren. Als Sie 1995 beim deutschen Botschafter in Athen nach einer Entschädigung fragten, hieß es, dies sei eine »Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung« gewesen. Eine Entschädigung dafür sei nicht vorgesehen.
Das hat mich wütend gemacht, denn es beruhte auf den Lügen von Lautenbach. Doch schon im Juli 1944 hat es einen Bericht der Geheimen Feldpolizei gegeben, der dies aufdeckte. Lautenbach wurde dann auch strafversetzt. Doch Deutschland tut noch immer so, als sei das nicht bekannt.
Ab 1995 haben Sie dann in Deutschland auf Entschädigung geklagt. Doch Ihre Klagen wurden schließlich sowohl vom Bundesgerichtshof (BGH) als auch vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.
Beim BGH mit der Bemerkung, es könne nicht Unrecht sein, was 1944 Recht gewesen ist. Filbinger mußte dafür gehen, doch in der Rechtssprechung gilt das noch immer.
In Griechenland gab es eine Sammelklage von Einwohnern von Distomo. Was wurde dort entschieden?
Wir erhielten recht, und Deutschland wurde zur Zahlung einer Entschädigungsleistung von 30 Millionen Euro verpflichtet. Doch als die dann bei deutschen Einrichtungen vollstreckt werden sollte, berief sich die Bundesrepublik auf die Staatsimmunität, und die griechische Regierung untersagte die Vollstreckungen.
Gegen die Urteile in Deutschland haben wir inzwischen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Und was das griechische Urteil betrifft, so ist es zwar nun in Griechenland nicht vollstreckbar. Doch dies heißt nicht, daß es nicht in anderen EU-Ländern vollstreckbar wäre. In Italien konnte jetzt eine erste entsprechende Anordnung auf der Basis des griechischen Urteils bereits in zweiter Instanz durchgesetzt werden.
Denken Sie, daß der Film den Druck auf die deutsche Politik erhöhen könnte?
Ich hoffe es, denn in dem Film wird auch gezeigt, wie ich dann in ein Waisenhaus nach Piräus kam. Dort traf ich auf Tausende Kinder, denen es anderenorts ähnlich ergangen war. Das ganze Ausmaß der Verbrechen wird dadurch deutlich.
Sie selber wurden dann 1948 vom Roten Kreuz in ein Schweizer Kinderdorf geschickt. Dort in der Schweiz wurden sie später sehr bekannt, weil sie griechische Poeten ins Deutsche übertrugen. Sie galten als ein Mittler der Kulturen. Doch nach dem Obristenputsch von 1967 wurde sie erneut heimatlos. Auch die Schweiz stellte sich mit ihrem Einbürgerungsantrag schwer.
Die brauchten dafür 52 Monate. Denn wegen meiner Beteiligung an Solidaritätsaktionen gegen die Putschisten, war ich nun auch den Schweizer Behörden nicht mehr geheuer.
Nicht geheuer waren Sie auch den deutschen Politikern, die sich schon 1995 weigerten, an einer von Ihnen organisierten »Tagung für den Frieden« aus Anlaß des 50. Jahrestages des Massakers teilzunehmen.
Im Film wird dazu der deutsche Botschafter in Athen interviewt. Er sagte, man habe nicht auf der Anklagebank sitzen wollen. Wir aber hatten die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Inzwischen ist klar: Sie sind nur deshalb nicht gekommen, weil sie Angst vor Entschädigungsforderungen hatten. Doch wer sich so aus den Konsequenzen der eigenen Geschichte stiehlt, wird aus ihr nichts lernen. Ich hoffe deshalb, daß viele Menschen den Dokumentarfilm sehen.
»Ein Lied für Argyris«, Schweiz 2006, 105 Min. Der Film läuft in Hamburg noch bis Anfang Juni im Zeise-Kino, im Kino 3001 und im Koralle-Kino. In Berlin wird er im Filmtheater Hackesche Höfe, im fsk, im Thalia und im Filmkunst 66 gezeigt. Weitere Infos über den Filmverleih bei www.salzgeber.de
Verwendung (vollständig) bei: 0815-info.de
Verwendung (zum Teil) in: Junge Welt
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07. Mai 2007
Härtefallregelung für Arbeitserlaubnis gilt nicht für alle Nachfahren von Opfern des Faschismus. Ein Gespräch mit Jan Sürig
Jan Sürig ist Rechtsanwalt in Bremen
Sie vertreten Zuwanderer der Sinti und Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, die darauf klagen, als Nachfahren von Opfern des deutschen Faschismus anerkannt zu werden. Warum ist das so wichtig?
Meine Mandanten wollen eine Arbeitserlaubnis ohne Vorrangprüfung erhalten. Mit einer Vorrangprüfung kontrolliert die Bundesagentur für Arbeit, ob ein Beschäftigungsangebot von einem Deutschen oder von Zuwanderern aus der Europäischen Union angenommen werden kann. Erst wenn dies nicht der Fall ist, erhält ein geduldeter Zuwanderer eine Arbeitserlaubnis. In der Dienstanweisung zu dieser Beschäftigungsverfahrensverordnung sind aber auch Härtefälle definiert. Jüdische Zuwanderer erhalten demnach eine solche Arbeitserlaubnis ohne die Vorrangprüfung.
Das ist auch in Ordnung, denn die Bundesrepublik Deutschland ist Rechtsnachfolgerin des »Dritten Reiches«. Wenn sie den Enkeln der NS-Verfolgten nun diese kleine Anerkennung zollt, bekennt sie sich damit zu ihrer historischen Verantwortung. Doch nicht nur die Juden, sondern auch die Sinti und Roma, wurden von den Schergen des NS-Regimes verfolgt. Auch ihre Nachkommen wollen deshalb »in den Genuß« dieser Härtefallregelung kommen. Das ist wichtig, denn in sämtlichen Rechtsverfahren, bei denen es um Aufenthaltserlaubnisse geht, wird den Betroffenen immer wieder vorgehalten, ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Arbeit zu sichern.
Die Dienstanweisung benennt aber ausdrücklich nur die jüdischen Zuwanderer?
Das ist richtig. Doch aus dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes ergibt sich auch, daß niemand nur wegen seiner Herkunft benachteiligt oder diskriminiert werden darf. Eine Ungleichbehandlung ist nur zulässig, wenn es sachliche Gründe gibt. Bezüglich der Verfolgung von Sinti und Roma durch die Nazis ist ein solcher Grund nicht erkennbar. In dem jetzt verhandelten Fall geht es um eine Roma, die 1999 aus dem Kosovo nach Bremen kam. Es ist nicht nachvollziehbar, daß ihr die Ausländerbehörde die Härtefallregelung verweigert.
Mit welcher Begründung wurde der Antrag dann aber abgelehnt?
Mit der Begründung, daß diese Härtefallregelung nur sehr eng auszulegen sei. Sie beziehe sich eben nur auf die Juden, hieß es.
Dagegen haben Sie Widerspruch bei Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) eingelegt. Doch auch der Senator hat Ihrem Antrag schließlich widersprochen. Wie begründete er seine Entscheidung?
Er meint, daß die Bildung einer Analogie zugunsten der Roma »willkürlich und abwegig« gewesen sei. Das finde ich empörend, denn mit dieser Formulierung wird das erlittene Unrecht der Sinti und Roma nachträglich einfach geleugnet. Der Beamte, der das bearbeitet hat, hat bezüglich seiner Wortwahl wohl nicht nachgedacht. Doch passiert so etwas nur dann, wenn einem das Unrecht dieser Verfolgung überhaupt nicht bewußt ist. Als Anwalt erlebe ich häufig, wie geduldete Ausländer durch die Behörden diskriminiert werden. Doch eine solche Formulierung, hätte selbst ich nicht erwartet.
Sehen Sie besondere Gründe, warum die Verfolgung der Sinti und Roma nur am Rande wahrgenommen oder wie jetzt in Bremen sogar geleugnet wird?
Die Roma und Sinti haben keine Lobby. Dazu kommt der insgesamt unsensible Umgang mit der eigenen Geschichte. Vielfach ist das bis heute von starker Verdrängung, aber auch von Diskriminierung geprägt. Gegen den Bescheid des Innensenators haben wir deshalb nun eine Klage beim Bremer Verwaltungsgericht eingereicht. Ähnliche Klagen sind in Oldenburg anhängig.
Ein Sprecher des Bremer Stadtamtes hat darauf verwiesen, daß die politische und rechtliche Verantwortung nicht in Bremen, sondern beim Gesetzgeber, also beim Bund liegt.
Das ist falsch, denn in Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes wird festgestellt, daß die beschriebenen Grundrechte nicht nur für die gesetzgebende, sondern auch für die vollziehende Gewalt, und auf allen staatlichen Ebenen, verbindlich sind. Auch der Innensenator wäre deshalb zur Einhaltung dieser Grundrechte verpflichtet gewesen.
Verwendung: Junge Welt
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11. April 2007
»Gedenkstätte Ernst Thälmann« in Hamburg will mit Hilfe eines Fördervereins das Überleben sichern. Ein Gespräch mit Hein Pfohlmann
Hein Pfohlmann ist Vorsitzender des »Fördervereins zum Erhalt der Gedenkstätte Ernst-Thälmann« in Hamburg
Seitdem die Gedenkstätte in Ziegenhals bei Berlin nicht mehr zugänglich ist, ist nun die Hamburger Gedenkstätte Ernst Thälmann die einzige in Deutschland, in der sich Besucher noch ein eigenes Bild vom Wirken des ehemaligen KPD-Vorsitzenden machen können. Warum ist das so wichtig?
In unserer ständigen Ausstellung dokumentieren wir die Entwicklung Ernst Thälmanns vom jungen Transportarbeiter und Sozialdemokraten bis hin zu der Zeit, zu der er als Vorsitzender der KPD und Repräsentant der Kommunistischen Internationale eine besondere Bedeutung für die deutsche Arbeiterbewegung hatte. Über 500 Exponate sind dazu in 32 Vitrinen und auf 34 Schautafeln dauerhaft ausgestellt. Das sind zahlreiche Schrift- und Bilddokumente, aber auch zeitgenössische Zeichnungen und Plakate. Wir zeigen, wie Thälmann in der Bürgerschaft und dann später im Reichstag, vor allem aber als Initiator der Antifaschistischen Aktion und weiterer großer Massenbewegungen wirkte. Das aber ist in einer Zeit, in der immer mehr verfälscht und nun selbst die Rolle der Kommunisten im antifaschistischen Widerstand diskreditiert werden soll, von ganz erheblicher Bedeutung auch für die heutigen Kämpfe.
Bezieht sich die Ausstellung nur auf Thälmann?
Er steht zwar im Mittelpunkt, doch es gibt auch etliche Exponate über seine Kampfgefährten, wie etwa den Hamburger Fiete Schulze. Dokumentiert wird auch das Schicksal von Frauen, Männern und Jugendlichen, die im Kampf gegen Hitler und den Krieg ihr Leben verloren. Wir zeigen fast ausschließlich Originaldokumente. Illegale Flugschriften genau so, wie die persönlichen Briefe der Gefangenen aus den faschistischen Konzentrationslagern. Dem stellen wir dann die Schutzhaftbefehle der Gestapo und die Todesurteile der Nazijustiz entgegen.
Doch damit ist die Gedenkstätte auch ein Ort der Diskussion. Über die Geschichte und die Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung. Über die Erfolge, aber auch über die Widersprüche und Probleme in der Geschichte der Kommunistischen Partei. Dazu kommen dann noch eine umfangreiche Bibliothek und ein Archiv. Letzteres reicht bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts und enthält auch viele Dokumente aus der Geschichte der SPD.
Die Gedenkstätte besteht seit 1969. Vor 1989 kamen auch viele Besucher aus dem sozialistischen Ausland. Wie hat es sich seitdem entwickelt?
Nicht nur die Besucherzahlen aus dem Osten gingen nach 1989 stark zurück. Hinzu kam, daß der Erhalt der Gedenkstätte auch aus finanziellen Gründen gefährdet war. Inzwischen haben sich die Besucherzahlen wieder stabilisiert. Wir zählen z. B. immer mehr Schulklassen.
Der CDU-Senat hat die Zuschüsse für die Geschichtswerkstätten stark gekürzt. Wie wirkt sich das auf die Gedenkstätte aus?
Diese Kürzungen sind katastrophal. Doch unsere Gedenkstätte ist nicht betroffen. Wir haben noch nie Zuschüsse aus der Kulturbehörde erhalten. Nur die Bezirksversammlung hat ab und zu einige hundert Euro bewilligt. Ohne die Spendenbereitschaft der Freunde und Unterstützer würde es unsere Gedenkstätte nicht mehr geben.
Es war ein großer Erfolg, daß wir Mitte der 90er so viel Geld sammeln konnten, daß wir die Ausstellungsräume kaufen konnten. Befreit von den Mietkosten verbleiben nun aber noch die laufenden und zum Teil sehr drückenden Reparatur- und Betriebskosten. Außerdem nagt der Zahn der Zeit nun an etlichen Dokumenten. Da werden wir nun noch einiges für die Pflege und den Erhalt aufwenden müssen. Ähnliches gilt für die Instandsetzung unserer Räume. Deshalb haben wir uns zur Gründung eines Fördervereins entschlossen Nur wenn es gelingt, möglichst viele Menschen zu finden, die uns mit einer regelmäßigen Spende oder einer Mitgliedschaft im Förderverein unterstützen, kann die Gedenkstätte gesichert werden.
An welche Voraussetzungen ist eine Mitgliedschaft gebunden?
Der Mindestbeitrag liegt bei fünf Euro im Monat. Mitglied kann jeder werden, der diese Gedenkstätte fördern und erhalten will.
Infos zum Förderverein können unter 040-474184 in den Öffnungszeiten der Gedenkstätte erfragt werden. Montags von 17-20, Mittwoch bis Freitags von 10 17 Uhr und am Samstag von 10 bis 13 Uhr.
Verwendung: Junge Welt
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10. Februar 2007
Eröffnungsveranstaltung im März. Rolf Becker liest aus dem Kommunistischen Manifest
Als überparteilicher Bildungsverein, dessen Zweck »im Studium und der Verbreitung des Marxismus-Leninismus« besteht, hat sich am Mittwoch abend in Hamburg eine Marxistische Abendschule (MASCH) gegründet.
Es ist eine bunte Schar, die sich der Verbreitung des Marxismus widmen will: Leute von der WASG, parteilose Gewerkschafter und Betriebsräte, frühere Aktivisten des Kommunistischen Bundes und der Grün-Alternativen Liste, einige Jungsozialisten, aber auch iranische und türkische Kommunisten. Mit von der Partie sind auch der Schauspieler Rolf Becker, der Gesamtbetriebsratschef der Hafenarbeiter und DKP-Mann Bernt Kamin, der ver.di-Schwerbehindertenvertreter Detlef Baade und Ronald Wilken, Ortsvorsitzender des Sozialverbandes im Stadtteil Wilhelmsburg. 50 Mitglieder haben sich dem Verein bereits angeschlossen.
»Wir brauchen Marx, um zu verstehen, warum nicht nur der Reichtum, sondern auch die Armut wächst und warum diese Begriffe doch gleichzeitig die Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Entwicklung nur unzureichend erklären«, sagt einer, der früher Mitglied in der von Ernst Aust 1968 gegründeten KPD/ML war. Direkt neben ihm sitzt ein alter DKP-Genosse, der fragt, was »Globalisierung« eigentlich bedeute. Er verweist auf die »Verwirrung der Begriffe«, welche die Linke perspektiv- und handlungsunfähig mache. Schnupperkurse zum Kommunistischen Manifest will die neue MASCH anbieten, auch solche zu den Grundlagen kapitalistischer Ökonomie und der Marxschen Arbeitswertlehre. Geplant sind auch Lesezirkel zu »Lohn, Preis und Profit«, dem legendären Vortrag, den Marx 1865 vor dem Generalrat der I. Internationale hielt.
In Wilhelmsburg, einem traditionellen Arbeiterstadtteil, der heute zu den sozialen Brennpunkten in Hamburg gehört, und nicht an der Uni, soll die Auftaktveranstaltung der neuen MASCH stattfinden, voraussichtlich im März. Rolf Becker liest aus dem Kommunistischen Manifest, die Organisatoren rechnen mit großem Andrang. Im April starten die ersten Kurse in deutscher, persischer und türkischer Sprache. »Wir brauchen eine neue Einheit der marxistischen Kräfte«, sagt MASCH-Mitbegründerin Inge Humburg, »aber auf revolutionärer Grundlage.«
Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-10/029.php
16. Januar 2007
Die Junge Welt wird am 12. Februar 60 Jahre alt, denn kurz nach dem Krieg, am 12. Februar 1947, erschien bereits das erste Exemplar.
Heute ist diese Zeitung – und trotz aller Rückschläge – das wohl wichtigste Medium, das die sozialistische und antikapitalistische Linke in Deutschland noch hat. Hier kann ich auch als Textautor die Dinge so beschreiben wie sie sind.
Für die nächsten 60 Jahre wünsche ich deshalb meiner Zeitung alles Gute, Kraft und Gesundheit und vor allem viele neue Abonnenten, denn das hat die Junge Welt verdient!
Andreas Grünwald
Für Sie, liebe Leser, dokumentiere ich hier sämtliche Artikel, wie sie in der Eigenbeilage zum 60. Geburtstag der Zeitung am 13. Januar 2007 erschienen sind. (mehr …)
1 Kommentar
16. Januar 2007
Den ersten Teil dieser umfangreichen Artikelsammlung aus einer Eigenbeilage der Jungen Welt zu ihrem 60. Geburtstag lesen Sie hier.
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Kein Pardon
Wir sind Tag für Tag eine Zeitung gegen den Krieg
von Rüdiger Göbel
Der Autor (Jahrgang 1968) kam im Herbst 1997 zur Tageszeitung junge Welt. Ab 1998 arbeitete er im Ressort Außenpolitik, seit dem Jahr 2000 ist er stellvertretender Chefredakteur.
Mit Gänsehaut saß ich vor dem Fernseher, sah die Bilder tanzender Menschen auf der Berliner Mauer und war mir sicher: Das ist kein Freudentag, der 9. November 1989 bedeutet Krieg. Die DDR wird untergehen, die BRD wahnsinnig und Großdeutschland größenwahnsinnig. (mehr …)
Verfolgte des Naziregimes erinnerten mit Mahnwache an Deportation Hamburger Juden
Mit einer Mahnwache vor dem Hauptbahnhof haben am Mittwoch abend in Hamburg zahlreiche Mitglieder des Auschwitz-Komitees und der VVN-BdA, unterstützt von Antifa-Gruppen und der Gewerkschaft ver.di, an die Verschleppung und Deportation von 756 Hamburger Juden am 6. Dezember 1941 erinnert.
Mit Hilfe der Bahn wurden sie damals in die Vernichtungslager der Nazis transportiert, nur 24 überlebten. Doch während die Bahn vom 4. bis 10. Dezember mit zahlreichen Veranstaltungen an den 100. Jahrestag zur Eröffnung des Hamburger Hauptbahnhofs erinnert, durfte das Gedenken an den 65. Jahrestag der Deportation nicht auf dem Bahngelände stattfinden. Ausgesperrt waren so auch die Auschwitz-Überlebende und Trägerin der Carl-von-Ossietzky-Medaille Esther Bejarano sowie die in der Hansestadt sehr bekannte Verfolgte des Naziregimes und Antifaschistin Steffi Wittenberg, die nun bei Wind und Regen auf dem Bahnhofsvorplatz an die Deportierten erinnerten.
Skandalös nannte dies der Schauspieler und ver.di-Aktivist Rolf Becker, der in seiner Ansprache vor allem an das Schicksal jener 92 jüdischen Kinder erinnerte, die damals »wie Vieh« durch die Nazis abtransportiert wurden. Millionen jüdischer Menschen, aber auch Sinti und Roma, Kommunisten und Gewerkschafter, Männer und Frauen, Greise und Kinder sei es damals so ergangen, wofür die Bahn eine konkrete Verantwortung trage. Das war ein Verbrechen unter aktiver Beteiligung der damaligen Reichsbahn, sagten auch Bejarano und Wittenberg.
Wittenberg schilderte, wie Kinder und Jugendliche, die sie selbst noch aus der Schule oder vom Spielen kannte, in die Viehwaggons der Reichsbahn getrieben wurden. Angekommen in den Konzentrationslagern, mußten selbst diese Kinder noch jahrelang Zwangsarbeit verrichten, bevor sie ermordert wurden. »Die Deutsche Bahn ist Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn«, woraus auch eine Verpflichtung enstünde, »an diese Verbrechen zu erinnern«, sagte die 82jährige Vorsitzende des Auschwitz-Komitees Esther Bejarano. Sie forderte Bahn-Chef Hartmut Mehdorn energisch dazu auf, sich »unserem Kampf gegen das Vergessen nicht länger in den Weg zu stellen«.
»Wir sind in der Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, daß dieses mörderische System auch aus der Mitte der Gesellschaft und von ganz normalen Menschen getragen wurde«, betonte deshalb Hamburgs ver.di-Chef Wolfgang Rose. Er erinnerte daran, wie etwa in Hamburg für die Deportierten selbst auf ihrem Weg »in die Versklavung, Ausbeutung, Folter und Tod« noch Fahrpreise berechnet wurden. Der Gewerkschaftschef will sich deshalb dafür einsetzen, daß die Klarsfeld-Ausstellung »11 000 Kinder« an »geeigneter und zentraler Stelle« auch auf dem Hamburger Hauptbahnhof gezeigt wird.
http://www.jungewelt.de/2006/12-08/049.php
Verlegerin des Gefangenen Info in Hamburg hat Klage gegen Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz durchgesetzt. Ein Gespräch mit Christiane Schneider
Die Verlegerin Christiane Schneider war bis Februar 2006 auch Landessprecherin der Linkspartei.PDS in Hamburg
Sie konnten vor dem Verwaltungsgericht gerade eine Unterlassungsklage gegen den Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Heino Vahldieck, (CDU) durchsetzen. Worum ging es?
Vahldieck hat am 23. Oktober 2005 in der ZDF-Sendung Mona Lisa behauptet, daß die Zeitung Gefangenen Info, die ich verlege und für die ich auch redaktionell Verantwortung trage, »jegliche Art von politisch motivierter Aktion, auch von gewalttätigen terroristischen Aktivitäten« rechtfertige und ich mich mit den »Tätern identifiziere«. Das haben Millionen Zuschauer gesehen. Weitere Verleumdungen folgten dann im Hamburger Abendblatt sowie in einer Sendung des NDR, wo Vahldieck seine eigenen Behauptungen über meine verlegerische Tätigkeit als Indiz für die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der Hamburger Linkspartei.PDS heranzog.
Produziert der Verfassungsschutz nicht fast täglich solche Lügen? Warum haben Sie das Risiko einer Klage auf sich genommen?
Ich bin seit knapp 18 Jahren für das Gefangenen Info zuständig. Dabei stand ich viele Jahre im Fadenkreuz strafrechtlicher Ermittlungen. Fast dreißig Verfahren sind gegen mich geführt worden. Die Vorwürfe haben sich jedoch immer wieder als haltlos erwiesen. Vahldieck hätte dies wissen müssen. Schließlich wird das Gefangenen Info im Hamburger Verfassungsschutzbericht nicht einmal erwähnt. Dann kam hinzu, daß das Hamburger Abendblatt mit der Schlagzeile »PDS-Landessprecherin unter Verdacht« Vahldiecks Behauptungen aufgriff. Die Springer-Presse schlachtete die Vorwürfe aus, um die Linkspartei zu diskreditieren.
Warum richtet sich die Kampagne ausgerechnet gegen das Gefangenen Info?
Bei uns kommen politische Gefangene auch aus der RAF schon seit vielen Jahren zu Wort. Die Meinungsfreiheit gilt auch für sie. Es ging hier also direkt um die Pressefreiheit, die auch kleine und kritische Verlage und Zeitungen schützt. Solche Verleumdungen, die die Zeitschrift in Verruf bringen und mich einschüchtern sollten, müssen nicht widerstandslos hingenommen werden. Dabei geht es nicht, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, darum, ob ein tatsächlicher Schaden entstand, schon die Gefahr einer Schädigung reicht aus.
Viele Linke nehmen solche Verleumdungen aber weitgehend widerstandslos hin. Man hat sich daran fast schon gewöhnt.
Wenn mein Erfolg andere dazu ermuntert, sich gegen Bespitzelungen und Verleumdungen künftig stärker zu wehren, würde ich mich freuen. Ob man klagen sollte, hängt natürlich vom Einzelfall ab, ein solches Verfahren kostet Anstrengungen und womöglich viel Geld. Generell halte ich es aber für notwendig und aussichtsreich, sich auch rechtlich stärker zu wehren.
Was bewegt Sie eigentlich, diese Zeitung noch immer herauszugeben?
Die Auseinandersetzung zwischen der RAF und der Bundesrepublik Deutschland hat über zwei Jahrzehnte angedauert und zu tiefen Erschütterungen in diesem Land geführt. Ich bin in einem Alter, daß ich Zeitzeugin dieser Auseinandersetzungen war. Als das Blatt 1989, im Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF, gegründet wurde, bestand in der Öffentlichkeit an der Aufklärung über diese Geschichte erhebliches Interesse, was sich auch an einer Verkaufsauflage von anfangs fast 10000 Exemplaren zeigte. Die Zeitschrift, die damals und über lange Zeit von den Angehörigen der Gefangenen aus der RAF herausgegeben wurde, erfüllte ein öffentliches Interesse, weil es die Gelegenheit bot, sich über die Motive der politischen Gefangenen aus erster Hand zu informieren.
Das alles ist Jahre her …
Ja, inzwischen sind andere Gründe hinzugekommen. Ich denke an die beunruhigende Entwicklung im deutschen und weltweiten Gefängniswesen, die sich unter anderem in einer Zunahme von Isolations- und Einzelhaft ausdrückt, wo Gefangene 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen werden. Wir beschäftigen uns auch mit den Abschiebegefängnissen und informieren über die Zustände in den USA, wo es zahlreiche politische Gefangene gibt, die oft schon seit 30 oder 40 Jahren im Knast einsitzen. In der deutschen Öffentlichkeit ist dies kaum bekannt.
Das Gefangenen Info kann bezogen werden bei: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg
http://www.jungewelt.de/2006/10-16/045.php
Ausstellung zum KPD-Verbot eröffnet
Unmittelbar nach der Thälmann-Ehrung wurde am letzten Freitag die vierwöchige Sonderausstellung zum 50. Jahrestag des KPD-Verbots in der Hamburger Gedenkstätte Ernst Thälmann eröffnet.
Gedenkstättenleiter Uwe Scheer wollte so auf die historische Kontinuität antikommunistischer Verfolgung „seit den Prozessen 1852 zu Köln“ hinweisen. In Abwandlung eines Thälmann-Worts hatte Fördervereinsvorsitzender Hein Pfohlmann zuvor aber gesagt, dass von Gedenktagen auch „eine Ausstrahlung auf die heutige Kämpfe“ ausgehen müsse.
Das unterstrich auch Zeitzeuge Ewald Stiefvater, ehemaliger DKP-Vorsitzender in Schleswig-Holstein, der bis ´56 zum Redaktionskollektiv der Hamburger Volkszeitung gehörte. Das Verbot sei ein bisher nicht gesühntes „politisches und juristisches Verbrechen“ erster Güte. Doch noch wichtiger sei es, dass es – wie ein Damoklesschwert – auch heute die gesamte Linke bedrohe. Wie Kurt Erlebach, ehemaliger KPD-Bürgerschaftsabgeordneter, unterstrich auch Stiefvater, dass Schluss sein müsse mit jener „verlogenen Zeit“ der 50er Jahre, die durch primitivsten Antikommunismus, aber auch durch die faktische Rehabilitierung der Nazi-Verbrecher gekennzeichnet gewesen sei. Eindringlich forderten Erlebach wie auch Stiefvater die „Rehabilitierung aller Opfer“.
Die Verbindung mit der Zeit der Berufsverbote schlug dann Horst Bethge, ehemaliger Sprecher der Bewegung gegen diese, heute Landessprecher der Linkspartei in Hamburg. Er zog Vergleiche, benannte aber auch Unterschiede. Im Kampf gegen die Berufsverbote sei es besser gelungen, juristische und politische Kämpfe sowohl auf betrieblicher, lokaler, wie auf parlamentarischer und internationaler Ebene miteinander zu verknüpfen. In ähnlicher Weise müsse nun heute auch das KPD-Verbot zum Thema aller linken und demokratischen Kräfte sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene werden. Doch dafür müsse noch besser erklärt werden, weshalb dies auch für heute von Bedeutung ist. Staatliche Repression bekämpfe man am Besten, wenn man sich gemeinsam „für die unteilbaren Freiheits- und Bürgerrechte“ einsetze. Die Aufhebung des Verbots sei auch heute bedeutsam, da damit ein Bruch mit der alten, nur auf Antikommunismus basierenden Gesellschaftskonzeption der Bundesrepublik zu erreichen wäre.
Wie Berufsverbote-Opfer Ilse Jacob erinnerte Bethge in diesem Zusammenhang auch daran, dass die Mehrzahl der Länder die Berufsverbote noch gar nicht aufgehoben, sondern nur ausgesetzt hätten. Wie beim KPD-Verbot stehe die materielle Entschädigung für die meisten Opfer, noch gänzlich aus.
Eine interessante Debatte, die Gedenkstättenmitarbeiterin Elisabeth Sukowski da mit ihrer Ausstellung nun angestoßen hat. Fast nur auf historischen Originaldokumenten beruhend, ist diese noch bis zum 18. September zu sehen.
http://www.dkp-online.de/uz/3834/s0701.htm
Zu diesem Thema finden in vielen Städten Veranstaltungen statt. So lautet auch der Titel einer vierwöchigen Sonderausstellung in der Hamburger Gedenkstätte Ernst Thälmann, Tarpenbekstraße 66.
Illustriert werden Verbotsverfügungen für kommunistische Zeitungen in der Nazi-Zeit, Berufsverbote aus dem Jahr 1934, die Verhaftungswellen gegenüber Kommunisten und Sozialdemokraten. Fotos, Briefe, Gerichtsakten und illegale Flugblätter zeigen aber auch, dass selbst in dieser Zeit der Kampf der Kommunisten für ein demokratisches Deutschland niemals aufhörte. Im Zeitraffer folgen dann Dokumente aus der Nachkriegszeit, als diese Widerstandskämpfer, auch in Senat, Verwaltungen und Betrieben, zu den ersten Akteuren eines demokratischen Aufbruchs gehörten. Auf einem weiteren Foto ist zu sehen, wie sich die Landesvorsitzenden von KPD und SPD über den Gräbern des Ohlsdorfer Friedhofs die Bruderhand reichen.
Der Hauptteil der Ausstellung widmet sich indes den Jahren unmittelbar vor und nach dem KPD-Verbot 1956. Hier besticht die Ausstellung durch zahlreiche Originaldokumente, wie etwa Artikel aus der kommunistischen Hamburger Volkszeitung“ oder dem Blinkfuer“, anhand derer sich Besucher in die Debatten der damaligen Zeit hineinversetzen können. Verfolgung hatte Namen, auf Täter-, wie auf Opferseite, das zeigen schließlich Fotos, Gerichtsakten, und persönliche Briefe, die auch verdeutlichen, wie Repressalien (so etwa die Beschränkung der Reisefreiheit) selbst Familienangehörige trafen. Übersichtlich werden Gerichtsurteile und (teilweise lange) Haftzeiten von etwa 120 KPD-Mitgliedern dokumentiert. Doch auch für diese Zeit verdeutlichen Dokumente, dass sich der Widerstand der Kommunisten gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands trotzdem fortsetzte. Bilder und Gerichtsakten aus der Berufsverbotszeit in den Siebziger- und Achtzigerjahren, runden dieses Angebot für eine interessante und lebendige politische Bildungsarbeit schließlich ab.
Öffnungszeiten: Montag: 17-20 Uhr, Mittwoch bis Freitag 10 bis Uhr, Samstag von 10 bis 13 Uhr. Gruppen/Schulklassen können auch Sondertermine vereinbaren.
http://www.dkp-online.de/uz/3833/s0103.htm
In der Hamburger »Gedenkstätte Ernst Thälmann« eröffnet heute Sonderausstellung zum KPD-Verbot von 1956
Am 18. August 44 wurde Ernst Thälmann durch SS-Schergen ermordet. Heute wird der Arbeiterführer in der Hamburger »Gedenkstätte Ernst Thälmann« (GET) geehrt. Unmittelbar danach eröffnet hier eine vierwöchige Sonderausstellung zum 50. Jahrestag des KPD-Verbots. Auf der Eröffnungsveranstaltung um 18 Uhr wollen Erich Röhlck (früher KPD, heute DKP) sowie Linkspartei-Landessprecher Horst Bethge die Aufhebung des KPD-Verbots und die Rehabilitierung aller Opfer fordern. Mit der Doppelveranstaltung zum Gedenken an Thälmann und zum KPD-Verbot will Gedenkstättenleiter Uwe Scheer auf die Kontinuität von Kommunistenverfolgungen in Deutschland hinweisen, die durch Aberkennung von Rentenansprüchen bis in die heutige Zeit hineinreiche.
Entsprechend ist auch die Sonderausstellung konzipiert, die Gedenkstättenmitarbeiterin Elisabeth Sukowski zusammenstellte. Neben Exponaten zum 56er KPD-Verbot findet der Besucher auch solche zur Nazizeit und zum »Radikalenerlaß« 1972 unter Willy Brandt. Wir dürfen das nicht gleichsetzen, sagt Sukowski. Doch 50 Jahre danach müsse das Adenauer-Verbot auch historisch richtig eingeordnet werden. Schließlich seien von ihm auch zahlreiche antifaschistische Widerstandskämpfer betroffen gewesen. Aufzeigen will Sukowski auch, daß das Verbot »bis heute« die Linke bedroht »wie ein Damoklesschwert«.
Trotz Verbot
Sukowski präsentiert in der Ausstellung sparsam kommentierte historische Dokumente: Fotos, Briefe, Gerichtsakten, Zeitungsartikel und Flugschriften zeigen, wie selbst Familienangehörige und Arbeitskollegen von Kommunisten in Zeiten antikommunistischer Verfolgungshysterie bedroht wurden. Kriminalisiert wurden auch der Frauenbund, der Zentralrat zur Verteidigung demokratischer Rechte, die Vereiniguung der Verfolgen des Naziregimes (VVN) und viele Gruppen aus der Friedensbewegung, die sich gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands wandten. Repressionsinstrumente auf individueller Ebene waren Beschränkungen der Reisefreiheit, Kündigungen und Gefängnisstrafen. Für 120 Fälle sind die Haftstrafen samt den dazu gehörigen Urteilen in der Ausstellung aufgeführt. Trotz solcher Haftstrafen, der Enteignung ganzer Verlagshäuser und des kompletten Parteieigentums, setzten etliche KPD-Mitglieder ihren Kampf gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands fort. Um dies darzustellen, hat Sukowski eine Fülle von Aktionsfotos, Flugblättern und Artikeln aus dem »Blinkfuer« zusammengestellt.
»Erfahrungsschätze«
Nur aus eigenem Bestand sei die Ausstellung bestückt, betonen die Gedenkstättenmitarbeiter und deuten damit die ungeheure Materialfülle in ihren Archiven an. Etwa 1000 KPD-Mitglieder, darunter viele Widerstandskämpfer, sind inzwischen in einem Personenregister katalogisiert. Die Bearbeitung einiger Kisten voller Fotos und Flugblätter steht noch aus. Von ihr könnte auch die Dauerausstellung profitieren. Bislang ist Thälmanns Wirken auf 26 Schautafeln und in 13 Vitrinen dargestellt. In Vitrine Nummer zwei zum Beispiel findet sich ein Bild von Thälmann als Delegiertem der Transportarbeitergewerkschaft, die ihn schon 1906 zum Sektionsleiter für die Kutscher gewählt hatte. Gleich daneben ist das Polizeidossier zu Thälmann aus dem gleichen Jahr ausgestellt. Anschaulich werden in der Dauerausstellung Thälmanns Aktivitäten in der USPD, beim Hamburger Aufstand und später dann als KPD-Vorsitzender.
Etwa 2000 Besucher kommen 37 Jahre nach Gründung der Gedenkstätte jährlich in diese Dauerausstellung, darunter ganze Schulklassen, wie Hein Pfohlmann, für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, stolz berichtet. Bis 1989 kamen dazu noch Tausende Besucher aus dem sozialistischen Ausland (Leonid Breschnew hatte die Ausstellung schon 1972 besucht). Nach der Konterrevolution gingen die GET-Einnahmen so zurück, daß der Fortbestand gefährdet war. Damals sammelte der ehemalige Gedenkstättenleiter Jan Wienecke viel Geld. Bis dato gemietete Flächen konnten gekauft werden. »Erfahrungsschätze aus der Arbeiterbewegung«, sagt Pfohlmann, wurden dadurch gerettet. Zu diesen zählen übrigens auch die von Paul Dietrich, Hans Kippenberger, Alfred Levy und Heinrich Meyer, die als kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete nicht durch die Nazis, sondern im sowjetischen Exil ermordet wurden. Auch für sie hängt heute eine Gedenktafel in der Tarpenbekstraße 66 in Hamburg.
www.thaelmann-gedenkstaette.de
http://www.jungewelt.de/2006/08-18/034.php
Hamburg: Antifaschisten rufen zur Kundgebung vor Alterswohnsitz des Kriegsverbrechers Gerhard Sommer auf
In Hamburg ruft ein antifaschistisches Bündnis für diesen Samstag zu einer Kundgebung und Demonstration unter dem Motto »NS-Mörder sind unter uns!« im Stadtteil Volksdorf auf. Dort lebt der ehemalige SS-Offizier Gerhard Sommer, der im Juni 2005 von einem italienischen Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haft wegen 560fachen Mordes verurteilt worden war. Das Massaker in dem italienischen Bergdorf gilt als eines der schwersten deutschen Kriegsverbrechen. Doch weil Bundesbürger nach deutschem Recht nicht ausgeliefert werden müssen und die deutsche Staatsanwaltschaft eine eigene Anklageerhebung systematisch verschleppt hat, lebt Sommer unbehelligt in einer noblen Altenresidenz.
Das Verbrechen wurde vor 61 Jahren am 12. August 1944 verübt. Angeführt vom Kompanieführer Sommer stürmten Soldaten der SS-Division »Reichsführer SS« das Bergdorf Saint Anna. Auf der Suche nach Partisanen stießen sie auf 560 Kinder, Frauen und viele ältere Leute, die sie innerhalb von vier Stunden erschlugen, erschossen oder verbrannten. Das gesamte Dorf wurde ausgelöscht.
Daß dieses Kriegsverbrechen erst heute verfolgt wird, geht auf die Öffnung des sogenannten »Schrankes der Schande« zurück. In den fünfziger Jahren wurden 695 von den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über deutsche Kriegsverbrechen in Italien mit Rücksicht auf den westdeutschen Bündnispartner auf unbestimmte Zeit in einen Aktenschrank geschlossen. Erst 1994 entdeckten Justizbeamte die Aktenbündel, mit deren Auswertung es möglich wurde, diverse Verfahren gegen noch lebende Täter einzuleiten.
Als das Verfahren gegen Sommer und seine neun Mitangeklagten im April 2004 begann, lebte der heute noch rüstige 84jährige Pensionär in einem Einfamilienhaus, das er inzwischen zugunsten einer sehr noblen Altenresidenz im Hamburger Stadtteil Volksdorf aufgegeben hat. Für mehr als 1 700 Euro im Monat verbringt er dort seine Tage in idyllischem Grün und mit ausgedehnten Spaziergängen. Reue plagt ihn dabei nicht. Er habe ein »absolut reines Gewissen«, sagte Sommer kurz nach seiner Entdeckung einem Fernsehmagazin der ARD.
Für Hamburger Antifaschisten ist die Nichtverfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern Ausdruck einer unzureichenden Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Die Kundgebung in Hamburg ist Teil einer Kampagne, mit der soviel Druck entwickelt werden soll, daß auch in Deutschland eine Anklageerhebung gegen Sommer erfolgt. Sonst, so Wolfram Siede, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA), würde »Überlebenden und ihren Angehörigen erneut und endgültig öffentliche Anteilnahme und juristische Genugtuung versagt« bleiben. Am Samstag will das Bündnis Tafeln mit den Namen der Opfer an den Zaun von Sommers Altenresidenz niederlegen. Aufgerufen haben dazu die VVN, der Arbeitskreis Distimo, das Auschwitz-Komitee, die Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände, der Freidenkerverband, die Willi-Bredel-Gesellschaft, DKP, Regenbogen sowie autonome Antifa-Gruppen.
* »NS-Mörder sind unter uns!« Beginn der Demo am Samstag, 26. November, 11.30 Uhr, Gedenkstein Weiße Rose (U-Bahn Volksdorf)
http://www.jungewelt.de/2005/11-25/014.php
Hamburg: Historiker, Juristen und Zeitzeugen beleuchteten Defizite der Geschichtsvermittlung
Mit einem Reader zu »Tabus der deutschen Geschichte« will die »Bürgerinitiative für Sozialismus« der offiziellen Geschichtsschreibung entgegentreten, wonach es in der Nachkriegszeit keine Alternative zur Wiederherstellung alter Besitz- und Machtverhältnisse gegeben habe. Inhalt der Broschüre sollen die 32 Vorträge sein, die Historiker, Juristen und Zeitzeugen am Wochenende in Hamburg bei einer gleichnamigen Tagung zur Diskussion stellten.
Initiativensprecher Eckart Spoo verwies am Sonntag auf den damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, der Kapitalismus und Demokratie für nicht vereinbar hielt. 1947 habe auch das Ahlener CDU-Programm festgestellt, daß der Kapitalismus an den sozialen Bedürfnissen der Menschen vorbeigehe. Solche Standpunkte hätten Eingang in zahlreiche Länderverfassungen gefunden. Wenn hingegen heute die Entwicklung in der Früh- und Vorgeschichte der Bundesrepublik als alternativlos dargestellt werde, geschehe dies auch deshalb, weil in der Frontstellung des Kalten Krieges nicht nur ideologische Stereotype aus dem Faschismus übernommen worden seien, sondern eine Inkorporation alter Nazis in Schlüsselfunktionen des neuen Staates erfolgte.
Etwa 300 Menschen hatten an dem Kongreß teilgenommen, der von der örtlichen GEW und dem AStA der Universität unterstützt wurde. Am Sonntag hatten Diskussionsteilnehmer in der Schlußrunde unterstrichen, daß die Frühgeschichte der Bundesrepublik auch heute von höchster Aktualität sei. In den Ansätzen damaliger demokratischer Gegenbewegungen sei vieles enthalten, was für die heutige Politik neue Möglichkeiten schaffe.
Verschwiegene und tabuisierte Geschichte wurde auf dem Kongreß unter anderem in Beiträgen des Publizisten Eckart Spoo, des Völkerrechtlers Norman Paech, des Historikers Kurt Pätzold und des inzwischen fast 80jährigen Rechtsanwalts Heinrich Hannover deutlich. Im Übergang zum Kalten Krieg sei der westdeutsche Separatstaat als Bollwerk gegen den Kommunismus entstanden, hieß es.
http://www.jungewelt.de/2005/10-24/014.php
Konferenz über die Entstehung der Bundesrepublik dokumentierte geschichtliche Alternativen
In Hamburg haben am Wochenende mehrere Hundert Menschen am Kongress »Tabus der bundesdeutschen Geschichte« teilgenommen.
Heutige Geschichtsschreibung vermittelt oftmals den Eindruck, als wäre die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland in den 50er und 60er Jahren alternativlos gewesen. Der Kongress sei auch notwendig gewesen, um klar zu stellen, dass dies nicht so war, begründete Mitinitiator Eckart Spoo das Ziel der Veranstaltung. Die Restauration alter Macht- und Besitzverhältnisse sei auch in Westdeutschland heftig umkämpft gewesen.
Noch stärker ging es in Hamburg um die Frage, wie der Weg der Bundesrepublik Deutschland dann möglich wurde? Wissenschaftler wie Akteure damaliger Gegenbewegungen zeichneten ein facettenreiches Bild: die Übernahme ideologischer und politischer Stereotype aus der Zeit des Hitlerfaschismus, der kalte Krieg, das Verbot der KPD und die Rehabilitierung ehemaliger Kriegsverbrecher. Solcherart verschwiegene Geschichte wurde hautnah lebendig, als der fast 80-jährige Bremer Rechtsanwalt Heinrich Hannover berichtete, wie er die Befreiung vom Faschismus als Stunde des politischen Aufbruchs erlebte.
Hannover schilderte eine Zeit, in der auch die CDU das kapitalistische Wirtschaftssystem überwinden und die SPD Produktionseigentum sozialisieren wollte. Doch im Übergang zum kalten Krieg wäre der westdeutsche Separatstaat nur als Bollwerk gegen den Bolschewismus entstanden, wofür die Teilung Deutschlands billigend in Kauf genommen wurde. Antikommunismus wurde Staatsdoktrin und im Justizbereich musste Hannover erleben, wie 1947 verurteilte Nazischergen 1951 schon wieder in Amt und Würden waren. 1951 stellte die Bundesregierung den Antrag auf das Verbot der KPD.
Seit Ende der Nürnberger Prozesse habe es dann in der Bundesrepublik keine einzige Verurteilung eines Nazi-Verbrechens mehr gegeben, ergänzte der Völkerrechtler Norman Paech. Eindrucksvoll schilderte er, wie in Gerichtsverfahren Kriegs- und Naziverbrechen relativiert oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Paech: »Das Schlimme ist, es dauert bis heute an«
Im heutigen Geschichtsbild seien die Deutschen sogar in die Rolle des Kriegsopfers gerückt, ergänzte der Berliner Historiker Kurt Pätzold, der auf jüngste Debatten über den 8. Mai 1945 verwies. Solche Geschichtsbilder spiegeln aber politische Interessen wieder. Auch nach dem Krieg wäre es ohne das Lügengespenst von der Bedrohung durch die Sowjetunion, ohne die Verkleisterung der Wehrmacht, nicht möglich gewesen, so schnell wieder aufzurüsten, wie es dann geschehen ist
Entwicklungen wie diese trafen auf Widerstand. Auf dem Kongress wurde an die großen Volksbewegungen gegen erneute Konzernmacht gedacht, an Remilitarisierung und Notstandsgesetze. Zur Sprache kamen die deutschlandpolitischen Debatten unter Sozialdemokraten, um die Spaltung des Landes aufzuheben. Erinnert wurde an die KPD, an den Versuch Gustav Heinemanns mit der Gesamtdeutschen Volkspartei eine andere Richtung einzuschlagen. Doch der kalte Krieg entzog den Oppositionskräften auch eigene Grundlagen, sagte der Sozialwissenschaftler Gregor Kritidis. Sozialdemokraten verzichteten endgültig auf das sozialistische Ziel. Kommunisten verloren an Einfluss, weil der Parteikommunismus in Osteuropa individuelle Freiheitsrechte aufgab.
Facettenreich widerspiegelte die Konferenz weitere Entwicklungsmomente des jungen Staates: in der Bildungs-, Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik, im Ausbau eines ideologischen und polizeilichen Repressionsapparates, auch in den Wechselwirkungen zur DDR. Ein Buch dokumentiert alle 32 Referentenbeiträge.
Das Buch ist erhältlich über die Zeitschrift »Ossietzky«, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin, E-Mail: ESPOO@t-online.de
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=79987&Idc=2&db=Archiv
Kongreß in Hamburg beleuchtet »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«. Und was man daraus lernen kann. Ein Gespräch mit Horst Bethge
* Horst Bethge gehört zu den Organisatoren des Kongresses »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«, der vom 21. bis 23. Oktober in Hamburg stattfindet
F: Ihre im Juli 1989 gegründete »Bürgerinitiative für den Sozialismus« will zur geistigen Auseinandersetzung mit dem real existierenden Kapitalismus beitragen. Warum gibt es gerade jetzt einen Kongreß zu den »Tabus bundesdeutscher Geschichte«?
Als sich im Sommer 1989 unsere Bürgerinitiative auf Betreiben von Eckart Spoo, Arno Klönne, Otto Köhler und anderen zusammenfand, hielten wir es für notwendig, den realen Kapitalismus von links zu analysieren, die Errungenschaften der französischen und deutschen Revolutionen zu verteidigen und die in der deutschen Geschichte immer vorhanden gewesenen Alternativen lebendig zu erhalten. Denn diese enthalten immer auch Möglichkeiten, Konzepte und Erfahrungen für heute. Als sich nach 1990 die kapitalistische BRD wie ein historischer Sieger gebärdete, haben wir die Geschichte der Gewerkschaften, der Sozialdemokraten und der Kommunisten beleuchtet.
Jetzt stehen wir vor einer großen Koalition, womit ein neues Kapitel bundesdeutscher Geschichte eingeleitet wird. Andererseits ist jetzt neu, daß »Links« auch wieder im Westen der Bundesrepublik eine nennenswerte Größe ist, also mehr Verantwortung hat und ein besonderes Interesse an der eigenen Geschichte haben wird. Da kommt ein Kongreß »Tabus der bundesdeutschen Geschichte« gerade recht. Gerade jetzt, wo von der CDU gern auch an Erhards »soziale Marktwirtschaft« erinnert wird und wo Sozialdemokraten erneut von der Verteidigung der Arbeitnehmerrechte reden, nachdem man sie zuvor gerade abgebaut hat, und wo auch die Grünen sich auf demokratische und rechtsstaatliche Traditionen berufen gerade jetzt muß man doch fragen, auf welche Traditionen man sich da beruft.
F: Also Traditionspflege von links?
Im Gegenteil. Wir wollen Traditionslinien in Frage stellen und aufzeigen, welche Tabus dabei kultiviert werden, während anderes verdrängt und verschwiegen wird. Die Geschichte der BRD ist keine geradlinige Erfolgsgeschichte, wie das den Menschen heute vorgespiegelt wird. Es gab die Viermächtekonferenz in Potsdam. Es gab die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg. Beide wurden bewußt negiert und gebrochen. Die Nazivergangenheit in Justiz und Eliten wurde geleugnet und geschönt. Emigranten waren nicht willkommen. Statt dessen: neue Feindbilder, neue Macht für die Geheimdienste. Doch in all diesen Jahren gab es auch große Gegenbewegungen, gab es auch Alternativen.
F: Was steht im Mittelpunkt der Spurensuche?
Wir setzen unterschiedliche Akzente. Zum Beispiel zur Rolle außerparlamentarischer Bewegungen und Opposition. Oder: Wie kam es, daß Sozialdemokratie und Gewerkschaften antikapitalistische Inhalte vollständig bzw. weitgehend verloren? Das müßte Mitglieder der Linkspartei und der WASG brennend interessieren, denn Skeptiker befürchten ja schon, daß sich da etwas wiederholen könnte. Wir diskutieren aber auch, was Linke in der alten BRD erreichen und bewirken konnten. In Arbeitsgruppen stehen Fragen zur Diskussion, die gerade jetzt von der Linken wieder neu zu beantworten sind, die aber in der Geschichte der Bundesrepublik auch in ihrer Vor- und Frühgeschichte eine Rolle spielten: Neuordnung der Wirtschaft, Bildungsreform, Antikommunismus als Staatsdoktrin, die nationale Frage.
F: Das klingt nach einem Kongreß der Westlinken.
Ganz und gar nicht! Die Geschichte der BRD, auch ihre Tabus und Legenden, ist ohne die DDR, ohne den Antikommunismus als Bauplan für die Gesellschaft, nicht erklärbar. Deshalb treffen auf dem Kongreß Wissenschaftler und linke Akteure aus Ost und West, Alte und Junge zusammen. Dabei sind auch Zeitzeugen. Trotzdem ist es kein Geschichtskongreß, sondern es geht um die Frage, was wir daraus für heute lernen.
* »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«, 21. bis 23. Oktober, Universität Hamburg. Infos zum Programm und zur Anmeldung telefonisch über 030-42805228 oder im Internet unter www.vsa-verlag.de
http://www.jungewelt.de/2005/10-20/025.php
24. Januar 2005
Ausstellung über Zwangsarbeit in Hamburg eröffnet
Sie hätten sich eine andere Jugend gewünscht. Als der Krieg vorüber war, war jedoch auch sie für die Zwangsarbeiter in Deutschland dahin.
Kein anderer Ort atmet hanseatische Würde wie der Kaisersaal des Hamburger Rathauses. Große Ölgemälde zeigen die Mächtigen vergangener Tage. Prächtige Kronleuchter erhellen die Sicht. Hier trug sich jüngst Präsident Putin ins goldene Buch der Stadt ein. Am Freitagvormittag hatte Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) aus einem seltenen Anlass zum Empfang geladen: Eröffnung der Ausstellung »In Hamburg haben wir unsere Jugend gelassen Zwangsarbeit von 1940 bis 1945«. Erschienen war auch Innensenator Udo Nagel (parteilos). Der sei für Abschiebepolitik gegenüber Flüchtlingen zuständig, raunte eine Besucherin im Saal, wo man Angehörige der VVN, des Auschwitz-Komitees und die »Freunde der Gedenkstätte KZ Neuengamme« sah.
48 Ausstellungstafeln sind im Foyer des Rathauses aufgestellt. Sie zeigen Briefe und Fotos von Zwangsarbeitern. Ernste und ängstliche Gesichter sieht der Besucher auf den Fotos. 500000 Menschen haben die Stadt zwischen 1940 und 1945 als »Fremdarbeiter durchlaufen«. Man erkennt Franzosen, Italiener, Holländer. Vor allem aber Menschen aus Polen und der Sowjetunion. Seit der Entschädigungsdebatte ist die Zwangsarbeit wieder in das Gedächtnis von mehr Menschen in Deutschland gerückt. Wie das Ausbeutungssystem aber funktionierte, wissen, 60 Jahre nach dem Krieg, nur wenige. In der Ausstellungsmitte steht eine große Stadtkarte. 1500 Punkte sind darauf verzeichnet. Jeder Punkt trägt eine Nummer. Jede Nummer bezeichnet ein Lager.
Im Kaisersaal spricht die 80-jährige Ukrainerin Anna Naliwajko-Guk. 17 Jahre war sie alt, als sie deportiert wurde. Dankbar sei sie nun dafür, die »Stadt ihrer Jugend« zu sehen. So gehe es vielen Teilnehmern des Besuchsprogramms, sagte Katja Hertz-Eichenrode. Sie arbeitet in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und organisiert seit 2001 ein Besuchsprogramm für Zwangsarbeiter. Die Menschen seien dankbar, wenn sie die Einladung erhalten. Selbst dann, wenn sie so alt sind, dass sie nicht mehr reisen. Mit diesen Kontakten sei die historische Aufarbeitung besser möglich. Viele Ausstellungsexponate stammen von den Zwangsarbeitern.
Später sagt Steffi Wittenberg vom VVN-Landesvorstand, dass sie darauf hoffe, dass nach der Ausstellung Zwangsarbeiter nicht wieder in Vergessenheit geraten. Nur die Willi-Bredel-Gesellschaft unterhält eine kleine Dauerausstellung. Im Stadtteil Fuhlsbüttel konnte sie einstige Wohnbaracken von Zwangsarbeitern erhalten und nutzen. Vom Alltag der Zwangsarbeiter ist hier die Rede: Betten voller Ungeziefer, kalte Winter, Rübensuppe, täglich 12 Stunden Arbeit in der Rüstungsindustrie. Insgesamt 13,5 Millionen Menschen waren in Deutschland als Arbeitssklaven eingesetzt. Der größte Teil bestand aus Zivilpersonen. Hinzu kamen Kriegsgefangene und KZ-Insassen. Rassistisch wurden »Fremdarbeiter« in Kategorien eingeteilt. Polen und Russen standen ganz unten.
Nach der Ausstellungseröffnung widersprach die Historikerin Dr. Frederike Littmann auf einer Veranstaltung diffamierenden Unterstellungen, Zwangsarbeiter hätten gern in Deutschland gearbeitet: »Keiner der Zwangsarbeiter ist freiwillig gekommen.« Not und Elend der besetzten Länder hätten Anwerbungsversuchen der Arbeitsämter allerdings eine Grundlage gegeben. Später seien erzwungene Massendeportationen erfolgt. Seit Jahren erforscht Littmann die Zwangsarbeitergeschichte in Hamburg. Nicht leicht, hatten doch Gestapo und das Landesarbeitsamt alle Unterlagen vernichtet. In Militärarchiven, Akten aus der Industrie- und Handelskammer und der Werft Blohm + Voss wurde sie fündig.
Erst mit dem Heer von Arbeitssklaven aus dem Ausland habe Deutschland den Krieg führen können, stellt Littmann fest. Der Arbeitskräftemangel der Hamburger Industrie habe diese ab April 43 veranlasst, Deportationen sogar selbst zu organisieren. Im Mai 44 waren 40 Prozent aller Arbeitsplätze mit Zwangsarbeitern besetzt, in der Industrie sogar 60 Prozent. Das Unrecht sei offen und unter wissender Beteiligung der Bevölkerung erfolgt. Im Tagebuch des Werftbesitzers Walter Blohm hat Littmann gelesen, dass dieser den Krieg schon 1943 für verloren hielt. Zwangsarbeitereinsatz vollzog sich dann zur Produktionsmittelsicherung für die Nachkriegszeit, sagte Littmann.
Nur von einer Widerstandsaktion in Hamburg weiß man heute. Aber es habe doch Fluchtversuche gegeben, fragt eine ältere Dame. Diese seien im letzten Kriegsjahr so gravierend gewesen, bestätigt Littmann, dass Sanktionen, von der Züchtigung bis zum Arbeitserziehungslager, nicht mehr griffen. Die »Ordnung« wurde mit öffentlichen Hinrichtungen aufrechterhalten.
Am Abend sind nur noch wenige Besucher im Rathausfoyer zu sehen. Eine junge Frau und ihr Freund stehen vor einer der Tafeln, lesen entsetzt den Brief eines Zwangsarbeiters. Schon als Kind wurde er deportiert. Am Anfang hätten er und seine Kameraden gedacht, dass der Direktor ihnen die Hand zur Begrüßung reichen wolle. Doch dann seien sie geschlagen worden. In drei Jahren immer wieder. Wie Maschinen hätten sie am Ende funktioniert.
Die Ausstellung im Rathaus ist noch bis 11. Februar zu sehen. Eine Sonderführung in der Gedenkstätte der Willi-Bredel-Gesellschaft findet am 6. Februar ab 14 Uhr am Wilhelm-Raabe-Weg 23 statt.
Verwendung unter Pseudonym: Neues Deutschland
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1 Kommentar
Veranstaltung zum 60. Jahrestag der Ermordung des KPD-Vorsitzenden in Hamburg geplant
Aus Anlaß des 60. Jahrestages der Ermordung des ehemaligen KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann soll in Hamburg eine große Gedenk- und Kulturveranstaltung stattfinden. Wie das »Kuratorium Gedenkstätte Ernst Thälmann« jetzt mitteilte, werden dazu prominente Redner erwartet. Zu ihnen gehören der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz und der Vorsitzende der DKP, Heinz Stehr. Die Veranstaltung soll am 20. August im Landesinstitut für Lehrerbildung in der Felix-Dahn-Straße ab 19 Uhr stattfinden. Wie Manfred Eger, stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums, jetzt mitteilte, ist das Kuratorium darum bemüht, Unterstützer für einen Aufruf zu dieser Veranstaltung zu gewinnen.
Das Kuratorium betreibt seit 1969 in Hamburg-Eppendorf eine ständige Ausstellung zum politischen Wirken von Ernst Thälmann. In das um die Jahrhundertwende erbaute Eckhaus Tarpenbekstraße 66 zog Thälmann damals als KPD-Vorsitzender hauptsächlich in Berlin arbeitend 1929 mit seiner Familie ein. In der Ausstellung mit zahlreichen Bildern und Dokumenten erschließt sich dem Besucher ein lebendiges Bild der Geschichte der KPD. Sah sich der Hamburger Senat 1985 veranlaßt, den Platz vor der Gedenkstätte in »Ernst-Thälmann-Platz« umzubenennen, häuften sich Anfang der 90er Jahre massive Angriffe auf die Gedenkstätte. CDU-Bürgerschaftsabgeordnete verlangten, dem Kuratorium den Status der Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Heute steht die Gedenkstätte auf sicheren Füßen und ist für Schulklassen und Hunderte Besucher aus dem In- und Ausland alljährlich ein wichtiger Anlaufpunkt, um sich mit diesem Teil Hamburger Geschichte zu beschäftigen.
Der Hafen- und Transportarbeiter Ernst Thälmann trat 1918 zunächst der USPD bei, deren Hamburger Ortsvorsitzender und Bürgerschaftsabgeordneter er wurde. Mit der Vereinigung des Mehrheitsflügels der USPD mit der KPD zur VKPD übernahm Thälmann schnell Spitzenfunktionen in seiner Partei. Wiederholt trat er als kommunistischer Präsidentschaftskandidat an. Als 39jähriger übernahm Thälmann schließlich am 1. September 1925 auf Vorschlag der Kommunistischen Internationale die politische Führung der KPD. In den folgenden Jahren konnte die KPD beträchtliche Wahlerfolge realisieren und wurde zu einer Massenpartei. Am 3. März 1933 wurde Thälmann ohne Haftbefehl verhaftet und eingekerkert. Nach über elfjähriger Haftzeit wurde er im August 1944 ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht und dort von Angehörigen der SS erschossen.
http://www.jungewelt.de/2004/08-02/011.php