Bei der Gewerkschaft GEW heißt das Gebäude in der Hamburger Rothenbaumchaussee ganz kurz »Ro 19«. Gegenwärtig residiert in dem schönen Altbau das Institut für internationale Politik der Uni Hamburg. Doch die Immobilie sorgt seit längerem für nicht nur innergewerkschaftlichen Streit.
In Hamburg streitet die GEW über ein 1935 aus jüdischem Besitz erworbenes Haus
In der Hamburger GEW gibt es heftigen Streit: Soll eine Villa, die in der Nazizeit einer jüdischen Erbengemeinschaft weit unter Wert abgekauft wurde, nun als Zeichen der Sühne an die Stadt übertragen werden, damit dort ein Museum zur Geschichte der Juden entsteht? Oder hat die Gewerkschaft das Recht, dieses Haus zu behalten?
Seit die Vertreterversammlung der GEW im April mit knapper Mehrheit beschlossen hat, das 1935 von einer jüdischen Erbengemeinschaft weit unter Wert erworbene Haus zu behalten und gewissermaßen zum Ausgleich jährlich 10 000 Euro in einen Fonds gegen rassistische und fremdenfeindliche Aktivitäten fließen zu lassen, kommt die GEW nicht mehr zur Ruhe. Kritiker sehen in dem Beschluss »winklig-opportunistisches« Verhalten und fordern dessen Revision.
Fast mustergültig und im großen Einvernehmen hatte die Gewerkschaft alle Einzelheiten dieser jahrzehntelang verdrängten Geschichte zuvor aufgearbeitet. Das Problem begann demnach schon 1933, als die GEW-Vorläufer »Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens« im »Nationalsozialistischen Lehrerbund« gleichgeschaltet wurde. Dieser kaufte im April 1935 für 40 000 Reichsmark die im Uni-Viertel gelegene Gründerzeitvilla. Das Haus fiel 1945 an die GEW. Die jüdischen Vorbesitzer hatten Deutschland 1937 verlassen.
Für den Gewerkschafter Bernhard Nette war damit die Sache klar. Ein »arisiertes Gebäude« könne seine Gewerkschaft nicht behalten. Sie würde sonst zum Profiteur des nationalsozialistischen Unrechts werden. Eine eingesetzte Arbeitsgruppe unter seiner Leitung schlug die Umwandlung in ein Museum vor. Bei den Nachfahren der Vorbesitzer (sie leben inzwischen in den USA), in der jüdischen Gemeinde und unter Kulturpolitikern fand das viel Beifall.
Doch die Mehrheit im Vorstand sah es anders. Weil einer der Vorbesitzer noch nach 1935 weitere Immobilien in Deutschland erwarb und keiner der ehemaligen Eigentümer 1945 Restitutionsansprüche stellte, könne von einer typischen Arisierung nicht gesprochen werden. Unklar sei außerdem, ob der Kaufpreis zu niedrig war, denn das Gebäude hätte sich 1935 in einem schlechten Zustand befunden. Unterstützt wurde dies von GEW-Landeschef Klaus Bullan. Er erklärte, dass seine Gewerkschaft auf die Mieteinnahmen aus dem Haus angewiesen sei. Diese liegen bei 150 000 Euro im Jahr. Der Fonds sei ein Kompromiss. Die Vertreterversammlung bestätigte diese Haltung mit 57 zu 50 Stimmen, bei 10 Enthaltungen.
Nun aber ging die Debatte erst richtig los. Selbst Bürgermeister Ole von Beust (CDU) appellierte an die Gewerkschaft, ihre Entscheidung zu überdenken. Es ginge hier nicht um finanzielle oder juristische Fragen, sondern um »moralische und historische Verantwortung« sowie um »menschlichen Anstand«, sagte der Bürgermeister. Noch deutlicher wurde Ralph Giordano. Ihm hatte Bullan das Geld für den Bertini-Preis vorgeschlagen. »Bertini-Preis und Arisierung«, das passe nicht zusammen »kategorisch und unwiderrufbar«. Die 10 000 Euro seien zudem nur ein »Blutgeld« und um sich freizukaufen, schimpfte Giordano. Dass sich ein Teil der GEW auf ein Gutachten des Historikers Jörg Berlin berufen hatte, empörte die jüdische Gemeinde. In dem Papier steht, dass es zum Zeitpunkt des Immobilienverkaufs eine konkrete Bedrohungssituation für die Vorbesitzer nicht gegeben habe. Diese hätten Deutschland nur aus wirtschaftlichen und familiären Gründen verlassen.
Eine solche Sichtweise versperre den Blick auf die »Bedeutung des politischen Systems des deutschen Faschismus für das Handeln der Menschen«, sagt der Gesamtschullehrer Ulrik Ludwig. Er forderte Anfang der Woche »die Revision der Beschlüsse und eine Absage an jeglichen Geschichtsrevisionismus«. Mit der Zielsetzung der Wiedergutmachung soll nun die Debatte, samt einer »Gesamtschau auf das nicht unbeträchtliche GEW-Vermögen«, neu aufgerollt werden. Geschehe dies nicht, verliere die »GEW als Ganzes« ihre Glaubwürdigkeit, sagt auch Benjamin Ortmeyer vom Vorstand der GEW in Frankfurt am Main. Er sammelt nun Unterschriften für einen Offenen Brief an den Hauptvorstand der GEW, damit dieser sich einmische.
Verwendung: Printausgabe Neues Deutschland vom 30. Juli 2007, Seite 3
und Lokalberichte Hamburg vom 2. August 2007, Printausgabe Seite 4.