14. Februar 2008

Olaf HarmsGemeinsam handeln: Die DKP unterstützt Die Linke bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg. Ein Gespräch mit Olaf Harms

Olaf Harms ist Vorsitzender der DKP in Hamburg. Für die Wahlen am 24. Februar tritt er dort als Bürgerschaftskandidat für Die Linke an

Meinungsforscher sagen der Linken ein gutes Wahlergebnis voraus. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie selbst?

Hamburg ist immer für Überraschungen gut. Doch Fakt ist, daß die Linke in die Bürgerschaft einziehen und dort dann als eine klare linke Oppositionskraft wirken wird. Wenn ich von Stimmungen ausgehe, die ich an Infoständen mitnehme, könnte es ein sehr gutes Wahlergebnis werden. Und dies zu erreichen, kommt es nun darauf an, Stimmungen in Stimmen zu verwandeln.

Sie wohnen in Wilhelmsburg, wo fast 50 Prozent der Menschen auf Hartz IV angewiesen sind. Wie verwandeln Sie dort Stimmungen in Stimmen?

Vor meiner Haustür sprach mich kürzlich ein Bürger mit »Lafontaine« an. Er brachte damit seine Zustimmung zu unserem Oppositionskurs zum Ausdruck. Gleichzeitig machte er deutlich, wie enttäuscht er von der SPD ist. Das sind Erlebnisse, wie wir sie vielfach haben, denn die Leute wissen genau, wer für Hartz IV und die Agenda-Politik Verantwortung trägt. Leider gibt es auch viele, die sagen, daß »die da oben« am Ende doch machen, was sie wollen. Diesen Menschen Mut zu machen, sich selbst zu wehren, ist eine gute Methode um sie auch für die Wahl der Linken zu gewinnen.

In ihrem Sofortprogramm schlägt die Linke die Umwandlung aller Ein-Euro-Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse, die Zurücknahme der Sozialkürzungen des CDU-Senats, den Stopp aller Privatisierungen, die Re-Kommunalisierung der Kliniken und ein neues Gesamtschulsystem vor. Wie wollen Sie das finanzieren?

Wer Politik verändern will, der muß dafür Geld in die Hand nehmen. Deshalb wollen wir auf teure Prestigeprojekte verzichten, schlagen zudem aber auch vor, wie man durch mehr Steuerprüfer und Veränderungen in der Steuerpolitik die Einnahmeseite verbessern kann. Generell gilt, daß wir das, was wir den Ärmeren geben, bei den Reichen holen. Bei der SPD befürchte ich hingegen, daß sie nur innerhalb der Klasse umverteilen wird. Also nach dem Motto: Was ich den Erwerbslosen gebe, hole ich mir von den Lohnabhängigen oder umgekehrt. Das ist mit uns nicht zu machen.

Angenommen, es käme zu »hessischen Verhältnissen«. Wie sollte die Linke ihre Tolerierungspolitik gestalten?

So, wie auf einem Linke-Landesparteitag Anfang dieses Jahres und davor auf einem weiteren beschlossen. Eine SPD-Grünen-Minderheitsregierung werden wir nur tolerieren, wenn sie das linke Sofortprogramm umsetzt. Verhandlungen nach dem Motto, wir geben euch die Abschaffung der Ein-Euro-Jobs, ihr schluckt dafür das Kohlekraftwerk in Moorburg oder das alte Schulsystem, darf es nicht geben.

Im Klartext also Opposition?

Nur dafür werden wir gewählt. Mit kluger Oppositionspolitik ist eine Menge zu bewegen und durchzusetzen.

Sie sind Mitglied der DKP. Warum unterstützt Ihre Partei die Linke im Wahlkampf?

In Hamburg lebt jedes fünfte Kind in Armut. 30000 Menschen verdienen so wenig, daß sie zusätzlich Transferleistungen benötigen. 12000 Menschen arbeiten als Ein-Euro-Jobber. Hamburg ist eine reiche Stadt, aber zugleich auch eine Stadt, in der Armut und Ausgrenzung regieren. Dies zu ändern, den Sozialraub zu stoppen, ist das Ziel von Kommunisten. Am besten geht dies, wenn wir gemeinsam handeln.

Gregor Gysi hat gerade erklärt, daß er die Aufstellung von DKP-Mitgliedern bei der Linkspartei mißbilligt. Er betonte, daß die DKP-Forderung, große Produktionsmittel zu vergesellschaften, mit der Linken nicht zu machen sei.

Dann stößt man aber schnell an Grenzen. Was wollen wir denn machen, wenn wie bei Allianz, bei Siemens oder Nokia Tausende Mitarbeiter entlassen werden und gleichzeitig die Kapitaleigentümer riesige Gewinne einfahren? Im Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes ist das Sozialstaatsgebot vorgeschrieben. Wer dagegen verstößt, kann enteignet werden. Was nützt es, wenn man den Raubtierkapitalismus rhetorisch geißelt, sich davor aber scheut, ihm Grenzen aufzuzeigen?

Ich mache in Hamburg seit über 30 Jahren Politik. Zumindest meine Erfahrung besagt, daß wir als Linke immer dort erfolgreicher sind, wo wir gemeinsam handeln. Die Mitglieder unserer Partei sind wie Hunderte andere am Wahlkampf beteiligt. Auch mit eigenem Material und in dem wir begründen, warum wir die Linke unterstützen. In Hamburg findet das eine positive Resonanz.

[Dieses Interview ist Teil einer Schwerpunktseite, die ich für die Tageszeitung Junge Welt gestaltete. Lesen Sie deshalb auch Dokumentation: Sechs Punkte für soziale Gerechtigkeit und Zünglein an der Waage. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt vom 14. Februar 2008



14. Februar 2008

CDU muß bei Hamburger Wahl mit massiven Stimmenverlusten rechnen, FDP stagniert. SPD und Grüne sind ohne eigene Mehrheit – nur Die Linke legt fleißig zu

Da war sie wieder ins Fettnäpfchen getreten, Hamburgs Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU), als sie dieser Tage vorschlug, daß Schüler künftig auch am Samstag in die Schule müssen, um Überlastungen aus dem Lehrplan besser auszugleichen. Er sei »aus allen Wolken gefallen«, als er davon erfahren habe, empörte sich Bürgermeister und Parteikollege Ole von Beust. Umgehend wies er den Vorschlag seiner Senatorin zurück. Wie immer die Bürgerschaftswahlen am 24. Februar ausgehen, ein Ergebnis liegt schon vor: die Tage von Dinges-Dierig sind gezählt. So wie die des Pleiten- und Justizsenators Carsten Lüdemann (CDU): Monatelang hatte er mit gefälschten Statistiken eine besonders harte Strafverfolgung von jugendlichen Kriminellen vorgetäuscht. So lange, bis der Schwindel schließlich aufflog.

Extreme Nervosität

Sind es nur Ungeschicklichkeiten, ist es ein Hang zum Masochismus, der bei der CDU Einzug hält? Vieles spricht eher dafür, daß solche Fehler Anzeichen extremer Nervosität im Unionslager sind. Meinungsforscher sagen der Partei – sie holte 2004 immerhin 47,2 Prozent und regiert das Rathaus seitdem mit absoluter Mehrheit – schon seit Monaten herbe Verluste voraus. Bis zu zehn Prozent. Das könnte auch die FDP nicht ausgleichen. Die Liberalen lagen in den Umfragen Anfang Februar bei fünf Prozent. Daß der Senat nun schnell noch vor den Wahlen einen mehrjährigen Vertrag mit dem Energiekonzern E.on über die Nutzung des Gasnetzes abschloß, deutet jedenfalls auf Endzeitstimmung hin. Ebenso der Deal von Finanzsenator Michael Freytag (CDU). Klammheimlich wollte er eines der wertvollsten städtischen Grundstücke – das Baubehörden-Areal – für einen Schnäppchen-Preis an einen Privatinvestor verkaufen. Erst am gestrigen Mittwoch zog er den nach heftigen Protest der Oppositionsparteien schließlich zurück.

Doch auch SPD und Grüne kommen bislang mit ihrem Wahlkampf nicht richtig zu Pott. Zwar konnte SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann seine Partei aus dem historischen Umfragetief vom Mai 2007 (29 Prozent) inzwischen wieder herausführen, doch die Werte von 33 und 36 Prozent, mit denen seine Partei jetzt gehandelt wird, reichen für einen Wechsel unter seiner Führung nicht. Zumal da die Zugewinne mit Verlusten beim grünen Wunschkoalitionspartner kombiniert sind. Im Mai 2007 gaben Meinungsforscher den Grünen 16 Prozent, jetzt liegen sie bei zehn. Wahlforscher sehen darin auch den Preis für schwarz-grüne Koalitionsspekulationen, die es bei den Grünen immer wieder gab.

Stabil ist indes die Lage bei den Linken. Seit über einem Jahr liegt die Partei oberhalb der Fünf-Prozent-Marke. Allen Umfragen zufolge wird sie in der Bürgerschaft das Zünglein an der Waage sein. Und auch das »kleine Tief«, in dem sich Die Linke Anfang des Jahres nach den Worten ihrer Landessprecherin Christiane Schneider befand, scheint überwunden. Tagelang hatte sich die Partei zu diesem Zeitpunkt in Tolerierungsdebatten verheddert. Die Wahlforscher geben der Linken mittlerweile sieben bis acht Prozent, Spitzenkandidatin Dora Heyenn geht sogar von einem zweistelligen Ergebnis aus.

Soziale Gerechtigkeit

Wie Die Linke setzt auch die SPD im Wahlkampf auf »soziale Gerechtigkeit«. Naumann fordert die Streichung aller Bildungs- und Kitagebühren, die Rücknahme sämtlicher Sozialkürzungen des CDU-Senats, die Verwandlung der Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Ebenso ein neues Stadtwerk für die Energieversorgung und Initiativen für einen gesetzlichen Mindestlohn. Doch gleichzeitig will er Steuern und Abgaben nicht erhöhen, keine neuen Schulden machen, die »Wirtschaftsförderung« nicht antasten. Wie will der Sozialdemokrat seine Forderungen finanzieren, fragt deshalb Linke-Kandidat Olaf Harms.

Über 200000 Menschen sind in Hamburg von Hartz IV abhängig. »Die lassen sich nicht länger betrügen«, sagt Wolfgang Joithe, der auf Platz 4 der Linke-Liste für die Bürgerschaft kandidiert. Der 57jährige ehemalige Systembetreuer ist seit über drei Jahren selbst ein Hartz-IV-Empfänger. Für die Linke ein absoluter Glücksfall, denn ihm vertrauen die Leute, wenn er sagt: »Hartz IV muß weg«, das Sozialticket und die Forderung nach Erhöhung der Regelleistungen seien nur ein erster Schritt dorthin. Ein Mann wie Joithe, da sind sich seine Zuhörer einig, wird sich nicht anpassen, wird in keine Tolerierungsfalle hineintapsen. In der künftigen linken Fraktion wird er damit nicht allein sein. Auch die Exil-Iranerin Zaman Masudi, DKP-Mann Olaf Harms, Mehmet Yildiz von der Migrantenorganisation DIDF sowie Dora Heyenn stehen für diesen klaren Oppositionskurs.

[Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite, die ich für die Tageszeitung Junge Welt gestaltete. Lesen Sie deshalb auch Dokumentation: Sechs Punkte für soziale Gerechtigkeit und das Interview »In der Opposition kann man viel bewegen«. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt vom 14. Februar 2008



14. Februar 2008

Aus dem »Aktionsprogramm der Hamburger Linken zur Bürgerschaftswahl 2008«

Die Linke.Hamburg will den Wechsel für eine soziale Politik. (…) Unser Sofortprogramm für Hamburg ist ein realisierbarer Einstieg in eine andere Politik. Dies ist uns besonders wichtig:

1. Wir wollen ein Landesprogramm Arbeit, mit dem wir die entwürdigenden Ein-Euro-Jobs abschaffen und dafür sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse schaffen, einen Ausbau des öffentlichen Dienstes und Arbeitszeitverkürzungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. (…) Wir streiten für den Einstieg in eine Kindergrundsicherung zur Bekämpfung der Kinderarmut. (…)

2. Gebührenfreie Bildung für alle. Sofortige Wiederherstellung der Lehr- und Lernmittelfreiheit, gebührenfreie Kitas und Hochschulen. Wir wollen die Einführung einer »Schule für alle«, in der Kinder bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen können. Wir setzen uns ein für eine Ausbildungsplatzumlage – wer nicht ausbildet, soll zahlen. Jeder Schulabgänger soll eine anerkannte Berufsausbildung machen können. (…)

3. Öffentlich muß bleiben, was wichtig für alle ist. Der ehemalige Landesbetrieb Krankenhäuser, das ehemalige Pflegen & Wohnen gehören in öffentliches Eigentum zurückgeführt. (…) Das Steinkohlekraftwerk in Moorburg darf nicht gebaut werden. (…) Vattenfall und E.on (gehören) unter öffentliche Kontrolle.

4. Wir setzen auf mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung! Deshalb sagen wir auch JA zu verbindlichen Volksentscheiden! (…)

5. Wir wollen in Hamburg ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen. Hamburg soll Migrantinnen und Migranten eine neue Heimat bieten. (…)

6. Unsere Vorschläge sind finanzierbar. (…) Weitere Kürzungen auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit lehnen wir ab.

[Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite, die ich für die Tageszeitung Junge Welt verfasste. Lesen Sie dazu auch Zünglein an der Waage und das Interview »In der Opposition kann man viel bewegen«. Die gesamte Seite können Sie sich hier und gestaltet auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt vom 14.02.08



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14. Februar 2008

»Gleiche Arbeit – gleiches Geld« – IG Metall will keine Zweiklassengesellschaft in Betrieben

Unter dem Motto »Gleiche Arbeit – gleiches Geld« hat die IG Metall Küste am Mittwoch in Hamburg eine Leiharbeitskampagne gestartet. Ziel der Aktion sei es, die betriebliche Gleichstellung von Leiharbeitern mit den Beschäftigten der Stammbelegschaften zu erreichen, betonte IG-Metall-Pressesprecher Daniel Friedrich gegenüber junge Welt. In bis zu 25 Betrieben in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sollen in diesem Sinne bis Ende des Jahres Regelungen zur Leiharbeit zwischen den Betriebsräten und den Unternehmensführungen vereinbart werden.

Darüber hinaus will die Gewerkschaft das Thema im Zusammenhang mit Abweichungen vom Tarifvertrag auch in der Öffentlichkeit thematisieren.

»Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft in den Betrieben«, so Jutta Blankau, Bezirksleiterin der IG Metall Küste, auf einer Beratung von 120 Betriebsräten ihres Bezirks am Mittwoch in Hamburg. Sie betonte, daß Leiharbeit nicht zu Dumpinglöhnen führen dürfe. Es gehe um die Verwirklichung des Grundsatzes »Gleiches Geld für gleiche Arbeit« und zunächst darum, bessere und fairere Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter zu erstreiten. Ein Schwerpunkt der Kampagne liege bei Betrieben im Schiffbau. »Wir werden alles dafür tun, daß die Menschen zu vernünftigen Bedingungen ihre Arbeit machen können«, so Blankau vor den Betriebsräten.

Für den 2. Vorsitzenden der Gewerkschaft, Detlef Wetzel, ist der Einsatz von Leiharbeitern vor allem mit der »Verdrängung regulärer Beschäftigung« verbunden. Das sei aber nicht nur ein Problem der Beschäftigten, sondern auch der Unternehmen. Ein zu hoher Anteil von Leiharbeitern bringe Verluste bei der Qualität und der Prozeßsicherheit. »Die Unternehmen überziehen«, rief Wetzel vor den Betriebsräten aus. Die Schraube müsse nun dringend zurückgedreht werden. Er forderte, daß Leiharbeit wieder zu ihrem Ursprung zurückgeführt werden müsse, also als Flexibilitätsreserve zu nutzen sei. Bei der Zusammenkunft kündigte Wetzel an, das Thema auch bundesweit voranzutreiben. Neben den Aktivitäten im Betrieb müsse auf politischer Ebene gehandelt werden. Als einen ersten Schritt begrüßte Wetzel die vom Bundesarbeitsminister geplante Einführung eines Mindestlohns für die Leiharbeitsbranche durch die Aufnahme in das Entsendegesetz. Der betreffende Tarifvertrag schreibt Stundenlöhne von mindestens 7,31 Euro im Westen bzw. 6,36 Euro im Osten vor. »Ungeschützte prekäre Arbeit kann kein Leitbild für die Gesellschaft sein«, so der Gewerkschafter. Deshalb müsse die Politik mehr Verantwortung übernehmen und wirksame gesetzliche Grundlagen schaffen.

Verwendung: Junge Welt vom 14.02.2008
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11. Februar 2008

Betonköpfe sind immer die anderen: Gregor Gysi gibt acht, daß sein Feindbild von der DKP nicht entweichtHamburg: Konferenz der Linkspartei zur Gewerkschaftspolitik geriet zur Wahlkampfveranstaltung

Etwa 200 Menschen waren am Samstag zu einer norddeutschen Regionalkonferenz der Arbeitsgemeinschaft »Betrieb & Gewerkschaft« der Partei Die Linke gekommen. Strategien zur Eindämmung der Leiharbeit, gegen Lohndumping und für die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte standen auf dem Programm. Doch 14 Tage vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg spielten die Inhalte dann doch eher eine Nebenrolle. Mittelpunkt der Konferenz war Gregor Gysi, der den anwesenden Gewerkschaftern der IG Metall, von ver.di und GEW prophezeite, seine Partei werde nach dem 24.Februar mit einem »Top-Ergebnis« in das Rathaus einziehen.

Entsprechend mediengerecht war schon der Tagungsauftakt im Bürgerhaus des Arbeiterstadtteils Wilhelmsburg gestaltet: Der frischgebackene niedersächsische Landtagsabgeordnete Manfred Sohn überreichte seinen Hamburger Genossen einen Staffelstab, in den die 5,1- und die 7,1-Prozentmarken, die Wahlergebnisse der Partei in Hessen und Niedersachsen symbolisierend, eingeritzt waren. Nur darüber, also im zweistelligen Bereich, sei nun auf dem Holz noch Platz, erklärte Sohn. Die Szene wurde von den Medienvertretern allerdings kaum wahrgenommen, denn die Kameraaugen richteten sich zum nämlichen Zeitpunkt auf eine Pressekonferenz mit Gysi.

Der bereitete die Öffentlichkeit darauf vor, daß seine Partei nach dem erwarteten glänzenden Hamburger Wahlergebnis die Festung Bayern stürmen werde. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag verwies darauf, daß Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) der Vater der aktuellen Erfolge der Partei Die Linke ist. Er habe mit seiner »neoliberalen Politik« die Gründung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) geradezu herausgefordert, die maßgeblich für den Aufstieg der aus der Fusion mit der PDS-Nachfolgerin Linkspartei hervorgegangenen Partei Die Linke auch im Westen war.

Im Verlauf der Beratung empörte Gysi sich, daß die reiche Bundesrepublik in punkto Lohnhöhe nur auf Platz elf der 15 Kernländer der Europäischen Union steht. Sieglinde Friess, ver.di-Fachbereichsleiterin für den öffentlichen Dienst in Hamburg, forderte Die Linke zur Solidarität mit den Beschäftigten bei Bund und Kommunen in den bevorstehenden Tarifkämpfen auf, kündigte aber auch an, sie werde die Linke im Wahlkampf unterstützen. Sie hoffe dabei, daß die Hamburger Linke »ganz anders« sei als die in Berlin. Friess erhielt dafür den stärksten Beifall des Tages. Gysi erklärte dazu sehr allgemein, die mitregierenden Berliner Genossen hätten zwar »am Anfang sehr viel falsch gemacht«, doch inzwischen laufe auch »vieles richtig«.

Während der Pressekonferenz hatte Gysi erneut bewiesen, daß für ihn jede Solidarität aufhört, wenn es um Kandidaturen von DKP-Mitgliedern auf Linkspartei-Ticket geht. Auf die Frage eines Journalisten, warum wie zuvor in Niedersachsen nun auch in Hamburg DKP-Genossen auf den Wahllisten der Linken zu finden seien, erklärte er, es gebe »unüberbrückbare Gegensätze« zwischen seiner Partei und der DKP, bat aber süffisant um Verständnis für die Westlinke: Die sei in der Alt-BRD stets erfolglos gewesen und hätte folglich froh sein müssen, wenigstens über eine »marxistisch-leninistische Sekte« zu verfügen. Ein klares Feindbild ersetzt beim Linke-Frontmann offenbar weiterhin jede Kenntnis der Lage vor Ort. Auf Begeisterung dürfte er damit bei den Hamburger Genossen nicht stoßen.

Verwendung: Junge Welt vom 11. Februar 2008
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08. Februar 2008

Bernhard Wieszczeczynski
Hamburg: Nie wurden so viele Container umgeschlagen. Dennoch rutschte der Hafen international auf Platz neun. Gespräch mit Bernhard Wieszczeczynski

Bernhard Wieszczeczynski ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender im Gesamthafenbetrieb Hamburg

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, daß der Containerumschlag im Hamburger Hafen 2007 um 11,6 Prozent auf den Rekord von 9,9 Millionen Standardcontainer (TEU) gestiegen ist. Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) nutzt das, um erneut eine Fahrrinnenvertiefung der Elbe zu fordern. Die aber trifft bei Umweltverbänden wie bei den Anrainergemeinden auf heftigen Widerstand. Wie sehen Sie das?

Als Interessenvertreter der Hafenarbeiter – sei es als Betriebsrat oder als Mitglied des Fachgruppenvorstands von ver.di – ist mir zunächst wichtig, daß tariflich abgesicherte Arbeitsplätze im Hafen erhalten oder neu geschaffen werden. Natürlich muß die Anpassung mit den notwendigen Schutzmaßnahmen für die Anrainer begleitet werden. Dennoch brauchen wir die Vertiefung des Fahrwassers, weil Schiffe mit einer Ladekapazität bis 9000 TEU schon jetzt den Hafen nur bei Hochwasser anlaufen können. Zur ökologischen Frage: Die Unterelbe ist kein Naturschutzreservat, sondern seit Jahrzehnten eine industriell genutzte Wasserstraße. Mit oder ohne Fahrrinnenanpassung. Daß sie schiffbar bleibt, ist von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.

Mit der Vertiefung würde auch die Sturmflutgefahr zunehmen. Wer soll die zusätzlichen Milliarden für die Deichsicherung bezahlen? Die Hafenwirtschaft?

Das ist völlig richtig, daß die Hafenwirtschaft stärker zur Kasse gebeten werden sollte, sich an solchen Kosten zu beteiligen. Sie ist es ja auch, die die Gewinne einstreicht.

Kritik gibt es auch am Flächenverbrauch durch neue Kaianlagen. In Hongkong werden 24 Millionen TEU auf einem Bruchteil der Hamburger Fläche umgeschlagen. Was läuft in Hamburg schief?

Unser Hafen ist in seiner Struktur historisch gewachsen. Das kann man nicht mal eben umkrempeln oder mit Hongkong vergleichen. Der Boom hat auch die Hafenbetriebe überrollt. Mit den Baumaßnahmen am Burchardkai und am Eurogate sollen vorhandene Flächen besser genutzt werden. Auch das neue Terminal im mittleren Freihafen entsteht innerhalb des Hafens.

Im internationalen Vergleich ist Hamburg vom achten auf den neunten Platz der größten Seehäfen abgerutscht. Stößt der Hafen an Grenzen? Die Nordsee ist 120 Kilometer entfernt – Containerriesen der nächsten Generation mit bis zu 12000 TEU werden ihn nicht mehr anlaufen können.

Auf welchem Platz wir liegen, ist mir egal. Es würde ja auch keiner auf die Idee kommen, daß Deutschland zum Agrarstaat werden soll, nur weil China Exportweltmeister wird. Hamburg baut jedenfalls seine Führung als bedeutendster deutscher Seehafen aus.

Sie haben das Arbeitsplatzargument bemüht. Tatsächlich entstehen gegenwärtig ein paar hundert neue Jobs. Doch bei einer Gesamtbilanz der vom Hafen abhängigen Arbeitsplätze zeigt sich, daß deren Zahl seit Jahrzehnten sinkt.

Die Frage, welche Arbeitsplätze vom Hafen abhängig sind, kann je nach Blickrichtung unterschiedlich beantwortet werden. Es ist jedenfalls Tatsache, daß neue Arbeitsplätze entstehen – nach jahrzehntelangem Rückgang durch die Containerisierung. Nicht nur im Umschlag, sondern auch in den angegliederten Branchen der Logistik und der Distribution. Beschäftigtenzahlen wie in den 70er Jahren werden wir zwar nicht mehr erreichen. Doch der Laden z. B., in dem ich arbeite, vergrößert sich in diesem Jahr von 1000 auf 1200 Kollegen. Darunter viele, die arbeitslos waren. So ist es in fast allen Hafenbetrieben.

43 Prozent der bei Ihnen umgeschlagenen Container werden anschließend wieder verschifft. Besonders arbeitsintensiv ist das nicht.

Ob ein Container, den wir löschen, per LKW, per Bahn oder auf dem Wasser weitertransportiert wird, macht für die Umschlagsbetriebe keinen Unterschied. Ein großer Teil der Empfänger befindet sich in Skandinavien und in Osteuropa. Und aus ökologischer Sicht ist der Transport per Schiff sicherlich zu begrüßen.

[Lesen Sie zu diesem Thema auch das Protokoll einer Arbeitsgruppensitzung von „Wilhelmsburg gehört uns“ (Thematik Hafenentwicklung versus Stadtteilentwicklung in Hamburg-Wilhelmsburg) und den Beitrag Arbeiten im Hafen – Wohnen in Hafennähe (Ankündigung einer politischen Hafenrundfahrt in Hamburg am 15. März 2008]

Verwendung: Junge Welt vom 08. Februar 2008



07. Februar 2008

Hamburger Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Linke gibt sich optimistisch

Knapp zweieinhalb Wochen vor den Wahlen zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen in Hamburg fühlt sich die dortige Linke stark. Acht Prozent bekäme man sicher, so hatte es deren Spitzenkandidatin Dora Heyenn bisher gesagt. Doch nun – nach dem Kick aus Niedersachsen und aus Hessen – hält die 58jährige Lehrerin auch ein Ergebnis von »zehn Prozent plus x« für möglich. Damit könne Die Linke am 24. Februar als »drittstärkste politische Kraft« in das Rathaus einziehen, so Heyenn am Mittwoch im Gespräch mit jW.

In Hamburg zweifelt niemand mehr am Einzug der Linken in die Bürgerschaft. Doch dezent, fast schon vorsichtig, weist der Linkskandidat auf Platz Vier der Landesliste, der Erwerbslosenvertreter Wolfgang Joithe darauf hin, daß schon ein Wahlergebnis von sieben oder acht Prozent ein großer Erfolg wäre. Diese reite in Hamburg zwar gegenwärtig auf einer großen »Sympathiewelle«, doch was der Wahlkampf nun noch bringt, lasse sich kaum vorraussagen. Wachsende Sympathie spürt Joithe vor allem an den Infoständen, wenn ihm dort die Leute das Werbematerial »fast schon aus den Händen reißen«. Martin Wittmaack aus der Landesgeschäftsstelle der Linken berichtet von einer Vielzahl ähnlicher Erfahrungen aus Altona, Wilhelmsburg, Wandsbek, Billstedt und selbst aus randständigen Stadtteilen wie etwa Jenfeld oder Rahlstedt. Das Interesse an der Linken sei »überall in der Stadt« riesengroß.

Richtig motivierend sei das, sagt auch Renate Hercher-Reis. Die Informatikerin kandidiert für die Bezirksversammlung in Mitte. In ihrem Wahlkreis macht sie fast täglich Hausbesuche oder steht am Infostand. Zeit dafür hätte sie sich dafür schon vor Monaten organisiert. Sie will mit möglichst vielen Bürgern noch vor der Wahl reden. In solchen Gesprächen gehe es um die »Kernthemen der Linken« wie die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit oder besserer Bildung für die Jugend. Doch immer stärker werde ihre Partei nun auch als kommunalpolitische Kraft gefordert. »Die Bürger wollen wissen, wie wir zur Hafenquerspange« – einer geplanten acht Kilometer langen Stadtautobahn auf Stelzen – »oder zum Kohlekraftwerk in Moorburg, wie zur Stadtentwicklung in einzelnen Quartieren stehen«, erzählt Hercher-Reis.

Rund 70000 Bezirkswahlprogramme haben die Aktiven allein am vergangenen Wochenende in die Briefkästen der Stadtbezirke von Altona und Mitte verteilt. 270000 Exemplare einer Kurzfassung des linken Sofortprogramms sind weitgehend vergriffen. Am 16.Februar will Die Linke »500000 Bürgerbriefe« von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi an den Wähler bringen.

Nervös reagiert die SPD. Ihr Spitzenkandidat, Michael Naumann, hatte stets betont, um einen »fairen« Wahlkampf bemüht zu sein. Doch seit Anfang dieser Woche läßt seine Partei ein Pamphlet verbreiten, in dem es in großen Lettern heißt »Wer Linke wählt, der hilft der CDU«. Käme die linke »Chaotentruppe« ins Parlament, heißt es darin, werde ein Wechsel zu »Rot-Grün« gefährdet. Für Linkspartei-Landessprecher Berno Schuckart ein »übles Machwerk«: SPD und Grüne hätten bislang keineswegs ausgeschlossen, nach den Wahlen auch für eine Koalition mit der CDU bereitzustehen.

Verwendung: Junge Welt vom 07. Februar 2008
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29. Januar 2008

Landesparteitage in Schleswig-Holstein und Brandenburg stellten Weichen für Abstimmungen zu Kommunal- und Landesparlamenten

Unter dem Titel »die Rathäuser stürmen« hat die schleswig-holsteinische Linke am Sonntag auf einem Landesparteitag in Kiel ihre inhaltlichen Eckpunkte für die Gestaltung des Kommunalwahlkampfes im Mai 2009 festgelegt. Schwerpunkte sind demnach der Kampf gegen Kinder- und Familienarmut, die Absicherung einer öffentlichen Daseinsvorsorge, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes sowie die Durchsetzung einer integrierten Schule bis zur zehnten Klasse. Ein entsprechender Antrag wurde von den 65 Delegierten mit großer Mehrheit verabschiedet. So sollen öffentliche Aufträge künftig daran gekoppelt werden, daß die Auftragnehmer in ihren Betrieben einen »existenzsichernden Mindestlohn« von 8,44 Euro pro Stunde zahlen. Für die Bezieher von »Hartz IV«-Leistungen und andere Einkommensschwache soll es ein Sozialticket geben, das zur kostenlosen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs berechtigt. Außerdem will die Partei alle kommunalen Ein-Euro-Jobs durch »reguläre und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse« ersetzen. Stoppen will die Linke verkehrspolitische Großprojekte wie etwa die Fehmarn-Belt-Querung oder den Ausbau der Autobahn A 20 bis zur Elbe.

Landessprecher Lorenz Gösta Beutin zeigte sich am Montag gegenüber junge Welt davon überzeugt, daß seine Partei mit diesem Programm bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2009 in sämtliche Kreistage einziehen werde. Mit besonders hohen Ergebnissen rechnet Beutin zudem für Großstädte »mit hohem Arbeiteranteil«, wie etwa Kiel, Lübeck oder Flensburg. Offensiv werde die Linke dort auch einen »antifaschistischen Wahlkampf« gegen die erstarkende NPD führen.

In Brandenburg fand am Wochenende ebenfalls ein Landesparteitag der Linken statt, der ganz im Zeichen von Wahlen stand. Obwohl über das Landesparlament erst im Herbst 2009 abgestimmt wird, kürten die Delegierten mit Kerstin Kaiser bereits eine Spitzenkandidatin. Parteichef Oskar Lafontaine hatte die Landesspitze zuvor gedrängt, deren Kandidatur erst am Sonntag bekanntzugeben. Lafontaine wollte damit vermeiden, daß diese Personalie in letzter Sekunde den Linken in Hessen und Niedersachsen schadet, da Kaiser in den 80er Jahren Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen war.

Der Parteitag stand ganz im Zeichen der angestrebten Regierungsbeteiligung. Fraktionschef Gregor Gysi erklärte: »Man kann an Wahlen nicht teilnehmen, wenn man zur Regierungsbeteiligung nicht bereit ist«. Nach 17 Jahren Opposition sei es dafür »höchste Zeit«. Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hätten gezeigt, »daß Rot-Rot funktioniert«, so Gysi. Der mit großer Mehrheit im Amt bestätigte Landesvorsitzende Thomas Nord äußerte sich ähnlich. Als aktuelle landespolitische Schwerpunkte formulierte der Parteitag die Vorbereitung eines Volksbegehrens für ein Sozialticket sowie Kampagnen für kostenlose Schülerbeförderung, den Einstieg in die Gemeinschaftsschule und den mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung.

Verwendung: Junge Welt vom 29. Januar 2008
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29. Januar 2008

Christel WegnerSeit Gründung der DKP vor 40 Jahren erstmals eins ihrer Mitglieder in Landtag gewählt. Ein Gespräch mit Christel Wegner

Christel Wegner aus Buchholz/Nordheide ist Vorstandsmitglied der Deutschen Kommunistisczen Partei (DKP) in Niedersachsen und seit Sonntag Abgeordnete der Linken im niedersächsischen Landtag

Linken-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hat das Wahlergebnis in Niedersachsen als »Sensation« für seine Partei gefeiert. Haben Sie mit einem so hohen Ergebnis gerechnet?

Wir haben darauf gehofft und am Ende auch geglaubt, daß wir die Fünfprozenthürde nehmen. Doch mit über sieben Prozent hat wohl kaum jemand gerechnet.

War denn nicht die Stimmung schon im Wahlkampf sehr gut?

Das ist richtig. Doch das Problem besteht ja oft darin, aus solchen Stimmungen auch Stimmen zu machen. An den Infoständen und auf Veranstaltungen haben wir bemerkt, daß die Zustimmung zu unseren Forderungen sehr hoch ist.

Wie haben Sie das erreicht?

Durch einen sehr engagierten Straßenwahlkampf. So konnten wir mit den Menschen reden und viele auch überzeugen. Landesweit hat uns zudem sehr geholfen, wie engagiert Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und die sonstigen Abgeordneten aus der linken Bundestagsfraktion aktiv wurden.

Inhaltlich stand bei der Linken die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit ganz oben. Doch auch Wolfgang Jüttner von der SPD hatte auf dieses Thema gesetzt.

Wenn ich den Namen Jüttner nur höre, bekomme ich einen dicken Hals. Im Wahlkampf hat seine Partei zwar Unterschriften unter die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn gesammelt. Aber sie hat nicht verraten, wie hoch der eigentlich sein soll. Und im Bundestag lehnt die SPD eine solche Forderung immer wieder ab. Das ist unglaubwürdig, ja fast verlogen, und das haben viele auch bemerkt.

Wie kommt es, daß Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) mit seiner ausgesprochen neoliberalen Politik immer noch so fest im Sattel sitzt?

So fest sitzt er ja gar nicht mehr, denn gemessen an der absoluten Zahl hat Wulff noch mehr Stimmen verloren als Roland Koch in Hessen. Daß Wulff nach wie vor und gemeinsam mit der FDP eine Mehrheit im Landtag hat, das liegt auch an der niedrigen Wahlbeteiligung.

Als Mitglied der DKP haben Sie auf Platz neun der Landesliste kandidiert. Doch nun sind Sie bundesweit die erste kommunistische Landtagsabgeordnete seit Gründung der Partei vor 40 Jahren. Welche Bedeutung hat das für die DKP?

Eine große. Denn es zeigt, daß auch wir Kommunisten in der Lage sind, einiges zu bewegen. Vor allem dann, wenn wir unsere Positionen offen und ehrlich vertreten, zugleich aber auch energisch für die Bündelung aller Linkskräfte eintreten. Als Landtagsabgeordnete erhoffe ich mir nun auch, dem in Deutschland noch starken Antikommunismus ein wenig entgegentreten zu können.

Gab es im Wahlkampf antikommunistische Ressentiments?

Wulff hat ja von nichts anderem gesprochen als der Gefahr, daß nun mit der Linken »die Kommunisten« in das Landesparlament einziehen würden. Erst Mitte letzter Woche wurde zudem der Landtagskandidat Manfred Sohn heftig attackiert, weil er früher mal DKP-Mitglied war. Solchem Antikommunismus werde ich klar entgegentreten und auch im Landtag verdeutlichen, wofür Kommunisten eigentlich stehen. Als Teil und in Solidarität zu unserer gesamten Fraktion. Doch meine kommunistische Identität und meine daraus resultierenden Ziele für eine bessere Gesellschaftsordnung werde ich auch im Landtag nicht verstecken.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie im Landtag konkret bearbeiten? Wie wichtig wird Ihnen dabei die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen sein?

Ich komme aus dem Gesundheitswesen, war dort lange Zeit Personalrätin und gewerkschaftliche Vertrauensfrau. Deshalb wird dieser Bereich mein Schwerpunkt sein. Die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen hat für mich, wie für unsere gesamte Fraktion, höchstes Gewicht. Denn ohne diese Bewegungen und den Druck, der von ihnen ausgeht, werden wir im Landtag nicht das Geringste bewegen.

[Anmerkung: Mein oben wieder gegebenes Interview mit Christel Wegner ist Teil einer gemeinsamen Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 29. Januar 2008. Lesen Sie zu diesem Thema deshalb auch die dort wiedergegebene Dokumentation der Wahlergebnisse und den Beitrag meines jW-Kollegen Peter Wolter Im Westen angekommen. Die gesamte Seite können Sie hier auch als PDF-Datei downloaden. Weitere Informationen zu den Wahlergebnissen bietet ein Beitrag meines jW-Kollegen Rainer Balcerowiak – Chaostage in Wiesbaden -, und ein weiteres Interview, das mein jW-Kollege Peter Wolter dann noch zusätzlich mit dem Spitzenkandidaten der hessischen Linken, Willi van Ooyen, und unter dem Titel »Viele Arbeitslose haben unsere Partei gewählt« ebenfalls für die Ausgabe der „Jungen Welt“ vom 29. Januar 2008 führte.]

Verwendung: Junge Welt vom 29. Januar 2008



29. Januar 2008

Lehre aus der Hessen-Wahl: Mit Ausländerhetze ist keine Abstimmung zu gewinnen. Fünf-Parteien-System scheint jetzt etabliert zu sein

Aus den Landtagswahlen am Sonntag in Hessen und Niedersachsen lassen sich mehrere Erkenntnisse gewinnen. Die erste ist, daß die Linkspartei mit ihrem Einzug in die Landesparlamente endgültig im Westen »angekommen« ist – die etablierten Parteien müssen sich künftig auf ein Fünf-Parteien-System einstellen. Zweitens hat sich am Beispiel des bisherigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gezeigt, daß mit Ausländerfeindlichkeit und rassistischer Hetze zur Zeit keine Wahlen zu gewinnen sind. Und drittens: Nicht nur die Linkspartei, sondern auch die SPD haben mit ihren Wahlergebnissen unter Beweis gestellt, daß sich mit sozialen Themen durchaus Wähler mobilisieren lassen.

Sauer aufgestoßen

Wie es sich schon vor der Wahl in Umfragen andeutete, hat sich Koch in seiner Wahlkampfstrategie völlig verkalkuliert. Den Hessen ist sein Versuch, erneut die ausländerfeindliche Karte zu ziehen, offenbar so sauer aufgestoßen, daß sie ihm mit 12 Prozentpunkten Verlust (36,8 Prozent) eine Abfuhr erteilt haben, die seinen Einfluß auf die CDU-Politik wohl drastisch reduzieren dürfte. In absoluten Zahlen verlor Koch 324000 Wähler. Schon am Montag bekam er von CDU-Ministerpräsidenten die Quittung, indem sie seinen Wahlkampfstil heftigst kritisierten.

In Hessen hängt es jetzt von der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti ab, ob es wirklich zu einem Politikwechsel kommt. Sie kam auf 36,7 Prozent (plus 7,8) – das zweitschlechteste Ergebnis, das die SPD in Hessen je erzielte. Ihr Wunschpartner Bündnis 90 / Die Grünen erreichte 7,5 Prozent (minus 2,5). Beide zusammen könnten per Minderheitsregierung den Rechtsaußen Koch ablösen, wenn sie auf das Angebot der Linkspartei eingingen, diese Koalition zu tolerieren. Die sozialen Themen, die Ypsilanti in den Vordergrund stellte, scheinen jedoch selbst frühere Stammwähler der SPD nicht mehr überzeugt zu haben – das Mißtrauen in die ständigen Wahllügen der SPD sitzt zu tief. Und sollte Ypsilanti schließlich doch eine Koalition mit der CDU eingehen, wäre die Glaubwürdigkeit der SPD wohl endgültig dahin.

Glaubwürdigkeitsproblem

Ein Politikwechsel wäre zwar in Hessen möglich – nicht jedoch in Niedersachsen. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sitzt dort gemeinsam mit Koalitionspartner FDP fest im Sattel, woran auch der Einzug der Linkspartei in den Landtag nichts ändert. Wulffs Partei bekam 42,5 Prozent – 5,8 Punkte weniger als 2003. Die FDP kam auf 8,2 Prozent (plus 0,1), was zusammen für eine Regierungsmehrheit reicht. Unter dem Strich hat jedoch auch Wulff viele Federn lassen müssen, in absoluten Zahlen büßte er gegenüber 2003 etwa 470000 Wähler ein.

Bemerkenswert ist in Niedersachsen die niedrige Wahlbeteiligung von 56 Prozent, was sicherlich auch zum überraschenden Erfolg der Linkspartei beigetragen hat, die auf 7,1 Prozent kam. Daß die SPD in diesem Bundesland um 3,1 Punkte auf 30,3 Prozent abschmierte, begründete ihr Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner noch am Wahlabend damit, sie habe bei dem Thema soziale Gerechtigkeit ein »Glaubwürdigkeitsproblem«.

SPD-Chef Kurt Beck war vor den Fernsehkameras allerdings schnell bereit, den Zugewinn in Hessen als Beweis dafür zu nehmen, daß seine Partei »den Willen der Menschen zu mehr sozialer Gerechtigkeit« aufgreife. Denkste: Die Forschungsgruppe Wahlen der ARD fand heraus, daß die SPD dort vor allem bei den Angestellten (plus 13 Prozentpunkte) und bei den Selbständigen (plus 12) hinzugewonnen hat – kaum jedoch bei Arbeitern, Rentnern und Arbeitslosen (plus 1). Die Linke wiederum hat ihre Stimmen offenbar vorwiegend im Bereich der prekär Beschäftigten, der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und enttäuschten SPD-Wähler rekrutiert.

[Anmerkung: Der oben wieder gegebene Beitrag zu den Wahlenergebnissen in Niedersachsen und Hessen, stammt von meinem „Junge Welt“-Kollegen Peter Wolter. Er wird hier wiedergegeben, weil er Teil einer gemeinsamen Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 29. Januar 2008 ist. Teil dieser Schwerpunktseite ist auch eine Dokumentation der Wahlergebnisse und mein Interview mit Christel Wegner, neuer Landtagsabgeordneter der Linkspartei in Niedersachsen. Die gesamte Seite können Sie hier auch als PDF-Datei downloaden. Weitere Informationen zu den Wahlergebnissen bietet ein Beitrag meines jW-Kollegen Rainer Balcerowiak – Chaostage in Wiesbaden -, und ein weiteres Interview, das mein jW-Kollege Peter Wolter noch zusätzlich mit dem Spitzenkandidaten der hessischen Linken, Willi van Ooyen, und unter dem Titel »Viele Arbeitslose haben unsere Partei gewählt« ebenfalls für die Ausgabe der „Jungen Welt“ vom 29. Januar 2008 führte.]

Verwendung: Junge Welt vom 29. Januar 2008



29. Januar 2008

Hessen

Partei Prozent 2008 Prozent 2003 Sitze 2008 Sitze 2003
CDU 36,8 48,8 42 56
SPD 36,7 29,1 42 33
FDP 9,4 7,9 11 9
Grüne 7,5 10,1 9 12
Die Linke 5,1 (-) 6 0

(Quelle: Vorläufiges amtliches Endergebnis)

In den hessischen Landtag ziehen für Die Linke sechs Abgeordnete ein: Willi van Ooyen, Marjana Schott, Janine Wissler, Ulrich Wilken, Barbara Cárdenas, Hermann Schaus

Ergebnisse Niedersachsen

Partei Prozent 2008 Prozent 2003 Sitze 2008 Sitze 2003
CDU 42,5 48,3 68 91
SPD 30,3 33,4 48 63
FDP 8,2 8,1 13 15
Grüne 8,0 7,6 12 14
Die Linke 7,1 0,5 11 0

(Quelle: Vorläufiges amtliches Endergebnis.)

In den niedersächsischen Landtag ziehen für Die Linke elf Abgeordnete ein: Kreszentia Flauger, Manfred Sohn, Christa Reichwaldt, Patrick Humke-Focks, Pia Zimmermann, Kurt Herzog, Ursula Weisser-Roelle, Hans-Henning Adler, Christel Wegner, Victor Perli, Marianne König

In diesen Wahlkreisen konnte die Linkspartei besonders markante Resultate erzielen.

Hessen
Kassel-Stadt II 9,3
Frankfurt/M V 8,3
Frankfurt/M II 7,9
Kassel-Stadt I 7,8
Frankfurt/M III 6,9
Marburg-Biedenkopf II 6,6
Offenbach-Stadt 6,6
Frankfurt/M IV 6,4
Frankfurt/M VI 6,4

Niedersachsen
Hannover-Linden 13,3
Oldenburg-Mitte/Süd 11,5
Wilhelmshaven 11,3
Göttingen-Stadt 10,4
Braunschweig-West 10,4
Hannover-Mitte 10,3
Delmenhorst 10,2
Emden-Norden 9,0
Osnabrück-Ost 8,1

[Anmerkung: Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 29. Januar 2008. Teil dieser Seite ist und auch mein Interview mit Christel Wegner, neuer Landtagsabgeordneter der Linkspartei in Niedersachsen, sowie der Beitrag meines jW-Kollegen Peter Wolter Im Westen angekommen. Die gesamte Schwerpunktseite können Sie hier auch als PDF-Datei downloaden. Weitere Informationen zu den Wahlen erhalten Sie in einem Beitrag meines jW-Kollegen Rainer Balcerowiak – Chaostage in Wiesbaden -, und in einem weiteren Interview, das mein jW-Kollege Peter Wolter noch zusätzlich mit dem Spitzenkandidaten der hessischen Linken, Willi van Ooyen, und unter dem Titel »Viele Arbeitslose haben unsere Partei gewählt« ebenfalls für die jW-Ausgabe vom 29. Januar 2008 führte.]

Verwendung: Junge Welt vom 29. Januar 2008



25. Januar 2008

Streikkundgebung vor der Hauptverwaltung von Hennes & Mauritz (H&M) , 24. Januar 2008Hamburg. Etwa 400 Beschäftigte des Bekleidungskonzerns Hennes & Mauritz (H&M) demonstrierten am Donnerstag nachmittag in Hamburg. Zu der zentralen Streikkundgebung der Gewerkschaft ver.di vor der H&M-Zentrale in der Spittaler Straße kamen Beschäftigte aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Berlin. Ver.di hatte die Beschäftigten erst vor wenigen Tagen zu Streikaktionen in dem Unternehmen aufgerufen. Bislang weigert sich der Konzern zu dem Tarifstreit im Einzelhandel Stellung zu nehmen. Die Gewerkschaftssekretärin Malene Volkers forderte H&M auf, diese »Passivhaltung« endlich aufzugeben. Sollte es keine »deutlichen Lohnerhöhungen« geben und stünden die Zuschläge zur Debatte, dann müsse sich die Firma auf eine Vielzahl von Streiks einrichten. Ver.di hatte die Führung der Textilkette zuvor aufgefordert, bis Mitte Februar einen Termin zu nennen, an dem die festgefahrenen Verhandlungen wieder aufgenommen werden. (ag)

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25. Januar 2008

Jochen StayKernkraftgegner in Niedersachsen setzen wenig Hoffnung auf Politiker. Skepsis auch gegenüber Linkspartei. Ein Gespräch mit Jochen Stay

Jochen Stay ist Sprecher der Antiatom-kampagne X-tausendmal quer

Wegen ihrer Energiepolitik hat Wolfgang Clement (SPD) davor gewarnt, am Sonntag in Hessen die SPD zu wählen. Wie sehen Sie das, als jemand, der nicht aus der Atomlobby, sondern aus der Anti-AKW-Bewegung kommt?

Wer am Sonntag sein Kreuz macht, entscheidet nicht darüber, wie sich die Energiepolitik entwickelt. Das entspricht jedenfalls unserer Erfahrung aus den letzten 30 Jahren. Entscheidend bleibt der Druck aus der Gesellschaft, von den außerparlamentarischen Bewegungen.

Ist es nicht erstaunlich, daß die SPD jetzt meint, die Wahlen nur gewinnen zu können, wenn sie einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie fordert?

Zumindest zeigt es, wie die SPD die Stimmung in der Bevölkerung einschätzt. Ob aber Andrea Ypsilanti in Hessen, Wolfgang Jüttner in Nieder­sachsen oder eine neue rot-grüne Bundesregierung den Ausstieg wirklich beschleunigen würden, ist durch Wahlkampfparolen alleine nicht gesichert. Denn es waren ja der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Genossen, die in den Verhandlungen um den sogenannten Atomkonsens bei der Frage der Laufzeiten am stärksten auf die Bremse getreten haben. Deshalb ist unser Vertrauen in die SPD ziemlich begrenzt.

Auch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) versprach im Wahlkampf, daß sich der Anteil des in Niedersachsen aus regenerativen Energiequellen gewonnenen Stroms bis 2020 auf etwa ein Viertel ausweiten wird.

Das ist so, als wenn er sagt: Wählt mich, dann geht morgen die Sonne auf. Denn bis 2020 werden die erneuerbaren Energien viel stärker wachsen. Da ist die Ankündigung von 25 Prozent eher eine Drohung, den Zuwachs bremsen zu wollen. Interessant finde ich, daß auch Wulff in der Frage der Verlängerung der Laufzeiten ins Lavieren gekommen ist. Die CDU merkt, daß sie mit Pro-Atomkraft-Positionen keine Wahlen gewinnen kann.

Umstritten sind in Niedersachsen auch die Atommüllendlager Schacht Konrad, Gorleben und Asse. Von den Landtagsparteien haben da nur die Grünen eine klar ablehnende Position.

Atommüll kann nirgendwo sicher gelagert werden. Das zeigt das Desaster im Salzbergwerk Asse, das abzusaufen droht. So lange die Atomkraftwerke nicht stillgelegt sind, dient jede Endlagersuche nur der Legitimation des Weiterbetriebs. Da sind mir auch die Grünen nicht eindeutig genug. Zwar sagen sie, der Salzstock Gorleben ist geologisch ungeeignet, wollen ihn aber bei der von ihnen geforderten vergleichenden Standortsuche nicht ausklammern. So besteht die Gefahr, daß am Ende doch alles an Gorleben kleben bleibt, alleine schon deshalb, weil bereits 1,4 Milliarden Euro in den Ausbau des Bergwerks geflossen sind.

Die Linke plädiert für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Doch welche Möglichkeiten bestehen – abseits der Laufzeiten -, den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zumindest zu behindern?

Uran ist als Brennstoff steuerlich bevorzugt. Das muß ja nicht so sein. Ebensowenig wie die Steuerprivilegierung der Rückstellungen für die Entsorgung. Andererseits könnten die Versicherungssummen für Unfälle heraufgesetzt werden. Auf landespolitischer Ebene können die Umweltministerien als atomrechtliche Aufsichtsbehörden viel erreichen, wenn sie das Atomgesetz eng auslegen und technische Mängel in den AKW zum Entzug der Betriebsgenehmigung nutzen.

Schön, daß die Linke ein deutliches Anti-AKW-Programm vorgelegt hat. Doch das hatten die Grünen auch, bevor sie regiert haben. Deshalb bleibe ich skeptisch, welche Ergebnisse herauskommen, wenn die Linke in Regierungs- oder Tolerierungsverhandlungen eintritt. Die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin überzeugen jedenfalls nicht.

Wichtig ist, daß wir als Umweltbewegung auf die eigene Kraft vertrauen. Spannend ist, daß es vor dem Hintergrund der Klimadebatte inzwischen nicht nur gegen Atom-, sondern auch gegen Kohlekraftwerke und die Stromkonzerne selbst Proteste gibt. Um den Druck für eine Wende in der Energiepolitik auszubauen, wollen wir stärker auf direkte Konfrontationen setzen. Angedacht sind Blockaden gegen die Wiederinbetriebnahme des AKW Krümmel, Bauplatzbesetzungen bei Kohlekraftwerken und natürlich Aktionen gegen den Castortransport nach Gorleben im Herbst.

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22. Januar 2008

Gewerkschafter in Kompetenzteam berufen. Ver.di-Landeschef auch als Senator für Arbeit im Gespräch

In Hamburg hat SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann am Wochenende sein Kompetenzteam erweitert: Gesine Schwan, Koordinatorin der Bundesregierung für die Zusammenarbeit mit Polen, soll den SPD-Bürgermeisterkandidaten nun in Fragen der Europa-Politik beraten. Für den Wirtschaftsbereich übernimmt SPD-Landes­chef Ingo Egloff und für den Hafen der ehemalige Vorsitzende der Hamburger Hafen- und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA), Peter Dietrich, die Verantwortung. Der eigentliche Clou: Zuständig für Arbeitsmarktpolitik wird ver.di-Landeschef Wolfgang Rose. Für den Fall eines Sieges bei den Bürgerschaftswahlen Ende Februar ist er sogar als ein künftiger Senator für Arbeit im Gespräch.

Am Wochenende kündigte Rose an, daß er die Ein-Euro-Jobs »drastisch zurückfahren« und statt dessen die in der Hansestadt gänzlich abgeschafften Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) wieder einführen werde. Unter tarifvertraglich gesicherten Bedingungen, fügte der Gewerkschafter hinzu. Mit einer »Hamburger Garantieerklärung« will Rose dafür sorgen, daß jeder Schulabgänger einen Ausbildungsplatz und eine berufliche Perspektive erhält.

Wahlpolitisch wird die Nominierung des populären Gewerkschaftsmanns indes vor allem der Linken Schwierigkeiten bereiten. Denn Rose gilt nicht nur als ausgesprochen glaubwürdig, sondern auch als willensstark. So stritt er jahrelang für eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik, gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, gegen Dumpinglöhne und für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Für Linkspartei-Landessprecherin Christiane Schneider ist die Nominierung von Rose ein »deutliches Signal« dafür, daß auch in der Hamburger SPD »die soziale Realität wieder stärker zur Kenntnis genommen wird«, betonte sie am Montag gegenüber junge Welt. Sie sei allerdings »sehr gespannt«, wie Rose »seine Politik gegen die Armut und für mehr Arbeit« innerhalb der eigenen Partei und gegen die dortigen Wirtschaftslobbyisten, durchsetzen wolle, so Schneider.

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19. Januar 2008

Bild vom 17.01.08Hamburger Wahlkampf: CDU- und SPD-Politiker übertreffen sich bei Hetze gegen angeblich verwöhnte Jungkriminelle. Die Linke: Migranten härter bestraft als Deutsche

Noch am vergangenen Wochenende hatte Innensenator Udo Nagel (parteilos) getönt, das Thema Jugendgewalt eigne sich nicht für den Hamburger Wahlkampf. Doch wenige Tage später wird die Leier von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) über kriminelle Jugendliche – natürlich insbesondere diejenigen mit »Migrationshintergrund« – auch an der Elbe Mode. Die hanseatische Besonderheit dabei: Hier hält die SPD nicht dagegen, sondern ist mit den anderen Parteien in einen Wettstreit darüber getreten, wer der härteste der Harten ist. Ist es Nagel? Er unterstützt jetzt Kochs Plan, straffällig gewordene junge Migranten schon bei einer Haftstrafe von einem Jahr abzuschieben. Sie sollten am besten gleich einen Teil ihrer Haft im jeweiligen »Heimatland« verbringen, ließ er am Mittwoch verlauten. Oder ist es Thomas Böwer, jugendpolitischer Sprecher der SPD? Er deckte am Donnerstag via Bild-Zeitung auf, daß einige »problematische Kunden des Jugendamts« in »Luxusinternaten« außerhalb Hamburgs untergebracht sind.

Bild nahm Böwers Rechercheergebnisse dankbar auf: Nachdem sie tagelang – angebliche – Pilotprojekte gegen »Kuschelpädagogik« mit Schlagzeilen wie »Hessen schickt Schläger (16) nach Sibirien« beworben hatte, konnte sie nun mit Böwers Hilfe neuen Zündstoff für das Stammtischmilieu liefern. Der SPD-Mann befindet sich damit in bester Gesellschaft: Sein Genosse, der heutige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, hat sich in seiner Zeit als Hamburger Innensenator ebenfalls als knallharter Law-and-Order-Politiker hervorgetan.

Böwer bedient sich zudem ähnlich fragwürdiger Methoden wie der von ihm heftig kritisierte Pannen- und Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU). Dessen Behörde hatte jahrelang mit falschen Statistiken den Eindruck erweckt, daß in Hamburg nach der Regierungsübernahme durch die CDU 2001 jugendliche Straftäter besonders hart bestraft werden. 2006 wurden demnach 314 Jugendstrafen ohne Bewährung verhängt und nur 78 mit Bewährung. Tatsächlich verurteilten Hamburgs Jugendrichter aber nur 106 Jugendliche zu einer Strafe ohne, hingegen 230 Jugendliche zu einer Strafe mit Bewährung. Daraufhin behauptete Lüdemann zunächst, die Staatsanwälte hätten die Daten falsch eingegeben, und bestritt, davon gewußt zu haben. Am Mittwoch mußte er jedoch zugeben, seit Monaten informiert gewesen zu sein. Nicht nur über die Statistikfehler im Jugend-, sondern auch über weitere im Erwachsenenstrafrecht.

Die SPD hat deshalb im Vorfeld einer für Freitag abend anberaumten Sondersitzung des Rechtsausschusses in der Hamburgischen Bürgerschaft »Senator Lügemanns« Rücktritt gefordert. Dabei legte man ihm auch noch die Flucht eines Häftlings aus dem Untersuchungsgefängnis zu Jahresbeginn zur Last: Er sei eher ein Strafvereitler, denn ein Strafverfolger, heißt es nun von der SPD und den Grünen.

Christiane SchneiderGegen den auch in der Hansestadt aufkommenden Law-and-order-Wahlkampf macht sich nur Die Linke stark. Christiane Schneider, Landessprecherin und Kandidatin ihrer Partei für die Bürgerschaft, erklärte, was Bild mit Unterstützung von Böwer verzapft habe, sei eine widerliche »Neid- und Mißgunstkampagne«. Ein möglichst langes Wegsperren jugendlicher Täter, wie es die CDU fordert, löse keine Probleme, sondern schaffe nur neue, sagte sie am Freitag gegenüber jW. »Außerdem ist es längst verbreitete Praxis, Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien besonders hart zu bestrafen und so ein weiteres Mal zu benachteiligen«, fügte sie hinzu. Hier will Die Linke eine Wende erkämpfen. Für dieses Ziel sucht die Partei Partner und hat deshalb für eine am Dienstag stattfindende Veranstaltung zum Thema auch den Vorsitzenden der Regionalgruppe Nord der Vereinigung der Jugendrichter, den Jugendrichter Achim Katz, den Direktor des Instituts für Kriminologische Sozialforschung an der Uni Hamburg, Sebastian Scheerer, und den Rapper Deniz Türksönmez (genannt Bacapon) als Referenten eingeladen. Bild hat Bacapon erst kürzlich als »Boß« einer der größten Jugendgangs in Hamburg diffamiert.

Diskussion »Gefährliche Jugend? – Jugendkriminalität und Straflust«, am 22. Januar, um 19 Uhr in der Patriotischen Gesellschaft, Trostbrücke 4, Hamburg

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16. Januar 2008

SPD-Spitzenkandidat übernimmt Kernforderungen der Linkspartei. Die weiß nicht recht, wie sie reagieren soll

Hamburgs Sonny-Boy Ole von BeustSechs Wochen vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg hat sich der Ton deutlich verschärft. »Mein Junge, du mußt noch einiges lernen, um Verantwortung zu übernehmen«, kanzelte CDU-Bürgermeister Ole von Beust am Sonntag seinen SPD-Kontrahenten um das Bürgermeisteramt, Michael Naumann, deutlich ab. Der reagierte am Montag prompt und sagte, daß »ein Politiker, der aufhört zu lernen«, ihm leid täte. Doch das »Täuschen und Tricksen« des Amtsinhabers werde er sich mit Sicherheit nicht aneignen.

Ähnlich scharf verlief am Montag eine Debatte zwischen Innensenator Udo Nagel (parteilos) und SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Nagel hatte gefordert, daß »Straftäter mit Migrationshintergrund« künftig besonders erfaßt werden. Neumann konterte, daß es nicht auf die Nationalität, wohl aber darauf ankäme, Straftäter dann auch zu bestrafen. Indirekt nahm er damit Bezug auf eine Affäre in der Justizbehörde, die jahrelang mit falschen Daten den Eindruck vermittelt hatte, daß gerade in Hamburg jugendliche Straftäter besonders streng bestraft würden, obwohl das Gegenteil der Fall ist.

Doch liegt es nur an solchen Pannen, daß die bisher allein regierende CDU in aktuellen Wahlumfragen von 47,2 Prozent im Jahr 2004 nun auf 40 Prozent gefallen ist, sich hingegen der Wähleranteil von SPD und Grünen auf fast 46 Prozent erhöht hat? Der Trend der verschiedenen Umfragen spricht eine andere Sprache. Demnach ist es Naumann tatsächlich gelungen, den Wählerzuspruch für seine eigene, noch vor Monaten gänzlich zerstrittene Partei von 30 auf jetzt 35 Prozentpunkte kontinuierlich auszubauen.

Michael Naumann und Kurt BeckAcht Monate tingelte der Kandidat dafür durch Veranstaltungen, aber auch durch »Suppenküchen«, wie er das selbst nannte. Seine Botschaft war dabei so klar wie von der Partei die Linke geklaut: Er wolle den Wechsel zu »sozialer Gerechtigkeit« einleiten, den die Mehrheit der Hamburger wünsche. Mit besseren Behörden, Gebührenfreiheit in der Bildung, mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn, erhöhten Zuschüssen für das Sozialwesen, mit einem Stopp der Privatisierungen, einem Sozialticket für Erwerbslose, ja selbst durch die Umwandlung aller Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das blieb nicht ohne Auswirkungen. Laut Umfragen sank der Wähleranteil der Linkspartei von zuvor bereits sieben auf jetzt sechs Prozent.

Und auch Noch-Bürgermeister von Beust sieht sich in Zugzwang. Die »Sozis« hätten »nichts dazu gelernt« und glaubten noch immer, daß es eine »wundersame, biblische Geldvermehrung« gebe, wetterte er dieser Tage vor dem CDU-Wirtschaftsrat. Seine bislang zur Schau gestellte Zurückhaltung gab der sichtlich verärgerte Bürgermeister dabei gänzlich auf. Er rechnete statt dessen vor, wie viele Milliarden Euro die Wahlkampfversprechen seines Kontrahenten die Stadt kosten würden. Die Sozialdemokraten versprächen »Freibier« und seien nach den Wahlen die »Zechpreller«, attestierte auch CDU-Landeschef Michael Freytag. Er gab am Montag bekannt, daß seine Partei unter dem Motto »Hamburg, paß auf« 3000 Großwerbeflächen mit einem Schwarz-Weiß-Porträt des Bürgermeisters aufstellen werde. Damit solle dem »Populismus« von Naumann die »Solidität« eines von Beust entgegengestellt werden.

Die Linke - hier bei einer Aktion am 21 Oktober 2006Irritiert zeigt sich indes Die Linke. Kaum jemand hatte dort damit gerechnet, daß ausgerechnet der »Großbürger Naumann« linke Themen im Wahlkampf besetzen könnte. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, offerierte der Vorstand zu Jahresanfang der SPD ein Tolerierungsangebot. Nähme es Naumann mit den linken Forderungen wirklich ernst, dann werde man deren Umsetzung nicht im Wege stehen. Doch das Manöver scheiterte, weil man vergessen hatte, die eigene Basis mitzunehmen. Die setze auf einem Landesparteitag die Tolerierungsbedingungen so hoch an, daß es Naumann nun leicht fällt, das Angebot abzulehnen. Wer die Linke wählt, der behindere den Wechsel im Rathaus, so die aktuelle Botschaft des SPD-Spitzenkandidaten. Wie die Linkspartei aus dieser Situation wieder herauskommen will, soll am Donnerstag auf einem Krisengipfel des Vorstands mit den Bezirksvertretern beraten werden.

www.hier-ist-die-linke-hamburg.de

Bitte lesen Sie zu dem hier behandelten Thema auch ein Interview mit Oskar Lafontaine meines Kollegen Peter Wolter

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15. Januar 2008

Lebensraum für Fische und Vögel in Gefahr: Tausende protestierten zwischen Hamburg und Dresden gegen Vertiefungs- und Begradigungsprojekte des Flusses

Am gesamten Flußlauf der Elbe in Deutschland haben am Sonntag abend rund 15000 Umweltschützer in 35 Orten mit Fackeln gegen die Pläne zur Vertiefung des Gewässers sowie zahlreiche weitere Bauprojekte, wie etwa den Ausbau der Mittel- und Oberelbe, demonstriert. Nach Angaben des Veranstalters, des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), wurden die Proteste von etwa 40 regionalen Umweltinitiativen, Verbänden und Vereinen unterstützt.

Am größten war das Lichtermeer in Dresden, wo sich allein fast 3000 Menschen an der Aktion »Fackeln für die Elbe« beteiligten. Hier demonstrierten die Teilnehmer gegen den Bau der Waldschlößchenbrücke. Dem Protest gegen dieses von der sächsischen Landesregierung geplante Bauvorhaben sei besondere Bedeutung zugekommen, weil damit ein UNESCO-Welterbestatus und ein bedeutsames Erholungsgebiet verlorengehe, erklärte der BUND-Vorsitzende, Professor Dr. Hubert Weiger, am Montag.

Mehrere tausend Teilnehmer verzeichnete der BUND auch bei den Protesten in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Hier stand vor allem die vom Hamburger Senat geplante Elbvertiefung um einen weiteren Meter im Mittelpunkt der Aktionen. Umweltschützer und Anrainer befürchten, daß dadurch die Sturmflutgefahr beträchtlich steigt. Da durch die Maßnahme die Flußgeschwindigkeit zunehme, seien zahlreiche Lebensräume für Fische und Seevögel bedroht. Im Hamburger Hafen verwiesen Redner vor etwa 300 Bürgern darauf, daß die »ökologische Belastungsfähigkeit« der Elbe bereits jetzt erreicht sei.

Proteste gegen überdimensionierte Verkehrsprojekte gab es auch in Torgau und in Dömitz (Kreis Ludwigslust). Während es in Torgau um die Wirkungen einer neuen und in Tschechien geplanten Elbstaustufe sowie um die Einengung und Vertiefung im mittleren und oberen Elblauf ging, zogen etwa 300 Menschen in Dömitz an ihren Fluß, um gegen die dortigen Pläne zum Begradigen eines bislang noch relativ naturbelassenen Elbabschnitts zu protestieren. Das Gebiet würde bisher von zahlreichen Zugvögeln auch als Rast- und Überwinterungsgebiet genutzt, was aber bei dessen Ausbau in Frage gestellt sei. Daß die Flußlandschaft der Elbe bundesweit »zu einem der größten Bioreservate in ganz Deutschland« gehört, betonte am Montag auch der Vorstand des BUND in einer Erklärung. Es sei »aller höchste Zeit, daß die Politiker in Bund und Ländern ihre Ignoranz beenden« und das Feld nicht »nur einigen wenigen Profiteuren der jeweiligen Bauprojekte überlassen«, forderte Ernst Paul Dörfler, Leiter des BUND Elbeprojektes.

Verwendung: Junge Welt vom 15. Januar 2008
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10. Januar 2008

Betrieb Hamburger Justizbehörde jahrelang »Täuschung der Öffentlichkeit«?

In Hamburg hat die Bürgerschaftsfraktion der Grünen Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) am Dienstag abend die »bewußte Täuschung der Öffentlichkeit« vorgeworfen. Lüdemann habe jahrelang behauptet, daß in der Hansestadt seit 2002 immer mehr jugendliche Straftäter zu Haftstrafen verurteilt worden seien, obwohl er wußte, daß diese Zahlen gefälscht sind, erklärte der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Till Steffen, nach einer Sitzung des Innenausschusses in der Bürgerschaft. Bereits vor der Sitzung hatte das Hamburger Abendblatt Anfang der Woche auf den Widerspruch hingewiesen, daß zwar nach Zahlen der Justizbehörde rund 70 Prozent aller seit 2002 verurteilten Jugendlichen, Haftstrafen bekommen hätten, doch gleichzeitig die dafür zuständige Jugendhaftanstalt erhebliche Leerstände aufweise. Im Ausschuß mußte der Senator nun einräumen, daß er selbst seit September 2007 von den falschen Zahlen wußte. Doch in den Jahren zuvor sei der Fehler nicht bemerkt worden, weil viele Staatsanwälte ein 2002 neu eingeführtes Computersystem falsch bedient hätten.

Eine Behauptung, die Steffen anzweifelt. Er verwies auf eine Vielzahl von Anfragen der Oppositionsfraktionen aus den Jahren 2004 und 2005 zu dem Thema. Hintergrund: 2001, also im letzten Jahr eines SPD-Grünen-Senats, wurden 60 Prozent aller jugendlichen Straftäter nur zu Bewährungsstrafen verurteilt. Zudem, so sagt es Steffen, sei der Hamburger Senat auf Grund der verwirrenden Zahlen auch schon im Mai 2007 von dem Kriminologen Bernhard Villmow angeschrieben und auf den Widerspruch zu den Belegungen in den Haftanstalten hingewiesen worden. Auch eine erst im November 2007 durch die Grünen-Fraktion erneut eingereichte Anfrage zu dem Thema, sei ebenfalls falsch beantwortet worden. Die Behörde habe sich auch zu diesem Zeitpunkt noch geweigert, ihr vorhandenes Wissen Preis zu gegeben.

Lüdemann sei verantwortlich für diese Täuschung der Öffentlichkeit, sagt jetzt auch der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. Ihm dränge sich der Verdacht auf, dass die Justizbehörde die falschen Zahlen nur genutzt habe, »damit sich der Senator als Hardliner präsentieren kann«. So wie Steffen fordert nun auch Dressel eine »lückenlose Aufklärung« der Affäre und die offenbar auch schon die Amtszeit des ehemaligen CDU-Innensenator und innenpolitischen Hardliners Roger Kusch betrifft. Am Mittwoch erklärte Steffen schließlich, dass »die CDU mit falschen Zahlen Politik gemacht« hätte. Lüdemann habe dabei versucht, »die für sie peinliche Korrektur dieser Zahlen zu verzögern und über den Wahlzeitpunkt zu retten«. Steffen fordert nun den Rücktritt des Senators.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 10. Januar 2008
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07. Januar 2008

Landesparteitag der Linken in Hamburg verweigerte Vorstand die Gefolgschaft. Hohe Hürden für Unterstützung von SPD und Grünen aufgestellt

Sechs Wochen vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg werden die Debatten um künftige Regierungskoalitionen bunter. Der Landesvorstand der Partei Die Linke hatte sein Farbenspiel allerdings ohne die Basis gemacht und mußte am vergangenen Samstag eine Niederlage einstecken. Auf einem Landesparteitag mußte die Spitze der Linkspartei ein erst drei Tage zuvor gegenüber SPD und Grünen unterbreitetes Tolerierungsangebot zurücknehmen. Von den 100 Delegierten hatten viele von dem Vorstoß erst aus den Medien erfahren und stritten mehrere Stunden über die überraschende Offerte. Eine offene Abstimmungsniederlage konnte das Vorstandsteam um Landessprecher Berno Schuckart, den früheren Regenbogen-Abgeordneten Norbert Hackbusch und die Spitzenkandidatin Dora Heyenn dann nur noch vermeiden, indem es den Tolerierungsantrag weitgehend zurückzog.

Im Parteitagsbeschluß ist die Formulierung von einer denkbaren Tolerierung zwar weiter enthalten, doch die Hürden sind soweit heraufgesetzt, daß es SPD und Grünen leicht fallen wird, das Angebot als rein taktisches Wahlkampfgedöns abzutun. Nur wenn der neue Senat das linke Sofortprogramm erfülle, sei eine – und auch dann »keineswegs unwiderrufliche« – Tolerierung überhaupt denkbar, heißt es in dem Papier. Das eigene Programm sei »nicht verhandelbar« und markiere eine unüberbrückbare Haltelinie. Damit müßten Hamburgs Grüne und Sozialdemokraten alle Privatisierungen stoppen und die vollständige Re-Kommunalisierung der städtischen Kliniken sowie der ehemals staatlichen Pflegeinrichtungen durchsetzen. Auch alle teuren Imageprojekte, wie zum Beispiel der U-Bahn-Bau in die Hafencity, die Hafencity selbst oder die Einrichtung einer Elbphilharmonie müßten sofort gestoppt werden, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Das Vorstandstrio der Linken wollte mit seiner auf Kompromisse mit der SPD orientierten Offerte Grüne und Sozialdemokraten unter Druck setzen, und sich so eigene Möglichkeiten zur Mitwirkung an der Bildung einer neuen Landesregierung offenhalten. Parteiintern wurde dies vor allem taktisch begründet, denn Meinungsumfragen besagen seit Monaten, daß weder SPD und Grüne noch die bisher allein regierende CDU nach den Wahlen eine Mehrheit im Rathaus haben werden. Demnach könnte die Linke mit etwa sieben Prozent das Zünglein an der Waage sein. Für Bürgermeister Ole von Beust (CDU) Grund genug, eine »schwarz-grüne« Koalition in Erwägung zu ziehen. SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann verspricht seinen Wählern derweil fast alles – auch das, was bisher nur die Linkspartei forderte. Da sich diese weigere, Regierungsverantwortung zu übernehmen, so die Logik Naumanns, habe sie es am Ende zu verantworten, wenn die CDU-Regentschaft fortgesetzt werde. Der SPD-Spitzenkandidat ist allerdings sicher, daß seine Partei nach dem 24. Februar regieren wird und macht auch keinen Hehl daraus, was er von der Linken hält: »Am sichersten ist der Wechsel, wenn die verwirrten Sprücheklopfer von der Linkspartei draußen bleiben aus der Bürgerschaft«, so Naumann am Sonntag auf einer Pressekonferenz.

Für den Landessprecher der Linkspartei Schuckart war es daher so etwas wie ein »Befreiungsschlag«, als die Hamburger Medien den »klugen und geschickten« Schachzug eines »ernsthaften« Tolerierungsangebots bejubelten. Grüne und SPD reagierten prompt – ablehnend bis empört. Offenbar nehmen sie es mit ihren Wahlkampfversprechen nicht so genau, frohlockte auch der Bundestagsabgeordnete Norman Paech (Die Linke). Dora Heyenn sprach gegenüber jW von einem unerwarteten Ende »linker Fundamentalopposition«. Sie und Schuckart rechneten mit einer »breiten Mehrheit« auf dem Parteitag.

Dort fand die Begeisterung schnell ein Ende, nämlich als die Delegierte Charlotte Wilkens von »Demokratiedefiziten« sprach. Denn mit heißer Nadel zwischen Weihnachten und Neujahr gestrickt, erreichte der Antrag die Delegierten erst wenige Tage vor dem Parteitag. Da waren jegliche Antragsfristen verstrichen. Das Papier konterkariere die bisher klare Oppositionshaltung der Hamburger Linken, kritisierten etliche Delegierte. »War es nötig, das sowas bereits über die Medien läuft, bevor es die Delegierten erhalten?«, ärgerte sich der Bürgerschaftskandidat Wolfgang Joithe. Er sieht nicht ein, wie »man jemanden tolerieren kann, der wie Naumann zu den Befürwortern von Hartz IV und damit zu den Verantwortlichen für die Armut« gehört. Gestärkt ist Hamburgs Linke damit nicht nach ihrem Landesparteitag. Denn zum innerparteilichen Mißtrauen kommt eine handfeste Glaubwürdigkeitskrise, wofür eine künftige linke Fraktion im Hamburger Rathaus eigentlich steht.

Verwendung: Junge Welt vom 07. Januar 2008
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05. Januar 2008

Feuer und Flamme der RepressionBundesgerichtshof verweist Bundesanwaltschaft in ihre Schranken. Ein Gespräch mit Carsten Gericke

Carsten Gericke ist Rechtsanwalt in Hamburg und Mitglied des Bundesvorstandes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)

Am Freitag hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Razzien im Vorfeld des G-8-Gipfels in Heiligendamm als rechtswidrig bewertet. Damals, im Mai 2007, hatte die Polizei zahlreiche Wohnungen und linke Zentren durchsucht. Wie begründet der BGH seine Entscheidung?

Der BGH hat dem politisch motivierten Versuch, linke Oppositionelle als sogenannte Terroristen zu diffamieren und mit dem Schwert des Strafrechts zu bekämpfen, eine deutliche Absage erteilt. An den bisherigen Verfahren der Bundesanwaltschaft (BAW) läßt der 3. Strafsenat in seinem ausführlich begründeten, 22seitigen Beschluß in dem Beschwerdeverfahren des Beschuldigten Fritz S. nicht ein gutes Haar. Das beginnt schon damit, daß der BGH nun entschieden hat, daß die Generalbundesanwaltschaft für diese Verfahren nicht einmal zuständig war. Allenfalls die Landeskriminalämter in den einzelnen Bundesländern hätten ermitteln dürfen.

Warum das?

Die Entscheidung basiert auf zwei Erwägungen. Zum einen wird jetzt ausgeführt, daß das, was den Beschuldigten vorgeworfen wird, nämlich eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, schon aus Rechtsgründen nicht zutrifft. Die zwölf Aktionen, die die Grundlage des Terrorismusvorwurfs bildeten, waren weder nach der Art ihrer Begehung noch nach ihren Auswirkungen geeignet, die Bundesrepublik erheblich zu schädigen. Eine Gefährdung von Menschen war erklärtermaßen ausgeschlossen und eine nennenswerte Behinderung des Staates nicht zu erwarten. Ganz ähnlich war ja auch schon die Einschätzung des BGH zum sogenannten mg-Verfahren (mg: militante gruppe, d. Red). Auch hier wurde der Anwendungsbereich des Strafrechtsparagraphen 129a restriktiv ausgelegt und seinerzeit entschieden, daß die mg keine terroristische Vereinigung ist. Die zweite Erwägung besteht darin, daß der BGH bezweifelt, daß überhaupt eine »Vereinigung« im Sinne der Paragraphen 129, 129a vorgelegen hat.

Also auch keine »kriminelle Vereinigung«?

Nein, auch das wird »nachhaltig bezweifelt«. Nach Auffassung des BGH ist nicht einmal belegt, daß die zwölf Aktionen von einer einzigen Organisation durchgeführt worden sind. Er verweist damit die Begründungen der BAW ins Reich der Mutmaßungen und Spekulationen. Damit wird aber diesem ganzen Konstrukt, das die Bundesanwaltschaft und auch der Verfassungsschutz zur Bekämpfung von G-8-Gegnern ersonnen haben, vollständig der Boden entzogen. Zur Abrundung seiner Argumentation weist der BGH schließlich darauf hin, daß die Zuständigkeit der BAW auch nicht aus der »besonderen Bedeutung des Sache« begründet werden kann. Alles in allem eine schallende Ohrfeige für die Karlsruher Ermittler.

Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für weitere Beschuldigte?

Sie hat für alle die gleiche Bedeutung: Die Durchsuchungsbeschlüsse, die zu den Hausdurchsuchungen am 9. Mai 2007 geführt hatten, wurden aufgehoben. Sie sind ebenso rechtswidrig wie die umfangreichen Beschlagnahmen von Computern, persönlichen Gegenständen etc. Die Sachen müssen unverzüglich herausgegeben werden. Als weitere zwingende Konsequenz der BGH-Entscheidung sind die Ermittlungen gegen alle 18 Beschuldigten umgehend einzustellen.

Wie bewerten Sie das unter politischen Gesichtspunkten?

Es ist wiederum deutlich geworden, daß die Bundesanwaltschaft und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz diesen Strafrechtsparagraphen 129a nur dafür instrumentalisieren, um linke Oppositionsbewegungen auszuspionieren. Wir wissen aus einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft, daß seit dem 9. Mai 2007 ca. 250 Aktenordner angelegt worden sind. Das ist eine unglaubliche Datenmenge. Doch mit der Entscheidung des BGH ist der Versuch kläglich gescheitert, Gegner des G-8-Gipfels einzuschüchtern und zu diffamieren. Auch die Postdurchsuchungen und der in Hamburg gegen einen der Beschuldigten durchgeführte »große Lauschangriff« sind rechtswidrig.

Wäre es da nicht konsequent, diesen Strafrechtsparagraphen gleich ganz zu streichen?

Das wäre eine vernünftige Konsequenz, denn rechtlich gesehen ist der 129a nichts anderes als ein Fremdkörper in unserem Strafrecht. Er dient nur dazu, Oppositionelle auszuspionieren.

Verwendung: Junge Welt vom 05. Januar 2008
Verwendung zudem: Lokalberichte Hamburg, Printausgabe Nr. 1/2008, Seite 2 und 3, vom 10. Januar 2008
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05. Januar 2008

Dora HeyennDie Hamburger Linkspartei berät darüber, ob nach der Bürgerschaftswahl eine SPD/Grünen-Koalition toleriert wird. Ein Gespräch mit Dora Heyenn

Dora Heyenn ist Spitzenkandidatin der Partei Die Linke für die Hamburger Bürgerschaftswahlen am 24. Februar

Vor dem heute stattfindenden Landesparteitag hat Ihre Partei überraschend angeboten, nach der Bürgerschaftswahl im Februar einen eventuellen SPD-Grünen-Minderheitssenat zu tolerieren. Bisher verstand sich die Hamburger Linkspartei als Oppositionskraft. Warum dieser Kurswechsel?

Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, daß wir der SPD und den Grünen irgend etwas anbieten. Wir haben immer die Auffassung vertreten, daß aus der Opposition heraus Politik gestaltet werden kann. Neu ist, daß sich die anderen Parteien bereits mit unseren Themen auseinandersetzen, bevor Die Linke überhaupt in die Hamburgische Bürgerschaft einzieht. Wir sind die einzige Partei, die ein Sozialticket festgeschrieben hat. Doch jetzt macht sogar die CDU Vorschläge in diese Richtung, wenn auch sehr unzureichend. Grüne und SPD vertreten unsere Positionen. Ähnlich ist es bei den Themen Privatisierung und Mindestlohn. Nachdem alle drei Bürgerschaftsparteien Privatisierungen eingeleitet haben, geben SPD und Grüne jetzt kleinlaut zu, daß das falsch war. Viermal haben SPD-Abgeordnete im Bundestag unsere Anträge zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abgelehnt – einmal sogar ihren eigenen Text. Jetzt sammeln sie dafür Unterschriften.

Trotzdem war in Ihrer Partei bisher nur von punktuellen »Zweckbündnissen« die Rede. Nun heißt es, daß über die Unterstützung eines Minderheitssenats erst nach den Wahlen in einer Urabstimmung entschieden werden soll.

Ich habe schon im September gesagt, daß die Frage von Tolerierungen oder gar Koalitionen nicht prinzipiell, sondern nur inhaltlich beantwortet werden kann. Deshalb sehe ich diesen Widerspruch nicht. Daß die Entscheidung darüber dann in einer Urabstimmung bestätigt werden muß, halte ich auch deshalb für richtig, weil bei einer so wichtigen Frage die gesamte Partei mitgenommen werden muß.

Was müßte ein SPD-Bürgermeisterkandidat versprechen, damit ihn Die Linke unterstützt?

Im Leitantrag für unseren Parteitag wird darauf verwiesen, daß ein Richtungswechsel in der Hamburger Politik eingeleitet werden muß. Unsere Bedingungen sind im Sofortprogramm dargelegt. Er müßte z.B. zusichern, alle Ein-Euro-Jobs sofort abzuschaffen und durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen. Wenn wir das hinbekämen, würden sich die Lebensbedingungen für über 10 000 Menschen radikal verbessern. Außerdem müßte die Gebührenfreiheit in der Bildung garantiert werden, z.B. die Abschaffung der Studiengebühren. Die Verhinderung des Baus eines Kohlekraftwerks wäre ein weiterer Punkt. Mit Klimaschutz muß endlich Ernst gemacht werden.

Die Abschaffung der Ein-Euro-Jobs und gebührenfreie Bildung hat SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann bereits versprochen. Verkauft sich die Linke nicht zu billig?

Wir kaufen und verkaufen gar nichts. Wir wollen, daß unsere Forderungen praktische Politik werden. Denn wenn in bestimmten Bereichen die Politik in Hamburg wirklich verändert werden könnte, wäre das für die Betroffenen von erheblicher Bedeutung. Ich will aber nicht verheimlichen, daß ich erhebliche Zweifel habe, ob SPD und Grüne auch nach den Wahlen dazu bereit wären, unsere Forderungen zu unterstützen.

Die regierende CDU übernimmt derweil die in Hessen inszenierte Law-and-order-Kampagne. In einer Erklärung der Innenbehörde ist von der Einrichtung sogenannter Erziehungscamps die Rede. Wie reagiert Die Linke?

Mit dieser Kampagne – die immer dann auftritt, wenn Roland Koch Schwierigkeiten hat, die Wahl in Hessen zu gewinnen – geht jede Differenzierung und jede Rationalität verloren. Das Wegsperren von Jugendlichen löst kein Problem. Die gegenwärtige Situation zeigt doch, daß die auftretenden Probleme der Jugendkriminalität auch etwas mit der schlechten Situation unseres Bildungssystems und mit Benachteiligungen zu tun haben. Die beste Prävention besteht in einer radikal veränderten Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Jeder, der die Schule verläßt, muß eine Lehrstelle erhalten. Dafür muß eine Ausbildungsplatzumlage her.

Verwendung: Junge Welt vom 05. Januar 2008
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17. Dezember 2007

Feuer und Flamme der RepressionMassive Behinderung der Demo gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat in Hamburg. Kundgebungsverbot in der City mit kreativen Aktionen unterlaufen

Rund 4000 Menschen haben am Samstag in Hamburg gegen den Strafrechtsparagraphen 129a (Bildung bzw. Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung«), für die Einstellung aller Verfahren, gegen »Sicherheitswahn und Überwachungsstaat« demonstriert. Sie trafen auf etwa 2500 Polizisten, die Innensenator Udo Nagel (parteilos) aus ganz Norddeutschland sowie aus Berlin und von der Bundespolizei angefordert hatte. Trotz der Zusage der Demonstrationsleitung, die vom Oberverwaltungsgericht erst am Abend zuvor festgelegte Route zu akzeptieren, bildeten die Beamten ein dichtes Spalier, aus dem heraus sie die Demonstranten immer wieder mit Schlagstöcken traktierten. Die Demoleitung löste die Veranstaltung daher am Millerntor im Stadtteil St. Pauli nach etwa einem Drittel der genehmigten Wegstrecke selbst auf. Veranstaltungsleiter Bela Rogalla (Die Linke) sprach von einem »gezielten Angriff auf die kollektive Meinungsfreiheit«.

Eine Rednerin kündigte jedoch an, man müsse die Öffentlichkeit nun auf andere Weise erreichen. Und tatsächlich zogen daraufhin viele Demonstranten in größeren und kleineren Gruppen über die Reeperbahn und durch die City.

So kreativ, wie sie endete, hatte die Versammlung auch begonnen: Verkleidet als »Unschuldsengel« oder Weihnachtsmann, war am Mittag vor dem linken Zentrum »Rote Flora« zunächst »Tanzen statt Wanzen« angesagt. Unter dem Motto »Feuer und Flamme der Repression« setzte sich der Demonstrationszug gegen 14.30 Uhr in Bewegung. Doch schon zwölf Minuten später stellte sich den Teilnehmern ein dichtes Spalier behelmter und bewaffneter Polizisten entgegen. Es hieß, einige der Seitentransparente wären zu lang und würden den Auflagen nicht entsprechen. Kurz darauf monierten die Beamten, einige Personen würden das Vermummungsverbot nicht beachten. Zudem wurde das Fortkommen durch »Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten« massiv behindert.

Besser hatten es da nur jene 300 Aktivisten, die bereits zu Beginn der Veranstaltung und im Rahmen des neuen Aktionskonzepts »out of control« Protestinszenierungen auf Gehwegen und Plätzen vorbereitet hatten. Sie wollten damit die »nur scheinbare Allmacht polizeilicher Überwachung« auch optisch ad absurdum führen. Vereinzelt gelang es den Gruppen, bis in die City vorzustoßen. Und nach Auflösung der großen Demo drangen noch einmal rund 1000 Aktivisten bis zur Mönckebergstraße, Hamburgs größter Einkaufsmeile, vor. Hunderte weitere protestierten zeitgleich auf Jungfernstieg und Reeperbahn.

Im dichten Gewühl der Weihnachtsmärkte funktionierte das aus dem Märchen »Hase und Igel« bekannte Konzept hervorragend. Die Ordnungshüter hatten es erkennbar schwer, zwischen Normal- und Protestbürgern zu entscheiden. Wo es den zunehmend frustrierten Polizisten dann doch noch gelang, einzelne Protestierer zu umzingeln, kamen Hunderte weitere um die nächste Ecke. Lautstark riefen sie über Stunden Slogans wie »Wir alle sind 129a« oder »Nein zum Überwachungsstaat«. Bis tief in die Nacht dauerten die Proteste auch im Schanzenviertel.

Senator Nagel ist also mit seinem Vorhaben, jeglichen Antirepressionsprotest aus der Innenstadt fernzuhalten, grandios gescheitert. Eine Niederlage, die sich schon am Vorabend andeutete, als das Oberverwaltungsgericht zwar das City-Verbot bestätigte, zugleich aber den Valentinskamp und die Dammtorstraße freigab – Straßenzüge, die zumindest in die Nähe der Innenstadt führen. Mit Provokationen von seiten seiner Beamten wollte man offenbar einen Grund finden, die Demo auseinanderzujagen oder ihre Teilnehmer zu zermürben. Demoanmelder Andreas Blechschmidt nannte das Vorgehen der Polizei einen politischen Skandal. Er kündigte eine Klage gegen die Innenbehörde an. Insgesamt wurden während der Proteste 25 Personen fest- und 111 in Gewahrsam genommen.

Verwendung: Junge Welt vom 17. Dezember 2007
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17. Dezember 2007

Manfred SohnTrotz gegenteiliger Umfragen rechnet Niedersachsens Linkspartei mit Einzug in den Landtag. Ein Gespräch mit Manfred Sohn

* Manfred Sohn ist Vorstandsmitglied im niedersächsischen Landesverband der Partei Die Linke. Zur Landtagswahl am 27. Januar kandidiert er auf Platz zwei der Landesliste

Für die Landtagswahl am 27. Januar sehen Umfragen die schwarz-gelbe Koalition unter Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) fest im Sattel, die Partei Die Linke hingegen bei nur bei vier Prozent. Bleibt in Niedersachsen alles beim alten?

Vier Prozent, das entspricht den Umfragewerten, die wir auch 2005 vor den Bundestagswahlen und dieses Jahr vor den Bremer Wahlen hatten. Tatsächlich wurden es jeweils über acht Prozent. Es spricht sich außerdem herum, daß es eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Landtag nur geben wird, wenn auch »Die Linke« ins Parlament einzieht. Ich bin mir deshalb sicher, daß wir die Fünf-Prozent-Hürde knacken werden.

Wie kommt es, daß Wulff auch unter Beschäftigten so beliebt ist?

Ich halte das für eine mediale Überbewertung. Wulff hat schon 2006 verdeutlicht, daß er die Lohnkosten senken will. Es ist offensichtlich, daß seine jetzt zur Schau gestellte Sympathie mit einigen Gewerkschaftsforderungen Wahlkampfgetöse ist und mit der Politik seiner Landesregierung nichts zu tun hat. Deutlich wird dies an den Landeskrankenhäusern, bei denen die CDU sich brüstet, europaweit eine der größten Privatisierungswellen eingeleitet zu haben. Deutlich wird es auch in der Bildungspolitik. Hier gab es ja schon zarte Ansätze in Richtung einer integrierten Gesamtschule. Die hat Wulffs Regierung rückgängig gemacht.

Mit welchem Profil tritt Ihre Partei an?

Mit drei Schwerpunkten: Die Armut wollen wir mit einem gesetzlichen Mindestlohn bekämpfen –Niedersachsen könnte dafür eine Bundesratsinitiative entwickeln und das Landesvergabegesetz ändern. Öffentliche Aufträge sollen nur noch an Firmen vergeben werden, die mindestens acht Euro Stundenlohn zahlen. Wir fordern zweitens gebührenfreie Bildung für alle. Das zielt auf die Schulen, aber vor allem auf die Universitäten, wo wir Studiengebühren von 500 Euro pro Semester haben. Wir wollen drittens Privatisierungen stoppen und – wo es geht – wieder rückgängig machen. Für VW müssen die Anteile des Landes so weit aufgestockt werden, daß Sperrminoritäten erhalten bleiben.

Mit Ihrem Wahlprogramm schließen Sie nicht aus, einen SPD-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu unterstützen. Das soll erst am 29. Januar auf einem »großen Ratschlag« geklärt werden. Warum treten Sie nicht als klare Opposition an?

Wir sind alle Realpolitiker und wissen deshalb, daß sich das geschilderte Problem nicht stellen wird. Auch die SPD betreibt eine neoliberale Politik, und die werden wir nicht unterstützen. Doch andererseits wollten wir es dem SPD-Spitzenkandidaten Wolfgang Jüttner auch nicht so einfach machen, überall sagen zu können, daß sich »Die Linke« vor der Verantwortung drückt. Wenn die SPD wirklich bereit wäre, zentrale Forderungen unseres Wahlprogramms aufzunehmen, würden wir nicht nein sagen. Das aber ist völlig unwahrscheinlich. Deshalb werden wir im Landtag eine starke, linke Opposition sein.

Warum dann dieser Ratschlag?

So einen Ratschlag haben wir auch schon bei der Ausarbeitung unseres Wahlprogramms durchgeführt. Es entspricht unserem Politikverständnis, daß wir wichtige Fragen mit Vertretern außerparlamentarischer Bewegungen, mit Gewerkschaftern und Betriebsräten, auch mit Erwerbslosenvertretern gemeinsam diskutieren.

Die niedersächsische Linkspartei hat 2700 Mitglieder. Wie wollen Sie bei der Größe des Landes einen wirkungsvollen Wahlkampf machen?

Mit 47000 Quadratkilometern ist Niedersachsen doppelt so groß wie Hessen. Diese Wahlen sind die bisher größte Herausforderung für unsere Partei im Westen. Wenn wir hier den Einzug ins Parlament schaffen, dann schaffen wir es überall. Ich bin auch deshalb optimistisch, weil wir im Wahlkampf von vielen Parteilosen und anderen Gruppen unterstützt werden.

Spiegelt sich das auf der Kandidatenliste wieder?

Ja, schon im vorderen Teil unserer Liste kandidieren Gewerkschafter, Betriebsräte, Vertreter aus Bewegungen. Darunter – auf Platz 9 – eine Vertreterin der DKP.

Verwendung: Junge Welt vom 17. Dezember 2007
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15. Dezember 2007

Polizei kündigt Großeinsatz gegen Antirepressionsdemo in Hamburg an. Verbot für City zum Teil aufgehoben

In Hamburg hat die Innenbehörde angekündigt, daß während der am heutigen Sonnabend stattfindenden Demonstration gegen staatliche Repression mehrere tausend Polizeibeamte eingesetzt werden. Begründet wird dies mit einer »Gefahrenprognose«, die Krawalle und »Störungen der öffentlichen Ordnung« voraussagt. Vor allem das Demokonzept »Out of Control« ist der Behörde nicht geheuer. Wie berichtet, wollen sich die Teilnehmer dadurch einem möglichen »Wanderkessel« entziehen und ihren politischen Protest auch außerhalb der eigentlichen Demonstration zum Ausdruck bringen.

Innensenator Udo Nagel (Parteilos) will neben den Einheiten der Bereitschaftspolizei auch spezielle »Festnahme- und Alarmhundertschaften« einsetzen. Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« und der linke Bundestagsabgeordnete Norman Paech kündigten derweil an, die Polizeieinsätze zu beobachten und mögliche Übergriffe zu dokumentieren. Keine Einigung gab es bisher zur Demoroute. Während die Veranstalter darauf bestehen, nicht nur durch menschenleere Straßenzüge geführt zu werden, hatte die Versammlungsbehörde ein vollständiges City-Verbot ausgesprochen.

Das Verwaltungsgericht bestätigte am Freitag, daß es bei einem Marsch über den Jungfernstieg und über die Mönckebergstraße, zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen könne, beschloß aber den Valentinskamp und die Dammtorstraße freizugeben. Diese Straßenzüge führen zumindest in die Nähe der Innenstadt. Die Innenbehörde hat angekündigt, die Entscheidung anzufechten.

Samstag, 13 Uhr, Rote Flora, Achidi-John-Platz: Demo gegen Repression und Überwachungsstaat

Verwendung: Junge Welt vom 15. Dezember 2007
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13. Dezember 2007

Die Bremer Linksfraktion rauft sich allmählich zusammen. Aber der Gründungsproporz zwischen WASG und PDS macht ihr noch zu schaffen

StadtmusikantenDer Jubel war groß, als die Linkspartei im Mai mit 8,4 Prozent in die Bremische Bürgerschaft und damit erstmals in ein westdeutsches Landesparlament einzog. Noch am Wahlabend sprach Oskar Lafontaine von einem »Vorbildprojekt« für die Anfang 2008 stattfindenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg. Doch wer jetzt mit »Die Linke Bremen« durch das Internet googelt, der erfährt eher Abschreckendes: Längst habe sich die siebenköpfige Fraktion durch »interne Machtkämpfe« zerfressen, heißt es vor allem in der taz. Auch von »Heckenschützentum« und einer frustrierten Basis ist dort die Rede. So häufig, daß schließlich auch die niedersächsische Nord-West-Zeitung und das Neue Deutschland die Thesen der taz übernahmen.

Die aber »entbehren jeglicher Grundlage und sind schlecht recherchiert«, sagen die Co-Vorsitzenden der Linken-Bürgerschaftsfraktion, Peter Erlanson und Monique Troedel, im Gespräch mit junge Welt. Deutlicher wird Antoni Brinkmann. Die Landesschatzmeisterin spricht von einer »hinterhältigen« Kampagne, die nur dazu diene, die Wahlergebnisse in Hamburg und Niedersachsen zu beeinflussen. Daß die Arbeit der linken Fraktion »ausgezeichnet« verlaufe, betont auch der Landessprecher der Linken, der Bundestagsabgeordnete Axel Troost. »Ohne die Arbeit unserer Fraktion würden die Deputationen und Ausschüsse der Bürgerschaft noch immer unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen, gäbe es keine Senkung der Zahl der Zwangsumzüge, keine Initiativen gegen die Teilprivatisierung der städtischen Kliniken, keine Initiativen für ein neues Sozialticket«, sagt Troost. Schwächen gebe es auch – bei der Besetzung der Mitarbeiterstellen etwa sei nur der Proporz der Quellparteien, nicht aber die Sachkenntnis zur Geltung gekommen.

Exakt dies ist das Problem, mit dem sich die Weser-Linken schon seit Wochen herumschlagen. Fast jeden Tag liefert es der taz neue Munition für neue Gerüchte. Vorrangig geht es um das Schicksal des Ex-PDSlers Christoph Spehr und des Ex-WASGlers Manfred Steglich. Im Gründungsproporz hatten diese im Juni jeweils eine Hälfte der Fraktionsgeschäftsführerstelle übernommen. Doch das führte zu Konflikten, so daß die Fraktion die Stelle neu besetzte. Für die taz ist das allerdings ein gefundenes Fressen. Wenn sich schon die »Pioniere« der westdeutschen Linken in »Ränkespielen und Machtkämpfen« verlören, dann sei diese Partei für die Wahlen in Niedersachsen und in Hamburg »keine gute Empfehlung«, heißt es in einem am Montag für die norddeutsche Lokalausgabe veröffentlichten Kommentar. Daß Spehr nun als wissenschaftlicher Mitarbeiter sogar auf eine Vollzeitstelle wechselt, verschweigt das Blatt jedoch.

Umso genüßlicher werden hingegen die Einzelheiten der Kündigung von Steglich ausgebreitet. Er mußte gehen, weil die Vertrauensgrundlage zwischen ihm und der Fraktion zerbrochen war. Von einem »persönlichen Fehlverhalten gegenüber Vorgesetzten« war in offiziellen Fraktionsstatements die Rede. »Durch diese Formulierung wollten wir die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten schützen«, sagt Troedel. Doch unbarmherzig schlug die taz erneut zu, indem sie die fraktionsintern diskutierten Gründe öffentlich machte. Demnach habe Steglich eine Abgeordnete mehrfach belästigt. Die sonst dem Feminismus zugewandte taz machte daraus ein harmloses »Anbaggern«, das genutzt werde, um einen unbequemen Mitarbeiter loszuwerden. Die 27jährige Bürgerschaftsabgeordnete Sirvan-Latifah Çakici fordert nun ein Zurück zur Politik und will die Kampagne »gegen die Armut in Bremen« und für ein Sozialticket forcieren. Dann, so sagt sie, gebe es kaum noch die Chance, die Bremer Linke mit Dreck zu bewerfen.

[Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 13. Dezember 2007. Lesen Sie deshalb auch die beiden anderen Artikel dieser Seite: Die Linke in Bremen und »Die Arbeit unserer Fraktion ist gar nicht so schlecht«. Die gesamte und gestaltete Zeitungsseite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt
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13. Dezember 2007

Peter ErlansonDie Linke in der Bremischen Bürgerschaft arbeitet sich nach anfänglichen Fehlern in die Parlamentsarbeit ein. Ein Gespräch mit Peter Erlanson

Peter Erlanson ist Vorsitzender der Fraktion »Die Linke« in der Bremischen Bürgerschaft

Ihre Fraktion sorgt gegenwärtig vor allem für Negativschlagzeilen. Vor allem in der taz ist von Machtkämpfen und davon die Rede, daß Ihre Fraktion bereits zerrissen und damit paralysiert sei. Stimmt das?

Wo gearbeitet wird, da werden Fehler gemacht. Das will ich für die Bremer Linke und auch für unsere Fraktion keineswegs abstreiten. Doch das, was jetzt an Vorwürfen kommt, ist so an den Haaren herbeigezogen, daß es mit der Realität kaum noch etwas zu tun hat. Sind wir etwa paralysiert, wenn wir zum Beispiel am Donnerstag eine große Solidaritätsveranstaltung mit Beschäftigten aller städtischen Kliniken gegen die Teilprivatisierung der Krankenhäuser machen? Sind wir zerrissen, wenn wir das Thema vorher schon in die Bürgerschaft gebracht haben? Ähnlich läuft es in anderen Fragen, die wir als linke Fraktion bereits in den ersten sechs Monaten unserer Repräsentanz in dieser Bürgerschaft bearbeitet oder angestoßen haben. Zum Beispiel die Schulbeihilfen und das Sozialticket für Bezieher von Arbeitslosengeld II, das wir fordern. Stolz bin ich darauf, daß unter unserem Druck die Zahl der Zwangsumzüge für Hartz-IV-Empfänger deutlich reduziert werden mußte. Ohne unsere Fraktion hätte es bis heute keine Öffentlichkeit bei den Ausschuß- und Deputationssitzungen gegeben. Gerade für Initiativen ist das von besonderer Bedeutung! Die Fraktionsarbeit läuft also gar nicht so schlecht.

Doch warum dann diese Medienschelte?

Die taz hat uns vorgeworfen, wir seien mit dem Versprechen angetreten, alles anders oder besser zu machen. Dieses Versprechen hätten wir nicht eingelöst. Wir streiten für eine andere Politik – aber, daß wir die besseren Menschen sind, die keine Fehler machen, haben wir nie gesagt. Wir befinden uns in einem Lernprozeß. Jede und jeder einzelne Abgeordnete, die gesamte Fraktion. Daß uns die taz als kritische Zeitung diesen Prozeß nicht zubilligt, finde ich schade. Sie sieht ihre Aufgabe offenbar nur darin, auf uns einzuhauen.

Wie erklären Sie sich das?

Wenn es um Konflikte geht, bei denen auch Emotionen und menschliche Zerwürfnisse auftreten, dann besteht bei Journalisten oft ein besonderes Interesse. Vielleicht gilt das für kleinere Zeitungen in besonderer Weise. Also mal den Bohrer herauszuholen und zu zeigen: Seht her, wenn wir wollen, dann können wir das und das mit euch machen. Richtig nachvollziehen kann ich einen solchen Ehrgeiz nicht.

Wie ging es Ihnen, als Sie am Freitag letzter Woche die von der taz erhobenen Vorwürfe auch im Neuen Deutschland (ND) nachlesen konnten?

Das ND will keine Parteizeitung sein, sondern versteht sich als Blatt, das dem kritischen Journalismus verpflichtet ist. Das nehme ich ernst und das respektiere ich auch. Doch bei allem Respekt: Was da jetzt abgeliefert wurde, das hat mit kritischem Journalismus nichts zu tun. Das war üble Nachrede. Ich frage mich, warum tun die das? Nicht nur wir sind ja die Geschädigten, sondern auch die Wahlkämpfer in Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Oder sollte die Botschaft sein, daß die Westlinke einfach zu blöde ist, um kluge Parlamentsarbeit zu betreiben?

Hat nicht auch Ihre Fraktion Fehler gemacht?

Etliche! Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Doch andererseits ärgert es mich schon, wenn jetzt einige so tun, als hätten sie den Stein der Weisen bereits gefunden – also, wie man linke Oppositionspolitik in einem westdeutschen Landesparlament optimal betreibt. Wir wollten in dieses Parlament, um dort Sprachrohr für die außerparlamentarischen Bewegungen und für die Interessen unserer Wähler zu sein. Doch wir sind allesamt keine Berufspolitiker. Wir kommen aus Initiativen, aus Gewerkschaften und Betriebsräten. Das aber bedeutet, daß wir das eine oder andere auch noch lernen müssen. In Bremen führen wir regelmäßige Plenumsveranstaltungen durch. Dort kann jeder einzelne, auch wenn er nicht zur Linken gehört, durchaus auf die Inhalte unserer Parlamentsarbeit Einfluß nehmen.

Wie wollen Sie die Öffentlichkeitsarbeit Ihrer Fraktion verbessern?

Zugespitzt gesagt, gibt es auf dem Bremer Zeitungsmarkt die taz und den Weser-Kurier. Darüber verstärkt nachzudenken, wie wir unsere Wähler vielleicht auch direkt erreichen können, wäre deshalb eine lohnenswerte Aufgabe.

[Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 13. Dezember 2007. Lesen Sie deshalb auch die anderen beiden Artikel dieser Seite: Die Linke in Bremen und Kleine Schwächen. Die gesamte und gestaltete Zeitungsseite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt vom 13. Dezember 2007
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13. Dezember 2007

Bremer LINKE bei DemoDer Bremer Landesverband der Partei Die Linke wurde zwar erst am 13. Oktober 2007 offiziell gegründet. Aber schon ein halbes Jahr zuvor war die neue Partei sowohl in der Bürgerschaft als auch im Stadtparlament von Bremerhaven vertreten: Bei den Wahlen am 13. Mai erzielten die gemeinsamen Kandidatenlisten von Linkspartei.PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) einen seinerzeit als »triumphal« empfundenen Wahlerfolg. Mit einem Anteil von 8,4 Prozent der Wählerstimmen stellt die Linke jetzt sieben Abgeordnete in der Bürgerschaft. Mit einem Stimmanteil von 6,1 Prozent entsendet sie außerdem drei Abgeordnete ins Stadtparlament von Bremerhaven.

Im Aktionsprogramm des Landesverbandes sind die Schwerpunkte des parlamentarischen und außerparlamentarischen Handelns benannt: Kampf gegen Ein-Euro-Jobs und Zwangsumzüge für Bezieher des Arbeitslosengeldes II; Ausbau des öffentlichen Dienstes; keine weiteren Privatisierungen; Vervollständigung des Angebots an Kindertagesstätten; Überwindung des »Drei-Klassen-Schulsystems«.

In Bremerhaven wurde der Linken unmittelbar nach der Wahl durch die Mehrheitsfraktionen der Fraktionsstatus aberkannt (sie setzten in der Geschäftsordnung die dafür erforderliche Anzahl von Abgeordneten von drei auf vier hoch. Dort bemüht sich die Partei außerdem um Initiativen zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit. In Bremen spielt hingegen die Auseinandersetzung um die vom Senat betriebene Teilprivatisierung der städtischen Kliniken eine besondere Rolle.

Aufgefallen ist der kleine Landesverband (er zählt in seinen vier Kreisverbänden etwa 450 Mitglieder) zudem dadurch, daß er sich schon frühzeitig und als erste Gliederung der Linkspartei mit dem GDL-Streik der Lokomotivführer solidarisch erklärt hatte.

Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung „Junge Wel“ vom 13.12.07. Lesen Sie deshalb auch die beiden weiteren Beiträge auf dieser Seite: Kleine Schwächen und »Die Arbeit unserer Fraktion ist gar nicht so schlecht«. Die gesamte und gestaltete Zeitungsseite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.

Verwendung: Junge Welt vom 13. Dezember 2007



13. Dezember 2007

Repressionsgegner mobilisieren nach Hamburg. Polizei reagiert mit Cityverbot

Die Hamburger Innenstadt wird am Samstag voraussichtlich zum Sperrgebiet. Zumindest gegen rund 5000 aus dem ganzen Bundesgebiet erwartete Demonstranten, die gegen die zunehmende staatliche Repression protestieren wollen, soll sie abgeschottet sein. Geht es nach dem Willen der Hamburger Innenbehörde, dann dürfen die Kundgebungsteilnehmer ausschließlich durch fast menschenleere Straßen ziehen. Der Jungfernstieg und Hamburgs zentrale Einkaufsmeile, die Mönckebergstraße, sind tabu. Diese bleibe den Weihnachtsmännern und -märkten überlassen, bestätigte am Mittwoch auch Polizeisprecher Ralf Meyer. Das linke Veranstaltungsbündnis wird sich das nicht bieten lassen, so Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt am Dienstag nachmittag auf einer Pressekonferenz in der Roten Flora. Auch er selbst habe keine Lust, in einem »Wanderkessel mit dreifachem Polizeispalier« durch öde Viertel geführt zu werden. Deshalb werde gegen das Cityverbot juristisch – notfalls hinauf bis zum Bundesverfassungsgericht – vorgegangen.

Für die Antirepressionsdemo wird seit Wochen mobilisiert. Das überregionale Interesse übersteige die Erwartungen bei weitem, so die Veranstalter. Die Demo könne zu einer der größten Veranstaltungen des linksradikalen Spektrums seit vielen Jahren werden. Dies sei auch notwendig, denn die Bewegung könne ihre politische Stärke erst wieder entwickeln, wenn es gelingt, die zunehmende Repression politisch zu beantworten.

Zahlreiche Gruppen haben unter dem Motto »Out of Control« angekündigt, mit einem völlig neuen Demonstrationskonzept an die Elbe zu kommen. Der Repression soll nicht nur plakativ, sondern ebenso mit einem »Konzept der wirksamen Zerstreuung« entgegengetreten werden. Mit Hilfe der »Weite des Raums« soll »die nur scheinbare Allmacht polizeilicher Überwachung« auch optisch ad absurdum geführt werden. Konkret heißt das: Bei der Demonstration soll es ein ständiges Kommen und Gehen geben. Sowohl am Rande als auch »hinter den Kulissen« werde es spontane »Kontaktbörsen« und für den Staat »irritierende Ereignisse und Protestinszenierungen« geben. Die Demo selbst soll trotzdem »geschlossen und damit kraftvoll« durchgeführt werden.

Daß die Hamburger Veranstaltung allen Manövern der Innenbehörde zum Trotz ein »starker und phantasiereicher Ausdruck des Widerstandes gegen staatliche Kontrollwut und die Verfolgung« sein wird, das betonte am Mittwoch auch die Vorbereitungsgruppe in der Hansestadt. Nicht nur hier heißt es nun: »Rein ins Vergnügen – gegen Repression und Überwachungsstaat!«

Samstag, 15. Dezember, 13 Uhr, vor der Roten Flora. Achidi-John-Platz: »Out of control – Gegen Repression, Überwachungsstaat und Paragraph 129a«, Demonstration. Nähere Infos unter www.antirepressionskampagne-hamburg.tk

Verwendung: Junge Welt vom 13. Dezember 2007
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05. Dezember 2007

Zahlreiche Organisationen wollen vor ­Bürgerschafts­wahl ein nazifeindliches Klima schaffen

Unter dem Motto »Keine Stimme den Nazis« will ein »Bündnis gegen rechts« vor den Hamburgischen Bürgerschaftswahlen am 24. Februar 2008 ein Klima schaffen, das die Wahl der DVU und anderer rechter Parteien erschwert. Unter einem »Hamburger Aufruf« sollen jetzt Unterschriften dafür gesammelt werden. Neonazis soll künftig möglichst auch der Zugang zu Schulhöfen, Betrieben sowie Musikkonzerten verweigert werden.

Nach Angaben seines Sprechers Olaf Harms will das Bündnis vor allem dazu beitragen, daß sich den Rechten mit einem möglichen Einzug ins Parlament, nicht noch stärkere Möglichkeiten eröffnen, ihr »faschistisches und rassistisches Gedankengut« zu propagieren. Die Initiative wird auch von ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose, vom FC-St.-Pauli-Kicker Marcel Eger, der Schauspielerin Hannelore Hoger, FC-St.-Pauli-Präsident Corny Littmann, der Nazi-Verfolgten Esther Bejarano, den Bundestagsabgeordneten Niels Annen (SPD) und Norman Paech (Die Linke) sowie zahlreichen Hochschulprofessoren und Betriebsräten unterstützt. Mit »großer Sorge« beobachte man, dass auch in Hamburg die neonazistischen Aufmärsche zunehmen, heißt es in ihrem Aufruf. Noch gefährlicher sei es aber, wenn die Neonazis nun immer stärker auch die Schulhöfe erobern.

Indes bestätigen Wahlforscher, daß Neonazis durchaus die Chance haben, in die Bürgerschaft oder Bezirksversammlungen einzuziehen. Sie weisen auf den sogenannten Deutschland-Pakt zwischen DVU und NPD hin, mit dem sich beide Parteien darauf geeinigt haben, bei Landtagswahlen nicht gegeneinander anzutreten. In Hamburg wird deshalb nur die DVU kandidieren. Und die erzielte in der Hansestadt schon 1997 ein Rekordergebnis von 4,98 Prozent. Daß die NPD-Mitglieder nun den Wahlkampf der DVU aktiv unterstützen, hält hingegen das Landesamt für Verfassungsschutz für wenig wahrscheinlich. Selbst NPD-Landeschef Jürgen Rieger würde sich weigern den Wahlkampf der DVU zu unterstützen, sagt Manfred Murck, stellvertretender Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz. Doch gleichzeitig warnt Murck, daß das »rechtsextremistisches Wählerpotential« zusammen genommen bei deutlich über 7 Prozent läge.

Aktiv geworden sind deshalb auch verschiedene Jugendverbände. Die DGB-Jugend kündigte an, mit einer eigenen Informationsbroschüre auf die Schulhöfe und in die Ausbildungsbetriebe zu ziehen. Unter dem Motto »Kein Bock auf Nazis« hat indes die SDAJ eine »rote Schulhof CD« aufgelegt. Diese soll nun kostenlos an Schulen und Berufsschulen verbreitet werden.

Nähere Infos unter: http://keine-stimme-den-nazis.org/

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 5. Dezember 2007
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04. Dezember 2007

Einzelhandelskonzern attackiert erst im November gewählten Betriebsrat in Hamburg

Lidl_Betriebsrat_HamburgNach den Betriebsratswahlen in einer Hamburger Lidl-Filiale Anfang November schlägt der Konzern nun zurück. Die Wahlen werden vom Unternehmen angefochten, ein ver.di-Gewerkschafter wurde Ende letzter Woche entlassen. Am Montag kündigte ver.di-Fachbereichsleiter Ulrich Meinecke deshalb Gegenmaßnahmen an: Mit einer Unterschriftensammlung sollen die skandalösen Vorgänge öffentlich gemacht werden. Doch gleichzeitig steigt der Druck auf die 17 Mitarbeiter. Sie haben Angst vor weiteren Entlassungen bis hin zur Schließung der Filiale.

Für den Discounter war es eine Niederlage, als die Gewerkschaft die Wahl eines Betriebsrates in einem der 33 Hamburger Lidl-Märkte Anfang November verkündete. Nach Gewerkschaftsangaben gibt es in nicht mal zehn der bundesweit rund 2800 Lidl-Filialen Betriebsräte.Das gehört zur Unternehmensphilosophie des extrem gewerkschaftsfeindlichen Einzelhandelskonzerns. Wie eine geheime Kommandosache hatte die Gewerkschaft deshalb die Vorbereitung der Betriebsratswahlen in der Filiale am Eidelstedter Markt behandelt. Und nachdem es gelungen war, einen innerbetrieblichen Wahlvorstand zu bilden, halfen auch die »Vier-Augen-Gespräche« der Vorgesetzten oder die Drohung, Überstunden und damit verbundene Zuschläge zu streichen, nicht mehr. Mit 100 Prozent der Stimmen wählten die Mitarbeiter Tayed Azzab zu ihrem Betriebsrat.

Doch in den Vorstandsetagen bei Lidl gibt man sich nicht geschlagen. Nun sind Juristen nach Gewerkschaftseinschätzung dabei, Unregelmäßigkeiten bem Wahlablauf zu konstruieren. Und mit der Entlassung eines ersten Mitarbeiters – er war noch in der Probezeit – sollen die anderen zermürbt werden. Gleichzeitig soll den Beschäftigten in den anderen Filialen bedeutet werden, von Betriebsratswahlen die Finger zu lassen, vermutete Meinecke am Montag. Die Entlassung sei nur ein »Nachtreten« der Geschäftsführung, denn daß man dort fachlich mit dem Mitarbeiter zufrieden war, sei ihm erst kurz zuvor bestätigt worden. Mit der Sammlung von Unterschriften gegen die Entlassung will die Gewerkschaft nun Druck auf den Eigentümer der bundesweit 2850 Lidl-Filialen, den Schwarz-Konzern, ausüben.

Verwendung: Junge Welt vom 4. Dezember 2007
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