29. Januar 2008

Lehre aus der Hessen-Wahl: Mit Ausländerhetze ist keine Abstimmung zu gewinnen. Fünf-Parteien-System scheint jetzt etabliert zu sein

Aus den Landtagswahlen am Sonntag in Hessen und Niedersachsen lassen sich mehrere Erkenntnisse gewinnen. Die erste ist, daß die Linkspartei mit ihrem Einzug in die Landesparlamente endgültig im Westen »angekommen« ist – die etablierten Parteien müssen sich künftig auf ein Fünf-Parteien-System einstellen. Zweitens hat sich am Beispiel des bisherigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gezeigt, daß mit Ausländerfeindlichkeit und rassistischer Hetze zur Zeit keine Wahlen zu gewinnen sind. Und drittens: Nicht nur die Linkspartei, sondern auch die SPD haben mit ihren Wahlergebnissen unter Beweis gestellt, daß sich mit sozialen Themen durchaus Wähler mobilisieren lassen.

Sauer aufgestoßen

Wie es sich schon vor der Wahl in Umfragen andeutete, hat sich Koch in seiner Wahlkampfstrategie völlig verkalkuliert. Den Hessen ist sein Versuch, erneut die ausländerfeindliche Karte zu ziehen, offenbar so sauer aufgestoßen, daß sie ihm mit 12 Prozentpunkten Verlust (36,8 Prozent) eine Abfuhr erteilt haben, die seinen Einfluß auf die CDU-Politik wohl drastisch reduzieren dürfte. In absoluten Zahlen verlor Koch 324000 Wähler. Schon am Montag bekam er von CDU-Ministerpräsidenten die Quittung, indem sie seinen Wahlkampfstil heftigst kritisierten.

In Hessen hängt es jetzt von der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti ab, ob es wirklich zu einem Politikwechsel kommt. Sie kam auf 36,7 Prozent (plus 7,8) – das zweitschlechteste Ergebnis, das die SPD in Hessen je erzielte. Ihr Wunschpartner Bündnis 90 / Die Grünen erreichte 7,5 Prozent (minus 2,5). Beide zusammen könnten per Minderheitsregierung den Rechtsaußen Koch ablösen, wenn sie auf das Angebot der Linkspartei eingingen, diese Koalition zu tolerieren. Die sozialen Themen, die Ypsilanti in den Vordergrund stellte, scheinen jedoch selbst frühere Stammwähler der SPD nicht mehr überzeugt zu haben – das Mißtrauen in die ständigen Wahllügen der SPD sitzt zu tief. Und sollte Ypsilanti schließlich doch eine Koalition mit der CDU eingehen, wäre die Glaubwürdigkeit der SPD wohl endgültig dahin.

Glaubwürdigkeitsproblem

Ein Politikwechsel wäre zwar in Hessen möglich – nicht jedoch in Niedersachsen. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sitzt dort gemeinsam mit Koalitionspartner FDP fest im Sattel, woran auch der Einzug der Linkspartei in den Landtag nichts ändert. Wulffs Partei bekam 42,5 Prozent – 5,8 Punkte weniger als 2003. Die FDP kam auf 8,2 Prozent (plus 0,1), was zusammen für eine Regierungsmehrheit reicht. Unter dem Strich hat jedoch auch Wulff viele Federn lassen müssen, in absoluten Zahlen büßte er gegenüber 2003 etwa 470000 Wähler ein.

Bemerkenswert ist in Niedersachsen die niedrige Wahlbeteiligung von 56 Prozent, was sicherlich auch zum überraschenden Erfolg der Linkspartei beigetragen hat, die auf 7,1 Prozent kam. Daß die SPD in diesem Bundesland um 3,1 Punkte auf 30,3 Prozent abschmierte, begründete ihr Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner noch am Wahlabend damit, sie habe bei dem Thema soziale Gerechtigkeit ein »Glaubwürdigkeitsproblem«.

SPD-Chef Kurt Beck war vor den Fernsehkameras allerdings schnell bereit, den Zugewinn in Hessen als Beweis dafür zu nehmen, daß seine Partei »den Willen der Menschen zu mehr sozialer Gerechtigkeit« aufgreife. Denkste: Die Forschungsgruppe Wahlen der ARD fand heraus, daß die SPD dort vor allem bei den Angestellten (plus 13 Prozentpunkte) und bei den Selbständigen (plus 12) hinzugewonnen hat – kaum jedoch bei Arbeitern, Rentnern und Arbeitslosen (plus 1). Die Linke wiederum hat ihre Stimmen offenbar vorwiegend im Bereich der prekär Beschäftigten, der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und enttäuschten SPD-Wähler rekrutiert.

[Anmerkung: Der oben wieder gegebene Beitrag zu den Wahlenergebnissen in Niedersachsen und Hessen, stammt von meinem „Junge Welt“-Kollegen Peter Wolter. Er wird hier wiedergegeben, weil er Teil einer gemeinsamen Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 29. Januar 2008 ist. Teil dieser Schwerpunktseite ist auch eine Dokumentation der Wahlergebnisse und mein Interview mit Christel Wegner, neuer Landtagsabgeordneter der Linkspartei in Niedersachsen. Die gesamte Seite können Sie hier auch als PDF-Datei downloaden. Weitere Informationen zu den Wahlergebnissen bietet ein Beitrag meines jW-Kollegen Rainer Balcerowiak – Chaostage in Wiesbaden -, und ein weiteres Interview, das mein jW-Kollege Peter Wolter noch zusätzlich mit dem Spitzenkandidaten der hessischen Linken, Willi van Ooyen, und unter dem Titel »Viele Arbeitslose haben unsere Partei gewählt« ebenfalls für die Ausgabe der „Jungen Welt“ vom 29. Januar 2008 führte.]

Verwendung: Junge Welt vom 29. Januar 2008