29. April 2008

Schleswig-Holstein: Linkspartei beschließt »Eckpunkte« für Kommunalwahlen am 25. Mai

Für soziale Gerechtigkeit, gute Arbeit und menschenwürdige Lebensverhältnisse!« – unter diesem Motto stand am Sonntag der Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Linken in Neumünster. Für die rund 100 Delegierten war es gleichzeitig der Auftakt zur heißen Phase des Kommunalwahlkampfs. Am 25. Mai erhofft sich die Partei, in alle Kreistage, aber auch in die Kommunalparlamente aller kreisfreien Städte in Fraktionsstärke einzuziehen.

Zum zentralen Thema macht Die Linke dabei den Kampf gegen Privatisierungen öffentlichen Eigentums: Diese seien ein Versuch, »wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens demokratischer Kontrolle zu entziehen«, sagte Landessprecher Lorenz Gösta Beutin in seiner Rede. In der Bildungspolitik orientiere sich seine Partei »am skandinavischen Modell« und fordere ein Schulsystem, in dem »alle Kinder gemeinsam lernen und individuell gefördert werden«.

Neonazis müsse man entgegentreten, wo immer man sie trifft. Deren Erstarken sei auch Resultat der Politik der anderen Parteien. Diese hätten mit ihrer Politik soziale Sicherungssysteme zerstört und einen Teil der Bevölkerung »in die soziale Isolation« getrieben. Beutin forderte deshalb, im bevorstehenden Wahlkampf und in Parlamenten das »Sprachrohr für diejenigen zu sein, die sonst nicht mehr zu Wort kommen«.

Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten die »Eckpunkte« für die Kommunalwahlen. Darin fordern sie die Abschaffung aller Ein-Euro-Jobs, ihren Ersatz durch sozialversicherungspflichtige und reguläre Arbeitsverhältnisse und die Erhöhung der Unterkunftskosten für die Empfänger des Arbeitslosengeldes II. Außerdem fordert Die Linke, daß Systeme des örtlichen Nahverkehrs künftig so gestaltet werden, daß sich diese auch Geringverdiener und Erwerbslose leisten können. Damit habe man »eine gute Grundlage für die heiße Phase des Wahlkampfes«, kommentierte Antje Jansen, ebenfalls Landessprecherin und Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Lübecker Bürgerschaft.

Für Kontroversen hatte im Vorfeld des Parteitags indes der Umgang der Linken mit Mitgliedern der DKP geführt. Hierzu hatte der Lübecker Kreisverband beantragt, daß Mitglieder anderer Parteien künftig sowohl bei den Landtags- als auch bei den Kommunalwahlen als Kandidaten nicht mehr zugelassen werden. Doch mit großer Mehrheit votierten die Delegierten für die Nichtbefassung dieses Antrags. »Wir sollten uns klar darüber werden: Selbst wenn wir uns vollständig von der DKP abgrenzen. So lange wir uns nicht an Sozialabbau, Kriegsführung und Beschränkung der politischen Freiheiten beteiligen, werden wir von den anderen Parteien als Feinde dieses Gesellschaftssystems betrachtet«, erklärte Beutin.

Verwendung: Junge Welt vom 29. April 2008
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24. April 2008

Gewerkschaften kritisieren Koalitionsvertrag von CDU und GAL in Hamburg. Beschäftigte, Auszubildende und Erwerbslose sind die Verlierer

In Hamburg haben Gewerkschaftsvertreter Einzelheiten des Ende letzter Woche unterschriebenen »schwarz-grünen« Koalitionsvertrages heftig kritisiert. So erklärte DGB-Landeschef Erhard Pumm am Dienstag, daß er sich vom künftigen Senat stärkere Initiativen zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit gewünscht habe. André Bunkowsky, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte am Mittwoch in einer Erklärung mit, daß die im Koalitionsvertrag erkennbare Absicht, die Lebensarbeitszeit für Polizeibeamte zu verlängern, auf heftigen Widerstand seiner Gewerkschaft stoßen werde. Für Polizisten müsse »mit 60 Schluß sein«, alles andere sei eine »unzumutbare Belastung«.

Schärfer fällt die Kritik von ver.di-Landeschef Wolfgang Rose aus. Als Vorsitzender der größten Hamburger Einzelgewerkschaft hatte er im Wahlergebnis Ende Februar zunächst eine »Chance zum sozialen Aufbruch« gesehen. Doch durch die Bildung einer CDU-Grünen-Koalition sei diese nun restlos vertan. Rose sieht die Gefahr einer noch stärkeren »sozialen Spaltung«. Der Koalitionstext biete für Beschäftigte, Erwerbslose, Auszubildende und Studierende kaum etwas. Nichts werde darin vereinbart, was zur Eingrenzung der ausufernden Ein-Euro-Jobs oder der Leiharbeit führen könne, kaum etwas zur Einschränkung der Ausbildungsplatznot. »Dafür wollen sie nun die Bildungsgebühren erhöhen«, schimpft der Gewerkschaftsmann. Ihm sei klar, daß der künftige Senat einer für die Besserverdienenden sei.

Kein gutes Haar läßt Rose auch an den Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst. Durch die bereits in der letzten Legislatur von der CDU durchgepeitschte Novellierung des Hamburgischen Personalvertretungsgesetzes und die Kündigung der Mitbestimmungstarifverträge herrschten in den Behörden und Amtsstuben »obrigkeitsstaatliche Verhältnisse«. Das ganze passiere jetzt mit dem Segen der Grünen, so Rose. Versagt hätte die Partei auch mit ihrem Wahlkampfversprechen, die Steuergerechtigkeit wieder herzustellen. Da der Koalitionsvertrag die Einstellung weiterer Betriebs- und Steuerprüfer ausdrücklich negiere, bleibe Hamburg »die Hauptstadt der Hinterzieher«.

Wie Pumm fordert auch Rose, daß die grassierende Langzeitarbeitslosigkeit und die damit zusammenhängende Armut stärker bekämpft werden müßten. Dazu gehörten Initiativen für einen Mindestlohn und für den Ersatz der Ein-Euro-Jobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf die Tagesordnung. Dies, so Rose, stehe im Widerspruch zum Ansatz der Grünen, fehlende Mittel in den Stadtquartieren durch die Arbeitskraft der Jobber teilweise zu kompensieren. Begrüßenswert sei an der neuen Koalition lediglich, daß diese die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker betone und einen Rechtsanspruch für die Kita-Betreuung schon für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr festschreiben möchte.

Dies allerdings trifft auf Kritik der Linkspartei-Abgeordneten und Bauer-Konzernbetriebsrätin Kersten Artus. Solange die Kinderbetreuung kostenpflichtig sei und es kein Recht auf Ganztagsplätze gebe, werde die Vereinbarung von Familie und Beruf »nicht unter Gleichstellungsaspekten gesehen«, kritisiert die Betriebsrätin. Schier unfaßbar sei zudem der Umstand, daß die Grünen nicht darauf gedrängt hätten, die bereits 2001 erfolgte Schließung des Senatsamts für Gleichstellung zu korrigieren. Sie sieht nun ihre Partei in der Pflicht, auch die Gleichstellungspolitik als Aufgabenfeld zu übernehmen.

Verwendung: Junge Welt vom 24. April 2008
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22. April 2008

Regierungsspöttische Aufforderung zum Schwarzfahren
Hamburg: CDU und Grüne gewähren Bedürftigen Preisnachlaß im öffentlichen Nahverkehr. »Sozialticket« soll 67 Euro kosten

Die Wiedereinführung des von der CDU 2003 abgeschafften Sozialtickets für Erwerbslose und Geringverdiener hatten Hamburgs Grüne noch wenige Tage vor Abschluß der schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen versprochen: »Falls es in Hamburg eine schwarz-grüne Regierung gibt, wird es auch das Sozialticket wieder geben«, so die Bürgerschaftsabgeordnete Martina Gregersen am Mittwoch letzter Woche im Landesparlament. Doch nach Vorlage der Einzelheiten des inzwischen unterschriebenen Koalitionsvertrages, erweise sich dies nun als eine Luftblase, monierte der sozialpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Wolfgang Joithe, am Montag gegenüber junge Welt. Denn nicht ein Sozialticket – es berechtigt zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für einen angemessenen Preis – werde es demnach geben, sondern lediglich einen »Preisnachlaß auf Zeitkarten« in Höhe von 18 Euro im Monat. Dies aber sei »kein Sozialticket, sondern nur eine Mogelpackung«, sagt Joithe.

»Wie schnell ein sozial ausgrenzender Regierungsstil abfärben kann«, kommentiert der ehemalige Erwerbslose. Selbst bis zum Einzug ins Parlament ein »Hartz-IV-Geschädigter«, rechnet Joithe nun vor, … [[daß „eine CC-Karte mit zeitlicher Nutzungsbeschränkung für den Großbereich Hamburg“, mit diesem Preisnachlass, dann immer noch 28,50 Euro im Monat koste. Ohne zeitliche Beschränkung würde sich nach einem solchen Preiserlass sogar ein Fahrpreis von 67 Euro im Monat ergeben. [Anm. Verfasser: Dieser wichtige Satz wurde bei der Veröffentlichung in der jW leider weggekürzt. So ergibt sich aber durch den folgenden Teilsatz dann ein falsches Bild. Ich entschuldige mich dafür ausdrücklich bei Herrn Joithe!]] … daß eine Monatskarte mit diesem Preisnachlaß für den Großbereich Hamburg 67 Euro kosten würde. Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm versprochen, daß es mit ihnen »ein echtes Sozialticket zum Abgabepreis von 20 Euro« geben werde.

»Leistungsberechtigten« stünden im Hartz-IV-Satz aber lediglich 15 Euro für Aufwendungen im Öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung. Alles was darüber hinausgehe, müssen sie sich »buchstäblich vom Munde absparen«, so Joithe. Die von den Koalitionären ausgehandelte Regelung sei deshalb auch nur ein »Mogelticket«. Es sei wie eine »regierungspolitische Aufforderung zum Schwarzfahren«. Er sieht seine Befürchtungen, daß wer die Grünen wählt, sich anschließend schwarz ärgert, bestätigt. »Außer einem Darlehen für Bestattungen fällt dieser Koalition kaum etwas ein«, fügt er verärgert hinzu.

Ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose sieht das ähnlich: »Ich vermisse Antworten, die der Dimension der sozialen Spaltung und der Abstiegsangst vieler Menschen gerecht werden.« Da die Sozialkürzungen des ehemaligen CDU-Senats kaum korrigiert würden, sieht er den wörtlichen Hinweis im Vertrag, daß es in Hamburg – »wie in jeder Stadt« – sowohl reiche wie arme Menschen geben würde, als eine sozialpolitische »Bankrotterklärung« des neuen Senats, noch bevor dieser sein Amt antritt. Für »Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Erwerbslose, Auszubildende, Studierende, Seniorinnen und Senioren« finde sich dort nichts. Keine Abkehr von Ein-Euro-Jobs und Leiharbeit, kein Ausbau der Mitbestimmung, keine Ausbildungsumlage für Jugendliche und auch kein Mindestlohn, so der Gewerkschafter. Damit aber präsentiere sich Schwarz-Grün als eine »Koalition der Besserverdienenden«, so Rose gegenüber junge Welt.

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18. April 2008

Schlagabtausch in der Hamburgischen Bürgerschaft vor der Koalitionsbildung

Die bevorstehende Besiegelung der ersten schwarz-grünen Länderkoali­tion hat in der Hamburgischen Bürgerschaft zum einem heftigen Schlagabtausch geführt. Die SPD hatte eine »Aktuelle Stunde« zum Thema »Nach der Wahl ist vor der Wahl« angemeldet. Öffentlichkeitswirksam sollten am Mittwoch abend so vor allem die Grünen an ihre Wahlversprechen erinnert werden: Kein neues Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg, keine Fahrrinnenvertiefung der Elbe. Doch das Spiel »Alte Freunde, neue Feinde« ging zumindest für die beantragende Partei von SPD-Landeschef Ingo Egloff kräftig daneben. Mit Blick auf Äußerungen von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gab die Grünen-Frak­tionsvorsitzende Christa Goetsch diesen Ball geschickt zurück: Es sei nicht zu erkennen, ob die Sozialdemokraten nun für oder gegen das Kraftwerk sind. Leichtes Spiel hatte da Dora Heyenn: Die Linke-Fraktionschefin geißelte die »Prinzipienlosigkeit« beider Parteien, nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auch und vor allem in der So­zialpolitik. Diese habe für die Bildung einer neuen Stadtregierung offenbar kaum eine Rolle gespielt.

Unter Schwarz-Grün werde die »Spaltung der Stadt« vertieft, konstatierte Joachim Bischoff. Von Zwischenrufen unbeirrt, verwies der Linke-Parlamentarier darauf, daß allein in Hamburg 200000 Menschen von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Die Grünen deuteten daraufhin immerhin an, daß es mit der neuen Regierung in Hamburg die Wiedereinführung des 2003 von der CDU geschliffenen Sozialtickets geben wird. Doch zu welchem Preis? Redner unterstrichen unisono, daß für diese »Mindestmobilität« der Bezieher von Arbeitslosengeld II dann auch jene Anteile mitberücksichtigt werden müßten, die in den Hartz-IV-Sätzen für den öffentlichen Nahverkehr bereits enthalten sind. Wie erschreckend gering diese sind, das vermochte im Plenum dann aber nur der linke Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Joithe zu sagen. Selbst bis zu seinem Parlamentseinzug »Hartz-IV-Betroffener«, wies er Cent für Cent nach, daß ein Sozialticket, das im Monat mehr als 15 Euro kostet, seinen Namen nicht verdient. »Leistungsberechtigte« müßten sich dieses Ticket dann nämlich »buchstäblich vom Munde absparen«. Joithe forderte, daß auch Bezieher von Grundsicherungsleistungen, die wegen Alters oder dauerhafter Erwerbsminderung längst aus der offiziellen Arbeitslosigkeit herausgefallen sind, zum Kreis der Berechtigten gehören müßten. Viel Aufmerksamkeit hatte der 57jährige Erwerbslosenvertreter schon zuvor erregt: Obwohl die mit nur acht Abgeordneten vertretene Linke kein Anrecht darauf hatte, wurde er vom Parlament zu einem seiner Vizepräsidenten gewählt.

Ebenso gut vorbereitet zeigte sich die Linksfraktion auch bei der Behandlung ihres Antrags, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD durch Hamburg zu unterstützen. »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, das geächtet gehört«, mit diesen Worten attackierte die Abgeordnete Christiane Schneider Innensenator Udo Nagel (parteilos). Dieser hatte sich geweigert, Erkenntnisse seiner Behörde, die ein Verbotsverfahren stützen, an die Bundesbehörden zu übermitteln. Schneider forderte außerdem, daß ein für den 1. Mai in Hamburg geplanter Aufmarsch militanter Neonazis wegen »Volksverhetzung« verboten wird. Die Aktivitäten von Antifaschisten gegen diesen Marsch, seien hingegen ein »ermutigendes Zeichen«. Die Finanzierung sogenannter V-Leute in der NPD müsse eingestellt werden, forderte Schneider. Die seien »Fleisch vom Fleisch der Neofaschisten«. Eine derartig klare Sprache wohl bisher nicht gewohnt, wurde der Linken-Antrag nicht abgelehnt, sondern zur weiteren Prüfung in den zuständigen Ausschuß verwiesen.

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16. April 2008

Erstes Schiff der neuen »Braunschweig-Klasse« wird in Dienst gestellt. Proteste in Rostock-Warnemünde angekündigt

Am heutigen Mittwoch soll am Marinestützpunkt in Rostock Hohe Düne die Korvette Braunschweig F 260, als erste der neuen Kriegsschiffsklasse K 130, offiziell in den Marinedienst gestellt und dabei der Öffentlichkeit präsentiert werden. Schon am Donnerstag soll das mit modernsten Angriffswaffen ausgestattete Schiff, wieder aus dem Hafen auslaufen. Dagegen will ein örtliche Friedensbündnis u.a. mit einer Mahnwache protestieren. Die Anschaffung der Korvette verstoße gegen Artikel 87a des Grundgesetzes, wonach deutsche Streitkräfte nur »zur Verteidigung« dienen sollen.

Tatsächlich handelt es sich bei dem in einer Veröffentlichung der Bundeswehr als »graue Lady« bezeichneten Boot, um eines der aggressivsten Waffensysteme, über die die Marine derzeit verfügt. Mit seiner Einsatzdauer, seinen Tarnkappen-Eigenschaften und seinen vier landzielfähigen Flugkörpern mit 200 Kilometern Reichweite, ist es insbesondere für den Kampfeinsatz in fremden Küstengewässern konzipiert. In Militärdokumenten werden die Korvetten deshalb den »Eingreifkräften« zugeordnet. Ihr Einsatz im »Krieg gegen den Terror« im Rahmen der »Operation Enduring Freedom« am Horn von Afrika und im Indischen Ozean ist bereits geplant. Damit, so heißt es, verbessere die Marine ihre Fähigkeit zur präzisen Bekämpfung von Landzielen.

Damit werde nicht nur der grundgesetzwidrige Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee beschleunigt, sondern gleichzeitig an die »unselige Kanonenbootpolitik der imperialistischen deutschen kaiserlichen Marine« angeknüpft, erklärte die Sprecherin des Rostocker Friedensbündnisses Cornelia Mannewitz. Alle fünf Korvetten der neuen Bootsklasse (Stückpreis: 240 Millionen Euro) sollen in Rostock stationiert werden. Der damit verbundene Ausbau des dortigen Marinestützpunktes zu einem der modernsten Militärstandorte gehe aber an den »existentiellen Bedürfnissen« der Menschen vorbei. Während für militärische Zwecke viel Geld ausgegeben werde, seien die öffentlichen Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern kaum noch in der Lage, ihren elementaren Aufgaben gerecht zu werden, heißt es in einem Aufruf des Friedensbündnisses.

Protestaktionen in Rostock-Warnemünde: heute, 13 Uhr, Reichpietsch­ufer, Donnerstag 9.30 Uhr, Uferweg, Yachthafenresidenz

Verwendung: Junge Welt vom 16. April 2008
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15. April 2008

NPD und »Freie Kameradschaften« wollen am 1. Mai durch Hamburg-Barmbek marschieren. Dort findet sonst die traditionelle Gewerkschaftsdemo statt

Kein Fußbreit den Faschisten!« – Diese antifaschistische Formel nimmt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Hamburg offenbar nicht sehr ernst. 75 Jahre nachdem die Gewerkschaftshäuser durch die Nazis okkupiert und die Arbeiterorganisationen zerschlagen wurden, hat dieser seine traditionelle 1. Mai-Kundgebung von Barmbek nach St. Pauli verlegt. Sie gibt damit den Stadtteil für Neofaschisten frei. Wo sonst die Gewerkschaften demonstrieren, haben »Freie Nationalisten« und Anhänger der neofaschistischen NPD bereits im vergangenen Jahr einen eigenen Aufmarsch unter dem Motto »Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen« angemeldet. »Wer zuerst anmeldet, hat das Zugriffsrecht«, meint DGB-Lokalchef Erhard Pumm. Fern ab des Geschehens soll es nun nach der verlegten Gewerkschaftskundgebung ein »Kulturfest gegen rechts« geben, fügt er hinzu.

Ergreifen die Gewerkschaften die Flucht vor den Neofaschisten? Für das Netzwerk der Hamburger Gewerkschaftslinken wäre dies ein Skandal. In einem offenen Brief an den Vorstand des DGB wird dessen Entscheidung massiv kritisiert. Die Mitglieder und die Basis seien daran nicht beteiligt worden. Erinnert wird zudem, daß erst vor fünf Jahren eine Tafel für die Erinnerung an die Ereignisse vom 1. und 2. Mai 1933 am Gewerkschaftshaus angebracht worden sei. »Und jetzt, bei der ersten Provokation der Nachfahren jener Nazibanden durch ihre Okkupation unseres Kundgebungsplatzes sollen wir zurückweichen?« Mit »ehrendem Gedenken an die vor 75 Jahren in die Gefängnisse geprügelten Gewerkschafter«, habe dies nichts zu tun, heißt es in dem jetzt veröffentlichten Brief.

Den Nazis nicht weichen, will indes das Hamburger Bündnis gegen rechts. »Wir wünschen uns, daß sich am 1. Mai so viele Menschen wie möglich den Nazis in Barmbek entgegenstellen«, heißt es im eigenen Aufruf für einen »antifaschistischen 1. Mai«. Daß die Nazis am Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse durch Hamburg marschieren und dabei gewerkschaftliche Kundgebungsplätze in Anspruch nehmen wollen, betrachtet Bündnissprecher Wolfram Siede als »eine gezielte Provokation«, der nun mit aller Kraft entgegengetreten werden müsse. Unterstützt wird dies auch von der Gewerkschaftsjugend. »Der 1. Mai ist unser Tag«, so DGB-Jugendsprecher Olaf Schwede gegenüber junge Welt. Deshalb werde seine Organisation am 1. Mai auch nicht durch St. Pauli, sondern durch Barmbek demonstrieren.

Die Entscheidung für die geänderte Demoroute am 1. Mai hatte der Vorstand des DGB auch mit der Sorge begründet, daß es im Verlauf einer Kundgebung in der Nähe eines Neonaziaufmarsches zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommen könnte. Wenn die Mehrheit der Gewerkschafter mit dieser Begründung fernbleibt, läuft das darauf hinaus, daß die dennoch in Barmbek Demonstrierenden den Polizeimaßnahmen »schutzlos ausgeliefert sind«, kritisiert das Netzwerk der Gewerkschaftslinken. Entsolidarisierung sei im Widerstand gegen Neonazis das »falsche Signal«. Gefordert wird deshalb nun, daß der DGB, neben der bereits angemeldeten Kundgebung für St. Pauli, auch eine zweite und vom ihm getragene Antifa-Veranstaltung für Barmbek anmeldet.

Wie notwendig das wäre, zeigt das Triumphgeheul bei der NPD. Den DGB verhöhnend, spricht ihr Landeschef Jürgen Rieger bereits von einem »klägliche Rückzug« der Gewerkschaften. Da damit auch die Linke zerstritten sei, rechnet er selbst nur mit »Kleingruppen«, die den Aufmarsch behindern könnten. Rieger fordert die Anhänger seiner Partei auf, am 1. Mai in Hamburg ein Zeichen für die gewachsene Stärke des »nationalen Sozialismus« zu setzen. Er selbst rechnet mit 500 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet.

Nähere Infos: http://keine-stimme-den-nazis.org

Verwendung: Junge Welt vom 15. April 2008
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05. April 2008

Christiane SchneiderAuch die tibetische Opposition muß sich Fragen nach Menschenrechtsverletzungen gefallen lassen. Ein Gespräch mit Christiane Schneider

Christiane Schneider ist Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft

Der Forderung der Grünen, sich mit Tibet und dem Dalai Lama solidarisch zu erklären, haben Sie am Mittwoch in der Bürgerschaft widersprochen. In den Medien werden Sie dafür nun als jemand gegeißelt, der in »kalter kommunistischer Kadersprache« Menschenrechtsverletzungen billige. Was haben Sie tatsächlich gesagt?

Daß ich Schwarz-Weiß-Zeichnungen der schrecklichen Ereignisse und die darauf beruhende Voraussetzungslosigkeit, mit der die Grünen-Fraktion »Solidarität mit Tibet« forderte, ablehne. Die Forderung, Menschenrechte einzuhalten, richtet sich selbstverständlich in erster Linie an den Staat. Doch im weiteren gilt das auch für die Opposition. Fakt ist, daß es Augenzeugenberichte und Nachrichten gibt, wonach es bei den Protesten zu pogromartigen Ausschreitungen gegen chinesische Bewohner Tibets kam. Da wurden Geschäfte geplündert, Menschen zusammengeschlagen, nur weil sie Han-Chinesen sind, Häuser – mitsamt ihrer Bewohner – in Brand gesetzt. Deshalb muß sich auch die tibetische Oppositionsbewegung die Frage gefallen lassen, wie sie denn Menschenrechtsverletzungen künftig ausschließen will.

In den Medien wird behauptet, Sie würden den Dalai Lama auf eine Stufe mit dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini stellen.

Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich habe lediglich ausgeführt, daß es mit Religionsführern, die sich als Repräsentanten gesellschaftlicher Opposition in politische Prozesse einmischen, weltweit keine guten Erfahrungen gibt. Nur in diesem Zusammenhang habe ich den Namen von Khomeini erwähnt. Es ging mir um dieses grundsätzliche Problem, nicht um einen Vergleich oder die Gleichsetzung der Personen.

Warum lehnen Sie die Vermischung von Religion und Politik so grundsätzlich ab?

Jede Religion erfordert ein Bekenntnis. Ein Staat, der auf der Grundlage von Bekenntnissen aufgebaut ist, versperrt sich demokratischen Willensbildungsprozessen, weil keine Meinungsfreiheit herrscht, sondern ein Bekenntnis gefordert wird. Daß sich Politik vom Zwang zum Bekenntnis lösen muß, ist ja historisch wie auch analytisch eine Grundlage der Menschenrechte. Denn die beinhalten die Freiheit zum Bekenntnis ebenso wie die Freiheit vom Bekenntnis. Die Haltung des Dalai Lama hierzu ist völllig unklar. Auch die sozialistische Bewegung hat damit schlechte Erfahrungen gemacht. [Daraus muss in China die Konsequenz gezogen werden muss, dass auf der Grundlage von Meinungsfreiheit ein toleranter Meinungsaustausch stattfinden muss.]

Gegängelt fühlen sich viele Tibeter heute aber nicht vom Dalai Lama, sondern von der chinesischen Regierung.

Daß es im Tibet Unterdrückung, kulturelle Diskriminierung und eine Benachteiligung von Tibetern auf vielen Gebieten gibt, kann nicht bestritten werden. Ebensowenig wie die Tatsache, daß die Politik der Modernisierung nicht nur, aber eben auch in der autonomen Region Tibet zu erheblichen Verwerfungen, zu einem Anstieg der Armut, zum Ausschluß von Entwicklung für viele Menschen führt. Der Forderung, solche Menschenrechtsverletzungen einzustellen, schließen wir uns uneingeschränkt an.

Obwohl Tibet seit 1253 zu China gehört, wird in der deutschen Öffentlichkeit immer so getan, als sei früher ein unabhängiger Staat gewesen. Diese Unabhängigkeit sei nun wieder herzustellen. Wie sehen Sie das?

Die Volksrepublik China hat sich aus kolonialer Abhängigkeit durch einen langen Krieg befreien müssen. Die nationale Unabhängigkeit und die damit verbundene staatliche Einheit gehören zum Grundkonsens der Volksrepublik. Dessen Erschütterung hätte unabsehbare Konsequenzen. Nicht nur für China, sondern für die gesamte Region. Es ginge nicht ohne Gewalt und wäre ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.

Bis zum Abtritt des Dalai Lama waren fast 90 Prozent aller Tibeter Leibeigene oder Sklaven. Angenommen, der tibetische Buddhismus käme erneut an die Macht. Was hieße das für Tibet?

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Gerechtfertigt ist aber die Forderung, daß auch die tibetischen Religionsführer und die Oppositionsbewegung die Frage beantworten müssen, welchen Kurs sie denn bei der Modernisierung, gegen Armut und für die Verwirklichung sozialer und politischer Menschenrechte steuern würden.

Anmerkungen:

In der Veröffentlichung für die Tageszeitung Junge Welt wurde der Satz von Christiane Schneider leider weggekürzt, dass daraus (aus der Vermischung von Politik und Bekenntnis] für ganz China der Schluss gezogen werden müsse, die gesamte Gesellschaft auf der Grundlage von Meinungsfreiheit und eines toleranter Meinungsaustausches zu entwickeln. Der Satz ist oben in einer Klammer []hinzugefügt.

Passend zum Thema lesen Sie bitte auch die Abschrift aus einem Buch von Alan Winnington zur Herrschaft des Dalai Lama im Tiber: Freiheit für Leibeigene.

Verwendung: Junge Welt vom 05. April 2008



Zur Geschichte des Dalai Lama: Das Adelsregime in Tibet sah bis Ende der 50er Jahre für Untergebene Rechtlosigkeit und grausame Strafen vor

Aber während die Einwohnerzahlen und die Produktion zurückgingen, stiegen die Ansprüche des Adels. Mit den ausländischen Einflüssen kam das Verlangen nach Industriewaren, ausländischen Weinen und den verschiedensten Luxusartikeln, aber sie brachten keine Veränderung im System der Produktion und der Verteilung, die allgemeinen Wohlstand vergrößert hätte. Aussaugen und immer noch mehr aussaugen – das war die einzige Antwort dieser in der Vergangenheit verankerten Gesellschaft.

Man kann sich keine Vorstellung vom tibetischen Feudalismus machen, wenn nicht wenigstens kurz auf die Methode des Auspeitschens eingegangen wird. Es ist oft darüber geschrieben worden, daß Menschen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wurde, daß man ihnen die Augen ausdrückte, sie verstümmelte und die Sehnen durchschnitt. Das hat es in Tibet wirklich gegeben – als Strafmaßnahme und Mittel zur Befriedigung sadistischer Gelüste des Adels. Das Auspeitschen aber war bis zum Ausbruch des Aufstandes (1959 – d. Red.) ein anerkanntes Recht. Es erfolgte in den Kerkern der Gutsherren und der Klöster, und es gibt nur wenige Leibeigene, die nicht Spuren schwerer Prügelstrafen vorzeigen können. Geschlagen wurde mit der geflochtenen Reitpeitsche, die, wie mir der Lhasaer Mebon 1955 erzählte, einen Menschen schwer, ja tödlich verletzen konnte. In dem Bewußtsein, daß Zahlungsversäumnis unter Umständen 200 oder 300 Peitschenhiebe bedeutete, war ein Leibeigener zu allem bereit, wenn er nur seinen Verpflichtungen nachkommen konnte. Im übrigen wußte der Verwalter es bei ein bißchen Bestechung schon so einzurichten, daß die Hiebe gerade noch erträglich und nicht allzu folgenschwer waren – andernfalls konnte es leicht geschehen, daß die Peitsche statt des Gesäßes die Sehnen der Oberschenkel und der Kniekehlen traf und das Opfer verstümmelte. In jedem Gutshaus fanden sich schwere geflochtene Reitpeitschen und auch ein oder zwei menschliche Unterarme und andere grausige Reliquien. So sah ich in Loka die mumifizierte Leiche eines jungen Mädchens, das von seinem adligen Herrn vergewaltigt und ermordet und dann als Andenken aufbewahrt worden war. Auf einem der Güter Khemeneys entdeckte ich eine versilberte Schale, die aus einer menschlichen Schädeldecke hergestellt und noch zur Hälfte mit verschimmeltem Gerstenbrei und Buttertee gefüllt war. Die unglücklichen tibetischen Leibeigenen lebten in ständiger Furcht vor den »anderen«, wie sie die Adligen nannten.

Wußte man im Ausland schon nicht viel von der Lage der Leibeigenen in der tibetischen Landwirtschaft, so war noch weniger über jenes Fünftel des tibetischen Volkes bekannt, das in den hohen Weidegebieten oberhalb von Lhasa und Schigatse mit Hüten von Jaks und Schafen sein Dasein fristete. Vor noch nicht allzu vielen Jahrhunderten müssen diese Hirten freie Nomadenstämme gebildet haben. Von deren Stammesdemokratie haben sich jedenfalls noch Überreste erhalten. Alles spricht dafür, daß sich der Adel durch die verschiedensten Mittel nach und nach einen immer größeren Teil der Erzeugnisse und des Jungviehs aneignete und Eigentümer aller Weiderechte wurde. (…)

Die Kernfrage, die die chinesische Revolution im tibetischen Teil Chinas aufwarf, lautete: Freiheit des Besitzes von Leibeigenen oder Freiheit für die Leibeigenen? Das von Vertretern der Dalai-Lama-Gruppe in Peking unterzeichnete Abkommen sah vor, daß die Zentralregierung in dem ihr unterstehenden Gebiet das bestehende politische System nicht ändern würde; der Kaschag (die Exekutive des Dalai Lama – d. Red.) sollte jedoch freiwillig in geeigneter Weise Reformen durchführen. 1956 erklärte die chinesische Regierung, daß die Diskussion über die Reformen bis 1962 aufgeschoben werden könnte. Inzwischen wandte sie große Mittel auf, um Hilfsmaßnahmen durchzuführen und den Handel zu entwickeln; dabei muß es dem Adel wohl klargeworden sein, daß er immer geringere Aussicht hat, seine Leibeigenen für Aktionen zur Aufrechterhaltung des Status quo zu mobilisieren, wenn er den Dingen ihren Lauf ließe.

Auszug aus: Alan Winnington: Tibet. Ein Reisebericht. Berlin 1960, Seite 10–13

Quelle: Junge Welt vom 05. April 2008
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25. März 2008

Manfred BraaschKoalitionsverhandlungen in Hamburg: Umweltschützer fordern Grüne auf, hart zu bleiben. Ein Gespräch mit Manfred Braasch

Manfred Braasch ist Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Hamburg

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und CDU in Hamburg sollen die Knackpunkte Kohlekraftwerk Moorburg und Elbvertiefung zunächst in Arbeitsgruppen weiter diskutiert werden. Was erwarten die Umweltschutzverbände vom Ausgang dieser Verhandlungen?

Wir wollen, daß Lösungen gefunden werden, die auch aus umweltpolitischer Sicht akzeptabel sind. Nehmen Sie die Elbvertiefung, bei der es darum geht, daß auch sehr große Containerschiffe der nächsten Generation Zufahrtsmöglichkeiten zum Hamburger Hafen erhalten. Dafür müßten 40 Millionen Kubikmeter Sand abgebaggert werden, was aus ökologischer Sicht überhaupt nicht vertretbar ist. Wir habe deshalb ein norddeutsches Hafenkonzept vorgeschlagen, mit dem es möglich wäre, die Containerverkehre arbeitsteiliger zu bewältigen. Demzufolge könnten die sehr großen Containerschiffe ab 2010 in Wilhelmshaven entladen werden. Die Elbvertiefung wäre überflüssig, und allein der Hamburger Haushalt würde um etwa 100 Millionen Euro entlastet. Angesichts des Wachstums im Containerverkehr würden die Arbeitsplätze im Hafen nicht verlorengehen. Wir erhoffen uns, daß die Grünen bei dieser Verhandlungslinie bleiben.

Und bezüglich des Kohlekraftwerks?

Das Projekt des Energiekonzerns Vattenfall im Hamburger Stadtteil Moorburg wäre ein gigantischer Klimakiller. Das Kraftwerk ist weder mit dem Klimakonzept der Hansestadt noch mit den Klimazielen auf Bundesebene zu vereinbaren. Kohle ist als Brennstoff ein Energieträger, der bei der Verbrennung doppelt so viel Kohlendioxid freisetzt wie etwa ein modernes Gaskraftwerk.

Nicht nur Vattenfall-Vorstand Hans-Jürgen Cramer, sondern auch die Vorstände der Norddeutschen Affinerie und der Trimet AG sagen aber, daß ohne ein solches Grundlastkraftwerk die Energieversorgung nicht mehr sichergestellt und somit auch Arbeitsplätze gefährdet wären. Cramer betonte zudem, daß der Kraftwerksbau mit Hamburg bereits vertraglich vereinbart und deshalb genehmigungsrechtlich nicht mehr in Frage gestellt werden könne.

Das Argument der Versorgungslücke ist schlicht falsch. Bereits im November 2007 haben wir mit einer Studie nachweisen können, daß diese nicht auftritt, wenn es jetzt zu einem konsequenten Ausbau regenerativer Energiequellen, zur besseren Nutzung der Ressourcen sowie zum Bau eines hocheffizienten Gaskraftwerks kommt. Allerdings müssen die Weichen dafür bereits 2008 gestellt werden. Die Industrie verkennt, daß ein Kohlekraftwerk nicht nur mit den klimapolitischen Zielen, sondern auch mit den Vorgaben des europäischen Wasserrechts nicht vereinbar wäre. In Moorburg kommt hinzu, daß durch ein solches Kraftwerk auch die Elbe stark belastet würde, durch die Einleitung von erwärmtem Kühlwasser und toter Biomasse. Herr Cramer irrt sich, wenn er behauptet, durch die bereits erteilte Vorabgenehmigung für einzelne Bauabschnitte sei nach dem Bundesemissionsschutzgesetz eine Endgenehmigung nun nicht mehr notwendig. Denn aus einer solchen Vorabgenehmigung kann kein rechtlich-formaler Anspruch auf eine abschließende Genehmigung abgeleitet werden.

Es wird spekuliert, die Halbierung der Kraftwerksleistung könne eine denkbare Kompromißlinie sein.

Ein sinnvoller Kompromiß wäre das nicht, denn die Grundproblematik, daß Kohle kein vernünftiger Energieträger ist, bliebe erhalten. Eher könnte ich mir deshalb vorstellen, daß Vattenfall im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen die Genehmigung für ein hochmodernes Gaskraftwerk an gleicher Stelle erhält. Das würde auch die wirtschaftlichen Interessen des Konzerns berücksichtigen.

Als Umweltschutzverband ist Ihre Organisation traditionell eng mit den Grünen verbunden. Wie setzen Sie diese unter Druck bzw. stärken ihnen den Rücken für die Verhandlungen mit der CDU?

Mit einer Onlinekampagne haben wir die Bürger bundesweit dazu aufgerufen, die Verhandlungsführerin der Grünen, Christa Goetsch, in einer Mail darum zu bitten, bei der Frage des Kraftwerks hart zu verhandeln. Binnen weniger Tage sind bereits 1500 Mails bei uns eingegangen, die wir Goetsch auch schon übergeben haben. Außerdem versuchen wir, die Grünen mit unserem Fachwissen und unseren Expertisen zu unterstützen.

Verwendung: Junge Welt vom 22. März 2008
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22. März 2008

»Zug der Erinnerung« an von den Nazis deportierte Kinder darf nun doch für einen Tag am Hamburger Hauptbahnhof halten. Ein Gespräch mit Helga Obens

Helga Obens ist Mitglied der Hamburger Arbeitsgruppe »11000 Kinder«

Am Ostermontag trifft in Hamburg der »Zug der Erinnerung« ein. Sechs Tage lang wird es dann Veranstaltungen zum Schicksal der in der Nazizeit verschleppten Kinder und Jugendlichen geben. Doch Anfang der Woche teilte die Bahn überraschend mit, daß dafür der Hauptbahnhof nicht zur Verfügung steht, allenfalls ein Abstellgleis in Altona. Wie bewerten Sie dies? Und hat sich daran noch etwas geändert?

Allein in Hamburg wurden mehr als 1000 Kinder und Jugendliche mit Hilfe der Bahn in die Vernichtungslager deportiert und dort meist ermordet. Bisher haben den Zug der Erinnerung mehr als 145000 Menschen in 43 Städten Deutschlands an den jeweiligen Hauptbahnhöfen besucht. Und in Hamburg soll dies nicht möglich sein? Wir waren sprachlos und entsetzt, als wir das am Montag hörten. Zudem hatten wir ja geplant, daß der Zug am Ostermontag von Shoah-Überlebenden aus Hamburg, Israel und New York um 15 Uhr am Hauptbahnhof begrüßt wird. Seit Montag haben wir deshalb Proteste organisiert. Auch mit Hilfe der Gewerkschaften, der Medien und verschiedener Parteien. So konnten wir in den Verhandlungen mit der Bahn am Gründonnerstag schließlich durchsetzen, daß der Zug am Ostermontag doch in den Hauptbahnhof fährt und dort bis 19 Uhr auf IC-Gleis Nummer zwölf besichtigt werden kann.

Zuvor hatte die Bahn angegeben, daß die Dampflok Brandmelder im Hauptbahnhof auslösen würde…

Die Lokomotive kann kalt und außerhalb der Überdachung abgestellt werden. Technisch ist das kein Problem. Nun wird eingewandt, die Netze seien so ausgelastet, daß eine mehrtägige Nutzung nicht möglich ist. Am Abend des Ostermontags muß der Zug deshalb aus dem Hauptbahnhof wieder raus. Dann wird er nach Altona verlegt.

Haben Sie dem zugestimmt?

Ja, denn unsererseits besteht kein Interesse, daß die ganze Sache doch noch platzt. Zugestimmt haben wir aber nur, weil uns zugesichert wurde, daß der Zug auch in Altona nicht auf einem Abstellgleis, sondern auf dem zentral gelegenen Gleis fünf halten darf. Erst dadurch ist sichergestellt, daß er ganztägig von 10 bis 19 Uhr besucht werden kann. Auch dies war ja in Frage gestellt. So haben wir mit unseren Protesten eine Menge bewegen können.

Kontroversen gibt es seit Wochen auch um den Preis für die Nutzung der Gleisanlagen. Was müssen Sie in Hamburg bezahlen und wie finanzieren Sie das?

Für jeden Tag, den der Zug in Hamburg hält, müssen wir 2000 Euro aufbringen. Der überwiegende Teil davon geht an die Bahn AG für die Nutzung der Gleise, Stationen und elektrischen Anschlüsse. Dieses Geld konnten wir mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di und des DGB sowie anderer Organisationen zusammenbekommen. Aber die Kosten für die zahlreichen Veranstaltungen sind damit noch nicht gedeckt. Hier sind wir weiter auf Spenden angewiesen.

Öffentliche Unterstützung gab es nicht?

Nein. Aber die Bezirksversammlung Altona will uns jetzt noch kurzfristig einen Betrag zur Verfügung stellen.

Die Deutsche Bahn AG ist der Rechtsnachfolger der Reichsbahn. Hat die mit den Deportationen nicht auch Geld verdient?

Die Rechnungen, die die Reichsbahn der SS ausgestellt hat, werden unsererseits im Zug dokumentiert. Doch Bahnchef Hartmut Mehdorn blieb in dieser Frage stur. Anders als in Frankreich wurden uns weder Kosten erlassen, noch Zuschüsse durch die Bahn bewilligt. Da haben auch die Politiker versagt, denn die hätten Mehdorn unter Druck setzen müssen.

Welche Veranstaltungen sind für Hamburg geplant?

In einem der Waggons zeigen wir unsere Sonderausstellung zu den Deportationen in Hamburg. Neben der Eröffnungsveranstaltung am Ostermontag – wir hoffen, daß dazu auch die Teilnehmer des Ostermarsches kommen – wird es dann am Dienstag ein Zeitzeugengespräch mit einem Überlebenden aus Israel geben. Am Mittwoch folgt eine Lesung aus Häftlingsbriefen im Gewerkschaftshaus, am Donnerstag eine Veranstaltung im Schulmuseum, am Freitag eine Führung durch die Gedenkstätte Bullenhuser Damm. Ebenfalls am Freitag wird es am Hannoverschen Bahnhof eine Gedenkveranstaltung mit dem Generalsekretär der Rom- und Sinti-Union, Karl-Heinz Weiß, und Vertretern des Auschwitz-Komitees geben. Dazu kommen dann noch die Rundgänge und Rundfahrten, die direkt vom Zug aus starten, und Angebote für Schulklassen.

Nähere Infos: www.bahnhof-der-erinnerung-hamburg.de

Verwendung: Junge Welt vom 22. März 2008
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1 Kommentar

14. März 2008

Athanasios Drougias Zahlreiche Ärzte kommunaler Kliniken folgten am Donnerstag einem Aufruf des Marburger Bunds zu Warnstreiks. Gespräch mit Athanasios Drougias

Athanasios Drougias ist Leiter der Verbandskommunikation der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und Pressesprecher des Bundesvorstands

Einem Aufruf Ihrer Organisation folgend haben sich am gestrigen Donnerstag zahlreiche Ärzte aus kommunalen Kliniken an Arbeitskampfaktionen beteiligt. Worum ging es bei diesen Warnstreiks?

Hintergrund sind die ins Stocken geratenen Tarifverhandlungen zwischen uns und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA). Die Arbeitgeber haben in den bisherigen drei Verhandlungsrunden kein Tarifangebot für die rund 55000 Ärzte an den 700 kommunalen Kliniken vorgelegt. Das aber führt unter den Medizinern zu erheblichem Unmut. Und dem haben sie Ausdruck verliehen – vor allem in Baden-Württemberg, Hessen und Nord­rhein-Westfalen. Die Warnstreiks sind ein Schuß vor den Bug der Arbeitgeber.

Wie war die Resonanz unter den Ärzten?

Noch besser als wir es erwartet hatten. Denn wir hatten für diesen ersten Streiktag gar nicht so groß getrommelt, auch um steigerungsfähig zu bleiben. Doch allein bei unserer zentralen Aktion in Wiesbaden waren über 1000 Ärzte an den Protesten beteiligt. Bundesweit waren es mehrere tausend Ärztinnen und Ärzte.

Was fordern Sie konkret?

Wir wollen eine deutliche Erhöhung der Grundvergütung für die Ärzte, denn die liegt im internationalen Vergleich weit unter dem, was üblich ist. Für die Kommunalkliniken fordern wir eine Erhöhung der Gehälter um durchschnittlich 10,2 Prozent. Außerdem verlangen wir die umgehende Anpassung der Ostgehälter an das Westniveau. Es gibt ja immer noch diesen unsäglichen Ostabschlag. Er führt dazu, daß die dort Beschäftigten drei Prozent weniger verdienen als die im Westen.

Wie begründet die Gegenseite, daß sie bisher kein Angebot vorgelegt hat?

Mit dem Hinweis, daß kein Geld da sei. Für mich ist das Verhandlungstaktik, denn schon in der zweiten Tarifrunde wurde angedeutet, daß unsere Forderungen durchaus finanzierbar sind. Außerdem gilt: Was wir jetzt für die Ärzte in den Kommunalkliniken fordern, das wird in den Universitätskliniken und in den berufsgenossenschaftlichen Kliniken längst gezahlt.

In vielen Krankenhäusern sind Arztstellen nicht besetzt. Wie wollen Sie darauf Einfluß nehmen?

Daß etliche Stellen nicht besetzt sind, hängt eben auch damit zusammen, daß die Gehälter so schlecht sind. Es flüchten immer mehr Ärzte ins Ausland, was wiederum Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen des verbleibenden Personals hat. Hinzu kommt, daß etliche Kliniken Probleme damit haben, eine angemessene Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Mit ihrem Sparkurs schneiden sich die Klinikbetreiber ins eigene Fleisch.

In der vergangenen Woche hatte auch ver.di Beschäftigte aus den Kommunalkliniken zu Warnstreiks aufgerufen. Warum gibt es keine bessere Koordination zwischen den Gewerkschaften?

Die Tarifverhandlungen werden getrennt geführt, weil wir ganz unterschiedliche Berufsgruppen vertreten. Wir vertreten die Ärzte, ver.di das übrige Klinikpersonal. Doch es gibt auch inhaltliche Unterschiede: Uns geht es nur um die Entgelttabelle, also um die Gehälter. Bei ver.di geht es auch um den kompletten Mantel, also auch um Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen. Letzteres könnten wir gar nicht neu verhandeln, weil wir da schon einen gültigen Tarifvertrag haben. Ob künftig eine bessere Synchronisation möglich ist, müssen wir sehen.

Ver.di argumentiert, daß bei der gegebenen Form der Krankenhausfinanzierung das Geld, das die Ärzte zuviel erhalten, beim übrigen Personal fehlt. Solidarische Gewerkschaftspolitik sehe anders aus.

Diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Es ist noch keine zwei Jahre her, daß wir das erste Mal einen eigenen Tarifvertrag durchgesetzt haben. Auch damals hat uns ver.di kritisiert. Nur was kam heraus? Weil es uns gelang, einen guten Tarifvertrag für die Ärzte durchzusetzen, konnte dann auch ver.di die Forderung erheben, die Gehälter in den Pflegeberufen anzupassen. Da gab es dann 35 Euro im Monat mehr für jede Pflegekraft.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir müssen mal sehen, was die Arbeitgeber uns jetzt anbieten. Wenn sie allerdings meinen, gegen uns weiterhin taktieren zu können, uns weiter hinzuhalten, dann kann dieser Tarifkonflikt schnell eskalieren.

Verwendung: Junge Welt vom 14. März 2008
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14. März 2008

Hamburg: Bürgerschaft konstituierte sich. Neue Fraktion soll Verfassungsschutz nicht kontrollieren dürfen

Zweieinhalb Wochen nach der Wahl in Hamburg ist die Bürgerschaft am späten Mittwoch nachmittag zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetroffen. Zum neuen Parlamentspräsidenten wurde mit großer Mehrheit der CDU-Politiker Berndt Röder gewählt. Zu einem ersten Disput kam es bei der Besetzung des Parlamentarischen Kontrollausschusses für den Verfassungsschutz. Der Fraktion Die Linke stehe ein eigener Sitz dort nicht zu, argumentierten unisono Redner von CDU, SPD und Grünen. Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn forderte, daß gerade für diesen Ausschuß ihre Partei berücksichtigt werden müsse. Da die anderen Parteien dem nicht folgten, lehnte es die Linke schließlich ab, sich überhaupt an der Wahl der sieben Ausschußmitglieder zu beteiligen.

Geschnitten wird Die Linke auch mit Hilfe der Sitzordnung im Plenarsaal. Sie hatte beantragt, ganz links sitzen zu dürfen. Doch da dieser Platz auch von den Grünen beansprucht wurde, entschied Röder nach einer Sitzung des Ältestenrats, daß die Vertreter der Linkspartei zwischen den Abgeordneten von SPD und Grünen, noch dazu durch einen Mittelgang voneinander getrennt, Platz nehmen müssen. So teilt Dora Heyenn nun eine Bank mit Grünen-Fraktionschefin Christa Götsch. Der linke Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch fürchtet, daß die Arbeitsfähigkeit seiner Fraktion dadurch leiden könnte.

Als Stellvertreter von Heyenn gehört der Ex-Grüne Hackbusch neben Ex-PDS-Landeschefin Christiane Schneider seit Anfang der Woche zum Fraktionsvorstand der Linken. Eine hervorgehobene Rolle soll auch der in Erwerbsloseninitiativen engagierte Wolfgang Joithe spielen. Anfang April wird er zu einem der Vizepräsidenten des Parlaments gewählt werden. Wie die Funktionen in der Fraktion aufzuteilen sind, hatte ein Landesparteitag am vergangenen Wochenende vorgegeben.

Parlamentspräsident Röder plädierte für »einen fairen Umgang aller Abgeordneten« miteinander. Dies sei besonders wichtig, weil die »Legitimation des Parlaments« durch die geringe Wahlbeteiligung (63,5) Prozent einen Knacks bekommen habe. Röder vermutet, daß unter den 450000 Nichtwählern viele sind, die »vom Parlamentarismus« enttäuscht sind. Da »die Freiheit in ganz Deutschland erst seit weniger als 20 Jahren« existiere, sei dies besorgniserregend. Artig klatschten da auch vier der acht Linksparlamentarier. Noch bis zum Wahlabend hatte Die Linke mit mindestens zwölf Sitzen gerechnet. Doch nach dem Auftritt der inzwischen fraktionslosen niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner (DKP) in der ARD-Sendung Panorama, sei das Wahlergebnis „verhagelt“, meint inzwischen auch Heyenn. Nicht eingezogen ins Parlament ist deshalb DKP-Mann Olaf Harms. Ebenso wenig, wie die Iranerin Zaman Masudi, die Sozialpädagogin Angelika Traversin, die frühere Regenbogen-Abgeordnete Heike Sudmann und Schwerbehindertenvertreter Gerlef Gleiss. Tragisch. Denn allesamt gehören sie zum linken, auf Kooperation mit außerparlamentarische Gruppen orientierten Parteiflügel. Doch nach dem Auftritt der inzwischen fraktionslosen niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner (DKP) in der ARD-Sendung »Panorama« sei das Wahlergebnis »verhagelt«, meint Heyenn. Den Einzug ins Parlament verfehlten dadurch jedoch ausschließlich Leute, die zum linken, auf Kooperation mit außerparlamentarischen Gruppen orientierten, Parteiflügel gehören.

Verwendung: Junge Welt vom 14. März 2008
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Richtigstellung:
Bei der Übernahme dieses Textes durch die Tageszeitung Junge Welt wurde ein bestimmter Abschnitt in einer Weise redigiert, der mir nicht gefällt. Ich habe dies oben durch Streichungen verdeutlicht. Der gestrichene Text beinhaltet dabei jenen Teil, wie er in der jW veröffentlicht wurde, der nicht gestrichene kursiv gesetzte Teil kennzeichnet den Originaltext.



10. März 2008

Manfred SohnNachfolgend dokumentiere ich hier einen Beitrag von Manfred Sohn, Fraktionsvorsitzender der Linken im niedersächsischen Landtag, zum Wahlerfolg seiner Partei am 27. Januar 2008 und zu den Ereignissen, die schließlich zum Mandatsklau durch Christel Wegner (DKP) führten. Was ich selber von diesem Mandatsklau halte, habe ich an anderer Stelle schon deutlich gemacht. Manfred Sohn hatte mir diesen Beitrag schon vor längerer Zeit zugestellt, mich dann aber gebeten diesen erst zu verwenden, wenn er ihn selbst veröffentlicht hat.

Kurze Anmerkungen zu einem Wahlerfolg und seinen Nachwehen

von Manfred Sohn

Vorbemerkung des Autors: Die folgenden Betrachtungen sind subjektiv und eine persönliche Einzelmeinung eines der inzwischen fast 3 000 Mitgliedern der niedersächsischen Landesorganisation der Partei Die Linke. Sie versuchen neben einer Einschätzung einzelner Aspekte unseres Wahlerfolgs vom 27. Januar auch eine Darstellung der Ereignisse, die zu dem Ausschluß eines der Mitglieder der neugewählten Landtagsabgeordneten aus der Fraktion Die Linke im niedersächsischen Landtag geführt haben. Eine ausführlichere Fassung ist auf der jW-Themaseite im Internet zu lesen. (Siehe: Langfassung, hier auf diesem Weblog ebenfalls dokumentiert.)

Am 27. Januar 2008 zog die Linkspartei mit ihren jeweiligen Landeslisten durch 5,1 Prozent der Wählerstimmen in das Landesparlament von Hessen und durch 7,1 Prozent in das von Niedersachsen ein. Knapp einen Monat später, am 24. Februar, erreichte sie 6,4 Prozent und damit eine neue Fraktion auch in der Hamburger Bürgerschaft. Nach dem Erfolg bei den Bremer Wahlen im Mai 2007, bei denen sie mit 8,4 Prozent der Stimmen erstmals in ein westdeutsches Parlament einzog, gelang ihr durch diese Serie der parlamentarische Durchbruch in den alten Bundesländern. Sie ist seitdem gemessen an der Stärke ihrer Landtagsmandate unbestreitbar und mit einigem Abstand zu FDP und den Grünen die drittstärkste parlamentarische Kraft in Deutschland.

Der Wahlerfolg in Niedersachsen ist zustandegekommen dank des Einsatzes der im Wahlkampf um fast 50 Prozent gewachsenen Mitgliedschaft der Partei Die Linke. In gewisser Weise läßt sich sagen: Dieser Kampf um das Leineschloß – dem Sitz des niedersächsischen Landtages – hat diese Landespartei in der jetzigen Form erst hervorgebracht. Bei den Landtagswahlen 2003 bestand der Vorläufer dieser Partei, die PDS, aus rund 500 Mitgliedern, deren Kandidaten bei den Wahlen damals rund 20 000 Stimmen erreicht hatten.

Der positive Sog der mit 8,7 Prozent gewonnenen Bundestagswahl und die Ausstrahlung der anschließend gebildeten Fraktion Die Linke in Berlin führte in Niedersachsen zu einem Zuwachs an Mitgliedern in beiden Quellparteien. Sie hatten am 16. Juni 2007, bei der Verschmelzung zur neuen Partei, jeweils knapp 1 000 Mitglieder. Der Landtagswahlkampf selbst entwickelte vor allem in den Monaten Dezember und Januar eine weitere Sogwirkung, so daß die Mitgliederzahl sich von insgesamt rund 2 000 zum Zeitpunkt der Parteineubildung auf jetzt fast 3 000 erhöhte. Jedem Marxisten, der nicht tagträumend durch die Gegend läuft, ist klar, welch ein politisch labiles Gebilde eine so schnell wachsende Organisation ist und welche Verantwortung für besonnenes Vorgehen eine solche Lage für alle erfordert, die in einem politischem Gefecht herausragende Verantwortung tragen.

Wir haben aber nicht nur einen starken Wahlkampf geführt, sondern hatten auch Gegner, die schwach waren. Zum einen ist es der SPD – anders als in Hessen – überhaupt nicht gelungen, ihre Mitglieder zu mobilisieren. Zweitens haben CDU und die von ihr dominierten Leitmedien die Linie gefahren: »Totschweigen, nicht vorkommen lassen und wenn, dann mit der Bemerkung: Kommen sowieso nicht rein.« Dies ist unterspült worden zum einen von den (überwiegend schlecht bezahlten) Lokalredakteuren, die ordentlich über uns berichtet haben und durch unseren eigenen, druckvollen Wahlkampf in buchstäblich jedem Dorf zwischen Nordsee und Harz. Vier Tage vor der Wahl haben die klügeren Köpfe der anderen Seite umgeschaltet und auf Seite eins der den Zeitungsmarkt in Niedersachsen beherrschenden Madsack-Kette mit der Hilfe eines ausgetretenen Mitglieds aus Hannover doch noch versucht, uns mit DKP und DDR am Zieleinlauf zu hindern. Aber das war zu zaghaft und zu spät, und so blieb es bei dem, was irgendein trotziges Parteimitglied am 26. Januar auf ein Plakat in der Wahlkampfzentrale gekritzelt hatte: »CDU und HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung, d. Red.) schießen auf uns mit DDR und DKP – wir aber stürmen das Leinepalais.«

DKP im Linkspartei-Wahlkampf

Christel WegnerMehr als ein halbes Jahr vor den Wahlen hat die DKP angeboten, auf eine eigene Kandidatur zu verzichten, wenn sie dafür einen aussichtsreichen Listenplatz bekäme. Nun ist diese Partei organisatorisch nur noch ein Abglanz früherer Stärke. Sie hat knapp 400 Mitglieder in Niedersachsen, die ein Durchschnittsalter von gut 60 Jahren haben und von denen nach eigenen Angaben nur noch ein Drittel wenigstens einmal im Monat für politische Aktivitäten das Haus verlassen. Viel ist das nicht. Dennoch haben wir der von ihr gewählten Kandidatin die Möglichkeit eingeräumt, sich auf den Regionalversammlungen unserer Partei – an denen alle Mitglieder teilnehmen konnten – als mögliche Kandidatin vorzustellen, und es hat über die Einbeziehung von Christel Wegner auch im internen Verteiler eine rege, kontroverse Diskussion gegeben.

Am 3. November haben wir auf einer LandesvertreterInnenversammlung dann mit mit knapper, aber von niemanden angefochtener Mehrheit Wegner auf Platz neun dieser Liste gewählt. Durch den Wahlerfolg am 27. Januar war sie damit Landtagsabgeordnete.

Als sich die zunächst von vielen als winzig eingeschätzte Möglichkeit, in den Landtag einzuziehen, im Januar zu einer realen entwickelte, weitete sich der Widerspruch zwischen dem hervorragenden Platz, den wir Christel Wegner zugebilligt hatten, und den Möglichkeiten der DKP. Die DKP spielte von einzelnen Kreisen abgesehen in diesem Wahlkampf praktisch keine Rolle. Sie hatte zwar etwas vollmundig angekündigt, einen sichtbaren, solidarischen und eigenständigen Wahlkampf zu führen. Das blieb aber Ankündigungspolitik. Weder frühmorgens vor den Betriebstoren noch bei den Plakateinsätzen war – Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel – von den Kommunisten viel zu sehen. Wenn aber Wahlkämpfer das Gefühl haben, sie rödeln sich den Arsch ab für Leute, die sie außer bei der Kandidatenaufstellung nicht zu Gesicht bekommen, macht sie das in der Regel verdrießlich. Das hat weniger mit politischen Inhalten zu tun. Das hat mit dem sozialen Gesetz zu tun, daß man Räume, die man beansprucht, auch ausfüllen können muß. Das aber war bei der DKP angesichts ihrer hohen Listenposition im Verlauf des praktischen Wahlkampfes immer weniger der Fall.

Dann kam der Wahltag, und alle haben sich gefreut, DKP und Wegner eingeschlossen. Sie hat das in Unsere Zeit, die Zeitung ihrer Partei, am 1. Februar mit den Worten kommentiert, sie sei zum Mandat gekommen »wie die Jungfrau zum Kinde«. Das widerspiegelt in etwas flapsigen Worten in der Tat den oben skizzierten Widerspruch zwischen Plazierung und der Schwäche der Organisation, der sie angehört.

DKP-Flirt mit Panorama

Schon am Tag nach der Wahl war ersichtlich, daß die Leitmedien in Norddeutschland – allen voran Bild – entschlossen waren, die Scharte Niedersachsen auszuwetzen, ihren Fehler des Unterschätzens und Totschweigens nicht zu wiederholen und in den wenigen verbleibenden Tagen bis zum Wahlgang in Hamburg alles zu tun, damit dort die Deiche, die aus ihrer Sicht in Niedersachsen gebrochen waren, nicht auch noch brechen. Es wurde nach Lektüre der Medien schnell klar, mit welchen Mitteln sie versuchen würden, ihre Dämme zu verstärken: mit dem Ruf »Die Linke = DKP und DDR«.

Es gab daher bei uns in der zwei Tage nach der Wahl – unter Einschluß von Christel Wegner – konstituierten Fraktion und im Landesverband eine hohe Disziplin, gegenüber der Presse, dieses Thema nicht zu bedienen. Daran haben sich – wie sich das in einem Gefecht gehört – alle anderen Fraktionsmitglieder, alle Landesvorstandsmitglieder, alle 140 Kommunalparlamentarier gehalten – nur eine nicht: Christel Wegner.

Die Panorama-Sendung selbst deutet darauf hin, daß hier – leider – viel mehr passiert ist als die Entgleisung einer einzelnen frisch gebackenen und vielleicht im Umgang mit nicht wohlgesonnenen Medien unerfahrenen Landtagsabgeordneten. Was die Aufregung verursacht hat, war ja kein isoliertes Interview mit der Abgeordneten. Es war ein nach Panorama-Manier aus drei Teilen zusammengeschnittener Bericht. Da war zum einen ein Ausschnitt aus der Beerdigung des Genossen und Gründungsmitglieds der DKP, Kurt Erlebach, mit einem Ausschnitt aus der Rede des Parteivorsitzenden der DKP, zum anderen eine Sequenz, bei der der Hamburger Bezirksvorsitzende Olaf Harms im Wahlkampf begleitet wurde und dann ein Interview mit Wegner bei ihr zu Hause. Der Rest (Rede Herbert Mies etc.) war aus dem Archiv.

Das heißt aber: Panorama ist – wie von uns befürchtet – gleich nach dem »Niedersachsen-Desaster« aktiv geworden und hat mehrere Größen der DKP vor die Kamera gebeten. Und der eigentliche Skandal ist: Sie alle haben sich wie die Kinder gefreut, daß sie endlich gefilmt werden und haben sich stolz filmen lassen: Parteivorsitzender, verdiente Genossen, Bezirksvorsitzender und die einzige Landtagsabgeordnete – sozusagen die Crême der Partei. Und all‘ dies an der Liste vorbei, der sie den für sie selbst überraschenden (»Jungfrau zum Kinde«) Einzug in den niedersächsischen Landtag verdanken. Ich betone: an der Liste vorbei. Über die Tatsache, daß die DKP mit den Panorama-Machern herumflirtet, sind wir erst informiert worden, als das Material schon abgedreht war.

Dies kann nur zweierlei bedeuten. Entweder das ist ein kollektiver Blackout der Führung der führenden Partei der Arbeiterklasse. Oder aber es ist – zwei Wochen vor ihrem Parteitag – Ergebnis der Überlegung, den parteieigenen Kritikern an der Politik, auf Listen der Linkspartei zu kandidieren, durch einen wohlüberlegten Paukenschlag deutlich zu machen, daß man sehr wohl willens und in der Lage sei, eine eigenständige mediale Rolle als DKP trotz einer Integration einzelner Kommunistinnen und Kommunisten in Listen von Die Linke zu spielen. Im ersten Fall wäre es eine völlige Disziplinlosigkeit einer Partei, die einst nicht ganz zu unrecht auf diese revolutionäre Tugend stolz war. Im zweiten Fall ist es ein Hintergehen eines Partners. Beides aber kann nur dazu führen, daß dieser Partner mit einer solchen Organisation, die so vorgeht (entweder disziplinlos oder bewußt intrigant) anders zusammenarbeitet als vor einem solchem Ereignis.

In dem Interview hätte sich die Abgeordnete wenigstens – wie es jeder von uns tut, wenn er vor bürgerliche Journalisten tritt – auf die im Wahlprogramm niedergelegten Aufgaben der Liste im Landtag konzentrieren können. Das alles hat sie nicht getan. Sie hat nicht das Gemeinsame aller Kandidatinnen und Kandidaten der Liste fünf in den Vordergrund gestellt, sondern das, was sie von allen anderen unterscheidet – und sich anschließend bitter darüber beklagt, daß die Fraktion dieser Logik folgend nun auch das in den Vordergrund stellt, was diese eine Landtagsabgeordnete dieser Liste von allen anderen unterscheidet: ihre eigene Parteimitgliedschaft.

Wenig Lust auf Klarheit

Deshalb ist es auch müßig, darüber zu streiten, ob ihre Äußerungen mit dem Landtagswahlprogramm der Linkspartei kompatibel sind. Sie selbst betont in dem Interview ja gerade das trennende – die Position, daß man »so ein Organ wieder braucht«, das Gewähr dafür bietet, sich davor zu schätzen »so einen Staat von innen auf(zu)weichen«, die Position zur Berliner Mauer, die Position zu Reform und Revolution. Es ist eine Umkehrung der Abläufe, jetzt so zu tun, als sei sie durch eine Art politischer Gewaltakt von der Fraktion getrennt worden. Sie hat sich durch Führung und Inhalt des Interviews für die ARD von der Fraktion getrennt und diese hat die Trennung lediglich quittiert.

Die ganze Kritik gegenüber der angeblich zu harten Umgangsweise mit der Abgeordneten Wegner konzentriert sich auf den Vorwurf, wir hätten sie ohne Prüfung der Tatsachen aus der Fraktion geworfen. Das ist ein Märchen. Am Donnerstag der Panorama-Sendung haben wir ihr nachmittags telefonisch für den Fall, daß das alles so sei, wie Panorama behaupte, den Mandatsverzicht nahegelegt und angekündigt, daß wir ihren Fraktionsausschluß prüfen würden. Zumindest für Niedersachsen kann ich bezeugen, daß der Ausschluß nicht, wie Wegner in der jungen Welt vom 21. Februar behauptet, »schon vor der Ausstrahlung der Panorama-Sendung feststand«. Und niemand anders als die niedersächsische Fraktion konnte diesen Ausschluß beschließen.

Wir haben sie an diesem Tag angesichts der Gefahr für die Wahl in Hamburg in der Tat gebeten, zunächst öffentlich nichts weiter zu diesem Thema zu sagen, aber auch gebeten, möglichst schnell eine eigene schriftliche Stellungnahme zu dem Vorgang zu verfassen. Diese Stellungnahme lag zumindest mir als ihrem damaligen Fraktionsvorsitzenden erst am Sonntag abend um 21 Uhr vor. Kernsatz: »Mein Aussage im Interview bezog sich nicht auf die Stasi.«

Das aber läßt sich presserechtlich klären. Also habe ich gut eine Stunde später sie und ihren Rechtsanwalt – ebenfalls schriftlich per E-Mail – um »das Einlegen von Rechtsmitteln« gebeten, »um eine Herausgabe des Interviewmitschnitts zu erwirken«. Bis heute (6. März 2008) kenne ich kein Schriftstück, mit dem das auch nur versucht wird.

Statt dessen erschien am 21. Februar ein Interview von Wegner in junge Welt, in der sie abwinkend erklärt: »Bestenfalls würde in einer Panorama-Sendung eine Richtigstellung in zwei Sätzen erfolgen. Das lohnt nicht wirklich (…).« Bestenfalls! Das lohnt nicht! Und so sollen wir kämpfen in diesem Lande? Bestenfalls! Das lohnt nicht! Nur zwei Sätze im nationalen Fernsehen? Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es ein Stück aus dem Tollhaus der führenden Partei der Arbeiterklasse – und welcher Kontrast zu den Zeiten der Kämpfe gegen die Berufsverbote, wo dieselbe DKP zu recht um jeden Fußbreit Boden vor den Gerichten gefochten hat!

Einen Tag nach diesem jW-Interview hat Panorama – schriftlich – erklärt: Der Kontext wäre so gewesen wie dargelegt: »Anders als jetzt von Frau Wegner behauptet, ging es dabei nicht um irgendeinen Geheimdienst, sondern durchgängig ganz konkret um die DDR-Staatssicherheit.« Eine oder einer lügt hier. Und das kann herausgefunden werden. Aber nur durch die interviewte Person und die von ihr beauftragten Rechtsanwälte. Solange warten wir.

Die Forderung nach Mandatszurückgabe ist nur konsequent. Zum Vorwurf der Wählertäuschung sagt sie im jW-Interview, das sei absurd, denn: »In meinem Wahlkreis bin ich als Direktkandidatin aufgetreten und in der Lokalpresse als Kandidatin für Die Linke, aber auch als DKP-Mitglied vorgestellt worden.« Sie sollte aber zur Kenntnis nehmen, daß sie keine direkt in Buchholz, sondern über die Liste gewählte Abgeordnete ist.

Wir wiederum nehmen zur Kenntnis, daß sie stur und damit Abgeordnete bleibt. Die gegenseitige Zuneigung fördert das nicht.

Konzentration auf Hauptaufgaben

Die Unterschriften, die zur Zeit von junge Welt gesammelt werden, stehen unter der Forderung, Wegner »wieder einen Status innerhalb der Landtagsfraktion (…) zu geben«. Das wird nicht möglich sein. Alle Abgeordneten – auch Wegner – haben von der Landtagsverwaltung zwei Tage nach der Wahl unter anderem die Geschäftsordnung des Landtags ausgehändigt bekommen. Dort heißt es im Paragraphen zwei: »Fraktionen sind Vereinigungen, zu denen sich Mitglieder des Landtages zusammenschließen können, die der gleichen Partei angehören (…)«. Solange die Mehrheit des Landtages – die aus CDU und FDP besteht – diese Geschäftsordnung nicht ändert, kann Wegner nicht Mitglied einer ihrer Fraktionen werden.

Also sitzt sie jetzt allein im Landtag und bleibt auch auf absehbare Zeit die einzige Vollzeitparlamentarierin der DKP. Durch ihr Interview mit den Panorama-Leuten in ihrem Wohnzimmer hat sie im Ergebnis vermutlich ihren Genossen Olaf Harms kurz vor dem Eingang in die Hamburger Bürgerschaft »von der Treppe geschossen« – auch das gehört zu den Ergebnissen dieser Einzelaktion.

Im übrigen wird es weder ein Schneiden der Abgeordneten durch ihre ehemaligen Listenkollegen geben noch eine Hexenjagd. Der Vergleich zur Berufsverbotezeit ist absurd angesichts der Tatsache, daß Wegner für die nächsten fünf Jahre monatlich 6 500 Euro zu ihrer Verfügung und obendrein Anspruch auf einen persönlichen Mitarbeiter hat. Wir nehmen natürlich auch zur Kenntnis, daß sie öffentlich als einzige Abgeordnete außerhalb unserer Fraktion erklärt hat, weiter für die Umsetzung des Wahlprogramms der Liste fünf zu wirken.

Ansonsten gilt zumindest aus persönlicher Sicht des Autors dieser Zeilen, daß sich die Partei Die Linke gegenüber Mitgliedern der DKP so verhalten sollte wie gegenüber Mitgliedern aller anderen Parteien, die zu unserer Programmatik Deckungsflächen aufweisen. Konkurrierende Kandidaturen haben mich noch nie gehindert, mit SPD-Leuten in der Gewerkschaft oder im Personalrats- bzw. Betriebsratsbereich zusammenzuarbeiten. Und die Zusammenarbeit mit den Grünen ist in einer Reihe von Bürgerinitiativen ebenfalls eng und herzlich. Warum sollte das bei DKP-Leuten anders sein oder werden?

Die DKP-Frage ist angesichts der Schwäche dieser Partei aber nicht die Hauptfrage und auch nicht das, was die Partei Die Linke in Niedersachsen zur Zeit bewegt. Es herrscht bei uns in den Kreisen und in der Frage die sehr kompakte Stimmung: Wir werden uns weder von denen noch von irgendjemanden anders von unserer Hauptaufgabe abdrängen lassen. Die ist uns aufgegeben worden von einer Viertelmillion Wählern, die ihr Kreuz bei Der Linken unter den drei Kernlosungen gemacht haben, mit denen wir unsere Wahlen gewonnen haben, und die weiter Handlungslinie für die nächsten fünf Jahre sind: Armut bekämpfen – Bildung gebührenfrei für alle – Privatisierung stoppen.

Wir haben das mit der ersten Landtagssitzung begonnen. Dort hat Christel Wegner auf das ihr als fraktionsloser Abgeordneter zustehende Rederecht verzichtet. Wir haben in unserem ersten längeren Redebeitrag, als es eine allgemeinpolitische Debatte um die deutsche Geschichte gab, auf die große Rolle der KPD im antifaschistischen Kampf und auf die Notwendigkeit hingewiesen, die in Stalingrad gefallenen Rotarmisten zu ehren. Diese Redeteile sind von junge Welt im übrigen nicht beachtet worden – aber auf der Internetseite des niedersächsischen Landtags nachzulesen.

Vor allem aber haben wir uns in den Tagen der konstituierenden Landtagssitzung und seitdem in einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen in Niedersachsen auf zwei außerparlamentarische Aktivitäten konzentriert: auf die Entwicklung einer breiten Kampagne für die Verankerung eines Mindestlohns in das Landesvergabegesetz und auf die Entwicklung von Widerstand gegen die Entsendung von Kampftruppen der in Niedersachsen stationierten Ersten Panzerdivision nach Afghanistan.

Noch einmal: Von diesen Hauptaufgaben werden wir uns nicht abdrängen lassen – von nichts und niemanden.

Manfred Sohn ist einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im niedersächsischen Landtag

Verwendung: Junge Welt vom 10. März 2008

Die Langfassung dieses Beitrags, der für die Veröffentlichung in der Junge Welt gekürzt werden musste, lesen Sie hier:

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10. März 2008

Klauis-Rainer RuppMit Änderungsanträgen zum Haushalt will Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft Profil zeigen. Ein Gespräch mit Klaus-Rainer Rupp

Klaus-Rainer Rupp ist haushalts- und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft

Zum Haushaltsentwurf 2008/2009 des SPD-Grünen-Senats hat Ihre Fraktion 42 Änderungsanträge eingereicht. Wo liegen die Schwerpunkte?

Unsere Anträge zielen erstens auf eine Vielzahl kleinerer und nun von Haushaltskürzungen betroffener Sozialprojekte. Da geht es um Summen, die so gering sind, daß sie das Haushaltsgesamtvolumen kaum tangieren würden. Andererseits wäre es genau dieses fehlende Geld, das Einrichtungen in ihrem Bestand gefährdet. Beispielhaft will ich dafür den Notruf für Frauen und Mädchen und die Beratungsstelle für Prostituierte erwähnen. Ein weiterer Teil unserer Anträge zielt schließlich auf Bereiche, wo Bremen, um seinen sozialen Zusammenhalt zu stärken, dringend mehr Geld investieren muß. 18 Millionen Euro fordern wir z.B. für den Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Beantragt haben wir außerdem, daß 35 weitere Lehrer für die Primarstufe, 20 Fallmanager für die Jugendarbeit und fünf zusätzliche Hebammen für die Betreuung von Risikofamilien eingestellt werden. Nicht einverstanden sind wir zudem mit den Senatsplanungen, die Gehaltserhöhungen für die Beamten vom Januar 2008 auf den November zu verschieben.

Welche zusätzlichen Kosten würden durch Ihren Vorschlag entstehen?

Für 2008 wäre es ein Volumen von 85, für 2009 von 107 Millionen Euro. Bezogen auf den gesamten Haushalt, wäre das eine Erhöhung um etwa zwei Prozent. Das liegt also selbst noch unter dem, was im Rahmen eines Inflationsausgleichs notwendig wäre.

Trotzdem haben die Regierungsparteien eingewandt, daß viele Anträge angesichts der Haushaltslage nicht finanzierbar sind.

Auch wenn die Linke nicht dafür verantwortlich ist, daß Bremen nun Staatsschulden von über 15 Milliarden Euro aufweist, können wir einer überbordenden Staatsverschuldung nicht das Wort reden. Andererseits muß beim Schuldenabbau eine Abwägung zwischen den – von uns so genannten – sozialen Schulden und den fiskalischen Schulden erfolgen. Wir sind in Bremen an einem Punkt angelangt, wo weitere Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich, nur dazu führen, daß eine ganz neue Form von Schulden entsteht. Schulden, die dann auch mit Geld nicht mehr auszugleichen wären. Nehmen Sie z.B. die nur mit zwei Mitarbeitern besetzte Beratungsstelle für die Prostituierten. Wer die weiter zusammenstreicht, der muß uns erklären, wie er die daraus entstehenden sozialen Probleme bewältigen will.

Wie haben Sie Ihre Anträge mit Initiativen oder Sozialprojekten abgestimmt?

Durch öffentliche Anhörungen. Unmittelbar nachdem die Eckwerte des Haushaltsplans vorlagen, haben wir zu einer Reihe von Anhörungen – für die Bereiche Arbeit und Soziales, Wissenschaft, Bildung und Kultur sowie Stadtentwicklung und Umwelt – eingeladen. Die Gewerkschaften, die von Sozialkürzungen betroffenen Initiativen und Projekte sowie weitere außerparlamentarische Gruppen nahmen daran teil. So erfuhren wir, wo der Schuh am meisten drückt, wo wir mit Anträgen aktiv werden müssen.

In einem Thesenpapier hat Ihre Fraktion kürzlich gesagt, daß die Haushaltspolitik des Bremer Senats die Landesverfassung verletzt. Wäre es da nicht konsequent, den gesamten Haushaltsentwurf abzulehnen?

Das werden wir tun. Doch dies enthebt uns nicht von der Pflicht, durch konkrete Detailanträge das einzufordern, was zum Erhalt wichtiger sozialer Projekte unabdingbar ist. So wird zudem deutlich, daß wir nicht in einem Wolkenkuckucksheim leben, sondern daß unsere Forderungen realistisch sind.

Richtig ist, daß unsere Landesverfassung seit Jahren verletzt wird. Sie enthält eine Vielzahl von Bestimmungen, die darauf hinauslaufen, daß die wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten für alle Bremer Bürger annähernd gleich sein müssen. Daß also soziale Unterschiede durch öffentliche Dienstleistungsangebote teilweise weit ausgeglichen werden müssen. Mittelfristig muß es deshalb auch darum gehen, die Einnahmeseite zu stärken, anstatt immer weiter zu kürzen. Durch eine gerechtere Besteuerung höherer Einkommen und einen solidarischen Länderfinanzausgleich wäre dies möglich.

Nähere Infos: www.linksfraktion-bremen.de

Verwendung: Junge Welt vom 10. März 2008
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06. März 2008

Hamburg: Union diktiert Bedingungen für Koalition mit Grünen. Die wollen trotzdem mitregieren

In Hamburg scheint »Schwarz-Grün« ausgemachte Sache. Sieben Stunden zogen sich die Sondierungen am Mittwoch hin. Danach ging alles sehr schnell. »Es waren sehr detaillierte Gespräche zu allen wichtigen Themen«, so der Erste Bürgermeister Ole von Beust am Abend vor der Presse. Es gebe »eine Reihe gemeinsamer Perspektiven« und »diverse unterschiedliche Auffassungen«. Die Fraktionschefin der Grün-Alternativen Liste (GAL) in der Bürgerschaft, Christa Goetsch, fügte knapp hinzu, daß man an diesem »intensiven Tag« auch »Kompromißvarianten« erörtert habe. Dann war das »Pressegespräch« beendet, Nachfragen waren nicht erlaubt.

»Kreative Stadt« hatten die Grünen ihr Wahlprogramm überschrieben. Kreativ müssen sie nun vor allem im Umgang mit ihren Wahlversprechen sein. Der Umwelt zuliebe wollten sie weder ein Kohlekraftwerk in Moorburg noch eine Fahrrinnenanpassung der Elbe durchgehen lassen. Mit einer »Schule für alle« sollte zudem die Bildungsselektion gestoppt werden. Am Donnerstag abend mußte eine Mitgliederversammlung der Hamburger Grünen über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entscheiden. Überaschungen waren dort nach dem schnellen Jawort zu Sondierungsgesprächen allerdings nicht zu erwarten.

Dabei hatte Beust schon Anfang Januar seine Bedingungen genannt: Die Garantie der Elbvertiefung und des Schuldenabbaus, die Wahrung der »inneren Sicherheit« und die Fortführung eines auf zwei Säulen basierenden Schulsystems, in dem die Gymnasien beibehalten werden.

Bleibt den Grünen der Kampf gegen das Kohlekraftwerk. Bis 2012 soll es eine Leistung von 1640 Megawatt Strom und 650 Megawatt Fernwärme aufweisen. Damit wäre es das größte in Deutschland und würde jedes Jahr 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Hier kalkuliert die Union damit, daß das Kraftwerk längst genehmigt ist und inzwischen auch schon gebaut wird. Allenfalls kann es also noch darum gehen, ob die Leistung des Werks, und damit sein Emissionswert, reduziert werden könnte. Sollten, wider Erwarten, grüne Basisforderungen doch darüber hinausgehen wäre schnell Schluß mit lustig, heißt es aus Kreisen der Union. Denn eine große Koalition sei immer noch möglich.

Verwendung: Junge Welt vom 07. März 2008
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05. März 2008

Detlev Beyer-PetersDie Stadt Recklinghausen profitierte kräftig vom rechtswidrigen Einsatz von Ein-Euro-Jobbern. Ein Gespräch mit Detlev Beyer-Peters

Detlev Beyer-Peters ist Kreistagsabgeordneter der Partei Die Linke in Recklinghausen und Mitglied der DKP

Über einen Revisionsbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurde jetzt aufgedeckt, daß die Vestische Arbeit (das ist die ARGE für den Kreis Recklinghausen) auch Ein-Euro-Jobber finanziert hat, die für Tätigkeiten eingesetzt wurden, die sie nach dem Kriterium der Zusätzlichkeit gar nicht hätten verrichten dürfen. Wie bewerten Sie das?

Wir bemängeln als Linke seit längerem, daß in der Stadt Recklinghausen übermäßig viele dieser sogenannten Jobs geschaffen wurden. Anfangs waren es 3500, jetzt sollen es nur noch etwa 2800 sein. Das allein verdeutlicht doch schon, daß es mit diesen Maßnahmen auch darum geht, reguläre und besser bezahlte Arbeit zu verdrängen. Denn viele dieser Jobber sind in normalen Dienstleistungseinrichtungen beschäftigt. Im BA-Bericht heißt es z. B. dazu, daß Ende 2006 272 Ein-Euro-Jobber allein in den 57 Altenheimen des Kreises Recklinghausen beschäftigt waren – und von diesen wiederum 156 in Recklinghausen. Davon allein 40 im städtischen Seniorenzentrum in Grullbad. Das aber zeigt, daß die Jobs vor allem so vergeben wurden, daß der Personalhaushalt der Stadt entlastet wurde. Und das Altenheim Grullbad bekam besonders viel ab. Kein Wunder, denn Ulrich Lammers, Geschäftsführer der Vestischen Arbeit, war zugleich Geschäftsführer dieses Altenheims.

Der Mann hatte zwei verschiedene Jobs?

Richtig. Denn einerseits war Lammers als ehemaliger Beamter des Sozialamtes nebenberuflich auch der Geschäftsführer des Altenheims. Andererseits wurde er 2004 auf Kreisebene Leiter der Hartz-IV-Behörde. Dort muß er wohl seine Hauptaufgabe darin gesehen haben, möglichst viele dieser Jobs an seinen anderen Arbeitgeber, die Stadt Recklinghausen, zu transferieren. Dabei muß man bedenken, daß die Träger solcher Jobs ja nicht nur kostenlos Arbeitskräfte erhalten, sondern obendrauf sogenannte Fallpauschalen oder Qualifizierungsgelder. Im Revisionsbericht der BA wird festgestellt, daß von diesen Qualifizierungsgeldern nur ein kleiner Teil auch tatsächlich für Qualifizierungsmaßnahmen verwandt wurde. Außerdem kam heraus, daß die Vestische Arbeit Kostenpauschalen auch für Teilnehmerplätze gezahlt haben soll, die gar nicht besetzt waren. Das heißt: hier wurde Geld einfach abgezockt.

Wer trägt die Verantwortung dafür?

Einerseits Herr Lammers. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft schon seit einiger Zeit. Doch die politische Verantwortung liegt bei der Stadt – und hier vor allem bei Bürgermeister Wolfgang Pantförder und dessen Sozialdezernent Georg Möllers (beide CDU). Beiden war lange bekannt, daß Lammers mit seiner doppelten Geschäftsführerfunktion zumindest einem Interessenkonflikt unterliegt. Wir fordern auch deren Rücktritt.

Welcher Schaden entstand für die ARGE?

Wir haben errechnet, daß sich allein das Altenheim Grullbad mit den Ein-Euro-Jobbern und dem anschließenden Personalabbau einen Wettbewerbsvorteil in Höhe von etwa 400.000 Euro verschafft hat. Das entspricht interessanterweise jenem Betrag, den das Altenheim für den Kauf seines Grundstücks von der Stadt Recklinghausen aufwenden mußte. Der Vestischen Arbeit dürfte dadurch ein Schaden von etwa 160.000 Euro entstanden sein.

Mußten die Erwerbslosen für die Arbeit im Seniorenzentrum Grullbad nicht besonders qualifiziert werden?

Sie wurden dort hauptsächlich für Hilfsarbeiten im hauswirtschaftlichen Bereich eingesetzt. Dafür ist lediglich eine Einarbeitung und keine besondere Qualifikation nötig. Inzwischen gibt es Hinweise, daß einige Jobber auch mit pflegerischen Tätigkeiten beschäftigt worden sein sollen.

Was hatten die Jobber von ihrer Arbeit?

Nur drei oder vier bekamen im Anschluß an ihre Arbeitsgelegenheit einen Minijob. Aber auch der war nur auf ein halbes Jahr begrenzt. Für mich zeigt dieses Herangehen, daß die Maßnahmen nur einen Zweck haben: Die Träger solcher Jobs sollen von der Arbeit der Erwerbslosen und den auf sie bezogenen Zuschüssen profitieren. Derartige Arbeitsgelegenheiten gehören deshalb abgeschafft und müssen durch reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt werden.

Verwendung: Junge Welt vom 05. März 2008
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04. März 2008

Streikkundgebung in Hamburg 4. März 2008In vielen Teilen Deutschlands begann am Dienstag eine zweitägige Warnstreikwelle im öffentlichen Dienst.

In Hannover legten bereits morgens um 3 Uhr früh hunderte Bus- und Bahnfahrer ihre Arbeit bis sieben Uhr nieder. Ganztägig gestreikt wurde in den Nahverkehrsbetrieben von Braunschweig und Göttingen, in 35 Krankenhäusern, zahlreichen Stadtwerken, Müllabfuhren und Kommunalverwaltungen Niedersachsens und Bremens. Ver.di gab an, dass sich allein an diesen Aktionen rund 20.000 Beschäftigte beteiligten. Sie versammelten sich gegen Mittag zu einer Streikkundgebung in Hannover.

Arbeitskampfaktionen gab es zudem in 26 Städten von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hier beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben rund 6.700 Beschäftigte. In Schleswig-Holstein zählte die Gewerkschaft 4.000 Streikende. Hier legten die Busfahrer der Kieler Verkehrsgesellschaft KVG bereits früh um 4 Uhr ihre Arbeit nieder. Streikkundgebungen folgten im Laufe des Vormittags in Kiel, Lübeck, Neumünster und Flensburg. In Mecklenburg-Vorpommern beteiligten sich an den Warnstreiks etwa 1.000 Mitarbeiter, in Brandenburg und in Berlin waren es über 10.000.

Eindrucksvoll auch die Streikkundgebung auf dem Hamburger Gänsemarkt mit etwa 4.000 Teilnehmern. Gekommen waren Beschäftigte aus zahlreichen Einrichtungen der Stadt, aus den Kindertagesstätten, aber auch aus den hier ansässigen Bundesbehörden. Vor diesen kündigte ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske eine Ausweitung der Streikwelle für Mittwoch auch auf West- und Süddeutschland an. Indirekt bestätigte der Gewerkschaftschef verschiedene Meldungen, wonach am Mittwoch auch auf Flughäfen gestreikt wird.

Streikkundgebung in Hamburg 4. März 2008Heftig machte Bsirske auf der Kundgebung in Hamburg auch seinen Unmut über die stockenden Tarifverhandlungen für die etwa 1,3 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen Luft. »Wenn es am Ende dieser Woche bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern kein akzeptables Angebot gibt, dann ist das Ende unserer Geduld erreicht und dann wird auch dauerhaft gestreikt«, so der Gewerkschaftschef. Mit Blick auf die fünfte Verhandlungsrunde, die am Donnerstag im Potsdam beginnt, warf Bsirske den Arbeitgebern Verzögerungstaktik vor. »Diese wollen sich doch nur in die Schlichtung flüchten«, rief Bsirske. Doch das Angebot der Arbeitgeberseite – diese hatte Gehaltserhöhungen von 4 Prozent für zwei Jahre, gleichzeitig aber auch eine Anhebung der Arbeitszeiten auf 40 Stunden in der Woche angeboten – seien für seine Gewerkschaft keine Verhandlungsgrundlage. Dieses liefe doch nur darauf hinaus, dass sich der »Reallohnverlust der letzten Jahre« verstetige, so Bsirske. »Die haben wohl nicht mehr alle«, rief der Gewerkschaftschef empört und kündigte an, dass seine Gewerkschaft Arbeitszeitverlängerungen keineswegs akzeptieren werde.

Streikkundgebung in Hamburg 4. März 2008Wie berichtet fordert ver.di für die Beschäftigte im Bund und in den Kommunen acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro im Monat zusätzlich. Eine Forderung die in Hamburg auch der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, offensiv verteidigte. Wenn die Arbeitgeberseite demgegenüber zunehmend auf so genannte »leistungsgerechte« Lohnkomponenten setze, dabei gleichzeitig aber den Nominallohn effektiv kürze, dann verdiene dies nur Widerstand. »Leistungsgerecht« sollten demgegenüber die Politiker bezahlt werden, forderte Wendt. Doch dann hätten sie nicht mal das Geld »um sich die Butter für ihr Brot zu kaufen«, lästerte der Polizeigewerkschafter. Die Stimmung unter den Streikenden brachte er damit aber auf den Punkt.

(Hamburg 04. März 2008, 12:30 Uhr)

Anmerkung:

Dieser Text wurde für die Ausgabe der Jungen Welt vom 05. März 2008 zugearbeitet. Allerdings ergab sich dann am Nachmittag durch weitere Streikankündigungen – so zum Beispiel für die Berliner BVG, für die Flughäfen und für die Lokomotivführer – eine neue Nachrichtenlage. Sie führte dazu, dass von den hier wiedergegebenen Informationen nur ein kleinerer Teil verwandt werden konnte. Siehe hierzu den zusammenfassenden Beitrag Alle Räder stehen still meines jW-Kollegen Peter Wolter.

Verwendung als Zuarbeit für: Junge Welt vom 05. März 2008
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04. März 2008

Luftverkehr ohne FeuerwehrHeute neue Warnstreikwelle im öffentlichen Dienst. Laut Pressebericht erwägt Gewerkschaft, Flugbetrieb weitgehend lahmzulegen

Nachdem die »Arbeitgeber« im Tarifstreit mit den rund 2,1 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen vergangene Woche in der vierten Verhandlungsrunde abermals kein verbessertes Angebot vorgelegt haben, sondern mit ihrer Forderung nach Erhöhung der wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden noch Öl ins Feuer gossen, ruft die Gewerkschaft ver.di für den heutigen Dienstag zu Warnstreiks auf. Schwerpunkt sind Hamburg und Niedersachsen. Auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin sind Aktionen geplant.

Mit etwa 3500 Teilnehmern rechnet ver.di-Pressesprecherin Sabine Bauer in Hamburg. Dort hat die Gewerkschaft zu zeitlich befristeten Arbeitsniederlegungen in der Stadtreinigung, in Krankenhäusern und Kindertagesstätten, aber auch in etlichen Bundesbehörden schon ab sechs Uhr morgens aufgerufen. Von acht bis zehn Uhr ist eine Kundgebung auf dem Gänsemarkt geplant. Neben dem ver.di-Bundesvorsitzenden Frank Bsirske sollen dort auch die Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie des Deutschen Beamtenbundes sprechen.

In Hannover hatte ver.di schon für drei Uhr früh zu Warnstreiks aufgerufen, u. a. beim Nahverkehrsbetrieb üstra. Mit Rücksicht auf den Beginn der CeBIT war geplant, die Arbeitsniederlegung allerdings um sieben Uhr wieder zu unterbrechen. Diese Rücksichtnahme verbindet ver.di-Landesbezirksleiter Siegfried Sauer mit der Erwartung, daß sich der Kommunale Arbeitgeberverband von der Forderung nach einer Verlängerung der Arbeitszeit verabschiedet. »Wir hoffen, daß Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil und auch der Regionspräsident Hauke Jagau dieses Zeichen verstehen«, so Sauer in einer Pressemitteilung.

In Berlin liegt der Schwerpunkt der Arbeitskampfaktionen bei den teilprivatisierten Wasserbetrieben (BWB) sowie in der Stadtreinigung. Mit Betriebsbeginn um acht Uhr sollen sich alle Streikenden vor der BWB-Unternehmenszentrale in der Nähe des Alexanderplatzes versammeln. Dort beginnt um neun Uhr eine Demonstration, die vom Roten Rathaus über die Spandauer Straße bis zum Molkenmarkt führt. Unterstützt wird diese Aktion durch Beschäftigte aus den Senatsverwaltungen, der Arbeitsagentur und von der Rentenversicherung. So will die Gewerkschaft auf die parallel mit dem Berliner Senat stattfindenden Tarifverhandlungen hinweisen. Ebenfalls bestreikt werden die Wasser- und Schiffahrtsämter von Berlin und Brandenburg. Bis 13 Uhr sollen sämtliche Schleusenanlagen in Berlin und Brandenburg betroffen sein.

Weder dementiert noch bestätigt wurde von ver.di ein Bericht der Neuen Presse in Hannover, wonach die Gewerkschaft plant, fast alle deutschen Flughäfen in der Hauptverkehrszeit lahmzulegen. Nicht betroffen wären demnach lediglich Flughäfen mit Haustarifverträgen, also Dresden, Leipzig und Bremen. Falls angestellte Bundespolizisten streikten, könnte wegen der fehlenden Sicherheitskontrolle niemand mehr an Bord, schrieb das Blatt. Sollten die Feuerwehren einbezogen werden, müßte der gesamte Flugbetrieb ruhen. Möglicherweise müsse sogar der Luftraum über Deutschland aus Sicherheitsgründen gesperrt werden, hieß es.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble kündigte indes an, daß es auch in der fünften, am Donnerstag beginnenden Verhandlungsrunde keine Angebotsnachbesserungen geben wird. Die bisherige Offerte sieht Einkommenssteigerungen von vier Prozent über zwei Jahre, eine Ausweitung der leistungsbezogenen Bezahlung sowie eine unbezahlte Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden vor. Demgegenüber fordert ver.di eine lineare Einkommenserhöhung von acht Prozent, mindestens jedoch 200 Euro pro Beschäftigten.

Verwendung: Junge Welt vom 04. März 2008
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04. März 2008

Lorenz Gösta Beutin, Landessprecher der Partei Die Linke in Schleswig-HolsteinLandessprecher der schleswig-holsteinischen Linkspartei für außerparlamentarische Beteiligung an Kommunalwahl. Ein Gespräch mit Lorenz Gösta Beutin

Lorenz Gösta Beutin ist Landessprecher der Partei Die Linke in Schleswig-Holstein

Die taz berichtete am Wochenende in ihrer Regionalausgabe Nord von »Unruhen« in der schleswig-holsteinischen Linken. Insbesondere bei den Kandidatenaufstellungen für die Kommunalwahl im Mai 2009 sei es zu heftigen Kampfabstimmungen gekommen. Was ist da dran?

Dieser Bericht ist überzogen. Er stützt sich auf sogenannte Insider-Informationen. Bei uns ist aber grundsätzlich alles öffentlich. Wer den politischen Kurs kritisieren will, wie er auf den Landesparteitagen beschlossen worden ist, kann dies jederzeit tun. Doch dann sollte er auch den Mut dafür aufbringen, das in den Parteidebatten zu tun und nicht anonym über die taz ein solches Schreckgespenst an die Wand malen.

Und was ist dran an den Vorwürfen?

Unsere Partei ist relativ jung. Sie speist sich aus unterschiedlichen Quellparteien. Den Parteibildungsprozeß haben wir kaum abgeschlossen, da sind wir schon getrieben von den Kommunalwahlen. Ich denke, da ist es verständlich, daß bei der Aufstellung der Kandidaten, vor allem aber auch bei der Festlegung unserer inhaltlichen Positionen, unterschiedliche Meinungen auftreten. Soweit mir bekannt, haben das aber alle Kreisverbände souverän gemeistert.

Nach den Äußerungen der inzwischen fraktionslosen niedersächsischen Landtagsabgeordneten und DKP-Frau Christel Wegner in »Panorama« sind nun vor allem die »offenen Listen« heftig umstritten. Sie setzen sich in einem Positionspapier dafür ein. Warum?

Ich halte weiter an offenen Listen fest. Das ist für mich etwas Grundsätzliches, denn es ist unmittelbar mit der Frage verbunden, ob wir nur eine Parlamentspartei oder eine Partei sein möchten, in der das Wort außerparlamentarischer Gruppen und Bewegungen zählt. Ich bin sehr dafür, daß auf unseren Listen auch Vertreter aus der Antifa-Bewegung, aus der Friedens- und Ökologiebewegung kandidieren. Im übrigen hat das schon unser Gründungsparteitag mit großer Mehrheit beschlossen.

Und was ist mit der DKP? Einige Ihrer Parteifreunde sagen nun, daß sich die Positionen dieser Partei mit jenen der Linken nicht vereinbaren lassen.

Auslöser für solche Thesen ist die Panorama-Sendung, in der sich Christel Wegner zum Bau der Mauer und zur Notwendigkeit von Geheimdiensten in einer sozialistischen Gesellschaft äußerte. Was und wie sie es dort gesagt hat, das zeugt von Naivität und Unkenntnis. Das ist mit Positionen der Linkspartei in der Tat nicht in Übereinstimmung zu bringen. Doch die Sendung ist ja als Vorwand für eine wüste Antikommunismus-Kampagne benutzt worden. Gut wäre es deshalb gewesen, wenn sich sowohl Christel Wegner als auch die DKP rechtzeitig – und nicht erst nach dem Rauswurf von Wegner aus der niedersächsischen Landtagsfraktion – dazu erklärt hätten. Das Verhalten war unsolidarisch und hat dem Verhältnis von DKP und Linker geschadet.

Ich halte es aber für vorschnell, eine solche Verhaltensweise sämtlichen DKP-Mitgliedern zu unterstellen. Denn ich weiß, daß es auch in der DKP Debatten zur Einschätzung des staatsozialistischen Projekts und zur DDR-Geschichte gibt. Das verdeutlicht auch das DKP-Programm. Für uns als Linke bleibt wichtig, daß derjenige, der auf unseren Listen kandidiert, in der Öffentlichkeit die programmatischen Positionen der Linkspartei vertritt und sich an Absprachen hält.

Zu einer anderen Frage. Bundestagsabgeordneter Ulrich Maurer meinte kürzlich, daß es Ihr Landesverband schwer habe, sich politisch zu profilieren, weil sich die dortige SPD links der Mitte bewege. Wie sehen Sie das?

Uns politisch zu profilieren, haben wir keine Schwierigkeiten. Denn schließlich waren es die SPD und ihr Landesvorsitzender Ralf Stegner, die kürzlich in Schleswig-Holstein ein repressives Polizeirecht durchgedrückt haben. Auch für die Hartz-IV-Gesetze und ihre Umsetzung im Land trägt die SPD Verantwortung. Mitverantwortlich ist sie als Teil der Landesregierung für die Privatisierung etlicher Einrichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge. Es ist Die Linke, die eine Rekommunalisierung aller Krankenhäuser und Energieversorgungsunternehmen fordert. Und nur wir sagen: Hartz IV muß weg.

Verwendung: Junge Welt vom 4. März 2008
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28. Februar 2008

HD WiechersSchleswig-Holstein: Warnstreiks in Kitas. AWO-Beschäftigte wollen 9,4 Prozent mehr Lohn. Ein Gespräch mit Hans Dieter Wiechers

Hans Dieter Wiechers ist Betriebsrat bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Unterelbe und Mitglied der Tarif- und Verhandlungskommission der Gewerkschaft ver.di für die AWO Schleswig-Holstein gGmbH

Für den heutigen Donnerstag hat die Gewerkschaft ver.di zahlreiche Beschäftigte aus den Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Schleswig-Holstein zu einem Warnstreik aufgerufen. Demnach soll die Arbeit ganztägig in jeweils einer Kita pro Landkreis niedergelegt werden. Worum geht es?

Da der alte Tarifvertrag für unseren Bereich schon im letzten Jahr ausgelaufen ist, wollen wir den Druck dafür erhöhen, daß es einen neuen und einheitlichen Tarifvertrag für alle 3500 AWO-Beschäftigten in Schleswig-Holstein gibt. Neben denen in Kindertagesstätten geht es um die Beschäftigten in etlichen Beratungsstellen, zahlreichen Pflege- und Jugendhilfeeinrichtungen, aber auch um die bei betreuten Wohngruppen sowie weiteren sozialen Dienstleistungsangeboten.

Was fordern Sie konkret?

Gehaltserhöhungen um 9,4 Prozent, eine Einmalzahlung für alle Beschäftigten von 500 Euro, einen jährlichen Sonderbonus für Gewerkschaftsmitglieder von 200 Euro, die Erhöhung des Urlaubsanspruchs auf generell 30 Werktage und ein Jahressondergeld, also Weihnachtsgeld, das künftig bei 90 und nicht, wie im letzten Tarifvertrag geregelt, nur bei 81 Prozent des monatlichen Bruttolohns liegt. Außerdem fordern wir die Übernahme des Manteltarifvertrags aus dem öffentlichen Dienst und die Aufgabe zeitlich befristeter Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund.

Warum fordern Sie 9,4 Prozent, während im öffentlichen Dienst nur acht Prozent gefordert werden?

Unsere Forderung von 9,4 Prozent orientiert sich an der Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten vom vergangenen Jahr. Die Politiker begründeten dies damit, daß sich die Diäten seit 2003 nicht mehr erhöht haben. Das aber gilt auch für die Löhne der AWO-Beschäftigten. Wir sagen, daß unsere Arbeit genausoviel wert ist wie die der Politiker. Die sind es ja auch, die letztlich darüber entscheiden, wieviel Geld in sozialen Einrichtungen oder in den Kindertagesstätten zur Verfügung steht.

Wie haben die AWO-Vertreter auf Ihre Forderungen reagiert?

In den bisherigen Verhandlungen sind sie darauf gar nicht eingegangen. Statt dessen verlangen sie, daß sich die wöchentliche Arbeitszeit von jetzt 38,5 auf 40 Stunden erhöht, daß sich unser Urlaubsanspruch und die Jahressonderzahlung reduzieren, daß die Zuschüsse zur betrieblichen Altersversorgung drastisch gekürzt werden. Für uns ist das eine reine Provokation, denn zusammengerechnet würden sich damit unsere Löhne effektiv um etwa zehn Prozent reduzieren.

Bei Neubeschäftigten ist die Geschäftsführung bereits dazu übergegangen, die 40 Wochenstunden einzuführen und den Lohn um weitere zehn Prozent zu kürzen. Bei Bruttolöhnen von etwa 1200 Euro für Kita-Kollegen mit zeitlich befristetem Vertrag bzw. 1600 Euro für eine Festangestellte ist das für uns nicht hinnehmbar.

Die AWO-Geschäftsführung hat in den Verhandlungen eingewandt, daß bei Erfüllung der Gewerkschaftsforderungen für das Unternehmen Insolvenz angemeldet werden müßte.

Das ist eine reine Schutzbehauptung, denn gleichzeitig weigert sich die Geschäftsführung beharrlich, dem Betriebsrat konkrete Zahlen zur wirtschaftlichen Lage unseres Unternehmens vorzulegen. Wir sind ein Tendenzbetrieb, wird gesagt. Doch auch in einem Tendenzbetrieb könnte die Geschäftsführung einen Wirtschaftsausschuß einrichten und uns dort dann das Zahlenmaterial zur Verfügung stellen.

Warum fordern Sie einen Sonderbonus für Gewerkschaftsmitglieder?

Die Mitglieder der Gewerkschaft sind die tragende Kraft in jedem Tarifkampf. Nur sie sind an Arbeitsniederlegungen beteiligt, nur sie tragen durch ihre Beiträge die Kosten eines solchen Arbeitskampfes. Ein Sonderbonus in der von uns geforderten Höhe ist deshalb mehr als gerechtfertigt.

Wie ist die Stimmung unter Ihren Kollegen? Wie geht es nach dem heutigen Streiktag weiter?

Die Stimmung ist ausgezeichnet. Heute streiken wir ja nur in ausgewählten Kitas. Doch nun fragen uns etliche Kolleginnen und Kollegen auch aus anderen Kitas und von den weiteren Einrichtungen, warum sie nicht mitstreiken dürfen. Bleibt die Arbeitgeberseite in den Verhandlungen so stur wie bisher, dann werden wir ihrem Wunsch sicherlich schon bald nachkommen.

Verwendung: Junge Welt vom 28. Februar 2008
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26. Februar 2008

Wahlparty Hamburg Linke 2008Ole von Beusts CDU verfehlt bei Hamburg-Wahlen absolute Mehrheit. SPD legt nur bescheiden zu und scheitert mit »rot-grün«. Linke-Basis enttäuscht über »nur« acht Mandate

Als ein »tolles Ergebnis«, mit einem »klaren Führungsauftrag« für seine Partei, so bewertete noch am Sonntag abend Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den Ausgang der Bürgerschaftswahlen in Hamburg. Und in der Tat: Seine Partei verlor zwar 4,6 Prozent und damit die absolute Mehrheit im Rathaus, doch mit 42,6 Prozentpunkten ist es immerhin das zweitbeste Wahlergebnis, das die Partei in Hamburg je erzielte. Umgekehrt konnte die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Michael Naumann zwar 3,6 Prozent gegenüber 2004 dazugewinnen, doch die letztlich erzielten 34,1 Prozent markieren für die Hamburger Sozialdemokraten das zweitschlechteste Nachkriegsergebnis. Für die von Naumann favorisierte SPD-Grünen-Koalition reicht das aber auch deshalb nicht, weil gleichzeitig die Grün-Alternative Liste 2,7 Punkte verloren hat. Sie liegt nun bei 9,6 Prozent. Weit unter ihren eigenen Erwartungen ist auch das Ergebnis für Die Linke. Mit 6,4 Prozent und acht Abgeordneten zieht die Partei nun zwar klar in die Bürgerschaft ein, doch Meinungsforscher hatten den Linken noch in der Woche zuvor rund neun Prozent prognostiziert. Außerparlamentarisch verbleiben hingegen die FDP (4,7 – plus 1,9), die rechte DVU (0,8) und auch die rechtspopulistische Partei »Heimat Hamburg« des früheren Innensenators Roger Kusch. Sie erzielte – bei einem historischen Tief in der Wahlbeteiligung von 62,2 Prozent – nur magere 0,4 Punkte.

Von »hessischen Verhältnissen« ist Hamburg mit diesem Ergebnis weit entfernt. Denn noch am Wahlabend betonten sowohl Bürgermeister von Beust als auch die GAL-Spitzenkandidatin Christa Goetsch, daß sie die Bildung einer schwarz-grünen Koalition nun nicht mehr ausschließen. Daß ihm das lieber wäre, als eine große Koalition, hatte der Bürgermeister schon vor Wochen gesagt. CDU-Landeschef Michael Freytag erklärte zwar, daß seine Partei auch Gespräche mit der SPD führen werde, doch die »eigenen Inhalte«, so zeigen es ja auch die schwarz-grünen Bündnisse der letzten Legislatur in den Stadtbezirken Altona und Harburg, seien wohl eher mit den Grünen umzusetzen. Gräben gäbe es mit denen nicht zu überwinden, allenfalls »Differenzen« auszuräumen, so sagt es auch von Beust.

Trotz ihres Einzugs in die Bürgerschaft konnten sich am Wahlabend bei den Linken nur wenige richtige freuen, als um Punkt 18 Uhr die ersten Prognosen über die Fernsehticker liefen. Mit einem zweistelligen Ergebnis hatte deren Spitzenkandidatin Dora Heyenn nach den Wahlerfolgen ihrer Partei in Niedersachsen und Hessen gerechnet. Wahlforscher sagen inzwischen, daß dies durch die angeblichen Äußerungen der niedersächsische DKP-Politikerin Christel Wegner zu »Stasi und Mauerbau« in der ARD-Sendung »Panorama« verhagelt worden wäre. Infratest dimap ermittelte sogar, daß dieser Punkt für 31 Prozent aller Hamburger Wähler mit entscheidend bei der Stimmabgabe gewesen wäre. »Wir können einer solchen Antikommunismus-Kampagne nicht ausweichen«, betonte indes DKP-Landeschef Olaf Harms gegenüber junge Welt. Für den Einzug in die Bürgerschaft beglückwünschte er Die Linke aufs Herzlichste. Seine Partei spricht nun von einem »kraftvollen gemeinsamen Wahlkampf«. Harms dankte Linke-Spitzenkandidatin Dora Heyenn für »die unermüdliche Solidarität«. Selbst auf Listenplatz 10 der linken Wahlliste kandidierend, verpaßte der DKP-Mann den Einzug in die Bürgerschaft.

Optimistischer als seine Hamburger Parteifreunde zeigte sich Linke-Chef Lothar Bisky. Der betonte am Montag, das Ergebnis sei »außerordentlich bedeutend« für die weitere Entwicklung. »Wir sind auf gutem Wege, eine gesamtdeutsche Partei zu werden.«

Ähnlich unterschiedlich wird das Wahlergebnis auch bei der SPD interpretiert. Parteichef Kurt Beck lobte am Sonntag in der Berliner Parteizentrale das »hervorragende Ergebnis«. Es zeige, daß seine Partei den Wahlkampf mit den »richtigen Themen« geführt hat. Hamburgs SPD-Landeschef Ingo Egloff kritisierte dagegen, die von Beck losgetretene Debatte über eine mögliche Wahl von Andrea Ypsilanti (SPD) zur neuen hessischen Ministerpräsidenten mit Unterstützung der Linken habe »alle anderen Themen wie etwa soziale Gerechtigkeit und bessere Bildung« überlagert. Spitzenkandidat Naumann kündigte bereits erheblichen Diskussionsbedarf im Bundesvorstand seiner Partei an. Es sei eine Frage der Glaubwürdigkeit, daß in Westdeutschland mit »dieser Sekte« – gemeint ist die Linke – niemand verhandele, geschweige denn sich von dieser tolerieren lassen dürfe. Der SPD-Bundesvorstand in Berlin stärkte am Montag indes Beck den Rücken. Der Vorsitzende selbst hatte sich zur Wahlnachlese krank gemeldet.

[Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung Junge Welt vom 26.02.08. Lesen Sie dazu auch mein Interview mit dem Bürgerschaftsabgeordneten Wolfgang Joithe »Antikommunismus muß man widerstehen« und meine Übersicht Statistik: Daten und Fakten. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier zudem als PDF-Datei downloaden. Passend dazu auch eine Erklärung von Politiker der Linkspartei zur Hamburg Wahl.]

Verwendung: Junge Welt vom 26. Februar 2008



26. Februar 2008

Wolfgang JoitheDKP-Debatte schmälert Wahlerfolg: Linke freut sich dennoch über ihren »Achter«. Ein Gespräch mit Wolfgang Joithe

Wolfgang Joithe ist Bürgerschaftsabgeordneter für Die Linke in Hamburg

Die Linke sitzt erstmals mit acht Abgeordneten im Hamburger Rathaus. Doch als am Sonntag abend die ersten Prognosewerte für Ihre Partei bekannt wurden, war die Begeisterung auf Ihrer Wahlparty eher verhalten. Woran lag das?

Daran, daß es unmittelbar vor den Wahlen höhere Umfragewerte gab und wir uns so ausrechneten, vielleicht sogar ein zweistelliges Ergebnis einzufahren. Die Stimmung im Wahlkampf war uns gegenüber ja ausgesprochen positiv. Erst im Laufe des Abends haben wir dann realisiert, daß unser Hauptziel, nämlich mit unserem »Achter« in die Bürgerschaft einzuziehen, erreicht wurde. Das ist ein großer Erfolg.

Wahlforscher gehen davon aus, daß die Debatte um die niedersächsische Landtagsabgeordnete und DKP-Politikerin Christel Wegner das Ergebnis für Ihre Partei negativ beeinflußt hat. Teilen Sie diese Einschätzung?

Fakt ist, daß uns diese Debatte – und die damit verbundene antikommunistische Kampagne – sicherlich nicht genutzt hat. Die Führung der DKP und auch Frau Wegner müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum es geschlagene fünf Tage gebraucht hat, bis sie eine Stellungnahme zur »Panorama«-Sendung vorlegten. Das hat sicherlich zu Irritationen unter unseren Wählern, aber auch bei unseren Mitgliedern geführt. Diese Irritation hat sich erst gelegt, als dann die Stellungnahme des Hamburger DKP-Manns Olaf Harms vorlag, in der sich dieser von Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich distanzierte.

Andererseits haben sich Harms und die DKP jetzt bei der Hamburger Linkspartei dafür bedankt, daß diese nicht ihrerseits auf den antikommunistischen Zug aufgesprungen ist. War das unter wahltaktischen Gesichtspunkten nicht falsch?

Wenn ein solcher Antikommunismus auftaucht, dann darf man als Linker dem nicht ausweichen, sondern dann muß man diesem deutlich widerstehen. Doch andererseits müssen wir jetzt auch überlegen, ob wir uns derartigen Angriffsflächen in Zukunft noch einmal aussetzen wollen, indem auf unseren Listen auch Personen aus anderen Parteien kandidieren. Klar muß sein: Wer bei uns kandidiert, muß auch zu den Grundlagen unseres Programms stehen.

Nicht nur das Linke-Wahlergebnis blieb unter den Erwartungen. Auch die SPD hat ihr Ziel von 38 Prozent nicht erreicht. Demgegenüber konnte die CDU ihr zweitbestes Wahlergebnis seit 1946 einfahren. Wahlforscher sagen, das liege vor allem an der Person des Bürgermeisters.

Das liegt sicherlich auch an Ole von Beust, der ja merkwürdigerweise in Hamburg erhebliche Sympathiewerte hat. Doch zum anderen liegt es auch an seinem Herausforderer. Man darf nicht vergessen, daß Michael Naumann erst zum Spitzenkandidaten wurde, nachdem bei der SPD eine Urabstimmung über zwei andere Kandidaten so sehr manipuliert worden war, daß sie schließlich für ungültig erklärt werden mußte. Eingeführt hat sich Naumann zudem mit dem Wahlkampfhelfer Gerhard Schröder und einem Statement, wonach die Agenda-Politik und die Hartz-IV-Gesetze völlig richtig wären. Das hat sicherlich nicht dazu beigetragen, ehemalige Wähler der SPD zu mobilisieren.

Vieles deutet jetzt auf eine schwarz-grüne Koalition hin. Wie wird die Linke die Hamburger Landesregierung unter Druck setzen?

Wenn sich die Grünen darauf einlassen, dann ist das ein Verrat an ihren eigenen Wählern. Wir werden unmittelbar nach Konstituierung der Bürgerschaft deshalb dort beantragen, ein Sozialticket für Erwerbslose wieder einzuführen, die Studiengebühren zu streichen und öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen zu vergeben, die einen Mindestlohn zahlen und Tarifverträge einhalten. Dann werden wir sehen, wie sich Grüne und SPD zu ihren eigenen Wahlversprechen verhalten.

[Dieses Interview ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung Junge Welt vom 26.02.08. Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag Alle haben verloren sowie die Übersicht Statistik: Daten und Fakten. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier zudem als PDF-Datei downloaden. Passend dazu auch eine Erklärung von Politiker der Linkspartei zur Hamburg Wahl.]

Verwendung: Junge Welt vom 26. Februar 2008



26. Februar 2008

Abgeschrieben:

Zu den Ergebnissen der Hamburg-Wahl und aktuellen Debatten in der Partei Die Linke erklären Sahra Wagenknecht (MdEP, Mitglied des Parteivorstandes), Nele Hirsch (MdB), Ulla Jelpke (MdB), Sabine Lösing (Mitglied des Parteivorstandes), Thies Gleiss (Mitglied des Parteivorstandes) und Tobias Pflüger (MdEP):

Wir gratulieren den Hamburger Genossinnen und Genossen zum erfolgreichen Einzug in die Bürgerschaft. Das gute Wahlergebnis belegt, daß Die Linke mit einem glaubwürdigen und konsequenten Kurs mehr und mehr Rückhalt gewinnt. Immer mehr Wählerinnen und Wähler wünschen sich eine klare Alternative zur Politik von Hartz IV, Lohndumping und der Verschleuderung öffentlichen Eigentums, und sie lassen sich von ihrer Wahlentscheidung auch durch Diffamierungen und antikommunistische Hetzkampagnen nicht abbringen. Mit der nunmehr vierten Landtagsfraktion in den alten Bundesländern ist die Partei Die Linke unwiderruflich zu einer gesamtdeutschen politischen Kraft geworden. (…)

Die Linke wird weiter an Stärke gewinnen, wenn sie ihren konsequenten Oppositionskurs gegen den neoliberalen Mainstream fortsetzt. Nichts wäre törichter, als sich nun selbst ein Bein zu stellen. Die Äußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner wurden im Vorfeld der Hamburg-Wahl zu einer antikommunistischen Kampagne genutzt. Dieser Anlaß darf jetzt nicht dazu führen, den innerparteilichen Pluralismus ebenso wie die in der Vergangenheit bewährte Politik offener Listen und breiter Bündnisse generell in Fragen zu stellen. Antikommunismus ist eine Grundtorheit auch unserer Epoche! Er wurde und wird vom politischen Gegner eingesetzt, um die Linke zu spalten und zu schwächen und das Ziel einer Überwindung des Kapitalismus zu diskreditieren. Eine Linke, die diesem Druck nachgäbe, würde ihre Überzeugungskraft verlieren.

Bereits die Wahl in Hessen und erst recht jetzt die Hamburger Wahl haben gezeigt: Antikommunistische Kampagnen erreichen kaum noch die gewünschte Wirkung. Das Letzte, was Die Linke derzeit braucht, sind daher devote Abgrenzungsrituale. Wir müssen für unsere Inhalte glaubwürdig und konsequent streiten und werden dafür gewählt. Es muß dabei bleiben, daß die Mitglieder der Linken weiterhin in jedem Einzelfall autonom auf allen Ebenen darüber entscheiden dürfen, wen sie auf ihre Listen wählen. Und die Linke muß in ihrer programmatischen Ausrichtung antikapitalistisch bleiben. Entscheidend waren und sind dabei die Eigentumsfrage und die Kriegsfrage. Das zeigt sich auch in den ganz konkreten Auseinandersetzungen um antikapitalistische Entwicklungswege, wie sie derzeit in Lateinamerika geführt werden. Die Forderungen der Programmatischen Eckpunkte, Schlüsselindustrien der Wirtschaft in Gemeineigentum zu überführen und jede Form von Privatisierungen abzuwehren, sollten im neuen Grundsatzprogramm weiter ausgebaut und konkretisiert werden. Und: Friedenspolitik ist essentiell für Die Linke. Krieg darf nie Mittel von Politik sein. Deshalb muß die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr klar im Grundsatzprogramm der Partei Die Linke verankert werden.

[Lesen Sie zu diesem Thema auch meine Beiträge auf einer Schwerpunktseite der Jungen Welt vom 26.02.08: Alle haben verloren, »Antikommunismus muß man widerstehen« und Statistik: Daten und Fakten zur Hamburg-Wahl.]

Quelle: Junge Welt vom 26. Februar 2008



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26. Februar 2008

Vorläufiges amtliches Teilwahlergebnis für die Bürgerschaftswahlen in Hamburg
(in Klammern: Wahlen 2004)

CDU 42,6 Prozent (47,2)

SPD 34,1 Prozent (30,5)

GRÜNE/GAL 9,6 Prozent (12,3)

FDP 4,7 Prozent (2,8)

DIE LINKE 6,4 Prozent (–)

Andere: 2,6 Prozent (7,2)

Wahlbeteiligung: 62,2 Prozent (68,7)

Auf dieser Grundlage ergibt sich folgende Mandatsverteilung: CDU 56, SPD 45, Grüne 12, Die Linke, 8. Insgesamt 121. Zu den Linke-Abgeordneten zählen: Dora Heyenn, Joachim Bischoff, Christiane Schneider, Wolfgang Joithe, Kersten Artus, Mehmet Yildiz, Zaman Masudi und Norbert Hackbusch. Endgültig steht dies aber erst fest, wenn am Dienstag abend auch die Wahlkreise vollständig ausgezählt sind. Nach dem neuen Hamburger Wahlgesetz ist es theoretisch möglich, daß ein Wahlkreiskandidat, der dort ein besonders gutes Ergebnis erzielt, für die Bürgerschaftsliste vorrückt.

Überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte Die Linke in folgenden Wahlkreisen: Hamburg-Mitte (9,3 Prozent), Billstedt – Wilhelmsburg – Finkwerder (8,3), Altona (9,6), Rotherbaum – Harvestehude – Eimsbüttel-Ost (6,7), Stellingen – Eimsbüttel-West (7,2), Barmbek – Uhlenhorst – Dulsberg (7,4), Bramfeld – Farmsen-Berne (7,1)

Bezogen auf einzelne Stadtteile erzielte die Linke besonders gute Ergebnisse in St. Pauli (15,02 Prozent), St. Georg (10,20), Hammerbrook (10,57%), Hamm-Süd (11,08), Billbrook (15,93), Veddel (10,29), Altona-Altstadt (13,67), Sternschanze (16,19), Altona-Nord (13,43), Ottensen (10,56) und im Stadtteil Dulsberg (11,64)

Auch bei den Wahlen für die sieben Hamburger Bezirksversammlungen konnte die Die Linke überall die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. Sie erzielte folgende Ergebnisse: Stadtbezirk Mitte 10,2 Prozent, Altona 9,2, Harburg 8,2, Eimsbüttel 7,1, Nord 7, Bergedorf 6,6, Wandsbek sechs Prozent.

[Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 26.02.08. Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag Alle haben verloren und mein Interview mit dem Bürgerschaftsabgeordneten Wolfgang Joithe »Antikommunismus muß man widerstehen«. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier auch als PDF-Datei downloaden. Passend dazu auch eine Erklärung von Politiker der Linkspartei zur Hamburg Wahl.]

Verwendung: Junge Welt vom 26. Februar 2008



22. Februar 2008

Menschen haben andere Sorgen als DKP-Kandidatur auf der Liste der Linkspartei. Ein Gespräch mit Olaf Harms

Olaf Harms ist Kandidat auf Listenplatz 10 der Partei Die Linke für die Hamburger Bürgerschaftswahl am Sonntag und Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)

Wie Ihre Genossin Christel Wegner waren auch Sie Donnerstag letzter Woche in einer »Panorama«-Sendung im ARD zu sehen, die DKP-Kandidaturen auf Linkspartei-Listen zu skandalisieren versuchte. Wurden Sie inzwischen bei Veranstaltungen oder an Infoständen darauf angesprochen?

Olaf Harms

Meiner Erfahrung nach – und das haben mir andere bestätigt – hat sich diese »Panorama«-Sendung in Hamburg nicht großartig ausgewirkt. Das liegt wohl daran, daß die Leute zur Zeit andere Sorgen haben und wissen, wer ihnen Hartz IV beschert hat. Das ist jedenfalls mein Eindruck, der auch durch die aktuellen Umfragewerte für die Partei Die Linke gestützt wird.

Was war Ihrer Meinung nach Sinn und Zweck der »Panorama«-Sendung zu diesem Zeitpunkt?

Die Sendung hatte zwei Aufgaben: Erstens, Einfluß auf den Hamburger Wahlkampf zu nehmen und durch antikommunistische Hetze die generelle Unwählbarkeit der Partei Die Linke aufzuzeigen. Zweitens sollte sie innerhalb der Linkspartei eine Distanzierungswelle auslösen. Das ist in Hamburg beides nicht gelungen, obwohl es auch Reaktionen der Sorte »Muß das denn sein?« in der Linkspartei gab – was ich teilweise verstehen kann, wenn es von politisch unerfahrenen Mitgliedern kommt. Aber letztlich zieht das Argument, daß man Kommunisten nicht von der sonst so geschätzten Meinungsvielfalt in diesem Projekt ausnehmen kann.

Was sagen Sie zum Vorwurf der Wählertäuschung, der Ihnen zumindest indirekt gemacht wurde, weil Sie Ihre DKP-Mitgliedschaft bei Wahlkampfauftritten nicht in den Vordergrund gestellt haben?

Im Wahlkampf werbe ich um Stimmen für Die Linke, weil ich auf ihrer Liste kandidiere – da kann man mir nicht vorwerfen, ich würde meine DKP-Mitgliedschaft verschleiern, nur weil ich sie nicht in den Vordergrund stelle. Wenn ich an einem Infostand der Linkspartei darauf angesprochen werde, daß wir ja alle Kommunisten seien, kann ein »Panorama«-Reporter auch nicht erwarten, daß ich sofort sage »stimmt«. Schließlich stehen über 100 Kandidaten auf den Listen, darunter nur wenige organisierte Kommunisten. Wesentlicher ist doch, daß ich voll hinter dem Sofortprogramm stehe, das der Landesparteitag der Partei Die Linke beschlossen hat.

Was sind die wichtigsten Programmpunkte, für die Sie sich in der Bürgerschaft einsetzen wollen?

Zusammen mit der Fraktion und den Menschen dieser Stadt zunächst einen Stopp von weiteren Privatisierungen öffentlichen Eigentums erreichen. In der Planung ist ja, daß nun auch die Augenklinik des UKE verkauft werden soll. Dann geht es darum, den Landesbetrieb Krankhäuser und die Einrichtungen von »pflegen & wohnen« zu rekommunalisieren. Ein weiterer Punkt ist mehr Demokratie – also dafür zu kämpfen, daß Volksentscheide Gültigkeit haben und nicht wie bisher von der CDU ignoriert werden. Ein Landesprogramm für Arbeit aufzusetzen, Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umzuwandeln, Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Bereich, ein Tariftreuegesetz in Form einer Vergaberichtlinie für öffentliche Aufträge. Im Bildungsbereich geht es um die Kampagne »Eine Schule für alle«. Dafür setze ich mich ein, da habe ich keine Differenzen mit der Linkspartei – und im übrigen auch nicht mit den Menschen dieser Stadt.

Wird die Art der Zusammenarbeit mit der Linkspartei und die Medienkampagne gegen Christel Wegner auf Ihrem Parteitag am Wochenende eine Rolle spielen?

Sicher wird das Gegenstand von Analysen sein. Aber ich will an dieser Stelle betonen,daß ich gegebenenfalls für Die Linke, und nicht für die DKP in der Bürgerschaft sitzen würde.

[Dieser Beitrag meiner jW-Kollegin Claudia Wangerin ist Teil einer gemeinsamen Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 22. Februar 2008. Deshalb wird er hier dokumentiert. Lesen Sie dazu auch meine Beiträge Bürgerschaft mit links und Dokumentiert: Gewerkschafter für die Linke. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier auch als PDF-Datei downloaden.]

Verwendung: Junge Welt vom 22. Februar 2008



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22. Februar 2008

Unter dem Motto »Für ein sozial gerechtes Hamburg – Keine Fortsetzung der CDU Regierung« haben Anfang dieser Woche rund 120 Hamburger Gewerkschaftsfunktionäre zur Wahl der Linkspartei bei den Bürgerschaftswahlen aufgerufen. In dem Aufruf heißt es:

Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter rufen auf, bei der Bürgerschaftswahl 2008 die Partei Die Linke zu wählen.

Sieben Jahre von Beust – mit und ohne Schill – müssen wir teuer bezahlen: Kitagebühren, Büchergeld an Schulen, Studiengebühren, Wegfall des HVV-Sozialtickets und höhere Eintrittspreise bei Schwimmbädern sind nur einige Beispiele. Wir haben nicht vergessen, daß gegen den Willen der Hamburger Krankenhäuser privatisiert wurden, daß die HEW verkauft, soziale Einrichtungen hemmungslos dichtgemacht, Kinder und Jugendliche verwahrlosen, die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst verlängert, Arbeitsplätze vernichtet und Mitbestimmungsrechte abgebaut wurden. (…) Die Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel wurden ohne Rücksicht auf die Beschäftigten und ihre Familien fast ins Uferlose verlängert. (…)

Es geht auch anders. Zusätzliche sozialversicherungspflichtige, tariflich bezahlte Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie Mindestlöhne in allen Bereichen sind angesichts des Wirtschaftsaufschwungs und der (Milliarden)Gewinne der Unternehmen möglich. Ein Stopp und eine Rücknahme der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen sichert nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Daseinsvorsorge der Hamburger. Mit Klimaschutz können Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine demokratische Arbeitswelt braucht und verträgt volle Arbeitnehmerrechte. (…)

Viele der Kandidatinnen und Kandidaten der Linken sind Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Sie setzen sich engagiert für diese Ziele ein. (…) Nur mit der Partei Die Linke ist ein politischer Wechsel möglich. (…)

[Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 22. Februar 2008. Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag Bürgerschaft mit links und das Interview meiner jW-Kollegin Claudia Wangerin mit Olaf Harms »›Panorama‹ hat in Hamburg nicht gewirkt«. Die gesamte gestaltete Seite können Sie sich hier auch als PDF-Datei downloaden.]

Verwendung: Junge Welt vom 22. Februar 2008



22. Februar 2008

Gysi und Lafontaine in HamburgAntikommunistische Kampagne ändert nichts an den guten Prognosen für Die Linke in Hamburg. Selbst Lafontaine und Gysi reichen DKP-Kandidaten der Hansestadt die Hand

Endspurt in Hamburg. Am Mittwoch abend feuerten die Parteichefs der Linken, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, ihre Mannschaft in der Hansestadt noch einmal richtig an. Über 1000 Anhänger drängten sich in der Altonaer »Fabrik«. Mehrere hundert mußten draußen bleiben. Es war einfach zu voll. Hamburgs Linke-Spitzenkandidatin Dora Heyenn gab sich überzeugt, daß es einen »Politikwechsel im Rathaus« nur mit Einzug einer starken Fraktion in die Bürgerschaft geben könne. »Nur wir stehen für Glaubwürdigkeit«, rief sie. Dem konnte sich Gysi nur anschließen: »Ich will, daß ihr so stark werdet wie möglich«, denn nur dann bestünde die Chance, daß »die SPD wieder etwas sozialdemokratischer« und die Grünen »vielleicht wieder etwas friedlicher« werden. Nur seine Partei stünde »für soziale Gerechtigkeit«, für das Ende des Niedriglohns, für die Streichung von Leiharbeit. Die bezeichnete Gysi als eine »moderne Form der Sklaverei«. Energisch forderte der Redner den »Aufbruch von Monopolstrukturen durch staatliches Eigentum«, vor allem im Energiesektor. Forderungen der Linken, wie etwa die nach einer Rekommunalisierung der Kliniken in Hamburg, seien durchaus finanzierbar: »Wenn wir die Steuern auf europäisches Normalniveau anheben, dann haben wir 120 Milliarden Euro zusätzlich in die öffentlichen Kassen«, so Gysi. Auf Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und seinen SPD-Herausforderer Michael Naumann eingehend, betonte Gysi, daß diese sich so ähnlich seien, daß es ohne die Linke »kotzlangweilig« in der Bürgerschaft werden würde.

Ein Ball, den Linke-Parteichef Oskar Lafontaine aufnahm: »Naumann, der sich nun über die Existenz von Armenküchen in Hamburg beklagt«, habe »diese Suppe selbst mit eingebrockt«, als er und seine Partei die Hartz-IV-Gesetze einführten. Nur die Linke halte an der Forderung nach Streichung dieser Gesetze fest. Auf die Steueraffäre um den ehemaligen Post-Chef Zumwinkel eingehend, forderte Lafontaine die Einführung einer »Reichensteuer«. Empört zeigte sich der Redner schließlich über die »scheinheilige Kommunistendebatte« [… der letzten Tage. // …, die nach einem Interview der DKP-Landtagsabgeordneten Christel Wegner in der ARD-Sendung »Panorama« losgetreten wurde]. Der Forderung des Grüne-Parteichef Reinhard Bütikofer, Angehörige ehemaliger K-Gruppen und DKP-Landeschef Olaf Harms, von der Bürgerschafsliste der Linken zu streichen, quittierte der Redner mit der Bemerkung, ob Bütikofer nicht mehr wisse, woher er selbst komme. Scharf attackierte Lafontaine auch CDU und FDP. Diese hätten offenbar vergessen, wie viele »Blockflöten« sich in den eigenen Reihen befinden. »Ich dachte, die CDU wäre stolz darauf eine ehemalige FDJ-Funktionärin zur Bundeskanzlerin gemacht zu haben«, scherzte Lafontaine. Auch seiner Partei empfahl er dringend, diese »antikommunistischen alten Kamellen« von der heiteren Seite zu nehmen. »Das zieht doch nicht mehr«, so der Redner mit Blick auf jüngste Wahlumfragen in Hamburg. Demnach könnte die Linke mit neun Prozent am Sonntag sogar als drittstärkste politische Kraft in die Bürgerschaft einziehen. Lafontaine fügte hinzu, daß der Maßstab für die Listenvorschläge doch darin bestehen müsse, daß »unsere Kandidaten nicht auf den Gehaltslisten der Großkonzerne stehen.«

Gysi hatte kurz vor Veranstaltungsbeginn vor einigen Journalisten betont, daß er die Mitnahme von DKP-Mitgliedern auf den linken Wahllisten nicht als Zukunftsmodell betrachte. Doch mit dem Hamburger DKP-Landeschef Olaf Harms habe er »kein Problem«. Ein Standpunkt, den auch Dora Heyenn in den letzten Tagen immer wieder betont hatte. Sie lasse auf die zehn DKP-Mitglieder, die für die Bürgerschaft und die Bezirksversammlungen auf linken Listen in Hamburg kandidieren, nichts kommen. Sie stünden auf der Grundlage des linken Sofortprogramms.

* Wahlparty der Partei Die Linke in Hamburg, Sonntag, 24. Februar, ab 17 Uhr, Fabrik in Altona, Barnerstraße 36

[Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 22. Februar 2008. Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag Dokumentiert: Gewerkschafter für die Linke und das Interview meiner jW-Kollegin Claudia Wangerin mit Olaf Harms »›Panorama‹ hat in Hamburg nicht gewirkt«. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier auch als PDF-Datei downloaden.]

Richtigstellung:
Bei der Veröffentlichung dieses Textes in der Tageszeitung Junge Welt, wurde ein bestimmter Textabschnitt durch das Redigieren völlig verfälscht. Der entsprechende Textabschnitt ist oben durch eine Streichung gekennzeichnet. Näheres dazu lesen Sie hier.

Verwendung: Junge Welt vom 22. Februar 2008



1 Kommentar

Redaktionsnotiz

Als Textautor für Print- und Onlinemedien verfasse ich viele Texte für entsprechende Medien. Journalisten wissen, dass solche Texte vor ihrer Veröffentlichung dann redaktionell noch redigiert werden. Dies bedeutet, dass ein vorhandener Text durch Dritte in einen Zustand versetzt wird, der es dem Leser besser ermöglichen soll, den Inhalt eines Textes zu verstehen, darin gegebene Informationen besser nachzuvollziehen.

Exakt so ist es auch mit meinem am 22. Februar in der Tageszeitung »Junge Welt« veröffentlichten Text »Bürgerschaft von links« geschehen. Doch dabei ist nun leider ein so schwerer Fehler passiert, dass ich diesen zumindest auf meiner eigenen Web-Seite richtig stellen muss.

Redigiert wurde durch die jW-Redaktion folgender Satz: »Empört zeigte sich der Redner [Lafontaine] schließlich über die „scheinheilige Kommunistendebatte“ der letzten Tage«.

Daraus wurde in der jW-Veröffentlichung: »Empört zeigte sich der Redner [Lafontaine] schließlich über die „scheinheilige Kommunistendebatte“, die nach einem Interview der DKP-Landtagsabgeordneten Christel Wegner in der ARD-Sendung „Panorama“ losgetreten wurde«.

Von einer »DKP-Landtagsabgeordneten« hätte ich selbst aber nie gesprochen. Denn das, was sich jetzt in Niedersachsen vollzieht, ist m.E. nicht anderes als ein durch nichts zu rechtfertigender Mandatsklau. Wegner ist keine »DKP-Landtagsabgeordnete«, sondern sie allenfalls eine fraktionslose Abgeordnete. Ihre eigenes Mandat hat sie nur darüber in dem jetzt der Linkspartei ein eigenes fehlt.

Halten wir fest: Wegner sitzt nicht für die DKP im Landtag, sondern für die Linkspartei. Nur die Linkspartei, nicht aber die DKP, kandidierte bei den Wahlen am 27. Januar. Nur sie erhielt das Votum der Wähler. Dass auch Wegner gewählt wurde, verdankt sie ausschließlich der Tatsache, dass die Delegierten des niedersächsischen Linke-Landesparteitags sie auf die Wahlvorschlagsliste wählten. Sonst wäre Wegner nicht im Landtag. Doch nun weigert sich Wegner, der aus der niedersächsischen Linkspartei allumfassend erhobenen Forderung, ihr Mandat wieder zurückzugeben, zu entsprechen. Das aber ist eine Haltung, die m.E. nicht nachvollziehbar ist. Sprachlich hätte ich Wegner deshalb allenfalls als eine fraktionslose Abgeordnete gekennzeichnet, mitnichten aber als eine solche der DKP.

Diese meine Haltung ist auch der Redaktion der Jungen Welt bekannt. Umso unverständlicher ist es daher, in welcher Weise nun der Text redigiert wurde.

Haarspalterei? Ich denke nicht. Denn grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein einzelner Mandatsträger, kommt es zum Bruch zwischen ihm und seinem bisherigen Kollektiv, durchaus nicht das Recht hat, ein solches Mandat einfach mitzunehmen. Und gerade in kommunistischen, in sozialistischen, in linken und emanzipatorischen Bewegungen, sollte dies ein Standpunkt sein, der eigentlich selbstverständlich ist. Denn im Unterschied zu bürgerlichen Auffassungen, gehen wir ja nicht davon aus, dass die Mandatsträger in erster Linie ihrem „Gewissen“ oder aber partikularen Einzelinteressen (dazu zähle ich auch die rein persönlich geprägte Interpretation des Wählerwillens) verpflichtet sind. Verpflichtet sind sie hingegen jenem Kollektiv, das auf der Grundlage eines bestimmten Wahlprogramms, die Mandatsverteilung vornahm. Nicht die Fraktion, nicht der einzelne Abgeordnete, hat bei linken Bewegungen oder Parteien das Sagen. Die Bewegung, die Partei, das politische Kollektiv steht im Zentrum. Nur in seinem Auftrag sollten Abgeordnete arbeiten. Darin besteht ihre Verantwortung, als Teil dieses politischen Kollektivs, und eben für die Umsetzung des Wahlprogramms dieses Kollektivs zu wirken.

Abweichungen von dieser in sozialistischen und kommunistischen, aber auch in linken Bewegungen nun schon Jahrzehnten geltenden Regel, kann es m.E. hingegen nur geben, wenn eben dieses Kollektiv, das über die Mandatsverteilung auf der Grundlage des Wahlprogramms entschied, sich selbst so geändert hat, dass es sein eigenes Wahlprogramm verrät. Dann besteht sogar die Pflicht für den einzelnen Abgeordneten auf der Grundlage des Wahlprogramms – und notfalls auch allein – weiterhin zu wirken.

Historische Beispiele für eine solche Situation waren z.B. die Wandlung der SPD 1914 von einer Friedens- in eine Kriegspartei, die entsprechende Wandlung der Grünen 1999 mit der Unterstützung des Jugoslawien-Kriegs, 2003 die Umwandlung der SPD von einer Sozialstaats- in eine Hartz-IV-Partei. Doch derartig krasse Abweichungen vom eigenen Wahlprogramm, sind bei den niedersächsischen Linken nun wirklich nicht zu entdecken.

Eingewandt werden kann allenfalls noch, dass zum Wahlversprechen der niedersächsischen Linken ebenfalls gehörte, auch ein DKP-Mitglied in den Landtag zu hieven. Dies mag z.B. für Anhänger der DKP ein Grund gewesen sein, die Linkspartei zu wählen. Doch auch hier sind die Dinge genau zu betrachten. Denn der Bruch mit Christel Wegner vollzog sich ja nicht, weil sie der DKP angehört, auch nicht wegen ihrer umstrittenen Äußerungen in der ARD-Panorama-Sendung. Rausgeschmissen wurde sie aus der linken Fraktion, erst nachdem sie sich tagelang nach der Panorama-Sendung nicht äußerte, nicht die Gelegenheit wahrnahm, die von Panorama interpretierten Äußerungen richtig zu stellen. Weder für die Öffentlichkeit, noch für die Gremien der Linkspartei, war Wegner tagelang erreichbar. Und verstreichen ließ Wegner dann auch die Chance sich während einer Fraktionssitzung am 18. Februar 2008 dazu zu äußern. Wie sich Wegner dort äußert, davon wollte die linke Fraktion es abhängig machen, ob Wegner weiterhin zur Fraktion gehört oder eben nicht.

Auf dieser Grundlage kann Wegner überhaupt kein politisches oder moralisches Recht geltend machen, nun weiterhin als fraktionslose und sogar als eine „DKP-Abgeordnete“ im Landtag zu wirken. Das einzige, was sie dort bewirkt, besteht nun darin der Linkspartei eines ihrer Mandate zu entziehen. Über kurz oder lang – davon bin ich überzeugt – wird Wegner deshalb das Mandat niederlegen und damit an die Linke zurückgeben. Besser wäre es, sie täte es schnell. Denn so lange wie Wegner im Landtag sitzt, so lange haben Antikommunisten die Chance, genau diese Situation zu nutzen, um auf Linkspartei und DKP einzuhauen. Sie wenden den Fall ja längst auch dafür, nun die gesamte DKP aus einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei auszugrenzen. Gleichzeitig auch dafür, dass sich die Linkspartei weiter nach rechts entwickelt. Inhaltliche Positionen, wie etwa die, nach einer Vergesellschaftung großer Produktionsmittel, werden so aus der programmatischen Diskussion der Linkspartei zunehmend ausgegrenzt.

Die irre Vorstellung, die es hier und dort zu geben scheint, nun aber aus Wegner eine Art kommunistisches Leuchtfeuer zu machen, ist völlig unrealistisch. Das geht am Alltagsbewusstsein der breiten Massen, aber auch derjenigen, die in sozialen und politischen Bewegungen aktiv sind, völlig vorbei.

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18. Februar 2008

Hamburg: Gleich drei rechte Parteien kandidieren für die Bürgerschaft

Rund 600 Antifaschisten haben am Sonntag in Hamburg gegen eine Wahlveranstaltung der Deutschen Volksunion (DVU) mit deren Bundesvorsitzendem Gerhard Frey demonstriert. Kurz zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht das städtische Congress-Centrum Hamburg (CCH) verpflichtet, der DVU einen Saal zu vermieten. Dies entspreche dem Grundsatz der »Gleichbehandlung« aller für die Bürgerschaftswahlen am 24. Februar antretenden Parteien, hieß es zur Begründung. Neonazis hätten kein Recht auf eine solche Gleichbehandlung, betonte indes das »Hamburger Bündnis gegen rechts«. Es rief zu einer Protestkundgebung direkt vor dem Center auf.

Daß die DVU ihre Wahlveranstaltung für rassistische Hetze nutzt, wurde gleich zu Beginn der Veranstaltung deutlich. Vor etwa 250 Anhängern, darunter auch Angehörige aus den militant neofaschistischen »freien Kameradschaften« um Neonaziführer Christian Worch, fabulierte Frey über »kriminelle Ausländer« und »rote Politbonzen«, die das Land ruinierten. Er forderte, daß »deutsches Geld« nur für Deutsche zur Verfügung stehe und betonte, daß er noch heute stolz auf die Leistungen seines Vaters in der Wehrmacht sei.

»Jawohl« und »Frey, Frey, Frey«, riefen daraufhin einige der Anwesenden und klatschten so laut, daß Frey mit seiner Rede ins Stocken und schließlich sogar aus dem Konzept geriet. Erst jetzt erkannten die DVU-Ordner, daß der nachhaltige Applaus nicht aus den eigenen Reihen, sondern von etwa 25 Antifaschisten kam, die es trotz der zahlreichen Polizeisperren geschafft hatten, in den Saal zu gelangen. Für sie wurde es nun ungemütlich. Geschubst und getreten, gezerrt und geschlagen, landeten sie schließlich vor der Tür.

Aus dem ultrarechten Lager tritt für die Bürgerschaftswahlen nur die DVU an. Sie ist zwar in Hamburg relativ schwach, doch im sogenannten Deutschland-Pakt zwischen NPD und DVU hatten sich beide Parteien darauf geeinigt, daß es bei Landtagswahlen keine Konkurrenzkandidaturen geben dürfe und man sich gegenseitig und im Wechsel unterstützt.

Doch im Wahlkampf der DVU ist von der NPD bisher wenig zu sehen. Multimillionär Frey finanziert mit seinem Vermögen zwar den Druck der Propagandamaterialien. Doch was nützt dies, wenn das anschließend keiner verteilt? Die DVU-Wahlkampagne bleibe jedenfalls »weit unter dem, was wir erwartet haben«, so Antifa-Bündnis-Sprecher Wolfram Siede gegenüber jW. Er vermutet, daß Teile der NPD, darunter ihr Hamburger Landesverband, den Pakt mit der DVU nicht wollen. Ein schlechtes Wahlergebnis für die DVU würde den innerparteilichen Druck erhöhen, von diesem künftig wieder Abstand zu nehmen.

Ein Einzug der DVU in die Hamburger Bürgerschaft ist jedenfalls nicht zu erwarten. Das gilt auch für zwei weitere Parteien am rechten Rand: die vom ehemaligen CDU-Justizsenator Roger Kusch gegründete Partei »Rechte Mitte Heimat Hamburg« und den von Ex-Innensenator Dirk Nockemann – ein ehemaliger Parteigänger von Ronald Barnabas Schill – aufgebauten Hamburger Landesverband der Deutschen Zentrumspartei. Doch anders als 2001, wo Schill mit seinen Law-and-order-Parolen zum Liebling der Hamburger Boulevardmedien avancierte, stoßen seine Erben zur Zeit auf wenig Resonanz.

Verwendung: Junge Welt vom 18. Februar 2008
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15. Februar 2008

Partei Die Linke in Hamburg diskutierte über Optionen nach der Bürgerschaftswahl. Bundestagsabgeordneter aus Hessen kritisiert Regierungsbeteiligung in Berlin

Koalieren? Tolerieren? Opponieren? In der Partei Die Linke wird dieses strategische Dreieck nach den Wahlen in Hessen und vor denen in Hamburg heiß diskutiert. In der Hansestadt wurde die Debatte am Mittwoch abend auf Einladung der Parteiströmung Sozialistische Linke fortgesetzt. Wolfgang Gehrcke, Vorstandsmitglied der Linkspartei und Bundestagsabgeordneter aus Hessen, empfahl dort seinen Hamburger Genossen sowohl vom Koalieren als auch vom Tolerieren die Finger zu lassen.

Tolerierungsverhandlungen gingen meistens daneben und schwächten die gesamte Linke. Geprägt durch den Wunsch vieler Bürger, den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) loszuwerden, hätte auch Die Linke darauf reagieren müssen, konstatierte Gehrcke. Frühzeitig habe die Partei daher ihre Bereitschaft signalisiert, daß ein solcher Wechsel an ihr nicht scheitern werde und sie Andrea Ypsilanti (SPD) zur Ministerpräsidentin mitwählen werde, wenn diese ihr eigenes Programm umsetze. Das habe für Die Linke den Vorteil gehabt, immerhin keinen »Kuhhandel« um das eigene Programm eingehen zu müssen. »In der Opposition besetzen wir die Themen«, so Gehrcke. Tolerierungsverhandlungen hätten den klaren Nachteil, die außerparlamentarische Bewegung zu schwächen und einen Teil der eigenen Wählerschaft durch den Zwang zum Kompromiß zu enttäuschen. Noch schlimmer gehe es nur durch Koalitionsvereinbarungen mit »diesen neoliberalen Parteien« – gemeint waren SPD und Grüne.

Scharf attackierte Gehrcke seine Berliner Parteifreunde. Mit ihrer Weigerung, Arbeitskampfaktionen der BVG-Beschäftigten zu unterstützen, würden diese nur zeigen, wie tief sie sich schon im dortigen Koalitionsgestrüpp verheddert hätten. Mit der Vorstellung, daß Die Linke der natürliche Partner oder sogar Teil eines »rot-grünen Blocks« in Parlamenten und Gesellschaft sei, müsse schnellstens gebrochen werden. Kein gutes Haar ließ Gehrcke auch an dem Europaabgeordneten André Brie. Dessen Forderung, auf Bundesebene schon 2009 eine Koalition mit SPD und Grünen einzugehen, sei völlig unrealistisch. Diese Parteien »setzen klar weiter auf Kriegseinsätze«, so Gehrcke.

Eine Sprache, die in Hamburg ankam. So betonte etwa Christian Schröppel, Bezirksvertreter im Landesvorstand der Linken, daß die Wiederaufnahme einer solchen »sinnvollen Debatte« nicht damit verwechselt werden dürfe, nur »Mehrheitsbeschaffer« für Grüne und SPD zu sein. Ähnlich äußerte sich Gerald Kemski von der Arbeitsgemeinschaft »Betrieb & Gewerkschaft«. Er sei in die Partei eingetreten, »um die Gesellschaft zu verändern«.

Auf Anfrage erinnerte Gehrcke schließlich an die Tolerierungsverhandlungen von 1987 in Hamburg, seinerzeit geführt zwischen der damals noch linken Grün-Alternativen-Liste (GAL) und SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Auch die GAL war zu keinem Kuhhandel bezüglich des eigenen Programms bereit. Nach den gescheiterten Verhandlungen wurde sie von SPD und Medien dafür als »fundamentalistischer« und »politikunfähiger« Verweigerungsclub denunziert. Die Folge waren Neuwahlen. Sie endeten mit herben Verlusten für die GAL, und Dohnanyi blieb Bürgermeister.

Verwendung: Junge Welt vom 15. Februar 2008
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