09. August 2008

Nach tagelangem Mauern des schwarz-grünen Senats wird ein Gelände bereitgestellt

Am 15. August beginnen in Hamburg das diesjährige antirassistische Sommer- und das erste deutsche Klimaaktionscamp. Bis zu 2500 Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Bewegungen und Initiativen werden dazu erwartet. Am Freitag sagte der schwarz-grüne Senat der Hansestadt den Veranstaltern nun endlich einen Ort für das Treffen zu. Es wird nun auf einem Platz im Vorhornweg im Stadtteil Lurup stattfinden. Zuvor hatten die Behörden den Organisatoren einen angemessenen Platz verweigert. Die hatten einen Park auf der dem Hafen zugeneigten Halbinsel Entenwerder vorgeschlagen. Doch das zuständige Bezirksamt berief sich auf die Grünanlagenverordnung, die das Kampieren in Parkanlagen verbiete. Für den Fall der Zuwiderhandlung war ein Zwangsgeld von 25000 Euro angedroht worden. Mit der Mobilisierung geht es unterdessen voran. »Die elektrischen Leitungen fliegen wie Wolken über unsere Dörfer, wir haben aber selbst keinen Strom« und »Wer von Migration redet, darf von Weltwirtschaft nicht schweigen« lautet der Titel einer Veranstaltung am Montag, mit der möglichst viele Hamburger für eine Teilnahme an den Aktionen zwischen 15. und 24. August gewonnen werden sollen.

Das Podium am Montag wird hochkarätig mit internationalen Gästen besetzt sein, unter ihnen der Botschafter Boliviens in der BRD, Walter Magne, und Victor Nzuzi Mbembe von der internationalen Kleinbauernorganisation Via Campesina. »Wir haben es bewußt so eingerichtet, daß dort nur Nichteuropäer sitzen«, sagte Margret Geitner von der Initiative »Kein Mensch ist illegal« gegenüber jW. Den Veranstaltern gehe es auch nicht nur um Aktionen, sondern auch um die Diskussion gemeinsamer Strategien sozialer Bewegungen.

Walter Magne wird am Montag über einen Brief des bolivianischen Präsidenten Evo Morales an Institutionen der Europäischen Union informieren. Schon im Juni hatte er darin die neue Abschieberichtlinie der EU scharf kritisiert. Sie verletze »in schlimmster Weise« die Menschenrechte. Trete sie in Kraft, müsse sich sein Land vorbehalten, die Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag mit der EU abzubrechen. Auch Bolivien könne Visapflichten für EU-Bürger einführen, so Morales, der daran erinnerte, daß während des Zweiten Weltkrieges Millionen Flüchtlinge aus Europa in Lateinamerika aufgenommen worden waren. Zudem habe Europa diese Länder jahrhundertelang ausplündert, während die heutigen Migranten durch Geldüberweisungen einen Beitrag zur Prosperität ihrer Herkunftsländer bzw. einen Teil jener Entwicklungshilfe leisten, der sich die EU immer noch entziehe.

Der kongolesische Landwirt Victor Nzuzi gilt seit Jahren auch in Deutschland als ein besonders engagierter Streiter für eine gerechtere Welt. Er beschreibt die Probleme Afrikas meist an Hand vieler Bilder aus seinem Dorf im Westen Kongos.

Mobilisierungsveranstaltung für die Camps am 11. August, 19 Uhr, HWP, Von-Melle-Park 9, Großer Hörsaal

Verwendung: Junge Welt vom 9. August 2008
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



26. Juli 2008

Klimaschützer und Antirassisten rufen zum gemeinsamen Camp in Hamburg auf. Stadt verweigert Fläche

In drei Wochen werden Klimaschützer und Antirassisten in Hamburg ihre Zelte aufschlagen. Am Donnerstag nachmittag informierte ein Initiativenbündnis während einer Barkassenfahrt durch den Hafen über zwei Protestcamps, die vom 15. bis 24. August in Hamburg organisiert werden. »Wir rechnen mit etwa 2500 Anreisenden aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland«, so eine Sprecherin der Initiative gegenüber junge Welt. Um so ärgerlicher sei das Verhalten der Behörden in der Hansestadt. Alle Vorschläge für eine Fläche, auf der sowohl das Klima- als auch das antirassistische Camp Platz gefunden hätten, seien zurückgewiesen worden. »Wir haben einen Spießrutenlauf durch die Ämter hinter uns«, so die Sprecherin. Ohne Ergebnis. Nun fordern die Organisatoren einen Park auf der dem Hafen zugeneigten Halbinsel Entenwerder. Sollte die Stadt auch diesen Vorschlag ignorieren, müsse die Fläche halt besetzt werden, so Ines Kohburger von der Vorbereitungsgruppe. Der schwarz-grüne Senat sei dringend aufgefordert, die Fläche offiziell zur Verfügung zu stellen, heißt in einer Erklärung des Bündnisses, in dem u. a. ATTAC, NoLager Bremen, six hills aus Berlin, die BUND-Jugend, zahlreiche Flüchtlingsinitiativen sowie die Bundeskoordination Internationalismus (Buko) aktiv sind. Der zuständige Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (SPD), lehnt das ab. Unterstützung bekommt er vom Fraktionschef der Grünen im Bezirk, Michael Osterberg: In Hamburger Parkanlagen sei das Zelten »grundsätzlich verboten«, so der Grüne vor der Presse.

Die Initiativen haben sich bewußt für Hamburg entschieden. Zum Beispiel, weil die Hansestadt eine »so traurige Rolle als norddeutsche Abschiebezentrale« spiele, begründet Conni Gunßer für die antirassistischen Initiativen. Eindringlich verwies sie auf die zahlreichen – vor allem afghanischen – Flüchtlinge, die die Ausländerbehörde, häufig im Rahmen von Sammelabschiebungen, in ihre vom Krieg gezeichneten Länder zurückgeschickt habe. Regelmäßig werde dafür das Nachtflugverbot für den Flughafen außer Kraft gesetzt. Vor allem gegen Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern komme es häufig zu »brutalen Polizeiübergriffen«. Allein für das kommende Jahr bereite die europäische Grenzschutzagentur Frontex noch zehn Sammelabschiebungen vor. Ausgehend von den Camps wird es deshalb am 22. August einen Aktions-tag auf dem Hamburger Flughafen geben. Gunßers Hoffnung ist es, das Gebäude »mit Tausenden von Teilnehmern zu fluten«. Bereits am 18. August wollen die Camper einen Discounter besetzen, um auf die »rabiate Geschäftspolitik von Supermarktketten und ihre rassistische Ausbeutung« aufmerksam zu machen.

Aktionen wird es während der Camps auch gegen das geplante Steinkohlekraftwerk in Moorburg (Besetzung des Bauplatzes am 15. August) sowie gegen verschiedene Produzenten im Düngemittel- und Pestizidbereich geben, berichtete Heinz Wittmer vom Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft. Die Vorherrschaft der Agrochemie führe in zahlreichen Ländern dazu, die bäuerliche Landwirtschaft in Abhängigkeit von solchen Konzernen zu halten. Das Ergebnis seien Hunger und Unterernährung. Wittmer verwies im Hafen auf eine Biodieselraffinerie, die vom Agrarkonzern Archer Daniels Midland (ADM) betrieben wird. Dort würde »Gensoja aus Südamerika und das Palmöl der gerodeten Urwaldflächen Indonesiens« für deutsche Autos verarbeitet. Am 19. August rufen die Camper daher zu einer Demonstration zum Firmensitz von ADM im Stadtteil Wilhelmsburg auf.

camp08.antira.info

Verwendung: Junge Welt vom 26. Juli 2008
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



23. Juli 2008

Mannschaftsbild

Wie ist es für einen deutschen Fußballtrainer im Baseball-Land Kuba? Ein Gespräch mit Reinhold Fanz

Reinhold Fanz ist Trainer der kubanischen Fußballnationalmannschaft

Sie sind seit Januar 2008 Trainer der kubanischen Fußballnationalmannschaft. Zuvor waren Sie beim Bonner SC. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Der Bonner SC pflegt seit über zehn Jahren Beziehungen mit Kuba. Aus dem Präsidium des SC kam deshalb immer wieder der Vorschlag, daß ich selbst nach Kuba gehe, damit der dortige Fußball sich entwickeln kann. Nach Auslaufen meines Vertrags ergab sich dazu dann die Gelegenheit. Einige Spiele der Kubaner – etwa die gegen Mexiko oder Panama im Rahmen des Gold-Cups – hatte ich mir zuvor bereits angeschaut. Sie zeigten mir, daß aus diesem kubanischen Fußball noch eine Menge zu machen ist. Daß dafür jetzt auch die Rahmenbedingungen – zum Beispiel die Situation auf den Sportplätzen – noch deutlich verbessert wird, hat mich schließlich überzeugt.

Was zeichnet die kubanischen Fußballspieler aus?

Sie sind schnell, sehr talentiert und auch technisch sehr gut drauf. Dazu kommt ihr enormer Fleiß. Was fehlt, sind Taktik und jene Disziplin, die europäische wie deutsche Spitzenmannschaften auszeichnet. Schließlich kommt es im Fußball nicht nur darauf an, ein schönes Spiel zu machen. Man muß auch Tore schießen.

Reinhold FanzUnmittelbar nach Ihrem Wechsel haben Sie die Teilnahme Kubas an den Weltmeisterschaften 2010 zur Zielmarke erklärt. Ist das realistisch?

Es ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, das gebe ich zu. Doch die kubanischen Spieler haben dafür das Potential. Erstmals seit über zwölf Jahren konnten wir die zweite Qualifikationsrunde im Vorfeld einer Fußball-WM erreichen. Ich gehe davon aus, daß wir in dieser Gruppe am Ende einen zweiten Tabellenplatz belegen und somit dann auch die nächste Qualifikationsrunde erreichen werden.

Daran glauben Sie fest?

Im Fußball ist fast alles möglich. Vorausgesetzt man arbeitet gut und die Spieler haben erstens das Potential sowie zweitens auch den Willen, ein solches Ziel zu erreichen. Für die kubanische Mannschaft trifft beides zu.

Nach dem jüngsten Sieg über Antigua und Barbuda stehen schwierigere Begegnungen für einen solchen Aufstieg allerdings noch bevor. Mit besonderer Spannung wird das Spiel gegen die USA am 6. September erwartet. Erstmals seit 61 Jahren werden US-amerikanische Fußballer dann in Havanna antreten.

Dieses Spiel wird etwas ganz Besonderes. Es wird ein Spiel Bush gegen Castro. Da geht es um sehr viel mehr als nur um den Sport. Meine Spieler werden deshalb alles dafür tun, die USA zu schlagen. Als Trainer gehe ich davon aus, daß wir nicht nur in diesem Spiel, sondern zuvor bereits gegen Trinidad und Tobago sowie dann gegen Guatemala die erforderlichen Punkte für den Aufstieg in die nächste Runde holen werden.

Gegenwärtig hält sich Ihre Mannschaft zu Testspielen in Europa auf. Gegen die österreicherische Nationalmannschaft mußte sie eine 4:1-Niederlage einstecken. Wie ist Ihre Gesamtbilanz?

Ich muß das relativieren, denn bei diesem Spiel traten die Österreicher mit etwa 30 Fußball-Profis an. In dem drei mal 35 Minuten dauernden Match konnten sie so ihre Spieler mehrfach austauschen. Wir hingegen waren nur mit 13 Kickern präsent. Im ersten Drittel, als diese noch frisch waren, gab es ein 1:1. Die weiteren Tore mußten wir einstecken, nachdem unsere Jungs kräftemäßig schon ziemlich mitgenommen waren. Immerhin hatten wir zu dieser Zeit fast jeden Tag ein anderes Spiel.

Und Ihre Gesamtbilanz?

Wir sind gegen etliche kleinere Mannschaften, auch gegen Zweitligisten, angetreten. Unter den Gegnern befinden sich auch der FC Freiburg und der FC St. Pauli. Mir wurde bei den schon absolvierten Spielen deutlich, wie sich unsere Spieler, ja die gesamte Mannschaft, fast von Spiel zu Spiel steigern konnte.

Warum wollten Sie unbedingt gegen den FC St. Pauli antreten?

Im Millerntor-Stadion herrscht eine besondere Atmosphäre. Wir haben vor dem Spiel geradezu gehofft, daß es ein richtiger Hexenkessel wird. Für unsere Spieler war das eine sehr gute Vorbereitung auf New York. Denn dort werden wir später vor bis zu 70000 Zuschauern unter Flutlichtbedingungen antreten müssen. Dann sollten unsere Spieler mit einer vergleichbaren Situation bereits vertraut sein.

FC-St.-Pauli-Präsident Corny Littmann hat junge Welt gegenüber betont, daß er sich eine Ausdehnung der Beziehungen seines Vereins zum kubanischen Fußball wünscht. Er hofft nun, Sie könnten dabei behilflich sein.

Wenn ich das kann, werde ich es tun. Doch das Entscheidende leisten die Kubaner selbst. Jetzt zum Beispiel ist im Gespräch, daß wir in unserem Stadion einen Kunstrasenplatz erhalten. So könnten die guten klimatischen Verhältnisse, die es in Kuba zwischen November und Februar für Fußballspiele gibt, dann besser auch für Trainingslager europäischer Mannschaften genutzt werden. Auch den Austausch von Schüler- und Jugendmannschaften kann ich mir vorstellen.

Trotzdem ist Kuba eher ein Baseball-Land. Welchen Stellenwert hat der Fußball?

Die Begeisterung nimmt zu. Deutlich wurde dies auch während der Europameisterschaften, die vom kubanischen Fernsehen übertragen wurden. Auch auf der Straße sehe ich immer mehr Jugendliche, die Fußball spielen. Wenn dazu dann noch ein Erfolg der Nationalmannschaft käme, würde der Fußball richtig aufblühen. Havanna unterstützt die sportlichen Aktivitäten seiner Bürger immerhin in besonderer Weise.

Zu einer anderen Frage: In den hiesigen Medien ist häufiger von einem gelähmten Land die Rede. Wie erleben Sie die kubanische Gesellschaft?

Kuba, das ist ein Land im Aufbruch. Die Reformen von Raúl Castro tragen dazu sicherlich bei. Doch es hilft auch, daß jetzt zum Beispiel das EU-Embargo gefallen ist.

Anmerkung:

Dieses Interview, das ich mit Reinhold Fanz noch vor dem Spiel gegen den FC St. Pauli am 18. Juli führte, ist Bestandteil einer 12-seitigen Sonderbeilage der Tageszeitung Junge Welt vom 23. Juli 2008. Weitere Beiträge in dieser Beilage, darunter solche von Hans Modrow, aber auch von kubanischen Revolutionären, zu den Perspektiven des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses in Kuba, lesen Sie bitte hier.

Verwendung: Junge Welt vom 23. Juli 2008



1 Kommentar

23. Juli 2008

Experimentelle Landwirtschaft: Kubanische Bauern bauen Zwiebeln auf einem Feld in Hydrokultur an. Die Methode ist auf kleinsten Flächen anwendbar

Es ist nun knapp zwei Jahre her, daß Fidel Castro aus den Regierungsgeschäften ausschied. Seitdem hat sich in Kuba viel verändert. Neue Sozialprogramme wurden aufgelegt, Wirtschaftsabkommen wurden geschlossen. Im vergangenen Sommer initiierte die Regierung in Havanna – damals noch unter dem Interimspräsidenten Raúl Castro – eine Volksbefragung zu den bestehenden Problemen des Landes. In Betriebsgruppen und Nachbarschaftskomitees nahmen Hunderttausende an der Aussprache teil. Von Stagnation und Frustration, die Kuba im Ausland gerne unterstellt werden, keine Spur. Ähnliches ist in der Außenpolitik zu beobachten. Das sozialistische Kuba baut nicht nur seine Wirtschaftskontakte zu Asien und Afrika aus, Havanna gehört sogar zu den Gründungsmitgliedern des Wirtschaftsbündnisses Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA). Vor dem 50. Jahrestag der Revolution zeigt sich die Inselrepublik als integraler Bestandteil der lateinamerikanischen Gemeinschaft.

In Europa wird all das kaum wahrgenommen. Die Mehrheit der hiesigen Medien arbeitet sich noch immer an Fidel Castro ab, als hätte es einen Wechsel nie gegeben. Ihr politischer Tunnelblick ist verständlich: Die kubanische Realität im Jahr 2008 anzuerkennen hieße, die eigenen Fehleinschätzungen einzugestehen. Nach Fidel Castros Rückzug aus der aktiven Politik ist nichts von dem eingetreten, was westliche Medien und Politologen für die »Post-Castro-Ära« prognostiziert haben. Trotzdem ist die kubanische Gesellschaft im Umbruch. 17 Jahre nach dem Beginn der »Spezialperiode in Zeiten des Friedens«, wie die kubanische Krise nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus genannt wurde, hat sich die Wirtschaft so weit erholt, daß Reformen in Angriff genommen werden können. Mit dieser Situation befaßt sich die diesjährige Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt.

Dabei kommen auch kubanische Stimmen zu Wort. Der Schriftsteller und Essayist René Vázquez Díaz schreibt nicht nur über die Veränderungen auf der Insel, sondern auch über die Irrtümer zu Kuba in Europa. Von seiner Wahlheimat Schweden aus setzt sich Vázquez Díaz mit den westlichen Verleumdungen Kubas auseinander. Kuba in Zeiten von CIA-Folterflügen und NATO-Kriegen von der europäischen Warte aus als Diktatur zu bezeichnen, sei »absurd«, urteilt er in dem Plädoyer für die Souveränität seines Heimatlandes. Trotzdem endet sein Text mit einem Zweifel: Werden die jungen Generationen den bisherigen Konsens weiterhin mittragen?

Auf die Debatte über einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts gehen Jorge Luis Santana Pérez und Concepción Nieves Ayús ein. Die beiden Mitarbeiter des Philosophischen Instituts der Universität Havanna sehen die Diskussion über ein neues Sozialismus-Modell in Lateinamerika als große Chance. Die Lehre aus Kubas Entwicklung sei es, sich bei diesen Diskussionen nicht nur an Theorien, sondern an der Lebensrealität der Menschen zu orientieren. In Kuba sei der Sozialismus »nicht eine beliebige Option unter vielen. Er ist eine Notwendigkeit, die das Überleben, die gesellschaftliche Entwicklung, die Verteidigung und Festigung der Identität gewährleistet«, schreiben Santana Pérez und Nieves Ayús. Gerade deswegen werden auch die Fehler thematisiert. Die deutsche Lateinamerikanistin Ute Evers faßt in diesem Zusammenhang die Diskussion kubanischer Intellektueller über die »grauen fünf Jahre« zusammen – eine Zeit repressiver Kulturpolitik in den 1970ern. Daß dieser Meinungsaustausch heute von der Regierung forciert wird, zeigt die Qualität des politischen Umgangs in Kuba.

Mehrere deutsche Autoren schreiben hier über Kuba. Unter ihnen der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke und der Sozialwissenschaftler Edgar Göll. Die Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt liefert auch in diesem Jahr ein breites Spektrum an Beiträgen für die Diskussion. Nicht über, sondern mit Kuba.

Anmerkung:

Der vorliegend veröffentlichte Beitrag aus einer heute erschienenen 12-seitigen Kuba-Extra-Beilage der Tageszeitung Junge Welt, stammt von meinem jW-Redaktionskollegen Harald Neuber. Einleitend beschreibt er eine Beilage, in der unterschiedliche und sehr respektable Autoren zu den Entwicklungen auf der Karibikinsel Stellung nehmen. Ich veröffentliche diesen Beitrag hier, weil ich selbst zu dieser Beilage einen kleinen Beitrag leisten konnte: ich interviewte den Fußball-Nationaltrainer von Kuba, Reinhold Fanz. Dieses Interview lesen Sie hier.

Darüber hinaus stelle ich den Leserinnen und Lesern meiner Web-Seite hiermit zudem die gesamte Beilage zu Kuba vom 23. Juli als PDF-Datei (3,4 MB) zur Verfügung. Verstehen Sie dies als einen besondere Dienstleistung für die Leser meiner Seite, denn diese, sehr informative Beilage, ist im Internet sonst nur für jW-Abonnenten erreichbar!

Verwendung: Junge Welt vom 23. Juli 2008



21. Juni 2008

Corny LittmannDer FC St. Pauli weiht demnächst seine neue Südtribüne ein – mit einem Spiel gegen die kubanische Nationalmannschaft. Gespräch mit Corny Littmann

Corny Littmann ist Präsident des FC St. Pauli

Am 18. Juli wird die neue Südtribüne des FC St. Pauli offiziell eingeweiht. Im Anschluß gibt es ein Spiel gegen die kubanische Nationalmannschaft. Wie kam das zustande?

Seit wir vor einigen Jahren als bisher einzige deutsche Profimannschaft ein Trainingslager auf Kuba hatten, gibt es enge Verbindungen zwischen uns und dem kubanischen Fußball. Da die Nationalmannschaft des Landes gerade zu einem Trainingslager in Europa weilt und hier gegen mehrere Zweitligisten antreten will, ergab sich jetzt diese Möglichkeit. Vor allem weil die Mannschaft selbst, und auch ihr deutscher Trainer Reinhold Fanz, ausdrücklich wünschten, während ihres Aufenthalts in Europa mit dem FC St. Pauli zusammenzutreffen. Daß wir das jetzt mit der Eröffnungsfeier kombinieren können, freut mich besonders.

Was verbinden Sie mit diesem Spiel?

Das wird aus vielen Gründen etwas ganz Besonderes. Zum einen wegen der Eröffnung. Zum zweiten und vor allem wegen der bekannten Lebensfreude und überhaupt der Einstellung der Kubaner. Das wird dem Spiel und der Stimmung am Millerntor einen ganz besonderen Glanz verleihen. Etwas Besseres hätte dem FC St. Pauli nicht passieren können.

Bevor das Spiel angepfiffen wird, soll es ein umfangreiches Rahmenprogramm geben. Was erwartet die Besucher?

Zum Beispiel ein Tag der offenen Tür, bei dem sich die Ticketinhaber über die neue Tribüne führen lassen können. Außerdem werden kubanische Musikgruppen auftreten, und es wird eine kleine Zeremonie zur offiziellen Einweihung der Südtribüne geben.

Während des Trainingslagers auf Kuba unterhielten Sie sich Anfang 2005 auch mit kubanischen Sportfunktionären. Sportminister Humberto Rodríguez González war dabei so begeistert, daß er von »neuen Freunden« sprach, die sein Land gewonnen habe. Was verbindet Sie mit dem Land von Fidel Castro?

Ich bin seit langer Zeit ein Kuba-Freund und verfolge das dortige politische Geschehen sehr interessiert. Mit Castro konnten wir nicht zusammentreffen. Doch mit seinem Namen und mit der Geschichte seines Volkes verbinde ich ausgesprochen viel. Es ist ja nicht nur eine spannende, sondern vor allem eine bewunderungswürdige Geschichte, beginnend mit der Revolution. Was die Kubaner auf fast allen Gebieten seitdem zustande gebracht haben und wie sie es verstehen, das auszubauen, das ist ganz außerordentlich.

2005 schmiedeten Sie Pläne, diese Verbindungen zu Kuba durch den Austausch von Schülermannschaften und durch ein Hilfsprogramm für die Ausbildung kubanischer Übungsleiter zu festigen. Was ist daraus geworden?

Das war unsere Absicht. Doch leider ist es in der Praxis manchmal viel komplizierterer, etwas einzulösen, als man es sich vorstellt. Schwierigkeiten ergeben sich auch aus der bekannten Abwerbe- und Flüchtlingsproblematik. Trotzdem halten wir daran fest, die Beziehungen unseres Klubs zum kubanischen Fußball auszubauen. Daß Reinhold Fanz jetzt Nationaltrainer der Kubaner ist, ist dafür sicherlich hilfreich.

St. Pauli gilt seit Jahren als rebellisch im deutschen Profifußball. Für viele Fans gehören politisches Engagement, Antifaschismus, die Ablehnung von Kriegen sowie internationale Solidarität zum Alltag. Warum ist das für den FC St. Pauli so wichtig?

Es betrifft die Identität unseres Vereins, die über solche Werte definiert ist. Unser Auftreten gegen Rassismus, unser antifaschistischer Grundkonsens sind ja auch für unsere Fangruppen kennzeichnend. Daß es heutzutage im deutschen Fußball eher eine Ausnahme ist, daß solche Werte gegen rechtsextreme Bestrebungen im deutschen Fußball auch noch verteidigt werden müssen, ist für mich sehr erschreckend. Denn eigentlich sollten solche Werte auch von allen anderen Vereinen beansprucht werden können.

Zurück zum Spiel gegen die Kubaner. 2005 haben ihre Kicker mit 1:3 Toren klar verloren. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie jetzt?

Also das stimmt so nicht, denn es gab schon mehrere Begegnungen. Mal haben wir verloren, mal gewonnen. Auch ein Unentschieden war schon dabei. Der Freundschaft zu Liebe würde ich mich über ein Unentschieden sehr freuen. Ich hätte aber auch nichts dagegen, wenn unsere Jungs ein paar Tore schießen.

Ab wann gibt es die Tickets?

Der Verkauf hat begonnen. Stehplätze für die Gegengerade und die Südkurve gibt es schon ab 5 Euro. Sitzplätze gibt es für 10 bis 15 Euro.

Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 21. Juni 2008
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



06. Juni 2008

»Fest der Arbeit« am Samstag in der Grugahalle

Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) lädt für diesen Samstag zu einem »Fest der Arbeit« in der Essener Grugahalle ein. Die Migrantenorganisation, die dazu 10 000 Teilnehmer erwartet, will so ein »Zeichen gegen den wachsenden Nationalismus und Rassismus« in der deutschen, wie in der türkischstämmigen Bevölkerung setzen.

In den vergangenen Monaten habe es »zahlreiche gemeinsame Kämpfe für eine Verbesserung der Lebensbedingungen«, zum Beispiel für den gesetzlichen Mindestlohn oder gegen die Rente mit 67 gegeben, betonte DIDF-Vorsitzender Hüseyin Avgan. »Wir treffen uns für ein besseres Miteinander von Deutschen und Migranten, von Muslimen und Christen, von Deutschen, Türken und Kurden«, so Avgan. Alle, die sich »gegen den Sozialraub und eine diskriminierende Politik« wehren wollen, seien eingeladen.

Als Redner sind u. a. die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht, die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Klaus Ernst (alle Die Linke) sowie der Vizechef der türkischen Partei der Arbeit (EMEP), Mustafa Yalciner, angekündigt. Zudem werden bekannte Künstler, wie die Sängerin Aynur Dogan oder der Sänger Hasan Yükselir, auftreten.
Samstag, 7. Juni, 16 Uhr, Grugahalle, Essen, didf.de

Verwendung: Junge Welt vom 6. Juni 2008
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



06. Mai 2008

Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere. Gewerkschaft kündigt Verfahren vor Arbeitsgerichten an

In Hamburg hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Montag die bundesweit erste gewerkschaftliche Anlauf- und Beratungsstelle für Illegalisierte, also Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, eingerichtet. Allein in der Hansestadt gäbe es rund 100000 Illegalisierte, bundesweit rund eine Million, begründete dies ver.di Fachbereichsleiter Peter Bremme. Viele von ihnen würden in Privathaushalten als Hilfs- und Reinigungskräfte arbeiten. Andere in der Pflege oder Gastronomie, auf dem Bau, im Hafen oder als Sexarbeiterinnen. Die Gewerkschaft sei auch für die Interessenvertretung dieser Menschen zuständig, so Bremme.

Die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic verwies am Montag vor der Presse auf eine Studie, wonach in 7,5 Prozent aller Privathaushalte regelmäßig Putz- oder Haushaltshilfen beschäftigt sind. Dies entspräche rund 2,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen. »Doch nur 40000 dieser Jobs tauchen in der Sozialversicherungsstatistik auf«, so Mitrovic. Es seien eben vielfach Illegalisierte, die einen oder auch mehrerer solcher Jobs ausüben. Das träfe auch auf die besonders schmutzigen und gefährlichen Container-Reinigungen im Hafen zu. Angeworben über bestimmte Kneipen, angeheuert durch Subunternehmer, gäbe es dort Stundenlöhne von weniger als drei Euro. Und selbst um diese würden die Betroffenen vielfach noch geprellt.

Die Idee zur Schaffung der Beratungsstelle mit dem Namen MigrAr sei im Arbeitskreis »undokumentierte Arbeit« entstanden, berichtet Bremme. Daraus ergebe sich nun ein enges Beziehungsfeld zu weiteren Einrichtungen der Migrationsarbeit. Ziel der gemeinsamen Arbeit sei es, Menschen ohne Papiere einen Zugang zu ihren Rechten zu ermöglichen. Jeden Dienstag in der Zeit zwischen 10 und 14 Uhr erhalten Betroffene nun im ver.di-Center kostenlos Auskunft zu Fragen des Arbeits- und Sozialrechts. In Fällen von Lohnprellerei, verweigertem Gesundheitsschutz oder der Einschränkung von Freiheitsrechten, würden Verfahren vor dem Arbeitsgericht angestrengt. Ähnliches gelte zudem, wenn Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetzt nicht gewährt wurde.

Erst kürzlich habe ein Gerichtssprecher darauf hingewiesen, daß solche Gerichtsverfahren möglich sind, ohne daß der Richter gleich die Ausländer- und Abschiebebehörden informiere, erklärte ver.di-Mann Bremme.

Die Beratungsstelle werde mit »äußerster Sensibilität« arbeiten, betont die Sozialarbeiterin Monica Orjeda. Bestünde bei Betroffenen die Angst das verdi-Center zu besuchen, etwa weil befürchtet wird, die Ausländerbehörde bekäme das mit, würden Mitarbeiter die Betroffenen auch zu hause aufsuchen. Für die Sozialarbeiterin ergeben sich zwei Ziele für die neue Einrichtung: Erstens den Illegalisierten zu verdeutlichen, daß sie nicht allein und auch nicht rechtlos sind; zweitens, genau dies auch den Arbeitgebern klar zu machen. Der Schutz vor einer möglichen Abschiebung habe dabei höchste Priorität. Um die Beratungsstelle noch besser den Bedürfnissen der Betroffenen anzupassen, werde zudem eine auf Interviews basierende Studie vorbereitet.

Bremme ging abschließend noch einen Schritt weiter: Es sei rechtlich kein Problem sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auch unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus zu schaffen. Dem neuen schwarz-grünen Senat schlug Bremme deshalb vor eine Legalisierungskampagne für das »Tor zur Welt« einzuleiten. So könnte aus den vielen »Prüfaufträgen« des Koalitionsvertrags doch noch Realpolitik werden, sagt Bremme.

Kontakt zur Beratungsstelle: 040/2584138

[Anmerkung: in der Veröffentlichung für die Tageszeitung junge Welt mussten bestimmte Passagen, sie sind oben zur Verdeutlichung kursiv gesetzt, aus Platzgründen leider weggelassen werden.]

Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 6. Mai 2008
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



16. April 2008

Erstes Schiff der neuen »Braunschweig-Klasse« wird in Dienst gestellt. Proteste in Rostock-Warnemünde angekündigt

Am heutigen Mittwoch soll am Marinestützpunkt in Rostock Hohe Düne die Korvette Braunschweig F 260, als erste der neuen Kriegsschiffsklasse K 130, offiziell in den Marinedienst gestellt und dabei der Öffentlichkeit präsentiert werden. Schon am Donnerstag soll das mit modernsten Angriffswaffen ausgestattete Schiff, wieder aus dem Hafen auslaufen. Dagegen will ein örtliche Friedensbündnis u.a. mit einer Mahnwache protestieren. Die Anschaffung der Korvette verstoße gegen Artikel 87a des Grundgesetzes, wonach deutsche Streitkräfte nur »zur Verteidigung« dienen sollen.

Tatsächlich handelt es sich bei dem in einer Veröffentlichung der Bundeswehr als »graue Lady« bezeichneten Boot, um eines der aggressivsten Waffensysteme, über die die Marine derzeit verfügt. Mit seiner Einsatzdauer, seinen Tarnkappen-Eigenschaften und seinen vier landzielfähigen Flugkörpern mit 200 Kilometern Reichweite, ist es insbesondere für den Kampfeinsatz in fremden Küstengewässern konzipiert. In Militärdokumenten werden die Korvetten deshalb den »Eingreifkräften« zugeordnet. Ihr Einsatz im »Krieg gegen den Terror« im Rahmen der »Operation Enduring Freedom« am Horn von Afrika und im Indischen Ozean ist bereits geplant. Damit, so heißt es, verbessere die Marine ihre Fähigkeit zur präzisen Bekämpfung von Landzielen.

Damit werde nicht nur der grundgesetzwidrige Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee beschleunigt, sondern gleichzeitig an die »unselige Kanonenbootpolitik der imperialistischen deutschen kaiserlichen Marine« angeknüpft, erklärte die Sprecherin des Rostocker Friedensbündnisses Cornelia Mannewitz. Alle fünf Korvetten der neuen Bootsklasse (Stückpreis: 240 Millionen Euro) sollen in Rostock stationiert werden. Der damit verbundene Ausbau des dortigen Marinestützpunktes zu einem der modernsten Militärstandorte gehe aber an den »existentiellen Bedürfnissen« der Menschen vorbei. Während für militärische Zwecke viel Geld ausgegeben werde, seien die öffentlichen Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern kaum noch in der Lage, ihren elementaren Aufgaben gerecht zu werden, heißt es in einem Aufruf des Friedensbündnisses.

Protestaktionen in Rostock-Warnemünde: heute, 13 Uhr, Reichpietsch­ufer, Donnerstag 9.30 Uhr, Uferweg, Yachthafenresidenz

Verwendung: Junge Welt vom 16. April 2008
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



09. Oktober 2007

Deutsche Leihsoldaten im Irakkrieg verstrahlt – Mitwirkung bei US-Einsatz von Uranbomben in Afghanistan durch Tornado-Aufklärer

Vorbemerkung:

Dieser Weblog dient dazu eigene Artikel zu dokumentieren. Doch heute mache ich eine Ausnahme, denn die Nachricht die am morgen im Email-Postfach fand (zugeschickt von www.0815-info.de), deutet auf einen so gewaltigen Skandal hin, dass sie sofort verbreitet werden muss: Wurden Deutsche Soldaten – und entgegen den offiziell verkündeten Beschlüssen der deutschen Bundesregierung unter Gerhard Schröder – tatsächlich als so genannte „Leih-Soldaten“ im Irak-Krieg eingesetzt? Die Sache zu recherchieren übersteigt meine eigenen Möglichkeiten. Sie liegen im innenpolitischen Bereich und weshalb ich diese Nachricht nun an die außenpolitischen Redaktionen der Zeitungen weitergeleitet habe, für die ich selbst regelmäßig schreibe. Mal sehen, was die Kollegen dazu noch rausbekommen werden.

Andreas Grünwald

Doch hier nun zunächst die Veröffentlichung, die ich heute morgen im E-Mail-Postfach fand:

Deutsche Leihsoldaten im Irakkrieg verstrahlt – Mitwirkung bei US-Einsatz von Uranbomben in Afghanistan durch Tornado-Aufklärer

von Christoph R. Hörstel

In einem Krankenhaus in Deutschland liegt ein Bundeswehrsoldat (hoher Unteroffiziersrang) mit einer erstaunlichen militärischen Karriere: Im Frühjahr 2003 wurde ihm in Aussicht gestellt, er könne seine Beförderungschancen verbessern, indem er aus der Bundeswehr offiziell ausscheide, bei den US-Truppen anheuere, mit diesen in den Irakkrieg zöge – und später wieder zur Bundeswehr (Heer/Infanterie) zurückkehre.

1. Ein Infanterie-Zug der Bundeswehr als US-Kanonenfutter im Irak

Nach Aussagen des Unteroffiziers war es ein kompletter Zug von Soldaten der deutschen Bundeswehr (Zugstärke normalerweise zwischen 50 und 70 Mann), der im März 2003 loszog – und im Irak-Krieg an der Seite von US-Truppen dort eingesetzt wurde, wo Strahlenschäden zu erwarten waren.

Nach Aussagen des erkrankten Unteroffiziers kam es dadurch anders als im Vorgespräch mit Bundeswehr-Vorgesetzten angeboten: Im Anschluss an den Dienst im Irak verstarb die Hälfte seiner deutschen Kameraden dieser deutsch-amerikanischen Sondertruppe an Krebs, offenbar verursacht durch Strahlung. Die Bundeswehr habe ihm, so sagt der überlebende Bundeswehr-Zeuge, zwar auch – wie allen anderen – nach Beendigung seines US-Auftrages die Rückkehr in die Bundeswehr angeboten, doch wegen seines Zustands sei ihm zunächst die Wiederaufnahme in die Bundeswehr und damit auch jegliche Fürsorge verweigert worden – und erst später habe die Bundeswehr diese Entscheidung zurückgenommen, sich um ihn gekümmert und ihn versorgt.

Die Aussage dieses Soldaten ist auch in sofern von Bedeutung, als in Erwägung gezogen werden muss, dass zum Zeitpunkt dieser leihweisen Überlassung von Mannschaften an die US-Streitkräfte die Bundesregierung Schröder unter hohem Druck der USA stand, da sie offiziell die Teilnahme deutscher Soldaten am Irakkrieg strikt abgelehnt hatte. Diese Ablehnung wurde seinerzeit innenpolitisch (Schröder gewann dadurch die Wiederwahl 2002) und außenpolitisch stark beachtet. Deshalb ist als wahrscheinlich anzusehen, dass die Soldaten, um die Regierung Schröder nicht völlig zu diskreditieren, den komplizierten Weg des Ausscheidens aus der Bundeswehr und des späteren Wiedereintritts wählen mussten, das Ganze bei strikter Verpflichtung zur Geheimhaltung.

Doch es gibt neben dem Vorwurf des politischen Falschspiels einen womöglich noch schwerer wiegenden Gesichtspunkt: Es ist nun kaum anzunehmen, dass die Führungsspitzen beider Armeen nicht wussten, welcher Art der Einsatz der „Leihsoldaten“ sein sollte. Mit Sicherheit war er geeignet, US-Truppenteile von derart verlustreichen militärischen Operationen zu entlasten.

Das Problem der US-Streitkräfte mit dem „Golfkriegssyndrom“ (Strahlenschäden bei Militärpersonal aus der Operation „Desert Storm“ von 1991, dem 2. Golfkrieg anlässlich der Besetzung Kuwaits durch die Truppen des irakischen Diktators Saddam Hussein) ist hinlänglich bekannt, immer noch sind tausende Schadenersatzansprüche ungeklärt.

Daraus ergibt sich hier die Frage, ob diese Soldaten bewusst in einem Himmelfahrtskommando „verheizt“ wurden, als eine Art menschenverachtendem Tausch gegen das Ausbleiben weiterer Repressalien durch die USA gegen Deutschland wegen der offiziellen deutschen Verweigerungshaltung.

Dabei ist klar festzuhalten: Der Bundesregierung war zum Zeitpunkt der Verwendung ihres Unteroffiziers im Irak sehr wohl bewusst, wie gefährlich die von US-Truppen verwendete DU-Munition (DU = Depleted Uranium) ist, auch für die eigenen Leute. Das beweist der folgende Fall.

2. Schießbuch Rajlovac

DichtigkeitsprüfungDem Autor liegt komplett (in Fotokopie) das Schießbuch eines Bundeswehrsoldaten vor, der 2001 im Feldlager Rajlovac (s. Anhang 1) bei der SFOR (s. Anhang 2) Dienst tat. (Jeder Soldat der Bundeswehr muss ein Schießbuch führen, in das seine Schießübungen von den jeweils Beaufsichtigenden eingetragen werden).

Wenn es noch einen Zweifel daran gibt, dass

– Bundesregierung und Nato wissen, dass Uran-Munition gefährliche Schäden verursacht
– in Bosnien-Herzegowina Uran-Munition verwendet wurde

dann wird der beigefügte Auszug aus dem Schießbuch eines Bundeswehr-Soldaten, der im Jahre 2001 im damaligen SFOR-Feldlager Rajlovac (bei Sarajevo) Dienst tat diesen Zweifel endgültig widerlegen:

Denn dort steht (auf S. 25 des Schießbuches eingeheftet):

„Die Teilnahme an der Ausbildung Maßnahmen zur Vorsorge und zum Schutz gegen Depleted Uranium Munition (DU-Munition) wird bestätigt. Rajlovac, (Tag und Monat zum Informantenschutz geschwärzt) 2001, unleserliche Unterschrift, OFW (= Oberfeldwebel)“

Darunter werden die Prüfwerte für die Dichtigkeit der Gasmaske des Soldaten („Größe 3 – Brille: JA“) angegeben (wiederum zum Informantenschutz geschwärzt).

3. Opfer von Uranmunition in Afghanistan

Es gibt eine Menge Verbrechen und Skandale rund um den Krieg in Afghanistan

– doch die womöglich folgenreichsten sind noch gar nicht genügend erforscht: Die Rede ist von schwersten gesundheitlichen Schädigungen einschließlich Schäden am Genmaterial bei Afghanen hin zur Säuglingssterblichkeit auf Grund schwerster Missbildungen – durch den Einsatz von Uranwaffen seitens der USA.

Dass ein solcher Einsatz auch gegenwärtig noch erfolgt, erklärt Prof. Dr. Albert Stahel, Dozent für Strategische Studien am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich. Er schätzt, etwa die Hälfte aller in Afghanistan eingesetzten Bomben seien Uranbomben. Die USA bestreiten bisher, in Afghanistan Uranmunition eingesetzt zu haben, Forschungsergebnisse bei den Opfern von Prof. Dr. Aslan Durakovic weisen jedoch darauf hin, dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entspricht. Außerdem meldet das amerikanische „Air Force Print News Today“ in aller Offenheit auch aktuell in diesem Jahr immer wieder den Einsatz von Uranwaffen.

Opfer von UranmunitionDie betroffenen Menschen leiden z. T. extrem unter den bekannten Folgewirkungen, schwerst geschädigte Kinder sterben in den Hospitälern z. T. nur wenige Tage nach der Geburt unter furchtbaren Schmerzen. Der in den USA lebende gebürtige Afghane Dr. Mohammad Daud Miraki erklärte mir bei Übergabe des beigefügten Bildmaterials, (aufgenommen am 13. März 2006 im Malalai Women Hospital, Kabul durch Dr. Miraki, der auch ein Video von dem abgebildeten unbekannten Kind erstellte) dass alle Beteiligten nicht nur um ihre Karriere sondern um ihr Leben fürchten müssten, wenn sie sich an Untersuchungen von Schäden beteiligen, die einen Uranwaffen-Hintergrund vermuten lassen. Konkret führte Dr. Miraki an:

– Eltern wollen ihre Namen und die ihrer möglicherweise geschädigten Kinder nicht nennen
– Ärzte wollen sich an Untersuchungen nicht beteiligen
– Klinikleitungen wollen diese Untersuchungen nicht anordnen.

Vergessen ist der Eid des Hippokrates, der verlangt, dass alles getan wird, um lebensverlängernde Maßnahmen durchzuführen, vor allem gehört dazu selbstverständlich eine treffsichere und nachprüfbare Diagnose.

Eine rasche Stichprobe bei der deutschen Leitung eines deutsch finanzierten Hospitals in Kabul, das dort seit über zehn Jahren erfolgreich arbeitet, ergab, dass man auch dort Repressionen befürchtet, falls sich das Hospital an der Verifizierung des Verdachts auf Uranschäden beteiligt.

Eine solche Reaktion aller betroffenen muss zwangsläufig verschiedene Schuldvermutungen schüren:

a.) Die repressiven politischen Mächte wissen um ihre Verbrechen und suchen sie mit allen Mitteln zu vertuschen
b.) Wissenschaftliche begründete Zweifel an der Gefährlichkeit von Uranwaffen sollen vielfach nur dazu dienen, die Uranwaffen-Anwender reinzuwaschen.
c.) Schließlich hat sich die tägliche Truppenpraxis nicht nur bei der Bundeswehr längst entschieden, Uranwaffen aller Art als gefährlich einzustufen – und damit in Berührung kommendes Personal vor diesen Gefahren durch Gegenmaßnahmen wie (Punkt 2) beschrieben zu schützen.

Die Folgerungen

Zum früheren Verteidigungsminister Struck ist zu sagen, dass Schuld auf sich geladen hat, weil er Angehörige der Bundeswehr dazu anhalten ließ, sich am Irakkrieg ohne den grundgesetzlich dafür zwingend vorgeschriebenen Bundestagsbeschluss zu beteiligen. Erschwerend kommt das trickreiche Vorgehen durch die vorübergehende Außerdienststellung bei der Bundeswehr, das als betrügerisch betrachtet werden kann. Schließlich waren die Betroffenen noch Bundeswehrsoldaten, als sie erstmals über ihre US-Verwendung aufgeklärt wurden.

Der Einsatz von Uranwaffen ist ein Bruch von Menschen- und Kriegsvölkerrecht erster Güte. Die Bundesrepublik Deutschland ist daran zwar nicht direkt durch eigene Anwendung beteiligt, jedoch durch vielfältige Mitwirkung (ISAF, Tornado, OEF) und Unterstützung der Beschuldigten (USA) entsteht eine durchaus justitiable Beihilfe-Situation.

Unter diesen Umständen müsste es sich geradezu verbieten, dass dieser Bundestag die Regierungsvorlage zur Mandatsverlängerung ISAF/Tornado bedingungslos unterstützt, weil dies weitere Uranwaffenverwendung zwangsläufig unterstützt, insbesondere im Fall der Tornado-Aufklärer.

Dass ausgerechnet Struck, jetzt in seiner neuen Position als SPD-Fraktionschef im Bundestag, eben diese Fraktion politisch stark unter Druck setzt, ausgerechnet um den Einsatz deutscher Tornado-Aufklärer zu verlängern – das ist ein einsamer Höhepunkt von Gewissenlosigkeit.

Künftiges Vorgehen des Bundestages

Unter den erwähnten Umständen sollte der deutsche Bundestag zunächst einmal das Aufschnüren des ISAF-Tornado-Pakets durchsetzen und ohne jeglichen innerfraktionellen Druck der verfassungsrechtlich eindeutig verbrieften Gewissensfreiheit der Abgeordneten bei der Abstimmung zu überlassen.

Tornados aber auch ISAF-Truppen darf die Bundesregierung erst dann wieder zum Einsatz vorsehen, wenn:

– Geklärt und nachprüfbar sichergestellt ist, dass das dem Aufklärungsflug folgende Bombardement keine Uranwaffen enthält
– keine Zivilisten schädigt (Kriegsvölkerrecht!)
– Eine wissenschaftlich unangreifbare Untersuchung der Beschuldigungen zu Einsatz und Wirkung von Uranwaffen durch mehrere offizielle Institutionen erfolgt, mindestens eine davon eine UN-Organisation und eine andere das Bundesamt f. Strahlenschutz
– eine Bearbeitung des Themas in NATO, EU und UNO durch geeignete Maßnahmen bis April 2008 erfolgt
– nachprüfbare und sanktionsfähige Vorsorge-Maßnahmen für einen weltweiten Verwendungsstopp der Uranmunition bei allen Nato-Aktionen getroffen sind
– Sanktionen für die künftige Verwendung der Munition beschlossen sind
– Wiedergutmachung für die angerichteten Schäden bei anderen Völkern ebenso wie beim eigenen Personal zeitnah beschlossen ist

Es muss sicherlich nicht darauf hingewiesen werden, dass jedes Mitglied des Bundestages, das jetzt einer Verlängerung des ISAF/Tornado-Mandats bedingungslos zustimmt, sich mitschuldig macht an den Verbrechen in Afghanistan und möglichen weiteren, die zweifellos geplant sind (US-Luftkrieg gegen Iran!).

Quellen:
Zeitfragen Nr. 41, v. 11.10.2006, S.9 nach: „Undiagnosed Illnesses and Radioactive Warfare”, in: Croatian Medical Journal, 44(5):520-532, 2003, Übersetzung: Zeitfragen

© Hörstel Networks
Government & Public Relations – Business Consulting

BERLIN OFFICE
Lindencorso
Unter den Linden 21
10117 Berlin
Phone +49-30-2092-4023
Fax +49-30-2092-4200
Mobile +49-172-3593593

MUNICH OFFICE
Oslostr. 5
81829 München
Phone +49-89-23241434
Fax +49-89-23241435

Quelle: 0815-info vom 08. Oktober 2007
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



3 Kommentare

15. Juni 2007

ITF-Aktionswoche gegen Billigflaggenschiffe

Mit einer Aktionswoche in 15 Ländern Nordeuropas, gelang es der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) vom 4. bis 8. Juni Druck auf so genannte Billigflaggenschiffe auszuüben. Denn gemeinsam mit den Hafenarbeitern wurde die Entladung dann für die Schiffe gestoppt, die keinen gültigen Tarifvertrag vorweisen konnten. Allein in den deutschen Seehäfen betraf das rund 100 Schiffe.

Zum Beispiel das unter liberianischer Flagge laufende Containerschiff „Eleranta“. Als es am Hamburger Burchardkai angelegt hatte, bewirkte schon die Androhung eines Boykotts wahre Wunder. Denn sofort erklärte sich der Reeder bereit einen Tarifvertrag mit der ITF für das Schiff zu unterzeichnen. Gleich mehrere Stunden dauerte indes der Boykott für die in Wismar eingelaufene „Smaragd“. Für dieses unter der Flagge Antiguas laufende Schiff, konnte der Kapitän zwar einen Tarifvertrag vorweisen, doch die ITF-Kontrolleure mussten feststellen, dass dieser einfach nicht eingehalten wird. Erst als der Reeder versicherte Heuer nachzuzahlen und auf Betrugsmanöver aller Art künftig zu verzichten, wurde das Schiff schließlich entladen. Wie wirksam solche Aktionen sind, das zeigte sich auch beim Großfrachter SCAV „Libra Copacabana“. Unter dem Druck der Aktionen, unterzeichnete hier ein deutscher Reeder den Tarifvertrag nun schon, als sich das Schiff selbst noch auf hoher See und erst in der Anfahrt auf Rotterdam, Hamburg und Antwerpen befand. Schwieriger war es hingegen mit der „CMA CGM Iguacu“. Wie ernst es den Hafenarbeitern mit ihrer Solidarität gegenüber den Seeleuten ist, konnte hier der Reeder erst begreifen, nachdem das Schiff sowohl in Rotterdam, wie dann auch in Hamburg boykottiert worden war. Lehrgeld dieser Art, musste aber auch die deutsche Großreederei Leonhardt & Blumberg (L&B) zahlen. Ihr Schiff, die „Hansa Augustenburg“, wurde weder in Polen und noch in Rostock abgefertigt.

Nur so kann aber bei Schiffen, die unter billiger Flagge laufen, ein Tarifvertrag auch durchgesetzt werden. Denn wenn die Seeleute selbst „meutern“, dann gilt das Seerecht. Burmesische Matrosen kommen schon dann ins Gefängnis, nehmen sie auch nur Kontakt mit Gewerkschaften auf. Für die Reeder ein wahres Vergnügen, denn so liegt die monatliche Heuer, häufig nur bei 200, 300 oder 400 Dollar. Und weil bei den Billig-Schiffen auch die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Heimatlandes nicht gelten, müssen die Seeleute dann dafür auch noch extrem lange schuften. Demgegenüber will die ITF mit ihren Tarifverträgen, einen Mindestlohn von 1 550 Dollar für alle Seeleute durchsetzen.

Für Gewerkschaftssekretärin Barbara Ruthmann, sie vertritt die ITF bei ver.di, war die Aktionswoche ein „voller Erfolg“. In Nordeuropa habe es nun insgesamt Hunderte solcher Boykottaktionen gegeben. Doch weltweit laufen 21 000 Schiffe unter billiger Flagge. Die deutschen Reeder sind mit 3 200 Schiffen dabei gut vertreten. ITF-Tarifverträge konnten aber erst für 8 200 Schiffe durchgesetzt werden. Diese Bilanz zu verändern, kann nur mit internationaler Solidarität gelingen.

Verwendung: Wochenzeitung „Unsere Zeit“, 15. Juni 2007
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



12. Juni 2007

Erfolgreiche Aktionswoche: Allein in deutschen Häfen 100 Schiffe kontrolliert, 22 neue Tarifverträge erzwungen

Eine Woche lang haben die der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) angeschlossenen Gewerkschaften aus 15 Staaten Nordeuropas sogenannten Billigflaggen-Reedereien die Stirn geboten. Vom 4. bis 8. Juni wurden dabei allein in deutschen Häfen über 100 Schiffe durch ITF-Inspekteure kontrolliert. Wo keine gültigen Tarifverträge durch die Kapitäne vorgewiesen werden konnten, wurden die Containerriesen und Frachtschiffe so lange von den Hafenarbeitern boykottiert, bis die Reeder zum Abschluß eines Tarifvertrages bereit waren.

»Die Erfolge dieser Woche können sich sehen lassen«, so ITF-Sekretärin Barbara Ruthmann gegenüber jW. Allein in Bremen konnten zwölf neue Tarifverträge abgeschlossen.werden. Besonders erfreulich sei auch gewesen, daß häufig schon die Boykottwarnung reichte, um die Reeder zum Einlenken zu bewegen. So etwa beim Großfrachter SCAV »Libra Copacabana«. Der deutsche Eigner zeichntete bereits einen Tarifvertrag ab, als sich sein Schiff selbst noch auf hoher See und erst in der Anfahrt auf Rotterdam, Hamburg und Antwerpen befand.

Schwieriger war es hingegen mit der »CMA CGM Iguacu«. Wie ernst es den Hafenarbeitern mit ihrer Solidarität gegenüber den Seeleuten ist, konnte der Reeder erst begreifen, nachdem das Schiff sowohl in Rotterdam als auch in Hamburg nicht abgefertigt und stundenlang boykottiert wurde. Lehrgeld dieser Art mußte auch die deutsche Großreederei Leonhardt & Blumberg (L&B) zahlen. Ihr Schiff, die »Hansa Augustenburg«, wurde weder durch polnische noch durch die Rostocker Hafenarbeiter abgefertigt. So aber konnte L&B gezwungen werden, bereits den 22. Tarifvertrag für ein einzelnes Schiff abzuschließen.

Das ist für die Seeleute, die häufig sonst nur 200, 300 oder 400 Dollar an Heuer erhalten, ein großer Erfolg. Denn mit dem ITF-Tarfvertrag in der Tasche müssen künftig durch die Reeder nicht nur Mindeststandards (wie etwa die Vergütung von Überstunden) eingehalten werden – die Seeleute erhalten auch einen Mindestlohn von 1550 Dollar im Monat.

Ein weiterer Schwerpunkt der Aktionen lag auf der Kontrolle bestehender Tarifverträge. »Wir prüfen zum Beispiel, ob die vereinbarten Heuern auch wirklich gezahlt werden«, sagte Ruthmann. Kontrolliert wurde das u.a. B. bei der »Smaragd«. Dieses unter der Flagge Antiguas laufende Schiff wurde in Wismar so lange nicht entladen, bis der Kapitän die Nachzahlung der Heuer schriftlich versicherte.

Die Aktionen der ITF sind ein Beispiel dafür, wie sich Gewerkschafter durch internationale Zusammenarbeit und die Solidarität verschiedener Branchen wehren können. Denn in keinem anderen Bereich waren die Auswirkungen der Globalisierung bereits so frühzeitig erkennbar wie in der Seeschiffahrt. Neue Aktionswochen sind bereits in Vorbereitung, so Ruthmann.

Verwendung: Junge Welt 12. Juni 2007
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



05. Juni 2007

OOCL ASIA
Solidarität maritim: Hafenarbeitergewerkschaften wollen Tarifvertrag für Seeleute erzwingen. Aktionswoche in mehreren europäischen Häfen

Mit einer nordeuropäischen Aktionswoche reagiert die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) auf das zunehmende Lohn- und Sozialdumping in der internationalen Schiffahrtsbranche. Denn betroffen davon sind nicht nur die Seeleute asiatischer, afrikanischer oder südamerikanischer Reedereien. Auch etwa 3200 deutsche Schiffe laufen inzwischen unter sogenannten Billigflaggen – wie der von Nigeria, von Panama, von Burma, den Bermudas oder den Bahamas. Und für 50 Prozent dieser deutschen Schiffe gelte dann auch kein Tarifvertrag, sagte ITF-Vertreter Dieter Benze am Montag auf einer Pressekonferenz in Hamburg. Die Crewmitglieder müssen für wenige hundert Euro im Monat schuften.

Die ITF strebt an, einen Mindestsatz für alle Seeleute durchzusetzen – die Heuer eines Matrosen soll danach bei 1550 Euro im Monat liegen – inklusive 103 Überstunden. Noch bis Freitag rufen die Hafenarbeitergewerkschaften in allen nordeuropäischen Ländern, aber auch in Rußland und Frankreich, gemeinsam dazu auf, ohne Tarifvertrag fahrende Schiffe zu boykottieren. Abgefertigt werden sie erst dann, wenn der jeweilige Kapitän oder die Reederei den Tarifvertrag der ITF unterschrieben hat.

Diese Unterstützung durch die Hafenarbeiter sei aber auch bitter nötig, unterstrichen die ITF-Vertreter in Hamburg. Denn die Mannschaften unterliegen dem Seerecht. Und dort sind die Grenzen zwischen Streik und »Meuterei« häufig fließend. Seeleuten aus Burma etwa droht sogar Gefängnis, wenn sie sich an Streikaktionen beteiligen.

Doch die Unterstützung durch die Hafenarbeiter geschehe nicht nur aus Solidarität, sondern auch aus »kollektivem Eigennutz«, unterstrich der bei ver.di für die Docker zuständige Gewerkschaftssekretär Andreas Bergmann. Denn im Tarifvertrag der ITF gibt es auch eine sogenannte Hafenarbeiterladungsklausel. Und nach der ist es den Reedern verboten, ihre Schiffe mit der eigenen Besatzung zu löschen oder weitere typische Hafenarbeiterdienstleistungen zu verrichten.

Wie kriminell die Aktivitäten der Reeder hingegen sind, darauf verwies in Hamburg ITF-Vertreterin Barbara Ruthmann. Denn selbst auf jenen Schiffen, für die es schon gelungen sei, einen Tarifvertrag der Organisation durchzusetzen (etwa 2800 der weltweit 21000 Schiffe, die unter Billigflaggen laufen), würden die tariflichen Standards häufig unterschritten. So nötige man die Seeleute vielfach, falsche Lohnabrechnungen zu unterschreiben. Die Inspekteure der ITF wollten deshalb während der Aktionswoche gezielt das Gespräch mit den Besatzungen tarifgebundendener Reedereien suchen, so Ruthmann. Kämen dabei derartige Mauscheleien ans Licht, werde das Schiff so lange nicht entladen, bis den Seeleuten die Heuer laut Tarifvertrag nachgezahlt ist. Schwerpunkte der bereits zwölften ITF-Aktionswoche dieser Art sind in Deutschland die Seehäfen von Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Nordenham, Lübeck, Saßnitz und Rostock.

Mit Hilfe von Billigflaggen lassen sich arbeitsrechtliche Vorschriften im Land des Reeders umgehen – gleichzeitig erlauben sie es, extrem lange Arbeitszeiten und sicherheitsgefährdende Arbeitsbedingungen zu erzwingen und dafür auch noch niedrige Heuern zu bezahlen. Billigflaggenschiffe haben keine Nationalität im eigentlichen Sinne, daher gehören sie auch nicht zum Bereich einzelner nationalstaatlicher Seeleutegewerkschaften. Die ITF organisiert deshalb auf internationaler Basis Besatzungen von Billigflaggenschiffen. Seit 1948 führen ITF und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften der Seeleute und der Hafenarbeiter eine zähe Kampagne gegen Reeder, die sich auf der Suche nach möglichst billigen Besatzungen und möglichst niedrigen Ausbildungs- und Sicherheitsanforderungen für ihre Schiffe von der Flagge ihres Herkunftslandes verabschieden. Der 1896 gegründeten Föderation gehören nach eigenen Angaben mehr als 681 Gewerkschaften mit über 4,5 Millionen Mitgliedern im Bereich Transport und Verkehr in mehr als 148 Ländern an.

Verwendung: Junge Welt vom 5. Juni 2007
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



30. Mai 2007

Gezogene Knarre bei Anti-G8-Demo  in HamburgKnüppel, Wasserwerfer und eine gezückte Knarre beim Polizeigroßaufgebot am Pfingstmontag in der Elbmetropole: Hamburgs Innensenator Udo Nagel (CDU) war am Dienstag voll des Lobes für das »professionelle und konsequente Handeln« seiner uniformierten Beamten.

Diese hätten einen friedlichen Verlauf der Demonstration gesichert, erklärte er frei nach George Orwell. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich mit dem Einsatz rund um den ASEM-Gipfel vollends zufrieden. »Wir haben mit viel Polizei, mit hohem Kräfteeinsatz dort, soweit es ging, Sicherheit gewährleistet, zumindest was das Demonstrationsgeschehen betrifft«, beschönigte GdP-Chef Konrad Freiberg im Norddeutschen Rundfunk die Gewalteskalation. »Man kann sagen, daß der Polizeieinsatz geglückt ist.« Geglückt? Unzählige Demonstranten bekamen die Knüppel seiner Kollegen zu spüren, insgesamt nahmen die Einsatzkräfte nach eigenen Angaben 34 Personen vorläufig fest, 86 kamen in Gewahrsam.

Dabei hatten mehr als 6000 Gegner der kapitalistischen Globalisierung unter dem Motto »Gate to global resistance – Gegen den G-8- und EU-Gipfel« gegen das das sogenannte ASEM-Meeting der Europäischen Union protestiert – friedlich, trotz anhaltender Polizeiprovokationen. Streckenweise war die Demonstration von einem fünfreihigen Spalier behelmter Kampfmaschinen in grün umzingelt. 3000 Polizeibeamte waren im Einsatz, Pfefferspray und Schlagstöcke griffbereit, dazu Dutzende Wasserwerfer, gepanzerte Fahrzeuge – das Demonstrationsrecht war an diesem Tag in der Elbmetropole zur Farce verkommen. Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt löste deshalb die Veranstaltung am Rödingsmarkt offiziell auf. Die Polizei verhinderte den Abzug der Demonstranten, die folgende Randale war programmiert. Die Journaille kam auf ihre Kosten: »Militante G-8-Gegner randalieren sich warm«, hieß es später etwa bei Spiegel online.

Ganze drei Stunden hatten die Demonstranten vor Auflösung des Marsches gebraucht, um überhaupt von der nahegelegenen Reeperbahn in die Nähe des Rathauses zu gelangen. Dort tagten die 43 Außenminister aus 27 Ländern der Europäischen Union und 16 ihrer asiatischen »Partnerstaaten«. Protest von unten sollte ihnen nicht zugemutet werden. Politisch begründete dies am Dienstag Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): »Warum demonstriert man eigentlich gegen eine Konferenz, in der Europäer und Asiaten versuchen, ein gemeinsames Augenmerk auf verschiedene Konfliktherde dieser Welt zu richten?« Steinmeier meinte weiter, es sei »geradezu eine Pflicht, in einer Situation, in der wir auf dieser Welt viel zu viele Konflikte haben, nach Partnern zur Lösung von Konflikten zu suchen«. Es sei ein »großer Erfolg«, daß in Hamburg so viele an einem Tisch säßen, die zu »Konfliktherden« – etwa die Kriege in Afghanistan und im Irak – gemeinsame Ansichten austauschten. »Das ist ein Wert an sich, und den sollten wir verteidigen, auch vor denjenigen, die das kritisieren, wenn auch vielleicht nicht im vollen Wissen über das, was wir hier tun«, so Steinmeier.

»Demonstrationen müssen hör- und sichtbar sein«, kritisierte dagegen Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, das brutale Vorgehen der Polizei. Die Auflagen und das massive Auftreten der Polizei hätten die Demonstra­tionsfreiheit eingeschränkt. Es sei nicht akzeptabel, daß Demonstranten »in einem Wanderkessel der Polizei durch eine menschenleere Innenstadt« laufen sollen. Das Vorgehen der Hamburger Sicherheitsbehörden, die eine »Null-Toleranz-Strategie« gegen Demonstranten ausgerufen hatten, sei nicht zu akzeptieren und werfe für den G-8-Gipfel seine Schatten voraus. Schließlich habe die Polizei die Demonstration als eine Art Generalprobe für die bevorstehenden Proteste beim G-8-Gipfel in Heiligendamm betrachtet.

Ähnlich argumentierte auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth: »Demonstrationen sollen etwas darstellen, etwas zeigen, die sollen in Hör- und Sichtweise stattfinden von denen, die es betrifft«, betonte die Parteichefin im TV-Sender N24. Sie habe Verständnis dafür, daß die Veranstalter die Demonstration aufgelöst hätten.

Unkommentiert blieb der Skandal, daß ein Polizeibeamter kurz nach Auflösung der Demonstration am Montag seine Waffe gezückt hatte: »Ein isolierter Polizist fühlte sich durch Stein- und Flaschenwürfe derart bedrängt, daß er seine Dienstwaffe zog und kurz davor war, einen Warnschuß abzugeben. Er flüchtete sich in seinen Wagen«, beschönigte Spiegel online die zugespitzte Situation. Zur Erinnerung: Bei den G-8-Protesten in Genua im Juni 2001 war der Demonstrant Carlos Guiliani von einem angeblich »in Bedrängnis« geratenen Polizeibeamten erschossen worden.

Der vorstehende Artikel ist ein Gemeinschaftsprodukt mit JW-Kollegen Rüdiger Göbel. Er erschien als Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 30. Mai 2007. Lesen Sie dazu auch das Interview »Die Polizei war gewaltbereit« mit Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt und die jW-Kolumne Gerichtsurteil: Vorbeugende Haft bei Blockaden rechtswidrig. Sie können sich die Schwerpunktseite hier aber auch als PDF-Datei downloaden (> 500 kb).

Verwendung: Junge Welt vom 30. Mai 2007



30. Mai 2007

Kurz vor den geplanten Blockadeaktionen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm bringt ein Urteil des Landgerichts Lüneburg Klarheit in die Debatte um die rechtliche Bewertung von Ingewahrsamnahmen.

In einer in diesen Tagen veröffentlichten Entscheidung (Geschäftszeichen 1 T 38/01 21 A XIV 1/2001 L) heißt es, daß die dreitägige Ingewahrsamnahme des Antiatomaktivisten Jochen Stay beim Castortransport nach Gorleben 2001 rechtswidrig war. Stay war damals am Rande einer Blockadeaktion in Gewahrsam genommen worden – angeblich, um eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Demgegenüber erklärt das Gericht, daß die Teilnahme an einer Blockadeaktion nur eine Ordnungswidrigkeit darstelle und daraus keine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit resultiere. Weiter heißt es im Urteil: »Ebenso wenig ist der bloße Aufenthalt in einer Demonstrationsverbotszone geeignet, etwa das Merkmal einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit zu bejahen.«

Lea Voigt, Sprecherin der Kampagne »Block G 8«, forderte am Dienstag von der Polizei, die Vorbereitungen für das illegale massenhafte Einsperren von Blockadeaktivisten einzustellen. »Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden der G 8 unser entschiedenes ›Nein‹ entgegenstellen.«

Die Kampagne Block G 8 hat jüngst ihr Büro im Protestzentrum Rostock-Evershagen bezogen. »Die Mobilisierung hat alle Erwartungen übertroffen: Tausende Menschen haben sich bundesweit in Aktionstrainings gemeinsam vorbereitet. Klar ist: Wir werden uns von unserem Vorhaben nicht abhalten lassen. Wir rechnen damit, daß über 10000 Menschen die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm blockieren werden«, so Martin Schmalzbauer, Sprecher der Kampagne Block G 8 abschließend.

Der vorstehende Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 30. Mai 2007. Lesen Sie dazu auch das Interview »Die Polizei war gewaltbereit« mit Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt und den Titel Warmprügeln für G 8. Sie können sich die Schwerpunktseite hier aber auch als PDF-Datei downloaden (> 500 kb).

Quelle: Junge Welt vom 30. Mai 2007



30. Mai 2007

Hamburger Polizei verhinderte Abzug der Demonstranten und sorgte so für offensichtlich gewollte Randalebilder. Ein Gespräch mit Andreas Blechschmidt

Andreas Blechschmidt war der Anmelder der Demonstration gegen das EU-Asien-Teffen am Pfingstmontag in Hamburg

Es ist eine Seltenheit, daß eine Demonstration von seiten der Veranstalter vorzeitig aufgelöst wird. Warum kam eine Fortsetzung des Protestzugs gegen das EU-Asien-Treffen am Montag in Hamburg für Sie nicht Frage?

Das war ein gezieltes politisches Signal. Wäre am Rödingsmarkt nicht abgebrochen worden, hätten wir anschließend durch eine menschenleere City in einem Polizeiwanderkessel ziehen müssen. Das wollten sich sowohl die Veranstalter als auch die Unterstützer der Demonstration nicht bieten lassen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, an dem Punkt der Demoroute Schluß zu machen, der dem Hamburger Rathaus – dem Tagungsort der EU- und ASEM-Außenminister – am nächsten ist. Die dort ursprünglich geplante Kundgebung war uns bekanntlich höchstrichterlich verboten worden.

Der Abbruch erfolgte also nicht als Reaktion auf gewalttätige Machenschaften durch Autonome und »Randalierer«?

Die Auflösung war gerade umgekehrt vor allem eine Reaktion auf das martialische und versammlungsfeindliche Agieren seitens der zu Tausenden aufmarschierten Polizei. Es ist einfach kein Zustand, in einem dreireihigen Spalier von Polizisten in Kampfmontur durch die Straßen zu ziehen. Es ist der großen Besonnenheit der Demonstranten zu verdanken, nicht auf diese Provokationen angesprungen zu sein und damit einen friedlichen Protest ermöglicht zu haben.

Warum kam es aus Ihrer Sicht am Ende doch zu Ausschreitungen?

Es ist das verbriefte Recht eines jeden Versammlungsteilnehmers, nach deren Auflösung den Ort des Geschehens umgehend verlassen zu können. Genau das hat die Hamburger Polizei durch Errichtung einer Kette aber verhindert. Das hat die Situation auch vor dem Hintergrund der vorangegangenen Provokationen und Einschüchterungen so aufgeheizt, daß es fast schon zwangsläufig zu Gewalttätigkeiten kommen mußte. Die Eskalation geht deshalb aus meiner Sicht eindeutig auf das Konto der Polizeieinsatzleitung.

Würden Sie sagen, die Eskalation wurde gezielt provoziert?

Ich glaube, daß die Polizei zu solchen Gelegenheiten die Eskalation zumindest bewußt in Kauf nimmt, um im nachhinein ihre völlig überzogenen Gewaltprognosen rechtfertigen zu können. Dazu gehört es, im Vorfeld ein Klima der Einschüchterung, Stigmatisierung und Kriminalisierung zu schaffen. So hatte der Hamburger Polizeipräsident tatsächlich behauptet, daß im Falle einer Kundgebung vor dem Rathaus die Gefahr eines Abbruchs des Gipfeltreffens bestehen würde. Das ist natürlich Nonsens und spiegelt nur den Wunsch von Polizei und politisch Verantwortlichen wider, das Versammlungs- und das Recht auf freie Meinungsäußerung systematisch auszuhöhlen.

In den bürgerlichen Medien war von 1000 bis 2000 »Gewaltbereiten« oder »Randalierern« die Rede. Wie haben Sie die Demonstration wahrgenommen?

Noch einmal: Ich habe vor allem die Polizei als gewaltbereit erlebt. Im übrigen beteilige ich mich nicht an solchen Abzählspielchen, die letztlich nur das Ziel verfolgen, die Demonstranten in vermeintlich gute und böse zu spalten. In Hamburg sind am Montag mehr als 6000 Menschen über Stunden friedlich für ein gemeinsames Anliegen auf die Straße gegangen, und das trotz aller davor beschworenen Gewaltszenarien.

War die Hamburger Demo eine gelungene Generalprobe für Heiligendamm? Oder könnten die kommenden G-8-Proteste durch die in den Medien dominanten Bilder von Randalen diskreditiert worden sein?

Zunächst bin ich nicht so vermessen, bei der Masse an Menschen und Gruppen, die zu den G-8-Protesten mobilisieren, von einer Generalprobe zu reden. Aber natürlich ist es ein ermutigendes Zeichen, daß schon gut eine Woche vor dem Gipfelgeschehen so viele Menschen für ihre Forderungen nach einer gerechteren Weltordnung auf die Straße gegangen sind. Die Rezeption in den bürgerlichen Medien ist jedenfalls ganz bestimmt nicht Kriterium für unsere Mobilisierung.

Aber fürchten Sie nicht, daß derlei Bilder Menschen vom Demonstrieren abschrecken?

Die bundesweiten Razzien am 9. Mai haben der Anti-G-8-Bewegung sogar neue Sympathien eingebracht. Und auch die Demo in Hamburg hat gezeigt, daß die Leute der Legendenbildung der Sicherheitsorgane nicht auf den Leim gehen oder sich vielmehr dadurch erst recht veranlaßt sehen, für ihre Bürgerrechte zu demonstrieren.

Das vorstehende Interview meines jW Kollegen Ralf Wurzbacher ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 30. Mai 2007. Lesen Sie dazu auch den Artikel Gerichtsurteil: Vorbeugende Haft bei Blockaden rechtswidrig sowie den Seitentitel Warmprügeln für G 8. Sie können sich die Schwerpunktseite hier aber auch als PDF-Datei downloaden (> 500 kb.)

Quelle: Junge Welt vom 30. Mai 2007



23. Mai 2007

Anti-EU-ASEM-Pressekonferenz Rote Flora 22_05_07Demonstrationsverbot rund um das »Asia-Europe-Meeting« in Hamburg. Bündnis erwartet Pfingstmontag 10000 Protestierer

Mit »Null Toleranz« und »niedrigen Einsatzschwellen« will Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) den Protesten gegen das sogenannte »Asia-Europe-Meeting« (ASEM) am Pfingstmontag begegnen. Die Proteste gegen das Treffen, zu dem sich am 28. und 29. Mai 43 Außenminister aus 27 Ländern der Europäischen Union und aus 16 asiatischen »Partnerstaaten« in der Hansestadt angekündigt haben, gelten Nagel als »Generalprobe« vor den G-8-Protesten in Heiligendamm. Folgerichtig soll auch in Hamburg ein weiträumiges Demonstrationsverbot gelten, wenn sich die erwarteten 10000 Demonstranten auf der Hamburger Reeperbahn versammeln. Daß der Aufzug dann nur durch menschenleere Straßen, weitab vom eigentlichen Tagungsgeschehen, führen soll, will sich das Demo-Bündnis »Dissent« aber nicht bieten lassen. Bis zur letzten Instanz werde man dagegen gerichtlich vorgehen, betonte Bündnissprecher Andreas Blechschmidt am Dienstag auf einer Pressekonferenz in der Roten Flora.

Daß der Protest sowohl in Heiligendamm als auch in Hamburg bis »an die Ohren der Gipfelteilnehmer« dringt, sei legitim, betonte das Bündnis. Es kritisiert, daß die EU mit ihrer ASEM-Konferenz nur »eigene globale Interessen« und »weitere Ausbeutung und Unterdrückung« fremder Länder durchsetzen will. Doch damit habe die »kapitalistische Globalisierung« auch ein Namen, sie sei »greifbar« und somit auch »angreifbar«. Deutlich kritisierte das Bündnis die »zunehmende Kriminalisierung« der Globalisierungsgegner. Die Razzien am 9. Mai hätten »absolut nichts« ergeben, was für die Justiz verwertbar sei. Spaltung der politischen Bewegung und Einschüchterung möglicher Teilnehmer der Proteste sei das Ziel gewesen, aber das habe nicht funktioniert.

Das mußte indirekt auch der stellvertretende Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, bestätigen. Er erklärte gegenüber der Presse, daß der staatliche Versuch, durch die Razzia die Gegner der Globalisierung in »gewaltfreie« und »gewalttätige« aufzuteilen, weitgehend schiefgegangen sei. Statt dessen seien »Einheit« und »Mobilisierungskraft« der Protestierer gewachsen.

Nun versucht die Polizei, gegen den Versammlungsleiter der Demonstration am Pfingstmontag, Fritz Storim, vorzugehen. Das Vertrauen, daß er im Ernstfall »mäßigend« auf die Demonstranten eeinwirken könne, sei nicht gegeben, so Polizeipräsident Werner Jantosch. Storim komme als Versammlungsleiter nicht in Frage, weil gegen ihn ein Ermittlungsverfahren nach dem Strafrechtsparagraphen 129a (»Bildung einer terroristischen Vereinigung«) laufe. Die Bündnisvertreter setzten dem entgegen, daß die Unschuldsvermutung mit einer solchen Argumentation von vorn herein außer Kraft gesetzt werde. Sie wollen auch diesbezüglich eine gerichtliche Klärung herbeiführen.Und im Übrigen werde man sich auch nicht bei den Transparenten vorschreiben lassen, welche Länge diese besitzen oder wo und wie sie getragen werden. Auch einen Wanderkessel der Polizei bezeichnete Blechschmidt als nicht akzeptabel.

So aber gerät Innensenator Nagel mit seiner übertriebenen Sicherheitshysterie in arge Bedrängnis. Denn dem Hartliner stehen zur Durchsetzung seiner Auflagen am Pfingstmontag nur 1000 eigene Bereitschaftspolizisten zur Verfügung. Tausende weitere Beamte will Nagel deshalb aus Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Bremen zusammenziehen. Doch selbst wenn dies gelingt, dürfte sein Ziel, auch die 1400 hochrangigen Fachbeamten, die ab 28. Mai in Hamburg erwartet werden, von ihrer Außenwelt weitgehend hermetisch abzuriegeln, kaum durchsetzbar sein. Bei dem Demo-Bündnis gab man sich indes sehr optimistisch, daß die Demo am Pfingstmontag ein »sehr gelungener« Auftakt der G8 Proteste werden wird.

* Hamburg, 28. Mai, 12 Uhr, Reeperbahn: Demo gegen »Asia-Europe-Meeting« (ASEM), www.hamburg.dissentnetzwerk.org

Verwendung (zum Teil): Junge Welt
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



12. April 2007

Wilhelm_Achelpöhler»Grüne Friedensinitiative« will durchsetzen, daß in der ehemaligen Antikriegspartei wieder über Friedenspolitik diskutiert wird. Ein Gespräch mit Wilhelm Achelpöhler

Der Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler ist Sprecher des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen in Münster

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat den Ostermarschierern Schwarzweißmalerei vorgeworfen. Das Militärische würde durch die Friedensbewegung zu pauschal abgelehnt, hieß es. Einige Grünen-Politiker haben deshalb am Ostermontag die »Grüne Friedensinitiative« (GFI) gegründet. Was ist deren Ziel?

Wir wollen die Debatte um friedenspolitische Alternativen wieder voranbringen, denn in der Friedensbewegung liegen die Wurzeln unserer Partei. Dafür stehen ja auch Namen, wie etwa Petra Kelly. Dafür steht aber auch unser jahrelanger Kampf gegen die Nachrüstung und für Abrüstungsinitiativen. Wenn Claudia Roth diese Traditionen jetzt negiert, so verdeutlicht das eine unheilvolle Entwicklung in unserer Partei. Als GFI betonen wir hingegen: Wir stehen in der Tradition dieser Ostermärsche. Wir sind gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wir wollen, daß auch bei den Grünen wieder mehr über Friedenspolitik diskutiert wird.

Sie sind Mitglied einer Partei, die nicht nur den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien, sondern auch den ebenso völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatz in Afghanistan gebilligt hat. Auf dem Rostocker Parteitag im November 2001 stimmten 80 Prozent aller Delegierten dem Militäreinsatz in Afghanistan zu. Das ist doch kaum noch zu wenden?

Kurzfristig nicht. Ob es langfristig möglich ist, weiß ich nicht. Ein wichtiger Unterschied zu den 80ern besteht ja darin, daß sich die weltpolitischen Konstellationen grundlegend verändert haben. Heute geht es auch um die Außenpolitik Deutschlands. In den 80er Jahren kritisierten wir die Politik der USA und des Warschauer Paktes. Die Kritik an der eigenen Außenpolitik ist aber deshalb sehr schwierig, weil dies mit einer Denkblockade verbunden ist. Es wird gesagt, daß nur diejenigen regierungsfähig sind, die diese Militäreinsätze der NATO billigen. Das ist ein sehr merkwürdiges Verständnis unserer parlamentarischen Demokratie. Denn im Grunde wird damit gesagt, daß es zwar Wahlen gibt, daß sich an der Politik, zumindest an der Außenpolitik, aber nichts verändern darf.

Sie haben sich eine große Aufgabe gestellt, denn alle Umfragen zeigen, daß die Zustimmung zu den Kriegseinsätzen unter den Anhängern Ihrer Partei besonders groß ist.

Das liegt doch auch daran, daß über Alternativen kaum noch nachgedacht und diskutiert wird. Wenn aber nun am Samstag im Länderrat der Grünen über einen Antrag des Bundesvorstandes diskutiert wird, mit dem dieser die Fortsetzung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan billigen will, soll es anders sein. Wir werden dann darauf hinweisen, daß derjenige, der zum ISAF-Einsatz ja sagt, auch ja zum Einsatz der »Tornado«-Flugzeuge sagt.

Ihr Kreisverband gilt als links. Doch im Bundestag werden Sie durch Winfried Nachtwei vertreten. Der war nicht nur für den Militäreinsatz in Jugoslawien, sondern er hat auch dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan zugestimmt. Wie paßt das zusammen?

Winni und ich sind hier unterschiedlicher Meinung, so wie sich sicher auch die Mitglieder unseres Kreisverbandes in dieser Frage nicht einig sind. Auch wenn Winni nicht immer die Mehrheit auf seiner Seite hatte, so wird er doch sicher von einer ganz großen Mehrheit des Kreisverbandes respektiert, mich eingeschlossen.

Wen vertritt die GFI dann aber eigentlich?

Daß wir mit unseren Positionen in der Minderheit sind, wissen wir selbst. Unsere Grundsatzkritik ist ja erst der Einstieg in eine neue Debatte. Völlig verloren hätten wir dann, wenn selbst eine solche Kritik nicht mehr möglich wäre.

Doch was verbindet Sie dann noch mit dieser Partei? Etwa die Sozialpolitik?

Ich bin seit 1980 dabei. Es gibt ja eine ganze Reihe von Themen, wie etwa beim Klimaschutz, bei denen ich mit meiner Partei sehr konform bin. In sozialpolitischen Fragen bin ich allerdings auch in der Minderheit. Und überhaupt: Was ist ein Ketzer ohne seine Kirche? Münster war schon immer ein Nest von Wiedertäufern.

Nähere Infos unter www.gruene-friedensinitiative.de

Verwendung: Junge Welt



5. April 2007

Hamburger Jugendliche verteidigen afghanische Mitschüler gegen angekündigte Ausweisung

»Was wir allein nicht schaffen, schaffen wir zusammen«. Unter diesem Motto feierten am Dienstag nachmittag gleich mehrere hundert Schüler mitten auf dem Hamburger Rathausmarkt einen ersten Teilerfolg in ihrem Kampf gegen die drohende Abschiebung afghanischer Mitschüler. Grund zum Feiern gab es jedenfalls reichlich, denn 35 afghanische Familien, mitsamt ihren schulpflichtigen Kindern, wollte Innensenator Udo Nagel (parteilos) zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon abgeschoben haben. Still und möglichst leise. Doch dann zogen Tausende Schüler der Erich-Kästner- und der Rudolf-Roß-Gesamtschule sowie aus Stellingen und Wilhelmsburg immer wieder auf Straße. Sie sammelten Unterschriften für den Verbleib ihrer Mitschüler, zogen mit Lichterketten vor das Rathaus und an die Alster. Daraufhin hob Nagel die Abschiebeverfügungen »für mindestens ein Jahr« wieder auf – wegen der Sicherheitslage in Afghanistan, die sich »aktuell« besonders zuspitze, hieß es offiziell.

Afghanische Flüchtlinge ohne schulpflichtige Kinder will Nagel allerdings weiterhin abschieben, wogegen GEW-Landeschef Klaus Bullan am Dienstag in seiner Rede protestierte: Wenn die Sicherheitslage tatsächlich so bedrohlich sei, müsse der Abschiebestopp selbstverständlich für alle gelten.

Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose gratulierte den Schülern zu ihrem Erfolg. Wenn das Auswärtige Amt die Lage in Afghanistan als »unverändert lebensgefährlich« einstufe, Nagel aber weiter dorthin abschieben wolle, sei das eine »perfide Situation«. Trotz schlechten Wetters war die Stimmung dann so angeheizt, daß sich gleich nach dem Livekonzert afghanischer Gruppen und Schülerbands zwischen Alster und Rathaus erneut eine Menschenkette gegen Abschiebungen bildete.

Verwendung: Junge Welt
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



28. März 2007

Außenminister treffen sich am Wochenende in Bremen. Breites Bündnis mobilisiert dagegen

Bremen ist immer eine Reise wert. Das dachten sich nicht nur die Stadtmusikanten, sondern auch die EU-Außenminister. Doch anders als die Märchenfiguren, die gegen Räuber vorgingen, wollen die Außenminister am Samstag und Sonntag beraten, wie sie ihre Macht gegenüber ärmeren Ländern noch besser durchsetzen können. Es geht um eine gemeinsame Sicherheitspolitik, eine neue EU-Verfassung und die Haltung Europas zu den Raketenplänen der USA. Und auch das Verhältnis Europas zur neuen Palästinenser-Regierung steht auf der Tagesordnung der zweitägigen Konferenz.

Ein »Bremer Bündnis« macht gegen das Außenministertreffen Front. Die Protestaktionen beginnen am Freitag um 19.30 Uhr im DGB-Haus. Organisiert von der Bildungsgemeinschaft SALZ und dem Bremer Friedensforum will dort die Bundestagsabgeordnete der Linken, Inge Höger, am Beispiel des Umbaus der Bundeswehr zur Interventionsarmee über die militärpolitischen und strategischen Ziele der EU-Länder sprechen. Daß sich die EU dabei zunehmend als Machtblock der Herrschenden bewährt, ist Thema des parteilosen linken Europaabgeordneten Tobias Pflüger. Um eine historische Einordnung dieser Entwicklung geht es schließlich Claudia Haydt von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung. Unterstützt wird die Veranstaltung auch von der Bremer WASG, der DKP und der Linkspartei.

Gegen Rassismus, Militarisierung und soziale Ausgrenzung richtet sich die Demonstration am Samstag. Sie steht unter dem Motto »Zäune angreifen« und beginnt um elf Uhr am Goetheplatz. Zäune wird es in der Tat geben: Nicht nur das Tagungshotel, sondern auch der Rathausbereich sollen bereits am Freitag durch einen 1 800 Meter langen Sicherheitszaun hermetisch abgeriegelt werden.

Verwendung: Junge Welt
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



17. März 2007

Airbus_Aktionstag_1
Gewerkschaften protestieren gegen Einsparpläne bei Airbus

Europaweit haben am Freitag zehntausende Airbus-Beschäftigte gegen das vom EADS-Management beschlossene Sparprogramm »Power 8« protestiert. In Deutschland lag der Schwerpunkt des vom Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB) ausgerufenen Aktionstages in Hamburg. Rund 20 000 Airbus-Beschäftige aus allen norddeutschen Standorten versammelten sich dort zur Zentralkundgebung der IG Metall.

Es geht bei dem europäischen Flugzeugbauer Airbus um viel. Europaweit will das Management des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS rund 10 000 der 57 000 Arbeitsplätze streichen. Allein in Hamburg könnten davon bis zu 2000 Mitarbeiter betroffen sein. Die Werke in Varel, Laupheim und Saint-Nazaire sollen außerdem verkauft werden. Mit »Industriepartnerschaften« sollen aber auch die Produktionsstandorte im englischen Filton, im Méaulte (Frankreich) und im niedersächsischen Nordenham aus dem Airbus-Verbund herausgelöst werden. Die Konzernspitze verspricht sich davon »schlankere« Produktionsstrukturen, steigende Renditen und eine »Cash-Maximierung«, mit der sie die Entwicklungskosten für den neuen Langstreckenjet A 350 XWB finanzieren will.

Doch das ist für den Vorsitzenden der IG Metall, Jürgen Peters, der als Hauptredner in Hamburg auftrat, ein reiner Katastrophenkurs. Der Verkauf von Standorten, die Ausgliederung von Kernkompetenz und der Abbau tausender Arbeitsplätze würden nicht zur Lösung der Airbus-Krise beitragen. Schließlich sei der Flugzeughersteller ja auch nicht wegen zu hoher Personalkosten in die Krise geraten, sondern wegen der Fehler des Top-Managements, das »den Karren in den Dreck gefahren« habe. Energisch verlangte Peters ein neues Zukunftskonzept, das auf der Basis der bisherigen Produktionsstrukturen beruhe.

So sehen es auch die Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen, CDU) und Günter Oettinger (Baden-Württemberg, CDU), die ebenfalls in Hamburg sprachen. Wulff zweifelte die Sinnhaftigkeit des Sanierungsprogramms offen an, das ihn in seinen Einzelmaßnahmen »bisher nicht einleuchte«. Und mit Blick auf die Wachstumspotenziale der Branche betonte er, dass es Kündigungen an »keinem Standort in Europa« geben dürfe. »Die Fehler lagen beim Management«, betonte auch Oettinger, der dem Airbus-Vorstand zudem vorwarf, die Marktlage für den A 380 völlig falsch eingeschätzt zu haben.

Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) verlangte, die Sicherung aller Standorte auch in den Rang einer »nationalen Aufgabe« zu erheben. Die Franzosen hätten dies den Deutschen vorgemacht, sagte Uldall, der zudem auf die Bedrohung tausender Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie aufmerksam machte. Dass der Wettbewerbsgegner nicht in Europa liege, betonte hingegen Bremens Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos), der eine Stärkung der einzelnen Standorte forderte.

Dass kein Arbeitsplatz geopfert werden dürfe, sagte auch Martin Wittmaack, Landesgeschäftsführer der Hamburger Linkspartei, der in einer schriftlichen Stellungnahme »Power 8« als Programm für weitere »Extraprofite« bezeichnete.

Dies reicht Gesamtbetriebsratschef Rüdiger Lütjen nun nicht mehr aus. Er forderte die Politiker dazu auf, das EADS-Management künftig auch durch »vertragliche Regelungen« stärker unter Kontrolle zu nehmen. Sollte sich aber die »Dialogunfähigkeit« von Airbus-Co-Chef Louis Gallois fortsetzen, werde es einen »harten Arbeitskampf« geben, versprach Lütjen.

Verwendung: Neues Deutschland



16. März 2007

Airbus_Aktionstag_5
Knapp 25 000 Menschen haben sich an Freitag in Deutschland an den Protesten zum europäischen Airbus-Aktionstag beteiligt. Allein in Hamburg versammelten sich rund 20000 Beschäftigte aus allen norddeutschen Airbus-Standorten zu einer Kundgebung der IG Metall auf der Reeperbahn. Bereits zuvor hatten im baden-württembergischen Laupheim rund 2000 Beschäftigte eine Menschenkette um das dortige Airbus-Werk gelegt. Proteste gab es auch im bayrischen Donauwörth, im niedersächsischen Varel und bei einem Airbus-Zuliefererbetrieb in Speyer.

Für die Beschäftigten geht es um viel. Mindestens 10000 Stellen der insgesamt rund 57000 Arbeitsplätze sollen europaweit gestrichen werden, darunter 3700 in der BRD. Den Werken in Varel und Laupheim sowie im französischen Saint Nazaire droht sogar ein kompletter Verkauf.

IG-Metall-Chef Jürgen Peters sprach auf der Kundgebung in Hamburg von einer »katastrophalen Entwicklung«, bei der die Beschäftigten für die »Fehler des Topmanagements« zahlen sollen. Sollte es zu Kündigungen kommen, versprach Peters einen »harten Arbeitskampf«. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hält Entlassungen für nicht gerechtfertigt, sagte er in Hamburg. In dasselbe Horn stieß der baden-württembergische Ministerpräsident Günter Oettinger (CDU), und Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) tönte, die Sicherung der deutschen Standorte müsse zu einem Projekt von »nationaler Bedeutung« werden.

Doch Arbeitsplätze stehen nicht nur in Deutschland, sondern gleichermaßen in Frankreich, Spanien und Großbritannien auf dem Spiel. Auch in Toulouse, in Méaulte, in Nantes und Saint-Nazaire gingen fast 10000 Menschen auf die Straße. Zu Protesten kam es am Freitag ebenso in den Airbus-Werken in Spanien und im britischen Chester.

Die noch vor wenigen Tagen angekündigte gemeinsame Großkundgebung des Europäischen Metallarbeiterbundes in Brüssel kam indes nicht zustande. Wie tief die Gräben zwischen den nationalen Gewerkschaftsbürokratien sind, wurde erst am Vortag der Aktion deutlich, als der französische »Gewerkschaftsbund der höheren Angestellten« (CFE-CGC) das Sanierungsprogramm »Power 8« als eine »Prämie für die Inkompetenz« deutscher Airbus-Werke bezeichnete. Horst Niehus, Betriebsratschef in Hamburg, wo allein fast 2000 Arbeitsplätze gefährdet sind, forderte daraufhin nun den Ausschluß dieser Gewerkschaft aus dem gemeinsamen europäischen Betriebsrat.

Daß Airbus kein Sanierungsfall und interne Standortkonkurrenz nicht nötig sei, unterstrich indes Gesamtbetriebsratsvorsitzender Rüdiger Lütjen. Die Auftragsbücher seien voll, sagte Lütjen. Daß kein Arbeitsplatz, weder in Toulouse noch in Hamburg, verloren gehen dürfe, betonte auch Linkspartei-Landesgeschäftsführer Martin Wittmaack. In einer schriftlichen Stellungnahme hieß es, daß »Power 8« kein Sanierungsprogramm, sondern nur ein Programm für Extraprofite wäre.

Verwendung: Junge Welt
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



16. März 2007

Heute, am 16. März 2007, fand der europäische Airbus-Aktionstag statt. Demonstrationen, Proteste und teilweise auch Streiks gab es in Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien. Die Beschäftigten wehren sich so gegen das Sparprogramm „Power8“, jenes der Airbus-Mutterkonzern EADS erst im Februar beschlossen hatte. Über 10.000 Stellen sollen demnach europaweit verloren gehen. Außerdem sollen etliche Werke verkauft oder im Rahmen von „Industriepartnerschaften“ aus dem Airbus-Verbund ausgegliedert werden. Der Schwerpunkte der Proteste in Deutschland lag in Hamburg, wo sich etwa 20.000 Beschäftigte aus allen norddeutschen Airbus-Standorten an einer Protestkundgebung der IG Metall beteiligten.

Die nachfolgenden Bilder können von linken politischen Gruppen und Parteien, sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen ohne weiteres und ohne Honorar verwendet werden. Ich bitte aber möglichst um einen Bildnachweis. Für alle anderen Medien gelten die üblichen Bedingungen.

Bei Schwierigkeiten die Bilder downzuladen oder bei schlecher Qualität bzw. bei weiteren Fragen, können Sie mich gern unter den Rufnummern 0176-49211515 anrufen.

Airbus_Aktionstag_1

Airbus_Aktionstag_2

Verwendung dieses Bildes in Landesinfo Nr 1 Linkspartei / WASG Hamburg, März 2007, Seite 7

Airbus_Aktionstag_3

Airbus_Aktionstag_4

Airbus_Aktionstag_5

Airbus_Aktionstag_6

Verwendung dieses Bildes in Rote Fahne

Airbus_Aktionstag_7

Airbus_Aktionstag_8

Airbus_Aktionstag_9

Airbus_Aktionstag_10

Airbus_Aktionstag_11

Airbus_Aktionstag_12



9. März 2007

Bremer Mahnwache für den Frieden feierte gestern 25. Geburtstag. Ein Gespräch mit Ingeborg Kramer

Ingeborg Kramer ist 73 Jahre alt und gehört zu den Mitinitiatorinnen der seit 25 Jahren in Bremen bestehenden Mahnwache für den Frieden

Gemeinsam mit anderen Frauen organisieren Sie nun seit 25 Jahren die Bremer Mahnwache für den Frieden. Wie ist es dazu gekommen?

Unsere Mahnwache, die jeden Donnerstag vor dem Rathaus auf dem Marktplatz stattfindet, ist ursprünglich im Zusammenhang mit der Anti­atombewegung entstanden. So wollten wir unsere Kinder unterstützen, die seinerzeit in Brokdorf und Gorleben demonstrierten. Doch schnell wurde uns dabei klar, daß es einen Zusammenhang zwischen dieser Frage und der Frage der Atombewaffnung gibt. Unsere Aktion wurde deshalb zu einer Mahnwache für den Frieden.

Wer beteiligt sich an der Aktion?

Meist sind wir zehn bis 15 Frauen, wovon die meisten inzwischen auch etwas älter sind. Angefangen hat alles mit einem Kontakt zur Evangelischen Frauenhilfe, heute beteiligen sich Frauen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Schichten. Es sind Christinnen, aber auch Kommunistinnen, die ja schon sehr lange für Frieden und Abrüstung eintreten. Gemeinsam ziehen wir jeden Donnerstag vor das Rathaus. Es gab auch Zeiten, wo unsere Mahnwache täglich stattfand. So war es zum Beispiel während des gesamten Krieges gegen Jugoslawien. Häufig verbinden wir die Mahnwache dann auch mit Unterschriftensammlungen oder der Verteilung von Materialien. Das ist unser Beitrag zur Aufklärung der Menschen.

Wie reagieren die Bremer?

Am Anfang war es manchmal sehr schwierig. Vor allem, wenn ehemalige Kriegsteilnehmer uns regelrecht beschimpften. Da schlug uns sehr viel Distanz und Ablehnung entgegen. Vor allem dann, wenn wir der antisowjetischen Hetze entgegen- und für Versöhnung auftraten. Doch heute überwiegt eher die Zustimmung, und die Leute sagen, das ist gut, daß ihr das macht.

Trotzdem gibt es Kriege mit deutscher Beteiligung, und die Kriegsgefahr wächst weiter. Ist das nicht manchmal frustrierend?

Natürlich. Doch durch die Solidarität in unserer Gruppe und auch die unserer Familien konnten wir uns gegenseitig immer wieder aufrichten.

Was steht heute, am 25. Geburtstag, im Vordergrund Ihrer Aktionen?

Der Widerstand gegen den Einsatz der »Tornados« in Afghanistan, der ja auch Deutschland immer stärker in diesen Krieg mit einbezieht. Wir hinterfragen auch die Funktion unseres Landes als eine große Drehscheibe für den US-Nachschub von Soldaten und Waffen. Ebenfalls wollen wir wissen, warum sich die politischen Führer der Industriestaaten beim G-8-Gipfel eigentlich hinter Mauern verstecken müssen.

Am heutigen Freitag will der Bundestag die deutsche Unterstützung bei der NATO-Frühjahrsoffensive in Afghanistan beschließen. Nur so sei der Wiederaufbau des Landes zu sichern. Was sagen Sie dazu?

Mit immer mehr Soldaten kann doch der Frieden nicht gesichert werden. Im Gegenteil: Dadurch wird es immer schlimmer. Wir sagen den Menschen, daß sie dabei nicht mitmachen dürfen. Meinungsumfragen haben ja bereits ergeben, daß rund 75 Prozent aller Deutschen gegen diesen Einsatz der »Tornados« sind.

So ähnlich ist es auch mit dem Iran, wo die Situation ja unter anderem deshalb immer weiter eskaliert, weil die Politik der USA, aber auch die der Europäischen ­Union und der Bundesregierung, diesem Land kaum noch einen Ausweg läßt. Auch wenn ich selber Kernenergie ablehne, hat das Land natürlich das Recht, diese Kernenergie friedlich zu nutzen.

In Hamburg hat die »Friedens­initiative Wilhelmsburg« der gesamten Friedensbewegung vorgeschlagen, alle Kräfte auf die Forderung nach einem »Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und dem Nahen und Mittleren Osten« zu konzentrieren.

Ich habe die Diskussion mit großem Interesse verfolgt und ich bin sehr dafür, diesem Aufruf zu folgen. Der Einsatz von deutschen Soldaten ist ein offener Bruch des Grundgesetzes, den die meisten Menschen ablehnen. Eine solche Kampagne müßte dann ähnlich laufen wie zum Beispiel in den achtziger Jahren der Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluß durch den Krefelder Appell.

Verwendung: Junge Welt
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



8. März 2007

Appell an Friedensbewegung, Auslandseinsätze im Nahen und Mittleren Osten in den Mittelpunkt zu stellen. Ein Gespräch mit Inge Humburg

[dieses Interview führte jW-Redakteurin Wera Richter]

Inge Humburg ist Mitglied der »Friedensinitiative Wilhelmsburg« in Hamburg

Die Hamburger »Friedensinitiative Wilhelmsburg« hat die Friedensbewegung in einem offenen Brief aufgefordert, sich stärker auf bestimmte Fragen zu konzentrieren. Was haben Sie konkret vorgeschlagen?

Wir meinen, daß die Forderung »Abzug der Bundeswehr aus Afgha­nistan und dem Nahen und Mittleren Osten« in den Mittelpunkt der Aktivitäten gerückt werden muß. Alle Anzeichen sprechen für eine Zuspitzung der Lage in der Region: US-Luftschläge gegen den Iran werden propagandistisch und militä-ri­sch vorbereitet, in Irak und Afghanistan sollen die Truppenstärken erhöht werden. Taliban und NATO haben große Frühjahrsoffensiven angekündigt. Die Kriegsereignisse von Georgien bis Somalia, vom Hindukusch bis Palästina stehen in engem Zusammenhang. Es geht um Öl, Gas und Vorherr­schaft. In diese Kriege werden wir durch die Politik der Bundesregierung immer stärker hineingezogen.

Dann soll sich die Kampagne vor allem gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung richten?

Ein Erfolg der Friedensbewegung in diesem Land wäre angesichts der derzeitigen Probleme der US-Regierung ein wichtiger Beitrag gegen die Aus­weitung der Kriege. Deshalb hebt unser Aufruf, den wir als Basis für die Kampagne und für eine Unterschriftensammlung vorschlagen, das Handeln gegen die Politik der jeweils eigenen Regierung hervor. In den USA, in Italien und Großbritannien gibt es sehr erfolgreiche Kampagnen und Massenproteste für den Truppenrückzug. Wir sollten in der BRD unseren Teil beitragen und uns an die Seite der Friedenskräfte in aller Welt stellen.

Was schlagen Sie außer einer Unterschriftensammlung vor?

Wir wollen diese Fragen auf den Ostermärschen und in Vorbereitung des G-8-Gipfels und in Heiligendamm selbst zuspitzen. Die Menschen müssen überall mit den For­derungen nach Truppenrückzug konfrontiert werden. Die Unterschriftensammlung gibt uns die Möglichkeit, mit ihnen in die Diskussion zu kommen. In unserem Stadtteil, einem Arbeiterviertel mit hohem Migrantenanteil, haben wir gute Erfahrungen gemacht. Insbesondere türkische Kollegen haben oft eine klare Haltung gegen den Krieg. Und wir wollen das Parlament zur Tribüne machen. Die Linkspartei.PDS leistet im Bundestag gute Arbeit. Mit einer Kampagne der Friedensbewegung würde diese auch auf der Straße stärker wahrgenommen werden.

Um die Bundesregierung unter Druck zu setzen braucht es etwas mehr, oder?

Sicher, aber wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur im Kopf gegen den Krieg ist oder es in Umfragen formuliert, sondern sich auch politisch formiert und mit Unterschriftensammlungen, Aktionen und Demonstrationen aktiv wird, sieht das schon anders aus. Erst recht, wenn man berücksichtigt, daß es bei den Kriegskräften im Land widersprüchliche Interessen gibt. Wir können uns nicht damit begnü­gen, die Politik zu kommentieren. Wir müssen, den Anspruch haben, unsere Forderungen durch­zusetzen.

Halten Sie die Forderung nach Rückzug der Bundeswehr momentan wirklich für durchsetzbar?

Ich meine, daß wir mit unserem Aufruf die Köpfe und Herzen von Millionen errei­chen können. Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist gegen die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo. Sie fürchten eine Ausweitung der Kriege und die möglichen Folgen. Das Thema wird uns wegen der Zuspitzung der Lage, wegen der deutschen EU-Präsidentschaft und des G-8-Gipfels ständig begleiten.

Hat »die Friedensbewegung« auf Ihren Vorschlag reagiert? Sie läßt sich ja nicht gern sagen, was sie zu tun hat, weil die lokalen Gruppen selbst über ihre Schwerpunkte entschei­den sollen.

Die Friedensbewegung ist vielfältig durch die unterschiedlichen weltanschaulichen Zugänge zur Friedensfrage und eine bunte Vielfalt von Aktionsformen. Das ist eine ihrer Stärken und soll es auch bleiben. Aber was spricht dagegen, gemeinsam die Lage einzuschätzen und dann die Kräfte zu bündeln? Unser Vorschlag für eine Kampagne ist ein Angebot zur Diskussion. Aufruf und Forderungen sind offen für Verbesserungen. Wir haben eine Homepage eingerichtet, wo wir die Debatte führen wollen. Wir wollen aber auch zu einem Ergebnis und zur gemeinsamen praktischen Arbeit kommen. Die Ereignisse drängen.

Der Offene Brief an die Friedensbewegung und der Vorschlag für die Kampagne finden sich unter: www.truppenabzug-jetzt.de

Quelle: Junge Welt
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



3. März 2007

Streit um Landebahnverlängerung bei Airbus erhält neue Nahrung

Während die Politik über die Airbus-Pläne für den Standort Hamburg erleichtert ist, kündigt der Betriebsrat Proteste an.

Derzeit vergeht kaum ein Tag ohne neue Überraschungen bei Airbus. Am Mittwoch wurde das umstrittene Sparprogramm »Power 8« verkündet, bei dem Hamburg laut Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) mit einem »blauen Auge« davon kam. Doch nun führen Meldungen über einen Baustopp für die geplante Frachterversion des Großraumjets A 380 zu Besorgnis.

Dieser A 380F war in der Hansestadt der Bewilligungsgrund für die umstrittene Verlängerung der Start- und Landebahn am Airbus-Werk in Finkenwerder. Ohne eine solche Verlängerung hätte die Konzernspitze in Toulouse aber auch niemals das Auslieferungszentrum für die Passagiervariante des Megajets genehmigt. Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken ist deshalb um Schadensbegrenzung bemüht. Er spricht von einem nur »vorübergehenden Baustopp«, weil bisherige Terminpläne nicht eingehalten worden seien.

Das sieht A 380-Programmchef Mario Heinen offenbar völlig anders. Er sagte gegenüber der »Financial Times Deutschland«, dass es eine Marktperspektive für den Frachter nicht gebe. Großkunden wie die Leasinggesellschaft International Lease Finance sowie Paketversender Fedex und UPS hatten Bestellungen zuvor storniert.

Für die Klägergemeinschaft um die streitbare Obstbäuerin Gabi Quast, die sich jahrelang mit anderen Anrainern gegen die Landebahnverlängerung gewehrt hatte, schafft der Baustopp neue Perspektiven. Gegenüber ND verwies sie darauf, dass das Hauptverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch nicht einmal eröffnet worden sei. Bisherige Grundstücksenteignungen und den Baubeginn habe es nur im Wege von Eilverfahren vor dem Landgericht gegeben. Quast fordert jetzt einen sofortigen Rückbau der Baumaßnahmen.

Doch ob das realistisch ist, bleibt abzuwarten. EADS-Konzernchef Louis Gallois hat mit »Power 8« ja nun auch grünes Licht für das neue Hamburger Auslieferungszentrum für den A 380 gegeben. Ein monatelang geführter Streit um die Aufgabenverteilung zwischen den beiden Airbus-Hauptstandorten Hamburg und Toulouse ist damit beendet. Die Landebahnverlängerung forderte die Konzernzentrale auch mit Blick auf künftige noch größere Varianten des Passagierflugzeugs.

Bei Kurz- und Mittelstreckenjets soll Hamburg künftig sogar noch mehr zu tun haben als bisher. Während das Werk bisher nur am Bau für den A 318, den A 319 und den A 321 beteiligt war, kommen nun noch kleinere Kontingente beim A 320 dazu. Und die nächste Generation des erfolgreichen Mittelstreckenflugzeugs, die ab Mitte nächsten Jahrzehnts auf den Markt kommen soll, wird sogar fast vollständig an der Elbe gebaut werden. Entwicklungsverantwortung verbleibt aber auch für den Rumpf und die Kabine des Langstreckenflugzeugs A 350, was für die Hamburger Flugzeugindustrie eine besonders gute Nachricht ist: So bleibt der Standort auch von der neuen Technologie CFK (kohlefaserverstärkter Kunststoff) nicht abgeschnitten, was insbesondere die Politik zuvor befürchtete.

Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sieht die Hansestadt deshalb durch »Power8« auch eher gestärkt. »Fair und angemessen« sei der Standort behandelt worden, hieß es. Doch so viel Euphorie will bei den Beschäftigten und ihrem Betriebsratschef Horst Niehus bisher nicht aufkommen. Niehus weiß, dass auch sein Werk Tribut zahlen muss, wenn Airbus seine Ankündigung wirklich wahrmacht, bis zu 3700 Stellen allein in Deutschland abzubauen. In einigen Medien ist sogar schon von bis zu 1000 Arbeitsplätzen die Rede, die an der Elbe trotz höherer Aufträge verloren gehen könnten.

Das aber will Niehus nicht hinnehmen. Nicht wegen der Personalkosten, sondern wegen Managementfehlern sei Airbus in die Krise geraten. Hunderte seiner Kollegen mobilisierte Niehus deshalb schon am Donnerstag zu ersten Protestaktionen. Und beim europaweiten Aktionstag Mitte März gegen »Power 8« soll Hamburg ein Zentrum der Proteste sein.

Verwendung: Neues Deutschland
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier



3. März 2007

portrait_Juergen_BrunsDie Airbus-Beschäftigten in Varel wollen den Verkauf des Werkes nicht kampflos hinnehmen. Ein Gespräch mit Jürgen Bruns

Jürgen Bruns ist Betriebsratsvorsitzender des Airbus-Werkes in Varel und Mitglied im Europäischen Komitee der Airbus-Betriebsräte

Im Rahmen des Sparprogramms »Power 8« hat hat die Airbus-Konzernspitze am Mittwoch verkündet, gleich mehrere Werke in Deutschland und Frankreich aufzugeben. Verkauft werden soll auch das Werk in Varel. Was aber wird dann aus den 1350 Mitarbeitern?

Das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen, denn außer dieser allgemeinen Ankündigung, gibt es bisher keine konkreten Daten. Völlig unklar ist auch, was eigentlich das Ziel eines solchen Ausverkaufs sein soll.

Daß aber verkauft werden soll, steht offenbar fest. Wie wurde diese Nachricht aufgenommen?

Mit sehr viel Enttäuschung. Etliche Kollegen waren sehr deprimiert. Doch immer stärker wuchs dann auch die Wut. Sechs Monate haben diese Spitzenmanager nun über dieses angebliche Sanierungskonzept diskutiert. Sechs Monate lang wurde auch über unsere Arbeitsplätze spekuliert. Und dann kommt so ein Papier. Völlig ohne Details und in bezug auf die Einzelmaßnahmen völlig unbegründet. Das ist doch absolut konzeptionslos! In Varel haben wir jahrelang für den Erfolg von Airbus hart gearbeitet. Manchmal auch in Sonderschichten am Samstag und Sonntag. Immer wieder wurde uns dabei die hohe Qualität unserer Arbeit bestätigt. Und nun soll unser Werk, das schon 50 Jahre existiert, einfach verramscht werden.

Wir waren die Reaktionen in der Bevölkerung?

Viele Einwohner haben uns schon am Mittwoch besucht. Denn würde das Werk tatsächlich in Gefahr geraten, wäre dies auch für die gesamte Region fatal.

Abgesehen von dem Verkauf einzelner Werke stehen europaweit mindestens 10000 Jobs zur Disposition. Nur so könne Airbus wieder flott und wettbewerbsfähig gemacht werden, heißt es. Wie sehen Sie das?

Die These, daß nur mit einer Kürzung der Personalkosten Airbus noch zu retten ist, müßten uns die Manager erst noch belegen. Fest steht aber, daß Airbus nicht wegen zu hoher Personalkosten in die Krise geraten ist, sondern aufgrund eklatanter Fehlplanungen des Managements. Auch darüber wurde nun monatelang gebrütet. Und was ist herausgekommen? Ein einfacher Dreisatz, bei dem die vorgegebene Sparsumme dann einfach durch die Personalkosten geteilt wird. So ergibt sich diese Zahl von 3700 Arbeitsplätzen allein für Deutschland. Auf welche Leistungen und an welchen Standorten nun aber konkret verzichtet werden soll, dazu gibt es dann keine Silbe. Ist das seriös?

Wie hat sich die Wut der Kollegen geäußert?

Als die Nachricht am Mittwoch bekannt wurde, haben die Kollegen ihre Arbeit spontan niedergelegt. Auch die Spät- und die Nachschicht trat dann nicht mehr an. Am Donnerstag wurde das mit einer Blockade des Werktors fortgesetzt; dabei haben die Kollegen dann auch die weitere Entwicklung erst einmal diskutiert. Das haben wir dann am Freitag mit einer Betriebsversammlung fortgeführt.

Sind weitere Aktionen geplant?

Der Kampf um unsere Arbeitsplätze, wird noch sehr lange dauern. Wir brauchen einen langen Atem, damit wir auch langfristig jederzeit mit den richtigen Aktionen antworten können. Ein dauerhafterer Arbeitskampf wäre jetzt noch verfrüht.

Das betont auch die IG Metall, die zunächst auf weitere Verhandlungen setzt. Doch worauf wartet man? »Power 8« ist in seinen Grundzügen doch festgelegt.

Gar nichts steht fest! Das war doch allenfalls ein erster Aufschlag, der uns da vorgelegt wurde. Deshalb denke ich, daß auch in Verhandlungen noch einiges zu bewegen ist. Wir haben schließlich die besseren Argumente. Der Druck aus den Betrieben muß allerdings aufrechterhalten werden. Wir müssen alle Handlungsspielräume, die sich uns anbieten, voll nutzen. Rechtlich und politisch. Und nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit.

Was haben Sie konkret vor?

Schon Mitte März wird es einen ersten europaweiten Aktionstag geben. Im Kreis der Betriebsräte und der beteiligten Gewerkschaften haben wir uns gerade darauf geeinigt. So setzen wir auch ein Zeichen der Solidarität, denn wir haben immer gesagt: Wird nur ein einziges Werk angegriffen, dann sind wir alle angegriffen. Das gilt europaweit. In Varel werden wir uns mit der ganzen Belegschaft an diesem Aktionstag beteiligen.

Verwendung: Junge Welt



2. März 2007

BRIAN GARVEY und BARRY FAWCETTBritische Lehrergewerkschafter über die Folgen der Bildungsreformen Tony Blairs

In der schulpolitischen Debatte wird hierzulande gern auf das britische Vorbild verwiesen. Doch mittlerweile warnen selbst konservative Politiker vor einer »Rückkehr ins viktorianische Klassenschulsystem«. ANDREAS GRÜNWALD sprach am Rande des von der GEW organisierten »deutsch-britischen Gewerkschafterdialogs« in Hamburg mit den beiden britischen Lehrergewerkschaftern BRIAN GARVEY und BARRY FAWCETT.

ND: Welche Erfahrungen haben Sie mit der von Tony Blair forcierten Schulpolitik?

Barry Fawcett: Unsere Regierung versteht Erziehung als ein kommerzielles Geschäft. Wie auf dem Markt sollen die Schulen in einen Wettbewerb treten. Alle Schüler müssen sich deshalb gleich vier Mal in ihrer Schulkarriere einem landesweiten Test unterziehen. Das Ergebnis determiniert die weitere Laufbahn eines Schülers, entscheidet aber auch über das Wohl und Wehe ganzer Schulen. Sind die Ergebnisse schlecht, werden die Schulen geschlossen und das Personal entlassen. In den Tests wird aber nur Faktenwissen in Englisch, Mathematik und den Naturwissenschaften abgefragt. Die Lernfortschritte des Einzelnen und Allgemeinbildung spielen keine Rolle. Auch nicht die Umfeldbedingungen einer Schule.

Brian Garvey: Ähnlich verlaufen die Schulinspektionen, bei denen externe Prüfer die Standards und Abläufe einer Schule bewerten. Das fließt in ein Ranking-System, das dann, wie der Medaillenspiegel bei olympischen Spielen, in den Massenmedien veröffentlicht wird. Schulen, die gut abschneiden, sind so in die Lage versetzt, sich Schüler selbst auszusuchen. Schwerer haben es dann die Kinder aus den bildungsferneren Schichten.

Welche Auswirkungen hat das für die Lehrer?

Brian Garvey: Da vom Test das Image einer Schule abhängt, wird vielfach nur noch für den Test gelernt. Für Projektunterricht oder das Eingehen auf Schülerwünsche bleibt keine Zeit. Völlig unberücksichtigt ist dabei auch die pädagogische Arbeit, die gerade Schulen in den sozialen Brennpunkten leisten müssen.

Barry Fawcett: Dieses Kontrollsystem belastet sowohl die Lehrer als auch die Schüler. Viele Kollegen klagen über gestiegene Arbeitszeiten und den zunehmenden Stress. Und bei den Schülern weist bereits ein Drittel aller siebenjährigen Kinder Stresssymptome auf.

Was passiert, wenn Schulen geschlossen werden?

Brian Garvey: Sie werden durch privat gesponserte City-Akademien ersetzt, die je nach dem Einsatz der privaten Mittel zusätzliches Geld aus dem Erziehungsministerium erhalten. Das ist eine oberflächliche Politik, denn dieses Geld fehlt anschließend bei der Masse »normaler« Schulen.

Barry Fawcett: Diese Akademien werden nur noch durch die privaten Träger kontrolliert. Sie legen den Lehrplan fest, entscheiden über das Schulbudget, haben die Personal- und Tarifhoheit. Sie suchen auch die Schüler aus.

Von wem werden solche Akademien denn gegründet?

Barry Fawcett: Häufig von Großbetrieben oder Universitäten. In letzter Zeit auch von rechts-religiösen Sekten. Dort wird dann Evolutionstheorie durch die »Schöpfungsgeschichte« ersetzt. Das ist nicht nur eine Geldverschwendung, sondern auch höchst gefährlich.

Verwendung: Neues Deutschland



24. Februar 2007

Gipfeltreffen Anfang Juni in Heiligendamm wird weiträumiger abgeriegelt als bislang angenommen. Polizei steckt »erweiterten Maßnahmenraum« ab

Während des G-8-Gipfels Anfang Juni im Ostseebad Heilgendamm will die Polizei eine erweiterte Sicherheitszone einrichten, die über den durch einen derzeit im Bau befindlichen Sperrzaun abgetrennten Bereich weit hinausgehen soll. Das gab der Chef der mit der Absicherung des Gipfels befaßten polizeilichen Sondereinheit »Kavala«, Knut Abramowski, am Donnerstag bei einem Treffen mit Aktivisten der G-8-Gegner bekannt. Eigentlich hatte es bei dem Treffen zwischen Vertretern der »G-8-Protest-CampAG« und der Polizei um die Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten für Globalisierungskritiker während des Gipfels gehen sollen.

Nach Vorstellungen der »Kavala« sollen Proteste in einem um fünf bis zehn Kilometer »erweiterten Maßnahmenraum« um den Zaun herum während des Gipfels »unmöglich« sein, teilte die »CampAG« in einer am Donnerstag verbreiteten Erklärung mit. Ende Januar hatte die Landesregierung der Sondereinheit für die Zeit vom 25. Mai bis 15. Juni auch die Funktion einer Versammlungsbehörde für die Hansestadt Rostock und die Landkreise Bad Doberan und Güstrow übertragen. Der »Maßnahmenraum« umfaßt neben Heiligendamm die Gemeinden Kühlungsborn und Bad Doberan und reicht im Osten bis an die Rostocker Stadtgrenze. Als »unproblematisch« sieht die Polizei den Angaben zufolge lediglich Aktionen und Camps westlich von Reddelich, Steffenshagen, Wittenbeck, Kühlungsborn, südlich von Bad Doberan sowie in Rostock selbst an.

Das »mit heißer Nadel gestrickte Sicherheitskonzept der Polizei« widerspreche »den zu erwartenden Realitäten des Protestes«, heißt es in der Reaktion der G-8-Gegner. Man sei sich sicher, daß wenigstens die Gemeinde Bad Doberan aus der Sicherheitszone herausgenommen werden müsse.

»Immer neue gesperrte Bereichen werden nicht dazu beitragen, daß weniger Menschen zum Protest nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, sondern nur dazu, daß er sich unorganisiert äußert und sich seine Plätze selbst sucht«, wird Monty Schädel, Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft und Koordinator im Rostocker Bündnis zur Vorbereitung der G-8-Proteste, in der Erklärung zitiert.

Die G-8-Protestvorbereitung benötigt nach eigenen Angaben für die Zeit vom 1. bis zum 8. Juni 2007 Unterbringungsmöglichkeiten für rund 15000 Teilnehmer. Außerdem sollen in den Camps Gesprächs- und Kulturveranstaltungen stattfinden, bei denen sich die Protestteilnehmenden, aber auch Einwohner der Region und Gäste, über die Folgen der Globalisierung verständigen und Alternativen diskutieren können.

Weil »Kavala« die Schotten dicht macht, fürchtet die Hamburger Polizei, daß sich ein Teil der Aktionen an die Elbe verlagern könnte. Im Gegensatz zu ihren schleswig-holsteinischen Kollegen, die im Juni 1000 Beamte nach Heiligendamm schicken wollen, verweigern sich die Hamburger, wie Polizeisprecher Ralf Meyer dieser Tage bekanntmachte. Begründet wird dies mit dem Asien-Europa-Treffen, zu dem sich Ende Mai bis Anfang Juni rund 1400 politische Spitzenbeamte und mehrere Dutzend Außenminister aus ganz Europa und Asien in der Elbmetropole einfinden werden. Laut Meyer fürchtet die Polizeiführung, daß dieses Treffen für die »linken Kräfte« zu einer »Generalprobe« für Aktionen gegen den G-8-Gipfel werden könnte. Denkbar sei aber auch, daß sich G-8-Gegner, kämen sie in Heiligendamm und Umgebung nicht durch, während des G-8-Treffens auf Hamburg umorientieren könnten, so der Polizeisprecher. Aus diesem Grunde habe der Stadtstaat nun selbst polizeiliche Unterstützung bei anderen Bundesländern beantragt. Insgesamt werden Anfang Juni in Heiligendamm rund 16000 Polizeibeamte der Länder sowie 2000 Bundespolizisten erwartet.

[Der Artikel ist ein gemeinsames Produkt von Joern Boewe und Andreas Grünwald]

Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-24/025.php



20. Februar 2007

Brian Garvey und Barry Fawcett

Zwangs- und Kontrollsystem an britischen Schulen setzt Schüler und Lehrer unter Druck. Gewerkschaften tauschten in Hamburg Erfahrungen aus

Vertreter von Lehrergewerkschaften Hamburgs und Großbritanniens tauschten sich vergangene Woche in der Hansestadt aus. Endlich, denn schon 2001 konfrontierte die Handelskammer den damaligen Schulsenator Rudolf Lange (FDP) mit »Leitlinien zur Schulpolitik« – die sie dann Chris Woodhead, Chef der inzwischen privatisierten englischen Schulinspektion, begründen ließ. Nur mit mehr Wettbewerb sei das Ergebnis schulischer Ausbildung zu verbessern, lautete die Kernthese. Hamburger Schulpolitiker eifern dem nun nach, wobei sie auf die britischen »Erfolge« verweisen. Höchste Zeit also, daß auch die Lehrergewerkschaft GEW mit ihren britischen Kollegen schulpolitische Fragen diskutiert. Um Erfahrungen zu sammeln, reiste GEW-Landeschef Klaus Bullan im vergangenen Jahr nach London. Dies war der Ausgangspunkt für jenen »deutsch-britischen Gewerkschaftsdialog«. Unter den Gästen auch Brian Garvey, Präsident der »National Association of Schoolmasters – Union of Women Teachers« (NASUWT) sowie Barry Fawcett, Chefverhandlungsführer der »National Union of Teachers« (NUT).

Hoher Besuch, denn beide Organisationen repräsentieren (zu fast gleichen Anteilen) beinahe 90 Prozent der Lehrerschaft auf der Insel – ein Organisationsgrad, von dem hiesige Gewerkschafter nur träumen können. Doch eine starke Interessenvertretung ist in England und Wales (in Schottland ist einiges anders) auch bitter nötig. Vor allem seitdem der Labour-Politiker Anthony Charles Lynton Blair 1997 das Amt des Premierministers übernahm. Er fährt einen besonders scharfen Kurs von »mehr Wettbewerb«, aber auch Zwang, so daß selbst einige Konservative vor einer »Rückkehr ins viktorianische Klassenschulsystem« warnen.

Brian Garvey beschrieb, wie Blair 1996 seinen Wahlkampf gegen John Major noch mit dem Schlachtruf »Bildung, Bildung, Bildung« eröffnete. Als Regierungschef setzte er dann jedoch unmittelbar das fort, was zuvor die »eiserne Lady« Margret Thatcher mit den Schlagworten »Testing«, »Assessment« und »Examination« versucht hatte. Heute steckt hinter solch harmlos klingenden Begriffen ein ausgeklügeltes Zwangs- und Kontrollsystem, das aber nicht nur etliche Schüler, sondern auch viele Lehrer auf der Strecke läßt. Ein Beispiel dafür sind die landesweiten Tests, denen sich alle Kinder gleich mehrfach in ihrer Schulkarriere unterziehen müssen. Blair hatte versprochen, diese abzuschaffen, doch statt dessen hat er sie noch verschärft. Nur Faktenwissen in Englisch, Mathematik und anderen Naturwissenschaften wird dabei abgefragt. Lernfortschritte oder Allgemeinbildung spielen keine Rolle. Das Ergebnis bestimmt nicht nur die schulische Laufbahn des einzelnen Schülers, sondern entscheidet zugleich über das Wohl und Wehe ganzer Schulen. Sind die Ergebnisse zu schlecht, werden die Schulen geschlossen, das Personal entlassen. Angst verbreitern aber auch die externen Schulinspektoren, die das Recht haben, »Selbstevaluationen« und Standards von Pädagogen und Schulen zu bewerten. Das Ergebnis schlägt sich in einem Ranking-System nieder, das wie der Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen in den Massenmedien veröffentlicht wird. Genüßlich machen sich die Gazetten dann über einzelne Schulen her.

NUT-Vertreter Barry Fawcett berichtete von den Folgen. Viele seiner Kollegen würden den Hauptinhalt ihrer Arbeit nur noch in der Vorbereitung auf solche Tests sehen. Für Projektunterricht oder das Eingehen auf Schülerwünsche bleibe keine Zeit. Der Druck sei so groß, daß sich die Arbeitszeiten deutlich verlängert hätten. Betroffen sind aber auch die Kinder: Schon bei den Siebenjährigen leidet ein Drittel unter Streßsymptomen. Was aber passiert mit geschlossenen Schulen? Blair-Intimus und Erziehungsminister David Blunkett dachte sich dafür sogenannte »City academies« aus. Diese werden von privaten Organisationen finanziert und kontrolliert. Nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel erhalten sie zudem besonders hohe Zuschüsse aus dem Erziehungsministerium. Die neuen Träger können die Lehrpläne nach eigenem Gutdünken gestalten. Sie entscheiden über das Schulbudget, haben Personal- und Tarifhoheit. Selbst die Schüler können von den privaten Trägern ausgesucht werden.

Es sind die Großunternehmen, aber auch Universitäten, die sich so ihren Nachwuchs gleich selbst heranzüchten. Schülerwerbung erfolgt hier mit Hochglanzbroschüren in den »besseren« Wohngebieten, während Kinder aus bildungsfernen Schichten keine Chance haben. Doch auch rechts-religiöse Sekten gründen eigene Akademien. Die »Schöpfungsgeschichte« ersetzt dann die Evolutionstheorie.

In Hamburg suchten die Pädagogen nach Vergleichen zur eigenen Situation, denn auch in der Hansestadt wird inzwischen viel von der »selbstverantworteten Schule« mit eigenen Budgetrechten geredet. Doch Uli Ludwig vom GEW-Vorstand warnte vor unmittelbaren Vergleichen. Noch seien die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich und die Lehrer in Deutschland besser geschützt. Doch das Prinzip sei identisch. Überall in Europa stoße das Kapital in Räume vor, die dem Profitprinzip bisher versagt blieben. Sich dagegen zu wehren sei Aufgabe der GEW.

Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-20/015.php



16. Januar 2007

Deutsche Bahn und Morgan Stanley-Bank wollen die Anteile haben

Die Teilprivatisierung des mit 3500 Mitarbeitern größten Hamburger Hafenbetriebs, der Hafen- und Logistik AG (HHLA), wird immer konkreter. Denn wie die Welt am Montag und unter Berufung auf Anbieterkreise berichtete, haben sich die Deutsche Bahn und die Investmentbank Morgan Stanley nunmehr auf ein gemeinsames Finanzierungskonzept für die Übernahme der HHLA-Anteile geeinigt. Dem Bericht zufolge gehört allerdings auch die australische Macquarie Bank weiterhin zum Kreis jener Kaufinteressenten, denen der CDU-Senat eine hohe Chance einräumt, die Anteile tatsächlich zu übernehmen. Wie berichtet, haben die Hafenarbeiter indes weitere Widerstandsaktionen angekündigt für den Fall, daß der Senat mit seinen Verkaufsplänen Ernst macht. Bereits Mitte Dezember hatten sie zu Tausenden gegen die Teilprivatisierung demonstriert. Sie befürchten, daß der geplante Verkauf von 49,9 Prozent der Anteile nur der erste Schritt in Richtung eines Totalausverkaufs für das bislang städtische Unternehmen sein könnte. Befürchtet wird, daß internationale Finanzspekulanten die Hafenbetriebe übernehmen könnten. Für einen solchen Fall hatten die Hafenarbeiter »Dienst nach Vorschrift« angekündigt.

Nach den vorliegenden Informationen wollen Bahn und Morgan Stanley bis zu einer Milliarde Euro für die ­HHLA-Anteile zahlen. Morgan Stanley gehört zu den weltweit größten Investmentbanken. Das Geld lockt den Senat, der damit seinen Hafenentwicklungsplan, der vor allem einen weiteren Ausbau der Kaianlagen vorsieht, finanzieren könnte, damit im internationalen Konkurrenzkampf künftig noch mehr Containerriesen ihre Fracht in Hamburg statt in Rotterdam und Antwerpen löschen.

Doch für die Hafenarbeiter ist eine mögliche Beteiligung von Morgan Stanley ein weiteres Alarmsignal. Am 18. und 19. Januar planen die Hafenbetriebsräte eine Klausurtagung der ver.di-Fachgruppe Häfen, um weitere Aktionen vorzubereiten. Die Beschäftigten befürchten, daß am Ende der Teilprivatisierung, doch die Zerschlagung der HHLA stehen könnte. Für die Bahn wäre dabei etwa das Geschäftsfeld der Lager- und Kontraktlogistik äußerst interessant, für Morgan Stanley das Immobiliengeschäft. So aber verkäme die HHLA mittelfristig zur reinen Containerbude, womit auch die Arbeitsplätze und schließlich die hohen sozialen Standards in den Hafenbetrieben gefährdet wären.

Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/01-16/041.php