CDU rutscht in der Wählergunst ab / Rechtspopulist sieht neue Chancen gekommen

Nach einer gerade veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap ist die Hamburger CDU in der Gunst ihrer Wähler dramatisch abgestürzt.

Wäre am Sonntag Bürgerschaftswahl, käme die Partei von Bürgermeister Ole von Beust auf noch 35 Prozent, während die SPD mit 36 Prozent erstmals wieder an ihr vorbeiziehen würde. Für die Grünen gäbe es 14, für die FDP sechs und für die Linke aus PDS und WASG vier Prozent. Eine der Ursachen für diesen dramatischen Vertrauensverlust – bei der Bürgerschaftswahl 2004 erzielte die Regierungspartei noch 47,2 Prozent – ist dabei offenbar ihr Umgang mit den Volksentscheiden. So hatte die CDU erst kürzlich ein per Volksabstimmung eingeführtes neues Wahlrecht, mit dem die Bürger mehr Einfluss auf die Auswahl der Kandidaten haben sollten, einfach wieder gekippt. Missachtet wurden Volksentscheide gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser und der staatlichen Berufsschulen. 70 Prozent der Wahlbürger finden das laut Umfrage »nicht in Ordnung«.

Doch nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Michael Greven ist der Erdrutsch auch ein Zeichen für die »Normalisierung im Politikbetrieb«. Nun werde die Koalitionsfrage wieder wichtiger. Selbst CDU-Strategen hatten innerparteilich schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es der Union im traditionell eher sozialdemokratisch geprägten Hamburg sehr schwer fallen werde, das Ergebnis von 2004 noch einmal zu wiederholen.

Damals gelang es dem Bürgermeister, die ehemaligen Schill-Wähler zu holen, nachdem der Rechtspopulist in sehr unappetitlicher Form von Beust als einen »Schwulen« geoutet hatte und daraufhin aus dem Senat herausflog. Ist es deshalb ein Zufall, dass nun die Springerpresse, die in der Hansestadt 80 Prozent des Zeitungsmarktes beherrscht, schon seit Wochen mit dem ehemaligen Justizsenator Roger Kusch, er hat inzwischen eine eigene Partei unter dem Namen »Heimat Hamburg« gegründet, eine neue rechtspopulistische Galionsfigur regelrecht aufbaut?

Gleich dutzendweise veröffentlichten die Springerblätter in den letzten Wochen jedenfalls Stellungnahmen, in denen sich dieser über angeblich »steigende Jugendkriminalität«, das »Drogenelend« oder auch »illegale Ausländerkinder« auslässt. Auch als neuer Koalitionspartner für die CDU hat sich dabei Kusch schon selbst ins Spiel gebracht.

Unterdessen bewertete Linkspartei-Landesgeschäftsführer Martin Wittmaack das eigene Umfrageergebnis zurückhaltend positiv. Die Linke habe eine gute Chance, bei den Bürgerschaftswahlen 2008 ins Parlament einzuziehen, wenn es ihr gelinge, eigene Alternativen noch besser auszuarbeiten. Erneut soll deshalb Anfang November ein stadtpolitischer Kongress stattfinden.

Quelle: Printausgabe Neues Deutschland 01.11.06, Seite 4



Kritiker an geplanter Fehmarnbelt-Brücke bekommen Rückenwind: Kapital setzt auf Fährverbindung. Investoren bieten Milliardenbetrag für Scandlines-Reederei

Eigentlich sollte die Ostsee-Fährreederei Scandlines am Freitag letzter Woche praktisch schon verkauft sein. Doch wie die Financial Times Deutschland am Montag unter Berufung auf »Informationen aus dem Umfeld der Verhandlungen« meldete, konnten sich die Eigentümer – Deutsche Bahn und dänische Regierung – nicht einigen, ob der Zuschlag an den internationalen Finanzinvestor 3i oder ein Konsortium aus Deutscher Seereederei (DSR) und Allianz gehen sollte. Beide Interessenten bieten laut FTD »rund 1,5 Milliarden Euro«, 3i angeblich etwa 50 Millionen mehr als DSR und Allianz.

Zu Beginn der Verhandlungen hatte man mit Erlösen von 600 bis 800 Millionen Euro gerechnet. Scandlines erwirtschaftete 2005 einen operativen Gewinn von 70 Millionen – bei einem Umsatz von 523 Millionen Euro. Sein größtes Geschäft macht das Unternehmen mit dem Fährverkehr zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rødby auf dem dänischen Lolland, auf der sogenannten Vogelflugroute. Die Monopolstellung dieser Verbindung ist allerdings strategisch durch den geplanten Bau der Fehmarnbelt-Brücke gefährdet. Daß die Kaufangebote trotzdem auf solch astronomische Summen geklettert sind, könnte darauf hindeuten, daß die Investoren nicht mehr recht daran glauben, daß es mit der Megabrücke noch etwas wird.

Zwar hatte Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Dietrich Austermann (CDU) kürzlich erst betont, daß Spitzenbeamte der EU eine Teilfinanzierung für das Projekt in Aussicht gestellt hätten. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon während des Landtagswahlkampfes in Mecklenburg-Vorpommern Zweifel an dem rund fünf Milliarden Euro teuren Bauprojekt geäußert. Selbst bei einem hohen Anteil privater Investoren und einer Teilfinanzierung durch die EU müßte nämlich der Bund zur Gewährleistung des Projekts eine Staatsbürgschaft über die Gesamtkosten übernehmen. Kritiker aus dem Bundesfinanzministerium befürchten zudem, daß die Hinterlandanbindung weitere Folgekosten in Milliardenhöhe entstehen läßt. Eine endgültige Entscheidung zum Brückenbau müssen deutsche und dänische Regierung aber schon bis Ende des Jahres treffen, weil sonst Haushaltsmittel aus der Europäischen Union zur Kofinanzierung nicht mehr zur Verfügung stünden.

Umstritten ist das Großprojekt, das allein für seine bislang 35 Machbarkeitsstudien fast 20 Millionen Euro verschlungen hat (und seit 20 Jahren diskutiert wird), aber nicht nur zwischen Berlin und Kiel. Selbst in Schleswig-Holstein wächst die Kritik an der geplanten Schrägseilbrücke, wo nun Linke und Grüne, vor allem aber der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) auf »völlig falsche« Verkehrsprognosen hinweisen. Sorgen macht sich der SSW auch um die infrastrukturschwachen Gebiete im Norden Schleswig-Holsteins, die damit »völlig abgehängt« würden, so Landtagsabgeordneter Lars Harms.

Daß nun ausgerechnet die Partei der dänischen Minderheit so offensiv gegen die Fehmarnbelt-Querung polemisiert, ist für diejenigen überraschend, welche die Positionen der Regierung in Kopenhagen und der dortigen Industrielobbyisten mit denen der dänischen Bevölkerung verwechselt hatten. Die Industrie verspricht sich von der Brücke einen besseren Zugang zu den Märkten in Westeuropa, doch in der Bevölkerung wächst die Skepsis, wie Meinungsumfragen zeigen. Selbst in Kopenhagen, das wie Hamburg, zu den eigentlichen ökonomischen Nutznießern einer solchen Querung gehören würde, werden inzwischen heftig die ökologischen Konsequenzen eines solchen Brückenbaus diskutiert. Hintergrund: Der Fehmarnbelt wird alljährlich von Millionen arktischer Zugvögel gekreuzt. An einer 70 Meter hohen und rund 19 Kilometer langen Brücke könnten, so fürchten Ornithologen, bis zu 100000 Vögel pro Jahr ums Leben kommen. Außerdem weist der deutsche Naturschutzbund NABU darauf hin, daß ein stärkerer Verkehrsstrom über kurz oder lang eine weitere Brücke, nämlich über den Fehmarnsund, der das deutsche Festland mit Fehmarn verbindet, erforderlich machen würde. Diese Brücke müßte quer durch ein Naturschutzgebiet führen.

http://www.jungewelt.de/2006/11-01/039.php



Bremer WASG beschließt Bildung linker Wählervereinigung zur Bürgerschaftswahl im Mai 2007. Antritt auf Liste der Linkspartei abgelehnt

Mit einer klaren Zweidrittelmehrheit hat sich die Mitgliederversammlung der Bremer WASG am Sonntag für die Bildung einer überparteilichen linken Wählergemeinschaft zu den Bürgerschaftswahlen im Mai 2007 ausgesprochen. Die Bundesvorstände von WASG und Linkspartei hatten dagegen mehrfach auf einen gemeinsamen Antritt von WASG und PDS »auf der Liste der Linkspartei« gedrängt. Deren möglicher Einzug in die Bürgerschaft könne die »Fanfare« zur Gründung der neuen Linkspartei sein, heißt es in einem offenen Brief von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi an die »lieben Kolleginnen und Kollegen« der Bremer WASG, auf den der Bundestagsabgeordnete Axel Troost während der Versammlung hingewiesen hatte. Doch auch das half nichts. Die Bremer WASG-Mitglieder werfen ihrem Bundesvorstand vielmehr »autoritäre Umgangsformen im Verkehr mit den Landesverbänden« vor, weil dieser sich satzungswidrig in deren Angelegenheiten einmische.

Die Parteibasis sprach aber auch ihrem eigenen Landesvorstand eine Mißbilligung aus, weil dieser mit knapper Mehrheit dem Druck aus Berlin nachgegeben hatte. Zuletzt hatte die Landesspitze unmittelbar vor der Mitgliederversammlung eine Urabstimmung zu der Frage initiiert, ob nun »die Linke« oder eine Wählergemeinschaft kandidieren solle. Dabei hatte sich die Bremer Basis mehrfach eindeutig für die Wählergemeinschaft ausgesprochen: Man will gemeinsam mit möglichst vielen Linken in Bremen, weit über WASG und Linkspartei hinaus, kandidieren. Dies sei auch eine Möglichkeit, endlich einmal basisdemokratisch sowohl über das Wahlprogramm als auch über die Kandidatenauswahl zu entscheiden. Doch nun, so will es die Satzung, muß das Votum der Mitgliederversammlung noch durch die Urabstimmung bestätigt werden.

Entschieden wird dabei über weitaus mehr als nur über die Art des Antritts zu den Bürgerschaftswahlen. Die rund 70 Stimmberechtigten sprachen sich auf der WASG-Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit für eine klare Opposition gegen neoliberale Politik in Bremen aus. Eben dies sei unter dem Logo der Linkspartei, schon wegen der Regierungsbeteiligung in Berlin, nicht glaubwürdig möglich. Umstritten ist indes, ob auch weitere Linke wie etwa aus der DKP, vor allem aber aus außerparlamentarischen Bewegungen und Betriebsräten, an einem solchen Wahlbündnis beteiligt sein sollten. Da Wahlforscher nur im Zweistädtestaat Bremen/Bremerhaven den Einzug einer linken Fraktion in einen westdeutschen Landtag in absehbarer Zeit überhaupt für möglich halten, ist diese Frage auch für die Spitzen von Linkspartei und WASG von zentraler Bedeutung.

In ihrem Brief an die Bremer WASG drohen Lafontaine und Gysi schon jetzt, den Wahlkampf einer Wählergemeinschaft sowohl politisch als auch finanziell zu boykottieren. Das gehe schon aus »parteirechtlichen Gründen« gar nicht anders. Wenn letzteres zuträfe, hätte Gysi selbst gegen das Parteirecht verstoßen, als er im Jahr 2001 bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen mit öffentlichen Auftritten die Wählervereinigung »Regenbogen« unterstützte, obwohl damals auch die PDS in der Hansestadt antrat.

http://www.jungewelt.de/2006/11-01/047.php



Solidarität mit Protesten im Zentralen Aufnahmelager Blankenburg wächst. Behörden setzen auf Repression

Der Streik der Flüchtlinge im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde in Blankenburg ( ZAAB ) bei Oldenburg geht nun schon in die dritte Woche. Am heutigen Mittwoch setzt sich der Ausstand, der sich am schlechten Lageressen entzündet hatte, sogar mit einer Demonstration quer durch Hannover fort. Zur Protestaktion, die heute um 13 Uhr vor dem Hauptbahnhof beginnt und zu der auch Flüchtlinge aus Bramsche und Braunschweig erwartet werden, haben auch der Flüchtlingsrat und verschiedene Solidaritätsgruppen aus ganz Niedersachsen aufgerufen. Die Streikforderungen nach einer Umwandlung von Sach- in Geldleistungen und der Unterbringung der Flüchtlinge in eigenen Wohnungen richtet sich nun auch direkt gegen die CDU/FDP-Landesregierung. Doch diese setzt auf Repression. Schon seit Tagen ist das Lager in Blankenburg durch Polizeieinheiten regelrecht besetzt. Angeblich sollen so Flüchtlinge vor den Flüchtlingen »geschützt« werden, denn Lagerleiter Christian Lüttgau hatte zuvor behauptet, daß die Streikführer im Lager selbst ein »Klima der Angst« erzeugen würden und der Streik zudem von »Chaoten« ferngesteuert sei. Vermeintliche Rädelsführer wurden deshalb in der vergangenen Woche schon in andere, weit entfernte Lager zwangsverlegt.

Das aber sei völlig unangemessen, betonten Vertreter von Flüchtlings- und Solidaritätsgruppen erst am Freitag letzter Woche, als die Flüchtlinge zum »Tag der offenen Tür« eingeladen hatten, damit sich die Oldenburger ein eigenes Bild vom Lagerleben machen können. Doch Lüttgau hatte die Lagertür einfach absperren lassen, weshalb der »Tag der offenen Tür« vor der Tür direkt am Metallzaun stattfinden mußte. Ronald Sperling vom »Antirassistischen Plenum in Oldenburg« betonte dort, daß die Streikenden »in keiner Weise gegen geltendes Recht« verstoßen haben, weshalb er und der Flüchtlingsrat ein Ende der Repressionen und eine politische Lösung des Konflikts forderten. Die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Vereinigungsfreiheit gelte auch für Flüchtlinge, hieß es.

Währenddessen wächst die Solidaritätsbewegung mit den mutigen Flüchtlingen. Für diesen Freitag hat sich beispielsweise die Dancehall-Reggae-Band »Yalla Yalla Movement« zum Soli-Konzert angemeldet, und auch der Bundestagsabgeordnete und Landeschef der Linkspartei, Diether Dehm, forderte zur Solidarität mit den Flüchtlingen auf, deren Forderungen »vollauf berechtigt« wären.

* Weitere Infos: www.nolager.de

http://www.jungewelt.de/2006/10-25/029.php



WASG in Bremen diskutiert über linkes Bündnis zu Bürgerschaftswahlen 2007. Bundesvorstand interveniert. Ein Gespräch mit Heino Berg

* Heino Berg ist Mitglied im Bremer Länderrat der WASG und des Koordinierungskreises des »Netzwerks Linke Opposition«

Fast 40 Mitglieder der Bremer WASG haben sich für die Bildung einer überparteilichen linken Wählergemeinschaft zu den Bürgerschaftswahlen im Mai 2007 ausgesprochen. Warum?

Dieser Vorschlag, über den die Mitgliederversammlung am 29. Oktober entscheiden wird, liegt bereits seit dem Frühjahr vor, wurde aber von der Linkspartei.PDS und dann auch vom neuen WASG-Landesvorstand kassiert. Eine linke Wählergemeinschaft als Personenbündnis könnte einen unpolitischen Parteienstreit über die Listenführung vermeiden und die inhaltlichen Alternativen zur Senatskoalition ins Zentrum rücken.

Die Bundesvorstände beider Parteien favorisieren eine Linkspartei.PDS-Liste.

Das würde vorhandenes Widerstands­potential gegen die Politik der großen Koalition nicht ausschöpfen, denn die PDS ist von ihrer Vergangenheit belastet und hat durch ihre Regierungsbeteiligungen bei vielen Bürgern an Glaubwürdigkeit verloren. Wenn wir unter dem Dach der Linkspartei.PDS gegen Stellenstreichungen, Privatisierungen oder Ein-Euro-Jobs antreten, würden uns die Betroffenen sofort entgegengehalten, daß wir in Berlin solche Maßnahmen mittragen.

Mit welchem Profil wollen Sie antreten?

Auch in Bremen werden nur die Armen, die Erwerbslosen und die abhängig Beschäftigten zur Kasse gebeten. Ohne eine klare linke Opposi­tion bestünde die Gefahr, daß die vom Sozialraub betroffenen Menschen zu Hause bleiben oder vielleicht sogar die Rechten wählen. Wir können uns nicht nur auf die Umverteilung knapper Haushaltsmittel beschränken, sondern müssen grundsätzliche Alternativen etwa in der Steuer- und Lohnpolitik oder durch Arbeitszeitverkürzungen betonen. Sonst können wir niemanden überzeugen, selbst aktiv zu werden.

Auch der Bremer Axel Troost, Bundestagsabgeordnete und WASG-Mitglied hat sich für eine PDS-Kandidatur ausgesprochen.

Ja, obwohl er bis vor kurzem immer eine Kandidatur der WASG angekündigt hatte. Er will damit angeblich den Parteibildungsprozeß für eine Neue Linke erleichtern. Aber eine Vereinigte Linke kann nicht durch eine Unterordnung der WASG unter die Linkspartei.PDS und ihre Regierungspolitik entstehen. Durch diese Art von »Parteibildung« gewinnen wir nicht die vielen Menschen, die von der SPD enttäuscht sind, sondern verlieren eigene Mitglieder. Jeder in der WASG spürt, daß es so nicht weitergehen darf. Ich bin mir sicher, daß unser Antrag für eine Wählervereinigung auf der Mitgliederversammlung eine Mehrheit findet.

Der Bremer Landesvorstand hatte sich schon einstimmig für eine solche Wählergemeinschaft entschieden. Vier von sieben Vorstandsmitgliedern sind dann unter dem Druck des Bundesvorstandes umgekippt. Es ist skandalös, daß sich der Bundesvorstand schon wieder in die Angelegenheiten der Landesverbände einzumischen versucht.

Wenn Ihr Antrag angenommen wird, besteht dann nicht trotzdem die Gefahr einer Konkurrenzkandidatur durch die Linkspartei?

Wenn die Idee einer überparteilichen Wählergemeinschaft greift und sich daran auch Betriebsräte, soziale Initiativen und andere Linke, zum Beispiel aus der DKP, beteiligen, halte ich das für weitgehend ausgeschlossen. In Bremerhaven haben sich an der Ausarbeitung der inhaltlichen Grundlagen auch die PDS-Vertreter beteiligt. Das Störfeuer kommt fast ausschließlich von oben.

http://www.jungewelt.de/2006/10-24/004.php



Geschaßter Justizsenator wird von Springer-Presse in Hamburg als Rechtspopulist aufgebaut

Zieht bei den nächsten Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 auch in Hamburg eine neue rechtspopulistische Partei in die Bürgerschaft ein? Unwahrscheinlich ist dies nicht, denn nach dem Rauswurf von Ronald Barnabas Schill aus dem Senat vor rund zwei Jahren hat nun die Springer-Presse eine neue rechtspopulistische Galionsfigur für die Hansestadt entdeckt. Es ist Roger Kusch, der ehemalige Justizsenator, der Anfang des Jahres aus dem Senat flog, weil er vertrauliche Akten weitergegeben hatte. Dessen neue Partei »Heimat Hamburg« erfreut sich jedenfalls auf ihren Veranstaltungen, wie etwa gestern abend im bürgerlichen Nienstedten, erheblichen Zuspruchs und gerammelt voller Säle. Gleich dutzendweise hatten das Hamburger Abendblatt, die Welt, aber auch die Bild-Zeitung – alles Blätter aus dem Springer-Verlag – zuvor Stellungnahmen der neuen Kusch-Partei abgedruckt.

Von einer Gefahr für das christliche Abendland durch die »Herausforderung Islam« sprach Kusch etwa gestern abend. Doch auch die angeblich »steigende Jugendkriminalität« und das wachsende »Drogenelend« sind Themen für den Ex-Senator, der Hamburgs Sicherheit von »Hunderten jungen Intensivtäter« bedroht sieht. Noch mehr Polizei, noch mehr Gefängnisse, noch mehr Abschiebungen, so lauten seine einfachen Antworten. Demgegenüber sei aber die Union unter Angela Merkel und Ole von Beust nun »an den linken Rand gerutscht«, wie sich etwa auch bei der Gesundheitsreform zeige, die für Kusch »Sozialismus pur« ist.

Doch bei all der Demagogie fehlt es dem noblem Kusch bislang noch an jener Ausstrahlungskraft, die Schill hatte, als er 2001 mit sozialer Demagogie und Ausländerfeindlichkeit auf Anhieb nicht nur konservative, sondern auch ehemalige sozialdemokratische Wähler gewinnen und ein Wahlergebnis von fast 20 Prozent einfahren konnte.

Ganz offenkundig arbeitet die Springer-Presse, die 80 Prozent des Zeitungsmarkts in Hamburg beherrscht, gezielt daran, Kusch aufzubauen. Bei Meinungsumfragen liegt die CDU nun schon seit Monaten deutlich unterhalb von 50 Prozent in der Hansestadt. Eine absolute Mehrheit konnte sie dort nur ein einziges Mal holen, als nämlich nach dem Rauswurf von Schill dessen Wähler direkt zur Union wechselten. Ob sich das aber im eher sozialdemokratisch geprägten Hamburg wiederholen läßt, halten selbst Unionsstrategen für unwahrscheinlich. Deshalb suchen sie schon jetzt nach denkbaren Koalitionspartnern. Als Mehrheitsbeschaffer dafür wird nun Kusch ins Spiel gebracht.

http://www.jungewelt.de/2006/10-24/029.php



Protest gegen Unterbringung in Blankenburg

Der Streik der rund 250 Bewohner in dem sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenem Flüchtlingslager Blankenburg dauert nun schon 18 Tage. Ausgelöst durch schlechtes Essen werden seitdem die Kantine, aber auch die lagerinternen Ein-Euro-Jobs boykottiert.

Die Bewohner wollen mehr Geld, damit sich diese selbst verpflegen können. Angemahnt werden auch Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung sowie eine Unterbringung aller Flüchtlinge in gemeindenahen Wohnungen, was auf die Auflösung des Lagers zielt.

Dem aber steht Lagerchef Christian Lüttgau kompromisslos entgegen. Lüttgau hat in diesen Tagen gleich mehrere der vermeintlichen Streikführer in weit entfernte Flüchtlingslager strafverlegt. Doch damit konnte der Streik bisher nicht gebrochen werden, wie sich auch an den zahlreichen Demonstrationen quer durch Oldenburg zeigt. Gestern luden die Flüchtlinge die Bevölkerung zu einem »Tag der offenen Tür« – doch informiert werden musste dann doch draußen vor verschlossenen Toren.

Seit Tagen besetzen ganze Polizeieinheiten das Lager, angeblich um Flüchtlinge vor Flüchtlingen »zu schützen«. Eine bedrohliche Kulisse, die auf die schwarzafrikanischen Flüchtlinge besondere Wirkung hat. Denn diese werden schon seit Tagen für Vorführungen bei den Botschaften ihres tatsächlichen oder mutmaßlichen Heimatlandes gezielt herausgesucht.

Eingeschüchtert werden aber auch die anderen Flüchtlinge, denen Lüttgau das monatliche Taschengeld von rund 38 Euro teilweise entzog. Dies sei völlig unangemessen, sagten Vertreter von Flüchtlings- und Solidaritätsgruppen aus ganz Niedersachsen. Die Streikenden hätten »in keiner Weise gegen geltendes Recht« verstoßen, betonte Ronald Sperling vom »Antirassistischen Plenum in Oldenburg«, das auch Solidaritätsaktionen organisierte. Die »Meinungs- und Vereinigungsfreiheit« gelte auch für Flüchtlinge, unterstrich Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat.

Die Streikforderungen entsprechen ohnehin dem, was Menschenrechtsorganisationen schon seit Jahren fordern. So sei etwa die Umwandlung von Sach- in Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur möglich, sondern in etlichen Bundesländern auch schon Praxis. Unterstützung kommt dafür von Diether Dehm, Landeschef der Linkspartei, der auch will, dass die Flüchtlinge künftig eine Arbeitserlaubnis erhalten, damit sie ihren Lebensunterhalt in »regulären Arbeitsplätzen« selbst verdienen können.

Quelle: Printausgabe Neues Deutschland, 21. Oktober 2006, Seite 5



Holger

Initiator der Hamburger Bettlermärsche starb mit 56 Jahren. Er gründete auch ein Café für Wohnungslose

Sein Leben lang kämpfte Holger Hanisch für Gerechtigkeit. Ohne ihn würde es die Obdachloseneinrichtung »CaFée mit Herz« mitten auf St. Pauli nicht geben. Dort war er Gründer, Motor, Koordinator, aber auch Spendensammler und Lobbyist in Personalunion. Wie das »CaFée mit Herz« jetzt mitteilte, starb Hanisch Anfang der Woche im Alter von 56 Jahren an Leukämie. Heute findet auf St. Pauli die Trauerfeier statt.

Dort auf dem Kiez kannte jeder diesen »Engel der Obdachlosen«, der Abend für Abend mit der Spendendose unter dem Arm durch die Bars und Kneipen tingelte, um Geld für den Fortbestand seiner Einrichtung zu sammeln. Nachdem ein Obdachloser 1998 erfroren war, hatte er diese auf dem Gelände des ehemaligen Hafenkrankenhauses gegründet. Seitdem werden dort täglich 100 Menschen mit Essen, Trinken und Kleidung versorgt.

Hanisch verband sein karitatives Handeln stets mit politischem Engagement. Scharf kritisierte er die zunehmende Ausgrenzung der Armen schon unter »Rot-Grün«. Als Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den Rechtspopulisten Ronald Barnabas Schill in den Senat holte und dieser gegen Obdachlose hetzte, fand er in Hanisch einen entschiedenen Gegner. »Schill wollte eine sterile Stadt. Öffentliche Straßen sollten verpachtet werden, damit private Sicherheitsdienste die Bettler vertreiben können«, resümierte er später. Mit dem Megaphon in der Hand organisierte Hanisch die großen Bettlermärsche.

Wie bitter Armut ist, mußte Hanisch schon als Zweijähriger erfahren, als ihn seine Mutter in ein Heim abschob. Sein Stiefvater, der weggeworfenes Obst und Gemüse auf Wochenmärkten sammelte, holte ihn später zurück. Mit 17 wurde er Telegrammbote bei Philips, wo er 25 Jahre arbeitete und sich zum Auftragssachbearbeiter qualifizierte. Hier war er über viele Jahre Vertrauensmann und später Betriebsrat. Um noch mehr zu bewegen, schloß sich Hanisch in den 70er Jahren der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) an, wo ihn die Genossen als den besten Verkäufer der Parteizeitung Unsere Zeit schätzen lernten.

Die Trauerfeier findet am heutigen Freitag um 17 Uhr in der St. Pauli Kirche am Pinnasberg 80 statt. Anschließend gibt es einen Untrunk in der Gaststätte »Silbersack« (Silbersackstraße, St. Pauli). Statt Blumen wird um Spenden für die Obdachloseneinrichtung gebeten. CaFée mit Herz, Haspa-Konto 1206134304, BLZ 20050550.

http://www.jungewelt.de/2006/10-20/033.php



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Bremen: Chance, schon vor der nächsten Abstimmung zur Bürgerschaft das Wahlrecht zu demokratisieren

Zum ersten Mal überspringt ein Volksbegehren im Bundesland Bremen die Hürde, von zehn Prozent der Wahlberechtigten per Unterschrift unterstützt zu werden. Über 71000 Bremer und Bremerhavener hätten für das Volksbegehren »Mehr Demokratie beim Wählen« unterzeichnet, wie Paul Tiefenbach, Vertrauensperson des Volksbegehrens, bekanntgab. Notwendig wären rund 50000 Unterschriften gewesen. Bisher waren alle Volksbegehren in Bremen an dieser hohen Hürde gescheitert, weshalb Tiefenbach nun auch von einem »phantastischen Ergebnis« sprach.

Nun muß der Gesetzentwurf der Volksinitiative der Bürgerschaft zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Das Papier sieht mehr Mitbestimmungsrechte der Bürger bei der Auswahl der Kandidaten zur Bürgerschaft, aber auch die Streichung der Fünf-Prozent-Klausel für die Stadtversammlung in Bremerhaven vor.

Sollte in der Bürgerschaft die Koalition aus SPD und CDU ihre Zustimmung verweigern, kommt es zu einem Volksentscheid. Die Fristen im weiteren Verfahren sind dabei so geregelt, daß der Volksentscheid gleichzeitig mit der nächsten Bürgerschaftswahl im Mai 2007 stattfinden könnte.

Doch angesichts der großen Zustimmung zu dem alternativen Gesetzentwurf rechnet Tiefenbach nun auch mit einer Mehrheit im Parlament, so daß gegebenenfalls schon bei den nächsten Wahlen nach dem neuen Recht verfahren werden könne. Tiefenbach betonte zudem, daß dieser Erfolg ohne ein breites Bündnis aus Organisationen, Vereinen, Gewerkschaften und Oppositionsparteien nicht möglich gewesen wäre.

http://www.jungewelt.de/2006/10-19/046.php



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Niedersächsische Behörden versuchen, durch Psychokrieg die streikenden Asylbewerber im Lager Blankenburg zu isolieren

Die Situation im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde im niedersächsischen Blankenburg spitzt sich zu. Wie berichtet, befinden sich in diesem sieben Kilometer von Oldenburg entfernten Lager schon seit dem 4.Oktober rund 250 meist schwarzafrikanische Flüchtlinge in einem unbefristeten Streik. Sie boykottieren die Kantine und die lagerinternen Ein-Euro-Jobs, fordern Geld zum eigenen Lebensmitteleinkauf statt Lagerfraß und eine bessere ärztliche Versorgung. Doch nun wird eine Aktion vom vergangenen Wochenende zum Vorwand genommen, um die Streikenden zu kriminalisieren.

Rund 20 Unterstützer der Flüchtlinge hatten ein Transparent vor dem Privathaus von Lagerleiter Christian Lüttgau aufgehängt sowie um das Haus einen symbolischen Zaun errichtet. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach daraufhin von »strafbaren Handlungen«, die mit berechtigtem Protest nichts zu tun hätten. Inzwischen wurden auch die Polizeieinheiten im Lager verstärkt, die dort nun jeden weiteren Protest bereits im Keim unterdrücken sollen. Zuvor hatte der Innenminister geleugnet, daß die Flüchtlinge nur vitaminarmes und fades Essen bekämen. Das Essen sei immerhin frisch zubereitet, hatte Schünemann betont. Demgegenüber forderte der niedersächsische Flüchtlingsrat die sofortige Schließung des Lagers sowie dezentrale Unterkünfte für alle Bewohner in verschiedenen Kommunen des Landes. Die Unterbringung in Lagern sei teuer, menschenunwürdig und auch verfassungsrechtlich bedenklich, heißt es in einer Stellungnahme.

Kritik kommt auch vom bundesweiten Netzwerk »No Lager«. Schünemann wolle mit seiner Diffamierung des Protests nur davon ablenken, daß die Forderungen der Flüchtlinge mit denen von Menschenrechtsorganisationen identisch sind. Doch in großen Zeitungen, wie etwa der Welt, der Neuen Presse, der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ), im Weserkurier und der Nordwestzeitung wird nun einseitig Schünemanns Darstellung wiedergegeben. Der Boykott sei ferngesteuert, wobei antirassistische Gruppen bei den Bewohnern auch ein »Klima der Angst« erzeugten, heißt es in einigen der Medien. Von »wenigen Aufwieglern« im Lager selbst sprechen hingegen andere, und die HAZ verglich nun das Lager sogar mit einem »Kurpark«, das – trotz Metallgitterzaun – vor allem durch einen großen Teich und »schönen Laubwald« gekennzeichnet sei. Doch dieser Wald sei nun offenbar in Gefahr, weil es hier schon »nächste Woche brennt«, wie Lagerleiter Christian Lüttgau zitiert wird. Auch von zunehmenden »Schlägereien« ist bei ihm die Rede. Und Oldenburgs Polizeichef Johann Kühme spricht unterdessen von einer »offenen Drogenszene«. So solle der Protest isoliert werden, betonten jedoch Vertreter des antirassistischen Plenums in Oldenburg am Mittwoch gegenüber jW.

Doch auch Bedrohungen kommen hinzu. Vor allem schwarzafrikanische Flüchtlinge werden seit einigen Tagen gezielt für Vorführungen bei den Botschaften ihres tatsächlichen oder mutmaßlichen Heimatlandes ausgesucht, um sie so gegebenenfalls schneller abzuschieben. Auf den Streikversammlungen betonten aber auch sie, daß der Ausstand fortgesetzt werde. Schon am heutigen Donnerstag soll es in Oldenburg eine weitere Protestkundgebung geben, und für die nächste Woche ist eine Aktion in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover geplant. Dazu werden dann auch Flüchtlinge aus Bramsche und Braunschweig erwartet.

http://www.jungewelt.de/2006/10-19/045.php



Hamburg: Tarifabschluß für Krankenhausmitarbeiter erzielt. Erhebliche Zugeständnisse an Klinikbetreiber

Nach etlichen Warnstreiks und rund zehnmonatigen Verhandlungen haben sich in Hamburg am späten Montag abend der Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg (KAH) und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf einen Tarifkompromiß für die 22000 Krankenhausmitarbeiter verständigt. Demnach behalten die Beschäftigten im Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) und im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) nun zwar die 38,5-Stunden-Woche, aber auf Einmalzahlungen von jeweils 600 Euro für die Jahre 2005 und 2006, wie sie nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) eigentlich vorgesehen sind, sollen die Beschäftigten verzichten. Zuvor hatte ver.di erklärt, notfalls auch in Erzwingungsstreiks zu treten, sollte noch immer kein Abschluß erzielbar sein.

Doch tatsächlich hat ver.di nicht nur Zugeständnisse bei den Einmalzahlungen, sondern auch beim Leistungsentgelt gemacht, wo Erhöhungen erst 2009 in Kraft treten sollen. Auch die lange geforderte Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2011 ist nun vom Tisch. Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld, das die Arbeitgeber ebenfalls streichen wollten, konnte dagegen offenbar gerettet werden. »Bis an die Schmerzgrenze« sei man gegangen, bewertete KAH-Verhandlungsführer Dieter Brenneis das Ergebnis, das er dennoch als Erfolg für die Klinikbetreiber bezeichnete. Am Dienstag zeigte sich unterdessen auch Ver.di-Landesbezirkschef Wolfgang Rose zufrieden. Dauerhafte Lohnkürzungen und eine Entkopplung vom TVöD seien vermieden worden, begründete er sein Urteil.

Nun läuft bis zum 6. November noch eine Erklärungsfrist, innerhalb derer die Ver.di-Tarifkommission dem Kompromiß zustimmen muß. Daß dies geschieht, daran zweifelt trotz der schmerzhaften Zugeständnisse eigentlich niemand, denn im Vergleich zum Oktober und November 2005, als die Warnstreiks begannen, hat die Mobilisierungskraft der Gewerkschaft deutlich abgenommen. Ursächlich dafür ist aber nicht nur der Separatabschluß des KAH mit dem Marburger Bund ( MB ), der für das ärztliche Personal deutlich mehr herausholen konnte, sondern auch die Taktik von Rose. Er hatte die Warnstreiks auf ihrem Höhepunkt im Februar, als die Arbeitgeber vage Versprechungen in der Beschäftigungssicherung machten, einfach wieder abgeblasen.

http://www.jungewelt.de/2006/10-18/019.php



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Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Antifaschisten wegen verfremdeter Hakenkreuze auf Plakaten ein

Dürfen auf Antifaplakaten Hakenkreuze in die Tonne getreten werden? Wie berichtet, hatte Ende September das Stuttgarter Landgericht den Geschäftsführer eines Versandhandels zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt, weil dieser Plakate, Buttons und T-Shirts, die zerschlagene, durchgestrichene oder im Mülleimer landende Hakenkreuze zeigten, vertrieb. Rund 17000 Artikel wurden beschlagnahmt, weil sie angeblich Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen zeigen würden. Am Dienstag wurde indes bekannt, daß die Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Stade in einem ähnlichen Fall ihre Ermittlungen eingestellt hat und das eingezogene Material betroffenen Antifagruppen bereits wieder zurückgegeben hat. Dies bestätigte Staatsanwalt Johannes Kiers gegenüber jW.

In Stade hatten Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und der Grünen Jugend am 9. September mit Plakaten, auf denen in die Mülltonne getretene Hakenkreuze zu sehen war, gegen einen Infostand der NPD zur Kommunalwahl protestiert. Die Polizei beschlagnahmte das Material. Doch anders als ihre Stuttgarter Kollegen halten die Staatsanwälte in Stade den Strafrechtsparagraphen 86 a, der die »Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen« untersagt, ausdrücklich für nicht tangiert. Die Abbildungen würden eine »Gegnerschaft zu den Zielen der verfassungsfeindlichen Organisationen« klar zum Ausdruck bringen, betonte die Staatsanwaltschaft in einer schriftlichen Stellungnahme. In Berlin und Leipzig hatten Staatsanwälte bereits zuvor auf eine Verfolgung der Träger solcher Symbole verzichtet, dies aber nicht explizit begründet. VVN und die Landtagsfraktion der Grünen in Hannover begrüßten die Entscheidung der Stader Staatsanwälte.

http://www.jungewelt.de/2006/10-18/022.php



Aufstand im niedersächsischen Flüchtlingslager Blankenburg: Rund 250 Bewohner wehren sich gegen Erniedrigung und mieses Essen.

In Niedersachsens Provinz werden Flüchtlinge schikaniert. Seit knapp zwei Wochen befinden sich die rund 250 ständigen Bewohner des sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen Flüchtlingslagers Blankenburg in einem unbefristeten Streik. Es sind Menschen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, die das Kantinenessen verweigern und lagerinterne Ein-Euro-Jobs boykottieren. Statt des schlechten Essens fordern sie eigenes Geld, eine bessere Gesundheitsversorgung und die Unterbringung in normalen Wohnungen. Doch auch die Forderung nach dem Ende aller Abschiebungen und nach einem gesichertes Leben in Deutschland steht nun mit im Vordergrund der zahlreichen Demonstrationen, die Oldenburg zur Zeit erlebt.

Entzündet hatte sich der Streik aber am Essen, das so mies ist, daß bei etlichen Flüchtlingen Mangelerscheinungen und Krankheiten auftraten. Am 4. Oktober war das Maß voll: Der suppenähnliche Fraß landete nicht im Magen, sondern auf dem Fußboden. 200 Menschen zogen anschließend durch das Lager und verlangten, mit dessen Leiter Christian Lüttgau zu diskutieren. Doch der holte die Polizei, die mit 20 Einsatzwagen und Hunden anrückte. Mit Pfefferspray und mehreren Festnahmen wurde der Protest aufgelöst.

Nun aber ging die Revolte erst richtig los. Schon am nächsten Tag demonstrierten die Lagerinsassen erneut und erweiterten ihre Forderungen. Sie verlangten zusätzlich eine bessere Gesundheitsversorgung und die Ablösung der Lagerärztin, die alle Krankheiten angeblich nur mit ein und demselben Schmerzmittel behandelt.

Tägliche Schikanen

Die Lebensbedingungen in dem ehemaligen Dominikanerkloster sind so schlecht, daß Flüchtlingsorganisationen seit Jahren dessen Schließung fordern. Hinzu kommen die täglichen Schikanen des Lagerpersonals, das öffentlich durch rassistische Sprüche auffiel. Etliche Flüchtlinge zogen die Flucht vor – was Lüttgau aber wohl ganz recht ist, weil auf diese Weise die Unterhaltskosten des Lagers gesenkt werden. Flüchtige aber werden über kurz oder lang geschnappt und dann noch schneller abgeschoben.

Wer bleibt, erhält monatlich 38 Euro Taschengeld. Doch nur dann, wenn er sich an der Beschaffung der für seine Abschiebung nötigen Papiere beteiligt. Solche »guten« Flüchtlinge können sich bei den lagerinternen Ein-Euro-Jobs durch Putz- und Reinigungsarbeiten etwas hinzuverdienen. Doch seit dem 4. Oktober muß das Lagerpersonal selbst an die Arbeit – bei den Flüchtlingen läuft nichts mehr.

Diese Entschlossenheit beeindruckt immer mehr Oldenburger, die mit Lebensmittel- oder auch Geldspenden die Flüchtlinge unterstützen. Eine Erwerbslosengruppe sammelte zum Beispiel 300 Euro. Händler des Wochenmarktes lieferten Gemüse. Kirchliche Gruppen sammelten Geld für Getränke. Auch einzelne Bürger gehen vermehrt auf die Flüchtlinge zu. Dazu trägt auch die Kommunalpresse bei, die das Thema nun aufgegriffen hat. Nur die Nordwest-Zeitung verläßt inzwischen jedes Gebot der Fairneß. Sie präsentiert nun aufgetischte Festessen der Lagerleitung als Normalität. Doch das überzeugt nur wenige, weshalb selbst der Stadtrat über die Flüchtlingsproblematik sprechen will.

Koordiniert wird alles durch das Antirassistische Plenum in Oldenburg, das schon vor Beginn des Streiks mit »Lagertagen« die Flüchtlinge informierte und zu den Flüchtlingsdemonstrationen mit aufrief.

Streikbruch wird belohnt

Die Lagerleitung reagiert scharf auf die Proteste. Die Flüchtlinge müssen nun regelmäßig ihre Lagerpässe vorlegen, in denen sie für jeden Kantinenbesuch einen Stempel erhalten. Boykotteure lassen sich so leichter identifizieren. Wer überhaupt keine Stempel gesammelt hat, riskiert seine Verlegung in andere Lager. Auch Polizeimitarbeiter traten an einzelne Flüchtlinge heran und versprachen Hilfe bei der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung – allerdings nur, wenn sie die Führer des Streiks verraten. Anderen entzog Lüttgau die Besuchserlaubnis oder das Taschengeld. Wer den Streik verrät, hat Vorteile: Er bekommt Urlaub und kann Freunde und Verwandte bis zu vier Wochen lang in ganz Deutschland besuchen.

Diese Strategie von Zuckerbrot und Peitsche will Lüttgau offenbar fortsetzen, denn er handelt im Auftrag von Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der Flüchtlinge zur »freiwilligen Ausreise« bewegen möchte. Freiwillig reist aber nur aus, wer diese Lagermentalität nicht mehr aushalten kann. Ungenießbares Kantinenessen, überbelegte Wohnräume und systematische Beleidigungen durch das Lagerpersonal sind deshalb in Niedersachsen politisches Programm. Nur Solidarität kann den mutigen Flüchtlingen jetzt noch helfen.

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Lagerleben: Integration soll verhindert werden
und Eine Art mentaler Folter

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[Das nachfolgende Interview hat Kathrin Hedtke für eine gemeinsame Schwerpunktseite geführt.]

Druck auf Flüchtlinge, Deutschland zu verlassen. Ein Gespräch mit Kamil N

Kamil N. lebt als Flüchtling im Lager Blankenburg, in der Nähe von Oldenburg

Seit zwei Wochen machen die Flüchtlinge im Abschiebelager Blankenburg in Niedersachsen mit Demonstrationen auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam. Wogegen richtet sich Ihr Protest?

Wir wehren uns gegen die schlechten Bedingungen im Flüchtlingslager. Aus diesem Grund boykottieren wir das Essen in der Kantine und die Ein-Euro-Jobs. Es beteiligen sich rund 90 Prozent der Flüchtlinge an dem Protest, das sind etwa 120 der hier lebenden Personen. Wir verlassen unser Lager und demonstrieren in der Öffentlichkeit. Dabei haben wir dem Bürgermeister, den großen Parteien und einer Kirchengemeinde einen offiziellen Besuch abgestattet.

Was können Sie über die Lebensbedingungen im Flüchtlingslager berichten?

Das Problem in Blankenburg ist, daß dieses Lager ursprünglich eingerichtet wurde, um Flüchtlinge für eine kurze Zeitspanne unterzubringen. Vor zwei Jahren wurde es in ein Dauerlager umgewandelt, doch die Bedingungen sind die gleichen geblieben. Das Essen ist miserabel. Es gibt jeden Tag nur ein einziges Gericht zur Auswahl und seit Jahren alle zehn Tage den gleichen Essensplan. Das ist auf Dauer kaum auszuhalten. Außerdem ist die Qualität der Nahrungsmittel schlecht und das Essen hat zu wenig Vitamine. Ein weiteres Problem ist die medizinische Versorgung. Es gibt nur einen Allgemeinarzt vor Ort. Bei allen möglichen Beschwerden und Krankheiten verabreicht er immer die gleiche Sorte Schmerztabletten. Wir werden so gut wie nie an Spezialärzte außerhalb des Lagers überwiesen. Außerdem kritisieren wir den Platzmangel. Es müssen zwischen vier und sechs Personen in einem kleinen Raum zusammenleben. Wir haben keinerlei Privatsphäre.

Teilen Sie die Einschätzung, daß die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge mit Absicht so schlecht sind?

Es ist ganz eindeutig, daß wir vertrieben werden sollen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder die Lagerleitung und Behörden gebeten, uns zu helfen, und sogar konkrete Verbesserungsvorschläge vorgebracht. Doch die Antwort war immer die gleiche: »Wir sind hier kein Hotel. Als Flüchtlinge solltet ihr die Situation akzeptieren. Schließlich geht es euch hier besser als in eurer Heimat. Wenn es euch nicht gefällt, geht doch zurück in euer Land.« Das zeigt, daß sie unsere Probleme gar nicht lösen wollen. Es ist ihre Politik, auf uns Druck auszuüben, damit wir Deutschland schnell wieder verlassen. Ich empfinde das als eine Art mentale Folter.

Welche Reaktionen gab es bislang von offizieller Seite auf Ihren Protest?

Es gab ein einziges offizielles Treffen, das ohne Ergebnis blieb. Der Leiter des Flüchtlingslagers erklärte uns, daß die Lebensbedingungen hier in Einklang mit dem Gesetz stünden und es deshalb keiner Veränderungen bedürfe. Jeden Tag wird hier ein Polizeiaufgebot aufgefahren. Meiner Meinung nach ist es Teil der Strategie, die Leute einzuschüchtern, damit sie sich nicht länger an dem öffentlichen Protest beteiligen. Es wird auf einzelne Personen Druck ausgeübt, deren Situation besonders schlecht ist, weil sie beispielsweise keine Aufenthaltserlaubnis haben. Ihnen wird gedroht, sie in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Dieser Druck steigt mit jedem Tag.

Gibt es Solidarität der Anwohner?

Ohne Hilfe von außen ginge es gar nicht. Wir boykottieren das Essen der Kantine, müssen aber trotzdem die Menschen hier im Lager versorgen. Glücklicherweise können wir unsere Aktionen bislang durchhalten, da wir Lebensmittel und Unterstützung von außen erhalten.

Gibt es Kontakte zu Flüchtlingen in anderen Lagern?

Letzte Woche kamen Leute aus dem Flüchtlingslager Bramsche und haben sich an unserem Protest beteiligt. Wir versuchen über das Internet, über Zeitungen und Radio auf unsere Aktionen aufmerksam zu machen und die Flüchtlinge in anderen Camps zu informieren. Wir hoffen, daß sich noch mehr zu uns gesellen werden.

http://www.jungewelt.de/2006/10-16/053.php

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Lagerleben: Integration soll verhindert werden
und Zuckerbrot und Peitsche

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Der Streik in Blankenburg setzt an konkreten Forderungen an, die sich letztlich auf das Sachleistungsprinzip des sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen. Gefordert werden Geld- statt Sachleistungen. Das ist in einigen Bundesländern, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern, wo auch schon die Lagerkantinen abgeschafft wurden, bereits üblich. Auch in Berlin, Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, NRW und selbst in Hamburg wird inzwischen überwiegend Bargeld ausgezahlt. In Niedersachsen wird hingegen eine Politik betrieben, nach der Flüchtlinge möglichst nur noch in den Lagern leben sollen.

Diese Lager haben lediglich die Aufgabe, den Druck auf die Menschen zu erhöhen, damit diese wieder »freiwillig« ausreisen. Das niedersächsische Innenministerium mußte kürzlich zugeben, daß die Kosten bei dezentraler Unterbringung pro Flüchtling 4270 Euro jährlich betragen. Die Lagerunterbringung verschlingt hingegen 9662 Euro. Schünemann rechtfertigte dies mit der größeren Effizienz bei »Rückführungen«.

Die Lagerpolitik verfolgt dabei nur ein Ziel: Die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft und damit eine mögliche Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus’ soll unter allen Umständen verhindert werden. Nur erfolgreiche Rückführungen stehen im Zentrum der niedersächsischen Flüchtlingspolitik. In den Lagern gibt es deshalb nur für solche Flüchtlinge Vergünstigungen, die in ihre »freiwillige Rückkehr« einwilligen.

Kein Streik ohne Streikkasse! Erwünscht sind in erster Linie Geldspenden: Mit dem Geld werden die Grundnahrungsmittel gekauft, die jeden Tag zum Lager gefahren und dort von den Flüchtlingen selbst verteilt werden. Das Geld sollte auf folgendes Konto überwiesen werden: Arbeitskreis Dritte Welt e.V., Konto-Nr. 015 131 337, BLZ 280 501 00, LZO, Verwendungszweck: Aktionstage. Aber auch Lebensmittelspenden sind willkommen: Sie können im Oldenburger Kulturzentrum Alhambra abgegeben werden, das sich in der Hermannstr. 83 in 26135 Oldenburg befindet.

Nähere Infos unter: www.papiere-fuer-alle.org/blankenburg

http://www.jungewelt.de/2006/10-16/052.php

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Zukerbrot und Peitsche
und Eine Art mentaler Folter

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Verlegerin des Gefangenen Info in Hamburg hat Klage gegen Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz durchgesetzt. Ein Gespräch mit Christiane Schneider

Die Verlegerin Christiane Schneider war bis Februar 2006 auch Landessprecherin der Linkspartei.PDS in Hamburg

Sie konnten vor dem Verwaltungsgericht gerade eine Unterlassungsklage gegen den Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Heino Vahldieck, (CDU) durchsetzen. Worum ging es?

Vahldieck hat am 23. Oktober 2005 in der ZDF-Sendung Mona Lisa behauptet, daß die Zeitung Gefangenen Info, die ich verlege und für die ich auch redaktionell Verantwortung trage, »jegliche Art von politisch motivierter Aktion, auch von gewalttätigen terroristischen Aktivitäten« rechtfertige und ich mich mit den »Tätern identifiziere«. Das haben Millionen Zuschauer gesehen. Weitere Verleumdungen folgten dann im Hamburger Abendblatt sowie in einer Sendung des NDR, wo Vahldieck seine eigenen Behauptungen über meine verlegerische Tätigkeit als Indiz für die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der Hamburger Linkspartei.PDS heranzog.

Produziert der Verfassungsschutz nicht fast täglich solche Lügen? Warum haben Sie das Risiko einer Klage auf sich genommen?

Ich bin seit knapp 18 Jahren für das Gefangenen Info zuständig. Dabei stand ich viele Jahre im Fadenkreuz strafrechtlicher Ermittlungen. Fast dreißig Verfahren sind gegen mich geführt worden. Die Vorwürfe haben sich jedoch immer wieder als haltlos erwiesen. Vahldieck hätte dies wissen müssen. Schließlich wird das Gefangenen Info im Hamburger Verfassungsschutzbericht nicht einmal erwähnt. Dann kam hinzu, daß das Hamburger Abendblatt mit der Schlagzeile »PDS-Landessprecherin unter Verdacht« Vahldiecks Behauptungen aufgriff. Die Springer-Presse schlachtete die Vorwürfe aus, um die Linkspartei zu diskreditieren.

Warum richtet sich die Kampagne ausgerechnet gegen das Gefangenen Info?

Bei uns kommen politische Gefangene – auch aus der RAF – schon seit vielen Jahren zu Wort. Die Meinungsfreiheit gilt auch für sie. Es ging hier also direkt um die Pressefreiheit, die auch kleine und kritische Verlage und Zeitungen schützt. Solche Verleumdungen, die die Zeitschrift in Verruf bringen und mich einschüchtern sollten, müssen nicht widerstandslos hingenommen werden. Dabei geht es nicht, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, darum, ob ein tatsächlicher Schaden entstand, schon die Gefahr einer Schädigung reicht aus.

Viele Linke nehmen solche Verleumdungen aber weitgehend widerstandslos hin. Man hat sich daran fast schon gewöhnt.

Wenn mein Erfolg andere dazu ermuntert, sich gegen Bespitzelungen und Verleumdungen künftig stärker zu wehren, würde ich mich freuen. Ob man klagen sollte, hängt natürlich vom Einzelfall ab, ein solches Verfahren kostet Anstrengungen und womöglich viel Geld. Generell halte ich es aber für notwendig und aussichtsreich, sich auch rechtlich stärker zu wehren.

Was bewegt Sie eigentlich, diese Zeitung noch immer herauszugeben?

Die Auseinandersetzung zwischen der RAF und der Bundesrepublik Deutschland hat über zwei Jahrzehnte angedauert und zu tiefen Erschütterungen in diesem Land geführt. Ich bin in einem Alter, daß ich Zeitzeugin dieser Auseinandersetzungen war. Als das Blatt 1989, im Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF, gegründet wurde, bestand in der Öffentlichkeit an der Aufklärung über diese Geschichte erhebliches Interesse, was sich auch an einer Verkaufsauflage von anfangs fast 10000 Exemplaren zeigte. Die Zeitschrift, die damals und über lange Zeit von den Angehörigen der Gefangenen aus der RAF herausgegeben wurde, erfüllte ein öffentliches Interesse, weil es die Gelegenheit bot, sich über die Motive der politischen Gefangenen aus erster Hand zu informieren.

Das alles ist Jahre her …

Ja, inzwischen sind andere Gründe hinzugekommen. Ich denke an die beunruhigende Entwicklung im deutschen und weltweiten Gefängniswesen, die sich unter anderem in einer Zunahme von Isolations- und Einzelhaft ausdrückt, wo Gefangene 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen werden. Wir beschäftigen uns auch mit den Abschiebegefängnissen und informieren über die Zustände in den USA, wo es zahlreiche politische Gefangene gibt, die oft schon seit 30 oder 40 Jahren im Knast einsitzen. In der deutschen Öffentlichkeit ist dies kaum bekannt.

Das Gefangenen Info kann bezogen werden bei: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg

http://www.jungewelt.de/2006/10-16/045.php



Wann schenkt Airbus seinen 57 000 Mitarbeitern (22 000 arbeiten allein in Deutschland) endlich reinen Wein ein? Diese Frage beschäftigte in der letzten Woche Airbus-Betriebsräte und Vertrauenskörperleitungen der IG Metall aus ganz Deutschland, die sich dafür zur Krisensitzung in Hamburg versammelt hatten. Nun wollen die Kollegen gemeinsam für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen, ohne sich dabei auf die Standortkonkurrenz ihres Managements einzulassen.

„Wenn einer von uns angegriffen wird, sind wir aber alle angegriffen“, sagte dazu Thomas Busch, stellv. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR). „Wir sind nicht bereit, einzelne Auswirkungen aus dem Kostenreduzierungsprogramm ´Power 8´ zu verhandeln, ohne dass wir das gesamte Ausmaß im Airbus-Konzern kennen“, unterstrich dies auch der Hamburger Betriebsratsvorsitzende Horst Niehus, der zudem eine vollständige Offenlegung aller Planungen im Management des Airbus-Mutterkonzern EADS einforderte.

Für die eingeforderten Verhandlungen hat die Sicherung der Arbeitsplätze in den einzelnen Standorten für die Betriebsräte oberste Priorität. Aber auch um die Qualität ihrer Arbeitsplätze, die Bewahrung arbeits- und sozialrechtlicher Standards sowie die Einhaltung vertraglicher Regelungen über die Arbeitsaufteilung zwischen Deutschland und Frankreich wollen die Betriebsräte kämpfen. Eine notwendige Strategie, denn wie die EADS-Manager Beschäftigte, aber auch Steuerzahler austricksen, wurde spätestens beim Krisengipfel in Berlin klar. Während sich EADS-Co-Chef Tom Enders in Berlin für den Erhalt der Standorte in Hamburg, Nordenham, Bremen, Varel, Buxtehude und auch in Stade aussprach, erklärte Damals-noch-Airbus-Konzernchef Christian Streiff in Paris eher Gegenteiliges. Standortschließungen könnten auch in Deutschland nicht ausgeschlossen werden, verkündete er.

Alle Pläne müssen auf den Tisch, forderte deshalb nun auch der GBR-Vorsitzende Rüdiger Lütjen, der aber durchaus auch Kompromissbereitschaft, etwa bei den Arbeitszeiten, andeutete. Auch dies entspricht einem Positionspapier der Betriebsräte, in dem diese die Globalstrategie von EADS genauso verteidigen, wie etwa die Orientierung des Konzerns auf Großraumraumflugzeuge oder den systematischen Ausbau des Rüstungssegments bei Airbus und EADS. Nur von „Strukturproblemen“ wollte Lütjen reden, die durch Fehlplanungen im Management entstanden seien.

Doch solche Produktionsschwierigkeiten, die zu Lieferverzögerungen beim A 380 und der Airbus-Krise führten, haben durchaus auch etwas mit der EADS-Eigentümerstruktur und dessen vielfacher Abhängigkeit von Rüstungsaufträgen der Regierungen in Berlin und Paris, aber auch in London und Madrid zu tun. Dass etwa 12 Milliarden Euro für die Entwicklungskosten des A 380 übernommen werden konnten, wäre etwa ohne eine gleichzeitige Nutzung solcher Forschungsergebnisse für den Militärtransporter A 400 M, völlig undenkbar gewesen. Doch nun erhöhen sich die Kosten um weitere 5 Milliarden Euro, die an Fluggesellschaften wegen der Lieferverzögerungen zu zahlen sind. Ob dann aber noch der A 380 jemals in die Phase der Serienproduktion tritt, bleibt trotzdem unklar, denn 2007 kann nur ein einziger A 380 ausgeliefert werden, während allein zur Kapitalamortisation mindestens 400 dieser Fluggiganten verkauft werden müssten. Doch sind nur 159 Flugzeuge bestellt und Großabnehmer, wie die Emirate Airline, denken schon jetzt über einen Wechsel zu Boeing nach. Deshalb befürchten nun auch Wirtschaftsanalytiker, dass sich EADS von rund 40 Prozent seiner Airbus-Produktionskapazitäten trennen könnte, was dann vor allem für Hamburg eine Riesenpleite wäre, wo die Stadt fast 1 Milliarde Euro für den Ausbau des Airbus-Ports schon jetzt investiert hat.

Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe wird der Rücktritt von Konzernchef Christian Streiff bekannt gegeben. Der neue Airbus-Chef Louis Gallois will dort weiter machen, wo Streiff aufhörte mit konzernweiter Arbeitsplatzvernichtung. Der sogenannte Sanierungsplan „Power8“ soll „sofort“ umgesetzt werden, was die Zukunft nicht nur der 12 500 Hamburger Airbus-Beschäftigten in Frage stellt. Der notwendige Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze geht also in eine neue Runde.

Quelle: Wochenzeitung „Unsere Zeit“, 13.10.06, Seite 1 (Titel)



Großauftrieb von Neonazis am Samstag in Hamburg geplant

Ganz im Stil der alten SA wollen am Samstag mehrere hundert Anhänger der sogenannten Freien Kameradschaften auf Einladung der örtlichen NPD durch die Hamburger Innenstadt marschieren. Die Anhänger der militanten Neonaziführer Thomas Wulf und Christian Worch wollen unter dem Motto »Nationale Arbeitsplätze statt internationale Profite« aufmarschieren. Front soll so aber auch gegen einige NPD-Gliederungen gemacht werden, die sich, wie etwa in Niedersachsen, als zu »zögerlich und angepaßt« erwiesen hätten. Ein breites antifaschistisches Bündnis ruft unter dem Motto »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen« zu Gegendemonstrationen auf.

Diese Aufforderung unterstützen auch die Gewerkschaften. »Mit populistischen Schlagwörtern wollen die Braunen die wachsende Verunsicherung der Menschen angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau für ihre nationalsozialistischen Ziele nutzen und spielen sich als Retter der deutschen Arbeitnehmer und Erwerbslosen auf«, begründete etwa DGB-Lokalchef Erhard Pumm sein Engagement. Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose will ebenfalls an der Gegendemonstration in Hamburg teilnehmen. Dabei müßten auch die »Quellen des gesellschaftlichen Rassismus und der sozialen Demagogie« benannt werden, forderte der Sprecher des »Hamburger Bündnisses gegen Rechts«, Olaf Harms. Die Neonazis würden auch wegen der Umverteilungs- und zunehmenden Kriegspolitik der etablierten Parteien immer stärker.

Die braunen Aufmärsche sind auch Anzeichen für einen heftiger werdenden Machtkampf innerhalb des rechtsextremen Lagers. Wegen der zögerlichen Haltung einiger NPD-Funktionäre, militante Aktionen zu unterstützen, sprach Worch bereits von der Gefahr eines Zerbröckelns der braunen »Volksfront«. Der niedersächsische NPD-Landesverband hatte zuvor untersagt, in seinem Namen zu den Aufmärschen mit aufzurufen, während die Kameradschaften die NPD auch als legale Plattform für ihre eigenen Aktionen nutzen wollen.

Antifa-Demo: Samstag, 10.30 Uhr, Gänsemarkt, www.kueste.vvn-bda.de

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Enthusiasmus für ein Zusammengehen mit der Linkspartei.PDS läßt nach Ansicht von Beobachtern nach

Ginge es nach dem Willen der Führungselite der Linkspartei.PDS, wäre die Bildung der »Neuen Linken« am besten schon morgen abgeschlossen. Der Anschluß der WASG sei dafür der einzige Weg, so lautete denn auch die Kernaussage eines Rechtsgutachtens, das Linkspartei-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch schon vor Wochen in Auftrag gab. Doch das stößt bei immer mehr Mitgliedern des kleineren Partners übel auf – wohl deswegen war ein Kolloquium, das am Sonntag zu diesem Thema in Köln stattfand, besonders gut besucht.

Basis bockt

An der WASG-Basis zeigt sich Widerstand – etwa in Bremen, wo etliche Mitglieder des Landesverbandes auf die Bildung einer überparteilichen Wählergemeinschaft für die Bürgerschaftswahlen am 13. Mai 2007 drängen. Doch die Bundesvorstände von Linkspartei und WASG bestehen auf einer Kandidatur auf der Landesliste der Linkspartei. Das aber lehnen viele Bremer WASGler ab, die der Linkspartei angesichts ihres Kurses in Berlin einen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde in Westdeutschland nicht mehr zutrauen.

Wie der Länderratsdelegierte Heino Berg am Freitag gegenüber junge Welt erklärte, habe die Bremer WASG-Basis eigentlich schon am Sonntag die Bildung einer eigenen Wählergemeinschaft beschließen wollen. Nach einer Intervention des WASG-Bundesvorstandes sei die Mitgliederversammlung jedoch auf den 29. Oktober verschoben worden. Dennoch wollen sich nun Basisaktivisten am Sonntag treffen, um eine Kandidatur vorzubereiten.

Weniger Mitglieder

Die Basisstrukturen der WASG sind inzwischen fast überall (außer im Saarland) deutlich schwächer geworden. Die Zahl der Mitglieder, vor allem aber der Aktiven, geht nach jW-Informationen zurück. Die bevorstehende Fusion mit der Linkspartei läßt die Attraktivität deutlich sinken: Selbst in einem Stadtstaat wie Hamburg war die Beschlußfähigkeit der letzten Mitgliederversammlung nur noch mühsam herzustellen – und das, obwohl dort Oskar Lafontaine sprach. Auch das Haushaltsloch im Finanzplan des Bundesvorstandes spricht Bände. Dieser mußte seine Einnahmeplanung nach jW-Recherchen um fast ein Viertel nach unten korrigieren, weil viele Mitglieder keine Beiträge zahlen.

Zunehmende Distanz

Entfremdung von der Linkspartei.PDS bewirkten zudem ihre Regierungsbeteiligung in Berlin sowie ihr katastrophales Ergebnis bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Hinzu kommt, daß der rechte Linkspartei-Flügel – die »Reformer« – seinen Führungsanspruch angemeldet hat. In einem Positionspapier wurden Themen wie »Haushaltskonsolidierung«, »Erneuerung der Sozialsysteme durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft« und die »Begrenzung öffentlichen Eigentums auf unverzichtbare Staatsaufgaben« zu Kernproblemen linker Politik verklärt.

Dagegen hat das Netzwerk Linke Opposition, das sich Anfang Oktober in Felsberg als WASG-Strömung konstituierte, »fünf rote Linien« gezogen. Zu den Bedingungen für die weitere Zusammenarbeit mit der Linkspartei.PDS zählt es u. a. die »Trennung von Amt und Mandat«, den »Verzicht auf Privatisierungen« und »die Nichtbeteiligung an Regierungen, die selbst am Sozialabbau beteiligt sind«. Könne dies nicht durchgesetzt werden, müsse eine neue Urabstimmung her, forderten die rund 100 Teilnehmer der Tagung. Per Briefwahl müßten die WASG-Mitglieder dann entscheiden, ob die Fusion weiter angestrebt wird.

Es sei unwahrscheinlich, daß die Linkspartei.PDS diese »fünf roten Linien« respektiert, sagte die Vorstandsfrau der nordrhein-westfälischen WASG, Edith Bartelmus-Scholich, gegenüber junge Welt. Sollte sie mit ihrer Befürchtung recht haben, dann hat sich das Netzwerk mit seinen Forderungen allerdings schon von der Fusion verabschiedet.

Nach dem Eindruck von Beobachtern nimmt jedenfalls im Hauptquartier der Linkspartei.PDS in Berlin, im Karl-Liebknecht-Haus, kaum noch jemand die WASG richtig ernst. So mancher Funktionär betrachtet die Partei offenbar eher als eine Art Polit-Steinbruch, aus dem sich möglicherweise ein paar tausend neue Mitglieder herausbrechen lassen.

http://www.jungewelt.de/2006/10-13/040.php



1 Kommentar

Hamburg. Etwa 1400 Beschäftigte der »Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten« sind gestern in einen Warnstreik getreten. Ab 9.00 Uhr früh demonstrierten sie durch die Innenstadt, während rund 40 Kitas ganz und weitere 50 teilweise geschlossen blieben, wie ver.di-Betreuungssekretär Guntram Wille gegenüber junge Welt erklärte. Es ist bereits der zweite Warnstreik in diesem Jahr, mit dem die Beschäftigten die Übernahme des Tarifvertrags öffentliche Dienste (TVöD) fordern, nachdem die städtische Gesellschaft aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ausgetreten war. Sie wollte auf diese Weise Lohnkürzungen um bis zu 30 Prozent durchzusetzen. Nur angemessen bezahlte und zufriedene Beschäftigte könnten aber den Kindern »die Förderung und Fürsorge geben, die sie benötigen«, erklärte Wille, der eine Ausweitung der Aktionen ankündigte, sollten die Arbeitgeber nicht einlenken.

http://www.jungewelt.de/2006/10-13/041.php



Beschäftigte wehren sich gegen Lohnkürzungen. Rückkehr in den Arbeitgeberverband gefordert

In Hamburg hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di rund 4000 Beschäftigte in 174 Einrichtungen der »Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten« für den heutigen Donnerstag zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Zuvor war die städtische Gesellschaft auf Druck des Senats aus dem kommunalen Arbeitgeberverband AVH ausgetreten, um so die Beschäftigten nicht mehr nach Tarif bezahlen zu müssen.

Dies aber hat schon jetzt dazu geführt, daß den hauswirtschaftlichen Mitarbeitern Lohnkürzungen von bis zu 30 Prozent aufgebürdet wurden, wie ver.di-Ssekretär Guntram Wille gegenüber junge Welt erläuterte. Doch auch die pädagogischen Mitarbeiter sollen nun auf Lohn verzichten: Neu eingestellte Beschäftigte auf bis zu 300 Euro im Monat. Alteingesessene Mitarbeiter bekommen Abstriche vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Alles zusammen läuft das auf durchschnittliche Kürzungen von acht bis zehn Prozent hinaus. Dies will die Geschäftsführung nun im Rahmen einer betrieblichen Vergütungsordnung festlegen. Doch der Betriebsrat verweigert dafür die Zusammenarbeit und besteht auf tariflichen Lösungen.

Mit dem Streik fordern die Beschäftigten die Vereinigung nun auf, in den Arbeitgeberverband zurückzukehren oder den Tarifvertrag öffentliche Dienste (TVÖD) zu übernehmen. Wille ergänzte, daß nur »angemessen bezahlte und zufriedene Beschäftigte« den Kindern in den Kitas die Förderung und Fürsorge geben könnten, die sie benötigen.

Der Warnstreik soll heute früh um neun Uhr beginnen. Im Anschluß ist eine Kundgebung sowie eine Demonstration durch die Hamburger Innenstadt geplant.

http://www.jungewelt.de/2006/10-12/015.php



Hamburger Sozialgericht entschied, daß Widerspruch gegen ALG-II-Kürzung aufschiebende Wirkung haben kann

Das Hamburger Sozialgericht hat Willkürentscheidungen von Jobcentern erst einmal einen Riegel vorgeschoben. Die 52. Kammer entschied vergangene Woche, daß der per Eilantrag eingelegte Widerspruch gegen Kürzungen beim Arbeitslosengeld II (ALG II) aufschiebende Wirkung hat. Dem Kläger wurde zusätzlich Prozeßkostenhilfe bewilligt. (AZ S 56 AS 1765/06 ER)

Seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze sind Erwerbslose zum Abschluß von sogenannten Eingliederungsvereinbarungen mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) verpflichtet. Darin werden sie entweder zu Ein-Euro-Jobs oder zur Teilnahme an anderen Maßnahmen zwangsverpflichtet, oder es werden »Eigenbemühungen« und Verpflichtungen zur Jobsuche festgelegt. Kommt eine solche »Vereinbarung« nicht zustande, kann die Behörde einseitig Bedingungen diktieren. Erwerbslose sind dabei häufig der Willkür ihrer Fallmanager ausgesetzt, die saftige Kürzungen des ALG II verhängen können, wenn die »Vereinbarung« nicht eingehalten wird oder werden kann. Widerspruch dagegen wurde nicht anerkannt. Diese Praxis ist laut Gerichtsbeschluß aber rechtswidrig, wie Oswald Wilken, Vorsitzender des Ortsverbandes Kirchdorf/Wilhelmsburg des Sozialverbandes Deutschland, junge Welt am Samstag erläuterte.

Das Urteil betrifft einen Klienten Wilkens, der Opfer eines solchen Verwaltungsaktes wurde, weil er die Zustimmung zu einer ihm vorgelegten »Eingliederungsvereinbarung« verweigert hatte. Der Mann erhob dagegen Widerspruch, doch die BA bestand auf ihren Zwangsmaßnahmen. Falls er nicht nachgebe, hieß es, werde das ALG II um 30 Prozent gekürzt.

Das Gericht berief sich auf einschlägige Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Demnach entfalle zwar die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs, wenn es um Leistungskürzungen gehe. Das gelte aber nicht bei »Eingliederungsvereinbarungen«, bei denen der Widerspruch eines Betroffenen bis zur Klärung vor Gericht deren Inkrafttreten verhindere. Leistungskürzungen, die sich auf angebliche oder tatsächliche Pflichtverletzungen beziehen, könnten in einem solchen Fall nicht umgesetzt werden.

Quelle: Rundbrief der BAG-SHI Nr. 3 2006, Seite 28,
vergleiche www.bag-shi.de



Konzernboß Gallois kündigt schmerzhaften Sparkurs an. KfW-Einstieg nicht vom Tisch. Deutschland-Chef soll bleiben

[Der nachfolgende Artikel wurde gemeinsam mit jW-Redakteur Klaus Fischer verfasst]

Der neue Airbus-Lenker ­Louis Gallois hat aufkeimende Hoffnungen von Belegschaft und Gewerkschaften abgewürgt. Am Dienstag kündigte Gallois einen harten Sparkurs beim größten europäischen Flugzeugbauer an. »Es wird Entlassungen geben«, sagte er dem französischen Radiosender Europe-1. Für konkrete Angaben über das Sanierungsprogramm sei es allerdings noch zu früh. Zunächst wolle man mit den Sozialpartnern beraten.

Neuer starker Mann

Der Airbus-Mutterkonzern EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) hatte am Montag abend den bereits gerüchteweise bekannten Personalwechsel an der Führungsspitze bestätigt. Der Verwaltungsrat akzeptierte den Rücktritt von Christian Streiff und berief Gallois zu dessen Nachfolger. Der 62jährige Sozialist Gallois war erst Anfang Juli an die EADS-Konzernsspitze aufgerückt. Zuvor hatte er sich einen Namen als Chef der französischen Staatsbahn SNCF gemacht, wo er ein knallhartes Sparprogramm ohne großen Widerstand der Gewerkschaften durchsetzen konnte. Vermutlich will der Top-Manager, der auch seinen Chefposten bei EADS behält, dies nun auch bei Airbus versuchen und Betriebsräte sowie Gewerkschaften stärker einbinden.

Vorgänger Streiff hatte sich nur drei Monate an der Airbus-Spitze gehalten. Im Zusammenhang mit den jüngsten Lieferverzögerungen beim Großraumflugzeug A 380 wollte er den Gesamtkonzern umstrukturieren. Dabei sollten politisch gewachsene Strukturen des mit Steuermilliarden aus Deutschland und Frankreich aufgepäppelten Konzerns zerschlagen und u.a. die A380-Produktion vollständig in Toulouse konzentriert werden.

Gallois hingegen sieht das größte Handicap des Konzerns nicht in seinen komplizierten Führungs- und Fertigungsstrukturen. Er macht vor allem die Schwäche des US-Dollar verantwortlich dafür, daß Konkurrent Boeing wieder besser dastehe als Airbus. »Der Dollar ist zusammengebrochen«, so Gallois. Dennoch gab er sich zuversichtlich, daß die Sanierung des europäischen Flugzeugbauers schneller abgeschlossen sein könnte als von seinem Vorgänger Streiff befürchtet. Dieser hatte von einer 15-jährigen Konsolidierungsphase gesprochen. Zumindest an den Börsen wird Gallois’ Berufung willkommen geheißen. Am Dienstag legte die EADS-Aktie bis Mittag um vier Prozent zu.

Inwieweit die Beschäftigten am größten deutschen Konzernstandort Hamburg jetzt aufatmen können, bleibt abzuwarten. Zwar scheint die Idee, die Montage des A380 aus Hamburg abzuziehen, vom Tisch. Doch auch hier könnte der angekündigte Stellenabbau für Entlassungen sorgen. Als einer der ersten sollte Presseberichten zufolge Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken betroffen sein. Dem drohe der Rauswurf, hieß es in der Welt. Dem langjährigen Manager werden zwar keine direkten Versäumnisse vorgeworfen. Doch gehört Puttfarcken zu den Verantwortlichen, die die Produktionsprobleme in Hamburg seit längerem kannten und dennoch nicht angemessen darauf reagiert haben, hieß es. Die Spekulationen hätten keine Grundlage, sagte Airbus-Sprecher Tore Prang am Dienstag. Puttfarckens Position »stand und steht definitiv nicht zur Disposition«.

Inzwischen hat sich auch der zurückgetretene Streiff zu Wort gemeldet. Die bisherige Organisation innerhalb des EADS-Konzerns habe als Hauptziel, »das subtile Gleichgewicht von Machtmenschen und Postitionen« zu erhalten, so der Exmanager in der Tageszeitung Le Figaro. Dies sei angesichts der schweren Krise, in der sich das Unternehmen befinde, ein großes Hindernis. Airbus sei auch Jahre nach seiner Gründung »zum Teil noch immer eine Nebeneinanderreihung von vier Gesellschaften«, so Streiff.

Berliner Notfallplan

Auch die Bundesregierung scheint dem derzeitigen Burgfrieden bei EADS und Airbus nicht zu trauen. Einem Bericht des Handelsblatts zufolge arbeite Berlin entgegen aller offiziellen Bekundungen an einem Geheimplan, um notfalls beim Airbus-Mutterkonzern EADS einzusteigen. Demzufolge solle die bundeseigene KfW-Bankengruppe im Auftrag von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) ein Modell entwickeln, das einen zeitlich befristeten Kauf von EADS-Aktien möglich mache. Die Beteiligung solle so ausgestaltet werden, daß die KfW dafür keine Aktien von Telekom oder Post verkaufen müsse, zitierte das Blatt einen hohen Regierungsbeamten. Die Bundesregierung prüfe gleich mehrere Optionen für den Fall, daß der Autokonzern DaimlerChrysler seinen Anteil an EADS weiter reduziert,wie die Zeitung weiter berichtete. Derzeit hält DaimlerChrysler 22,5 Prozent, hat aber bereits angekündigt, den Anteil auf bis zu 15 Prozent zu verkleinern. In jedem Fall wolle die Bundesregierung verhindern, daß der deutsche Einfluß durch den Rückzug der Stuttgarter sinke, hieß es.

http://www.jungewelt.de/2006/10-11/037.php



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Bildungsgewerkschaftstagung in Hamburg forderte »Schule für alle« als Gegenmodell zur Dreigliedrigkeit

»Länger gemeinsam lernen – wir brauchen eine Schule für alle.« Mit der einhelligen Verabschiedung der gleichlautenden »Hamburger Erklärung« endete am Wochenende eine von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) initiierte und von zahlreichen Bündnispartnern getragene bildungspolitische Fachtagung in Hamburg. Auf dieser betonte Hamburgs GEW-Chef Klaus Bullan, Untersuchungen hätten ergeben, wie ungerecht und ausgrenzend das gegenwärtige dreigegliedrige Schulsystem sei.

Nur in Österreich und Deutschland werden Kinder bereits nach der Jahrgangsstufe vier in verschiedene Bildungswege getrennt, während in den Benelux-Ländern eine solche Trennung erst drei, in Frankreich und Italien vier und in Griechenland und Portugal erst fünf Schuljahre später erfolgt. Den Spitzenwert halten die skandinavischen Länder. Hier erfolgt die Trennung der Schüler erst zu Beginn der Berufsausbildung.

»Auch in Deutschland benötigen wir deshalb jetzt eine ›Schule für alle‹, in der die Kinder ganztags und von der ersten Klasse bis zum Abitur gemeinsam unterrichtet werden«, forderte Bullan zum Abschluß der Tagung.

Infos: www.gew-hamburg.de



Deutsch-Lette Siegerist steht an der Spitze. Hunderte kamen zur Gründungsveranstaltung

In Bremen hat sich eine neue rechtspopulistische Partei gegründet, die unter dem Titel »Bremen muß leben« bei den Bürgerschaftswahlen am 13. Mai kommenden Jahres antreten und bis zu 20 Prozent aller Wählerstimmen erreichen will. Damit sind Absprachen im rechten Lager passé, wonach in Bremen nur die »Deutsche Volksunion« (DVU) kandidieren und als rechtes Sammelbecken fungieren sollte. Die DVU ist bislang nur im Stadtparlament von Bremerhaven vertreten.

NPD-Anhänger dürften sich im Zweifel eher für die neue Rechtsformation entscheiden, denn bei ihnen gilt die DVU als »kapitalistisch-reaktionäre« Kraft. Zudem ist die neue Partei eine Schöpfung des Chefs der »Deutschen Konservativen« (DK), Joachim Siegerist. Welche Mobilisierungskraft Siegerist in Bremen hat, wurde schon am Freitag abend bei der Gründungsveranstaltung deutlich, zu der Hunderte Anhänger ins Hilton Hotel pilgerten.

Als Bild-Kolumnist, Wahlkampfmanager für CDU-Ministerpräsidenten, Mitbegründer einer »Bürgeraktion für Strauß« sowie Autor reaktionärer Bücher hatte Siegerist schon in den 80er und 90er Jahren Karriere gemacht. 1995 wäre der Deutsch-Lette fast Ministerpräsident von Lettland geworden, wo seine Partei bei den Parlamentswahlen zweitstärkste Kraft des Landes wurde. Für antikommunistische und nationalistische Veranstaltungen konnte Siegerist zuvor bis zu 140000 Menschen mobilsieren. »Anständig konservativ« soll nun auch sein neues rechtes Sammelbecken in Bremen sein, das den Zweistädtestaat dann »sicher, sauber und schuldenfrei« machen will. Siegerist ist mehrfach wegen Volksverhetzung vorbestraft.

Nicht nur die rechte Szene, sondern auch Anhänger von SPD und CDU sollen im Mai für die neue Rechtspartei mobilisiert werden. Wohl deshalb standen auf der Gründungsveranstaltung auch eher Sachthemen, wie der »Kampf gegen Multi-Kulti« oder die Lösung der prekären Finanzlage, im Vordergrund. Als Festredner erschien der Siegener Volkswirtschaftsprofessor Bernd-Thomas Ramb, der untersuchen will, ob und wie man die Verursacher der Bremer Finanzkrise »persönlich haftbar« machen kann. Zudem sollen Stellen im öffentlichen Dienst und die Sozialausgaben gekürzt, der Sicherheitsetat aber soll aufgestockt werden.

http://www.jungewelt.de/2006/10-10/038.php



Recht auf Bildung: Hamburger Rektoren verweigern Herausgabe von Daten für Zentralregister

In Hamburg nimmt der Widerstand gegen ein neues zentrales Schülerregister (ZSR) zu, das die Bürgerschaft erst im letzten Jahr beschlossen hatte, um so von Verwahrlosung bedrohte Kinder besser zu schützen. Doch trotz dieser Absicht, hat bisher nur ein Drittel aller Schulen Daten abgeliefert. Ursprünglich sollte das Register schon Anfang Oktober komplett sein. Doch viele Lehrer verweigern die Herausgabe – um Schüler zu schützen.

Warum sich etliche Hamburger Schulleiter weigern, Daten für das geplante zentrale Schulregister herauszugeben, kam erst vor einigen Tagen heraus. Ein Rektor hatte sich anonym an das »Hamburger Abendblatt« gewandt.

Seit mindestens 15 Jahren werden demnach in etlichen Hamburger Schulen auch Kinder unterrichtet, deren Eltern keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Weil aber auch diese Kinder ein »Recht auf Bildung« haben, hätten er und seine Kollegen, die Kinder nicht bei der Ausländerbehörde gemeldet. Greife nun aber das neue Register, würden betroffene Eltern ihre Kinder wieder von der Schule nehmen, um nicht entdeckt und abgeschoben zu werden, befürchtete der Rektor.

Reihenweise schlossen sich daraufhin weitere Pädagogen dieser Stellungnahme an, die auf viele Hundert solcher Fälle aufmerksam machten. Scharf reagierte daraufhin Schulsenatorin Alexandra Dinges- Dierig (CDU), die nun am vergangenen Freitag alle Schulleiter schriftlich dazu aufforderte, illegale Schüler sofort bei der Ausländerbehörde zu melden. Eventuell würden sonst sogar disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Im Zweifel für die Kinder

Doch dem widersprechen nun fast 70 Vertreter von Kinder- und Flüchtlingsorganisationen, aus den Gewerkschaften und Kirchen, die in einem offenen Brief betroffene Pädagogen dazu aufforderten, sich im Zweifel für die Kinder zu entscheiden, also sie weder bei der Ausländerbehörde, noch im neuen Register zu melden. Empörte Christdemokraten, aber auch einige Spitzenpolitiker der SPD, wie etwa der Hamburger Fraktionschef Michael Neumann, sehen darin nun einen »Aufruf zum Rechtsbruch «.

Rechtspopulistische Töne

Schon zuvor hatte der frühere Innensenator Roger Kusch, der inzwischen eine eigene rechtspopulistische Partei gegründet hat, via Springerpresse die betroffene Pädagogen mit Kriminellen verglichen. Illegale Ausländerkinder müssten sofort abgeschoben werden, forderte Kusch, was im Übrigen auch in ihrem eigenen Interesse wäre.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Hamburger Linkspartei, Karin Haas, widersprach dem scharf. Das »humanitäre Handeln« der Hamburger Lehrer sei durch die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen gedeckt, die auch das bundesdeutsche Ausländerrecht nicht brechen könne, sagte Haas.

Ein Standpunkt, den auch der Menschenrechtsexperte Hendrik Cremer vertritt, der sich außerdem auf die Kinderrechtskonvention der UN bezog. Demnach bestehe das Recht auf Bildung auch unabhängig vom Aufenthaltsstatus oder der Staatsangehörigkeit eines Kindes. Ähnlich argumentierte auch Antje Möller von den Grünen, die sich nun außerdem auf eine Empfehlung der so genannten Süssmuth- Kommission bezieht.

In dieser nach der CDU-Politikerin Rita Süssmuth benannten Zuwanderungskommission der Bundesregierung, waren auch unabhängigen Experten zu dem Ergebnis gelangt, dass Lehrer nicht dazu verpflichtet werden könnten, den Aufenthaltsstatus ihrer Schüler zu ermitteln.

Quelle: Printausgabe des Neuen Deutschland, 09.10.2006, Seite 5



Airbus-Belegschaften werfen Management schwere Versäumisse vor

Belegschaftsvertreter aus allen deutschen Airbus-Standorten wollen gemeinsam gegen Standortschließungen und Personalabbau kämpfen. »Wenn einer von uns angegriffen wird, sind wir alle angegriffen«, betonte am Freitag Thomas Busch, stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender auf dem Krisengipfel der Belegschaftsvertreter in Hamburg.

Eine Verlagerung der A 380 Produktion nach Toulouse werde nicht hingenommen. »Wenn jemand uns dieses Projekt wegnehmen will, wird er spüren, was Hamburg auf die Beine stellen kann«, sagte der Betriebsratschef des Hamburger Werks, Horst Niehus.

Kurzfristig setzen die Betriebsräte auf ein System von Arbeitszeitkonten, das, um branchentypische Auftragsschwankungen abzufangen, schon 2003 eingeführt wurde. Die Strukturprobleme müssten hingegen in einer gemeinsamen Steuerungsgruppe von Management und Belegschaftsvertretern besprochen werden. Dem schloss sich IG-Metall-Küste-Chefin Jutta Blankau an, die zudem eine »andere Unternehmenskultur« und mehr Risikomanagement forderte. Arbeitnehmer hätten immer wieder auf technische Probleme, die jetzt zu den Produktionsverzögerungen führten, hingewiesen. Doch solche Einwände habe das Management stets »vom Tisch gewischt«, weshalb zeitliche Fertigungsvorgaben unrealistisch blieben.

Fertigungsschwierigkeiten haben bei Airbus auch etwas mit der komplizierten Eigentümerstruktur des Mutterkonzerns EADS zu tun, der zudem von Rüstungsaufträgen der französischen, deutschen, spanischen und britischen Regierung vielfältig abhängig ist. So war die Verteilung von Produktionskomponenten auf weit entfernte Standorte, was erhebliche logistische und technische Koordinationsprobleme auslöste, stets auch eine Frage des Proporzes. Dazu kommen Eitelkeiten und Machtkämpfe im Management, das sich auch letzte Woche wieder wunderbar austobte.

Während der deutsche EADS-Co-Chef Tom Enders in Berlin gegenüber Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) vom Erhalt aller deutschen Standorte sprach, erklärte in Paris der Franzose Christian Streiff, dass dies keineswegs sicher sei. Im Tausch für den Großraumjet A 380 könne Hamburg gegebenenfalls Produktionsanteile der Flugzeugtypen A 330 und A 340 übernehmen. Bisher war dafür nur der Verkaufsschlager A 320 im Gespräch, was aber in Frankreich auf heftigen Widerstand stieß. Für Analysten wird indes zunehmend unklar, ob der A 380 überhaupt noch die Phase einer Serienproduktion erreicht. 12 Milliarden Euro hat das deutsch-französische Prestigeprojekt schon an Entwicklungskosten verschlungen. Nun kommen weitere 5 Milliarden Euro hinzu, die an die Fluggesellschaften gezahlt werden müssen. Um das aufzufangen, müssten mindestens 400 Flugzeuggiganten mittelfristig verkauft werden. Bestellt sind aber erst 159. Großabnehmer wie Emirate Airline (43 georderte Maschinen) denken längst über einen Wechsel zu Boeing nach.

Der US-Konkurrent bietet ab 2009 eine überarbeitete Version des B 747 an, der dem Fassungsvermögen des A 380 weitgehend entspricht, aber billiger ist. So werden nun selbst in Hamburg Stimmen laut, die von einer Fehlplanung der Stadtregenten sprechen, die Industriepolitik mit Prestige verwechselt hätten.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=98287&IDC=3



Airbus-Belegschaften wollen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen

Wann endlich schenkt Airbus seinen Mitarbeitern reinen Wein ein? Diese Frage beschäftigte Betriebsräte und Gewerkschafter aus allen deutschen Standorten des Flugzeugbauers gestern in Hamburg. Die Beschäftigtenvertreter betonten auf ihrer Krisensitzung in der Hansestadt, daß man sich nicht gegeneinander ausspielen lassen wolle. »Wenn einer von uns angegriffen wird, sind alle angegriffen«, erklärte der Hamburger Betriebsratschef Horst Niehus. Der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats (GBR), Thomas Busch, ergänzte, zwischen die Belegschaften des Konzerns passe »kein Blatt«.

Wie das gegenseitige Ausspielen der Standorte bislang funktionierte, konnte man am Vortag beobachten, als der Co-Chef des Mutterkonzerns EADS, Tom Enders, bei einem Gespräch mit Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) der deutschen Öffentlichkeit eine Beruhigungspille nach der anderen verabreichte, und Airbus-Chef Christian Streiff zugleich in Paris vor die Presse trat – mit entgegengesetzten Nachrichten. Während sich Enders in Berlin für den Erhalt aller deutschen Standorte aussprach und erklärte, Hamburg – samt A 380 – bleibe einer der wichtigsten Produktionsstätten, betonte Streiff gegenüber Le Monde, die Verlagerung der A380-Fertigung werde weiterhin erwogen und sei eine »offene Frage«. Der Airbus-Chef zog dann eine völlig neue Variante aus dem Ärmel: Demnach könnten im Tausch gegen den A380 nun die Flugzeugklassen A330 und A340 nach Hamburg wechseln. Bislang war stets nur von einem möglichen Wechsel des Verkaufsschlagers A320 die Rede. Doch das bringt Arbeitsplätze in Frankreich in Gefahr, weshalb die französischen Gewerkschaften gegen einen solchen Plan erbitterten Widerstand ankündigten.

Gleiches taten nun jedoch auch die deutschen Belegschaftsvertreter. »Wenn jemand versucht, ein Projekt wie den A380 aus Hamburg abzuziehen, dann wird er spüren, was Hamburg auf die Beine stellen kann«, drohte Niehus. In einem Positionspapier des GBR heißt es allerdings, man wolle den Dialog mit der Unternehmensspitze »konstruktiv führen, ohne dabei Grundpositionen aufzugeben«.

http://www.jungewelt.de/2006/10-07/052.php

Anmerkung: Zum Thema Airbus habe ich viele Beiträge verfasst. Analytisch darüber hinaus geht aber ein Beitrag meines Kollegen Winfried Wolf. Da dieser Online nur bedingt zu lesen ist, füge ich hier eine PDF-Datei hinzu. Der Beitrag schildert, wie wahnsinnig das ganze A 380 Projekt von Anfang an gewesen ist …

Bleivogel_und_Stamokap



Polizei schlug Revolte von 200 Asylbewerbern nieder. Sie verlangten bessere Lebensbedingungen

Eine Revolte von rund 200 Insassen eines zentralen Aufnahmelagers der Ausländerbehörde Oldenburg ist in dieser Woche von der Polizei niedergeschlagen worden. Wie das Online-Nachrichtenportal redglobe.de am Freitag meldete, hatten die Flüchtlinge in einer spontanen Demonstration auf dem Hof des im Nachbarort Blankenburg gelegenen Lagers bessere Lebensbedingungen, vor allem gesünderes Essen, gefordert. In diesem Lager sei die Ernährung besonders vitaminarm, was zu Krankheiten und Mangelerscheinungen bei den überwiegend afrikanischen Flüchtlingen führe.

Statt auf die Forderungen einzugehen, habe die Lagerleitung jedoch die Polizei gerufen, die bei ihrem Einsatz mehrere Demonstranten verletzt habe, hieß es. Einigen Flüchtlingen drohen nach Mitteilung der Blankenburger Polizei nun noch Strafanzeigen, da bei dem Einsatz ein Beamter leicht verletzt worden sei.

Zu Protesten in dem sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen ehemaligen Dominikanerkloster, das seit 1990 zunächst als Erstaufnahmelager und dann als Sammellager für Flüchtlinge genutzt wird, kam es schon vor Jahren. 1994 traten 40 Flüchtlinge in einen Hungerstreik, wonach zusätzliche Kochmöglichkeiten eingerichtet wurden. Flüchtlingsorganisationen fordern seit Jahren die Schließung des Lagers und die dezentrale Unterbringung der Bewohner.

Anläßlich des europäischen Migrationsaktionstages war für den Freitag abend in Oldenburg eine Protestdemonstration angekündigt. Aktionen für ein besseres Leben der Flüchtlinge und gegen die Politik der Abschiebungen sind auch in Köln, Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Jena, Augsburg, Hamburg und Nürnberg vorgesehen.

Weitere Infos unter www.redglobe.de und www.noborder.org

http://www.jungewelt.de/2006/10-07/012.php



Fluggesellschaften stornieren Bestellungen und wechseln zur Konkurrenz. Glos trifft Streiff zu Krisengespräch

Die Airbus-Krise hat sich am Mittwoch weiter zugespitzt, nachdem die EADS-Manager am Vorabend bekanntgeben mußten, daß sich die Auslieferung bestellter A-380-Großraumjets um ein weiteres Jahr verzögern wird. Die Firma Singapore Airlines, die zehn Flugzeuge bestellt hatte, teilte daraufhin mit, nun beim Konkurrenten Boeing zu kaufen. Einen solchen Wechsel prüft auch der größte Airbus-Kunde Emi­rates Airlines, auf den 43 der insgesamt 159 vorliegenden A-380-Bestellungen kommen. Auch die australische Qantas setzt auf Boeing, wie Finanzchef Peter Gregg in Sydney mitteilte. In Malaysia forderte Airlines-Gewerkschaftschef Mustafa Maarof einen Ausstieg seiner Linie aus dem A-380-Programm.

Damit ist die Zukunft des mit 12000 Mitarbeitern größten deutschen Airbus-Standortes in Hamburg noch unsicherer als zuvor. Zwar hat sich der EADS-Verwaltungsrat bislang nicht auf eine neue Aufgabenverteilung zwischen Hamburg und Toulouse einigen können, doch vieles spricht dafür, daß das Management das A-380-Programm auf Toulouse konzentrieren könnte. Die Lage ist jedenfalls so ernst, daß sich Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) am Donnerstag in Berlin mit Airbus-Vorstandschef Christian Streiff treffen will.

Spekuliert wird unterdessen, ob der Bund über die Förderbank KfW bei EADS mit einsteigt. Das hatten Regierungssprecher zwar stets dementiert, doch durch die nun immer wahrscheinlicher werdende Verlagerung der A-380-Produktion auf Toulouse sieht die Bundesregierung das »europäische Gleichgewicht« in dem Luftfahrtkonzern gefährdet, wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Mittwoch erklärte.

Da niedersächsische Standorte ebenfalls von Produktionsstillegungen betroffen sein könnten, will sich auch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in der kommenden Woche mit der Konzernspitze treffen. Belegschaftsvertreter und die IG Metall kündigten erste Arbeitskampfaktionen gegen den drohenden Jobverlust an.

http://www.jungewelt.de/2006/10-05/057.php