Linkspartei-Politiker trifft von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge

Bei einem Weihnachtstreffen für die in Hamburg von einer Abschiebung bedrohten afghanischen Flüchtlingsfamilien hat der Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Norman Paech einen sicheren Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland gefordert.

Scharf kritisierte Norman Paech den Hamburger Innensenator Udo Nagel (parteilos), der nun auch die Abschiebung von Familien mit Kindern und die von alleinstehenden Frauen nach Afghanistan betreibt. Dies sei mit der »Menschenrechts- und Sicherheitslage in Afghanistan nicht vereinbar«, sagte Paech, der sich nun für einen sofortigen Abschiebestopp einsetzen will, bis sich die Situation in Afghanistan verbessert habe.

Rund siebzig afghanische Gäste, darunter 20 Kinder, hatte Paech zuvor bei seinem Weihnachtstreffen begrüßt. Eingeladen hatte der Politiker vor allem jene Flüchtlingsfamilien, die nun ganz oben auf der Abschiebeliste des Hamburger Innensenators stehen. Nagel begründet die Abschiebungspläne auch mit dem neuen Bleiberecht, nach dem ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erst dann möglich wird, wenn ein Flüchtling mindestens sechs Jahre in Deutschland gelebt hat. Doch für viele der afghanischen Familien trifft dies nicht zu. Einzelfallprüfungen hält Senator Nagel auch nicht für notwendig. Hamburg ist bisher das einzige Bundesland, aus dem nun auch Kinder nach Afghanistan abgeschoben werden. 150 afghanische Familien sollen allein im laufenden Winter Deutschland verlassen.

Tränen über die Bilder aus der Heimat

Zu den von Abschiebung bedrohten Afghanen gehört die Familie von Goalei Amiri, die sei fünfeinhalb Jahre in Deutschland lebt. Amiri hat sieben Kinder, um deren Leben sie nun fürchtet. Von ihrer Angst berichtet auch Siagol Seddiki, die mit ihrer Familie Afghanistan verließ, weil sie nicht länger unter den Taliban leben wollte. »Ich liebe mein Land«, sagt Seddiki, doch »wenn ich Bilder im Fernsehen sehe, kommen mir die Tränen«.

Dort sieht sie die Flüchtlinge, die nun schon aus dem Iran oder aus Pakistan zurückgekehrt sind. Viele von ihnen haben nicht mal ein Zelt über den Kopf, geschweige denn Winterschuhe für die Kinder. »Wir alle wissen, dass besonders die Frauen, aber auch die Kinder, in Afghanistan überhaupt keine Rechte haben«, sagt die WASG-Vorstandsfrau Zaman Masudi, die selbst viele der afghanischen Flüchtlinge betreut.

Aufruf zu Aktionen, Schüler sammeln schon

Gegenüber ND forderte Masudi nun, dass zumindest Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen von den Abschiebungen ausgenommen werden. Norman Paech will dafür alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und auch zu Widerstandsaktionen aufrufen. Die verantwortlichen Politiker, so Paech, müssten direkt mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert werden.

In diesem Sinne aktiv geworden, sind schon jetzt Schüler mehrerer Hamburger Schulen. Sie sammeln Unterschriften gegen die Abschiebung ihrer Mitschüler und organisieren Demonstrationen.

Quelle: Printausgabe Neues Deutschland, 21. Dezember 2006, Seite 6



Hamburger Bundestagsabgeordneter der Linksfraktion lud von Abschiebung bedrohte Afghanen ein

»Wir lieben unser Land, doch noch mehr lieben wir unsere Kinder«, sagt die Afghanin Siagol Seddiki. Sie fürchtet, mit ihren Kinder demnächst in einem Flieger nach Kabul zu sitzen. Sie weiß, wie es dort den Rückkehrern geht, die häufig nicht mal ein Dach über dem Kopf haben. »Auch unsere Kinder haben ein Recht auf Bildung«, sagt Goalei Amiri, die seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland lebt und selbst sieben Kinder hat. Sie sorgt sich um die Zukunft ihrer ältesten Tochter, die gerade 16 geworden ist und kurz vor dem Schulabschluß steht. Wie es solchen Mädchen in Afghanistan geht, sei bekannt, meint das Ehepaar Sharifzada, das selbst eine 14jährige Tochter hat, die mit einem Notendurchschnitt von 1,5 nach Auskunft ihrer Lehrer locker das Abitur machen könnte. Ginge es nach Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos), säße die ganze Familie längst in Afghanistan. Nur eine Eingabe im Härtefallausschuß der Bürgerschaft hat das bislang verhindert.

Rund 70 afghanische Gäste, unter ihnen 20 Kinder, haben am Dienstag abend in Hamburg an einem Weihnachtstreffen mit dem Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion Norman Paech teilgenommen. Eingeladen hatte Paech dazu vor allem jene Flüchtlingsfamilien, die in Hamburg ganz unmittelbar vor der Gefahr einer Abschiebung stehen. Denn als bislang einziges Bundesland will die Hansestadt nun auch Familien, die Kinder haben und alleinstehende Frauen nach Afghanistan abschieben. Zynischerweise begründet Innensenator Nagel dies mit dem Bleiberecht, auf das sich die Innenpolitiker des Bundes und der Länder erst kürzlich verständigt hatten. Ein Antrag für einen dauerhaften Aufenthaltsstatus dürfen demnach nämlich nur Flüchtlinge stellen, die nun schon mindestens sechs Jahre in Deutschland leben und zudem ein ausreichendes Einkommen zur Ernährung ihrer Familien haben. Doch viele der afghanischen Familien sind eben erst fünf oder fünfeinhalb Jahre in Hamburg. Für sie zieht Nagel nun den Umkehrschluß, daß eine Abschiebung rechtlich geboten sei. Offenbar hält Nagel Afghanistan für ein »sicheres Herkunftsland«, weshalb jetzt auch keine Einzelfallprüfungen mehr vorgesehen sind. Paech sieht darin einen Bruch der Menschenrechte und der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Er forderte am Dienstag einen sofortigen Abschiebestopp für alle afghanischen Flüchtlinge, weil sich ihre Heimat immer noch in einem Kriegszustand befinde und sich wegen der sozialen Not für die Rückkehrer keine Lebensperspektive eröffne.

http://www.jungewelt.de/2006/12-21/044.php



Projekt findet nicht nur Gegenliebe / Zweifel an avisierten Arbeitsplätzen

Hamburgs Hafen steht vor einem immensen Ausbau mit erheblichen Folgen für die Stadtentwicklung. Es sollen jedoch anderseits 16 000 Arbeitsplätze entstehen.

Die Containerumschlagskapazität im hanseatischen Hafen soll kolossal steigen – bis 2015 von rund 8,7 auf 21,3 Millionen Standardcontainer (TEU), bestätigte CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldal dieser Tage im Hafen-Club. Bislang war selbst im von Optimismus geprägten Entwicklungsplan nur von 17,7 Millionen TEU die Rede. Doch die Erweiterung verläuft nicht ohne Widerstand, denn die neuen Kaimauern ragen gefährlich nah an einige Stadtteile heran, und auch der Bau einer Verbindungsautobahn zwischen der A 1 und der A 7 stößt auf heftige Gegenwehr.

Rund 800 Mitglieder zählt dieser Hafen-Club der Hafenwirtschaftsmanager, in dessen stilvollem Ambiente direkt an den St. Pauli Elbbrücken Uldall seine Pläne besprach. Einlass erhält hier nur, wer von drei der Refugiumsmitglieder vorgeschlagen wurde, denn bei edlem Wein und bestem Fisch wurde hier schon manche Grundsatzentscheidung für Hafen und Stadt diskutiert. Dass der Hafen wachsen muss, war hier noch nie umstritten. Mittelfristig soll er nun sogar, vorbei an Antwerpen und nach Rotterdam, EU-weit Platz zwei werden.

Wachsen werden vor allem die Containerterminals am Tollerort und am Burchardkai im mittleren Hafen, wo die Lärmbelästigung für die Bewohner auf der anderen Elbseite schon jetzt besonders groß ist und man das Dröhnen der Schiffsaggregate bis tief in die Nacht hört. 31 Bürger klagen deshalb gegen den Ausbau. Für die West-Erweiterung bei Eurogate soll zudem der alte Petroleumhafen zugeschüttet werden. Doch wenn die Terminals wachsen, müssen auch die Hinterlandanbindungen mithalten. Uldall geht davon aus, dass der Transport auf Schienenwegen bis 2015 von 190 auf 450 Güterzüge täglich steigen wird. [Anmerkung: in der Printausgabe im ND ist von jährlich die Rede. Das aber ist ein Fehler] Die Hafenbahnstrecke soll dafür mit einer neuen Süderelbe-Querung ausgebaut werden. Hinzu kommt die neue Verbindungsautobahn, die als Hafenquerspange auch den Stadtteil Wilhelmsburg tangiert, wo 50 000 Menschen wohnen. Das ist eines der ärmsten Viertel der Stadt, das schon durch zahlreiche Verkehrsachsen belastet ist. Aber die Bewohner des Stadtteils, der selbst eine Insel ist, sind kampfstark und haben schon manches Senatsprojekt auch wieder zu Fall gebracht.

Doch woher kommen Uldalls Umschlagsprognosen? Der Senator rechnete vor, dass sich das Frachtvolumen in allen EU-Seehäfen bis 2030 mehr als verdoppeln werde, laut einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Berenberg Bank. Sei dies richtig, würde sich in den wichtigsten EU-Häfen der Containerumschlag sogar versechsfachen. Durch seine enge Anbindung an den Asienhandel will die Hafenwirtschaft davon besonders profitieren, woran der Bau eines neuen Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven nichts ändert.

16 000 neue Arbeitsplätze allein im Hafen verspricht sich Uldall von dieser Entwicklung. Doch Skeptiker wenden ein, dass auch die neue Containeranlage in Altenwerder, für welche die Stadt fast eine Milliarde Euro investierte und auch ein ganzes Elbdorf opferte, kaum neue Arbeitsplätze brachte. Die Anlagen sind hier so modern, dass der Mensch als Arbeitskraft eigentlich nur noch in der Funktion als Kapitän der riesigen Containerbrücken vorkommt. Alles andere übernehmen Computer.

Quelle: Printausgabe Neues Deutschland vom 01.11.06, Seite 10



Niedersächsische Behörden versuchen, durch Psychokrieg die streikenden Asylbewerber im Lager Blankenburg zu isolieren

Die Situation im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde im niedersächsischen Blankenburg spitzt sich zu. Wie berichtet, befinden sich in diesem sieben Kilometer von Oldenburg entfernten Lager schon seit dem 4.Oktober rund 250 meist schwarzafrikanische Flüchtlinge in einem unbefristeten Streik. Sie boykottieren die Kantine und die lagerinternen Ein-Euro-Jobs, fordern Geld zum eigenen Lebensmitteleinkauf statt Lagerfraß und eine bessere ärztliche Versorgung. Doch nun wird eine Aktion vom vergangenen Wochenende zum Vorwand genommen, um die Streikenden zu kriminalisieren.

Rund 20 Unterstützer der Flüchtlinge hatten ein Transparent vor dem Privathaus von Lagerleiter Christian Lüttgau aufgehängt sowie um das Haus einen symbolischen Zaun errichtet. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach daraufhin von »strafbaren Handlungen«, die mit berechtigtem Protest nichts zu tun hätten. Inzwischen wurden auch die Polizeieinheiten im Lager verstärkt, die dort nun jeden weiteren Protest bereits im Keim unterdrücken sollen. Zuvor hatte der Innenminister geleugnet, daß die Flüchtlinge nur vitaminarmes und fades Essen bekämen. Das Essen sei immerhin frisch zubereitet, hatte Schünemann betont. Demgegenüber forderte der niedersächsische Flüchtlingsrat die sofortige Schließung des Lagers sowie dezentrale Unterkünfte für alle Bewohner in verschiedenen Kommunen des Landes. Die Unterbringung in Lagern sei teuer, menschenunwürdig und auch verfassungsrechtlich bedenklich, heißt es in einer Stellungnahme.

Kritik kommt auch vom bundesweiten Netzwerk »No Lager«. Schünemann wolle mit seiner Diffamierung des Protests nur davon ablenken, daß die Forderungen der Flüchtlinge mit denen von Menschenrechtsorganisationen identisch sind. Doch in großen Zeitungen, wie etwa der Welt, der Neuen Presse, der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ), im Weserkurier und der Nordwestzeitung wird nun einseitig Schünemanns Darstellung wiedergegeben. Der Boykott sei ferngesteuert, wobei antirassistische Gruppen bei den Bewohnern auch ein »Klima der Angst« erzeugten, heißt es in einigen der Medien. Von »wenigen Aufwieglern« im Lager selbst sprechen hingegen andere, und die HAZ verglich nun das Lager sogar mit einem »Kurpark«, das – trotz Metallgitterzaun – vor allem durch einen großen Teich und »schönen Laubwald« gekennzeichnet sei. Doch dieser Wald sei nun offenbar in Gefahr, weil es hier schon »nächste Woche brennt«, wie Lagerleiter Christian Lüttgau zitiert wird. Auch von zunehmenden »Schlägereien« ist bei ihm die Rede. Und Oldenburgs Polizeichef Johann Kühme spricht unterdessen von einer »offenen Drogenszene«. So solle der Protest isoliert werden, betonten jedoch Vertreter des antirassistischen Plenums in Oldenburg am Mittwoch gegenüber jW.

Doch auch Bedrohungen kommen hinzu. Vor allem schwarzafrikanische Flüchtlinge werden seit einigen Tagen gezielt für Vorführungen bei den Botschaften ihres tatsächlichen oder mutmaßlichen Heimatlandes ausgesucht, um sie so gegebenenfalls schneller abzuschieben. Auf den Streikversammlungen betonten aber auch sie, daß der Ausstand fortgesetzt werde. Schon am heutigen Donnerstag soll es in Oldenburg eine weitere Protestkundgebung geben, und für die nächste Woche ist eine Aktion in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover geplant. Dazu werden dann auch Flüchtlinge aus Bramsche und Braunschweig erwartet.

http://www.jungewelt.de/2006/10-19/045.php



Wann schenkt Airbus seinen 57 000 Mitarbeitern (22 000 arbeiten allein in Deutschland) endlich reinen Wein ein? Diese Frage beschäftigte in der letzten Woche Airbus-Betriebsräte und Vertrauenskörperleitungen der IG Metall aus ganz Deutschland, die sich dafür zur Krisensitzung in Hamburg versammelt hatten. Nun wollen die Kollegen gemeinsam für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen, ohne sich dabei auf die Standortkonkurrenz ihres Managements einzulassen.

„Wenn einer von uns angegriffen wird, sind wir aber alle angegriffen“, sagte dazu Thomas Busch, stellv. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR). „Wir sind nicht bereit, einzelne Auswirkungen aus dem Kostenreduzierungsprogramm ´Power 8´ zu verhandeln, ohne dass wir das gesamte Ausmaß im Airbus-Konzern kennen“, unterstrich dies auch der Hamburger Betriebsratsvorsitzende Horst Niehus, der zudem eine vollständige Offenlegung aller Planungen im Management des Airbus-Mutterkonzern EADS einforderte.

Für die eingeforderten Verhandlungen hat die Sicherung der Arbeitsplätze in den einzelnen Standorten für die Betriebsräte oberste Priorität. Aber auch um die Qualität ihrer Arbeitsplätze, die Bewahrung arbeits- und sozialrechtlicher Standards sowie die Einhaltung vertraglicher Regelungen über die Arbeitsaufteilung zwischen Deutschland und Frankreich wollen die Betriebsräte kämpfen. Eine notwendige Strategie, denn wie die EADS-Manager Beschäftigte, aber auch Steuerzahler austricksen, wurde spätestens beim Krisengipfel in Berlin klar. Während sich EADS-Co-Chef Tom Enders in Berlin für den Erhalt der Standorte in Hamburg, Nordenham, Bremen, Varel, Buxtehude und auch in Stade aussprach, erklärte Damals-noch-Airbus-Konzernchef Christian Streiff in Paris eher Gegenteiliges. Standortschließungen könnten auch in Deutschland nicht ausgeschlossen werden, verkündete er.

Alle Pläne müssen auf den Tisch, forderte deshalb nun auch der GBR-Vorsitzende Rüdiger Lütjen, der aber durchaus auch Kompromissbereitschaft, etwa bei den Arbeitszeiten, andeutete. Auch dies entspricht einem Positionspapier der Betriebsräte, in dem diese die Globalstrategie von EADS genauso verteidigen, wie etwa die Orientierung des Konzerns auf Großraumraumflugzeuge oder den systematischen Ausbau des Rüstungssegments bei Airbus und EADS. Nur von „Strukturproblemen“ wollte Lütjen reden, die durch Fehlplanungen im Management entstanden seien.

Doch solche Produktionsschwierigkeiten, die zu Lieferverzögerungen beim A 380 und der Airbus-Krise führten, haben durchaus auch etwas mit der EADS-Eigentümerstruktur und dessen vielfacher Abhängigkeit von Rüstungsaufträgen der Regierungen in Berlin und Paris, aber auch in London und Madrid zu tun. Dass etwa 12 Milliarden Euro für die Entwicklungskosten des A 380 übernommen werden konnten, wäre etwa ohne eine gleichzeitige Nutzung solcher Forschungsergebnisse für den Militärtransporter A 400 M, völlig undenkbar gewesen. Doch nun erhöhen sich die Kosten um weitere 5 Milliarden Euro, die an Fluggesellschaften wegen der Lieferverzögerungen zu zahlen sind. Ob dann aber noch der A 380 jemals in die Phase der Serienproduktion tritt, bleibt trotzdem unklar, denn 2007 kann nur ein einziger A 380 ausgeliefert werden, während allein zur Kapitalamortisation mindestens 400 dieser Fluggiganten verkauft werden müssten. Doch sind nur 159 Flugzeuge bestellt und Großabnehmer, wie die Emirate Airline, denken schon jetzt über einen Wechsel zu Boeing nach. Deshalb befürchten nun auch Wirtschaftsanalytiker, dass sich EADS von rund 40 Prozent seiner Airbus-Produktionskapazitäten trennen könnte, was dann vor allem für Hamburg eine Riesenpleite wäre, wo die Stadt fast 1 Milliarde Euro für den Ausbau des Airbus-Ports schon jetzt investiert hat.

Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe wird der Rücktritt von Konzernchef Christian Streiff bekannt gegeben. Der neue Airbus-Chef Louis Gallois will dort weiter machen, wo Streiff aufhörte mit konzernweiter Arbeitsplatzvernichtung. Der sogenannte Sanierungsplan „Power8“ soll „sofort“ umgesetzt werden, was die Zukunft nicht nur der 12 500 Hamburger Airbus-Beschäftigten in Frage stellt. Der notwendige Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze geht also in eine neue Runde.

Quelle: Wochenzeitung „Unsere Zeit“, 13.10.06, Seite 1 (Titel)



Konzernboß Gallois kündigt schmerzhaften Sparkurs an. KfW-Einstieg nicht vom Tisch. Deutschland-Chef soll bleiben

[Der nachfolgende Artikel wurde gemeinsam mit jW-Redakteur Klaus Fischer verfasst]

Der neue Airbus-Lenker ­Louis Gallois hat aufkeimende Hoffnungen von Belegschaft und Gewerkschaften abgewürgt. Am Dienstag kündigte Gallois einen harten Sparkurs beim größten europäischen Flugzeugbauer an. »Es wird Entlassungen geben«, sagte er dem französischen Radiosender Europe-1. Für konkrete Angaben über das Sanierungsprogramm sei es allerdings noch zu früh. Zunächst wolle man mit den Sozialpartnern beraten.

Neuer starker Mann

Der Airbus-Mutterkonzern EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) hatte am Montag abend den bereits gerüchteweise bekannten Personalwechsel an der Führungsspitze bestätigt. Der Verwaltungsrat akzeptierte den Rücktritt von Christian Streiff und berief Gallois zu dessen Nachfolger. Der 62jährige Sozialist Gallois war erst Anfang Juli an die EADS-Konzernsspitze aufgerückt. Zuvor hatte er sich einen Namen als Chef der französischen Staatsbahn SNCF gemacht, wo er ein knallhartes Sparprogramm ohne großen Widerstand der Gewerkschaften durchsetzen konnte. Vermutlich will der Top-Manager, der auch seinen Chefposten bei EADS behält, dies nun auch bei Airbus versuchen und Betriebsräte sowie Gewerkschaften stärker einbinden.

Vorgänger Streiff hatte sich nur drei Monate an der Airbus-Spitze gehalten. Im Zusammenhang mit den jüngsten Lieferverzögerungen beim Großraumflugzeug A 380 wollte er den Gesamtkonzern umstrukturieren. Dabei sollten politisch gewachsene Strukturen des mit Steuermilliarden aus Deutschland und Frankreich aufgepäppelten Konzerns zerschlagen und u.a. die A380-Produktion vollständig in Toulouse konzentriert werden.

Gallois hingegen sieht das größte Handicap des Konzerns nicht in seinen komplizierten Führungs- und Fertigungsstrukturen. Er macht vor allem die Schwäche des US-Dollar verantwortlich dafür, daß Konkurrent Boeing wieder besser dastehe als Airbus. »Der Dollar ist zusammengebrochen«, so Gallois. Dennoch gab er sich zuversichtlich, daß die Sanierung des europäischen Flugzeugbauers schneller abgeschlossen sein könnte als von seinem Vorgänger Streiff befürchtet. Dieser hatte von einer 15-jährigen Konsolidierungsphase gesprochen. Zumindest an den Börsen wird Gallois’ Berufung willkommen geheißen. Am Dienstag legte die EADS-Aktie bis Mittag um vier Prozent zu.

Inwieweit die Beschäftigten am größten deutschen Konzernstandort Hamburg jetzt aufatmen können, bleibt abzuwarten. Zwar scheint die Idee, die Montage des A380 aus Hamburg abzuziehen, vom Tisch. Doch auch hier könnte der angekündigte Stellenabbau für Entlassungen sorgen. Als einer der ersten sollte Presseberichten zufolge Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken betroffen sein. Dem drohe der Rauswurf, hieß es in der Welt. Dem langjährigen Manager werden zwar keine direkten Versäumnisse vorgeworfen. Doch gehört Puttfarcken zu den Verantwortlichen, die die Produktionsprobleme in Hamburg seit längerem kannten und dennoch nicht angemessen darauf reagiert haben, hieß es. Die Spekulationen hätten keine Grundlage, sagte Airbus-Sprecher Tore Prang am Dienstag. Puttfarckens Position »stand und steht definitiv nicht zur Disposition«.

Inzwischen hat sich auch der zurückgetretene Streiff zu Wort gemeldet. Die bisherige Organisation innerhalb des EADS-Konzerns habe als Hauptziel, »das subtile Gleichgewicht von Machtmenschen und Postitionen« zu erhalten, so der Exmanager in der Tageszeitung Le Figaro. Dies sei angesichts der schweren Krise, in der sich das Unternehmen befinde, ein großes Hindernis. Airbus sei auch Jahre nach seiner Gründung »zum Teil noch immer eine Nebeneinanderreihung von vier Gesellschaften«, so Streiff.

Berliner Notfallplan

Auch die Bundesregierung scheint dem derzeitigen Burgfrieden bei EADS und Airbus nicht zu trauen. Einem Bericht des Handelsblatts zufolge arbeite Berlin entgegen aller offiziellen Bekundungen an einem Geheimplan, um notfalls beim Airbus-Mutterkonzern EADS einzusteigen. Demzufolge solle die bundeseigene KfW-Bankengruppe im Auftrag von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) ein Modell entwickeln, das einen zeitlich befristeten Kauf von EADS-Aktien möglich mache. Die Beteiligung solle so ausgestaltet werden, daß die KfW dafür keine Aktien von Telekom oder Post verkaufen müsse, zitierte das Blatt einen hohen Regierungsbeamten. Die Bundesregierung prüfe gleich mehrere Optionen für den Fall, daß der Autokonzern DaimlerChrysler seinen Anteil an EADS weiter reduziert,wie die Zeitung weiter berichtete. Derzeit hält DaimlerChrysler 22,5 Prozent, hat aber bereits angekündigt, den Anteil auf bis zu 15 Prozent zu verkleinern. In jedem Fall wolle die Bundesregierung verhindern, daß der deutsche Einfluß durch den Rückzug der Stuttgarter sinke, hieß es.

http://www.jungewelt.de/2006/10-11/037.php



3 Kommentare

Airbus-Belegschaften wollen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen

Wann endlich schenkt Airbus seinen Mitarbeitern reinen Wein ein? Diese Frage beschäftigte Betriebsräte und Gewerkschafter aus allen deutschen Standorten des Flugzeugbauers gestern in Hamburg. Die Beschäftigtenvertreter betonten auf ihrer Krisensitzung in der Hansestadt, daß man sich nicht gegeneinander ausspielen lassen wolle. »Wenn einer von uns angegriffen wird, sind alle angegriffen«, erklärte der Hamburger Betriebsratschef Horst Niehus. Der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats (GBR), Thomas Busch, ergänzte, zwischen die Belegschaften des Konzerns passe »kein Blatt«.

Wie das gegenseitige Ausspielen der Standorte bislang funktionierte, konnte man am Vortag beobachten, als der Co-Chef des Mutterkonzerns EADS, Tom Enders, bei einem Gespräch mit Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) der deutschen Öffentlichkeit eine Beruhigungspille nach der anderen verabreichte, und Airbus-Chef Christian Streiff zugleich in Paris vor die Presse trat – mit entgegengesetzten Nachrichten. Während sich Enders in Berlin für den Erhalt aller deutschen Standorte aussprach und erklärte, Hamburg – samt A 380 – bleibe einer der wichtigsten Produktionsstätten, betonte Streiff gegenüber Le Monde, die Verlagerung der A380-Fertigung werde weiterhin erwogen und sei eine »offene Frage«. Der Airbus-Chef zog dann eine völlig neue Variante aus dem Ärmel: Demnach könnten im Tausch gegen den A380 nun die Flugzeugklassen A330 und A340 nach Hamburg wechseln. Bislang war stets nur von einem möglichen Wechsel des Verkaufsschlagers A320 die Rede. Doch das bringt Arbeitsplätze in Frankreich in Gefahr, weshalb die französischen Gewerkschaften gegen einen solchen Plan erbitterten Widerstand ankündigten.

Gleiches taten nun jedoch auch die deutschen Belegschaftsvertreter. »Wenn jemand versucht, ein Projekt wie den A380 aus Hamburg abzuziehen, dann wird er spüren, was Hamburg auf die Beine stellen kann«, drohte Niehus. In einem Positionspapier des GBR heißt es allerdings, man wolle den Dialog mit der Unternehmensspitze »konstruktiv führen, ohne dabei Grundpositionen aufzugeben«.

http://www.jungewelt.de/2006/10-07/052.php

Anmerkung: Zum Thema Airbus habe ich viele Beiträge verfasst. Analytisch darüber hinaus geht aber ein Beitrag meines Kollegen Winfried Wolf. Da dieser Online nur bedingt zu lesen ist, füge ich hier eine PDF-Datei hinzu. Der Beitrag schildert, wie wahnsinnig das ganze A 380 Projekt von Anfang an gewesen ist …

Bleivogel_und_Stamokap



Fluggesellschaften stornieren Bestellungen und wechseln zur Konkurrenz. Glos trifft Streiff zu Krisengespräch

Die Airbus-Krise hat sich am Mittwoch weiter zugespitzt, nachdem die EADS-Manager am Vorabend bekanntgeben mußten, daß sich die Auslieferung bestellter A-380-Großraumjets um ein weiteres Jahr verzögern wird. Die Firma Singapore Airlines, die zehn Flugzeuge bestellt hatte, teilte daraufhin mit, nun beim Konkurrenten Boeing zu kaufen. Einen solchen Wechsel prüft auch der größte Airbus-Kunde Emi­rates Airlines, auf den 43 der insgesamt 159 vorliegenden A-380-Bestellungen kommen. Auch die australische Qantas setzt auf Boeing, wie Finanzchef Peter Gregg in Sydney mitteilte. In Malaysia forderte Airlines-Gewerkschaftschef Mustafa Maarof einen Ausstieg seiner Linie aus dem A-380-Programm.

Damit ist die Zukunft des mit 12000 Mitarbeitern größten deutschen Airbus-Standortes in Hamburg noch unsicherer als zuvor. Zwar hat sich der EADS-Verwaltungsrat bislang nicht auf eine neue Aufgabenverteilung zwischen Hamburg und Toulouse einigen können, doch vieles spricht dafür, daß das Management das A-380-Programm auf Toulouse konzentrieren könnte. Die Lage ist jedenfalls so ernst, daß sich Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) am Donnerstag in Berlin mit Airbus-Vorstandschef Christian Streiff treffen will.

Spekuliert wird unterdessen, ob der Bund über die Förderbank KfW bei EADS mit einsteigt. Das hatten Regierungssprecher zwar stets dementiert, doch durch die nun immer wahrscheinlicher werdende Verlagerung der A-380-Produktion auf Toulouse sieht die Bundesregierung das »europäische Gleichgewicht« in dem Luftfahrtkonzern gefährdet, wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Mittwoch erklärte.

Da niedersächsische Standorte ebenfalls von Produktionsstillegungen betroffen sein könnten, will sich auch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in der kommenden Woche mit der Konzernspitze treffen. Belegschaftsvertreter und die IG Metall kündigten erste Arbeitskampfaktionen gegen den drohenden Jobverlust an.

http://www.jungewelt.de/2006/10-05/057.php



Europäischer Aktionstag

Europaweit bereiten sich Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen in diesen Tagen auf einen europäischen Ak­tionstag gegen die restriktive Flüchtlings- und Asylpolitik der Europäischen Union und ihrer Regierungen vor. Für den kommenden Samstag sind in 18 europäischen und afrikanischen Ländern zeitgleich Demonstrationen und Aktionen geplant.

Die Initiative geht auf ein Treffen des Europäischen So­zialforums im Mai 2006 in Athen zurück, an dem seinerzeit fast 15 000 Menschen teilnahmen. In Köln, Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Jena, Augsburg, Hamburg und Nürnberg finden am Samstag Demonstrationen statt. Die Aktion in Hamburg wird auch von Gruppen aus Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Gerade in der Hansestadt betreibt der CDU-Senat nun schon seit Jahren eine besonders rigide Abschiebepolitik.

Gleichzeitig werden am Samstag auch Tausende Demonstranten in London, Paris, Warschau, Amsterdam, Wien und Madrid auf die Straße gehen. Weitere Aktionen finden in Mauretanien, Italien, Tunesien, Togo, Griechenland und Benin statt. Darauf haben sich über 100 Organisationen und Bündnisse aus Europa und Afrika verständigt, die sich in einem gemeinsamen Aufruf zu diesem dritten europäischen Migrations-Aktionstag (ihm gingen schon 2004 und 2005 gemeinsame Aktionen voraus), für die »bedingungslose europäische Legalisierung« aller hier lebenden, aber auch zureisenden Menschen einsetzen. Zugleich soll mit diesem Aktionstag auch an die Ereignisse vor einem Jahr erinnert werden, als Hunderte Flüchtlinge die Grenzzäune zu den in Marokko gelegenen spanischen Enklaven Ceuta und Melilla buchstäblich überrannten und das spanische Militär nur noch mit Todesschüssen, Masseninternierungen und dem Aussetzen von Menschen in entfernten Wüstenregionen die Lage unter Kontrolle bringen konnte. Doch dabei sei auch deutlich geworden, daß sich das Recht der Menschen auf Bewegungsfreiheit dauerhaft nicht unterdrücken lasse, heißt es im Aufruf. Orientiert wird deshalb auf einen Prozeß der »fortlaufenden Unterminierung dieses Migrationsregimes« durch zunehmend politische und soziale Aktionen für die Gleichberechtigung aller Menschen.

Nähere Informationen unter www.noborder.org

Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/10-05/003.php

Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite der Jungen Welt zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland gewesen. Lesen Sie hier zwei weitere Beiträge dieser Seite:

Wurst im Plastikbeutel, von Maja Schuster

»Blutiger Stift« für Schünemann, von Raimar Paul

und hier Schwerpunkt_jW_05_10_06 können Sie sich die Seite als PDF-Datei herunterladen



Hamburgs Wirtschaft und Politprominenz buhlten bei Visite von Ministerpräsident Wen Jiabao um Gunst der Mächtigen im Reich der Mitte. Festwochen eröffnet

Mit einem Gespräch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel endete am Donnerstag eine Stippvisite des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao in der BRD, der zuvor am China-Gipfel der EU in Helsinki teilgenommen und dann den britischen Premier Anthony Blair in London besucht hatte. Wie es hieß, ging es bei dem Gespräch im Kanzleramt vor allem um Probleme wie den amerikanisch-iranischen Atomkonflikt, aber auch um den weiteren Ausbau der deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen, die nach chinesischen Angaben im ersten Halbjahr 2006 einen Rekordwert von fast 42 Milliarden Euro erreichten. Strittige Fragen wie die in China verbreitete Produktpiraterie könnten nur in gleichberechtigten Konsultationen gelöst werden, betonte Wen dabei gegenüber der Kanzlerin.

Doch im Mittelpunkt des Besuchs stand nicht Berlin, sondern Hamburg, wo Wen schon am Abend zuvor am Eröffnungsdinner für die Wirtschaftskonferenz »China trifft Europa« teilgenommen hatte. Schließlich werden in der Hansestadt jedes Jahr fast 2,2 Millionen Standardcontainer mit chinesischen Absende- oder Empfängeradressen umgeschlagen und mit rund 400 Filialen haben in Hamburg mehr chinesische Firmen einen Sitz als in jeder anderen europäischen Stadt. Das bringt allein im Containerverkehr Zuwachsraten von jährlich fast 30 Prozent. Gleichzeitig sind 700 Hamburger Unternehmen in China tätig.

Da sich auch Xu Kuangdi, Präsident des chinesischen Industrieverbandes, vor der Konferenz für die Ausweitung dieser Wirtschaftsbeziehungen ausgesprochen hatte, wurde Wen besonders herzlich begrüßt. Nicht nur Bürgermeister Ole von Beust (CDU), sondern auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Handelskammerpräses Karl-Joachim Dreyer waren als Festredner angetreten. Der Konferenz folgen anläßlich des 20. Geburstages einer Städtepartnerschaft mit Shanghai nun auch noch drei Festwochen, mit denen Hamburg seine China-Kompetenz in nahezu allen Bereichen unter Beweis stellen will. Ein Spektakel, das am Mittwoch abend mit einer »Nacht der Harmonie« begann. Werner Marnette, Chef der Norddeutschen Affinerie, der nach eigenen Angaben ins chinesische Kupfergeschäft einsteigen möchte, hatte dafür extra einen 5,50 Meter hohen und sieben Meter langen Kupferdrachen anfertigen lassen, der nun auf einem Alsterponton die Stadt bewacht.

http://www.jungewelt.de/2006/09-15/018.php



Chinas Regierungschef bei Wirtschaftskonferenz an der Alster

Chinas Regierungschef Wen Jiabao begann seinen Deutschlandbesuch gestern Abend passend in Hamburg. Denn der größte deutsche Seehafen nimmt eine wesentliche Rolle im europäisch-chinesischen Handel ein. Erst heute wird Wen Jiabao in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammentreffen.

Mit einer hundertköpfigen Delegation aus Wirtschaft und Politik reiste Wen Jiabao gestern Abend in Hamburg an. Die Hansestadt empfing den Ministerpräsidenten der Volksrepublik China feierlich zum Eröffnungsdinner der dreitägigen Wirtschaftskonferenz »China trifft Europa« im Festsaal des Rathauses. Neben Bürgermeister Ole von Beust (CDU) traten auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und Handelskammerpräsident Karl-Joachim Dreyer als Festredner auf. Die Veranstaltung ist Teil dreiwöchiger Festwochen – unter dem Motto »China Time 2006« zum 20. Geburtstag der Städtepartnerschaft mit Shanghai.

Wen Jiabao sieht die Stadt als Drehscheibe für den deutsch-chinesischen Handel. Der hat sich bundesweit im ersten Halbjahr 2006 auf einen Warenwert von rund 42 Milliarden Euro gesteigert. Die Chinesen streben eine Ausweitung der Handelsbeziehungen vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen an, erhoffen sich aber auch Anstöße für weitere Geschäfte im Logistik-, Petrochemie-, Energie- und Umweltbereich. Über Letzteres wird Ex-UN-Umweltdirektor Klaus Töpfer sprechen. Chinas Bedarf an Ressourcen wird ebenfalls ein Thema sein.

Mit Hamburgs Rolle als »Europas Tor für China« begründet Stadtrat Reinhard Stuth (CDU), der als »Außenminister« des Bürgermeisters gilt, die Veranstaltung. Mit Wachstumsraten von jährlich um zehn Prozent ist China gerade für Hamburger Kaufleute interessant, wo man auf eine lange Tradition in den Beziehungen blickt. Das erste chinesische Handelsschiff legte 1792 an, und als man anderenorts China gerade entdeckte, eröffneten dortige Kaufleute schon 1842 eine Handelsvertretung in Shanghai. Pionierarbeit, die sich bis heute auszahlt. Mehr als 700 Hamburger Unternehmen – darunter Beiersdorf und Airbus, aber auch Mittelständler – sind in der Volksrepublik engagiert. Die bringt es ihrerseits auf rund 400 Firmenfilialen in der Alster-Stadt, laut Senatsangaben mehr als in jeder europäischen Stadt. Das sind meist kleinere Handelsfirmen, aber auch Europazentralen chinesischer Großkonzerne wie Chinatex, Baosteel, Cosco und China Shipping. Sie beschäftigen insgesamt rund 1500 Mitarbeiter. Wichtigste Importgüter sind dabei Kleidung, Elektrogeräte, Maschinen und pharmazeutische Grundstoffe.

Dank des florierenden Handels boomt der Hamburger Hafen. Hier wird mehr als die Hälfte des deutschen Außenhandels mit China abgewickelt. Pro Jahr werden 2,2 Millionen Standardcontainer mit chinesischen Absender- oder Empfängeradressen umgeschlagen. Gerade die Zufuhr chinesischer Billigprodukte bringt hier Zuwachsraten von bis zu 30 Prozent pro Jahr. Doch was für eine Hansestadt gut ist, bereitet der produzierenden Wirtschaft in ganz Europa wachsende Sorgen. Denn mit den Preisen der fernöstlichen Konkurrenz kann sie nicht mithalten. Und der Ausgleich durch die Erschließung Chinas als neuer Absatzmarkt wird von den Chinesen erschwert.

Doch Hamburg feierte den Jahrestag der Städtepartnerschaft mit Shanghai gestern mit einer »Nacht der Harmonie«, bei der auch Drachentänze um die Alster aufgeführt wurden. Der Norddeutsche-Affinerie-Chef Werner Marnette stiftete dafür einen 5,5 Meter hohen und sieben Meter langen Kupferdrachen, der nun drei Wochen auf einem Alsterponton über der Stadt wacht. Nach eigenen Angaben will Marnette ins chinesische Kupfergeschäft einsteigen. Ungeachtet der Wirtschaftsgespräche wird es bis Anfang Oktober auch rund 270 kulturelle Veranstaltungen geben.

Infos unter www.hamburg.de

Quelle: Nur Printausgabe des ND, 14.09.2006, Seite 10



Deutscher Standort ist keineswegs gesichert

Bricht Airbus sein Versprechen, ein Auslieferungszentrum für den A 380 in Hamburg zu bauen? Seit der neue Airbus-Chef Christian Streiff dieser Tage einen Einstellungsstopp für alle Airbus-Werke verkündete, grassiert in der Hansestadt dieses Gerücht.

Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) hat bestätigt, dass die Gefahr »einer veränderten Arbeitsteilung zwischen Toulouse und Hamburg« bestehe, der er sich aber energisch widersetzen werde. Also kein Auslieferungszentrum für Hamburg? »Das wäre ein beispielloser Affront«, sagte auch der wirtschaftspolitische Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion, Jens Kerstan. Er schoss sich Donerstagnachmittag schon mal auf den Senat ein. Dieser hätte dem Forderungsdruck der Airbus-Spitze in Toulouse immer wieder und zu schnell nachgegeben, kritisierte Kerstan und nannte die Landebahnverlängerung für das Airbus-Werk. Ultimativ hatte Toulouse diese gefordert, damit auch Frachtversionen des A 380 starten und landen könnten. Schärfer reagieren Naturschützer. Sie fordern einen sofortigen Baustopp.

Dass die Airbus-Spitzen für den Hamburger Standort keineswegs entschieden sind, hätte schon im Juni 2006 klar werden können. Damals gab der frühere EADS-Konzernchef Noël Forgeard auch Hamburg eine Mitschuld, dass Liefertermine nicht eingehalten werden konnten und Großkunden mehrere bestellte A 380 stornierten. Branchenkennern zufolge hatten auch Abstimmungsprobleme zwischen einzelnen Produktionsstandorten die Lieferengpässe verursacht. Streiff verkündete nun ein »A-380-Aufholprogramm«, doch wie die Produktion gestrafft werden soll, wird Ende September in Toulouse entschieden.

Dabei kostet allein die Landebahnverlängerung 60 Millionen Euro. Ihr Ausbau hat erst kürzlich begonnen, weil sich Anrainer jahrelang weigerten, ihre Grundstücke zu verkaufen. Weitere 750 Millionen Euro musste die Stadt zuvor für die Zuschüttung einer großen Elbbuchtung berappen, mit der zugleich ein großes Naturschutzgebiet (das Mühlenberger Loch) weitgehend vernichtet wurde. Grund waren die Pläne, neue Produktionshallen für die Endlackierung und Ausrüstungsmontage des A 380 zu bauen.

So hat Uldall Recht, auf Vereinbarungen mit der Konzernspitze zu pochen. Doch solche haben die Airbus-Manager schon einmal gebrochen, als sie nach der Zuschüttung etwa die Landebahnverlängerung zur Bedingung machten. Auch die ist nun erfüllt. Trotzdem ist in Toulouse nichts entschieden, wie Firmensprecher Arndt Hellmann gegenüber dem »Hamburger Abendblatt« bestätigte. Er gehe zwar davon aus, dass das Auslieferungszentrum komme, doch wo dem Spardruck nachgegeben werden könne, vermochte er nicht zu sagen.

Allein die Stornierungen hätten bei Airbus ein 300-Millionen-Euro-Loch gerissen, berichtete die französische Zeitung »La Tribune«. Kostendruck sei zudem entstanden, weil Boeing seinen Jumbojet 747-8 zu einem wirklichen Konkurrenzmodell zum A 380 ausgebaut hat. Ausführlich berichtete das Blatt auch vom Ausbau des neuen A-380-Auslieferungszentrum in Toulouse, das bald fertig gestellt werden könne. In Hamburg wird hingegen noch bis Juli 2007 allein an der Landebahnverlängerung gebaut.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=96806&IDC=3



Hamburg. Unter dem Motto »Keine Abschiebungen nach Afghanistan« rufen Flüchtlingsrat und afghanische Gemeinde für Samstag vormittag zu einer Demonstration in Hamburg auf. Sie beginnt um 11 Uhr am Hachmannplatz. Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan zunehmen, würden jede Woche weitere Menschen über den Flughafen in Frankfurt am Main abgeschoben, begründeten Vertreter der größten afghanischen Gemeinde in der BRD ihren Demoaufruf, der auch von Linkspartei.PDS und WASG getragen wird. Einen sofortigen Abschiebestopp für die Betroffenen fordert inzwischen auch SPD-Landeschef Mathias Petersen. Familien, die hier seit langer Zeit leben, müsse ein »humanitäres Bleiberecht« zuerkannt werden.

(jW)

http://www.jungewelt.de/2006/09-02/065.php



Zum Antikriegstag: Kundgebungen und Demonstrationen in 166 Orten

Zum Antikriegstag am heutigen Freitag hat das Bonner Netzwerk Friedenskooperative bundesweit 166 Demonstrationen und Kundgebungen angekündigt– deutlich mehr als in den letzten Jahren. Größere Aktionen gibt es in Aachen, Berlin, Bremen, Duisburg, Bonn, Eisenach, Fellbach, Freiburg, Hamburg, Herne, Kaiserslautern, Köln, München, Regensburg, Rostock, Schweinfurt, Schwerte. In vielen weiteren Orten sind zudem Mahnwachen, Kranzniederlegungen, Diskussionsveranstaltungen und Friedensfeste geplant. Für Samstag nachmittag rufen etliche Gruppen dann zur Teilnahme an der jährlichen Gedenkveranstaltung »Blumen für Stukenbrock« auf dem Gelände des sowjetischen Soldatenfriedhofs in Stukenbrock (bei Bielefeld) auf. Dort waren in einem Arbeitslager der deutschen Faschisten etwa 65000 Kriegsgefangene getötet worden.

Seit 1957 erinnern Friedensgruppen, aber auch Gewerkschaften beim Antikriegstag (in den neuen Bundesländern heißt er auch »Weltfriedenstag«) an den Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht auf Polen, der am 1.September 1939 den Zweiten Weltkrieg auslöste. Dieser Anlaß wird auch genutzt, um gegen die Aggression Israels gegen die Palästinenser und den Libanon zu protestierten. Der in Kassel ansässige Bundesausschuß Friedensratschlag fordert neue politische Initiativen unter Einbeziehung aller regionalen Konfliktparteien. Zugleich wird von der Bundesregierung verlangt, keine eigenen Truppen oder Kriegsschiffe in den Nahen Osten zu schicken. Deutsche Soldaten hätten weder dort noch anderswo etwas zu suchen. Gewarnt wird zudem vor einer weiteren Eskalation im Atomkonflikt zwischen den USA und dem Iran.

Auch der Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes ( DGB ) verweist auf diese Konflikte und fordert zugleich humanitäre an Stelle militärischer Hilfe durch die EU. Der DGB setzt sich außerdem für den Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak ein. Die Befriedung des Landes könne nur durch die Vereinten Nationen eingeleitet werden, während die Präsenz ausländischer Truppen zur weiteren Gewalteskalation beitrage. Grundsätzlich plädiert der Gewerkschaftsbund für eine präventive Friedenspolitik, die auch die Hauptursachen der Kriege, also die ökonomischen Interessen, stärker berücksichtigt.

Dieses Thema spielt auch in den Aufrufen regionaler Friedensgruppen eine Rolle. In ihnen werden außerdem die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik scharf kritisiert. So die wachsenden Ausgaben für die Rüstung, die zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr; die anhaltende Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr auch im Inneren. Nicht selten münden die Aufrufe deshalb in der Forderung, bei den Militärausgaben zu sparen. Frei werdende Mittel könnten so in soziale und Bildungsprogramme gesteckt werden. Eine bundesweite Unterschriftenkampagne des Friedensratschlags dazu hat bereits begonnen.

Info: www.friedenskooperative.de

www.blumen-fuer-stukenbrock.de

Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/09-01/016.php



Hamburg hat das zwangsweise Erbrechen klammheimlich eingestellt

In Hamburg zieht die Justizbehörde nun doch Konsequenzen aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der vor zweieinhalb Wochen die Zwangsvergabe von Brechmitteln zur Beweissicherung bei Drogendelikten als Verstoß gegen die Menschenrechte bezeichnet hatte. Unmittelbar nach dem Urteil hatte die Hamburger Behörde diese Konsequenz noch mit dem Argument abgelehnt, das Strasbourger Verfahren betreffe nur einen Einzelfall.

In der Zwischenzeit haben sich die Hamburger Verantwortlichen aber klammheimlich dem Vorbild Bremens und Berlins angeschlossen – die zwangsweise Brechmittelvergabe wurde einem Bericht des Hamburger Abendblattes zufolge klammheimlich eingestellt. Dagegen feuert seit Freitag die SPD. »Wir Sozialdemokraten sind und bleiben für Brechmitteleinsätze«, erklärte deren innenpolitischer Sprecher Andreas Dressel.

Der Gerichtshof habe die »Drogentoilette« als die »mildere Methode« gegenüber der Brechmittelvergabe anerkannt, erläuterte Justizbehördensprecher Carsten Grote gegenüber Journalisten. In einer solchen »Drogentoilette« sollen verschluckte Drogenpäckchen auf natürliche Weise wieder zum Vorschein kommen. Grote fügte hinzu, Drogendealern werde auf freiwilliger Grundlage das Brechmittel auch weiterhin angeboten. Das sei auch in ihrem eigenen Interesse, denn das Platzen eines verschluckten Drogenpäcken im Magen oder im Darm könne zum Tode führen.

Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller forderte nun eine Überprüfung sämtlicher Drogenverfahren seit 2003. Sollte sich dabei herausstellen, daß relevante Beweismittel nur unter dieser vom Gerichtshof abgelehnten Methode gewonnen wurden, sei eine Wiederaufnahme der Verfahren unumgänglich. Zudem stelle sich die Frage nach Schadensersatz.

Die Wiederaufnahme eines Ermittlungsverfahrens hat unterdessen die Familie des 2001 in Hamburg während eines Brechmitteleinsatzes ums Leben gekommenen Achidi John gefordert. Diesem hatten Beamte unter Einsatz von Gewalt 2001 eine Nasensonde zur Brechmitteleingabe eingeführt. John brach daraufhin bewußtlos zusammen, ein Arzt wurde jedoch viel zu spät hinzugezogen. Nach dem Tod des 19jährigen hatte die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen die beteiligten Beamten eingeleitet. Doch diese wurden 2002 eingestellt. Fünf Jahre später sei nun aber die Rechtslage nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs anders, erklärten die Anwälte der Familie.

http://www.jungewelt.de/2006/07-29/046.php



Datenschutzbeauftragter Schaar über Geheimdienstkompetenzen und Informationskontrolle

Peter Schaar, geboren 1954 in Berlin, ist seit Ende 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Der studierte Volkswirt war Anfang der 80er Jahre in der Hamburger Verwaltung tätig und wurde 1994 stellvertretender Hamburgischer Datenschutzbeauftragter. Schaar lebt in Hamburg und ist verheirateter Vater zweier Kinder.

ND: Anfang der Woche hat BND-Präsident Ernst Uhrlau eine stärkere internationale Kooperation der Geheimdienste bei der Weitergabe von Informationen gefordert. Was halten Sie davon?

Peter Schaar: Ernst Uhrlau will Informationen so weit wie möglich und nicht nur nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit gestreut wissen. Doch die Informationsweitergabe ist nach deutschem Verfassungsrecht an bestimmte Voraussetzungen gebunden, weshalb ich diese Forderung für problematisch halte.

Auch die Bundesregierung hat gerade eine Erweiterung der Anti-Terror-Gesetze beschlossen. Konto- und Telekommunikationsdaten können leichter angezapft werden.

Dieser Gesetzentwurf ist mit einem völlig veralteten Bericht aus dem Bundesinnenministerium begründet, in dem nur Maßnahmen bis 2004 ausgewertet sind. Es ist schon ziemlich mutig, damit jetzt eine Ausweitung von Geheimdienstkompetenzen zu begründen. Danach sollen die Befugnisse von BND und MAD so ausgeweitet werden, dass sie denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz entsprechen. Bevor ein neues Gesetz verabschiedet wird, sollte es einen aktualisierten Evaluationsbericht geben, der dann zunächst auch im Bundestag gründlich beraten werden muss. Noch ist es dafür nicht zu spät.

Im Koalitionsausschuss haben CDU und SPD größeren Informationspflichten für Fluggesellschaften, Banken, Post- und Telekommunikationsunternehmen bereits zugestimmt.

Eine Auskunftspflicht besteht nicht! Die Dienste haben die Befugnis, Daten abzufragen, doch eine Pflicht zur Beantwortung entsteht daraus nicht. Leider hat sich das Bundesinnenministerium dazu mehrfach missverständlich geäußert. Trotzdem ist die Befugniserweiterung für den BND problematisch, der damit nun auch das Recht erhalten soll, für seine Aufgabenerfüllung inlandsrelevante Informationen zu erheben.

Das hat die Regierung mit der Hetze von Rechtsextremen und Islamisten begründet. Gewalt könne so besser bekämpft werden.

Dies überzeugt mich nicht. Noch kritischer sehe ich aber, dass nun die Hürden für solche Maßnahmen gesenkt werden. Beispielsweise konnte es Datenanfragen bei Fluggesellschaften bisher nur auf Anordnung des Bundesinnenministeriums auf Antrag des Verfassungsschutz-Präsidenten geben, das dafür zuvor auch die G10-Kommission des Bundestages anhören musste. Diese Anordnungsbefugnis soll jetzt per Dienstanordnung auf einzelne Mitarbeiter des Verfassungsschutzes übertragen werden. Die G10-Kommission wird überhaupt nicht mehr eingeschaltet.

Zugriff sollen die Geheimdienste auch auf das europaweite Schengener Informationssystem (SIS) haben. Werden damit nicht die Grenzen geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit verwischt?

Ja, denn die Geheimdienste würden durch verdeckte Ausschreibungen Informationen an die Polizeibehörden übermitteln, während andererseits polizeiliche Informationen direkt an die Nachrichtendienste gehen könnten. Das aber halte ich bereits mit Blick auf die unterschiedliche Kontrolldichte für sehr problematisch, denn Maßnahmen der Polizei können – anders als nachrichtendienstliche Aktivitäten – von Gerichten überprüft werden. Auch gibt es grundlegende Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Befugnisse. Nachrichtendienste dürfen weit im Vorfeld beobachten und dabei auch »weiche« Daten sammeln, haben aber keine Exekutivbefugnisse. Der Trennungsgrundsatz zwischen Polizei und Geheimdiensten hat Verfassungsqualität, weshalb ich hier verfassungsrechtliche Probleme sehe.

Besorgnis haben Vorgänge bei der belgischen Firma SWIFT ausgelöst, die als Dienstleister im internationalen Zahlungsverkehr tätig ist. Diese hat Finanztransaktionsdaten aus ganz Europa an die CIA weitergeleitet. Wie kann man sich davor schützen?

Sicherlich muss bei Geldüberweisungen in die USA auch das US-Recht beachtet werden. Doch wenn es um Überweisungen an Drittländer geht, hätte SWIFT die Daten nicht weiterleiten dürfen. Die EU-Kommission und die europäischen Regierungen stehen jetzt in der Pflicht, solch rechtswidrigen Zugriffen vorzubeugen.

»Big brother is watching you«. Diesen Eindruck hatte man auch bei der Fußball-WM. Besteht nicht allmählich die Gefahr einer Totalüberwachung?

Es gibt in der Tat die Gefahr einer Überwachungsgesellschaft. Nicht nur auf Grund staatlicher Aktivitäten, sondern auch weil sich viele Bürger mit einer solchen Überwachung einverstanden erklären. Ich würde deshalb auch nicht vom Überwachungsstaat sprechen. Wenn es zum Beispiel, wie jetzt in Sachsen, um einen Gentest für bis zu 100 000 Menschen geht, trifft dies auf viel Verständnis in der Bevölkerung. Nicht nur hier sehe ich noch sehr viel Arbeit für uns Datenschützer.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=94387&IDC=2



Nur zwei Bundesländer haben bislang einen Abschiebestopp in den Libanon verfügt

In Schleswig-Holstein hat Innenminister Ralf Stegner (SPD) einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus dem Libanon angeordnet. Dieser gelte nun für drei Monate, wie ein Ministeriumssprecher am Mittwoch nachmittag in Kiel mitteilte. Von den Abschiebungen wären sonst 68 Menschen gegenwärtig betroffen gewesen. Mit seiner Anordnung hat Stegner auch auf eine Forderung des Schleswig-Holsteinischen Flüchtlingsrats reagiert, der sich zwischenzeitlich auch die Landtagsfraktionen von FDP und SSW angeschlossen hatten.

Hintergrund dafür sind die israelischen Bombardements von Städten im Libanon. Mehr als 500000 Menschen sind dort nun in Richtung syrischer Grenze auf der Flucht. Stegner wollte deshalb seinen Abschiebestopp auch als Signal an andere Bundesländer verstanden wissen, ebenso zu handeln. Doch außer der Kieler hat bisher nur die Landesregierung von Rheinland-Pfalz einen offiziellen Abschiebestopp erlassen. Dies hatte in Mainz Staatssekretär Roger Lewentz (SPD) mit den »kriegsähnlichen Ereignissen« im Libanon begründet. Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Berlin haben eigene Abschiebungen hingegen nur de facto ausgesetzt. In Berlin immerhin kalkulierbar für drei Monate, wie ein Sprecher von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Donnerstag erklärte. NRW gab hingegen nur bekannt, daß ein geplanter Charterflug vorerst abgesagt worden sei. Ähnlich mager sind nach Informationen von Pro Asyl auch die Erklärungen aus den Innenministerien in Niedersachsen und Hessen, wo die Unterbrechung der Abschiebungen lediglich damit begründet wurde, daß man den Beiruter Flughafen nicht anfliegen könne. Dem schloß sich am Donnerstag auch ein Vertreter der Ausländerbehörde in Hamburg an. In Bayern und Sachsen-Anhalt hält man hingegen an einer prinzipiellen Option fest, obwohl dort im Moment Abschiebungen von Libanesen gar nicht anstehen. Komme es dazu, müsse darüber nun aber »im Einzelfall« entschieden werden, wie das Magdeburger Innenministerium erklärte.

Das reicht Pro-Asyl-Sprecherin Marei Pelzer nicht aus, die gegenüber junge Welt offizielle Abschiebestopps für alle Bundesländer forderte. Nur so könne den Betroffenen die Sicherheit gegeben werden, nicht doch noch zur Ausreise in das Kriegsgebiet gezwungen zu werden.

http://www.jungewelt.de/2006/07-21/008.php



Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein leitete Kontrollverfahren gegen elf Geldinstitute ein. Verdacht auf Verstoß gegen Bankgeheimnis

Das Unabhängige Landesdatenschutzzentrum Schleswig-Holstein überprüft die elf größten Banken des Bundeslandes wegen des Verdachts, Daten ihrer Kunden an den US-Geheimdienst CIA weitergeleitet zu haben. Dabei werde auch untersucht, welche Vorkehrungen die Geldinstitute dagegen getroffen haben, daß Kundendaten über die in Brüssel ansässige »Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications« (SWIFT) an den US-Geheimdienst gelangen, informierte Landesdatenschutzbeauftragter Thilo Weichert am Dienstag.

Nach Presseberichten hatte der US-Geheimdienst einräumen müssen, daß er solche Daten aus Europa und zur »Fahndung nach terroristischen Geldquellen« schon seit 2001 empfange und auswerte. Weichert vermutet nun, daß davon auch Bankkunden in Schleswig-Holstein betroffen sein könnten.

Dies ist durchaus begründet, denn zur Informationsbeschaffung nutzt die CIA die Firma SWIFT, die seit 30 Jahren als Dienstleister für mehrere tausend europäische Finanzinstitute tätig ist. Die dort verarbeiteten Daten betreffen am Tag zwölf Millionen Finanztransaktionen mit einem Volumen von 4,8 Billionen Euro. In diesen sind auch Informationen zum Zahlungsverkehr von Privatkunden enthalten. Doch die Weitergabe dieser Daten an die CIA sei nicht zulässig, sagte Weichert am Dienstag gegenüber jW. Er wies zugleich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach etwa deutschen Sicherheitsbehörden enge Grenzen bei verdachtsunabhängigen »Jedermann-Kontrollen« auferlegt worden seien. Zudem bestehe aber auch die Befürchtung, daß über die SWIFT und die CIA Finanztransaktionsdaten von europäischen Firmen an amerikanische Konkurrenten weitergeleitet werden.

Für die Wahrung des Bankgeheimnisses tragen die einzelnen Geldinstitute selbst die Verantwortung. Nach einer Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union haben die Banken laut Weichert das Recht, international tätige Organisationen wie SWIFT dazu zu verpflichten, eigene Kundendaten nicht an Dritte weiterzugeben.

http://www.jungewelt.de/2006/07-19/023.php



Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein verlangt großzügige Regelungen für Personen aus dem Libanon

Im Libanon herrscht Krieg. Seit Tagen fordern israelische Bombenangriffe auf Städte im ganzen Land Hunderte Tote und Tausende Verletzte. Im ganzen Land werden systematisch auch zivile Einrichtungen der Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Landebahnen, Sende- und Energieanlagen bombardiert. Vor diesem Hintergrund hat nun der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein am Dienstag Kiels Innenminister Ralf Stegner (SPD) dazu aufgefordert, einen umgehenden Abschiebestopp für Personen aus dem Libanon zu verhängen. Die CDU-SPD-Landesregierung solle zudem durch den Bund die umgehende und großzügige Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Libanon auch in Deutschland vorbereiten.

Begründet hat der Flüchtlingsrat diese Forderungen vor allem mit den Bombardements auf Wohnviertel in Beirut, aber auch mit den militärischen Gewaltattacken Israels auf libanesische Kleinstädte und Dörfer. Die Opfer dieser Gewalt seien fast ausschließlich Zivilisten, sagte Flüchtlingsratsgeschäftsführer Martin Link. Doch während die Bundesregierung deutsche Staatsangehörige evakuiere, blieben Zehntausende einheimische Flüchtlinge nur auf sich selbst gestellt, weil auch internationale Hilfsorganisationen von den Bombardements betroffen sind.

Daß eine Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Libanon bei akutem Bedarf für Deutschland aber durchaus unkompliziert möglich ist, hatte die Bundesregierung zuletzt im Jahr 2000 bewiesen. Damals nahm allein Schleswig-Holstein in kürzester Zeit etwa 400 Angehörigen der sogenannten Südlibanesischen Armee (SLA) auf. Die Kollaborateure mit Israel mußten fliehen, weil sie sich brutalster Verbrechen gegen die libanesische und palästinensische Bevölkerung schuldig gemacht hatten und sich Israel selbst nach zwei Jahrzehnten der Besatzung aus dem Südlibanon wieder zurückgezogen hatte. »Die Großzügigkeit, die Deutschland noch vor wenigen Jahren für diese Täter im libanesisch-israelischen Konflikt hat walten lassen, sollte nun zumindest ebenso für die aktuellen Opfer des Krieges gelten«, forderte Link.

Unterdessen sind allein in den vergangenen fünf Tagen etwa 100000 Libanesen ins Nachbarland Syrien geflohen, um dort den israelischen Angriffen zu entgehen.

http://www.jungewelt.de/2006/07-19/019.php



Friedensbewegung bereitet Proteste gegen Bush-Besuch in Stralsund vor. Linkspartei-Minister wollen sich an Antikriegsaktivitäten beteiligen – möglicherweise fernab in Greifswald

Während US-Präsident George W. Bush in Camp David und Bagdad in den vergangenen Tagen mit seinen Getreuen das weitere Vorgehen im besetzten Irak beraten hat, haben sich Vertreter der deutschen Friedensbewegung auf die Proteste gegen dessen Besuch in Stralsund verständigt. Die Vorbereitungen für die Staatsvisite in Mecklenburg-Vorpommern Mitte Juli laufen auf Hochtouren. Im Mittelpunkt der Aktionsplanung stehen zwei Demonstrationen, die am 14. Juli in Stralsund stattfinden sollen, wie Monty Schädel, Bundessprecher der »Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen« (DFG-VK) am Dienstag gegenüber junge Welt bestätigte. Doch schon für den Abend zuvor sind zahlreiche dezentrale Kundgebungen und Veranstaltungen in über 30 Städten – so etwa in Düsseldorf, Berlin, Hamburg, Bremen, Dortmund, Bochum, Frankfurt (Main), Potsdam sowie in Essen und Worms – vorgesehen. Wie die Aktionen in Stralsund stehen auch sie unter dem Motto »Not welcome, Mr. President. Bush und Merkel: Kriege beenden – Kriegsplanungen stoppen«.

Während sich die Friedensbewegung sehr einig zeigt, gibt es in der Linkspartei.PDS durchaus unterschiedliche Orientierungen. Für eine Teilnahme an den Aktionen in Stralsund mobilisiert etwa der örtliche Linkspartei-Kreisvorsitzende Marc Quintana Schmidt, der dem »Kriegstreiber Bush« direkt vor Ort entgegentreten möchte. Der Landesvorstand seiner Partei hält das für unrealistisch und möchte deshalb zu einem Friedensfest ins 35 Kilometer entfernte Greifswald einladen. Erfahrungen beim Bush-Besuch in Mainz hätten gezeigt, daß Aktionen vor Ort unrealistisch seien, rechtfertigte Linkspartei-Sprecher Kay Spieß Planungen für Fernabproteste.

Inhaltlich will die Friedensbewegung vor allem die Kriegs- und Hegemonialpolitik der US-Administration sowie die »arrogante Machtpolitik« des Präsidenten angreifen. Von der Bundesregierung verlangt sie, mögliche Kriegsaktionen gegen den Iran nicht zu unterstützen. Bisher leiste die Bundesregierung aber »beträchtliche Hilfe für den Kriegskurs der USA«, heißt es in dem Demonstrationsaufruf (siehe unten). Vor allem die »Komplizenschaft mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak« müsse sofort beendet werden. Leider sei nun zu befürchten, daß das Treffen in Stralsund als »Kriegsrat« mißbraucht werde, damit Bush und Merkel dort ihre nächsten Schritte im Konflikt mit Iran abstimmen könnten, sagte dazu Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag. Der Protestprofi wies in diesem Zusammenhang auf »nationale Interessen« Deutschlands hin, Konflikte auch militärisch zu lösen, weshalb sich die Friedensbewegung auch klar von Aktionen der NPD abgrenze, die den Bush-Besuch selbst für ihren Landtagswahlkampf nutzen möchte.

Unterschiedliche Haltungen ruft unterdessen die Aktionsorientierung der Linkspartei.PDS hervor. Während DFG-Mann Schädel auf die Mitarbeit der örtlichen PDS im Friedensbündnis, aber auch auf bundesweite Beschlüsse der Friedensbewegung, in Stralsund zu demonstrieren, hinwies, zeigten sich Friedensgruppen aus Hamburg von der Linkspartei irritiert. Deren Aktivisten warnen davor, daß das Greifswalder Friedensfest durch die zuständigen Versammlungsbehörden auch als Einladung dafür mißverstanden werden könnte, Stralsund selbst für Demonstrationen zu blockieren. Positiv ist immerhin, daß sich – so Linkspartei-Sprecher Spieß – die eigenen Minister an Protesten beteiligen werden.

http://www.jungewelt.de/2006/06-14/006.php

Not welcome, Mr. President!
jW dokumentiert Aufruf der Friedensbewegung

* Am Wochenende trafen sich Vertreterinnen und Vertreter zahlreicher bundesweiter Friedensorganisationen und lokaler Friedensinitiativen in Berlin, um gemeinsame Aktivitäten anläßlich des Besuchs von US-Präsident Bush in Stralsund zu planen. Der zentrale Aufruf zu Protesten steht unter dem Motto »Not welcome, Mr. President Bush und Merkel: Kriege beenden – Kriegsplanungen stoppen!«

Wir empfangen US-Präsident Bush bei seinem Besuch am 14. Juli 2006 in Stralsund mit gebührend breitem Protest. Seine arrogante Machtpolitik wird mittlerweile von einem Großteil der Gesellschaft in den USA abgelehnt. Auch hier muß ihm deutlich gemacht werden, daß er nicht willkommen ist.

Von der Gastgeberin, Bundeskanzlerin Merkel, verlangen wir, daß sie keine Kriegsaktionen gegen den Iran unterstützt. Alle bisherigen Versuche, politische Probleme militärisch zu lösen, sind opferreich gescheitert. Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein! Ein Krieg gegen Iran würde nicht nur viele Menschenleben kosten und die Infrastruktur des Landes zerstören. Die Zivilgesellschaft, die in Frieden und frei von Unterdrückung, solidarisch und demokratisch leben will, würde zerschlagen werden. Dennoch läßt die US-Regierung keinen Zweifel daran, den Iran militärisch angreifen zu wollen.

Selbst den Einsatz eigener Atomwaffen will sie nicht ausschließen. Widerspruch aus Europa kann diese Pläne verhindern. Die Bundesregierung leistete bereits beträchtliche Hilfe für den Kriegskurs der USA: durch die Nutzung der hier gelegenen Militärflughäfen, durch die Bewachung der US-Militäreinrichtungen; durch den Bundeswehreinsatz in Afghanistan und am Horn von Afrika sowie durch die Ausbildungs- und Materialhilfe für irakische Truppen. Diese Komplizenschaft muß beendet werden!

Die Bundesregierung hat erstmals im Krieg gegen Jugoslawien 1999 das völkerrechtlich verbindliche und im Grundgesetz verankerte Verbot des Angriffskrieges gebrochen. Sie betreibt zielstrebig den Umbau der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee. Mit dem angekündigten neuen »Weißbuch« des Verteidigungsministers Jung sollen der »Verteidigungsfall« umdefiniert und weltweite Kampfeinsätze der Bundeswehr gerechtfertigt und zum Normalfall erklärt werden. Innenpolitisch begleitet den sogenannten »Kampf gegen den Terror« ein zunehmender Abbau sozialer Leistungen und demokratischer Rechte. Bald soll die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden. Die Fußballweltmeisterschaft dient als erster Probelauf.

Innenminister Schäuble will durch Folter beschaffte Informationen verwerten und so das weltweite Folterverbot durchlöchern. Die US-Regierung braucht die europäischen Staaten als enge Verbündete für ihre »Koalition der Willigen«, um weitere »Kriege gegen den Terror« führen zu können. Aber die Kriege der USA sind selbst Terror und Quelle immer neuer Gewalt. Tatsächlich geht es ihnen um die Kontrolle der wichtigsten Öl-und anderer Energiequellen im Nahen und Mittleren Osten bis nach Zentralasien.

Wir fordern:

– Kein Krieg gegen den Iran
– Abzug der Besatzungstruppen aus Irak und Afghanistan
– Schluß mit der Beteiligung von NATO, EU und Bundeswehr an den Kriegen weltweit
– Bestrafung aller Verantwortlichen für Folter, Mißhandlung von Gefangenen und Angriffen gegen Zivilisten
– Eine Atomwaffenfreie Zone in der Region des Nahen und Mittleren Ostens
– Eine neue internationale Initiative zu weltweiter systematischer atomarer Abrüstung, wie im Atomwaffensperrvertrag festgelegt
– Einrichtung einer ständigen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten
– Keine Kriege um Öl oder andere Ressourcen: Ausstieg aus Atom- und fossiler Energie, Einstieg in erneuerbare Energien

Dafür treten wir ein:

Um die drängenden Probleme der Menschen global friedlich lösen zu können, braucht die Welt keine Kriegsallianzen, wie sie z.B. bei den G-8-Gipfeln geschmiedet werden, sondern Abrüstung und solidarische Zusammenarbeit. Wir wollen die Respektierung des Völkerrechts, staatlicher Souveränität und Grenzen sowie ein ziviles und soziales Europa mit der Verpflichtung zur Abrüstung. Wir brauchen vorrangig öffentlich geförderte Arbeitsplätze und Investitionen in Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit und Umweltschutz. Dafür werden wir gemeinsam am 14. Juli in Stralsund und am 13. bzw. 15. Juli überall im Land demonstrieren!

http://www.jungewelt.de/2006/06-14/008.php



Bush-Besuch Mitte Juli wird vom größten Polizeieinsatz in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns begleitet

Um den geplanten Besuch von US-Präsident George W. Bush am 13. /14. Juli in Stralsund gibt es erneut heftigen Streit. So forderte am Freitag die Fraktionschefin der Linkspartei.PDS im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Angelika Gramkow, die Bundesregierung auf, die Kosten für die Sicherheit zu übernehmen. Bush sei im Juli schließlich nicht auf Einladung der Landesregierung, sondern der Bundesregierung im Land. Ähnlich äußerte sich auch Landesinnenminister Gottfried Timm (SPD).

Doch solche Debatten hält Mecklenburgs CDU-Generalsekretär Lorenz Caffier für »kleinkariert«. Wer wie Timm und Gramkow eine öffentliche Debatte über die Kosten der Sicherheit führe, zeige nur, daß ihm der Besuch des US-Präsidenten eigentlich nicht passe. Immerhin 15000 Einsatzkräfte will die Landesregierung nach den Planungen ihres Innenministeriums für die Sicherheit des Merkel-Gastes aufbringen, was auf den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns hinausläuft.

Bürger und Touristen werden ebenfalls ihren Beitrag leisten. Diese allerdings eher unfreiwillig, wenn am 13. und 14. Juli ganze Stadtbezirke hermetisch abgeriegelt werden. Betroffen ist jedoch nicht nur Stralsund, sondern auch Rostock, wo das Flugzeug mit dem Präsidenten am 13. Juli landen wird. Schon einen Tag zuvor sind aber die 15000 Sicherheitskräfte im Einsatz, zu denen nicht nur 7000 Bereitschaftspolizisten zählen, sondern auch Sondereinsatzkommandos, Hubschrauberbesatzungen, Präzisionsschützen, Spürhunde und Taucher. Mit dabei sind ebenfalls 33 Notärzte und 83 Rettungssanitäter sowie 13 Polizeiseelsorger.

Das aber kann Mecklenburg-Vorpommern allein nicht wuppen, weshalb Timm sich nun an seine Amtskollegen in den übrigen Ländern wandte. Diese sollen, wie auch die Bundesregierung, ihren Teil zur Sicherheit des US-Präsidenten aufbringen. Dabei wird Mecklenburg-Vorpommern Mitte Juli nicht nur mit eigenen Kräften in ein Notstandsgebiet verwandelt, sondern auch durch Sicherheitskräfte, die Bush selbst mitbringt. Von 800 bis 1200 Spezialkräften ist die Rede, die ihren obersten Chef auf Schritt und Tritt begleiten werden. Es geht um rund 400 Straßenkilometer, an denen vielerorts Kanaldeckel und andere potentielle Schlupflöcher unliebsamer Kameraden zugeschweißt werden sollen. Nur den geringsten Teil dieser Straßen wird Bush wirklich sehen, denn eigentlich wird er zwischen Rostock und Stralsund mit dem Hubschrauber befördert. Bei den Straßen handelt es sich vor allem um »Ausweichstrecken«, die gesichert werden sollen.

Begründet wird dieses Sicherheitsspektakel angeblich unter anderem mit den geplanten Protestaktionen der Friedensbewegung, die für den 14. Juli zur Demonstration gegen Bush in Stralsund aufruft. Schon am Tag zuvor soll es auch in anderen Bundesländern wie in Berlin zu regionalen Kundgebungen kommen. Die »Koalition der Unwilligen«, wie sich etwa ein regionales Aktionsbündnis in Berlin genannt hat, will für die Teilnahme an der Demo in Stralsund auch eigene Busse anmieten.

http://www.jungewelt.de/2006/06-10/035.php



2 Kommentare

Am Pfingstwochenende sind über den Leipziger Flughafen rund 400 US-Soldaten in Nachschubgebiete für den Irak- und Afghanistan-Krieg transportiert worden. Dies bestätigte Volker Külow, Mitglied des sächsischen Landtages für die Linkspartei.PDS, am Dienstag gegenüber junge Welt. Er bewertete das als einen »klaren Verstoß« gegen den 1990 geschlossenen Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der den Transport von NATO-Truppen über das frühere Gebiet der DDR ausdrücklich ausschließt. Doch nun seien derartige Truppentransporte in Leipzig unter anderem durch Fotos nachgewiesen worden, sagte Külow, der zugleich ankündigte das Thema nun auch in den Landtag zu bringen. Dort solle die Staatsregierung die Parlamentarierer »lückenlos« aufklären.

Bereits in der vorigen Woche hatte der Nachrichtendienst »German-for­eign-Policy« auf solche Truppentransporte hingewiesen, die nach Angaben von Friedensgruppen in Leipzig am 23. Mai stattgefunden hatten. Wie am vergangenen Wochenende waren dafür Flugzeuge des US-Militärlogistikers »World Airways« eingesetzt worden, der US-Soldaten bislang vor allem mit Zwischenstopp über Shannon in Irland in die Kriegsgebiete transportiert hatte. Doch der NATO-Flughafen in Shannon soll geschlossen werden, weshalb Friedensgruppen befürchten, daß Leipzig nun dauerhaft als neue Drehscheibe für das US-Militär genutzt werden könnte. Über Shannon wurden bisher pro Quartal rund 117000 US-Soldaten in die Kriegsgebiete transportiert.

Von einem »Urlaubsdrehkreuz für US-Truppen« sprachen hingegen Vertreter des Leipziger Flufghafens, die offenbar bemüht waren, die Sache herunterzuspielen. Doch auch der reine Rücktransport von US-Truppen nach einem Kriegseinsatz, z.B. in dem kürzlich durch ein Massaker an Zivilisten bekanntgewordenen Haditha, oder in den Heimaturlaub wäre nach dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag rechtswidrig.

Die Nutzung des Leipziger Flughafens für militärische Zwecke hatte unterdessen schon im März begonnen, als Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dort, wie berichtet, das NATO-Luftdrehkreuz »Strategic Airlift Interim Solution« (SALIS) eröffnete. Doch bislang sprach Jungs Generalstab immer nur vieldeutig von der Schaffung »strategischer Lufttransportkapazitäten für die Streitkräfte«. Die dafür in Leipzig stationierten Großraumtransporter des Typs Antonow An-124-100 würden vorrangig für Materialtransporte eingesetzt, so für den bevorstehenden Einsatz europäischer Truppen im Kongo. Von Truppentransporten durch US-Maschinen war hingegen nicht die Rede.

Noch im März hatte das Verteigungsministerium erklärt: »Es werden in Leipzig-Halle keine NATO- bzw. EU-Truppen stationiert. Die Nutzung des Flughafens Leipzig-Halle als Be- und Entladeort wird eher die Ausnahme darstellen.«

Als nun erste Maschinen auch von World Airways in Leipzig auftauchten, hieß es, daß diese Maschinen dort nur betankt werden. Inzwischen hat Flughafensprecher Uwe Schuhart die Truppentransporte von US-Soldaten bestätigt, die er allerdings verharmlosend als »Urlaubsflüge« bezeichnete, die ab 1.Juli regelmäßig stattfinden sollen.

Fast 1,3 Milliarden Euro öffentliche Fördergelder – so Linkspartei-Abgeordneter Külow – haben der Bund, das Land und die Stadt Leipzig in den vergangenen Jahren in den Ausbau des sächsischen Airports gesteckt. Doch wie sich nun herausstellt offenbar nicht nur für die Förderung der Zivilluftfahrt, sondern für militärstrategische Zielsetzungen.

http://www.jungewelt.de/2006/06-07/055.php



Rosenkäufer sollen Blumenimporteure auffordern, sich bei den Lieferanten in Kolumbien für eine freie Gewerkschaftsarbeit einzusetzen. Ein Gespräch mit Aidé Silva Mateus
Aidé Silva Mateus ist Vorsitzende der kolumbianischen Blumenarbeitergewerkschaft Untraflores

Interview: Andreas Grünwald

F: Allein in Deutschland werden jährlich Rosen im Wert von einer Milliarde Euro verkauft. Viele dieser Blumen kommen aus Kolumbien. Welche Bedeutung hat dies für Ihre Volkswirtschaft?

Der internationale Rosenmarkt gehört zu den wichtigsten Devisenquellen des Landes, weshalb auch die Anbauflächen ständig wachsen. Unsere Rosen werden vor allem in die USA gebracht. Gewinnbringend werden sie auch in Deutschland, Japan und Rußland verkauft. Doch dafür müssen auf den Plantagen 90000 Menschen, überwiegend Frauen, unter den erbärmlichsten Bedingungen schuften.

F: Hat sich die Ausbeutung der Blumenarbeiter noch verschärft?

Das Pensum ist durch ein neues Arbeitssystem noch einmal gestiegen. Einzelne Gruppen müssen nun monatelang die gleichen Tätigkeiten, zum Beispiel in gebückter Haltung ausüben. Erkrankungen wie Rückenleiden oder Sehnenscheidenentzündungen nehmen damit zu. Die zuständigen Stellen weigern sich aber häufig, sie dann auch als Berufskrankheit anzuerkennen. So werden die Kranken ohne Entschädigung und ohne Rente einfach entlassen. Die Ausbeutung nimmt aber auch durch Subunternehmen zu, die nur noch befristet einstellen. In Stoßzeiten sind Vertragslaufzeiten von acht bis 15 Tagen keine Seltenheit mehr. In diesen Zeiten arbeiten wir auch schon mal 36 Stunden ohne längere Pause.

F: Ruht die Arbeit denn zumindest nach der Behandlung der Rosen mit Pestiziden?

Nach dem Gesetz schon – je nach Giftkategorie bis zu 18 Stunden. Doch ich kenne kein einziges Unternehmen, das sich daran hält. In der Regel müssen wir schon nach ein oder zwei Stunden wieder in die Gewächshäuser, wenn das Gift gerade mal getrocknet ist. 2003 kam es zu einem großen Unfall, als auf einer Plantage gleich 380 Arbeiter in Ohmacht fielen. Doch die Firma kam mit einer kleinen Geldstrafe davon; bis heute gibt es niemanden, der die Pestizideinsätze kontrolliert.

F: 2001 haben Sie dann Ihre Gewerkschaft gegründet.

Zunächst als Industriegewerkschaft. Doch gezielt strichen die Unternehmer unseren Mitgliedern alle Vergünstigungen und bedrohten sie sogar mit Kündigungen. Der Druck war so groß, daß wir landesweit nur noch sechs Mitglieder hatten. Erfolg brachte dann eine Doppelstrategie, bei der wir zusätzlich zum Dachverband auch Betriebsgewerkschaften gründeten. Vorstandsvertreter der Betriebsgewerkschaften haben nach dem kolumbianischen Arbeitsgesetz einen gewissen Kündigungsschutz. Heute haben wir 1 600 Mitglieder und sind in fünf großen Betrieben verankert.

F: Was können Rosenkäufer z. B. in Deutschland tun, um Ihre junge Gewerkschaft zu unterstützen?

Die Unternehmer haben Angst vor internationaler Solidarität, denn sie fürchten, daß dadurch ihr Bild von der sauberen Rose aus Kolumbien angekratzt wird. Das könnte zu Marktverlusten führen. 2003 war ich schon einmal in Deutschland und habe damals mit Blumenimporteuren diskutiert, was dann sofort eine nachhaltige Wirkung in meinem eigenen Betrieb hatte. Seitdem ist es mir erlaubt, zum Arzt zu gehen, um dort mein durch Pestizide verursachtes Asthma behandeln zu lassen. Natürlich erhalte ich dann keinen Lohn.

Gut wäre es, wenn Rosenkäufer ihre Blumenimporteure auffordern, sich ihrerseits bei den Lieferanten in Kolumbien für eine freie Gewerkschaftsarbeit einzusetzen.

http://www.jungewelt.de/2006/05-09/002.php



Hamburg. In Hamburg macht die Friedensbewegung gegen einen eventuellen Luftangriff der USA auf den Iran mobil. Dafür verabschiedeten am Donnerstag abend rund 150 Friedensaktivisten in Hamburg einen ersten Aufruf. »Wir haben keine Sympathie für das iranische Regime«, heißt es darin; doch ein Krieg »wäre ein Verbrechen«. Eine erste Protestkundgebung gegen den drohenden Krieg soll bereits am heutigen Samstag um 13 Uhr am Bahnhof Altona stattfinden. (ag)

http://www.jungewelt.de/2006/03-25/044.php



Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt: Iranische Oppositionsgruppen in der Bundesrepublik

Unlängst jährte sich zum dritten Mal der Beginn des Irak-Krieges. Für die Friedensbewegung ein Anlass auch vor Maßnahmen gegen den Iran zu warnen, mit dem die USA-Administration unter dem Vorwand der Ausschaltung von Atomanlagen einen Regierungswechsel in Teheran herbeiführen will. Doch Protest dagegen kommt nicht nur aus der Friedensbewegung, sondern auch von Exil-Iranern.

Die exiliranischen Gruppen fürchten, dass ein Krieg die Mullahs eher stärkt, während demokratische Widerstandsbewegungen zurückgeworfen werden. So sieht es etwa Nosrat Taymoorzadeh vom »Komitee der Solidarität mit den iranischen Arbeitern«, das sich nach den Busfahrerstreiks in Teheran (ND berichte) bildete. Ein drohender Krieg gegen den Iran sei nur Bestandteil jener »jahrzehntelangen Bemühungen der USA«, das Land mit seinen Erdölreserven zu unterwerfen. Käme jetzt ein Krieg, würde sich die Unterdrückung durch die Führung der islamischen Republik und unter dem »Deckmantel der Verteidigung des Vaterlandes« weiter verstärken.

Das sieht auch Zaman Masudi vom Koordinationsrat der Iranerinnen und Iraner in Hamburg so, die erst kürzlich einen »Marsch gegen Frauenunterdrückung« mit- organisierte, bei dem mehrere tausend Frauen von Frankfurt (Main) über Mainz, Köln und Düsseldorf zum internationalen Gerichtshof in Den Haag zogen. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, klagten sie dort die Frauenunterdrückung im Iran an, wo Auspeitschungen und Steinigungen, aber auch Hinrichtungen und Folterungen wegen angeblichen Ehebruchs nach wie vor auf der Tagesordnung sind. Doch nicht minder vehement wandten sich die Frauen gegen die Kriegsdrohungen aus den USA.

Solche Aktionen zur Unterstützung von Widerstandsbewegungen in der Heimat sind typisch für die meisten Exil-Gruppen, wie man sie in Deutschland vor allem in Hamburg, Berlin, Köln oder Frankfurt (Main) antrifft. Wir können den Kampf im Iran nur unterstützen, ihn aber nicht ersetzen, sagte dazu Taymoorzadeh gegenüber ND, der sich als politischer Flüchtling schon vor vielen Jahren in der Hansestadt eine neue Existenz als Buchdrucker aufgebaut hat.

Wie Masudi kommt auch Taymoorzadeh aus einer der vielen marxistischen Gruppen, die sich in den 60er Jahren von der kommunistischen Tudeh-Partei abspalteten, um für eine sozialistische Gesellschaft zu kämpfen, während sich die Tudeh-Partei selbst sechs Jahre lang als ein treuer Bündnispartner von Ajatollah Chomeini erwies. Ein historischer Irrtum, den zahlreiche Mitglieder mit ihrem Leben und die einst einflussreiche Partei mit einen starken Bedeutungsverlust bezahlen mussten.

Viele aktive Immigranten kommen aus solchen marxistischen Gruppen, deren Mitglieder schon Anfang der 70er Jahre vor dem Schah und später dann vor dem Chomeini-Regime flüchten mussten. Doch in Deutschland trifft man sich eher in überparteilichen Gruppen, wo die konkrete Solidaritätsarbeit im Vordergrund steht.

Verbindung in die Heimat schaffen Chaträume im Internet, wo Diskussionen mit Aktiven aus der Frauen- und Studentenbewegung oder, wie im Fall des Busfahrerstreiks, mit lokalen Gewerkschaftsaktivisten auch aus dem Iran stattfinden. Hier setzt man auf soziale Bewegungen, denn die Armut und das Elend sind groß. Die Arbeitslosenquote liegt im Iran bei über 30 Prozent und in Folge dieser Armut sind vier Millionen Menschen drogenabhängig. Es sind vor allem die jungen Menschen unter 30, denen das Mullah-Regime kaum mehr etwas zu bieten hat. Und sie stellen immerhin 60 Prozent der iranischen Bevölkerung.

So vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Nachrichten über Widerstandsaktionen eintreffen. Mut macht vor allem, dass die Frauen- und die Arbeiterbewegung Fortschritte macht, denn es ist keine Kleinigkeit, wenn sich unter Teheraner Bedingungen 13 000 Busfahrer in einer unabhängigen Gewerkschaft organisierten. Doch wie schwierig ein demokratischer Umsturz in der Heimat wird, zeigt ebenfalls die Situation im Exil, wo neben den linken Gruppen auch Monarchisten und islamische Volksmudschahedin aktiv sind. Sie unterstützen die Ambitionen der USA on, während es Diskussionen mit den linken Gruppen kaum gibt.

Quelle: Nur Print-Ausgabe vom 24. März 2006 / Seite 13



Hamburg. Die Linkspartei-Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Antirassismus hat die Forderung des Bundestagsabgeordneten Hakki Keskin, den sogenannten Talat-Pascha-Marsch in Berlin nicht zu verbieten, scharf verurteilt. Wie berichtet, wollen türkische Nationalisten am Samstag an den ehemaligen osmanischen Innenminister Talat Pascha erinnern, der vor 85 Jahren in Berlin von einem armenischen Attentäter ermordet wurde. Talat Pascha gilt als Hauptverantwortlicher für den Genozid an der armenischen Bevölkerung. Der Aufmarsch in Berlin steht unter der Losung »Stoppt die Lüge vom Völkermord an den Armeniern«. Dokumente, die den damaligen Völkermord beweisen, bezeichnete Keskin als »gefälscht«.

Keskins Position laufe auf eine Leugnung des Völkermords hinaus, kritisierte Yavuz Fersoglu von der Linkspartei gestern in Hamburg. In einem Brief an den Fraktionsvorstand fordert Fersoglu die Linksfraktion zu einer klaren Stellungnahme gegen den Aufmarsch auf. Die Leugnung des Völkermords dürfe »keine Stimme« in der linken Fraktion mehr haben.

(jW)

http://www.jungewelt.de/2006/03-17/024.php



Exilgruppen starten »Marsch gegen Frauenunterdrückung« von Frankfurt/Main nach Den Haag

Zahlreiche iranische Exilgruppen haben zu einem »großen Marsch gegen Frauenunterdrückung von Deutschland nach Holland« aufgerufen. Er soll Teil einer Kampagne gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran sein und am Sonnabend in Frankfurt am Main beginnen. Der Weg soll über Mainz, Köln und Düsseldorf bis nach Den Haag führen, wo am 8. März, dem internationalen Frauentag, eine Kundgebung vor dem Internationalen Gerichtshof stattfinden soll.

In ihrem Aufruf verweisen die Initiatorinnen auf die brutale Unterdrückung von Frauen durch das Regime in Teheran. Nach wie vor seien dort Auspeitschungen und Steinigungen durch das islamische Rechtssystem geschützt. Hinrichtungen und Folterungen wegen angeblichen Ehebruchs seien an der Tagesordnung. Mit ihrem Aufmarsch wollen die Veranstalter erreichen, daß der internationale Gerichtshof diese Verletzung der Menschenrechte anklagt.

Gleichzeitig wenden sich die Veranstalter vehement gegen die anhaltenden Kriegsdrohungen gegen den Iran aus den USA. So soll auf einem der Haupttransparente »Imperialisten – Hände weg vom Iran« gefordert werden. Darüber hinaus werden die »Freilassung aller politischen Gefangenen«, ein Ende der Polygamie sowie die »Trennung von Staat und Religion« eingefordert.

Unterstützt wird die Veranstaltung durch den Hamburger Völkerrechtler und Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion, Professor Norman Paech.

http://www.jungewelt.de/2006/03-02/026.php



IG BAU befürchtet durch Bolkestein-Richtlinie weiteres Lohndumping. Am heutigen Dienstag wird in Strasbourg demonstriert. Ein Gespräch mit Andreas Steppuhn

* Andreas Steppuhn ist Mitglied des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bauen- Agrar-Umwelt (IG BAU) und außerdem Bundestagsabgeordneter der SPD

F: Am Samstag haben in Berlin 40000 Menschen gegen die Verabschiedung der Bolkestein-Richtlinie durch das Europäische Parlament demonstriert. Die IG BAU ruft auch zu der Protestdemonstration auf, die am heutigen Dienstag in Strasbourg stattfindet. Warum sind Sie gegen die Richtlinie?

Im ihrem Entwurf ist das sogenannte Herkunftslandprinzip – wenn auch nicht mehr mit diesem Begriff – verankert, wonach Beschäftigte aus dem Ausland in Deutschland zu den Bedingungen ihres Heimatlandes arbeiten dürften. Das würde einen großflächigen Prozeß des Sozial- und Lohndumpings auslösen.

F: Die EU-Kommission argumentiert, daß dadurch 600000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen könnten.

Das glaube ich nicht. Vielmehr würden sich vorhandene Arbeitsplätze verlagern. Die Probleme, die wir mit Schwarzarbeit und Lohndumping haben, würden sich noch verschärfen.

F: Was wären die Folgen auf den Baustellen?

Nach der Richtlinie könnte eine polnische Firma mit polnischen Arbeitskräften und zu polnischen Arbeitsbedingungen hier auf den Markt gehen. Damit würden Mindestlöhne am Bau keine Rolle mehr spielen. Es wäre aber auch denkbar, daß sich deutsche Bauunternehmer formal im Ausland ansiedeln, um dann hiesige Arbeitnehmer zu den schlechteren Bedingungen des Auslands zu beschäftigen. Damit würden sich die Arbeitsbedingungen in allen Ländern der EU verschlechtern, und bestehende Arbeitsplätze wären gefährdet.

Außerdem müßten Entsendefirmen hiesige Sicherheitsbestimmungen nicht mehr einhalten. Wir hätten keine Kontrolle mehr über das, was auf den Baustellen geschieht, weil unsere Arbeitsschutzbestimmungen nicht mehr greifen würden. Durch schlechteres oder fehlendes Arbeitsmaterial – zum Beispiel im Gerüstbau – wären die Menschen weitgehend ungeschützt. Entfallen würde auch die Pflicht, Schutzhelme und Sicherheitsschuhe zu tragen.

F: Warum hatten Sie auch zu der Demo in Berlin aufgerufen? Sollte da Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden?

Laut Koalitionsvertrag akzeptiert die Bundesregierung den bisherigen Richtlinienentwurf nicht. Jetzt ist es wichtig, daß die Bundesregierung auch in Brüssel eine klare Position bezieht. Auch dafür wollen wir Druck ausüben.

F: Vergangene Woche Mittwoch haben sich Vertreter der sozialdemokratischen und der konservativen EU-Parlamentsfraktionen auf einen Kompromiß zur Richtlinie geeinigt. Das Wort »Herkunftslandprinzip« soll demnach ganz aus der Richtlinie gestrichen werden.

Damit zeigen bisherige Proteste eine erste Wirkung. Allerdings bin ich eher verhalten optimistisch, denn wir müssen uns die Details erst mal genau anschauen. Es kommt ja nicht auf die Streichung einzelner Worte, sondern auf die Sache an. Wir müssen aufpassen, daß sich ähnliche Absichten nun nicht auf andere Weise durchsetzen. Zudem stehen die Parlamentsberatungen ja noch aus. So lange aber keine Entscheidungen in unserem Sinne getroffen sind, bleiben die Demonstrationen wichtig.

F: Kritiker des Kompromisses sagen, daß dieser nichts taugt, weil es damit gravierende Einschnitte in die nationale Gesetzgebung gibt. Regulierungen zur Leiharbeit sollen ganz entfallen.

Für eine abschließende Beurteilung ist es noch zu früh. Ich warte da ab, bis mir ein endgültiger Text vorliegt. Doch die Streichung des Herkunftslandprinzips ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung.

F: Zur Demo in Berlin hatte auch SPD-Vorsitzender Matthias Platzeck aufgerufen. Doch andererseits gibt es sozialdemokratische Europaabgeordnete, wie etwa den Aachener Martin Schulz, die für die Annahme des Richtlinienentwurfs sind. Wie bewerten Sie das?

Die SPD hat als Gesamtpartei eine klare und ablehnende Position zum vorgelegten Richtlinienentwurf bezogen. Daraus entsteht dann auch der Druck auf die Parlamentsfraktion in Strasbourg, wo es noch unterschiedliche Meinungen gibt. Ich leite daraus ab, daß wir diesen Druck noch verstärken müssen, damit Positionen herauskommen, die klar von Arbeitnehmerinteressen ausgehen.

F: Wie viele Mitglieder der IG BAU haben sich am Samstag an der Demo in Berlin beteiligt?

Ich gehe von 20000 Mitgliedern aus. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Demo für unsere Verhältnisse relativ kurzfristig festgelegt wurde und einige Bezirke schon für die heutige Demo in Strasbourg mobilisieren.

http://www.jungewelt.de/2006/02-14/052.php



Norddeutsche Bundesländer bitten Kanzlerin Merkel um Referenzstrecke für Magnetbahn

Die Regierungschefs der fünf norddeutschen Bundesländer haben sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam um eine Referenzstrecke für den Transrapid beworben, die die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hatte. Mit Unterstützung der Landesregierungen aus Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen hat deshalb der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern Harald Ringstorff (SPD) in der vergangenen Woche einen Brief an Merkel geschrieben, in dem er eine Streckenführung von Amsterdam über Groningen bis nach Hamburg vorschlug. Später könne die Strecke dann in Richtung Berlin, Warschau und Prag ausgebaut werden.

Dieser Griff in die verkehrspolitische Mottenkiste – seit Jahrzehnten sind alle Transrapidprojekte in Deutschland wegen Unwirtschaftlichkeit sowie am harten Widerstand von Umweltschutzverbänden gescheitert – ist vor allem wegen der Beteiligung der Landesregierung aus Schwerin überraschend, die bisher Transrapidprojekte konsequent abgelehnt hatte. Schon 1998 war dies einer der Kernpunkte auch des Koalitionsvertrages mit der PDS. Doch während sich die Linkspartei zum Vorstoß ihres Ministerpräsidenten zurückhält, kommt Kritik vor allem von der oppositionellen CDU. Diese warf Ringstorff »Unglaubwürdigkeit« und ein doppeltes Spiel vor.

Doch der wirkliche Initiator der Bewerbung dürfte nicht Ringstorff, sondern Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gewesen sein, der nun seit Jahren seinen Traum von der wachsenden Metropole an Alster und Elbe träumt. Dazu rechnet Beust auch den weiteren Ausbau der Stadt zum Verkehrsknotenpunkt zwischen Nord, Süd, Ost und West. Verkehrsstrategen des Bürgermeisters basteln seit langem an der Streckenführung für die Magnetschwebebahn zwischen West und Ost, aber auch einer solchen von »Stockholm bis Budapest«.

Wider aller Vernunft wurde die in Deutschland bislang gescheiterte Transrapidtechnik auch in den sieben Jahren der SPD/Grünen-Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) niemals aufgegeben. Sie lebt vor allem durch staatliche Subventionen, während alle konkreten Magnetbahnprojekte bislang in Deutschland scheiterten. 182 Millionen Euro aus Steuermitteln hat dies allein im Zeitraum zwischen 2002 und 2005 gekostet. Das wird auch unter Merkel fortgesetzt, obwohl die einzige Transrapidstrecke, die es weltweit bisher gibt und die Kanzler Schröder 2002 in der Volksrepublik China einweihen konnte, auch nach drei Jahren ihrer Existenz tief in den roten Zahlen steckt.

Scharfe Kritik zum Vorstoß der Ministerpräsidenten kommt unterdessen von den Grünen, deren verkehrspolitischer Sprecher in Schleswig-Holstein, Klaus Müller, seinem Regierungschef Verschwendungssucht vorwarf. Das Land benötige keine Hochgeschwindigkeitszüge, sagte Müller, sondern die Verbesserung der regionalen und öffentlichen Schieneninfrastruktur. Wenn ein Projekt notwendig wäre, sei dies ein Metroexpreß, der viele hunderttausend Bürger allein in Schleswig-Holstein endlich an den Schienenverkehr anschließen könne.

http://www.jungewelt.de/2006/02-13/020.php



Trotz aller Drohungen heute erneut Nahverkehrsstreik in Teheran

Freie Gewerkschaften sind verboten im Land der Mullahs. In Teheran hat sich trotzdem eine Busfahrergewerkschaft etabliert, die trotz aller Repression nicht locker lässt.

Mit einem dramatischen Appell an »Gewerkschaften und fortschrittliche Organisationen« hat die »Gewerkschaft öffentlicher Busbetriebe von Teheran und Umgebung« (Vahed) am Mittwoch um internationale Solidarität mit den Busfahrern der iranischen Hauptstadt gebeten. Diese waren am Samstag erneut in einen Streik getreten, der aber dann durch paramilitärische Verbände, unter ihnen die berüchtigten Basiji, die noch von Khomeini gegründet wurden, zusammengeprügelt wurde. Über 700 Busfahrer wurden verhaftet.

Die Gewerkschaft wollte mit dem Streik ihre offizielle Anerkennung und einen Tarifvertrag durchsetzen. Ebenfalls wurde die Freilassung des Gewerkschaftsvorsitzenden Mansur Ossanlou gefordert, den Sicherheitskräfte bereits am 22. Dezember verhaftet hatten. Ihm soll ein politischer Prozess wegen »Kontakte zu ausländischen Organisationen« gemacht werden.

Schon im Dezember hatten über 6000 Busfahrer in Teheran gestreikt. Der öffentliche Nahverkehr in der Millionenmetropole brach für einen Tag fast völlig zusammen. Daraufhin sagte die Stadtverwaltung die Prüfung der Forderungen zu. Doch dann geschah nichts, weshalb nun länger gestreikt werden sollte.

Doch anders als im Dezember, als niemand der jungen Gewerkschaft, die sich erst im Juni 2005 gegründet hatte, diese Mobilisierungskraft zugetraut hatte, waren Irans Machthaber am Samstag vorbereitet. Teherans Bürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf, ein ehemaliger General der Revolutionsgardisten Pasdaran, erklärte den Streik für illegal. Milizen der Basiji und der Pasdaran besetzten die Busdepots und alle großen Verkehrsknotenpunkte. So konnten Streikwillige gleich Samstag früh verprügelt, verjagt oder auch verhaftet werden. Andere Busfahrer wurden mit Waffen zur Arbeit gezwungen. Schnell war der Streik niedergeschlagen.
Hunderte sind noch im Gefängnis. Sie weigern sich, aus der Gewerkschaft auszutreten, die für heute erneut zum Ausstand aufgerufen hat. Dieses Mal sollen die Busdepots gemieden werden, die Fahrer einfach zu Hause bleiben. Gefährlich ist das trotzdem, denn schon am Samstag wurden auch Kinder und Familienangehörige mit verhaftet, die nun von »Radio Teheran« als »Landesverräter« bezeichnet werden. Deshalb hoffen die Busfahrer auf internationale Solidarität.

Die kommt unter anderem aus Hamburg, wo Norman Paech, Völkerrechtler und Bundestagsabgeordneter der Linken, die sofortige Freilassung von Mansur Ossanlou und aller Inhaftierten forderte. Gemeinsam mit den Landesverbänden von Linkspartei.PDS und WASG hat Paech Berlin aufgefordert, sich für die Wahrung der Menschenrechte in Iran einzusetzen, statt sich auf eine Eskalation in der Nuklearfrage einzulassen.

Der Konflikt in Teheran hat grundsätzliche Bedeutung, weil nach iranischem Gesetz unabhängige Gewerkschaften (damit auch Tarifverträge) verboten sind. Nur »islamische Arbeiterräte« werden anerkannt. Doch von den 17 000 Mitarbeitern der staatlichen Busbetriebe soll sich der größte Teil der neuen Gewerkschaft angeschlossen haben. Jetzt fürchten die Machthaber, dass das Beispiel Schule macht und das Herrschaftssystem destabilisiert wird. Schließlich sind Busfahrer schon berufsbedingt echte Multiplikatoren.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=85121&dc=42&db=Archiv