30. Mai 2008

Hamburgs Sonny-Boy Ole von BeustKoalition aus CDU und Grünen in der Hansestadt verkauft Ein-Euro-Jobs als Innovation. SPD und Linkspartei rücken zusammen. Eimsbüttel macht den Ausreißer

Mit einer Regierungserklärung vor der Bürgerschaft hat Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am Mittwoch nachmittag die Philosophie seines neuen »schwarz-grünen« Senats offenbart. Jenseits »durchschnittlichen Denkens« überwinde die Koalition mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) »alte Gegensätze zwischen links und rechts« und bringe so eine Modernisierung von Staat und Gesellschaft zustande. Beispielhaft verdeutlichte er dies am Beispiel der 470000 in Hamburg lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Auch seine Partei müsse begreifen, daß deren bessere Integration für den Standort gut sei. Die mit »ökologischen Aspekten« durchsetze Wirtschaftspolitik müsse sozial- und bildungspolitisch so flankiert werden, daß die »Versorgungsmentalität kreativ aufgebrochen« werde. Haushaltsumschichtungen dafür seien möglich, neue Schulden schließe er hingegen aus, so von Beust.

»Verkrustete Strukturen« aufbrechen will auch Jens Kerstan, Frak­tionschef der Grünen. Ein Kerngedanke des neuen Bündnisses bestehe darin, »individuelle Lösungen für individuelle Probleme« zu finden, sagte er in der Plenardebatte. »Lücken in der Sozialversorgung einzelner Stadtteile« werde die neue Koalition mit Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik schließen. Als da wären: 4000 neue Kombi- und Ein-Euro-Jobs. Ähnlich »kreativ« zeigte sich Kerstan dann auch bei der Frage der bislang von seiner Partei bekämpften Vertiefung der Elbfahrrinne. Das Problem sei halb so wild, denn dafür gäbe es jetzt einen »ökologischen Ausgleichsfond«.

SPD-Fraktionschef Michael Naumann ging die Debatte auf die Nerven: »Faule Kompromisse« könne man so nicht verkleistern. »Die Gebühren für Schulen, Kindertagesstätten, Lernmittel, ja selbst für Obdachloseneinrichtungen, die ihr jetzt akzeptiert«, ließen sich nicht wegdiskutieren, hielt er den Grünen entgegen. Kein gutes Haar ließ der SPD-Mann an der neuen, sechsjährigen Grundschule. Da diese sowohl an Gymnasien wie an den Stadtteilschulen eingerichtet werde, verstärke sie die soziale Selektion. Neumann versprach eine »kraftvolle Opposi­tion« und wandte sich überraschend an Die Linke. Deren Hang zum Populismus teile er zwar nicht, doch eine engere Zusammenarbeit sei in vielen Fragen angesagt.

Linksfraktionschefin Dora Heyenn ging darauf nicht ein. Auffällig war aber doch, daß sie den »Systemwechsel in der Gesundheits- und Sozialpolitik« dann nur an Maßnahmen der CDU festmachte. SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor. Der neue Senat sei »eine Koalition der Opernbesucher«, rief sie Grünen und Christdemokraten zu und bekam kräftigen Beifall von Neumann. Als hätte es die jahrelange Feindschaft nicht gegeben, stehen die Zeichen auf Annäherung der beiden Oppositionsparteien. SPD-Landeschef Ingo Egloff überraschte am Dienstag mit der Aussage, daß ein Bündnis mit den Linken, die er bislang wahlweise als »Dummköpfe«, »Stalinisten« oder »Sektierer« bezeichnet hatte, nach der Bürgerschaftswahl 2012 denkbar sei.

Noch einen Schritt weiter ging die Kreisorganisation der Eimsbüttler SPD. Auf einem Parteitag beschloß sie Anfang der Woche, eine Koalition mit der Linkspartei auf Bezirksebene anzustreben. Da wäre auch die Eimsbüttler GAL im Boot, und »rot-rot-grün« hätte die Mehrheit in der Bezirksversammlung. Ob es zu einer solchen Koalition in Eimsbüttel komme, sei aber noch »völlig offen«, versicherte die Linke-Bezirkssprecherin Cornelia Hippler-Sattler am Donnerstag gegenüber junge Welt. Über die Aufnahme von Gesprächen müsse eine Mitgliederversammlung am 9. Juni entscheiden. Nach uns vorliegenden Informationen, haben solche Gespräche aber längst stattgefunden. SPD Kreischef Jan Pörksen sicherte der Linken dabei zu, alle Forderungen ihres Wahlprogramms zu unterstützen, unterzeichne diese einen Bezirks-Koalitionsvertrag.

Anmerkung: Die im obigen Artikel kursiv wiedergegebenen Texte wurden für die Veröffentlichung in der Tageszeitung „Junge Welt“ leider aus Platzgründen gestrichen. Zudem schlich sich dort ein Fehler ein: Aus dem Satz „SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor“ (in dem Absatz zu Dora Heyenn) wurde der Satz „SPD und Grüne blieben außen vor“, was aber richtig falsch ist, denn die Grünen kritisierte Heyenn äußerst scharf.

Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 30. Mai 2008
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27. Mai 2008

Der Lack ist ab: Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bekam, wie auch die SPD, bei den Kommunalwahlen die Quittung für seine PolitikBei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein setzte Die Linke ihre Erfolgsserie in den alten Bundesländern fort

Herbe Verluste für CDU und SPD, ein sensationell gutes Wahlergebnis für Die Linke und Stimmengewinne für andere kleinere Parteien, so läßt sich das Resultat der schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen vom Sonntag zusammenfassen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis stürzte die CDU dabei von 50,8 auf 38,6 Prozent ab. Fast moderat wirken da die Verluste der SPD. Sie verlor am Sonntag landesweit 2,7 Punkte, liegt jetzt bei 26,6 Prozent. Doch das ist zugleich ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis seit 1946. Auf Anhieb schaffte es hingegen die Linke, in sämtliche Kreistage, aber auch in etliche Stadt- und Gemeinderäte einzuziehen. Im Landesdurchschnitt liegt ihr Ergebnis bei 6,9 Prozent. Zugewinne verzeichnen auch die Grünen (+1,9 auf 10,3 Prozent ), die FDP (+3,3 auf 9,0 Prozent), die Freien Wählergemeinschaften (+2,5 auf 5,1 Prozent ) und der Südschleswigsche Wählerverband SSW (+0,5 auf drei Prozent). Letzterer trat allerdings nur in Nordfriesland, Rendsburg-Eckernförde, Kiel und Schleswig-Flensburg an. Dort erzielte die Interessenvertretung der dänischen und friesischen Minderheit fast ausnahmslos zweistellige Ergebnisse.

Nicht zufrieden sei er mit dem Ergebnis dieser Wahl, betonte noch am Abstimmungsabend Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Doch kommunalpolitisch sei seine Partei immerhin noch die »stärkste politische Kraft«, versuchte er der Situation dennoch etwas Positives abzugewinnen. Ähnlich sein Koalitionspartner, designierter Herausforderer für die Landtagswahlen 2010, Ex-Innenminister und SPD-Landeschef Ralf Stegner. Trotz des desaströs schlechten Ergebnisses für seine Partei frohlockte dieser, daß nun die Zeit »schwarzer Mehrheiten« vorbei und »Gestaltungsmehrheiten« in den Kommunen erkennbar seien.

Als eine »schallende Ohrfeige« für ihre »unsoziale Politik in Bund, Land und Kommunen« bewerteten die Landessprecher der Linken, Antje Jansen und Lorenz Gösta Beutin, die Resultate von CDU und SPD. Demgegenüber sei die eigene Partei nun auch in Schleswig-Holstein als »eine starke, linke Opposition« angekommen. FDP-Landeschef Wolfgang Kubicki forderte »unverzügliche Neuwahlen« für den Landtag. Die Menschen seien der »Politik der großen Koalition überdrüssig«, so Kubicki.

Noch bis kurz vor dem Urnengang hatte auch Carstensen von einer »Testwahl« für die von ihm geführte Landesregierung gesprochen. Die Stimmberechtigten blieben dennoch eher desinteressiert. Die Wahlbeteiligung fiel mit 49,5 Prozent auf ein Rekordtief.

Abgestraft wurden CDU und SPD vor allem in den größeren Städten. In Flensburg etwa sank ihr gemeinsamer Stimmenanteil von bislang 62 auf 36 Prozent. Hauptgewinner ist hier die Wählerinitiative »Wir in Flensburg«, die auf Anhieb 22,3 Prozent erreichte. Der eher im linken Spektrum angesiedelte SSW erreichte 22 Prozent, und Die Linke zog mit 7,3 Prozent in den Stadtrat ein.

Noch bessere Ergebnisse erzielte diese Partei in Neumünster (13,2), in Lübeck (11,7), Kiel (11,1), Heide (10,2), Itzehoe (9,3), Wedel (8,8), Norderstedt (8,4) und Rendsburg (acht Prozent). Auf der Hochseeinsel Helgoland gewann sie bei den Gemeinderatswahlen sogar sensationelle 16,1 Prozent der Stimmen. In den Kommunalparlamenten werde seine Partei ihren Kurs »klarer, linker Opposition« nun fortsetzen, sich allenfalls in Sachfragen auf eine »Politik wechselnder Mehrheiten« einlassen, betonte Beutin. Allein dies sei die Voraussetzung dafür, 2010 mit einem guten Ergebnis auch in den Landtag einzuziehen.

Unter ihren Erwartungen blieb indes die NPD. Landesweit erzielte die Neonazipartei nur 0,4 Prozent. Da erstmals für die Kommunalwahlen die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr galt, gelang es der Organisation allerdings, in Kiel mit 1,7 und in Lauenburg mit 2,1 Prozent jeweils ein Mandat zu gewinnen. Noch am Samstag hatten mehrere tausend Menschen mit einer Demonstration quer durch die Landeshauptstadt vor einem Vormarsch der Rechten gewarnt und ein Verbot der NPD gefordert.

Verwendung: Junge Welt vom 27. Mai 2008
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16. Mai 2008

Wilhelms Rahlfs

Hamburg. Der ehemalige Wirtschaftssenator der Freien Hansestadt Hamburg, der FDP-Mann Wilhelm Rahlfs (links), hat den Schauspieler Rolf Becker bei einer öffentlichen Lesung zum Jahrestag der Bücherverbrennung tätlich angegriffen. Becker rezitierte gerade am Hamburger Heinrich-Heine-Denkmal Texte des Dichters, als sich von hinten ein älterer Mann näherte und dem Schauspieler seinen Gehstock quer über den Rücken schlug. Entsetzt rief dieser: »Was fällt Ihnen ein?«, setzte dann aber seine Lesung fort.

Ein Amtsrichter (rechts im Bild) hatte den Vorfall beobachtet. Informierte Polizeibeamte stellten daraufhin dessen Identität fest. jW wurde sie am gestrigen Donnerstag bekannt.

Rahlfs war von 1987 bis 1991 Wirtschaftssenator unter den damaligen SPD-Bürgermeistern Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau. Von 1970 bis 1974 und 1987 bis 1993 gehörte er der Hamburger Bürgerschaft an. Was den späteren Vorsitzenden des Tourismusverbands der Hansestadt zu seiner Knüppelattacke trieb, ist bislang nicht bekannt. Becker kündigte an, Strafantrag gegen Rahlfs zu stellen.

Verwendung: Junge Welt vom 16. Mai 2008
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1 Kommentar

09. Mai 2008

Hamburger Bündnis gegen RechtsHamburger Bürgerschaft diskutierte über rechten Aufmarsch am 1. Mai. GAL und CDU wollen von Neonazigewalt nichts wissen und sagen »linken Chaoten« den Kampf an

Die Grün-Alternative Liste (GAL) hat am Mittwoch abend in der Hamburgischen Bürgerschaft gezeigt, was mitregieren für sie heißt. Sie verteidigte das »Demonstrationsrecht« für Neonazis. Unter dem Titel »Konsequenzen aus dem Neonaziaufmarsch am 1. Mai ziehen« hatte die Partei Die Linke das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. CDU und Grünen fielen zu dem Aufmarsch und den antifaschistischen Protesten im Arbeiterstadtteil Barmbek aber nur die Stichworte »Krawall« und »Keine Toleranz gegen Gewalt« ein. Letztere ordneten sie den Gegendemonstranten zu. Die Partei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wollte die Gelegenheit offenbar nutzen, um klarzumachen, wer in der Bürgerschaft das Sagen hat. Von Beust war zuvor mit den Stimmen seiner Partei, der Grünen sowie einer weiteren aus dem Oppositionslager erneut zum Bürgermeister gewählt worden. Daß die Abgeordneten der Grün-Alternativen Liste (GAL) nicht mucken würden, war zu erwarten. Der Übereifer, mit dem sie dann agierten, überraschte aber doch. Grünen-Vize-Fraktionschef Christian Maaß ließ keinen Zweifel daran, daß eine »Unschuldsvermutung« auch für Neonazis zu gelten habe. Schon deshalb habe der Aufzug nicht verboten werden können.

Die Vizefraktionschefin der Linken, Christiane Schneider, stellte dagegen klar, daß es eine »Fehleinschätzung hinsichtlich der von den Nazis ausgehenden Gefahren« gegeben hat. Faktenreich wies sie im Rathaus nach, wie viele Übergriffe es an diesem Tag durch die etwa 1000 angereisten Rechten auf Ausländer, Antifaschisten und Journalisten gab. Der Gipfel sei gewesen, wie diese schon bei ihrer Anreise einen ganzen S-Bahn-Zug gekapert hätten. Durch den Zuglautsprecher hätten sie bekanntgegeben, »daß Deutsche und Ausländer künftig wieder getrennt verreisen. Letztere in Viehwaggons«. Allein das, sagte Schneider, hätte reichen müssen, den Aufmarsch noch zu verbieten. Völlig unverständlich sei es ihr daher, wie prügelnde Polizisten dann versucht hätten, den Neonazis die Straßen frei zu machen. Nur der »politischen Entschlossenheit« der 10000 Gegendemonstranten sei zu verdanken, daß dies mißlungen sei.

Derartige Blockaden will der »schwarz-grüne« Senat künftig als »gewalttätig« diffamieren. An der Absicht seiner Partei, die »Linkschaoten« zu bekämpfen, ließ der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Manfred Jäger, keinen Zweifel. Scharf attackierte er das Oberverwaltungsgericht, weil dieses per Eilentscheidung auch die Antifaschisten nach Barmbek gelassen hatte. Erst dadurch seien die »Krawalle« möglich gewesen. »Da ist was schiefgelaufen« befand denn auch der innenpolitische Sprecher der SPD Andreas Dressel.

Die grüne Abgeordnete Antje Möller distanzierte sich schließlich von den Antifaschisten: Gewalt stünde im Widerspruch zu einer »bunten, vielfältigen und friedlichen« Demonstration. »Wir verurteilen jede Gewalt – egal, von welcher Seite«, so Möller. Ihr Vizefraktionschef Maaß befand gar, der »Schutz Andersdenkender« gehöre nun mal zur Demokratie. Das machte Eindruck auf den Koalitionspartner. Der CDU-Mann und am Mittwoch vereidigte Innenminister Christoph Ahlhaus versprach, die Gewalttäter auch künftig zu bekämpfen. Daß die nicht bei den Neonazis, sondern im Hamburger Bündnis gegen rechts zu suchen sind, schien bei CDU und Grünen ausgemachte Sache zu sein. Und wenn die Neonazis doch ein bißchen über die Stränge geschlagen hätten? Karl-Heinz Warnholz (CDU) hat eine einfache Erklärung: Die Übergriffe der Rechten seien erst durch den Aufruf der Antifaschisten, »den Nazis keinen Meter« zu geben, provoziert worden.

Antifaschistische Positionen bezog hingegen der Fraktionskollege von Dressel, ver.di-Landesbezirkschef Wolfgang Rose (SPD): Wenn 75 Jahre nach der Erstürmung des Gewerkschaftshäuser Nazis durch Hamburg marschieren, dann sei dies für alle Gewerkschafter eine »ungeheuere Provokation«. Ihm fehle daher jedes Verständnis, daß der Nazi-Marsch und die damit zusammenhängende »Volksverhetzung« nicht verboten worden wäre. Ähnlich die Bauer-Konzernbetriebsrätin und Linkspartei-Abgeordnete Kersten Artus. Für sie war der Nazi-Aufmarsch gar eine »Kriegserklärung« an alle »arbeitenden und erwerbslosen Menschen«. Dem entgegenzutreten, sei notwendig gewesen.

[Anmerkung: in der Veröffentlichung für die Tageszeitung musste der letzte Absatz dieses Berichts – hier kursiv dargestellt – aus Platzgründen leider gestrichen werden.]

Verwendung: Junge Welt vom 9. Mai 2008
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29. Aprir 2008

Hamburg: Neonazis wollen am 1. Mai auf der Route des DGB marschieren. Der verlegt seine Abschlußkundgebung. Antifaschistisches Bündnis mobilisiert zum Protest

Die Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft fordert das Verbot eines am 1.Mai im Arbeiterstadtteil Barmbek geplanten Neonaziaufmarsches. Das sei auch versammlungsrechtlich möglich, erklärte die Abgeordnete Christiane Schneider am Montag gegenüber junge Welt. Die Antwort des Senats auf zwei kleine Anfragen von ihr hatte ergeben, daß alle für die rechte Veranstaltung angekündigten Redner, darunter der Neonazi-Anwalt und NPD-Landeschef Jürgen Rieger, bereits wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilt worden sind. »Volksverhetzung ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Straftatbestand«, so Schneider. Es bestehe die Gefahr, daß die Würde von Naziverfolgten und von Flüchtlingen verletzt werde. Auch deshalb sei der CDU-Senat verpflichtet, den Aufmarsch zu unterbinden, so die Linkspartei-Politikerin. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom Januar 2008. Wer wegen Volksverhetzung bereits verurteilt worden sei, habe demnach kein Recht mehr, auf öffentlichen Versammlungen als Redner aufzutreten.

Für den Neonaziaufmarsch unter dem Motto »Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen« wird durch eine Vielzahl von Organisationen, wie etwa dem »Aktionsbüro Norddeutschland« oder dem neonazistischen »Störtebeker-Netzwerk« mobilisiert. Die Polizei geht deshalb von etwa 1 000 Teilnehmern aus. Die Veranstaltung ist eine bewußte Provokation gegen die Gewerkschaft, denn sie soll exakt dort stattfinden, wo deren Dachverband DGB seine Abschlußkundgebung nach der Maidemonstration durchführen wollte. Diese wurde vom DGB nun nach St. Pauli verlegt, was in Neonazikreisen als »kläglicher Rückzug« verhöhnt wird.

Zur antifaschistischen Gegendemonstration rufen indes das »Hamburger Bündnis gegen Rechts«, die Gewerkschaftsjugend, VVN, DKP und Linkspartei, aber auch etliche Einzelgewerkschafter auf. Unterstützt wird das Bündnis auch von 40 Initiativen, Gewerbetreibenden, Kultureinrichtungen und Kirchengemeinden aus Barmbek selbst. Gelänge es den Neonazis am Donnerstag mittag loszumarschieren, würden in allen umliegenden Kirchengemeinden die Sturmglocken läuten, gaben Aktive aus Barmbek bekannt. Im gesamten Viertel hängen Plakate mit durchgestrichenen Hakenkreuzen. Sie werben für ein antifaschistisches Stadtteilfest, das im Anschluß an die Demo stattfinden soll.

Ob es den Antifaschisten gelingen wird, in den Kern von Barmbek vorzustoßen, ist allerdings fraglich. Die Innenbehörde bestätigte am Montag, daß deren geplante Demoroute nicht akzeptiert werde. Vor allem die Fuhlsbüttler Straße – das Herz von Barmbek – ist tabu. Noch-Innensenator Udo Nagel (parteilos) will die Neonazigegner mit Auflagen und durch Tausende Beamte in eher randständige Bereiche abdrängen. Bündnissprecher Wolfram Siede kündigte am Montag gegenüber jW an, juristisch gegen die Einschränkung vorgehen zu wollen.

Raushalten aus dem Ganzen will sich der DGB. Dessen Lokalchef Erhard Pumm bestätigte am Montag auf einer Pressekonferenz, daß es ihm vor allem darum gehe, die gewerkschaftliche Mai-Kundgebung abzusichern. Diese nach St. Pauli zu verlegen, sei mit den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften abgestimmt. Als Flucht vor den Neonazis könne man das nicht bezeichnen, so Pumm. Die Rechten hätten ihre Veranstaltung zwei Wochen vor der des DGB angemeldet und deshalb versammlungsrechtlich die besseren Karten gehabt, so Pumm. Gleichzeitig verwies er darauf, daß es im Anschluß an die Mai-Kundgebung ein »Kulturfest gegen rechts« geben werde.

Hamburg: 1. Mai, 10 Uhr U/S-Bahn Barmbek: »Kein Platz für Nazis!«, Kundgebung und Demonstration

Verwendung: Junge Welt vom 29. April 2008
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24. April 2008

Gewerkschaften kritisieren Koalitionsvertrag von CDU und GAL in Hamburg. Beschäftigte, Auszubildende und Erwerbslose sind die Verlierer

In Hamburg haben Gewerkschaftsvertreter Einzelheiten des Ende letzter Woche unterschriebenen »schwarz-grünen« Koalitionsvertrages heftig kritisiert. So erklärte DGB-Landeschef Erhard Pumm am Dienstag, daß er sich vom künftigen Senat stärkere Initiativen zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit gewünscht habe. André Bunkowsky, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte am Mittwoch in einer Erklärung mit, daß die im Koalitionsvertrag erkennbare Absicht, die Lebensarbeitszeit für Polizeibeamte zu verlängern, auf heftigen Widerstand seiner Gewerkschaft stoßen werde. Für Polizisten müsse »mit 60 Schluß sein«, alles andere sei eine »unzumutbare Belastung«.

Schärfer fällt die Kritik von ver.di-Landeschef Wolfgang Rose aus. Als Vorsitzender der größten Hamburger Einzelgewerkschaft hatte er im Wahlergebnis Ende Februar zunächst eine »Chance zum sozialen Aufbruch« gesehen. Doch durch die Bildung einer CDU-Grünen-Koalition sei diese nun restlos vertan. Rose sieht die Gefahr einer noch stärkeren »sozialen Spaltung«. Der Koalitionstext biete für Beschäftigte, Erwerbslose, Auszubildende und Studierende kaum etwas. Nichts werde darin vereinbart, was zur Eingrenzung der ausufernden Ein-Euro-Jobs oder der Leiharbeit führen könne, kaum etwas zur Einschränkung der Ausbildungsplatznot. »Dafür wollen sie nun die Bildungsgebühren erhöhen«, schimpft der Gewerkschaftsmann. Ihm sei klar, daß der künftige Senat einer für die Besserverdienenden sei.

Kein gutes Haar läßt Rose auch an den Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst. Durch die bereits in der letzten Legislatur von der CDU durchgepeitschte Novellierung des Hamburgischen Personalvertretungsgesetzes und die Kündigung der Mitbestimmungstarifverträge herrschten in den Behörden und Amtsstuben »obrigkeitsstaatliche Verhältnisse«. Das ganze passiere jetzt mit dem Segen der Grünen, so Rose. Versagt hätte die Partei auch mit ihrem Wahlkampfversprechen, die Steuergerechtigkeit wieder herzustellen. Da der Koalitionsvertrag die Einstellung weiterer Betriebs- und Steuerprüfer ausdrücklich negiere, bleibe Hamburg »die Hauptstadt der Hinterzieher«.

Wie Pumm fordert auch Rose, daß die grassierende Langzeitarbeitslosigkeit und die damit zusammenhängende Armut stärker bekämpft werden müßten. Dazu gehörten Initiativen für einen Mindestlohn und für den Ersatz der Ein-Euro-Jobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf die Tagesordnung. Dies, so Rose, stehe im Widerspruch zum Ansatz der Grünen, fehlende Mittel in den Stadtquartieren durch die Arbeitskraft der Jobber teilweise zu kompensieren. Begrüßenswert sei an der neuen Koalition lediglich, daß diese die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker betone und einen Rechtsanspruch für die Kita-Betreuung schon für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr festschreiben möchte.

Dies allerdings trifft auf Kritik der Linkspartei-Abgeordneten und Bauer-Konzernbetriebsrätin Kersten Artus. Solange die Kinderbetreuung kostenpflichtig sei und es kein Recht auf Ganztagsplätze gebe, werde die Vereinbarung von Familie und Beruf »nicht unter Gleichstellungsaspekten gesehen«, kritisiert die Betriebsrätin. Schier unfaßbar sei zudem der Umstand, daß die Grünen nicht darauf gedrängt hätten, die bereits 2001 erfolgte Schließung des Senatsamts für Gleichstellung zu korrigieren. Sie sieht nun ihre Partei in der Pflicht, auch die Gleichstellungspolitik als Aufgabenfeld zu übernehmen.

Verwendung: Junge Welt vom 24. April 2008
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13. März 2008

Vasco SchultzUnter den Grünen in Hamburg regt sich Widerstand gegen einen Koalitionsvertrag mit der CDU. Ein Gespräch mit Vasco Schultz

Vasco Schultz ist Bezirksabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen (Grün-Alternative Liste – GAL) in Hamburg-Wandsbek

Sie sammeln gegenwärtig Unterschriften, um in der GAL – das sind die Hamburger Grünen – eine Urabstimmung über den noch auszuhandelnden schwarz-grünen Koalitionsvertrag durchzusetzen. Was bezwecken Sie damit?

Bei einer so wichtigen Frage müssen möglichst viele Mitglieder an der Entscheidung beteiligt sein. Etliche von ihnen haben mir außerdem deutlich gemacht, daß sie gegen schwarz-grün sind, sich aber auf den Mitgliederversammlungen unter Druck gesetzt fühlen. Die Urabstimmung hat den Vorteil, daß sie in einem geschützten Rahmen stattfindet und sich jeder in Ruhe entscheiden kann, ob ihm das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ausreicht.

Wie hoch ist das Quorum?

Da wir in der GAL keine Regeln für solche Urabstimmungen haben, würde das gelten, was auch für die Mitgliederversammlungen gilt: Ein Antrag ist angenommen, wenn er die Mehrheit der Stimmen erhält.

Ihnen wird vorgeworfen, die Bildung der Koalitionsregierung nur verzögern zu wollen. Immerhin hatte sich Ihr Kreisverband schon vor den Wahlen für Gespräche mit der Linkspartei und der SPD stark gemacht.

Daß wir verzögern, ist Quatsch. Denn wenn die Unterschriften zusammen sind, werden wir uns schnell mit dem Vorstand auf ein zügiges Verfahren einigen. Daß aber nach den Wahlen Gespräche zwischen allen demokratischen Parteien stattfinden, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Die Linke davon auszuschließen, ist eine Mißachtung des Wählerwillens.

Wir haben doch jetzt – zumindest rechnerisch – eine Mehrheit links der CDU in der Bürgerschaft. Warum soll da nicht ausgelotet werden, ob und wie die trägt? In den Wahlprogrammen erkenne ich zahlreiche Schnittmengen.

Das Ergebnis der Sondierungen mit der CDU war doch gar nicht so schlecht. Demnach soll die Grundschulzeit, also die Zeit des gemeinsamen Lernens, auf sechs Jahre verlängert werden. Die CDU verzichtet auf einige Verkehrsprojekte und sagt außerdem zu, Volksentscheide künftig anzuerkennen. Selbst die Abschaffung der Studiengebühren und die Einführung eines Sozialtickets sind im Gespräch.

Daß Volksentscheide verbindlich sind, ist eigentlich selbstverständlich. Dies, oder die Wiedereinführung des Sozialtickets – das die CDU gestrichen hat – nun als großen Verhandlungserfolg darzustellen, ist armselig. Uns müßte es doch darum gehen, möglichst viel aus unserem Wahlprogramm durchzusetzen. Doch auch beim Schulsystem sind wir meilenweit davon entfernt. Wo es, wie bei den Studiengebühren, gar haushaltsrelevant wird, da heißt es zudem, daß dies dann aus anderen Bereichen gegenfinanziert werden muß. Das ist diffus und entspricht nicht dem, wofür wir angetreten sind.

Die CDU hat zugesagt, daß den illegal in Hamburg lebenden Menschen Gesundheitsversorgung und Schulbildung zuteil werden soll. Auch der Kinderknast in der Feuerbergstraße soll geschlossen werden.

Daß Illegale ein Recht auf medizinische Betreuung und ihre Kinder ein Recht auf Schulbildung haben, ist ein Menschenrecht. In einigen Bezirken wird das längst praktiziert. Hier wäre es doch darum gegangen, die Qualität einer solchen Schulbildung zu hinterfragen. Und diesen Kinderknast, den gibt es nur, weil ihn der rechte Politik Ronald Schill 2001 gefordert hat. Seitdem zeigt sich schon, daß diese Einrichtung nicht funktioniert.

1997 hatte Ihre Partei auf Rot-Grün gesetzt. Dafür mußte dann der Zuschüttung des »Mühlenberger Lochs« in der Elbe zugestimmt werden.

Wer verhandelt, muß Kompromisse machen. Doch Kompromisse sind etwas anderes, als sich, wie in diesem Fall, über den Tisch ziehen zu lassen. Ich frage mich: Was wird nun aus unserem Widerstand gegen die Elbvertiefung? Es wäre falsch, ihn für ein paar Peanuts im Rahmen eines Öko-Topfs einfach aufzugeben. Besorgniserregend finde ich zudem, daß das Soziale fast keine Rolle mehr spielt. Weder die Ausstattung der Schulen mit Lernmitteln ist ein Thema noch zum Beispiel der Verkauf von Wohnungen aus dem öffentlichen Wohnungsbestand.

Wie geht es weiter?

Für die Urabstimmung benötigen wir die Unterstützung von zehn Prozent unserer Mitglieder. Das wären 140 Unterschriften. Ich bin guter Dinge, daß wir die bis zum Ende der Koalitionsverhandlungen zusammenbekommen.

Verwendung: Junge Welt vom 13. März 2008
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06. März 2008

Hamburg: Union diktiert Bedingungen für Koalition mit Grünen. Die wollen trotzdem mitregieren

In Hamburg scheint »Schwarz-Grün« ausgemachte Sache. Sieben Stunden zogen sich die Sondierungen am Mittwoch hin. Danach ging alles sehr schnell. »Es waren sehr detaillierte Gespräche zu allen wichtigen Themen«, so der Erste Bürgermeister Ole von Beust am Abend vor der Presse. Es gebe »eine Reihe gemeinsamer Perspektiven« und »diverse unterschiedliche Auffassungen«. Die Fraktionschefin der Grün-Alternativen Liste (GAL) in der Bürgerschaft, Christa Goetsch, fügte knapp hinzu, daß man an diesem »intensiven Tag« auch »Kompromißvarianten« erörtert habe. Dann war das »Pressegespräch« beendet, Nachfragen waren nicht erlaubt.

»Kreative Stadt« hatten die Grünen ihr Wahlprogramm überschrieben. Kreativ müssen sie nun vor allem im Umgang mit ihren Wahlversprechen sein. Der Umwelt zuliebe wollten sie weder ein Kohlekraftwerk in Moorburg noch eine Fahrrinnenanpassung der Elbe durchgehen lassen. Mit einer »Schule für alle« sollte zudem die Bildungsselektion gestoppt werden. Am Donnerstag abend mußte eine Mitgliederversammlung der Hamburger Grünen über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entscheiden. Überaschungen waren dort nach dem schnellen Jawort zu Sondierungsgesprächen allerdings nicht zu erwarten.

Dabei hatte Beust schon Anfang Januar seine Bedingungen genannt: Die Garantie der Elbvertiefung und des Schuldenabbaus, die Wahrung der »inneren Sicherheit« und die Fortführung eines auf zwei Säulen basierenden Schulsystems, in dem die Gymnasien beibehalten werden.

Bleibt den Grünen der Kampf gegen das Kohlekraftwerk. Bis 2012 soll es eine Leistung von 1640 Megawatt Strom und 650 Megawatt Fernwärme aufweisen. Damit wäre es das größte in Deutschland und würde jedes Jahr 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Hier kalkuliert die Union damit, daß das Kraftwerk längst genehmigt ist und inzwischen auch schon gebaut wird. Allenfalls kann es also noch darum gehen, ob die Leistung des Werks, und damit sein Emissionswert, reduziert werden könnte. Sollten, wider Erwarten, grüne Basisforderungen doch darüber hinausgehen wäre schnell Schluß mit lustig, heißt es aus Kreisen der Union. Denn eine große Koalition sei immer noch möglich.

Verwendung: Junge Welt vom 07. März 2008
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06. März 2008

Steht Hamburg vor einer schwarz-grünen Landesregierung? Seit heute berichten die Medien von dieser Sensation. Im Ergebnis eines Sondierungsgesprächs zwischen CDU und Grünen am Mittwoch im Hamburger Nobelhotel »Grand Elysée«. Hauptindiz, dass es so kommt, sei die Länge des Gesprächs. Denn wer sieben Stunden spricht, der müsse ja auch über die Einzelheiten eines Koalitionsvertrags schon gesprochen haben, wird gemutmaßt.

Hamburgs Sonny Boy Ole von Beust hat alles im Griff»Es waren sehr detaillierte Gespräche zu allen wichtigen Themen« und bei denen man »eine Reihe gemeinsamer Perspektiven«, wie aber auch »diverse unterschiedliche Auffassungen« feststellen konnte, so bewertete Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am Mittwochabend vor Journalisten das Gespräch. In einer wahren Meisterleistung politischer Präzision fügte dem die grüne Fraktionschefin in der Bürgerschaft, Christa Goetsch, nur noch hinzu, dass auch »Kompromissvarianten« an diesem »intensiven Tag« – man habe an dem Tag »die verschiedenen Politikfelder beleuchtet« – erörtert worden wären. Dann war Ende mit dem Pressegespräch. Inhaltliche Nachfragen waren nicht erlaubt.

Ein Schauspiel per Excelence und wie es insbesondere Ole von Beust seit Jahren pflegt. Sich nur nicht festlegen, bloß nicht zu viel sagen, den eigenen Anhängern aber zeigen, wie »hart, und zugleich fair«, der Bürgermeister kämpft, das war die Botschaft dieses Auftritts für Anhänger der Union. Dass er offen sei für neue und »kreative« Ideen, das sollte mit dem Auftritt den Grüne-Anhängern gesagt werden. »Kreative Stadt« hatten diese ihr Wahlprogramm überschrieben. Kreativ sollen sie nun sein! Vor allem im Umgang mit ihren eigenen Wahlversprechen: Stopp des neues Kohlekraftwerks in Moorburg, einem »Klimakiller«; Verhinderung der Fahrrinnenanpassung der Elbe, weil diese ökologisch nicht verantwortlich sei; Schluss mit der Bildungsselektion durch eine neue »Schule für alle«. Heute Abend soll eine Mitgliederversammlung der Grünen über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entscheiden. Das »Modellprojekte« für ein neues Schulsystem auch schon was sind, »ökologische Ausgleichsprojekte« sowieso, ist dafür nun die Linie des grünen Landesvorstands.

Dass Beust auf schwarz-grün zielt, ist indes genauso wenig überraschend, wie der Kurswechsel bei den Grünen. Letztere hatten zwar im Wahlkampf immer wieder versprochen, dass sie diesen Bürgermeister, der Volksentscheide gleich mehrfach einfach aufhob, am liebsten aus dem Amt jagen würden, doch gleichzeitig hatte die Vize-Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Krista Sager, schon Anfang Februar betont, dass es bei »Hessischen Verhältnissen« keinen »Automatismus für eine Großen Koalition« geben dürfe. Ein Bündnis mit der CDU schaffe auch auf Bundesebene neue Möglichkeiten, sagte Sager. Beust sah das ebenso. Schon Anfang Januar betonte er vor dem Wirtschaftsrat der CDU, dass dafür aber vier Bedingungen erfüllt sein müssten: die Garantie der Elbvertiefung und des Schuldenabbaus, die Wahrung der »inneren Sicherheit« und die Fortführung eines auf zwei Säulen basierenden Schulsystems, das die Gymnasien einschließt.

Knackpunkt für die Koalitionsverhandlungen bleibt demnach das Kohlekraftwerk. Bis 2012 soll es eine Leistung von 1640 Megawatt Strom und 650 Megawatt Fernwärme aufweisen. Damit wäre es das größte in Deutschland, würde jedes Jahr 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Hier kalkuliert die Union darauf, dass das Kraftwerk längst genehmigt ist und inzwischen sogar gebaut wird. Allenfalls könne es somit darum gehen, ob die Leistung des Werks, und damit sein Emissionswert, ein Stück weit reduziert werden. Sollten, wider Erwarten, grüne Basisforderungen darüber doch noch hinausgehen, sollten gar die Essentials des Bürgermeisters angegriffen werden, dann wäre freilich Schluss mit lustig, heißt es aus CDU-Kreisen. Denn eine große Koalition – ein Sondierungsgespräch dafür fand bereits am Dienstag statt – wäre ebenfalls möglich. »Grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten« konnte SPD-Spitzenmann Michael Naumann dabei zwischen seiner Partei und der Union nicht mehr ausmachen. So aber hat die CDU die freie Wahl, wen sie sich nun als Juniorpartner aussucht.

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07. Februar 2008

Hamburger Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Linke gibt sich optimistisch

Knapp zweieinhalb Wochen vor den Wahlen zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen in Hamburg fühlt sich die dortige Linke stark. Acht Prozent bekäme man sicher, so hatte es deren Spitzenkandidatin Dora Heyenn bisher gesagt. Doch nun – nach dem Kick aus Niedersachsen und aus Hessen – hält die 58jährige Lehrerin auch ein Ergebnis von »zehn Prozent plus x« für möglich. Damit könne Die Linke am 24. Februar als »drittstärkste politische Kraft« in das Rathaus einziehen, so Heyenn am Mittwoch im Gespräch mit jW.

In Hamburg zweifelt niemand mehr am Einzug der Linken in die Bürgerschaft. Doch dezent, fast schon vorsichtig, weist der Linkskandidat auf Platz Vier der Landesliste, der Erwerbslosenvertreter Wolfgang Joithe darauf hin, daß schon ein Wahlergebnis von sieben oder acht Prozent ein großer Erfolg wäre. Diese reite in Hamburg zwar gegenwärtig auf einer großen »Sympathiewelle«, doch was der Wahlkampf nun noch bringt, lasse sich kaum vorraussagen. Wachsende Sympathie spürt Joithe vor allem an den Infoständen, wenn ihm dort die Leute das Werbematerial »fast schon aus den Händen reißen«. Martin Wittmaack aus der Landesgeschäftsstelle der Linken berichtet von einer Vielzahl ähnlicher Erfahrungen aus Altona, Wilhelmsburg, Wandsbek, Billstedt und selbst aus randständigen Stadtteilen wie etwa Jenfeld oder Rahlstedt. Das Interesse an der Linken sei »überall in der Stadt« riesengroß.

Richtig motivierend sei das, sagt auch Renate Hercher-Reis. Die Informatikerin kandidiert für die Bezirksversammlung in Mitte. In ihrem Wahlkreis macht sie fast täglich Hausbesuche oder steht am Infostand. Zeit dafür hätte sie sich dafür schon vor Monaten organisiert. Sie will mit möglichst vielen Bürgern noch vor der Wahl reden. In solchen Gesprächen gehe es um die »Kernthemen der Linken« wie die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit oder besserer Bildung für die Jugend. Doch immer stärker werde ihre Partei nun auch als kommunalpolitische Kraft gefordert. »Die Bürger wollen wissen, wie wir zur Hafenquerspange« – einer geplanten acht Kilometer langen Stadtautobahn auf Stelzen – »oder zum Kohlekraftwerk in Moorburg, wie zur Stadtentwicklung in einzelnen Quartieren stehen«, erzählt Hercher-Reis.

Rund 70000 Bezirkswahlprogramme haben die Aktiven allein am vergangenen Wochenende in die Briefkästen der Stadtbezirke von Altona und Mitte verteilt. 270000 Exemplare einer Kurzfassung des linken Sofortprogramms sind weitgehend vergriffen. Am 16.Februar will Die Linke »500000 Bürgerbriefe« von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi an den Wähler bringen.

Nervös reagiert die SPD. Ihr Spitzenkandidat, Michael Naumann, hatte stets betont, um einen »fairen« Wahlkampf bemüht zu sein. Doch seit Anfang dieser Woche läßt seine Partei ein Pamphlet verbreiten, in dem es in großen Lettern heißt »Wer Linke wählt, der hilft der CDU«. Käme die linke »Chaotentruppe« ins Parlament, heißt es darin, werde ein Wechsel zu »Rot-Grün« gefährdet. Für Linkspartei-Landessprecher Berno Schuckart ein »übles Machwerk«: SPD und Grüne hätten bislang keineswegs ausgeschlossen, nach den Wahlen auch für eine Koalition mit der CDU bereitzustehen.

Verwendung: Junge Welt vom 07. Februar 2008
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26. Januar 2008

Mit der Aufstellung der Großwerbeflächen der Parteien begann am Freitag Nachmittag die heiße Phase des Wahlkampfes für die Hamburger Bürgerschaftswahlen am 24. Februar 2008. Für diese gibt es nun beständig neue Umfragewerte durch die Meinungsforschungsinstitute und darauf basierende Spekulationen über unterschiedliche Koalitionsvarianten. Verständlich, dass vor allem die Parteien so tun, als sei noch alles offen. Doch wer sich nicht nur mit einzelnen Umfragewerten, sondern mit dem Trend der Umfragen seit Anfang 2007 beschäftigt, der kommt zu einem anderen Ergebnis. Denn demnach zeichnet sich das denkbare Wahlergebnis bereits deutlich ab:

Hier die Zahlen:

Institut Auftraggeber Umfrage CDU SPD GAL Linke FDP Sonstige
Psephos NDR, Abendblatt 05.01.2007 44% 33% 13% 4% 3% 3%
Emnid Die Welt, Bild 12.02.2007 43% 32% 13% 4% 3% 5%
Psephos Hamburg 1, Abendblatt 28.02.2007 45% 31% 14% 3% 3% 4%
Emnid Bild 19.03.2007 44% 32% 12% 4% 5% 3%
Forsa Stern 23.05.2007 41% 29% 16% 6% 4% 4%
Psephos NDR, Abendblatt 06.07.2007 45% 30% 14% 5% 3% 3%
TNS Infratest Cicero 28.08.2007 42% 33% 13% 6% 3% 3%
Infratest dimap ARD 06.09.2007 42% 32% 13% 7% 4% 2%
Emnid Emnid 08.12.2007 41% 31% 12% 8% 5% 3%
Psephos Abendblatt 08.12.2007 44% 33% 12% 5% 3% 3%
TNS Infratest SPD 11.12.2007 40% 33% 13% 7% 3% 4%
Infratest dimap NDR 14.12.2007 41% 34% 12% 7% 3% 3%
AMR Düsseldorf Der Spiegel 29.12.2007 42% 33% 12% 7% 4% 2%
Emnid Bild am Sonntag 05.01.2008 42% 31% 13% 7% 5% 2%
Infratest dimap NDR 07.01.2008 40% 35% 11% 6% 4% 4%
election.de MOPO 23.01.2008 37% 38% 13% 6% 5% 1%
Psephos Abendblatt 24.01.2008 42% 36% 10% 5% 3,50% 3,50%

Noch deutlicher wird der Trend an Hand einer Graphik:

Wahlumfragen Hamburg

[Anmerkung: Ist diese Graphik auf ihrem Browser nicht richtig zu sehen, dann können Sie diese mit einem Doppelklick aktivieren.]

Auf Grund dieser Zahlen ergibt sich für die einzelnen Umfagen folgende Sitzverteilung in der Bürgerschaft:

Umfrage CDU/FDP SPD/Grüne Linke denkbare Koalitionen
1 59 62 0 121 SPD/Grüne
2 59 62 0 121 SPD/Grüne
3 61 61 0 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
4 64 57 0 121 CDU/FDP
5 54 59 8 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
6 58 57 6 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
7 54 59 8 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
8 54 58 9 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
9 57 54 10 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
10 57 58 6 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
11 52 60 9 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
12 53 59 9 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
13 54 58 9 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne
14 58 54 9 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne oder SPD/Grüne/FDP (patt)
15 53 61 8 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne oder SPD/Grüne
16 51 62 7 121 SPD/Grüne
17 55 60 7 121 CDU/SPD oder CDU/Grüne

[Anmerkung hierzu: Die Sitzverteilung wurde nach einem einfachen mathematischen Verfahren und entsprechend der Stärke der jeweiligen Parteien abgeleitet. Das neue Wahlgesetz wurde dabei noch nicht berücksichtigt, da es hier nur um den Trend geht.]

Daraus ergibt sich:

>>> Die SPD verliert anfänglich in der Parteikrise, gewinnt dann aber seit der Nominierung von Michael Naumann als Spitzenkandidat kontinuierlich hinzu.
>>> Die GAL gewinnt zunächst bis zu 16 Prozent, verliert aber seitdem kontinuierlich.
>>> So wie die SPD kontinuierlich gewinnt, verliert die CDU. Deren Verluste können von der FDP nicht kompensiert werden. Allerdings verbleibt die CDU auf einem für Hamburg ungewöhnlich hohen Niveau.
>>> Die Linke gewinnt zunächst kontinuierlich, gerät aber nun durch den Lagerwahlkampf und durch die mit „linken“ Parolen operierende SPD zunehmend unter Druck. Doch da sie in allen Umfragen schon seit Mai 2007 oberhalb von 5 Prozent liegt, ist ihr Einzug in die Bürgerschaft wohl eine relativ sichere Angelegenheit. Enorm viel hängt für die Linke vom Ausgang der Wahlen in Niedersachsen und in Hessen ab. Würde die Linke am Sonntag nicht mal in den hessischen Landtag einziehen, hätte sie wohl auch in Hamburg schlechte Karten.

Positiv ist, dass die Zeit einer Alleinregierung der CDU – also diese für Hamburg so merkwürdige Episode – nun endgültig vorbei scheint. Derzeitig sieht es sogar so aus, als könnte es eine Mehrheitskoalition aus SPD und Grünen nach den Wahlen im Hamburger Rathaus wieder geben. Wird dieser Trend durch das Wahlergebnis in Hessen gestärkt, spricht vieles dafür.

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25. Januar 2008

Jochen StayKernkraftgegner in Niedersachsen setzen wenig Hoffnung auf Politiker. Skepsis auch gegenüber Linkspartei. Ein Gespräch mit Jochen Stay

Jochen Stay ist Sprecher der Antiatom-kampagne X-tausendmal quer

Wegen ihrer Energiepolitik hat Wolfgang Clement (SPD) davor gewarnt, am Sonntag in Hessen die SPD zu wählen. Wie sehen Sie das, als jemand, der nicht aus der Atomlobby, sondern aus der Anti-AKW-Bewegung kommt?

Wer am Sonntag sein Kreuz macht, entscheidet nicht darüber, wie sich die Energiepolitik entwickelt. Das entspricht jedenfalls unserer Erfahrung aus den letzten 30 Jahren. Entscheidend bleibt der Druck aus der Gesellschaft, von den außerparlamentarischen Bewegungen.

Ist es nicht erstaunlich, daß die SPD jetzt meint, die Wahlen nur gewinnen zu können, wenn sie einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie fordert?

Zumindest zeigt es, wie die SPD die Stimmung in der Bevölkerung einschätzt. Ob aber Andrea Ypsilanti in Hessen, Wolfgang Jüttner in Nieder­sachsen oder eine neue rot-grüne Bundesregierung den Ausstieg wirklich beschleunigen würden, ist durch Wahlkampfparolen alleine nicht gesichert. Denn es waren ja der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Genossen, die in den Verhandlungen um den sogenannten Atomkonsens bei der Frage der Laufzeiten am stärksten auf die Bremse getreten haben. Deshalb ist unser Vertrauen in die SPD ziemlich begrenzt.

Auch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) versprach im Wahlkampf, daß sich der Anteil des in Niedersachsen aus regenerativen Energiequellen gewonnenen Stroms bis 2020 auf etwa ein Viertel ausweiten wird.

Das ist so, als wenn er sagt: Wählt mich, dann geht morgen die Sonne auf. Denn bis 2020 werden die erneuerbaren Energien viel stärker wachsen. Da ist die Ankündigung von 25 Prozent eher eine Drohung, den Zuwachs bremsen zu wollen. Interessant finde ich, daß auch Wulff in der Frage der Verlängerung der Laufzeiten ins Lavieren gekommen ist. Die CDU merkt, daß sie mit Pro-Atomkraft-Positionen keine Wahlen gewinnen kann.

Umstritten sind in Niedersachsen auch die Atommüllendlager Schacht Konrad, Gorleben und Asse. Von den Landtagsparteien haben da nur die Grünen eine klar ablehnende Position.

Atommüll kann nirgendwo sicher gelagert werden. Das zeigt das Desaster im Salzbergwerk Asse, das abzusaufen droht. So lange die Atomkraftwerke nicht stillgelegt sind, dient jede Endlagersuche nur der Legitimation des Weiterbetriebs. Da sind mir auch die Grünen nicht eindeutig genug. Zwar sagen sie, der Salzstock Gorleben ist geologisch ungeeignet, wollen ihn aber bei der von ihnen geforderten vergleichenden Standortsuche nicht ausklammern. So besteht die Gefahr, daß am Ende doch alles an Gorleben kleben bleibt, alleine schon deshalb, weil bereits 1,4 Milliarden Euro in den Ausbau des Bergwerks geflossen sind.

Die Linke plädiert für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Doch welche Möglichkeiten bestehen – abseits der Laufzeiten -, den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zumindest zu behindern?

Uran ist als Brennstoff steuerlich bevorzugt. Das muß ja nicht so sein. Ebensowenig wie die Steuerprivilegierung der Rückstellungen für die Entsorgung. Andererseits könnten die Versicherungssummen für Unfälle heraufgesetzt werden. Auf landespolitischer Ebene können die Umweltministerien als atomrechtliche Aufsichtsbehörden viel erreichen, wenn sie das Atomgesetz eng auslegen und technische Mängel in den AKW zum Entzug der Betriebsgenehmigung nutzen.

Schön, daß die Linke ein deutliches Anti-AKW-Programm vorgelegt hat. Doch das hatten die Grünen auch, bevor sie regiert haben. Deshalb bleibe ich skeptisch, welche Ergebnisse herauskommen, wenn die Linke in Regierungs- oder Tolerierungsverhandlungen eintritt. Die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin überzeugen jedenfalls nicht.

Wichtig ist, daß wir als Umweltbewegung auf die eigene Kraft vertrauen. Spannend ist, daß es vor dem Hintergrund der Klimadebatte inzwischen nicht nur gegen Atom-, sondern auch gegen Kohlekraftwerke und die Stromkonzerne selbst Proteste gibt. Um den Druck für eine Wende in der Energiepolitik auszubauen, wollen wir stärker auf direkte Konfrontationen setzen. Angedacht sind Blockaden gegen die Wiederinbetriebnahme des AKW Krümmel, Bauplatzbesetzungen bei Kohlekraftwerken und natürlich Aktionen gegen den Castortransport nach Gorleben im Herbst.

Verwendung: Junge Welt vom 25. Januar 2008
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22. Januar 2008

Gewerkschafter in Kompetenzteam berufen. Ver.di-Landeschef auch als Senator für Arbeit im Gespräch

In Hamburg hat SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann am Wochenende sein Kompetenzteam erweitert: Gesine Schwan, Koordinatorin der Bundesregierung für die Zusammenarbeit mit Polen, soll den SPD-Bürgermeisterkandidaten nun in Fragen der Europa-Politik beraten. Für den Wirtschaftsbereich übernimmt SPD-Landes­chef Ingo Egloff und für den Hafen der ehemalige Vorsitzende der Hamburger Hafen- und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA), Peter Dietrich, die Verantwortung. Der eigentliche Clou: Zuständig für Arbeitsmarktpolitik wird ver.di-Landeschef Wolfgang Rose. Für den Fall eines Sieges bei den Bürgerschaftswahlen Ende Februar ist er sogar als ein künftiger Senator für Arbeit im Gespräch.

Am Wochenende kündigte Rose an, daß er die Ein-Euro-Jobs »drastisch zurückfahren« und statt dessen die in der Hansestadt gänzlich abgeschafften Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) wieder einführen werde. Unter tarifvertraglich gesicherten Bedingungen, fügte der Gewerkschafter hinzu. Mit einer »Hamburger Garantieerklärung« will Rose dafür sorgen, daß jeder Schulabgänger einen Ausbildungsplatz und eine berufliche Perspektive erhält.

Wahlpolitisch wird die Nominierung des populären Gewerkschaftsmanns indes vor allem der Linken Schwierigkeiten bereiten. Denn Rose gilt nicht nur als ausgesprochen glaubwürdig, sondern auch als willensstark. So stritt er jahrelang für eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik, gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, gegen Dumpinglöhne und für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Für Linkspartei-Landessprecherin Christiane Schneider ist die Nominierung von Rose ein »deutliches Signal« dafür, daß auch in der Hamburger SPD »die soziale Realität wieder stärker zur Kenntnis genommen wird«, betonte sie am Montag gegenüber junge Welt. Sie sei allerdings »sehr gespannt«, wie Rose »seine Politik gegen die Armut und für mehr Arbeit« innerhalb der eigenen Partei und gegen die dortigen Wirtschaftslobbyisten, durchsetzen wolle, so Schneider.

Verwendung: Junge Welt vom 22. Januar 2008
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19. Januar 2008

Bild vom 17.01.08Hamburger Wahlkampf: CDU- und SPD-Politiker übertreffen sich bei Hetze gegen angeblich verwöhnte Jungkriminelle. Die Linke: Migranten härter bestraft als Deutsche

Noch am vergangenen Wochenende hatte Innensenator Udo Nagel (parteilos) getönt, das Thema Jugendgewalt eigne sich nicht für den Hamburger Wahlkampf. Doch wenige Tage später wird die Leier von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) über kriminelle Jugendliche – natürlich insbesondere diejenigen mit »Migrationshintergrund« – auch an der Elbe Mode. Die hanseatische Besonderheit dabei: Hier hält die SPD nicht dagegen, sondern ist mit den anderen Parteien in einen Wettstreit darüber getreten, wer der härteste der Harten ist. Ist es Nagel? Er unterstützt jetzt Kochs Plan, straffällig gewordene junge Migranten schon bei einer Haftstrafe von einem Jahr abzuschieben. Sie sollten am besten gleich einen Teil ihrer Haft im jeweiligen »Heimatland« verbringen, ließ er am Mittwoch verlauten. Oder ist es Thomas Böwer, jugendpolitischer Sprecher der SPD? Er deckte am Donnerstag via Bild-Zeitung auf, daß einige »problematische Kunden des Jugendamts« in »Luxusinternaten« außerhalb Hamburgs untergebracht sind.

Bild nahm Böwers Rechercheergebnisse dankbar auf: Nachdem sie tagelang – angebliche – Pilotprojekte gegen »Kuschelpädagogik« mit Schlagzeilen wie »Hessen schickt Schläger (16) nach Sibirien« beworben hatte, konnte sie nun mit Böwers Hilfe neuen Zündstoff für das Stammtischmilieu liefern. Der SPD-Mann befindet sich damit in bester Gesellschaft: Sein Genosse, der heutige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, hat sich in seiner Zeit als Hamburger Innensenator ebenfalls als knallharter Law-and-Order-Politiker hervorgetan.

Böwer bedient sich zudem ähnlich fragwürdiger Methoden wie der von ihm heftig kritisierte Pannen- und Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU). Dessen Behörde hatte jahrelang mit falschen Statistiken den Eindruck erweckt, daß in Hamburg nach der Regierungsübernahme durch die CDU 2001 jugendliche Straftäter besonders hart bestraft werden. 2006 wurden demnach 314 Jugendstrafen ohne Bewährung verhängt und nur 78 mit Bewährung. Tatsächlich verurteilten Hamburgs Jugendrichter aber nur 106 Jugendliche zu einer Strafe ohne, hingegen 230 Jugendliche zu einer Strafe mit Bewährung. Daraufhin behauptete Lüdemann zunächst, die Staatsanwälte hätten die Daten falsch eingegeben, und bestritt, davon gewußt zu haben. Am Mittwoch mußte er jedoch zugeben, seit Monaten informiert gewesen zu sein. Nicht nur über die Statistikfehler im Jugend-, sondern auch über weitere im Erwachsenenstrafrecht.

Die SPD hat deshalb im Vorfeld einer für Freitag abend anberaumten Sondersitzung des Rechtsausschusses in der Hamburgischen Bürgerschaft »Senator Lügemanns« Rücktritt gefordert. Dabei legte man ihm auch noch die Flucht eines Häftlings aus dem Untersuchungsgefängnis zu Jahresbeginn zur Last: Er sei eher ein Strafvereitler, denn ein Strafverfolger, heißt es nun von der SPD und den Grünen.

Christiane SchneiderGegen den auch in der Hansestadt aufkommenden Law-and-order-Wahlkampf macht sich nur Die Linke stark. Christiane Schneider, Landessprecherin und Kandidatin ihrer Partei für die Bürgerschaft, erklärte, was Bild mit Unterstützung von Böwer verzapft habe, sei eine widerliche »Neid- und Mißgunstkampagne«. Ein möglichst langes Wegsperren jugendlicher Täter, wie es die CDU fordert, löse keine Probleme, sondern schaffe nur neue, sagte sie am Freitag gegenüber jW. »Außerdem ist es längst verbreitete Praxis, Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien besonders hart zu bestrafen und so ein weiteres Mal zu benachteiligen«, fügte sie hinzu. Hier will Die Linke eine Wende erkämpfen. Für dieses Ziel sucht die Partei Partner und hat deshalb für eine am Dienstag stattfindende Veranstaltung zum Thema auch den Vorsitzenden der Regionalgruppe Nord der Vereinigung der Jugendrichter, den Jugendrichter Achim Katz, den Direktor des Instituts für Kriminologische Sozialforschung an der Uni Hamburg, Sebastian Scheerer, und den Rapper Deniz Türksönmez (genannt Bacapon) als Referenten eingeladen. Bild hat Bacapon erst kürzlich als »Boß« einer der größten Jugendgangs in Hamburg diffamiert.

Diskussion »Gefährliche Jugend? – Jugendkriminalität und Straflust«, am 22. Januar, um 19 Uhr in der Patriotischen Gesellschaft, Trostbrücke 4, Hamburg

Verwendung: Junge Welt vom 19. Januar 2008
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16. Januar 2008

SPD-Spitzenkandidat übernimmt Kernforderungen der Linkspartei. Die weiß nicht recht, wie sie reagieren soll

Hamburgs Sonny-Boy Ole von BeustSechs Wochen vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg hat sich der Ton deutlich verschärft. »Mein Junge, du mußt noch einiges lernen, um Verantwortung zu übernehmen«, kanzelte CDU-Bürgermeister Ole von Beust am Sonntag seinen SPD-Kontrahenten um das Bürgermeisteramt, Michael Naumann, deutlich ab. Der reagierte am Montag prompt und sagte, daß »ein Politiker, der aufhört zu lernen«, ihm leid täte. Doch das »Täuschen und Tricksen« des Amtsinhabers werde er sich mit Sicherheit nicht aneignen.

Ähnlich scharf verlief am Montag eine Debatte zwischen Innensenator Udo Nagel (parteilos) und SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Nagel hatte gefordert, daß »Straftäter mit Migrationshintergrund« künftig besonders erfaßt werden. Neumann konterte, daß es nicht auf die Nationalität, wohl aber darauf ankäme, Straftäter dann auch zu bestrafen. Indirekt nahm er damit Bezug auf eine Affäre in der Justizbehörde, die jahrelang mit falschen Daten den Eindruck vermittelt hatte, daß gerade in Hamburg jugendliche Straftäter besonders streng bestraft würden, obwohl das Gegenteil der Fall ist.

Doch liegt es nur an solchen Pannen, daß die bisher allein regierende CDU in aktuellen Wahlumfragen von 47,2 Prozent im Jahr 2004 nun auf 40 Prozent gefallen ist, sich hingegen der Wähleranteil von SPD und Grünen auf fast 46 Prozent erhöht hat? Der Trend der verschiedenen Umfragen spricht eine andere Sprache. Demnach ist es Naumann tatsächlich gelungen, den Wählerzuspruch für seine eigene, noch vor Monaten gänzlich zerstrittene Partei von 30 auf jetzt 35 Prozentpunkte kontinuierlich auszubauen.

Michael Naumann und Kurt BeckAcht Monate tingelte der Kandidat dafür durch Veranstaltungen, aber auch durch »Suppenküchen«, wie er das selbst nannte. Seine Botschaft war dabei so klar wie von der Partei die Linke geklaut: Er wolle den Wechsel zu »sozialer Gerechtigkeit« einleiten, den die Mehrheit der Hamburger wünsche. Mit besseren Behörden, Gebührenfreiheit in der Bildung, mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn, erhöhten Zuschüssen für das Sozialwesen, mit einem Stopp der Privatisierungen, einem Sozialticket für Erwerbslose, ja selbst durch die Umwandlung aller Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das blieb nicht ohne Auswirkungen. Laut Umfragen sank der Wähleranteil der Linkspartei von zuvor bereits sieben auf jetzt sechs Prozent.

Und auch Noch-Bürgermeister von Beust sieht sich in Zugzwang. Die »Sozis« hätten »nichts dazu gelernt« und glaubten noch immer, daß es eine »wundersame, biblische Geldvermehrung« gebe, wetterte er dieser Tage vor dem CDU-Wirtschaftsrat. Seine bislang zur Schau gestellte Zurückhaltung gab der sichtlich verärgerte Bürgermeister dabei gänzlich auf. Er rechnete statt dessen vor, wie viele Milliarden Euro die Wahlkampfversprechen seines Kontrahenten die Stadt kosten würden. Die Sozialdemokraten versprächen »Freibier« und seien nach den Wahlen die »Zechpreller«, attestierte auch CDU-Landeschef Michael Freytag. Er gab am Montag bekannt, daß seine Partei unter dem Motto »Hamburg, paß auf« 3000 Großwerbeflächen mit einem Schwarz-Weiß-Porträt des Bürgermeisters aufstellen werde. Damit solle dem »Populismus« von Naumann die »Solidität« eines von Beust entgegengestellt werden.

Die Linke - hier bei einer Aktion am 21 Oktober 2006Irritiert zeigt sich indes Die Linke. Kaum jemand hatte dort damit gerechnet, daß ausgerechnet der »Großbürger Naumann« linke Themen im Wahlkampf besetzen könnte. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, offerierte der Vorstand zu Jahresanfang der SPD ein Tolerierungsangebot. Nähme es Naumann mit den linken Forderungen wirklich ernst, dann werde man deren Umsetzung nicht im Wege stehen. Doch das Manöver scheiterte, weil man vergessen hatte, die eigene Basis mitzunehmen. Die setze auf einem Landesparteitag die Tolerierungsbedingungen so hoch an, daß es Naumann nun leicht fällt, das Angebot abzulehnen. Wer die Linke wählt, der behindere den Wechsel im Rathaus, so die aktuelle Botschaft des SPD-Spitzenkandidaten. Wie die Linkspartei aus dieser Situation wieder herauskommen will, soll am Donnerstag auf einem Krisengipfel des Vorstands mit den Bezirksvertretern beraten werden.

www.hier-ist-die-linke-hamburg.de

Bitte lesen Sie zu dem hier behandelten Thema auch ein Interview mit Oskar Lafontaine meines Kollegen Peter Wolter

Verwendung: Junge Welt vom 16. Januar 2008
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10. Januar 2008

Betrieb Hamburger Justizbehörde jahrelang »Täuschung der Öffentlichkeit«?

In Hamburg hat die Bürgerschaftsfraktion der Grünen Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) am Dienstag abend die »bewußte Täuschung der Öffentlichkeit« vorgeworfen. Lüdemann habe jahrelang behauptet, daß in der Hansestadt seit 2002 immer mehr jugendliche Straftäter zu Haftstrafen verurteilt worden seien, obwohl er wußte, daß diese Zahlen gefälscht sind, erklärte der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Till Steffen, nach einer Sitzung des Innenausschusses in der Bürgerschaft. Bereits vor der Sitzung hatte das Hamburger Abendblatt Anfang der Woche auf den Widerspruch hingewiesen, daß zwar nach Zahlen der Justizbehörde rund 70 Prozent aller seit 2002 verurteilten Jugendlichen, Haftstrafen bekommen hätten, doch gleichzeitig die dafür zuständige Jugendhaftanstalt erhebliche Leerstände aufweise. Im Ausschuß mußte der Senator nun einräumen, daß er selbst seit September 2007 von den falschen Zahlen wußte. Doch in den Jahren zuvor sei der Fehler nicht bemerkt worden, weil viele Staatsanwälte ein 2002 neu eingeführtes Computersystem falsch bedient hätten.

Eine Behauptung, die Steffen anzweifelt. Er verwies auf eine Vielzahl von Anfragen der Oppositionsfraktionen aus den Jahren 2004 und 2005 zu dem Thema. Hintergrund: 2001, also im letzten Jahr eines SPD-Grünen-Senats, wurden 60 Prozent aller jugendlichen Straftäter nur zu Bewährungsstrafen verurteilt. Zudem, so sagt es Steffen, sei der Hamburger Senat auf Grund der verwirrenden Zahlen auch schon im Mai 2007 von dem Kriminologen Bernhard Villmow angeschrieben und auf den Widerspruch zu den Belegungen in den Haftanstalten hingewiesen worden. Auch eine erst im November 2007 durch die Grünen-Fraktion erneut eingereichte Anfrage zu dem Thema, sei ebenfalls falsch beantwortet worden. Die Behörde habe sich auch zu diesem Zeitpunkt noch geweigert, ihr vorhandenes Wissen Preis zu gegeben.

Lüdemann sei verantwortlich für diese Täuschung der Öffentlichkeit, sagt jetzt auch der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. Ihm dränge sich der Verdacht auf, dass die Justizbehörde die falschen Zahlen nur genutzt habe, »damit sich der Senator als Hardliner präsentieren kann«. So wie Steffen fordert nun auch Dressel eine »lückenlose Aufklärung« der Affäre und die offenbar auch schon die Amtszeit des ehemaligen CDU-Innensenator und innenpolitischen Hardliners Roger Kusch betrifft. Am Mittwoch erklärte Steffen schließlich, dass »die CDU mit falschen Zahlen Politik gemacht« hätte. Lüdemann habe dabei versucht, »die für sie peinliche Korrektur dieser Zahlen zu verzögern und über den Wahlzeitpunkt zu retten«. Steffen fordert nun den Rücktritt des Senators.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 10. Januar 2008
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07. Januar 2008

Landesparteitag der Linken in Hamburg verweigerte Vorstand die Gefolgschaft. Hohe Hürden für Unterstützung von SPD und Grünen aufgestellt

Sechs Wochen vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg werden die Debatten um künftige Regierungskoalitionen bunter. Der Landesvorstand der Partei Die Linke hatte sein Farbenspiel allerdings ohne die Basis gemacht und mußte am vergangenen Samstag eine Niederlage einstecken. Auf einem Landesparteitag mußte die Spitze der Linkspartei ein erst drei Tage zuvor gegenüber SPD und Grünen unterbreitetes Tolerierungsangebot zurücknehmen. Von den 100 Delegierten hatten viele von dem Vorstoß erst aus den Medien erfahren und stritten mehrere Stunden über die überraschende Offerte. Eine offene Abstimmungsniederlage konnte das Vorstandsteam um Landessprecher Berno Schuckart, den früheren Regenbogen-Abgeordneten Norbert Hackbusch und die Spitzenkandidatin Dora Heyenn dann nur noch vermeiden, indem es den Tolerierungsantrag weitgehend zurückzog.

Im Parteitagsbeschluß ist die Formulierung von einer denkbaren Tolerierung zwar weiter enthalten, doch die Hürden sind soweit heraufgesetzt, daß es SPD und Grünen leicht fallen wird, das Angebot als rein taktisches Wahlkampfgedöns abzutun. Nur wenn der neue Senat das linke Sofortprogramm erfülle, sei eine – und auch dann »keineswegs unwiderrufliche« – Tolerierung überhaupt denkbar, heißt es in dem Papier. Das eigene Programm sei »nicht verhandelbar« und markiere eine unüberbrückbare Haltelinie. Damit müßten Hamburgs Grüne und Sozialdemokraten alle Privatisierungen stoppen und die vollständige Re-Kommunalisierung der städtischen Kliniken sowie der ehemals staatlichen Pflegeinrichtungen durchsetzen. Auch alle teuren Imageprojekte, wie zum Beispiel der U-Bahn-Bau in die Hafencity, die Hafencity selbst oder die Einrichtung einer Elbphilharmonie müßten sofort gestoppt werden, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Das Vorstandstrio der Linken wollte mit seiner auf Kompromisse mit der SPD orientierten Offerte Grüne und Sozialdemokraten unter Druck setzen, und sich so eigene Möglichkeiten zur Mitwirkung an der Bildung einer neuen Landesregierung offenhalten. Parteiintern wurde dies vor allem taktisch begründet, denn Meinungsumfragen besagen seit Monaten, daß weder SPD und Grüne noch die bisher allein regierende CDU nach den Wahlen eine Mehrheit im Rathaus haben werden. Demnach könnte die Linke mit etwa sieben Prozent das Zünglein an der Waage sein. Für Bürgermeister Ole von Beust (CDU) Grund genug, eine »schwarz-grüne« Koalition in Erwägung zu ziehen. SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann verspricht seinen Wählern derweil fast alles – auch das, was bisher nur die Linkspartei forderte. Da sich diese weigere, Regierungsverantwortung zu übernehmen, so die Logik Naumanns, habe sie es am Ende zu verantworten, wenn die CDU-Regentschaft fortgesetzt werde. Der SPD-Spitzenkandidat ist allerdings sicher, daß seine Partei nach dem 24. Februar regieren wird und macht auch keinen Hehl daraus, was er von der Linken hält: »Am sichersten ist der Wechsel, wenn die verwirrten Sprücheklopfer von der Linkspartei draußen bleiben aus der Bürgerschaft«, so Naumann am Sonntag auf einer Pressekonferenz.

Für den Landessprecher der Linkspartei Schuckart war es daher so etwas wie ein »Befreiungsschlag«, als die Hamburger Medien den »klugen und geschickten« Schachzug eines »ernsthaften« Tolerierungsangebots bejubelten. Grüne und SPD reagierten prompt – ablehnend bis empört. Offenbar nehmen sie es mit ihren Wahlkampfversprechen nicht so genau, frohlockte auch der Bundestagsabgeordnete Norman Paech (Die Linke). Dora Heyenn sprach gegenüber jW von einem unerwarteten Ende »linker Fundamentalopposition«. Sie und Schuckart rechneten mit einer »breiten Mehrheit« auf dem Parteitag.

Dort fand die Begeisterung schnell ein Ende, nämlich als die Delegierte Charlotte Wilkens von »Demokratiedefiziten« sprach. Denn mit heißer Nadel zwischen Weihnachten und Neujahr gestrickt, erreichte der Antrag die Delegierten erst wenige Tage vor dem Parteitag. Da waren jegliche Antragsfristen verstrichen. Das Papier konterkariere die bisher klare Oppositionshaltung der Hamburger Linken, kritisierten etliche Delegierte. »War es nötig, das sowas bereits über die Medien läuft, bevor es die Delegierten erhalten?«, ärgerte sich der Bürgerschaftskandidat Wolfgang Joithe. Er sieht nicht ein, wie »man jemanden tolerieren kann, der wie Naumann zu den Befürwortern von Hartz IV und damit zu den Verantwortlichen für die Armut« gehört. Gestärkt ist Hamburgs Linke damit nicht nach ihrem Landesparteitag. Denn zum innerparteilichen Mißtrauen kommt eine handfeste Glaubwürdigkeitskrise, wofür eine künftige linke Fraktion im Hamburger Rathaus eigentlich steht.

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07. Januar 2008

Der Hamburger Landesparteitag der LINKEN machte Differenzen in der Partei deutlich

Diesen Samstag fand der Landesparteitag der LINKEN in Hamburg statt. Heftig wurde über die Tolerierung eines möglichen rot-grünen Senats gestritten, den der Vorstand Mitte letzter Woche formulierte.

Soll die Hamburger LINKE nach den Bürgerschaftswahlen im Februar einen SPD-Grünen Minderheitssenat tolerieren? Über diese Frage stritt am Sonnabend der Hamburger Landesparteitag. Die Delegierten bekamen sich dabei so mächtig in die Wolle, dass der Landesvorstand ihn weitgehend zurückzog. Die Entscheidung darüber soll jetzt erst nach den Wahlen getroffen werden. Doch gleichzeitig wurden die Bedingungen dafür so weit heraufgesetzt, dass es SPD und Grüne leicht haben werden, den Vorstoß als Wahlkampfgetue abzutun. Dem Beschluss folgend werde es diese »nicht unwiderrufliche« Tolerierung nämlich nur geben, wenn ein so gebildeter Senat das linke Sofortprogramm vollständig umsetzt.

Die Basis schäumte, weil der Vorstand seine angebotene Offerte nicht fristgerecht eingereicht und ohne interne Diskussion den Medien übergeben hatte. Man lasse sich nicht unter Druck setzten, sagte die Delegierte Charlotte Wilkens, die von einem »Demokratiedefizit« sprach. Der Vorstoß widerspreche allem, wofür die Hamburger Linke stehe, polterten zahlreiche Delegierte. So heftig, dass sich schließlich auch die Spitzenkandidatin der LINKEN Dora Heyenn veranlasst sah, zurückzurudern: »Ich schwöre, ich habe nicht mit Michael Naumann geflirtet und werde es auch nicht tun«, ging sie deutlich auf Distanz zum Bürgermeisterkandidaten der SPD.

Für den Vorstand um Landessprecher Berno Schuckart eine bittere Niederlage, denn noch unmittelbar vor dem Parteitag rechnete er mit einer »breiten Mehrheit« für das Tolerierungsangebot. Meinungsumfragen besagen, dass nach den Wahlen weder die CDU, noch SPD und Grüne eine Mehrheit im Rathaus haben werden. Vermutlich ist die LINKE mit etwa sieben Prozent dann das Zünglein an der Waage. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat eine schwarz-grüne Koalition bereits fest im Blick. Naumann nutzt derweil die Situation, um auf die LINKE einzuhauen. Mit ihrer Verweigerungshaltung Regierungsverantwortung zu übernehmen und realistische Vorschläge zu unterbreiten, blockiere sie den Politikwechsel. Für den Vorstand der LINKEN war sein Angebot, das er auf Kernfragen, wie etwa der Garantie einer gebührenfreien Bildung oder die Abschaffung aller Ein-Euro-Jobs bezog, deshalb wie ein Befreiungsschlag. Auch der Bundestagsabgeordnete Norman Paech frohlockte zu Beginn des Parteitags, dass es Naumann und die grüne Spitzenkandidatin Christa Goetsch mit ihrem Versprechen einen »Politikwechsel« herbeizuführen, nicht sehr ernst meinen, wenn sie ein solches Angebot so brüsk zurückweisen. Sich der Tolerierungsfrage zu stellen, sei »sehr verantwortungsbewusst«, betonte die stellvertretende Bundesvorsitzende der LINKEN Katja Kipping.

Doch in dem nun beschlossenen Text heißt es, dass es die Tolerierung nur geben kann, wenn sich ein so gebildeter Senat dazu verpflichtet, bereits privatisierte Bereiche zu rekommunalisieren, die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst (bei vollem Lohnausgleich) kräftig zu senken, auf teure Imageprojekte, wie etwa dem Ausbau der Hafen-City zu verzichten und ein neues bis Klasse 10 integriertes Schulsystem einführt. Zusätzlich sollen alle Abschiebungen gestoppt und die Zuschüsse zu Hartz-IV deutlich erhöht werden.

Der Machtwechsel am Rathaus sei am sichersten, »wenn die verwirrten Sprücheklopfer von der Linkspartei draußen bleiben aus der Bürgerschaft«, betonte Naumann. Das ist sicherlich Wahlkampfgetöse. Doch richtig ist: die Linke hat nun ein handfestes Glaubwürdigkeitsproblem. Niemand weiß, wofür sie nach den Wahlen eigentlich steht.

Verwendung: Neues Deutschland vom 07. Januar 2008, Seite 5
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23. November 2007

Michael Naumann und Kurt BeckHamburger Linke setzt SPD unter Druck

In Hamburg gibt es derzeit einiges zu bestaunen: die Hafencity als des Kontinents größte Baustelle, eine imposante Ausstellung über die antiken Gräber von Paestum. Vor allem aber den „Linksruck“ der SPD. Denn mit jedem Tag, da die Bürgerschaftswahlen am 24. Februar 2008 nun näher rücken, umwirbt SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann auch die nach links schlagenden Herzen immer offensiver. Gefragt, was er von Ein-Euro-Jobs halte, ließ er diese Woche an diesen kein gutes Haar. Ähnlich bizarr auch die Auslegung des Wahlprogramms der SPD in anderen Fragen: Ein „Mindestlohn für Geringverdiener“ müsse nun her, ein „Stopp der Privatisierungen“, der „Verzicht auf die Studiengebühren“ sowie eine „kostenlose Kita-Betreuung“. sagt der 65-jährige ehemalige Staatsminister aus dem Kabinett von Gerhard Schröder. Es sind halt Wahlkampfzeiten und da sagt der Kandidat zu allem ja.

Doch aus dem Umfragetief kommt Naumann trotzdem nicht. Vor Wochen polterte er noch gegen „Die Linke“, weil deren Forderung nach einer Rekommunalisierung der Kliniken „Politik des letzten Jahrhunderts“ und aus der „Mottenkiste der DDR“ gewesen wäre. Doch das half auch nicht. Die Meinungsforschungsinstitute geben ihm und seiner Partei seit Monaten nur magere 32 Prozent. Von vier auf fünf, dann auf sechs, schließlich sogar auf sieben bis acht Prozent stiegen hingegen die Umfragewerte für „Die Linke“.

Olaf Harms (DKP) auf Listenplatz 10

Dass deren Ergebnis am Wahlabend noch viel besser wird, dafür kämpft die
linke Spitzenkandidatin Dora Heyenn. Sie spüre auf Wochenmärkten und auf Veranstaltungen ein großes Interesse, sagt die 58-jährige Lehrerin und frühere schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete der SPD gegenüber der UZ. Mit ihrer alten Partei brach Heyenn, als Oskar Lafontaine das Handtuch warf. Glaubwürdigkeit habe es in der Regierungspolitik seitdem nicht mehr gegeben. Die Hamburger Linke werde sich auch deshalb an keiner Regierung beteiligen. Selbst wenn sie das „Zünglein an der Waage“ wäre, sagt Heyenn. Doch selbst eine Tolerierung schlossen die 130 Delegierten eines Wahl-Parteitages Ende September weitgehend aus. Die könne es nur geben, wenn sich ein anderer Kandidat als der amtierende Bürgermeister Öle von Beust (CDU) auf das linke Sofortprogramm beziehe und dieses dann auch umsetze.

Deutlich wird diese Haltung auch an der Kandidatenliste. Denn auf den weiteren als aussichtsreich empfundenen Listenplätzen kandidieren der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Bischoff und die bisherige Sprecherin der Hamburger Linken, Christiane Schneider, der Erwerbslosenvertreter Wolfgang Joithe, die Bauer-Betriebsrätin Kersten Artus, Mehmet Yildiz von der Föderation der türkischen Arbeitervereine (DIDF), die iranische Marxistin Zaman Masudi, der Ex-Grüne Norbert Hackbusch (er verließ seine Partei anlässlich des Kosovo-Kriegs) und DKP-Landeschef Olaf Harms.

Dass die Kommunisten die LINKEN unterstützen, das beschloss eine Mitgliederversammlung der DKP erst nach Aufstellung der Kandidatenliste. Hier wollte man zunächst abwarten, ob der Verzicht auf Regierungsbeteiligungen und die Absage weiterer Privatisierungen wirklich beschlossen werden. Entscheidungsrelevant war außerdem, ob sich die Orientierung auf „offenen Listen“ und auf die außerparlamentarischen Bewegungen durchsetzt.

Nun sieht es freilich so aus, als wenn mit Harms auch ein Kommunist wieder in die Bürgerschaft einziehen könnte. Oberhalb eines Ergebnisses von acht Prozent wäre dies wahrscheinlich, heißt es aus dem linken Wahlbüro. Gute Chancen, Parlamentsmandate zu erringen, hat die DKP aber auch in Harburg und in Wandsbek. Denn hier kandidieren Kommunisten schon ab Platz 3 der jeweiligen linken Wahlvorschläge für die „Bezirksversammlungen“ genannten Kommunalparlamente.

DKP unterstützt die Kandidatur von „Die Linke“
* Die DKP unterstützt die Kandidatur der Partei „Die Linke“ bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen am 24.2.2008 und wird daher zu diesen Wahlen eine Eigenkandidatur nicht durchführen.
* Die DKP-Hamburg wird sich inhaltlich mit ihren eigenen politischen Forderungen und Aussagen in den Wahlkampf einbringen. Hierzu wird ein Wahlaktiv, bestehend aus unseren Kandidatlnnen sowie mindestens je einem Mitglied pro Grundorganisation gebildet und die Herstellung von eigenen DKP-Wahlkampfmaterialien (Plakat, Flugblätter) organisiert. Als weiteres zentrales Wahlkampfmaterial wird die Broschüre „Hamburg – Stadt der Klassengegensätze“ gedruckt und in Umlauf gebracht.
* Die Gliederungen der DKP-Hamburg greifen aktiv in den Wahlkampf ein.
* Unser Ziel sind starke Fraktionen der linken und fortschrittlichen Kräfte mit einer klaren Orientierung auf die außerparlamentarischen Bewegungen
(Beschluss der DKP-Hamburg zu den Wahlen zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen am 24.02.08 in Hamburg)

Verwendung: Unsere Zeit, Printausgabe 23.11.07, Seite 7
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17. November 2007

In dem vom Hamburger SPD-Bürgermeisterkandidaten Michael Naumann gegen das Vorstandsmitglied der Hamburger Linken, Horst Bethge, betriebenen Unterlassungsverfahren, hat das Landgericht Hamburg eine Entscheidung am Freitag vertagt. Wie berichtet hatte Naumann beantragt, Bethge untersagen zu lassen, er sei ein „alter Bertelsmann“, der „jahrelang intime Beziehungen zum Bundesnachrichtendienst (BND“ gepflegt habe. Die Verhandlung wurde vertagt, nachdem der Anwalt von Bethge Klaus Dammann erst jetzt bekannt gewordene Schriftsätze zwischen Naumann und dem Verlag Kiepenheuer & Witsch aus dem Jahr 1998 vorgelegt hatte.

Aus diesen geht hervor, dass das im gleichen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschiene Buch von Erich Schmitt-Eeenboon „Undercover – Der BND und die deutschen Journalisten“ auch mit Naumann abgestimmt war. Bethge stützte seine Angaben auf dieses Buch, während Naumann stets behauptet hatte, dass die darin über ihn enthaltenen Aussagen „absurd“ seien.

Doch ebenso geht aus diesem Briefwechsel nun hervor, dass Naumann nicht nur ein Mal, und wie von ihm selbst bestätigt, „Arbeitskontakte“ zum BND hatte, sondern gleich mehrfach und über mehrere Jahrzehnte. Selbst die Angabe in dem Buch von Schmitt-Eenboom, dass Naumann bereits im März 1970 auf einer Liste der BND und unter dem Decknamen „Nord-Dorf“ vom BND Dienststellenleiter 923 Elze geführt wurde, hat Naumann in dem Briefwechsel mit Verlag Kiepenheuer & Witsch schon 1998 bestätigt. Noch am Donnerstag hatte der SPD-Politiker hingegen behauptet, dass alle diese Angaben „grundfalsch“ gewesen wären und er nur deshalb seinerzeit auf eine Klage verzichtet habe, weil diese „Unterstellungen“ „keine Wellen geschlagen“ hätten und er außerdem beim Segeln gewesen wäre.

Die Verhandlung vor dem Landgericht wurde unterbrochen, damit Naumann, der an der Verhandlung am Freitag selbst nicht teilnahm, nun Gelegenheit erhält zu den Briefen Stellung zu beziehen. Mit einer Entscheidung in der Sache, ist damit aber nicht vor Ende Dezember, vielleicht auch erst im Januar zu rechnen. Treffe das Landgericht am Freitag keine Entscheidung, habe er selbst „ein Problem“, so hatte es Naumann noch tags zuvor gegenüber Journalisten betont. Dieses Problem hat er nun. Denn mitten im Wahlkampf zu den im Februar anstehenden Bürgerschaftswahlen, darf nun weiterhin und öffentlich darüber gerätselt werden, wie tief die Beziehungen zwischen Naumann und dem Geheimdienst tatsächlich waren oder sind. Bethge zeigte sich indes zufrieden: „Nach Lage der Fakten, lasse ich mir den Mund nicht verbieten und sehe keine Veranlassung auf das Unterlassungsbegehren einzugehen“, sagte Bethge unmittelbar nach der Verhandlung.

Verwendung: bisher keine Verwendung in einem anderen Medium
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14. November 2007

Landgericht Hamburg soll am Freitag über Unterlassungsklage entscheiden

Der Hamburger SPD-Bürgermeisterkandidat und ehemalige Zeit-Mitherausgeber Michael Naumann will dem Vorstandsmitglied der Hamburger Linken, Horst Bethge, gerichtlich die Aussage verbieten lassen, Naumann sei ein »alter Bertelsmann« und habe jahrelang »intime Beziehungen zum Bundesnachrichtendienst (BND)« gepflegt. Über eine entsprechende Unterlassungsklage will das Landgericht Hamburg am Freitag entscheiden.

Bethge hatte die beanstandeten Aussagen Mitte April per E-Mail an einige Bekannte verschickt. Wenige Tage später forderte Naumann eine Unterlassungserklärung, verbunden mit der Aufforderung, Bethge möge unterschreiben, daß er für den »entstandenen oder entstehenden Schaden« aufkomme. Doch sowohl das Landgericht, als auch das Oberlandesgericht wiesen die Eilanträge Naumanns auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurück. Jetzt sucht er sein Glück im Klageverfahren. Gewinnt er es, könnte es für Bethge teuer werden, denn der Streitwert des Verfahrens liegt bei 30000 Euro.

Daß es zwischen Naumann und dem BND Kontakte gegeben hat, steht indes zweifelsfrei fest. Bethge hatte sich in seiner Mail auf den Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom berufen, der in dem Buch »Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten« schon 1998 eine Kontaktliste des BND aus dem März 1970 veröffentlicht hatte. Naumann, der dort unter dem Decknamen »Nord-Dorf« geführt wurde, wandte ein, es sei lediglich ein »Zufallskontakt« gewesen. Er habe 1970 bei der Pressestelle des BND angerufen und um Illustrationen für den Nachdruck eines amerikanischen Artikels über den russischen Geheimdienst gebeten.

Zufall hin oder her: Die von Schmidt-Eenboom veröffentlichte Liste von 230 »Pressesonderverbindungen« war auf Ersuchen des damaligen Kanzleramtsministers Horst Ehmke (SPD) erstellt worden, der Licht in das Treiben des seinerzeit von vielen Skandalen geschüttelten Geheimdienstes bringen wollte. Doch selbst wenn Naumann wirklich zufällig auf die Liste gekommen sein sollte – der damals 29jährige hatte noch ganz andere Verbindungen. Denn just, als seine steile journalistische Karriere 1970 bei der Zeit begann, heiratete er die Tochter des damaligen BND-Chefs (und ehemaligen Nazioffiziers) Gerhard Wessel. Dieser sagte einmal: »Ich halte es für eine legitime und ehrenvolle Mitarbeit auch von Journalisten, wenn sie dem BND Erkenntnisse vermitteln.« Auffällig ist ebenfalls, daß Naumann, als er 1979 die erste Dossier-Redaktion bei der Zeit übernahm, innerhalb eines Jahres gleich drei Dossiers mit Geheimdienstthemen füllte: eine erste zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR, eine zweite über den Zugang israelischer Agenten zu in Deutschland inhaftierten Palästinensern, eine dritte dann im März 1980 zu Lauschangriffen. Alle drei waren laut Schmidt-Eenboom mit »Teilinformationen« aus dem BND gespickt.

Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg: Naumann contra Bethge. Freitag, 16. 11. 2007, 11 Uhr im Ziviljustizgebäude, Sievekingplatz 1, Sitzungsraum B 335

Verwendung: Junge Welt vom 14. November 2007
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16. Oktober 2007

Referendum für mehr direkte Demokratie in Hamburg an geringer Wahlbeteiligung gescheitert. CDU feiert »Vertrauensbeweis für Ole von Beust«

In Hamburg ist der Volksentscheid »Hamburg stärkt den Volksentscheid« gescheitert. Wie Landesabstimmungsleiter Willi Beiß unmittelbar nach Schließung der Wahllokale bereits am Sonntag abend mitteilte, haben sich an der Abstimmung nur 492864 Wahlbürger beteiligt. Doch für eine Annahme des vom Verein »Mehr Demokratie« und dreißig weiteren Bürgerinitiativen vorgelegten Gesetzentwurfes hätten mindestens 607468 Wahlbürger mit »Ja« stimmen müssen. Schon vor der genauen Stimmenauszählung (diese soll erst Ende Oktober erfolgen) könne deshalb nun die Niederlage der Initiatoren des Volksentscheids festgestellt werden.

Niederlage für Opposition

Eine bittere Niederlage, denn monatelang hatten nicht nur die Bürgerinitiativen, sondern auch die Gewerkschaften sowie sämtliche Oppositionsparteien für »mehr Demokratie« gestritten. SPD und Grüne warben frühzeitig mit tausenden Werbeträgern und etlichen Veranstaltungen. Ihr Hauptargument: 2004 hätte die allein regierende CDU die Privatisierung der städtischen Kliniken durchgepeitscht, obwohl sich in einer Abstimmung drei Viertel aller Wahlberechtigten dagegen ausgesprochen hatten. Um das künftig zu verhindern, müsse deshalb sichergestellt sein, daß Änderungen an Entscheidungen des Volkes nur noch dann möglich sind, wenn dem in der Bürgerschaft zwei Drittel aller Abgeordneten zustimmen.

Doch die Hürden für solche die Hamburgische Landesverfassung verändernden Vorschriften sind ziemlich hoch. Außer einer Zweidrittelmehrheit hätten mindestens 50 Prozent aller Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf stimmen müssen. Da die regierende CDU außerdem durchgesetzt hatte, daß solche Abstimmungen nur noch abseits von Wahlterminen stattfinden, sprach Mehr-Demokratie-Vertreterin Angelika Gardiner denn auch am Sonntag davon, daß man mit der Abstimmung das »Unmögliche« versucht habe. Für sie sei es trotzdem ermutigend, daß sich rund eine halbe Million Menschen am Volksentscheid beteiligten.

Eine halbe Million? Am Sonntag waren es exakt 92151 Bürger, die bei bestem Wetter den Weg in die 201 Wahllokale schafften. Rund 400000 Bürger hatten bereits in den Wochen zuvor per Briefwahl abgestimmt. Bei aller berechtigten Kritik an der Partei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gilt es doch festzustellen, daß die Briefwahl dieses Mal besonders einfach war: Ohne besondere Aufforderung hatte die Innenbehörde allen Bürgern die Stimmzettel schon vor drei Wochen ins Haus geschickt. Fast mühe- und völlig kostenlos hätten sich somit alle die beteiligen können, die es tatsächlich wollten. Und so frohlockt die CDU denn jetzt auch, das deutliche Scheitern des Volksentscheids sei »ein klarer Vertrauensbeweis für Ole von Beust und die parlamentarische Demokratie«. Katerstimmung stellt sich demgegenüber bei den Oppositionsparteien ein. Zwar bemängeln sie nun öffentlich, daß es hier und dort zu Unregelmäßigkeiten gekommen wäre, doch intern stellt man eher die Frage, wie es denn angehen könne, daß nun nicht sie, sondern eher der amtierende Bürgermeister und die Union gestärkt in die Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 gehen können.

Linkspartei zögerlich

Gardiner plagen solche Sorgen nicht. Sie kündigte am Montag bereits an, daß man jetzt darüber nachdenke, vielleicht schon bei den Bundestagswahlen 2009 einen neuen Anlauf zu nehmen. Das wäre dann vielleicht auch eine Chance für Die Linke. Denn anstatt sich auf einen Erfolg bei dieser Abstimmung zu konzentrieren, stritt man hier wochenlang und noch während der bereits begonnenen Abstimmung über die Besetzung der Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahlen. Ein eigenes Plakat zum Thema wurde dann erst Anfang letzter Woche sichtbar. So aber ist es kein Wunder, daß die Beteiligung an der Abstimmung gerade in den linken Wahlhochburgen, etwa in Wilhelmsburg, Harburg und Mitte, besonders niedrig ausfiel.

Verwendung: Junge Welt vom 16. Oktober 2007
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21. September 2007

Bürgerinitiativen wollen Volksentscheide stärken. Abstimmungen sollen bindende Wirkung für Politiker bekommen. CDU eröffnet Bürgerschaftswahlkampf

Mit der Zusendung der Briefwahlunterlagen bis zum heutigen Freitag, beginnt in Hamburg die Abstimmung über einen Volksentscheid für eine verbindliche Volksgesetzgebung. Es geht um die Frage, ob Volksentscheide für Politiker künftig bindend sein sollen. In der Vergangenheit hatte sich die Partei von CDU-Bürgermeister Ole von Beust mit ihrer Bürgerschaftsmehrheit rabiat über Entscheidungen des Volkes hinweggesetzt. So verkaufte sie den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), obwohl sich 2004 drei Viertel aller Wahlbürger dagegen ausgesprochen hatten.

Nun will ein Bündnis von rund 30 Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Vereinen und Parteien dieser Ignoranz einen Riegel vorschieben. Denn mit dem Volksentscheid »Hamburg stärkt den Volksentscheid« soll bewirkt werden, daß das Votum künftig nur noch dann verändert werden kann, wenn dem im Parlament eine Zweidrittelmehrheit zustimmt. Doch die Hürde ist hoch: An der Abstimmung, die bis zum 14. Oktober läuft, müssen sich mindestens 50 Prozent aller Wahlbürger beteiligen. Mehr als zwei Drittel von ihnen müssen mit Ja stimmen. Das wären 607 468 Bürger.

Die Initiatoren sind optimistisch, denn in Hamburg wird seit mehreren Jahren über das Für und Wider von Volksentscheiden und Bürgerbegehren gestritten. Während die CDU die Hürden immer höher legen will, fordern zahlreiche Bürger schon seit Jahren eine Erleichterung der Verfahren. Das wollen auch die Oppositionsparteien SPD, Grüne, FDP und Die Linke. Sie rufen deshalb ihre Anhänger für Samstag zu einem Tag der Demokratie auf. Allein die SPD will an diesem Tag mit mehr als 30 Infoständen für ein Ja bei der Volksabstimmung werben. Mit dabei sind auch zahlreiche Prominente, wie etwa die Schauspieler Hannelore Hoger und Rolf Becker, der Kabarettist Hans Scheibner und Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm. »Laßt uns verteidigen, was in diesem Land noch an Demokratie übrig ist«, begründete Becker sein Engagement.

Auch die CDU macht mobil. Volksentscheide dürften nicht zu einer »Bühne für Populisten, Radikale und Selbstdarsteller« werden. Auf Plakaten fordert die Partei »Rettet die Verfassung«. Das verdeutlicht vor allem eines: Mit der Volksabstimmung hat auch der Wahlkampf für die Bürgerschaftswahlen am 28. Februar 2008 begonnen.

Verwendung: Junge Welt vom 21. September 2007
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26. Juli 2007

TriebwerkeWerbung für Marschflugkörper und Jet-Triebwerke in einem Anzeigenblatt. Bundestagsabgeordneter der CDU bekam dafür Geld von Rüstungsfirmen

Die Zahlungen von Rüstungsfirmen wie EADS und MBDA für ein von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch herausgegebenes Regionalblatt stoßen auf wachsende Kritik. Denn wie der Stern am Dienstag vorab berichtete, äußerte der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim inzwischen den Verdacht, daß es sich bei diesen Zahlungen um verkappte Parteispenden handelt. Aufgeflogen war die Sache, als Willsch seine Nebeneinkünfte beim Bundestagspräsidium deklarierte und dabei drei nicht näher bezeichnete Anzeigenkunden auffielen, die jeweils Zahlungen von 7000 Euro geleistet hatten. Doch für eine ganzseitige Anzeige ist in dem von Willsch herausgegebenen Monatsblatt lediglich ein Nettogrundpreis von 4624 Euro fällig.

Das seien »Gesamtrechnungen« für gleich mehrere Anzeigen gewesen, sagt nun Willsch. Doch warum den Menschen im südwestlichen Zipfel Hessens überhaupt Marschflugkörper oder Eurofighter-Triebwerke mit dem als kostenlose Wurfzeitung verbreiteten Rheingau Taunus Monatsanzeiger (Auflage 90000 Exemplare) angeboten werden, erklärt das nicht. Sein Blättchen gehe nicht nur an einfache Bürger, sondern auch an »hochrangige Mandatsträger der CDU«, sagt Willsch dazu. Gleich 16 Anzeigen mit einem Gesamtpreis von rund 35000 Euro haben die benannten Rüstungsfirmen laut stern deshalb in dem von Hobbyjournalisten aus dem Umfeld der Jungen Union erstellten Blatt bisher veröffentlicht.

Doch den Vorwurf der Bestechlichkeit oder einer Einflußnahme der Rüstungsfirmen weist Willsch, Vorsitzender des Unterausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union und Mitglied im Haushaltsausschuß des Bundestages, entschieden zurück. Jedem sei es schließlich selbst vorbehalten in »diesem oder jenem Medium« Anzeigen zu schalten. Für die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti ist das keine ausreichende Erklärung. Sie forderte eine »lückenlose Aufklärung«. Und auch der Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag, Tarek Al Wazir, fragt sich nun laut, »warum weltweit agierende Rüstungsunternehmen« ihre teuren Produkte in dem »Käseblatt« anbieten.

Daß Willsch (er erzielte im vergangenen Jahr Nebeneinkünfte von rund 83000 Euro) ein eigenwilliges Verständnis von der Trennung zwischen Mandat und Geschäftsinteressen besitzt, ist sogar auch den eigenen Parteifreunden aufgefallen. Denn der 46jährige Oberleutnant der Reserve hatte zuvor versucht, die auch innerhalb der Union übliche Parteiabgabe mit Eigenanzeigen der CDU in seinem Anzeigenblatt zu verrechnen. Man könne sich deshalb mit diesem Bundestagsabgeordneten nicht mehr schmücken, sagte dazu der frühere Kreislandwirt und langjährige CDU-Mann Herbert Enders gegenüber der Presse.

Doch nicht nur CDU-Abgeordnete sind das Ziel der Rüstungslobby. Erinnert sei an den Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, der sich im Bundestagswahlkampf 2005 seine Wahlkampf-Flyer und Stellschilder von Krauss-Maffei und Rheinmetall finanzieren ließ. Kahrs gilt als Militärexperte und ist Berichterstatter seiner Partei für das Verteidigungsministerium. Doch ein Schelm, wer Böses dabei denkt, und so hatte auch Kahrs jede Kritik zurückgewiesen. Denn »enge Kontakte von Politik und Wirtschaft« gehörten nun mal zum »Kernbereich unserer parlamentarischen Demokratie«, sagte Kahrs.

Verwendung: Junge Welt vom 26. Juli 2007
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19. Juni 2007

Ruediger_Sagel
Landtagsabgeordneter verurteilt nach seinem Parteiaustritt die Grünen für militaristische und antisoziale Politik. Ein Gespräch mit Rüdiger Sagel

Rüdiger Sagel ist Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen

Sie waren über Jahrzehnte Mitglied der Grünen. Warum haben Sie die Partei jetzt verlassen?

Dafür gibt es drei Gründe. Zunächst die Außenpolitik: Seit Jahren unterstützen die Grünen nun schon Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland. Das begann ja schon mit der Unterstützung des Krieges in Jugoslawien. Ich hatte gehofft, daß sich dies dann wieder ändert. Doch nun unterstützt die Grünen-Bundestagsfraktion trotz eines anderslautenden Parteitagsbeschlusses auch den Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Ein weiterer Grund sind die Hartz-Gesetze, die von den Grünen auch heute, in der Opposition, noch vertreten werden. Mit ihren Positionen zur »grünen Marktwirtschaft« ist meine ehemalige Partei nun sogar zum Sachverwalter wirtschaftsliberaler Interessen mutiert. Schwarz-grüne Regierungen oder sogenannte Jamaika-Koalitionen werden deshalb schon für möglich gehalten.

Bezüglich der Hartz-Gesetze hat der nordrhein-westfälische Landesverband der Grünen gerade eine Kurskorrektur beschlossen. Auf einem Landesparteitag wurden die Gesetze als »Desaster« bezeichnet, und die Delegierten sprachen sich für eine soziale Grundsicherung von 900 Euro im Monat aus.

Man muß aber leider feststellen, daß das, was jetzt in NRW beschlossen wurde, auf der Bundesebene der Grünen bisher niemanden interessiert.

In Ihrer Austrittserklärung kritisieren Sie ihre ehemalige Partei in fast allen gesellschaftspolitischen Fragen. Wenn der Bruch aber so groß ist, warum sind Sie dann nicht schon – wie Tausende andere – 1999 während des Krieges gegen Jugoslawien ausgetreten?

Ich hatte das auch damals schon überlegt. Doch es gab seinerzeit noch eine Reihe guter Gründe, wie etwa in der Sozial- und Ökologiepolitik, Mitglied der Grünen zu bleiben. Und als die Hartz-Gesetze beschlossen wurden, hoffte ich zunächst darauf, daß sich dies dann in der Opposition wieder verändern wird und sich die Grünen an ihre alten Grundwerte erinnern. Das ist allerdings ist nicht der Fall.

Sie haben am Wochenende als Gast am Fusionsparteitag der Linken in Berlin teilgenommen. Werden Sie dort jetzt eintreten?

Die Linke ist für mich eine interessante politische Alternative. Deshalb bin ich nach Berlin gefahren. Ich wollte mir diese Partei anschauen und sehen, wie sie Politik macht. Ich wollte feststellen, ob das auch für mich eine realistische Perspektive ist. Ich bin aber auch niemand, der nach zwei Jahrzehnten aus der einen Partei austritt, um sofort in die nächste zu wechseln. Ich leugne aber auch nicht, daß mir das, was ich in Berlin gesehen habe, sehr gut gefallen hat und daß es mir sehr sympathisch war. Viele »grüne« Grundwerte sehe ich bei der Linken gut vertreten.

Grünen-Chefin Claudia Roth hat Sie für Ihren Schritt heftig attackiert und die Linke als einen Verein von Westpopulisten und Ostnostalgikern bezeichnet, der keine Konzepte habe.

Claudia Roth tritt leider sehr häufig mit derart unqualifizierten Äußerungen auf. Ähnlich war das ja auch schon im Vorfeld des G-8-Gipfels mit ihrer unqualifizierten Kritik an den Globalisierungsgegnern. Daraus spricht nur die Angst vor der linken Konkurrenz.

Sehen Sie bei den Grünen ein größeres linkes Potential, das sich von der neuen Linken angesprochen fühlen könnte?

Ich würde zum linken Potential bei den Grünen fast 30 Prozent der Mitglieder rechnen. Da gibt es viele, die ebenso verärgert sind wie ich. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickeln wird. Denn im Moment versuchen Spitzenpolitiker der Grünen ja so zu tun, als wäre linke Politik weiterhin nur bei den Grünen gut aufgehoben. Die Realität sieht aber leider ganz anders aus.

Welche Rolle hat für Ihre Entscheidung das Bremer Landtagswahlergebnis gespielt?

Keine große. Es waren eher prinzipielle Erwägungen, die mich nun zu diesem Schritt veranlaßt haben. Doch andererseits verdeutlicht das Bremer Wahlergebnis schon, wie groß gegenwärtig die Chancen für eine durchsetzungsfähige und politikfähige Linke sind.

Verwendung: Junge Welt vom 19. Juni 2007
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19. Juni 2007

Fünf Wochen nach den Bürgerschaftswahlen in Bremen, haben sich SPD und Grüne am Wochenende auf einen Koalitionsvertrag und die Neubesetzung des Bremer Senats geeinigt. Wie der Senat bestellt sein soll, daß gaben beide Parteien am Montag auf einer Pressekonferenz bekannt. Die Grünen erhalten demnach zwei von insgesamt sieben Senatsressorts. Ihrem Koalitionspartner haben die Sozialdemokraten unter Bürgermeister Jens Böhrnsen dabei neben der Umweltbehörde nur noch das Finanzressort zugebilligt. Letzteres wird nun von bisherigen grünen Fraktionsvorsitzenden Karola Linnert geleitet.

Doch noch weniger hat die Öko-Partei bezüglich der inhaltlichen Grundlagen ihrer künftigen Regierungshandelns durchsetzen können. Die Fahrrinnenvertiefung der Weser, ein Projekt, das die Grünen noch im Wahlkampf heftig kritisierten, ist nun beschlossene Sache. Und auch beim umstrittenen Neubau eines großen Kohlekraftwerkes, haben die Grünen offenbar kapituliert. Zwar soll letzteres noch durch ein „Prüf- und Moderationsverfahren“ gehen, doch dass es dann am Ende gebaut wird, daran zweifelt neimand. Erkauft hat sich dies die SPD mit dem Ausbau eines „Kompetenzzentrums für Klimaschutz, Energiesparen und erneuerbare Energien“ sowie mit fünf Renaturierungsprojekten an der Weser.

Wer in der neuen Koalition das Sagen hat, das verrät indes auch ein Blick auf die weitere Senatsliste. Denn außer beim Finanzressort, verwalten die Sozialdemokraten nun sämtliche Schlüsselressorts. Darunter die für Arbeit und Soziales, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft und das Justizressort.

Neue Akzente will die SPD-Grüne-Koalition hingegen in der Sozialpolitik setzen. Mit 58 Millionen Euro will der neue Senat die Kindergärten ausbauen. Mehr Geld soll rd künftig auch für die Betreuung der Erwerbslosen geben. Letzteres steht allerdings unter einem Finanzierungsvorbehalt. Wie der Senat aber Haushaltsumschichtungen in diese Richtung bewirken will, sei bisher nicht erkennbar, kritisierte denn auch Klaus-Rainer Rupp, finanzpolitischer Sprecher der neuen Bürgerschaftsfraktion der LINKEN.

Ebenfalls nicht vom Tisch ist die Privatisierung eines Teils der Bremer Kliniken und die Kürzung der Zuschüsse für die Bremer Hochschulen um 93 Millionen Euro, die noch der alte SPD-CDU-Senat beschloß.

Verwendung: bisher keine Verwendung
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08. Juni 2007

Bremen: Grüne geben Widerstand gegen neues Kohlekraftwerk und Vertiefung der Weser auf

Ob Neubau eines Kohlekraftwerks, Bestätigung der Kürzungen bei der Hochschulfinanzierung oder Vertiefung der Weserfahrrinne – es gibt offensichtlich kein »urgrünes« Thema, bei dem sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen in Bremen nicht durchgesetzt hat. Das geht aus dem Protokoll eines Spitzengespräches zwischen SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen und der Grünen-Frak­tionsvorsitzenden Karoline Linnert vom 19.Mai hervor, welches der taz mittlerweile vorliegt, die es Anfang der Woche auszugsweise veröffentlichte. Bei der Grünen-Basis der Hansestadt sorgte das Papier für erheblichen Unmut, so daß sich der Landesvorstand gezwungen sah, ein Rundschreiben an alle Mitglieder zu verschicken, in dem vor »Verratslegenden« gewarnt wird.

Doch die Echtheit des brisanten Protokolls bestreitet auch der Vorstand der Grünen nicht. Und dort steht schwarz auf weiß, daß weder die Rücknahme der Mittelkürzungen an den Hochschulen und der Fahrrinnenvertiefung, noch die Verhinderung eines neuen 900-Megawatt-Kohlekraftwerks im Stadtteil Mittelsbüren für Linnert noch ein Thema sind. All das aber waren »Wahlkampfschlager« der Partei.

Entsprechend sauer sind auch die niedersächsischen Grünen. Denn dort hatte die Partei im Kommunalwahlkampf versprochen, die Fahrrinnenvertiefung mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Die Landtagsabgeordnete Ina Korter forderte deshalb nun ihre Bremer Parteifreunde auf, in dieser Frage hart zu bleiben. Entsetzen auch bei den Umweltschutzverbänden, die seit Jahren gegen dieses umweltzerstörende Projekt kämpfen.

Erfreuliches gibt es hingegen zum »Sozialen« zu berichten. Denn unter dem Druck des Wahlerfolgs der Linken, haben sich die Verhandlungsdelegationen von SPD und Grüne darauf geeinigt, nun mehr Geld für Kinder und Arbeitslose auszugeben. Selbst die Umwandlung einiger Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ist im Gespräch. Doch eben diese Linke befürchtet nun, daß solche Maßnahmen mit Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst finanziert werden. »Wird neues Geld in die Hand genommen, oder spart man anderer Stelle im Haushalt«, diese Frage müsse endlich beantwortet werden, forderte Linkspartei-Landessprecherin Inga Nitz am Mittwoch.

Verwendung (zum Teil): Junge Welt vom 8. Juni 2007
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30. März 2007

Bürgermeister von Beust will Verfassungsänderung »mit Macht« verhindern

Die Debatte um die Volksgesetzgebung hat am Mittwochabend in der Hamburger Bürgerschaft zu einem heftigen Schlagabtausch geführt. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) kündigte zwar an, die restriktiveren Bestimmungen zur Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden zu streichen. Die ebenfalls geforderte Verfassungsänderung, mit der Volksentscheide verbindlicher werden sollen, will der Regierungschef jedoch »mit Macht« verhindern. Aus diesem Grund solle eine Volksabstimmung zu dieser Frage bereits im November – und damit nicht zeitgleich mit der Bürgerschaftswahl am 24. Februar 2008 – stattfinden. Der Senat erhofft sich von dieser Terminierung, daß die für eine Verfassungsänderung notwendige Mindestbeteiligung von 50 Prozent der Wahlberechtigten nicht zustande kommt.

Rund 100000 Hamburger hatten die beiden Volksbegehren »Rettet den Volksentscheid« und »Hamburg stärkt den Volksentscheid« zuvor unterstützt (jW berichtete). Nötig gewesen wären hierfür lediglich 62000 Unterschriften. Dabei fand deren Sammlung unter erschwerten Bedingungen statt, da die Menschen zum Beispiel nicht einfach auf der Straße unterzeichnen konnten. Das soll künftig möglich sein – soviel hat der Bürgermeister nun zugestanden. »Bei diesem ersten Volksbegehren sehen wir die große Unterstützung der Bürger mit Respekt und akzeptieren deren Wunsch«, sagte von Beust. Doch die Verfassungsänderung lehne seine Partei ab, da sie »das Prinzip der repräsentativen Demokratie auf den Kopf« stelle.

Das Vorgehen von Beusts sei nichts als »Sabotage« und »Manipulation« am in den Volksbegehren dokumentierten Bürgerwillen, konterte die Fraktionschefin der Grünen, Christa Goetsch. Von »ehrabschneidenden« Formulierungen sprach daraufhin CDU-Fraktionschef Bernd Reinert. Um »jemanden etwas abzuschneiden, müßte es derjenige erst einmal besitzen«, brachte SPD-Fraktionschef Michael Neumann das Faß für die Konservativen schließlich zum Überlaufen. Sie brachen die Debatte ab und forderten die Einberufung des Ältestenrates. Die Volksinitiativen gaben derweil bekannt, daß sie eine Wiederholung des zweiten Volksbegehrens erwägen. Das hätte neue Fristen zur Folge, die Senat und Bürgerschaft dazu zwingen würden, die Volksabstimmung zur Verfassungsänderung an den Wahltermin zu koppeln.

Verwendung: Junge Welt
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9. März 2007

Warum die Hamburger SPD überhaupt noch zur Bürgerschaftswahl im Frühjar 2008 antreten will und wozu sie gar einen Spitzenkandidaten braucht, ist eigentlich nicht ersichtlich. Selten hat sich ein Landesverband einer großen Partei so systematisch zerlegt wie der der Hamburger Genossen. Gegen deren Intrigensumpf wirkt selbst die brandenburgische CDU wie ein Musterbeispiel für Geschlossenheit. Höhepunkt waren vor rund zwei Wochen 1000 verschwundene Stimmzettel bei der parteinternen Urwahl eines Bürgermeisterkandidaten, was den kompletten Landesvorstand samt möglicher Kandidaten entnervt zum Rückzug bewog. Angefragte »Retter« wie Henning Voscherau winkten entsetzt ab. Dieser sozialdemokratischen Konkursmasse steht mit Amtsinhaber Ole von Beust (CDU) ein äußerst beliebter Politiker gegenüber, der seiner Partei längst vorgemacht hat, wie man die urbanen neuen Mittelschichten gewinnen kann.

Angesichts solcher Konstellationen schlägt stets die Stunde für Menschen, von denen nichts erwartet wird. Diese Stellenbeschreibung paßte punktgenau auf Michael Naumann, der zwar gerne den weltgewandten Intellektuellen mimt, aber weder als Publizist und Verleger noch bei seinem Ausflug in die Bundeskulturpolitik Bäume ausgerissen hat. Zuletzt wurde er noch als Verwalter gepflegter Langeweile in der Chefredaktion der Zeit bemerkt, bevor er sich auf eine Art Altersteilzeitstelle als Mitherausgeber des Blattes zurückzog.

Es spricht für die äußerst kargen beruflichen Perspektiven Naumanns, daß er am Donnerstag in Hinblick auf die ihm angetragene Spitzenkandidatur betonte: »Ich mache das gerne«. Postwendend warf er die Phrasendreschmaschine an. Er wolle »die wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs vorantreiben« und dabei »soziale Aspekte berücksichtigen«. Und dabei »durch Hartnäckigkeit überzeugen« und »die Innenpolitik neu fokussieren«.

Für die offizielle Nominierung durch den kommenden Landesparteitag der Hamburger SPD dürfte das dicke reichen. Man kann Ole von Beust schon jetzt zur Wiederwahl gratulieren.

[Dieser Kommentar wurde von meinem jW-Kollegen Rainer Balcerowiak verfasst.]

Verwendung: Junge Welt
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Linke raus, Schwarze rein. Harald Ringstorff (SPD) will jetzt zusammen mit der CDU Mecklenburg-Vorpommern regieren

Im Schweriner Landtag soll am heutigen Dienstag der SPD-Politiker Harald Ringstorff erneut zum Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern gewählt werden. SPD und CDU hatten dafür erst gestern ihren 57seitigen Koalitionsvertrag im Schweriner Schloß unterzeichnet. Doch inhaltliche Debatten gab es dabei offenbar kaum, nur um die Posten wurde eifrig gefeilscht.

Der 67jährige Ringstorff arbeitete als Chemiker in der DDR zwei Jahrzehnte für Rostocker Schiffsbaukombinate. Während der »Wende« war er an der Gründung der Ost-SPD beteiligt. Seine Wahl gilt als sicher, nachdem CDU und SPD auf Sonderparteitagen das Koali­tionspapier durch die jeweilige Parteibasis mit großer Mehrheit hatten absegnen lassen. Unmut gab es nur im Detail und vor allem bei der SPD. Die mußte nämlich das Innenressort der CDU überlassen und ging auch beim Bildungs- und Wirtschaftsministerium leer aus. Ringstorff hatte die große Koalition als alternativlos bezeichnete, weil die bisherige SPD-Linkspartei.PDS-Koalition nach den Landtagswahlen im September nur noch eine Stimme Vorsprung im Landtag hat. Das aber reicht nach Ringstorffs Meinung nicht für die Bildung einer »handlungsfähigen Regierung« aus.

Ändern wird sich damit nicht nur das Personal, sondern auch die Ausrichtung der Landespolitik. Die Regierung wird auf die Einführung von Studiengebühren ebenso Kurs nehmen wie auf eine verstärkte Förderung der Wirtschaft. Schluß ist nun mit arbeitsmarktpolitischen Experimenten von Exminister Helmut Holter (Linkspartei.PDS), dem es immerhin gelang, einige hundert neue Stellen vor allem im Bildungsbereich zu schaffen. CDU und SPD hätten Anregungen aus der Wirtschaft aufgegriffen, lobte denn auch Unternehmerverbandschef Klaus Hering.

Zwei bislang von der Linkspartei.PDS geleitete Ministerien werden aufgegeben: zum einen das Arbeitsministerium, das dem Wirtschaftsressort unter CDU-Landeschef Jürgen Seidel zugeschlagen wird. Zum anderen das Umweltministerium, das dem Agrarministerium eingegliedert wird. Die Linkspartei.PDS steht somit vor einem Scherbenhaufen, denn alles, was sie durchsetzen konnte, wird nun in Windeseile beseitigt.

Doch während die Linkspartei noch Schwierigkeiten damit hat, sich auf ihre neue Oppositionsrolle einzustellen, stiehlt die NPD-Fraktion ihr bereits die Schau. Diese beschloß am Wochenende, ihren Fraktionschef Udo Pastörs als Gegenkandidat zu Ringstorff aufzustellen. Als Ausdruck des Protestes gegen das Postengeschacher der letzten Tage und damit Ringstorff einen Denkzettel erhält, wie NPD-Landeschef Stefan Köster betonte.

http://www.jungewelt.de/2006/11-07/049.php