19. Juni 2007

Ruediger_Sagel
Landtagsabgeordneter verurteilt nach seinem Parteiaustritt die Grünen für militaristische und antisoziale Politik. Ein Gespräch mit Rüdiger Sagel

Rüdiger Sagel ist Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen

Sie waren über Jahrzehnte Mitglied der Grünen. Warum haben Sie die Partei jetzt verlassen?

Dafür gibt es drei Gründe. Zunächst die Außenpolitik: Seit Jahren unterstützen die Grünen nun schon Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland. Das begann ja schon mit der Unterstützung des Krieges in Jugoslawien. Ich hatte gehofft, daß sich dies dann wieder ändert. Doch nun unterstützt die Grünen-Bundestagsfraktion trotz eines anderslautenden Parteitagsbeschlusses auch den Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Ein weiterer Grund sind die Hartz-Gesetze, die von den Grünen auch heute, in der Opposition, noch vertreten werden. Mit ihren Positionen zur »grünen Marktwirtschaft« ist meine ehemalige Partei nun sogar zum Sachverwalter wirtschaftsliberaler Interessen mutiert. Schwarz-grüne Regierungen oder sogenannte Jamaika-Koalitionen werden deshalb schon für möglich gehalten.

Bezüglich der Hartz-Gesetze hat der nordrhein-westfälische Landesverband der Grünen gerade eine Kurskorrektur beschlossen. Auf einem Landesparteitag wurden die Gesetze als »Desaster« bezeichnet, und die Delegierten sprachen sich für eine soziale Grundsicherung von 900 Euro im Monat aus.

Man muß aber leider feststellen, daß das, was jetzt in NRW beschlossen wurde, auf der Bundesebene der Grünen bisher niemanden interessiert.

In Ihrer Austrittserklärung kritisieren Sie ihre ehemalige Partei in fast allen gesellschaftspolitischen Fragen. Wenn der Bruch aber so groß ist, warum sind Sie dann nicht schon – wie Tausende andere – 1999 während des Krieges gegen Jugoslawien ausgetreten?

Ich hatte das auch damals schon überlegt. Doch es gab seinerzeit noch eine Reihe guter Gründe, wie etwa in der Sozial- und Ökologiepolitik, Mitglied der Grünen zu bleiben. Und als die Hartz-Gesetze beschlossen wurden, hoffte ich zunächst darauf, daß sich dies dann in der Opposition wieder verändern wird und sich die Grünen an ihre alten Grundwerte erinnern. Das ist allerdings ist nicht der Fall.

Sie haben am Wochenende als Gast am Fusionsparteitag der Linken in Berlin teilgenommen. Werden Sie dort jetzt eintreten?

Die Linke ist für mich eine interessante politische Alternative. Deshalb bin ich nach Berlin gefahren. Ich wollte mir diese Partei anschauen und sehen, wie sie Politik macht. Ich wollte feststellen, ob das auch für mich eine realistische Perspektive ist. Ich bin aber auch niemand, der nach zwei Jahrzehnten aus der einen Partei austritt, um sofort in die nächste zu wechseln. Ich leugne aber auch nicht, daß mir das, was ich in Berlin gesehen habe, sehr gut gefallen hat und daß es mir sehr sympathisch war. Viele »grüne« Grundwerte sehe ich bei der Linken gut vertreten.

Grünen-Chefin Claudia Roth hat Sie für Ihren Schritt heftig attackiert und die Linke als einen Verein von Westpopulisten und Ostnostalgikern bezeichnet, der keine Konzepte habe.

Claudia Roth tritt leider sehr häufig mit derart unqualifizierten Äußerungen auf. Ähnlich war das ja auch schon im Vorfeld des G-8-Gipfels mit ihrer unqualifizierten Kritik an den Globalisierungsgegnern. Daraus spricht nur die Angst vor der linken Konkurrenz.

Sehen Sie bei den Grünen ein größeres linkes Potential, das sich von der neuen Linken angesprochen fühlen könnte?

Ich würde zum linken Potential bei den Grünen fast 30 Prozent der Mitglieder rechnen. Da gibt es viele, die ebenso verärgert sind wie ich. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickeln wird. Denn im Moment versuchen Spitzenpolitiker der Grünen ja so zu tun, als wäre linke Politik weiterhin nur bei den Grünen gut aufgehoben. Die Realität sieht aber leider ganz anders aus.

Welche Rolle hat für Ihre Entscheidung das Bremer Landtagswahlergebnis gespielt?

Keine große. Es waren eher prinzipielle Erwägungen, die mich nun zu diesem Schritt veranlaßt haben. Doch andererseits verdeutlicht das Bremer Wahlergebnis schon, wie groß gegenwärtig die Chancen für eine durchsetzungsfähige und politikfähige Linke sind.

Verwendung: Junge Welt vom 19. Juni 2007
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