Koalition aus CDU und Grünen in der Hansestadt verkauft Ein-Euro-Jobs als Innovation. SPD und Linkspartei rücken zusammen. Eimsbüttel macht den Ausreißer
Mit einer Regierungserklärung vor der Bürgerschaft hat Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am Mittwoch nachmittag die Philosophie seines neuen »schwarz-grünen« Senats offenbart. Jenseits »durchschnittlichen Denkens« überwinde die Koalition mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) »alte Gegensätze zwischen links und rechts« und bringe so eine Modernisierung von Staat und Gesellschaft zustande. Beispielhaft verdeutlichte er dies am Beispiel der 470000 in Hamburg lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Auch seine Partei müsse begreifen, daß deren bessere Integration für den Standort gut sei. Die mit »ökologischen Aspekten« durchsetze Wirtschaftspolitik müsse sozial- und bildungspolitisch so flankiert werden, daß die »Versorgungsmentalität kreativ aufgebrochen« werde. Haushaltsumschichtungen dafür seien möglich, neue Schulden schließe er hingegen aus, so von Beust.
»Verkrustete Strukturen« aufbrechen will auch Jens Kerstan, Fraktionschef der Grünen. Ein Kerngedanke des neuen Bündnisses bestehe darin, »individuelle Lösungen für individuelle Probleme« zu finden, sagte er in der Plenardebatte. »Lücken in der Sozialversorgung einzelner Stadtteile« werde die neue Koalition mit Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik schließen. Als da wären: 4000 neue Kombi- und Ein-Euro-Jobs. Ähnlich »kreativ« zeigte sich Kerstan dann auch bei der Frage der bislang von seiner Partei bekämpften Vertiefung der Elbfahrrinne. Das Problem sei halb so wild, denn dafür gäbe es jetzt einen »ökologischen Ausgleichsfond«.
SPD-Fraktionschef Michael Naumann ging die Debatte auf die Nerven: »Faule Kompromisse« könne man so nicht verkleistern. »Die Gebühren für Schulen, Kindertagesstätten, Lernmittel, ja selbst für Obdachloseneinrichtungen, die ihr jetzt akzeptiert«, ließen sich nicht wegdiskutieren, hielt er den Grünen entgegen. Kein gutes Haar ließ der SPD-Mann an der neuen, sechsjährigen Grundschule. Da diese sowohl an Gymnasien wie an den Stadtteilschulen eingerichtet werde, verstärke sie die soziale Selektion. Neumann versprach eine »kraftvolle Opposition« und wandte sich überraschend an Die Linke. Deren Hang zum Populismus teile er zwar nicht, doch eine engere Zusammenarbeit sei in vielen Fragen angesagt.
Linksfraktionschefin Dora Heyenn ging darauf nicht ein. Auffällig war aber doch, daß sie den »Systemwechsel in der Gesundheits- und Sozialpolitik« dann nur an Maßnahmen der CDU festmachte. SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor. Der neue Senat sei »eine Koalition der Opernbesucher«, rief sie Grünen und Christdemokraten zu und bekam kräftigen Beifall von Neumann. Als hätte es die jahrelange Feindschaft nicht gegeben, stehen die Zeichen auf Annäherung der beiden Oppositionsparteien. SPD-Landeschef Ingo Egloff überraschte am Dienstag mit der Aussage, daß ein Bündnis mit den Linken, die er bislang wahlweise als »Dummköpfe«, »Stalinisten« oder »Sektierer« bezeichnet hatte, nach der Bürgerschaftswahl 2012 denkbar sei.
Noch einen Schritt weiter ging die Kreisorganisation der Eimsbüttler SPD. Auf einem Parteitag beschloß sie Anfang der Woche, eine Koalition mit der Linkspartei auf Bezirksebene anzustreben. Da wäre auch die Eimsbüttler GAL im Boot, und »rot-rot-grün« hätte die Mehrheit in der Bezirksversammlung. Ob es zu einer solchen Koalition in Eimsbüttel komme, sei aber noch »völlig offen«, versicherte die Linke-Bezirkssprecherin Cornelia Hippler-Sattler am Donnerstag gegenüber junge Welt. Über die Aufnahme von Gesprächen müsse eine Mitgliederversammlung am 9. Juni entscheiden. Nach uns vorliegenden Informationen, haben solche Gespräche aber längst stattgefunden. SPD Kreischef Jan Pörksen sicherte der Linken dabei zu, alle Forderungen ihres Wahlprogramms zu unterstützen, unterzeichne diese einen Bezirks-Koalitionsvertrag.
Anmerkung: Die im obigen Artikel kursiv wiedergegebenen Texte wurden für die Veröffentlichung in der Tageszeitung „Junge Welt“ leider aus Platzgründen gestrichen. Zudem schlich sich dort ein Fehler ein: Aus dem Satz „SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor“ (in dem Absatz zu Dora Heyenn) wurde der Satz „SPD und Grüne blieben außen vor“, was aber richtig falsch ist, denn die Grünen kritisierte Heyenn äußerst scharf.
Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 30. Mai 2008
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