14. Februar 2008

CDU muß bei Hamburger Wahl mit massiven Stimmenverlusten rechnen, FDP stagniert. SPD und Grüne sind ohne eigene Mehrheit – nur Die Linke legt fleißig zu

Da war sie wieder ins Fettnäpfchen getreten, Hamburgs Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU), als sie dieser Tage vorschlug, daß Schüler künftig auch am Samstag in die Schule müssen, um Überlastungen aus dem Lehrplan besser auszugleichen. Er sei »aus allen Wolken gefallen«, als er davon erfahren habe, empörte sich Bürgermeister und Parteikollege Ole von Beust. Umgehend wies er den Vorschlag seiner Senatorin zurück. Wie immer die Bürgerschaftswahlen am 24. Februar ausgehen, ein Ergebnis liegt schon vor: die Tage von Dinges-Dierig sind gezählt. So wie die des Pleiten- und Justizsenators Carsten Lüdemann (CDU): Monatelang hatte er mit gefälschten Statistiken eine besonders harte Strafverfolgung von jugendlichen Kriminellen vorgetäuscht. So lange, bis der Schwindel schließlich aufflog.

Extreme Nervosität

Sind es nur Ungeschicklichkeiten, ist es ein Hang zum Masochismus, der bei der CDU Einzug hält? Vieles spricht eher dafür, daß solche Fehler Anzeichen extremer Nervosität im Unionslager sind. Meinungsforscher sagen der Partei – sie holte 2004 immerhin 47,2 Prozent und regiert das Rathaus seitdem mit absoluter Mehrheit – schon seit Monaten herbe Verluste voraus. Bis zu zehn Prozent. Das könnte auch die FDP nicht ausgleichen. Die Liberalen lagen in den Umfragen Anfang Februar bei fünf Prozent. Daß der Senat nun schnell noch vor den Wahlen einen mehrjährigen Vertrag mit dem Energiekonzern E.on über die Nutzung des Gasnetzes abschloß, deutet jedenfalls auf Endzeitstimmung hin. Ebenso der Deal von Finanzsenator Michael Freytag (CDU). Klammheimlich wollte er eines der wertvollsten städtischen Grundstücke – das Baubehörden-Areal – für einen Schnäppchen-Preis an einen Privatinvestor verkaufen. Erst am gestrigen Mittwoch zog er den nach heftigen Protest der Oppositionsparteien schließlich zurück.

Doch auch SPD und Grüne kommen bislang mit ihrem Wahlkampf nicht richtig zu Pott. Zwar konnte SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann seine Partei aus dem historischen Umfragetief vom Mai 2007 (29 Prozent) inzwischen wieder herausführen, doch die Werte von 33 und 36 Prozent, mit denen seine Partei jetzt gehandelt wird, reichen für einen Wechsel unter seiner Führung nicht. Zumal da die Zugewinne mit Verlusten beim grünen Wunschkoalitionspartner kombiniert sind. Im Mai 2007 gaben Meinungsforscher den Grünen 16 Prozent, jetzt liegen sie bei zehn. Wahlforscher sehen darin auch den Preis für schwarz-grüne Koalitionsspekulationen, die es bei den Grünen immer wieder gab.

Stabil ist indes die Lage bei den Linken. Seit über einem Jahr liegt die Partei oberhalb der Fünf-Prozent-Marke. Allen Umfragen zufolge wird sie in der Bürgerschaft das Zünglein an der Waage sein. Und auch das »kleine Tief«, in dem sich Die Linke Anfang des Jahres nach den Worten ihrer Landessprecherin Christiane Schneider befand, scheint überwunden. Tagelang hatte sich die Partei zu diesem Zeitpunkt in Tolerierungsdebatten verheddert. Die Wahlforscher geben der Linken mittlerweile sieben bis acht Prozent, Spitzenkandidatin Dora Heyenn geht sogar von einem zweistelligen Ergebnis aus.

Soziale Gerechtigkeit

Wie Die Linke setzt auch die SPD im Wahlkampf auf »soziale Gerechtigkeit«. Naumann fordert die Streichung aller Bildungs- und Kitagebühren, die Rücknahme sämtlicher Sozialkürzungen des CDU-Senats, die Verwandlung der Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Ebenso ein neues Stadtwerk für die Energieversorgung und Initiativen für einen gesetzlichen Mindestlohn. Doch gleichzeitig will er Steuern und Abgaben nicht erhöhen, keine neuen Schulden machen, die »Wirtschaftsförderung« nicht antasten. Wie will der Sozialdemokrat seine Forderungen finanzieren, fragt deshalb Linke-Kandidat Olaf Harms.

Über 200000 Menschen sind in Hamburg von Hartz IV abhängig. »Die lassen sich nicht länger betrügen«, sagt Wolfgang Joithe, der auf Platz 4 der Linke-Liste für die Bürgerschaft kandidiert. Der 57jährige ehemalige Systembetreuer ist seit über drei Jahren selbst ein Hartz-IV-Empfänger. Für die Linke ein absoluter Glücksfall, denn ihm vertrauen die Leute, wenn er sagt: »Hartz IV muß weg«, das Sozialticket und die Forderung nach Erhöhung der Regelleistungen seien nur ein erster Schritt dorthin. Ein Mann wie Joithe, da sind sich seine Zuhörer einig, wird sich nicht anpassen, wird in keine Tolerierungsfalle hineintapsen. In der künftigen linken Fraktion wird er damit nicht allein sein. Auch die Exil-Iranerin Zaman Masudi, DKP-Mann Olaf Harms, Mehmet Yildiz von der Migrantenorganisation DIDF sowie Dora Heyenn stehen für diesen klaren Oppositionskurs.

[Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite, die ich für die Tageszeitung Junge Welt gestaltete. Lesen Sie deshalb auch Dokumentation: Sechs Punkte für soziale Gerechtigkeit und das Interview »In der Opposition kann man viel bewegen«. Die gesamte und gestaltete Seite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt vom 14. Februar 2008