05. September 2008

Heftige Auseinandersetzung in Hamburger Bürgerschaft. CDU diffamiert Abgeordnete der Linken

In der ersten Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft nach der Sommerpause hat die Linkspartei-Abgeordnete Christiane Schneider am Mittwoch abend die Polizeiübergriffe auf Teilnehmer des dort kürzlich veranstalteten Klima- und Antirassismuscamps kritisiert. »Was zählen in dieser Stadt eigentlich die Bürgerrechte?« fragte die Vizechefin der Linksfraktion in der Aktuellen Stunde. Der CDU/Grünen-Senat habe zur »Wahrung des Koalitionsfriedens« zwar während der Camps auf einen offenen »Law and Order«-Kurs verzichtet. Später hätten sich aber die CDU-Hardliner, wie etwa Innensenator Christoph Ahlhaus, durchgesetzt. Auf dem Höhepunkt der Camps habe Ahlhaus dann mit seiner Parole »den Chaoten kein Pardon« grünes Licht für Polizeiübergriffe gegeben, die Grundrechte „außer Kraft“ gesetzt hätten. Vor allem die Versammlungsfreiheit wäre dabei »auf der Strecke geblieben«, so Schneider. Wie berichtet, hatte die Abgeordnete bereits in der Woche zuvor auf einer Pressekonferenz ein Video vorgestellt, auf dem deutlich zu sehen ist, wie Polizeibeamte Teilnehmer von Aktionen der Camps grundlos zu Boden warfen und mißhandelten. In der Bürgerschaft sprach die Abgeordnete deshalb von einer »arroganten Demonstration polizeilicher Macht« auf Kosten der Grundrechte. Als innenpolitische Sprecherin ihrer Frak­tion forderte Schneider, die Vorkommnisse gründlich aufzuarbeiten.

Der Auftritt sei ein »dreister Angriff auf die Integrität unserer Polizei«, reagierte der innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, Kai Voet van Vormizeele. Ähnlich erregt zeigte sich SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel, der die Frage aufwarf, welche Rolle die Linksfrak­tion in diesem »Grenzbereich zwischen illegalen und legalen Protest« spiele. Schneider habe mit »ihren Solidaritätsadressen für Chaoten« der Demokratie einen Bärendienst erwiesen und selbst den Boden für »Krawall und Chaos« geschaffen. Dressel reagierte damit auch auf Vorwürfe von Schneider. Da der SPD-Mann ein Verbot solcher Camps gefordert hatte, sei er mitverantwortlich für die »Kriminalisierung« des berechtigten Protests etwa gegen Abschiebungen. Sicherlich, so Schneider: Bei einzelnen Aktionen, sei die Grenze zur Gewalt überschritten worden, was sie selbst bedaure. Doch wer dies dann, wie etwa Dressel oder Ahlhaus, zum Vorwand nehme, um gleich Hunderte von Demonstranten »in eine Art von gesinnungsmäßiger Sippenhaftung« zu nehmen, der verlasse auch selbst »den Boden des Rechts«.

Ganz aus dem Häuschen war daraufhin CDU-Hardliner Karl-Heinz Warnholz: »Wir kennen Ihre kommunistische Vergangenheit«, schrie er Schneider an. »Halten Sie künftig zu diesem Thema den Mund«, so der Vorsitzende des Innenausschusses, der den Verdacht äußerte, Schneider habe ihr Video gefälscht. Schließlich forderte er die Abgeordnete auf, ihr Mandat niederzulegen. »Sie sind eine Schande für das ganze Haus«, rief er aus.

Und die in der Hansestadt mitregierenden Grünen? Die Polizei habe »insgesamt ihre Einsätze gut gelenkt«, doch offenbar gebe es »Einzelfälle«, wo dies nicht so war, müßten diese geprüft werden, versuchte die Abgeordnete Antje Möller einen komplizierten Spagat. Dass die Versammlungsfreiheit missachtet worden wäre, wies ihr Parteikollege und Justizsenator, Till Steffen, indes klar zurück. Er suchte den Fokus der Kritik nun auf SPD-Mann Dressel zu lenken. Dieser habe seiner Forderung des Verbots den Bogen überspannt. »Denken Sie doch nur an ihre eigene Geschichte und daran, dass die Vorstellung, man könne staatskritischen Protest einfach ersticken, schon unter Bismarck scheiterte«, rief er Dressel zu. Immerhin: Steffen versprach Schneider nun alle Vorwürfe gegen einzelne Beamte auch durch seine Behörde zu prüfen. Die CDU-Fraktion quittierte dies mit eisigem Schweigen.

Anmerkung: In der Veröffentlichung für die Tageszeitung junge Welt mussste dieser Artikel aus Platzgründen leider gekürzt werden. Die entsprechenden, dort nicht veröffentlichten Passagen, sind hier kursiv gesetzt. Leider ging dadurch verloren, daß Schneider in der Sache durchaus einen kleinen Erfolg erzielte: der Justizsenator sicherte ihr immerhin zu, die Vorwürfe zu prüfen.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 5. September 2008
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09. August 2008

Nach tagelangem Mauern des schwarz-grünen Senats wird ein Gelände bereitgestellt

Am 15. August beginnen in Hamburg das diesjährige antirassistische Sommer- und das erste deutsche Klimaaktionscamp. Bis zu 2500 Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Bewegungen und Initiativen werden dazu erwartet. Am Freitag sagte der schwarz-grüne Senat der Hansestadt den Veranstaltern nun endlich einen Ort für das Treffen zu. Es wird nun auf einem Platz im Vorhornweg im Stadtteil Lurup stattfinden. Zuvor hatten die Behörden den Organisatoren einen angemessenen Platz verweigert. Die hatten einen Park auf der dem Hafen zugeneigten Halbinsel Entenwerder vorgeschlagen. Doch das zuständige Bezirksamt berief sich auf die Grünanlagenverordnung, die das Kampieren in Parkanlagen verbiete. Für den Fall der Zuwiderhandlung war ein Zwangsgeld von 25000 Euro angedroht worden. Mit der Mobilisierung geht es unterdessen voran. »Die elektrischen Leitungen fliegen wie Wolken über unsere Dörfer, wir haben aber selbst keinen Strom« und »Wer von Migration redet, darf von Weltwirtschaft nicht schweigen« lautet der Titel einer Veranstaltung am Montag, mit der möglichst viele Hamburger für eine Teilnahme an den Aktionen zwischen 15. und 24. August gewonnen werden sollen.

Das Podium am Montag wird hochkarätig mit internationalen Gästen besetzt sein, unter ihnen der Botschafter Boliviens in der BRD, Walter Magne, und Victor Nzuzi Mbembe von der internationalen Kleinbauernorganisation Via Campesina. »Wir haben es bewußt so eingerichtet, daß dort nur Nichteuropäer sitzen«, sagte Margret Geitner von der Initiative »Kein Mensch ist illegal« gegenüber jW. Den Veranstaltern gehe es auch nicht nur um Aktionen, sondern auch um die Diskussion gemeinsamer Strategien sozialer Bewegungen.

Walter Magne wird am Montag über einen Brief des bolivianischen Präsidenten Evo Morales an Institutionen der Europäischen Union informieren. Schon im Juni hatte er darin die neue Abschieberichtlinie der EU scharf kritisiert. Sie verletze »in schlimmster Weise« die Menschenrechte. Trete sie in Kraft, müsse sich sein Land vorbehalten, die Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag mit der EU abzubrechen. Auch Bolivien könne Visapflichten für EU-Bürger einführen, so Morales, der daran erinnerte, daß während des Zweiten Weltkrieges Millionen Flüchtlinge aus Europa in Lateinamerika aufgenommen worden waren. Zudem habe Europa diese Länder jahrhundertelang ausplündert, während die heutigen Migranten durch Geldüberweisungen einen Beitrag zur Prosperität ihrer Herkunftsländer bzw. einen Teil jener Entwicklungshilfe leisten, der sich die EU immer noch entziehe.

Der kongolesische Landwirt Victor Nzuzi gilt seit Jahren auch in Deutschland als ein besonders engagierter Streiter für eine gerechtere Welt. Er beschreibt die Probleme Afrikas meist an Hand vieler Bilder aus seinem Dorf im Westen Kongos.

Mobilisierungsveranstaltung für die Camps am 11. August, 19 Uhr, HWP, Von-Melle-Park 9, Großer Hörsaal

Verwendung: Junge Welt vom 9. August 2008
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06. August 2008

Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft will »Hartz IV«-Beziehern bei Behördenbesuchen Beistand leisten

In Hamburg hat einer der Vizepräsidenten der Bürgerschaft, der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Joithe angekündigt, »Hartz IV«-Bezieher künftig als »Beistand« bei ihren Besuchen in der für sie zuständigen Leistungsbehörde zu begleiten. Damit wolle er ein Beispiel für »tätige Solidarität« geben, erklärte der Politiker gegenüber jW. »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.« Wer die »Arbeitsgemeinschaft SGB II« (ARGE) aufsuche, sei vielfach »behördlichen Schikanen« ausgesetzt. Joithe spricht aus eigener Erfahrung: Bis zu seinem Einzug in die Bürgerschaft im Februar 2008 war er als Erwerbsloser auch selbst von Leistungen der »Hartz IV«-Behörde abhängig.

Die Hinzuziehung eines solchen Beistandes ist im Paragraphen 13, Absatz 4 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) geregelt. Eine sinnvolle Bestimmung, die allerdings viel zu wenig genutzt werde, meint Joithe und verweist auf das Beispiel eines 23jährigen Mannes. Ohne dessen Zustimmung hätten ARGE-Mitarbeiter diesem eine »Eingliederungsvereinbarung« und einen Ein-Euro-Job aufnötigen wollen. Als er sich weigerte, die »Vereinbarung« zu unterzeichnen, da er zunächst seinen Hauptschulabschluß nachholen wollte, habe ihm das Amt mit dem Entzug sämtlicher Leistungen gedroht. »Völlig rechtswidrig« sei dies gewesen, so Joithe, denn der Betroffene habe ja selbst konstruktive Vorschläge für die Verbesserung seiner Vermittlungschancen vorgebracht. Vorschläge, die das Amt am Ende auch akzeptierte – doch erst, nachdem Joithe interveniert hatte.

Im Gespräch mit junge Welt verweist der Abgeordnete auf eine Vielzahl solcher Widrigkeiten, mit denen sich Erwerbslose fast täglich konfrontiert sehen. Besonders schlimm sei es auch dann, wenn etwa Anträge auf Bewilligung von Leistungen »systematisch« verschleppt oder unsachgemäß, häufig zu Lasten des Leistungsempfängers, bearbeitet werden. Ohne Beistand seien die Betroffenen solcher Willkür dann aber häufig recht hilflos ausgesetzt. Durchführen will Joithe seine eigenen Beistandsbesuche deshalb in Kooperation mit der Erwerbsloseninitiative PeNG! (»Aktive Erwerbslose und Geringverdiener«). Durch sein eigenes Beispiel ermutigt, hofft Joithe, daß sich dann weitere Freiwillige nach einem kurzen Einführungsseminar als ehrenamtlich tätige Beistände zur Verfügung stellen. Ein »Netzwerk konkreter Hilfe und Solidarität« könne so flächendeckend entstehen. Wer selbst helfen möchte oder aber einen Bestand benötigt, kann sich an das Abgeordnetenbüro des Vizepräsidenten wenden. Rufnummer: (040) 79695004.

Verwendung: Junge Welt vom 6. August 2008
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05. August 2008

Mecklenburg-Vorpommern will Hilfen für Sehbehinderte drastisch reduzieren

Die im Juli bekanntgewordenen Pläne der SPD-CDU-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern, das Blindengeld dort ab 2009 von monatlich 546 auf 333 Euro pro Peson zu kürzen, haben den Widerstand der Blinden- und Sehbehindertenverbände hervorgerufen. Für den heutigen Dienstag ist eine Mahnwache vor der Staatskanzlei in Schwerin angekündigt. Der Protest richtet sich auch gegen eine Kabinettsvorlage von Finanzministerin Sigrid Keler (SPD). Darin hatte sie die Kürzung des Blindengeldes damit begründet, daß der in Mecklenburg-Vorpommern bisher gezahlte Zuschuß um etwa 150 Euro über dem Durchschnitt der Zahlungen in allen anderen ostdeutschen Bundesländern liege. »Ich dachte, die Zeiten wären vorbei, da zwischen Ost und West unterschieden wird«, empört sich etwa Bernd Uhlig vom Blinden- und Sehbehindertenverein Greifswald.

Die Landesregierung will auch die Zuschüsse für hochgradig sehbehinderte Menschen außerhalb von Blindeneinrichtungen, das sogenannte kleine Blindengeld, auf etwa die Hälfte des derzeit ausgezahlten Betrages von monatlich 136 Euro reduzieren. Keler erhofft sich so Haushaltseinsparungen von 8,7 Millionen Euro allein 2009. In den drei Folgejahren sollen es jeweils 8,2 Millionen Euro sein. Für Blinde und Sehbehinderte wäre das »fatal«, empört sich Gudrun Buse, Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins in Mecklenburg-Vorpommern. In einer Erklärung verweist sie auf die gestiegenen Kosten nicht nur für Blinden-Hilfsgeräte, sondern vor allem auch für die Begleitung sehbehinderter Personen. Ohne diese seien Blinde kaum in der Lage Einkaufsfahrten, Arzt- und Behördenbesuche, Freizeitaktivitäten und Urlaub zu organisieren. Würden die Pläne aus dem Finanzministerin umgesetzt, sei eine »angemessene Teilhabe« am gesellschaftlichen Leben für diesen Personenkreis kaum noch möglich. »Bittere Armut« und ein weitgehender Mobilitätsverlust wären die Folgen. Eine Ausweitung der Proteste kündigte Buse deshalb bereits an; notfalls auch mit »mehreren tausend Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet« vor dem Schweriner Schloß. Blinde, so Buse, halten schließlich zusammen.

Die Landesregierung erhofft sich Einsparungen. Tatsächlich werde so aber das Geld nur »von einer Tasche in die nächste geschoben«, bemängelt Irene Müller, sozialpolitische Sprecherin der Partei Die Linke, und als Blinde selbst betroffen. Sie sagt: Kürzungen beim Blindengeld erhöhen gleichzeitig die Ausgaben bei der sogenannten Blindenhilfe. Letzteres ist eine spezielle Form der Sozialhilfe, die ebenfalls aus einem Topf des Landes finanziert werden muß. Dann allerdings verbunden mit dem Nachteil, daß Blinde zunächst ihr mühsam Erspartes aufbrauchen müssen. Auch Müller kündigte im Namen ihrer Partei Widerstand gegen die Kürzungspläne an.

heute, 9.30 Uhr, Mahnwache vor dem Haupteingang der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern, Schloßstraße 2–4 in Schwerin

Verwendung: Junge Welt vom 05. August 2008
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04. August 2008

Kritiker befürchten, dass der Stadtteil an seinen Bewohner vorbeientwickelt werde. Manche wehren sich gegen Strukturveränderungen, andere kritisieren den Mangel an konkreten Verbesserungen

VON KRISTINA GERSTENMAIER

Gegen die Internationale Bauausstellung (IBA) 2013 in Wilhelmsburg regt sich Widerstand. Kleingärtner sorgen sich um ihre Oasen, Studenten um die billigen Mieten, andere bemängeln, dass die Bewohnerschaft nicht genügend an den bevorstehenden Veränderungen beteiligt werde. „Die IBA ist nur für die IBA da“, behauptet Michael Rothschuh, Professor für soziale Entwicklung.

Obwohl sich IBA-Mitarbeiter, Investoren und die Bewohner Wilhelmsburgs einig waren, dass im Stadtteil etwas passieren muss, haben sich seit dem Auftakt im vergangenen Jahr mehrere kritische Initiativen gebildet. „Es besteht die Gefahr, dass hier wohnende Menschen durch Mietsteigerungen und durch die Umwandlung von Sozial- in Eigentumswohnungen vertrieben oder in Randbereiche abgedrängt werden“, sagt der Journalist und Stadtteilaktivist Andreas Grünwald. Dies betreffe vor allem Migrantenfamilien und Wenigverdiener. Seit Monaten beschäftigt er sich im Aktionskreis „Wilhelmsburg gehört uns!“ damit, wie man „die asozialen Komponenten der ,Durchmischung‘ genannten Vertreibung eines Teils der Bevölkerung“ entgegentreten kann.

Die Immobilienpreise stiegen zwischen 2005 und 2007 schon von 1.018 Euro pro Quadratmeter auf 1.233 Euro. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga vermeldet keinen Leerstand mehr, seit viele Studenten und Künstler in Wilhelmsburg ihre Zukunft sehen. Eine Mietsteigerung gebe es jedoch nicht, sagt eine Saga-Sprecherin.

Sanierungsarbeiten im Reiherstiegviertel haben bereits begonnen. Dabei werden in einem IBA-Projekt die Außenfassaden der Gründerzeitgebäude erneuert. Das „Weltquartier“, das Menschen von über 30 Nationalitäten beherbergt, wird unter Beteiligung der BewohnerInnen umgebaut. Die 820 Wohnungen des Quartiers sollen renoviert und vergrößert werden, so dass 130 wegfallen. Allerdings werden auch neue Wohnungen gebaut.

Bei den Projekten werde nicht viel herauskommen, unkt Michael Rothschuh. Auch Projekte, die sich erst einmal positiv anhörten, seien nicht nachhaltig. Sie würden nur angegangen, um 2013 etwas präsentieren zu können. Das so genannte Open House, bei dem „ein buntes Straßenleben“ mit Geschäften und Cafés entstehen werden soll, hält er für überfrachtet. Auch Andreas Grünwald spricht von einer „reinen Inszenierung“.

Es gebe kein einziges Projekt, das den Bewohnern nutze, behaupten einige. „Ihr habt viel versprochen, aber umgesetzt wurde bis jetzt nichts“, schimpfte Günther Katz, Vorsitzender des Bürgervereins, bei einer IBA-Veranstaltung. Der Zollzaun am Spreehafen im Norden des Stadtteils solle endlich geöffnet werden, damit die Anwohner Zugang zum Wasser hätten. Ein Fahrradweg solle den Stadtteil mit dem Alten Elbtunnel und St. Pauli verbinden.

„Der IBA stehen eine Millionen Euro zur Verfügung“, kritisiert Jörg von Prondzinski, der seit seiner Geburt im Stadtteil lebt. „Dafür wird Goldlametta gekauft und in die Luft gepustet.“ Eigentlich werde nur die Werbetrommel gerührt, um Investoren anzulocken.

Gute Ansätze wie der Themenschwerpunkt „soziale Stadt“ seien zwar vorhanden, meint Michael Rothschuh, aber die IBA habe keine Erfahrung damit. Deswegen sei die Umsetzung unzureichend. „Eine Befragung im Weltquartier ist keine längerfristige Bürgerbeteiligung“, sagt Rothschuh.

Die Bürgerbeteiligung ist der IBA wichtig. „Hier gibt niemand fertige Lösungen vor – schon gar nicht gegen den Willen der Betroffenen“, teilt sie im Internet mit. Tatsächlich hat sie schon eine Reihe von Diskussionsforen auch unter Beteiligung von Bewohnern veranstaltet. Eine Ausstellung in einem ehemaligen Supermarkt gibt einen Überblick über die Themen und Pläne.

Für Jörg Prondzinski steht fest, dass das grundlegende Problem Wilhelmsburgs der Lärm ist, dessen Lösung nicht angegangen werde. Im Zuge des IBA-Kultursommers, der in erster Linie Werbung für den Stadtteil machen solle, habe der Lärm sogar noch zugenommen. „Es wird versucht, Negativ-Lärm, wie die Container vom Hafen, mit Positiv-Lärm zu überdecken“, moniert er.

Prondzinski ist Mitbegründer der Lärmschutzinitiative „60 Dezibel“, die der IBA vorwirft, die lärmempfindliche Bevölkerung verdrängen zu wollen. Zwar würde die IBA gern die zentrale Wilhelmsburger Reichsstraße verlegen und den Durchgangsverkehr um den Stadtteil herumlenken. Doch zugleich plant der Senat einen neuen Containerhafen am Rande des Stadtteils.

Auch unter den Kleingärtnern regt sich Widerstand. Die Gruppe „Zornige Gartenzwerge“ kämpft um ihre Kolonie Bauernfelde, die teilweise geräumt werden soll. Die Gärten sollen Teil des Geländes der mit der IBA verbundenen Gartenschau werden. Die meisten Kleingärten sollen aber nur umgestaltet werden. Die Kleingärtner üben grundsätzliche Kritik an den IBA-Projekten: „Schwachsinn ist es“, sagt Kleingartenbesitzer Ronald Wilken, „wenn Grün gegen Grün kämpfen muss.“

Beileibe nicht alle Wilhelmsburger sehen die IBA so kritisch. Manuel Humburg von der Bürgerinitiative „Zukunft Elbinsel“ könnte vieles von den allgemeinen Projekten unterschreiben. Er glaubt nicht, dass der Stadtteil nach ökonomischen Kriterien umstrukturiert wird. „Der Mensch braucht mehr als bezahlbaren Wohnraum“, meint er, „zum Beispiel Bildung“. Darum kümmere sich die IBA in Gestalt einer neuartigen Stadtteilschule. Einige Kritiker argumentierten „unglaublich oberflächlich“.

IBA 2013

Die IBA ist ein Prozess, mit dem die Lebensbedingungen im Stadtteil über mehrere Jahre hinweg verbessert werden sollen. Die zentrale Idee ist, dass mitten in der Großstadt, auf der Elbinsel zwischen der City und Harburg, Stadtentwicklung betrieben wird. Dabei will das IBA-Büro wegweisende Lösungen für das 21. Jahrhundert finden. Sie orientieren sich an drei Themenkreisen: dem Zusammenleben vieler unterschiedlicher Ethnien, dem Klimawandel und den „inneren Stadträndern“, denn Wilhelmsburg ist umgeben von Hafen-, Industrie- und Verkehrsflächen. KNÖ

Verwendung: taz hamburg vom 04. August 2008
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26. Juli 2008

Klimaschützer und Antirassisten rufen zum gemeinsamen Camp in Hamburg auf. Stadt verweigert Fläche

In drei Wochen werden Klimaschützer und Antirassisten in Hamburg ihre Zelte aufschlagen. Am Donnerstag nachmittag informierte ein Initiativenbündnis während einer Barkassenfahrt durch den Hafen über zwei Protestcamps, die vom 15. bis 24. August in Hamburg organisiert werden. »Wir rechnen mit etwa 2500 Anreisenden aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland«, so eine Sprecherin der Initiative gegenüber junge Welt. Um so ärgerlicher sei das Verhalten der Behörden in der Hansestadt. Alle Vorschläge für eine Fläche, auf der sowohl das Klima- als auch das antirassistische Camp Platz gefunden hätten, seien zurückgewiesen worden. »Wir haben einen Spießrutenlauf durch die Ämter hinter uns«, so die Sprecherin. Ohne Ergebnis. Nun fordern die Organisatoren einen Park auf der dem Hafen zugeneigten Halbinsel Entenwerder. Sollte die Stadt auch diesen Vorschlag ignorieren, müsse die Fläche halt besetzt werden, so Ines Kohburger von der Vorbereitungsgruppe. Der schwarz-grüne Senat sei dringend aufgefordert, die Fläche offiziell zur Verfügung zu stellen, heißt in einer Erklärung des Bündnisses, in dem u. a. ATTAC, NoLager Bremen, six hills aus Berlin, die BUND-Jugend, zahlreiche Flüchtlingsinitiativen sowie die Bundeskoordination Internationalismus (Buko) aktiv sind. Der zuständige Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (SPD), lehnt das ab. Unterstützung bekommt er vom Fraktionschef der Grünen im Bezirk, Michael Osterberg: In Hamburger Parkanlagen sei das Zelten »grundsätzlich verboten«, so der Grüne vor der Presse.

Die Initiativen haben sich bewußt für Hamburg entschieden. Zum Beispiel, weil die Hansestadt eine »so traurige Rolle als norddeutsche Abschiebezentrale« spiele, begründet Conni Gunßer für die antirassistischen Initiativen. Eindringlich verwies sie auf die zahlreichen – vor allem afghanischen – Flüchtlinge, die die Ausländerbehörde, häufig im Rahmen von Sammelabschiebungen, in ihre vom Krieg gezeichneten Länder zurückgeschickt habe. Regelmäßig werde dafür das Nachtflugverbot für den Flughafen außer Kraft gesetzt. Vor allem gegen Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern komme es häufig zu »brutalen Polizeiübergriffen«. Allein für das kommende Jahr bereite die europäische Grenzschutzagentur Frontex noch zehn Sammelabschiebungen vor. Ausgehend von den Camps wird es deshalb am 22. August einen Aktions-tag auf dem Hamburger Flughafen geben. Gunßers Hoffnung ist es, das Gebäude »mit Tausenden von Teilnehmern zu fluten«. Bereits am 18. August wollen die Camper einen Discounter besetzen, um auf die »rabiate Geschäftspolitik von Supermarktketten und ihre rassistische Ausbeutung« aufmerksam zu machen.

Aktionen wird es während der Camps auch gegen das geplante Steinkohlekraftwerk in Moorburg (Besetzung des Bauplatzes am 15. August) sowie gegen verschiedene Produzenten im Düngemittel- und Pestizidbereich geben, berichtete Heinz Wittmer vom Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft. Die Vorherrschaft der Agrochemie führe in zahlreichen Ländern dazu, die bäuerliche Landwirtschaft in Abhängigkeit von solchen Konzernen zu halten. Das Ergebnis seien Hunger und Unterernährung. Wittmer verwies im Hafen auf eine Biodieselraffinerie, die vom Agrarkonzern Archer Daniels Midland (ADM) betrieben wird. Dort würde »Gensoja aus Südamerika und das Palmöl der gerodeten Urwaldflächen Indonesiens« für deutsche Autos verarbeitet. Am 19. August rufen die Camper daher zu einer Demonstration zum Firmensitz von ADM im Stadtteil Wilhelmsburg auf.

camp08.antira.info

Verwendung: Junge Welt vom 26. Juli 2008
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04. Juli 2008

Hamburg: Nachgelagerte Gebühren sollen trotz zahlreicher Proteste ins Gesetz

Am kommenden Dienstag wollen CDU und Grüne in Hamburg sogenannte nachgeordnete Studiengebühren im Gesetz verankern. Die Oppositionsparteien SPD und Die Linke haben angekündigt, ihre Zustimmung in der Bürgerschaft zu verweigern.

Mitte dieser Woche durften die Studierenden noch einmal Luft ablassen. Rund 150 Kommilitonen verschiedener Hochschulen nahmen an einer Anhörung des Wissenschaftsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft teil. Die heftige Kritik richtete sich vor allem an die Abgeordneten der Grünen. »Ich vertraue euch nicht mehr«, so Benjamin Renter vom AStA der Hochschule für bildende Künste (HfbK) zur grünen Ausschußvorsitzenden Dr. Eva Gümbel. Die hatte den Studenten der HfbK noch kurz vor der Stimmabgabe für die Bürgerschaft am 24. Februar erklärt: Wer die Grünen wählt, wählt die Studiengebühren ab. Ähnlich harsch war die Kritik des Generalsekretärs des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde. Durch das neue Gesetz werde der »Abschreckungseffekt«, nach der Schule ein Studium aufzunehmen, eher noch verschärft. Dazu trage besonders bei, daß die Zahlungsverpflichtungen nun direkt an die Bank- und Kreditinstitute übertragen werden.

Für die Studierenden brächte das neue Gesetz – bei dem nicht während, sondern nach dem Studium zur Kasse gebeten wird – in vielen Punkten eine Verschlimmerung bisheriger Regelungen. Sicherlich: Die Höhe der Gebühren wird von 500 auf 375 Euro pro Semester reduziert. Das ist eine »Mogelpackung«, weil Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) gleichzeitig eine Vielzahl bisher geltender Ausnahmeregelungen zur Befreiung von den Studiengebühren gestrichen hat. Zahlen müssen nun auch Behinderte und Studierende mit Kind. Dadurch würden sich die Zahlungsverpflichteten um rund 10000 Personen pro Semester erhöhen, freute sich die Senatorin.

Die Studiengebühren werden bei dem Modell zunächst durch die Hamburgische Wohnungsbaukreditanstalt zinslos kreditiert und für die Studierenden nur virtuell erfaßt. Für die Stadt, so die Kritiker, bedeute das einen zusätzlichen Verwaltungs- und Zinsaufwand von bis zu 22 Millionen Euro im Jahr. Doch auch die Studierenden sind vor Zinszahlungen an die Bank- und Kreditinstitute keineswegs geschützt. Wird etwa die Regelstudienzeit überschritten, kann nur noch zwei Semester ein Studiendarlehen in Anspruch genommen werden. Grundsätzlich sollen die Studierenden ihre aufgelaufene Schuld nach Ende des Studiums und bei Erreichen eines Jahresbruttoeinkommens von 30000 Euro zurückzahlen. Dann allerdings auf einen Schlag. Wem dies nicht gelingt, der ist zu Zinsvereinbarungen mit Kreditinstituten verpflichtet.

Verwendung: Junge Welt vom 04. Juli 2008
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03. Juli 2008

Eimsbüttel lädt am Wochenende zum dreitägigen Methfesselfest

Unter dem Motto »Mit Vergnügen Position beziehen« beginnt am Freitag abend das dreitägige Hamburger Methfesselfest. In den 80er Jahren war es eins der vielen Stadtteilfeste der damals noch stärkeren Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Nach einer Pause wurde die Tradition Mitte der 90er wieder aufgegriffen. Unter Einbeziehung anderer linker Gruppen und Parteien sowie zahlreicher Stadtteil- und Bürgerinitiativen ist es inzwischen das größte nichtkommerzielle Straßenfest in der Hansestadt.

In diesem Jahr steht vor allem die Solidarität mit Migrantinnen und Migranten im Vordergrund. Sie seien besonders betroffen von Erwerbslosigkeit, Schulmisere und der daraus resultierenden Perspektivlosigkeit, heißt es in der Ankündigung für das Wochenende. Es wird Lesungen, Diskussionen, Kabarett und Live-Musik geben. Die »Bollywood«-Kindertanzgruppe aus dem Sportverein Grün-Weiß Eimsbüttel ist ebenso dabei wie die Rock-Formation »more than 6«, der HipHopper Holger Burner, die Oma-Körner-Band sowie die Musikgruppe Gutzeit. Politischer Höhepunkt ist eine Podiumsdiskussion am Sonntag vormittag zum Problem der wachsenden Armut in der Stadt. Dafür haben sich unter anderem der Vizepräsident der Bürgerschaft Wolfgang Joithe (Die Linke) sowie die Buchautorin Ursel Becher angekündigt. Starkes Interesse dürfte auch ein Solidaritätsmeeting mit dem sozialistischen Kuba am Samstag mittag finden. Erwartet wird dazu die Erste Sekretärin der kubanischen Botschaft aus Berlin, Déborah Ascuy Carillo.

Methfesselfest: 4. bis 6. Juli, Hamburg-Eimsbüttel, Else-Rauch-Platz
Nähere Infos: methfesselfest.de

Verwendung: Junge Welt vom 03. Juli 2008
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02. Juli 2008

Das Reiherstieg-Viertel in Hamburg WilhelmsburgHamburger Armutsviertel soll flottgemacht werden. Berliner Soziologe warnt vor Folgen der Gentrifizierung

Mit einem »Sprung über die Elbe« und einer Internationalen Bauausstellung (IBA) will der CDU-geführte Hamburger Senat den auf einer Elbinsel gelegenen Armutsbezirk Wilhelmsburg »aufwerten«. Für CDU-Bürgermeister Ole von Beust hat die Aufgabe »höchste Priorität«, denn die Elbinsel biete den Raum für die »wachsende Stadt«. Doch die Wilhelmburger selbst sind indes wenig angetan von dem Bemühen um ihr Quartier.

Während Medien und IBA-Geschäftsführer Ulrich Hellwig seit Monaten keine Gelegenheit auslassen, zu betonen, daß nun endlich die Chance da sei, einen seit den 80ern als »restlos kaputt« geltenden »Problembezirk« zu heilen, lehnen viele der Inselbewohner die Planungen ab. Man sei »in tiefer Sorge«, daß die als Aufwertung verkaufte Umstrukturierung am Ende nur dazu führe, daß die Mieten steigen und der Stadtteil zum »Spekulationsobjekt für Privatinvestoren« werde, hieß es am Montag abend auf einer gut besuchten Protestveranstaltung. Zu Gast war auch der Berliner Soziologe Andrej Holm, der die sozialen Verdrängungsprozesse im Zuge einer »neoliberalen Stadtpolitik« am Beispiel des Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg verdeutlichte.

Von Beust setzt dagegen, daß Hamburg wachsen müsse und die Elbinsel den dafür nötigen Raum biete. 35 Quadratkilometer ist das Eiland groß. Fast die Hälfte der rund 50000 Einwohner sind so arm, daß sie auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. In keinem anderen Viertel Hamburgs sind die Erwerbslosenquote sowie der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund höher als in Wilhelmsburg. »Wieviel Gucci verträgt die Insel?« fragte deshalb Hellwig gleich zu Beginn des von ihm geleiteten Aufwertungsprozesses. Besonders das Reiherstieg-Viertel – ein durch zahlreiche Gründerzeitbauten geprägtes Altstadtviertel – hat es dem Geschäftsführer der für 2013 geplanten IBA angetan.

Stadtplaner nennen das, was er betreibt, Gentrifizierung: Um die Stadtentwicklung voranzutreiben, werden »Pioniere« angelockt. Meist sind es Studenten, die mit extra bezuschußtem und damit sehr günstigen Wohnraum versorgt werden. Hellwigs Kalkül: Mit jedem dieser Studenten ändert sich der Alltag im Viertel, geraten gewachsene Milieus durcheinander. So entdecken schließlich auch Künstler die »inspirierende Vielfalt« dieses Stadtteils und Investoren scharren mit den Hufen. Da dies nicht von allein passiert, hilft Hellwig mit einer millionenschweren Imagekampagne. Wilhelmsburg, das sei die »neue Mitte«, die »Zukunft Hamburgs«, heißt es in zahlreichen bunten Werbeflyern. Events und staatlich finanzierte Dauerpartys sollen die Stimmung anheizen. Ist das Viertel erst aufpoliert, so hofft Hellwig, würden sich auch finanzkräftige Neubewohner in den mit öffentlichen Mitteln sanierten Altbaubeständen niederlassen.

»Scheiß auf Gucci« ist die Antwort vieler Bewohner. Sie schimpfen über »unerträglichen Dauerlärm« und verlangen, daß der »bezahlbare Wohnraum« auch für sie geschützt werde. Andrej Holm warnte am Montag abend: »Sie werden euch mit Beteiligungs- und Partizipationsformen kommen, sie werden sagen, daß alles, was gemacht werde, mit den Bewohnern besprochen werde«. Doch am Ende eines solchen »Stadtplanungsregiments« stünde allein das »ökonomische Verwertungsinteresse«. »Prüft deshalb jede Maßnahme, die sie euch anbieten, auf ihren realen Gebrauchswert für euch selbst«, riet Holm den widerständigen Wilhelmsburgern.

Verwendung: Junge Welt vom 2. Juli 2008
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30. Juni 2008

Andreas Grünwald, 49, geb. in WilhelmsburgDie Arbeitsgruppe Wilhelmsburg diskutiert Umstrukturierung und neoliberale Stadtpolitik

taz: Herr Grünwald, wie weit ist die Aufwertung von Wilhelmsburg gediehen?

Andreas Grünwald: Noch ist sie in der Planungsphase. Im Moment wüsste ich nicht, welche Bauvorhaben eigentlich real sind. Außerdem gibt es eine Kampagne, um das Image des Stadtteils aufzubessern.

Was meinen Sie konkret, wenn Sie die neoliberale Stadtpolitik kritisieren?

Es ist die ökonomische Verwertung des Stadtteils mit dem Ziel, Geschäftsleute, Privatinvestoren und besserverdienende Neuzuzöglinge anzuziehen, statt etwas für die Menschen zu machen, die schon da sind. Davon leben 50 Prozent von staatlichen Transferleistungen.

Sie haben den Berliner Soziologen Andrej Holm eingeladen. Was kann Hamburg von Berlin lernen?

Als Stadtteilaktivist hat sich Holm mit ähnlichen Entwicklungen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg beschäftigt. Wir erhoffen uns Anregungen für eine konkrete Form des politischen Widerstands vor Ort.

Hat Wilhelmsburg das gleiche widerständische Potential?

Im Rahmen der IBA-Prozesse müssen Hunderte Kleingärtner jetzt ihre Parzellen aufgeben. In der Weimarer Straße sollen bisher günstige Sozialwohnungen in größere und damit teurere Wohneinheiten umgewandelt werden. Da gibt es bereits eine Menge Protest. Interview: MKG

30. Juni, 19.30 Uhr, Rudolfstr. 5, Eintritt frei

Anmerkung: Ganz gegen meine Gewohnheiten habe ich mit obigen Interview nicht selbst ein solches geführt, sondern mich interviewen lassen. Die angesprochene Veranstaltung ist inzwischen vorbei. Sie hatte 85 Besucher. Nähere Infos finden Sie hier.

Verwendung: taz hamburg vom 30. Juni 2008
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18. Juni 2008

Martin Behrsing PorträtSeit drei Jahren hilft das Erwerbslosen Forum Betroffenen, ihre Rechte durchzusetzen. Ein Gespräch mit Martin Behrsing

Martin Behrsing ist Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland

Das Erwerbslosen Forum Deutschland beging soeben sein dreijähriges Bestehen. Was haben Sie in dieser Zeit erreicht?

Bundesweit gehört das Forum zu den bekanntesten Internet-Portalen für Erwerbslose. Inzwischen verzeichnen wir jeden Tag Seitenzugriffe von über 30000 Besuchern. Etwa 12000 Erwerbslose haben sich registriert. Sie haben damit einen Zugang auch zu den internen Foren, in denen sich Erwerbslose über ihre Erfahrungen mit Arbeitsämtern austauschen. Diese gegenseitige Hilfe, das Gefühl, nicht allein zu sein, ist auch der Punkt, an dem politische Aktionen entstehen. So ist unser Forum zu einer großen Erwerbsloseninitiative geworden. Bei diesen Aktionen konfrontieren wir die Verantwortlichen mit den Folgen der Hartz-IV-Gesetze und machen zudem auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten der Behörden aufmerksam. Bundesweit hat sich das Forum damit als anerkannter Interessenvertreter der Erwerbslosen profiliert.

Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Von Erfolg würde ich nicht reden, denn die Hartz-IV-Gesetze sind weiterhin in Kraft. Wir können mit unseren Informationen lediglich helfen, daß einzelne ihre Rechtsansprüche besser durchsetzen können.

Wäre es nicht Aufgabe der Arbeitsämter bzw. Jobagenturen, die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren?

Nach dem Sozialgesetzbuch sind sie dazu sogar verpflichtet. Doch in der Praxis erleben wir, daß das meist nicht geschieht. Wenn ich mir etwa die Leistungsbescheide ansehe, dann muß ich feststellen, daß nach wie vor fast 70 Prozent aller Bescheide falsch berechnet worden sind, also zu Lasten der Betroffenen. Und die Betroffenen werden meist entweder falsch oder lückenhaft über die rechtlichen Möglichkeiten informiert, dagegen vorzugehen. Ähnlich ist es mit den sogenannten Eingliederungsvereinbarungen. Vielfach werden die Betroffenen dabei genötigt, etwas zu unterschreiben, was sie gar nicht wollen. Das ergibt auch arbeitsmarktpolitisch keinen Sinn.

Neben Ihrem Forum gibt es bundesweit zahlreiche weitere Erwerbsloseninitiativen. Wie ist die Zusammenarbeit?

Daß es vor Ort Initiativen gibt, halte ich für besonders wichtig. Denn der direkte Kontakt kann durch ein Internet-Forum nicht ersetzt werden. Doch in vielen Kommunen gibt es solche Initiativen noch nicht. Da sind wir dann häufig der erste Ansprechpartner, können aber auch dabei behilflich sein, daß sich solche Initiativen gründen.

Bei Einführung der Hartz-IV-Gesetze haben Sie gesagt, das sei Armut per Gesetz. Hat sich daran etwas verändert?

Nein, denn die Armut hat durch Preissteigerungen und die Willkür der Behörden seitdem zugenommen. Die Gründung unseres Forums war eine Reaktion auf Äußerungen des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement (SPD). Nachdem dieser Erwerbslose mit Parasiten verglichen hatte, haben wir uns gesagt: Jetzt ist Schluß! Jetzt müssen wir selbst für unsere Interessen aktiv werden. Auch und vor allem im politischen Raum.

Trotzdem fällt auf, daß sich noch immer nur wenige dafür mobilisieren lassen. Woran liegt das?

Erwerbslose sind eine sehr heterogene Gruppe. Die meisten Betroffenen haben bis zum Eintritt in die Erwerbslosigkeit kaum gelernt, wie sie für ihre Interessen selbst aktiv werden können. In die Armut getrieben, geht viel Energie dafür drauf, mit der eigenen Lebenslage zurechtzukommen. Die Erkenntnis, daß es auch andere gibt, denen es ähnlich geht, vor allem die Erfahrung, daß man sich gegenseitig helfen kann, ist dann häufig der Anstoß für eine nachhaltige Politisierung. Wir haben gelernt: Kombinieren wir Fragen der unmittelbaren sozialen Interessenvertretung mit politischen Forderungen! Das spricht viele an.

Anfang 2009 sollen die Hartz-IV-Gesetze noch einmal verschärft werden …

Aus dem Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums geht hervor, daß die Rechte des einzelnen Erwerbslosen weiter beschnitten werden sollen. Bislang war es möglich, mit Widersprüchen gegen unsinnige Maßnahmen zumindest eine Aufschiebung zu erreichen – das soll nun ganz wegfallen. Im Kreis der Erwerbsloseninitiativen müssen wir deshalb dringend koordinieren, wie wir dagegen politisch vorgehen können.

Nähere Infos unter http://www.erwerbslosenforum.de/

Verwendung: Junge Welt vom 18. Juni 2008
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25. März 2008

Manfred BraaschKoalitionsverhandlungen in Hamburg: Umweltschützer fordern Grüne auf, hart zu bleiben. Ein Gespräch mit Manfred Braasch

Manfred Braasch ist Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Hamburg

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und CDU in Hamburg sollen die Knackpunkte Kohlekraftwerk Moorburg und Elbvertiefung zunächst in Arbeitsgruppen weiter diskutiert werden. Was erwarten die Umweltschutzverbände vom Ausgang dieser Verhandlungen?

Wir wollen, daß Lösungen gefunden werden, die auch aus umweltpolitischer Sicht akzeptabel sind. Nehmen Sie die Elbvertiefung, bei der es darum geht, daß auch sehr große Containerschiffe der nächsten Generation Zufahrtsmöglichkeiten zum Hamburger Hafen erhalten. Dafür müßten 40 Millionen Kubikmeter Sand abgebaggert werden, was aus ökologischer Sicht überhaupt nicht vertretbar ist. Wir habe deshalb ein norddeutsches Hafenkonzept vorgeschlagen, mit dem es möglich wäre, die Containerverkehre arbeitsteiliger zu bewältigen. Demzufolge könnten die sehr großen Containerschiffe ab 2010 in Wilhelmshaven entladen werden. Die Elbvertiefung wäre überflüssig, und allein der Hamburger Haushalt würde um etwa 100 Millionen Euro entlastet. Angesichts des Wachstums im Containerverkehr würden die Arbeitsplätze im Hafen nicht verlorengehen. Wir erhoffen uns, daß die Grünen bei dieser Verhandlungslinie bleiben.

Und bezüglich des Kohlekraftwerks?

Das Projekt des Energiekonzerns Vattenfall im Hamburger Stadtteil Moorburg wäre ein gigantischer Klimakiller. Das Kraftwerk ist weder mit dem Klimakonzept der Hansestadt noch mit den Klimazielen auf Bundesebene zu vereinbaren. Kohle ist als Brennstoff ein Energieträger, der bei der Verbrennung doppelt so viel Kohlendioxid freisetzt wie etwa ein modernes Gaskraftwerk.

Nicht nur Vattenfall-Vorstand Hans-Jürgen Cramer, sondern auch die Vorstände der Norddeutschen Affinerie und der Trimet AG sagen aber, daß ohne ein solches Grundlastkraftwerk die Energieversorgung nicht mehr sichergestellt und somit auch Arbeitsplätze gefährdet wären. Cramer betonte zudem, daß der Kraftwerksbau mit Hamburg bereits vertraglich vereinbart und deshalb genehmigungsrechtlich nicht mehr in Frage gestellt werden könne.

Das Argument der Versorgungslücke ist schlicht falsch. Bereits im November 2007 haben wir mit einer Studie nachweisen können, daß diese nicht auftritt, wenn es jetzt zu einem konsequenten Ausbau regenerativer Energiequellen, zur besseren Nutzung der Ressourcen sowie zum Bau eines hocheffizienten Gaskraftwerks kommt. Allerdings müssen die Weichen dafür bereits 2008 gestellt werden. Die Industrie verkennt, daß ein Kohlekraftwerk nicht nur mit den klimapolitischen Zielen, sondern auch mit den Vorgaben des europäischen Wasserrechts nicht vereinbar wäre. In Moorburg kommt hinzu, daß durch ein solches Kraftwerk auch die Elbe stark belastet würde, durch die Einleitung von erwärmtem Kühlwasser und toter Biomasse. Herr Cramer irrt sich, wenn er behauptet, durch die bereits erteilte Vorabgenehmigung für einzelne Bauabschnitte sei nach dem Bundesemissionsschutzgesetz eine Endgenehmigung nun nicht mehr notwendig. Denn aus einer solchen Vorabgenehmigung kann kein rechtlich-formaler Anspruch auf eine abschließende Genehmigung abgeleitet werden.

Es wird spekuliert, die Halbierung der Kraftwerksleistung könne eine denkbare Kompromißlinie sein.

Ein sinnvoller Kompromiß wäre das nicht, denn die Grundproblematik, daß Kohle kein vernünftiger Energieträger ist, bliebe erhalten. Eher könnte ich mir deshalb vorstellen, daß Vattenfall im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen die Genehmigung für ein hochmodernes Gaskraftwerk an gleicher Stelle erhält. Das würde auch die wirtschaftlichen Interessen des Konzerns berücksichtigen.

Als Umweltschutzverband ist Ihre Organisation traditionell eng mit den Grünen verbunden. Wie setzen Sie diese unter Druck bzw. stärken ihnen den Rücken für die Verhandlungen mit der CDU?

Mit einer Onlinekampagne haben wir die Bürger bundesweit dazu aufgerufen, die Verhandlungsführerin der Grünen, Christa Goetsch, in einer Mail darum zu bitten, bei der Frage des Kraftwerks hart zu verhandeln. Binnen weniger Tage sind bereits 1500 Mails bei uns eingegangen, die wir Goetsch auch schon übergeben haben. Außerdem versuchen wir, die Grünen mit unserem Fachwissen und unseren Expertisen zu unterstützen.

Verwendung: Junge Welt vom 22. März 2008
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25. Januar 2008

Jochen StayKernkraftgegner in Niedersachsen setzen wenig Hoffnung auf Politiker. Skepsis auch gegenüber Linkspartei. Ein Gespräch mit Jochen Stay

Jochen Stay ist Sprecher der Antiatom-kampagne X-tausendmal quer

Wegen ihrer Energiepolitik hat Wolfgang Clement (SPD) davor gewarnt, am Sonntag in Hessen die SPD zu wählen. Wie sehen Sie das, als jemand, der nicht aus der Atomlobby, sondern aus der Anti-AKW-Bewegung kommt?

Wer am Sonntag sein Kreuz macht, entscheidet nicht darüber, wie sich die Energiepolitik entwickelt. Das entspricht jedenfalls unserer Erfahrung aus den letzten 30 Jahren. Entscheidend bleibt der Druck aus der Gesellschaft, von den außerparlamentarischen Bewegungen.

Ist es nicht erstaunlich, daß die SPD jetzt meint, die Wahlen nur gewinnen zu können, wenn sie einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie fordert?

Zumindest zeigt es, wie die SPD die Stimmung in der Bevölkerung einschätzt. Ob aber Andrea Ypsilanti in Hessen, Wolfgang Jüttner in Nieder­sachsen oder eine neue rot-grüne Bundesregierung den Ausstieg wirklich beschleunigen würden, ist durch Wahlkampfparolen alleine nicht gesichert. Denn es waren ja der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Genossen, die in den Verhandlungen um den sogenannten Atomkonsens bei der Frage der Laufzeiten am stärksten auf die Bremse getreten haben. Deshalb ist unser Vertrauen in die SPD ziemlich begrenzt.

Auch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) versprach im Wahlkampf, daß sich der Anteil des in Niedersachsen aus regenerativen Energiequellen gewonnenen Stroms bis 2020 auf etwa ein Viertel ausweiten wird.

Das ist so, als wenn er sagt: Wählt mich, dann geht morgen die Sonne auf. Denn bis 2020 werden die erneuerbaren Energien viel stärker wachsen. Da ist die Ankündigung von 25 Prozent eher eine Drohung, den Zuwachs bremsen zu wollen. Interessant finde ich, daß auch Wulff in der Frage der Verlängerung der Laufzeiten ins Lavieren gekommen ist. Die CDU merkt, daß sie mit Pro-Atomkraft-Positionen keine Wahlen gewinnen kann.

Umstritten sind in Niedersachsen auch die Atommüllendlager Schacht Konrad, Gorleben und Asse. Von den Landtagsparteien haben da nur die Grünen eine klar ablehnende Position.

Atommüll kann nirgendwo sicher gelagert werden. Das zeigt das Desaster im Salzbergwerk Asse, das abzusaufen droht. So lange die Atomkraftwerke nicht stillgelegt sind, dient jede Endlagersuche nur der Legitimation des Weiterbetriebs. Da sind mir auch die Grünen nicht eindeutig genug. Zwar sagen sie, der Salzstock Gorleben ist geologisch ungeeignet, wollen ihn aber bei der von ihnen geforderten vergleichenden Standortsuche nicht ausklammern. So besteht die Gefahr, daß am Ende doch alles an Gorleben kleben bleibt, alleine schon deshalb, weil bereits 1,4 Milliarden Euro in den Ausbau des Bergwerks geflossen sind.

Die Linke plädiert für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Doch welche Möglichkeiten bestehen – abseits der Laufzeiten -, den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zumindest zu behindern?

Uran ist als Brennstoff steuerlich bevorzugt. Das muß ja nicht so sein. Ebensowenig wie die Steuerprivilegierung der Rückstellungen für die Entsorgung. Andererseits könnten die Versicherungssummen für Unfälle heraufgesetzt werden. Auf landespolitischer Ebene können die Umweltministerien als atomrechtliche Aufsichtsbehörden viel erreichen, wenn sie das Atomgesetz eng auslegen und technische Mängel in den AKW zum Entzug der Betriebsgenehmigung nutzen.

Schön, daß die Linke ein deutliches Anti-AKW-Programm vorgelegt hat. Doch das hatten die Grünen auch, bevor sie regiert haben. Deshalb bleibe ich skeptisch, welche Ergebnisse herauskommen, wenn die Linke in Regierungs- oder Tolerierungsverhandlungen eintritt. Die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin überzeugen jedenfalls nicht.

Wichtig ist, daß wir als Umweltbewegung auf die eigene Kraft vertrauen. Spannend ist, daß es vor dem Hintergrund der Klimadebatte inzwischen nicht nur gegen Atom-, sondern auch gegen Kohlekraftwerke und die Stromkonzerne selbst Proteste gibt. Um den Druck für eine Wende in der Energiepolitik auszubauen, wollen wir stärker auf direkte Konfrontationen setzen. Angedacht sind Blockaden gegen die Wiederinbetriebnahme des AKW Krümmel, Bauplatzbesetzungen bei Kohlekraftwerken und natürlich Aktionen gegen den Castortransport nach Gorleben im Herbst.

Verwendung: Junge Welt vom 25. Januar 2008
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15. Januar 2008

Lebensraum für Fische und Vögel in Gefahr: Tausende protestierten zwischen Hamburg und Dresden gegen Vertiefungs- und Begradigungsprojekte des Flusses

Am gesamten Flußlauf der Elbe in Deutschland haben am Sonntag abend rund 15000 Umweltschützer in 35 Orten mit Fackeln gegen die Pläne zur Vertiefung des Gewässers sowie zahlreiche weitere Bauprojekte, wie etwa den Ausbau der Mittel- und Oberelbe, demonstriert. Nach Angaben des Veranstalters, des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), wurden die Proteste von etwa 40 regionalen Umweltinitiativen, Verbänden und Vereinen unterstützt.

Am größten war das Lichtermeer in Dresden, wo sich allein fast 3000 Menschen an der Aktion »Fackeln für die Elbe« beteiligten. Hier demonstrierten die Teilnehmer gegen den Bau der Waldschlößchenbrücke. Dem Protest gegen dieses von der sächsischen Landesregierung geplante Bauvorhaben sei besondere Bedeutung zugekommen, weil damit ein UNESCO-Welterbestatus und ein bedeutsames Erholungsgebiet verlorengehe, erklärte der BUND-Vorsitzende, Professor Dr. Hubert Weiger, am Montag.

Mehrere tausend Teilnehmer verzeichnete der BUND auch bei den Protesten in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Hier stand vor allem die vom Hamburger Senat geplante Elbvertiefung um einen weiteren Meter im Mittelpunkt der Aktionen. Umweltschützer und Anrainer befürchten, daß dadurch die Sturmflutgefahr beträchtlich steigt. Da durch die Maßnahme die Flußgeschwindigkeit zunehme, seien zahlreiche Lebensräume für Fische und Seevögel bedroht. Im Hamburger Hafen verwiesen Redner vor etwa 300 Bürgern darauf, daß die »ökologische Belastungsfähigkeit« der Elbe bereits jetzt erreicht sei.

Proteste gegen überdimensionierte Verkehrsprojekte gab es auch in Torgau und in Dömitz (Kreis Ludwigslust). Während es in Torgau um die Wirkungen einer neuen und in Tschechien geplanten Elbstaustufe sowie um die Einengung und Vertiefung im mittleren und oberen Elblauf ging, zogen etwa 300 Menschen in Dömitz an ihren Fluß, um gegen die dortigen Pläne zum Begradigen eines bislang noch relativ naturbelassenen Elbabschnitts zu protestieren. Das Gebiet würde bisher von zahlreichen Zugvögeln auch als Rast- und Überwinterungsgebiet genutzt, was aber bei dessen Ausbau in Frage gestellt sei. Daß die Flußlandschaft der Elbe bundesweit »zu einem der größten Bioreservate in ganz Deutschland« gehört, betonte am Montag auch der Vorstand des BUND in einer Erklärung. Es sei »aller höchste Zeit, daß die Politiker in Bund und Ländern ihre Ignoranz beenden« und das Feld nicht »nur einigen wenigen Profiteuren der jeweiligen Bauprojekte überlassen«, forderte Ernst Paul Dörfler, Leiter des BUND Elbeprojektes.

Verwendung: Junge Welt vom 15. Januar 2008
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17. Dezember 2007

Feuer und Flamme der RepressionMassive Behinderung der Demo gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat in Hamburg. Kundgebungsverbot in der City mit kreativen Aktionen unterlaufen

Rund 4000 Menschen haben am Samstag in Hamburg gegen den Strafrechtsparagraphen 129a (Bildung bzw. Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung«), für die Einstellung aller Verfahren, gegen »Sicherheitswahn und Überwachungsstaat« demonstriert. Sie trafen auf etwa 2500 Polizisten, die Innensenator Udo Nagel (parteilos) aus ganz Norddeutschland sowie aus Berlin und von der Bundespolizei angefordert hatte. Trotz der Zusage der Demonstrationsleitung, die vom Oberverwaltungsgericht erst am Abend zuvor festgelegte Route zu akzeptieren, bildeten die Beamten ein dichtes Spalier, aus dem heraus sie die Demonstranten immer wieder mit Schlagstöcken traktierten. Die Demoleitung löste die Veranstaltung daher am Millerntor im Stadtteil St. Pauli nach etwa einem Drittel der genehmigten Wegstrecke selbst auf. Veranstaltungsleiter Bela Rogalla (Die Linke) sprach von einem »gezielten Angriff auf die kollektive Meinungsfreiheit«.

Eine Rednerin kündigte jedoch an, man müsse die Öffentlichkeit nun auf andere Weise erreichen. Und tatsächlich zogen daraufhin viele Demonstranten in größeren und kleineren Gruppen über die Reeperbahn und durch die City.

So kreativ, wie sie endete, hatte die Versammlung auch begonnen: Verkleidet als »Unschuldsengel« oder Weihnachtsmann, war am Mittag vor dem linken Zentrum »Rote Flora« zunächst »Tanzen statt Wanzen« angesagt. Unter dem Motto »Feuer und Flamme der Repression« setzte sich der Demonstrationszug gegen 14.30 Uhr in Bewegung. Doch schon zwölf Minuten später stellte sich den Teilnehmern ein dichtes Spalier behelmter und bewaffneter Polizisten entgegen. Es hieß, einige der Seitentransparente wären zu lang und würden den Auflagen nicht entsprechen. Kurz darauf monierten die Beamten, einige Personen würden das Vermummungsverbot nicht beachten. Zudem wurde das Fortkommen durch »Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten« massiv behindert.

Besser hatten es da nur jene 300 Aktivisten, die bereits zu Beginn der Veranstaltung und im Rahmen des neuen Aktionskonzepts »out of control« Protestinszenierungen auf Gehwegen und Plätzen vorbereitet hatten. Sie wollten damit die »nur scheinbare Allmacht polizeilicher Überwachung« auch optisch ad absurdum führen. Vereinzelt gelang es den Gruppen, bis in die City vorzustoßen. Und nach Auflösung der großen Demo drangen noch einmal rund 1000 Aktivisten bis zur Mönckebergstraße, Hamburgs größter Einkaufsmeile, vor. Hunderte weitere protestierten zeitgleich auf Jungfernstieg und Reeperbahn.

Im dichten Gewühl der Weihnachtsmärkte funktionierte das aus dem Märchen »Hase und Igel« bekannte Konzept hervorragend. Die Ordnungshüter hatten es erkennbar schwer, zwischen Normal- und Protestbürgern zu entscheiden. Wo es den zunehmend frustrierten Polizisten dann doch noch gelang, einzelne Protestierer zu umzingeln, kamen Hunderte weitere um die nächste Ecke. Lautstark riefen sie über Stunden Slogans wie »Wir alle sind 129a« oder »Nein zum Überwachungsstaat«. Bis tief in die Nacht dauerten die Proteste auch im Schanzenviertel.

Senator Nagel ist also mit seinem Vorhaben, jeglichen Antirepressionsprotest aus der Innenstadt fernzuhalten, grandios gescheitert. Eine Niederlage, die sich schon am Vorabend andeutete, als das Oberverwaltungsgericht zwar das City-Verbot bestätigte, zugleich aber den Valentinskamp und die Dammtorstraße freigab – Straßenzüge, die zumindest in die Nähe der Innenstadt führen. Mit Provokationen von seiten seiner Beamten wollte man offenbar einen Grund finden, die Demo auseinanderzujagen oder ihre Teilnehmer zu zermürben. Demoanmelder Andreas Blechschmidt nannte das Vorgehen der Polizei einen politischen Skandal. Er kündigte eine Klage gegen die Innenbehörde an. Insgesamt wurden während der Proteste 25 Personen fest- und 111 in Gewahrsam genommen.

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15. Dezember 2007

Polizei kündigt Großeinsatz gegen Antirepressionsdemo in Hamburg an. Verbot für City zum Teil aufgehoben

In Hamburg hat die Innenbehörde angekündigt, daß während der am heutigen Sonnabend stattfindenden Demonstration gegen staatliche Repression mehrere tausend Polizeibeamte eingesetzt werden. Begründet wird dies mit einer »Gefahrenprognose«, die Krawalle und »Störungen der öffentlichen Ordnung« voraussagt. Vor allem das Demokonzept »Out of Control« ist der Behörde nicht geheuer. Wie berichtet, wollen sich die Teilnehmer dadurch einem möglichen »Wanderkessel« entziehen und ihren politischen Protest auch außerhalb der eigentlichen Demonstration zum Ausdruck bringen.

Innensenator Udo Nagel (Parteilos) will neben den Einheiten der Bereitschaftspolizei auch spezielle »Festnahme- und Alarmhundertschaften« einsetzen. Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« und der linke Bundestagsabgeordnete Norman Paech kündigten derweil an, die Polizeieinsätze zu beobachten und mögliche Übergriffe zu dokumentieren. Keine Einigung gab es bisher zur Demoroute. Während die Veranstalter darauf bestehen, nicht nur durch menschenleere Straßenzüge geführt zu werden, hatte die Versammlungsbehörde ein vollständiges City-Verbot ausgesprochen.

Das Verwaltungsgericht bestätigte am Freitag, daß es bei einem Marsch über den Jungfernstieg und über die Mönckebergstraße, zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen könne, beschloß aber den Valentinskamp und die Dammtorstraße freizugeben. Diese Straßenzüge führen zumindest in die Nähe der Innenstadt. Die Innenbehörde hat angekündigt, die Entscheidung anzufechten.

Samstag, 13 Uhr, Rote Flora, Achidi-John-Platz: Demo gegen Repression und Überwachungsstaat

Verwendung: Junge Welt vom 15. Dezember 2007
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13. Dezember 2007

Repressionsgegner mobilisieren nach Hamburg. Polizei reagiert mit Cityverbot

Die Hamburger Innenstadt wird am Samstag voraussichtlich zum Sperrgebiet. Zumindest gegen rund 5000 aus dem ganzen Bundesgebiet erwartete Demonstranten, die gegen die zunehmende staatliche Repression protestieren wollen, soll sie abgeschottet sein. Geht es nach dem Willen der Hamburger Innenbehörde, dann dürfen die Kundgebungsteilnehmer ausschließlich durch fast menschenleere Straßen ziehen. Der Jungfernstieg und Hamburgs zentrale Einkaufsmeile, die Mönckebergstraße, sind tabu. Diese bleibe den Weihnachtsmännern und -märkten überlassen, bestätigte am Mittwoch auch Polizeisprecher Ralf Meyer. Das linke Veranstaltungsbündnis wird sich das nicht bieten lassen, so Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt am Dienstag nachmittag auf einer Pressekonferenz in der Roten Flora. Auch er selbst habe keine Lust, in einem »Wanderkessel mit dreifachem Polizeispalier« durch öde Viertel geführt zu werden. Deshalb werde gegen das Cityverbot juristisch – notfalls hinauf bis zum Bundesverfassungsgericht – vorgegangen.

Für die Antirepressionsdemo wird seit Wochen mobilisiert. Das überregionale Interesse übersteige die Erwartungen bei weitem, so die Veranstalter. Die Demo könne zu einer der größten Veranstaltungen des linksradikalen Spektrums seit vielen Jahren werden. Dies sei auch notwendig, denn die Bewegung könne ihre politische Stärke erst wieder entwickeln, wenn es gelingt, die zunehmende Repression politisch zu beantworten.

Zahlreiche Gruppen haben unter dem Motto »Out of Control« angekündigt, mit einem völlig neuen Demonstrationskonzept an die Elbe zu kommen. Der Repression soll nicht nur plakativ, sondern ebenso mit einem »Konzept der wirksamen Zerstreuung« entgegengetreten werden. Mit Hilfe der »Weite des Raums« soll »die nur scheinbare Allmacht polizeilicher Überwachung« auch optisch ad absurdum geführt werden. Konkret heißt das: Bei der Demonstration soll es ein ständiges Kommen und Gehen geben. Sowohl am Rande als auch »hinter den Kulissen« werde es spontane »Kontaktbörsen« und für den Staat »irritierende Ereignisse und Protestinszenierungen« geben. Die Demo selbst soll trotzdem »geschlossen und damit kraftvoll« durchgeführt werden.

Daß die Hamburger Veranstaltung allen Manövern der Innenbehörde zum Trotz ein »starker und phantasiereicher Ausdruck des Widerstandes gegen staatliche Kontrollwut und die Verfolgung« sein wird, das betonte am Mittwoch auch die Vorbereitungsgruppe in der Hansestadt. Nicht nur hier heißt es nun: »Rein ins Vergnügen – gegen Repression und Überwachungsstaat!«

Samstag, 15. Dezember, 13 Uhr, vor der Roten Flora. Achidi-John-Platz: »Out of control – Gegen Repression, Überwachungsstaat und Paragraph 129a«, Demonstration. Nähere Infos unter www.antirepressionskampagne-hamburg.tk

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19. November 2007

Detlef_Baade
Ausstand bei der Bahn im Hamburger Hafen deutlich zu spüren. Docker solidarisch. Ein Gespräch mit Detlef Baade

Detlef Baade ist Betriebsrat bei Eurogate Hamburg und ver.di-Schwerbehindertenvertreter

In der vergangenen Woche hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) für mehrere Tage den Güterverkehr lahmgelegt. Wie hat sich das im Hamburger Hafen ausgewirkt?

Der Hamburger Hafen wird jeden Tag von etwa 35 Hochseeschiffen angelaufen. Rund 6000 Container werden täglich per Bahn umgeschlagen. Das sind fast 30 Prozent der Gesamtmenge. Insofern war der Streik deutlich zu spüren, denn von täglich 200 Güterzügen ist fast die Hälfte ausgefallen. Schwierigkeiten gab es vor allem bei den Exportcontainern, also bei jenen, die auf die Schiffe verladen werden. Da etliche Container zu spät geliefert wurden, blieben sie stehen. Doch unsere Terminals werden inzwischen von etwa 50, meist privaten Eisenbahnunternehmen angefahren. Und mit Hilfe dieser Privaten, die einen Marktanteil von etwa 50 Prozent haben, gelang es den Unternehmen, Gassen zu schlagen. Würde die GDL zu längeren Streikaktionen aufrufen – also zu solchen, die über drei Tage hinausgehen – dann wäre so etwas kaum noch möglich, und nicht nur der Hafen, sondern auch die Zulieferbetriebe kämen in arge Bedrängnis.

Wie haben die Hafenarbeiter den Streik erlebt? Gab es Verständnis und Solidarität?

Die große Mehrzahl unserer Kollegen hat großes Verständnis für diesen Streik. Da gab es viele und meist spontane Äußerungen der Solidarität. Auch unter den ver.di-Vertrauensleuten spüren immer mehr Kollegen, daß wir als Gewerkschaft mit diesem Streik der Lokomotivführer solidarisch sein müssen. Durch Aktionen, aber auch in der Aufklärung der Öffentlichkeit. In unserem Betrieb haben wir das auf einer Vollversammlung der Vertrauensleute bereits diskutiert.

Die ver.di-Spitze argumentiert aber doch, daß dieser Streik nur der Versuch sei, Einzelinteressen auf Kosten anderer durchzusetzen.

Es wäre natürlich viel besser, wenn sich auch die Kollegen der Gewerkschaft Transnet diesem Arbeitskampf anschließen würden. Das gäbe der Sache viel mehr Kraft. Angesichts des Reallohnverlustes, den die Triebwagenfahrer und das übrige Fahrpersonal in den vergangenen Jahren hinnehmen mußten, und angesichts des unverschämt niedrigen Lohnniveaus ist dieser Arbeitskampf mehr als gerechtfertigt. Denn von Arbeit muß man leben können. Zudem verteidigen die GDL-Kollegen ja auch unser Streikrecht. Ist dieses demokratische Grundrecht erst einmal eingeschränkt, dann sieht nicht nur die GDL ziemlich alt aus, sondern wir alle.

Sehen Sie nicht die Gefahr einer dauerhaften Spaltung der Gewerkschaften, wenn für immer mehr Berufsgruppen Sondertarifverträge ausgehandelt werden?

Die Tarifgemeinschaft muß auch bei der Bahn langfristig wiederhergestellt werden. Doch ich wiederhole: Dieser Arbeitskampf ist berechtigt und notwendig. Denn nicht nur die Löhne, sondern auch die Arbeitsbedingungen haben sich für die Mitarbeiter der Bahn immer weiter verschlechtert. Was hat Transnet konkret dagegen getan? Während sich die Belegschaft zwischen 1994 und 2006 fast halbierte, haben sich die Konzerngewinne der Deutschen Bahn im gleichen Zeitraum vervielfacht. Nun streikt die GDL für eine Rücknahme dieser Verschlechterungen. Und dafür soll sie platt gemacht werden, ein Exempel soll statuiert werden. Eine Niederlage der GDL würde dazu führen, Tür und Tor für einen Angriff auf alle anderen Gewerkschaften zu öffnen. Nicht wer kämpft, spaltet die Gewerkschaftsbewegung, sondern diejenigen, die immer wieder bereit sind, zurückzuweichen oder faule Kompromisse zu machen. Ich fordere alle DGB-Gewerkschaften deshalb dazu auf, Solidaritätsaktionen mit den Lokführern und dem übrigen Fahrpersonal zu organisieren.

Eine entsprechende Initiative ging in Hamburg vom ver.di-Fachbereich 8 und von der Deutschen Journalistenunion (dju) aus. Die Kollegen laden für Montag abend um 18.30 Uhr zu einer Solidaritätsveranstaltung ins Gewerkschaftshaus (Besenbinderhof). Doch in der ver.di-Landesleitung war der Druck sehr stark, die Veranstaltung wieder abzusagen.

Das verstehe ich nicht, denn auch wenn die GDL nicht zum DGB gehört, so sind es doch unsere Kollegen. Die Einheit der Gewerkschaften wiederherzustellen ist keine akademische Aufgabe, sondern sie realisiert sich in den konkreten Tageskämpfen. Ich gehe deshalb davon aus, daß in der Folge dieser Veranstaltung noch viele Solidaritätsaktionen stattfinden. Diesen Willen der Basis muß auch unsere Leitung akzeptieren.

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10. November 2007

Bettlermarsch 2006Hamburg. Bereits zum siebten Mal findet am heutigen Samstag der Hamburger Bettlermarsch statt. Erneut soll so auf die Situation der Armen und Obdachlosen aufmerksam gemacht werden, erklärte Margit Wolf, Geschäftsführerin der Obdachloseneinrichtung »CaFée mit Herz« und Sprecherin der Bettlermarsch-Initiative. In diesem Jahr habe man sich im Vorbereitungskreis die Frage gestellt, ob die zunehmende Armut inzwischen nicht sogar »politisch erwünscht« sei. Wolf verwies in diesem Zusammenhang darauf, daß allein in Hamburg jeden Tag acht Wohnungen zwangsweise geräumt werden.

Der jährliche Aufmarsch, der von St. Pauli quer durch die Innenstadt führt, war 2001 initiiert worden, weil der damalige Innensenator Ronald Barnabas Schill Bettler und andere Arme aus der Innenstadt vertreiben wollte. Seitdem setzt der Marsch ein jährliches Zeichen der Solidarität – hier ein Foto von 2006. Heute werden dabei die Forderungen nach einer »deutlichen Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes« und einem Mindestlohn »nicht unter acht Euro« im Mittelpunkt stehen. (ag/jW)

Beginn 13 Uhr, Spielbudenplatz auf der Reeperbahn

Verwendung: Junge Welt vom 10. November 2007
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16. Oktober 2007

Referendum für mehr direkte Demokratie in Hamburg an geringer Wahlbeteiligung gescheitert. CDU feiert »Vertrauensbeweis für Ole von Beust«

In Hamburg ist der Volksentscheid »Hamburg stärkt den Volksentscheid« gescheitert. Wie Landesabstimmungsleiter Willi Beiß unmittelbar nach Schließung der Wahllokale bereits am Sonntag abend mitteilte, haben sich an der Abstimmung nur 492864 Wahlbürger beteiligt. Doch für eine Annahme des vom Verein »Mehr Demokratie« und dreißig weiteren Bürgerinitiativen vorgelegten Gesetzentwurfes hätten mindestens 607468 Wahlbürger mit »Ja« stimmen müssen. Schon vor der genauen Stimmenauszählung (diese soll erst Ende Oktober erfolgen) könne deshalb nun die Niederlage der Initiatoren des Volksentscheids festgestellt werden.

Niederlage für Opposition

Eine bittere Niederlage, denn monatelang hatten nicht nur die Bürgerinitiativen, sondern auch die Gewerkschaften sowie sämtliche Oppositionsparteien für »mehr Demokratie« gestritten. SPD und Grüne warben frühzeitig mit tausenden Werbeträgern und etlichen Veranstaltungen. Ihr Hauptargument: 2004 hätte die allein regierende CDU die Privatisierung der städtischen Kliniken durchgepeitscht, obwohl sich in einer Abstimmung drei Viertel aller Wahlberechtigten dagegen ausgesprochen hatten. Um das künftig zu verhindern, müsse deshalb sichergestellt sein, daß Änderungen an Entscheidungen des Volkes nur noch dann möglich sind, wenn dem in der Bürgerschaft zwei Drittel aller Abgeordneten zustimmen.

Doch die Hürden für solche die Hamburgische Landesverfassung verändernden Vorschriften sind ziemlich hoch. Außer einer Zweidrittelmehrheit hätten mindestens 50 Prozent aller Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf stimmen müssen. Da die regierende CDU außerdem durchgesetzt hatte, daß solche Abstimmungen nur noch abseits von Wahlterminen stattfinden, sprach Mehr-Demokratie-Vertreterin Angelika Gardiner denn auch am Sonntag davon, daß man mit der Abstimmung das »Unmögliche« versucht habe. Für sie sei es trotzdem ermutigend, daß sich rund eine halbe Million Menschen am Volksentscheid beteiligten.

Eine halbe Million? Am Sonntag waren es exakt 92151 Bürger, die bei bestem Wetter den Weg in die 201 Wahllokale schafften. Rund 400000 Bürger hatten bereits in den Wochen zuvor per Briefwahl abgestimmt. Bei aller berechtigten Kritik an der Partei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gilt es doch festzustellen, daß die Briefwahl dieses Mal besonders einfach war: Ohne besondere Aufforderung hatte die Innenbehörde allen Bürgern die Stimmzettel schon vor drei Wochen ins Haus geschickt. Fast mühe- und völlig kostenlos hätten sich somit alle die beteiligen können, die es tatsächlich wollten. Und so frohlockt die CDU denn jetzt auch, das deutliche Scheitern des Volksentscheids sei »ein klarer Vertrauensbeweis für Ole von Beust und die parlamentarische Demokratie«. Katerstimmung stellt sich demgegenüber bei den Oppositionsparteien ein. Zwar bemängeln sie nun öffentlich, daß es hier und dort zu Unregelmäßigkeiten gekommen wäre, doch intern stellt man eher die Frage, wie es denn angehen könne, daß nun nicht sie, sondern eher der amtierende Bürgermeister und die Union gestärkt in die Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 gehen können.

Linkspartei zögerlich

Gardiner plagen solche Sorgen nicht. Sie kündigte am Montag bereits an, daß man jetzt darüber nachdenke, vielleicht schon bei den Bundestagswahlen 2009 einen neuen Anlauf zu nehmen. Das wäre dann vielleicht auch eine Chance für Die Linke. Denn anstatt sich auf einen Erfolg bei dieser Abstimmung zu konzentrieren, stritt man hier wochenlang und noch während der bereits begonnenen Abstimmung über die Besetzung der Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahlen. Ein eigenes Plakat zum Thema wurde dann erst Anfang letzter Woche sichtbar. So aber ist es kein Wunder, daß die Beteiligung an der Abstimmung gerade in den linken Wahlhochburgen, etwa in Wilhelmsburg, Harburg und Mitte, besonders niedrig ausfiel.

Verwendung: Junge Welt vom 16. Oktober 2007
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04. Oktober 2007

Mehmet_Yildiz
Hamburger Linkspartei hat Vertreter anderer Organisationen für aussichtsreiche Listenplätze nominiert. Ein Gespräch mit Mehmet Yildiz

Der Elektroinstallateur und Gewerkschafter Mehmet Yildiz ist Vorstandsmitglied der Föderation der demokratischen Arbeitervereine (DIDF) in Hamburg

Als Vertreter der DIDF, der Föderation der demokratischen Arbeitervereine, sind Sie trotz zahlreicher Mitbewerber am Wochenende auf Platz 6 der Landesliste der Partei Die Linke für die Hamburger Bürgerschaftswahlen gewählt worden. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?

Meine Wahl ist sicherlich auf die langjährige Arbeit der DIDF in den sozialen Kämpfen zurückzuführen. Es ist sehr erfreulich, auf einem aussichtsreichen Platz zu kandidieren. Zumal ich unter den ersten sechs der einzige mit Migrationshintergrund bin. Die Delegierten des Landesparteitags hatten es nicht leicht. Sie mußten unter einer Vielzahl qualifizierter Bewerber entscheiden. Aber schließlich haben sie uns ihre Stimme gegeben. Jetzt kommt es darauf an, diesem Vertrauen gerecht zu werden. Im Wahlkampf und danach.

Noch sind wir nicht in der Bürgerschaft. Wir müssen einen sehr aktiven Wahlkampf führen. Auf der Straße, in den Wohngebieten der arbeitenden und der erwerbslosen Menschen und vor den Betrieben. Dort werden wir mit ihnen über unsere Forderungen sprechen. Und wir werden ihnen auch sagen, daß sie selbst für ihre Interessen aktiv werden müssen.

Warum ist es aus Ihrer Sicht notwendig, daß Die Linke mit »offenen Listen«, also unter Beteiligung von Vertretern außerparlamentarischer Bewegungen sowie anderer linker Gruppen, zu Wahlen antritt?

Wenn sich Die Linke als die Partei bezeichnet, die mit den außerparlamentarischen Kräften zusammenarbeitet und deren Forderungen im Parlament vertreten will, dann darf das nicht nur ein Lippenbekenntnissen sein. Es muß sich unter anderem auch bei der Aufstellung von Kandidaten niederschlagen. Ich freue mich deshalb, daß dies in Hamburg geschehen ist. Und nicht nur bezüglich der DIDF, denn auf den ersten für einen Einzug in das Parlament durchaus aussichtsreichen zehn Listenplätzen kandidieren auch ein Vertreter der Erwerbslosen, Betriebsräte und ein Mitglied der DKP. Angesichts der Angriffe aus Wirtschaft und Regierung auf unsere demokratischen und sozialen Grundrechte ist es notwendiger denn je, daß wir alle und viel enger zusammenarbeiten. In den sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen, aber auch im Parlament.

Es wäre zudem ein fataler Fehler, wenn wir davon ausgingen, daß unsere Forderungen vorrangig in den Parlamenten durchsetzbar seien. Wenn der Druck von der Basis nicht stärker wird, dann können wir auch als Abgeordnete nichts bewegen. Es gibt genug negative Beispiele, wo starke politische Bewegungen durch parlamentarische Eitelkeiten an Ausstrahlung und Kraft verloren haben. Das wollen wir in Hamburg nicht wiederholen.

Unterschiedliche Meinungen gibt es in der Linken auch zu den Fragen des Koalierens, Opponierens oder Tolerierens. Wie ist Ihre Haltung dazu?

In Hamburg haben sich die Delegierten mit großer Mehrheit für einen klaren Oppositionskurs entschieden. Es kann nicht angehen, daß wir mit Kriegsbefürwortern, den Erfindern und Befürwortern der Hartz-Gesetze oder der Studiengebühren zusammenarbeiten – sie also tolerieren oder sogar mit ihnen koalieren. Niemand sollte versuchen, mit Wortspielereien diesen Standpunkt zu verwässern. Die Gegenseite wird noch häufig genug versuchen, uns mit sogenannten Sachzwangargumenten zu schwächen.

Sollten Sie am 24. Februar in die Bürgerschaft gewählt werden, für was werden Sie sich insbesondere einsetzen?

Viele werden jetzt an Migrationspolitik denken. Das stimmt nur zum Teil. In der DIDF sehen wir Migrationspolitik immer im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Auch Migranten sind von Privatisierungen, Dumpinglöhnen und Hartz IV betroffen. Wenn ich mich in der Bürgerschaft für eine bessere Perspektive der Jugendlichen mit Migrationshintergrund einsetze, dann geht das nur, wenn ich mich gleichzeitig gegen die Studiengebühren wehre und für eine bessere Schule und mehr Ausbildungsplätze kämpfe.

Verwendung: Junge Welt vom 4. Oktober 2007
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21. September 2007

Bürgerinitiativen wollen Volksentscheide stärken. Abstimmungen sollen bindende Wirkung für Politiker bekommen. CDU eröffnet Bürgerschaftswahlkampf

Mit der Zusendung der Briefwahlunterlagen bis zum heutigen Freitag, beginnt in Hamburg die Abstimmung über einen Volksentscheid für eine verbindliche Volksgesetzgebung. Es geht um die Frage, ob Volksentscheide für Politiker künftig bindend sein sollen. In der Vergangenheit hatte sich die Partei von CDU-Bürgermeister Ole von Beust mit ihrer Bürgerschaftsmehrheit rabiat über Entscheidungen des Volkes hinweggesetzt. So verkaufte sie den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), obwohl sich 2004 drei Viertel aller Wahlbürger dagegen ausgesprochen hatten.

Nun will ein Bündnis von rund 30 Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Vereinen und Parteien dieser Ignoranz einen Riegel vorschieben. Denn mit dem Volksentscheid »Hamburg stärkt den Volksentscheid« soll bewirkt werden, daß das Votum künftig nur noch dann verändert werden kann, wenn dem im Parlament eine Zweidrittelmehrheit zustimmt. Doch die Hürde ist hoch: An der Abstimmung, die bis zum 14. Oktober läuft, müssen sich mindestens 50 Prozent aller Wahlbürger beteiligen. Mehr als zwei Drittel von ihnen müssen mit Ja stimmen. Das wären 607 468 Bürger.

Die Initiatoren sind optimistisch, denn in Hamburg wird seit mehreren Jahren über das Für und Wider von Volksentscheiden und Bürgerbegehren gestritten. Während die CDU die Hürden immer höher legen will, fordern zahlreiche Bürger schon seit Jahren eine Erleichterung der Verfahren. Das wollen auch die Oppositionsparteien SPD, Grüne, FDP und Die Linke. Sie rufen deshalb ihre Anhänger für Samstag zu einem Tag der Demokratie auf. Allein die SPD will an diesem Tag mit mehr als 30 Infoständen für ein Ja bei der Volksabstimmung werben. Mit dabei sind auch zahlreiche Prominente, wie etwa die Schauspieler Hannelore Hoger und Rolf Becker, der Kabarettist Hans Scheibner und Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm. »Laßt uns verteidigen, was in diesem Land noch an Demokratie übrig ist«, begründete Becker sein Engagement.

Auch die CDU macht mobil. Volksentscheide dürften nicht zu einer »Bühne für Populisten, Radikale und Selbstdarsteller« werden. Auf Plakaten fordert die Partei »Rettet die Verfassung«. Das verdeutlicht vor allem eines: Mit der Volksabstimmung hat auch der Wahlkampf für die Bürgerschaftswahlen am 28. Februar 2008 begonnen.

Verwendung: Junge Welt vom 21. September 2007
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31. Juli 2007

Olaf HarmsIn Hamburg bereiten sich fortschrittliche Parteien und Initiativen auf gemeinsamen Wahlkampf vor. Ein Gespräch mit Olaf Harms

Olaf Harms ist Vorsitzender der DKP in Hamburg

Im Februar 2008 finden in Hamburg Bürgerschaftswahlen statt. Erstmals seit Jahrzehnten besteht die Chance, daß eine linke Fraktion in das Rathaus einzieht. Was sagt die DKP?

Damit der Wahlkampf erfolgreich wird, und es wird ein sehr harter Wahlkampf werden, ist es vernünftig, daß alle Linken zusammenstehen. Die Partei Die Linke repräsentiert ja nur einen Teil der Linken. Um alle Kräfte zu mobilisieren, ist ein Bündnis mit außerparlamentarischen Initiativen und Bewegungen, aber auch mit anderen politischen Gruppen, erforderlich.

Deshalb gab es bereits im April auf Initiative verschiedener Einzelpersonen ein gemeinsames Wahlforum. Dort haben auch wir unsere Positionen eingebracht, und es wurden Wahlkampfschwerpunkte diskutiert und festgelegt. Sie liegen in den Bereichen Arbeit und Soziales, aber auch in der Bildungspolitik. Gemeinsam fordern wir die Rekommunalisierung der bereits privatisierten Betriebe und eine Stärkung der Volksgesetzgebung. Für mich ist es sehr erfreulich, daß Die Linke dies inzwischen zu einem Sofortprogramm verarbeitet hat. Als DKP ist es uns wichtig, daß die damit gegebenen Verbindungen zu den außerparlamentarischen Bewegungen auch nach den Wahlen erhalten bleiben. Denn ohne die Unterstützung und ohne den Druck dieser Bewegungen wären wir im Rathaus völlig machtlos.

Dieses Sofortprogramm bewegt sich aber ausschließlich in einem Rahmen, der durch die herrschende Wirtschaftspolitik schon vorgegeben ist.

Sicherlich: Mit diesen Tagesforderungen ist ein Systemwechsel nicht möglich. Doch andererseits ist zu berücksichtigen, dass diese Forderungen im Dialog mit außerparlamentarischen Bewegungen entstanden sind. Das schafft eine besondere Dynamik. Wir Kommunisten werden diese Forderungen im Wahlkampf außerdem mit der Systemfrage verbinden. Nehmen Sie etwa die Forderung nach einer Re-Kommunalisierung der bereits privatisierten Betriebe. Da liegt es doch auf der Hand auch die Rolle der Banken oder die Grundlagen kapitalistischer Profitwirtschaft zu diskutieren.

Das klingt, als sei ein gemeinsamer Wahlkampf schon beschlossene Sache …

Endgültig beschlossen ist das noch nicht. Einen gemeinsamen Wahlkampf kann es nur geben, wenn Die Linke die hier skizzierte Orientierung ernst nimmt und eine konsequente Oppositionspolitik betreibt. Es spricht aber viel dafür, daß wir im Herbst zur Wahl der Partei aufzurufen können. Würde sich Die Linke in eine andere Richtung entwickeln, also zum Beispiel wie in Berlin Privatisierungen befürworten oder eine faule, weil nur auf Elitebildung ausgerichtete Schulpolitik betreiben, dann wäre allerdings ein Wahlaufruf nicht möglich, und wir würden selber kandidieren.

Ob Mitglieder Ihrer Partei auf den Kandidatenlisten Berücksichtigung finden, spielt keine Rolle?

Auf dem Wahlforum haben die Vertreter der Linkspartei.PDS und der WASG deutlich erklärt, daß die Kandidatenliste auch für Parteilose, wie für Mitglieder aus anderen politischen Gruppen offen sein wird. In erster Linie bezog sich das auf Initiativen und außerparlamentarische Bewegungen, doch es bezog sich eben auch auf die DKP. Warum soll das nun jemand in Frage stellen?

Also ein Wahlbündnis unter dem Dach der Linken?

Kein Wahlbündnis. Doch es wäre der Versuch (und ähnlich wie bei den Bundestagswahlen), die Kräfte der Linken zu bündeln. Positiv ist auch, daß es einen Beirat geben soll, der den Wahlkampf leitet und in dem alle beteiligten Gruppen gleichberechtigt vertreten sind. Der Gedanke der Bündelung aller Linkskräfte wurde auch auf dem Gründungsparteitag der Hamburger Partei Die Linke zum Beispiel vom Bundestagsabgeordneten Norman Paech noch einmal betont.

Sie glauben also nicht, dass die antikommunistischen Attacken des SPD-Spitzenkandidaten Michael Naumann oder der Springer-Presse Distanzierungswünsche auslösen werden?

Ausgeschlossen ist das nicht. Doch daß das mehrheitsfähig wird, daran glaube ich nicht. Denn unsere Erfahrungen sowohl mit der Linkspartei, als auch mit der WASG, besagen etwas anderes. In Hamburg sind das ehrliche Leute. Die stehen zu ihrem Wort.

Verwendung unter dem Pseudonym Niels Stecker(und zum Teil)in: Junge Welt vom 31. Juli 2007 Leider nicht abgedruckt wurden in der Jungen Welt die oben kursiv gesetzten Textteile.



30. Mai 2007

Gezogene Knarre bei Anti-G8-Demo  in HamburgKnüppel, Wasserwerfer und eine gezückte Knarre beim Polizeigroßaufgebot am Pfingstmontag in der Elbmetropole: Hamburgs Innensenator Udo Nagel (CDU) war am Dienstag voll des Lobes für das »professionelle und konsequente Handeln« seiner uniformierten Beamten.

Diese hätten einen friedlichen Verlauf der Demonstration gesichert, erklärte er frei nach George Orwell. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich mit dem Einsatz rund um den ASEM-Gipfel vollends zufrieden. »Wir haben mit viel Polizei, mit hohem Kräfteeinsatz dort, soweit es ging, Sicherheit gewährleistet, zumindest was das Demonstrationsgeschehen betrifft«, beschönigte GdP-Chef Konrad Freiberg im Norddeutschen Rundfunk die Gewalteskalation. »Man kann sagen, daß der Polizeieinsatz geglückt ist.« Geglückt? Unzählige Demonstranten bekamen die Knüppel seiner Kollegen zu spüren, insgesamt nahmen die Einsatzkräfte nach eigenen Angaben 34 Personen vorläufig fest, 86 kamen in Gewahrsam.

Dabei hatten mehr als 6000 Gegner der kapitalistischen Globalisierung unter dem Motto »Gate to global resistance – Gegen den G-8- und EU-Gipfel« gegen das das sogenannte ASEM-Meeting der Europäischen Union protestiert – friedlich, trotz anhaltender Polizeiprovokationen. Streckenweise war die Demonstration von einem fünfreihigen Spalier behelmter Kampfmaschinen in grün umzingelt. 3000 Polizeibeamte waren im Einsatz, Pfefferspray und Schlagstöcke griffbereit, dazu Dutzende Wasserwerfer, gepanzerte Fahrzeuge – das Demonstrationsrecht war an diesem Tag in der Elbmetropole zur Farce verkommen. Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt löste deshalb die Veranstaltung am Rödingsmarkt offiziell auf. Die Polizei verhinderte den Abzug der Demonstranten, die folgende Randale war programmiert. Die Journaille kam auf ihre Kosten: »Militante G-8-Gegner randalieren sich warm«, hieß es später etwa bei Spiegel online.

Ganze drei Stunden hatten die Demonstranten vor Auflösung des Marsches gebraucht, um überhaupt von der nahegelegenen Reeperbahn in die Nähe des Rathauses zu gelangen. Dort tagten die 43 Außenminister aus 27 Ländern der Europäischen Union und 16 ihrer asiatischen »Partnerstaaten«. Protest von unten sollte ihnen nicht zugemutet werden. Politisch begründete dies am Dienstag Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): »Warum demonstriert man eigentlich gegen eine Konferenz, in der Europäer und Asiaten versuchen, ein gemeinsames Augenmerk auf verschiedene Konfliktherde dieser Welt zu richten?« Steinmeier meinte weiter, es sei »geradezu eine Pflicht, in einer Situation, in der wir auf dieser Welt viel zu viele Konflikte haben, nach Partnern zur Lösung von Konflikten zu suchen«. Es sei ein »großer Erfolg«, daß in Hamburg so viele an einem Tisch säßen, die zu »Konfliktherden« – etwa die Kriege in Afghanistan und im Irak – gemeinsame Ansichten austauschten. »Das ist ein Wert an sich, und den sollten wir verteidigen, auch vor denjenigen, die das kritisieren, wenn auch vielleicht nicht im vollen Wissen über das, was wir hier tun«, so Steinmeier.

»Demonstrationen müssen hör- und sichtbar sein«, kritisierte dagegen Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, das brutale Vorgehen der Polizei. Die Auflagen und das massive Auftreten der Polizei hätten die Demonstra­tionsfreiheit eingeschränkt. Es sei nicht akzeptabel, daß Demonstranten »in einem Wanderkessel der Polizei durch eine menschenleere Innenstadt« laufen sollen. Das Vorgehen der Hamburger Sicherheitsbehörden, die eine »Null-Toleranz-Strategie« gegen Demonstranten ausgerufen hatten, sei nicht zu akzeptieren und werfe für den G-8-Gipfel seine Schatten voraus. Schließlich habe die Polizei die Demonstration als eine Art Generalprobe für die bevorstehenden Proteste beim G-8-Gipfel in Heiligendamm betrachtet.

Ähnlich argumentierte auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth: »Demonstrationen sollen etwas darstellen, etwas zeigen, die sollen in Hör- und Sichtweise stattfinden von denen, die es betrifft«, betonte die Parteichefin im TV-Sender N24. Sie habe Verständnis dafür, daß die Veranstalter die Demonstration aufgelöst hätten.

Unkommentiert blieb der Skandal, daß ein Polizeibeamter kurz nach Auflösung der Demonstration am Montag seine Waffe gezückt hatte: »Ein isolierter Polizist fühlte sich durch Stein- und Flaschenwürfe derart bedrängt, daß er seine Dienstwaffe zog und kurz davor war, einen Warnschuß abzugeben. Er flüchtete sich in seinen Wagen«, beschönigte Spiegel online die zugespitzte Situation. Zur Erinnerung: Bei den G-8-Protesten in Genua im Juni 2001 war der Demonstrant Carlos Guiliani von einem angeblich »in Bedrängnis« geratenen Polizeibeamten erschossen worden.

Der vorstehende Artikel ist ein Gemeinschaftsprodukt mit JW-Kollegen Rüdiger Göbel. Er erschien als Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 30. Mai 2007. Lesen Sie dazu auch das Interview »Die Polizei war gewaltbereit« mit Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt und die jW-Kolumne Gerichtsurteil: Vorbeugende Haft bei Blockaden rechtswidrig. Sie können sich die Schwerpunktseite hier aber auch als PDF-Datei downloaden (> 500 kb).

Verwendung: Junge Welt vom 30. Mai 2007



30. Mai 2007

Kurz vor den geplanten Blockadeaktionen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm bringt ein Urteil des Landgerichts Lüneburg Klarheit in die Debatte um die rechtliche Bewertung von Ingewahrsamnahmen.

In einer in diesen Tagen veröffentlichten Entscheidung (Geschäftszeichen 1 T 38/01 21 A XIV 1/2001 L) heißt es, daß die dreitägige Ingewahrsamnahme des Antiatomaktivisten Jochen Stay beim Castortransport nach Gorleben 2001 rechtswidrig war. Stay war damals am Rande einer Blockadeaktion in Gewahrsam genommen worden – angeblich, um eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Demgegenüber erklärt das Gericht, daß die Teilnahme an einer Blockadeaktion nur eine Ordnungswidrigkeit darstelle und daraus keine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit resultiere. Weiter heißt es im Urteil: »Ebenso wenig ist der bloße Aufenthalt in einer Demonstrationsverbotszone geeignet, etwa das Merkmal einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit zu bejahen.«

Lea Voigt, Sprecherin der Kampagne »Block G 8«, forderte am Dienstag von der Polizei, die Vorbereitungen für das illegale massenhafte Einsperren von Blockadeaktivisten einzustellen. »Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden der G 8 unser entschiedenes ›Nein‹ entgegenstellen.«

Die Kampagne Block G 8 hat jüngst ihr Büro im Protestzentrum Rostock-Evershagen bezogen. »Die Mobilisierung hat alle Erwartungen übertroffen: Tausende Menschen haben sich bundesweit in Aktionstrainings gemeinsam vorbereitet. Klar ist: Wir werden uns von unserem Vorhaben nicht abhalten lassen. Wir rechnen damit, daß über 10000 Menschen die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm blockieren werden«, so Martin Schmalzbauer, Sprecher der Kampagne Block G 8 abschließend.

Der vorstehende Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 30. Mai 2007. Lesen Sie dazu auch das Interview »Die Polizei war gewaltbereit« mit Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt und den Titel Warmprügeln für G 8. Sie können sich die Schwerpunktseite hier aber auch als PDF-Datei downloaden (> 500 kb).

Quelle: Junge Welt vom 30. Mai 2007



30. Mai 2007

Hamburger Polizei verhinderte Abzug der Demonstranten und sorgte so für offensichtlich gewollte Randalebilder. Ein Gespräch mit Andreas Blechschmidt

Andreas Blechschmidt war der Anmelder der Demonstration gegen das EU-Asien-Teffen am Pfingstmontag in Hamburg

Es ist eine Seltenheit, daß eine Demonstration von seiten der Veranstalter vorzeitig aufgelöst wird. Warum kam eine Fortsetzung des Protestzugs gegen das EU-Asien-Treffen am Montag in Hamburg für Sie nicht Frage?

Das war ein gezieltes politisches Signal. Wäre am Rödingsmarkt nicht abgebrochen worden, hätten wir anschließend durch eine menschenleere City in einem Polizeiwanderkessel ziehen müssen. Das wollten sich sowohl die Veranstalter als auch die Unterstützer der Demonstration nicht bieten lassen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, an dem Punkt der Demoroute Schluß zu machen, der dem Hamburger Rathaus – dem Tagungsort der EU- und ASEM-Außenminister – am nächsten ist. Die dort ursprünglich geplante Kundgebung war uns bekanntlich höchstrichterlich verboten worden.

Der Abbruch erfolgte also nicht als Reaktion auf gewalttätige Machenschaften durch Autonome und »Randalierer«?

Die Auflösung war gerade umgekehrt vor allem eine Reaktion auf das martialische und versammlungsfeindliche Agieren seitens der zu Tausenden aufmarschierten Polizei. Es ist einfach kein Zustand, in einem dreireihigen Spalier von Polizisten in Kampfmontur durch die Straßen zu ziehen. Es ist der großen Besonnenheit der Demonstranten zu verdanken, nicht auf diese Provokationen angesprungen zu sein und damit einen friedlichen Protest ermöglicht zu haben.

Warum kam es aus Ihrer Sicht am Ende doch zu Ausschreitungen?

Es ist das verbriefte Recht eines jeden Versammlungsteilnehmers, nach deren Auflösung den Ort des Geschehens umgehend verlassen zu können. Genau das hat die Hamburger Polizei durch Errichtung einer Kette aber verhindert. Das hat die Situation auch vor dem Hintergrund der vorangegangenen Provokationen und Einschüchterungen so aufgeheizt, daß es fast schon zwangsläufig zu Gewalttätigkeiten kommen mußte. Die Eskalation geht deshalb aus meiner Sicht eindeutig auf das Konto der Polizeieinsatzleitung.

Würden Sie sagen, die Eskalation wurde gezielt provoziert?

Ich glaube, daß die Polizei zu solchen Gelegenheiten die Eskalation zumindest bewußt in Kauf nimmt, um im nachhinein ihre völlig überzogenen Gewaltprognosen rechtfertigen zu können. Dazu gehört es, im Vorfeld ein Klima der Einschüchterung, Stigmatisierung und Kriminalisierung zu schaffen. So hatte der Hamburger Polizeipräsident tatsächlich behauptet, daß im Falle einer Kundgebung vor dem Rathaus die Gefahr eines Abbruchs des Gipfeltreffens bestehen würde. Das ist natürlich Nonsens und spiegelt nur den Wunsch von Polizei und politisch Verantwortlichen wider, das Versammlungs- und das Recht auf freie Meinungsäußerung systematisch auszuhöhlen.

In den bürgerlichen Medien war von 1000 bis 2000 »Gewaltbereiten« oder »Randalierern« die Rede. Wie haben Sie die Demonstration wahrgenommen?

Noch einmal: Ich habe vor allem die Polizei als gewaltbereit erlebt. Im übrigen beteilige ich mich nicht an solchen Abzählspielchen, die letztlich nur das Ziel verfolgen, die Demonstranten in vermeintlich gute und böse zu spalten. In Hamburg sind am Montag mehr als 6000 Menschen über Stunden friedlich für ein gemeinsames Anliegen auf die Straße gegangen, und das trotz aller davor beschworenen Gewaltszenarien.

War die Hamburger Demo eine gelungene Generalprobe für Heiligendamm? Oder könnten die kommenden G-8-Proteste durch die in den Medien dominanten Bilder von Randalen diskreditiert worden sein?

Zunächst bin ich nicht so vermessen, bei der Masse an Menschen und Gruppen, die zu den G-8-Protesten mobilisieren, von einer Generalprobe zu reden. Aber natürlich ist es ein ermutigendes Zeichen, daß schon gut eine Woche vor dem Gipfelgeschehen so viele Menschen für ihre Forderungen nach einer gerechteren Weltordnung auf die Straße gegangen sind. Die Rezeption in den bürgerlichen Medien ist jedenfalls ganz bestimmt nicht Kriterium für unsere Mobilisierung.

Aber fürchten Sie nicht, daß derlei Bilder Menschen vom Demonstrieren abschrecken?

Die bundesweiten Razzien am 9. Mai haben der Anti-G-8-Bewegung sogar neue Sympathien eingebracht. Und auch die Demo in Hamburg hat gezeigt, daß die Leute der Legendenbildung der Sicherheitsorgane nicht auf den Leim gehen oder sich vielmehr dadurch erst recht veranlaßt sehen, für ihre Bürgerrechte zu demonstrieren.

Das vorstehende Interview meines jW Kollegen Ralf Wurzbacher ist Teil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 30. Mai 2007. Lesen Sie dazu auch den Artikel Gerichtsurteil: Vorbeugende Haft bei Blockaden rechtswidrig sowie den Seitentitel Warmprügeln für G 8. Sie können sich die Schwerpunktseite hier aber auch als PDF-Datei downloaden (> 500 kb.)

Quelle: Junge Welt vom 30. Mai 2007



23. Mai 2007

Anti-EU-ASEM-Pressekonferenz Rote Flora 22_05_07Demonstrationsverbot rund um das »Asia-Europe-Meeting« in Hamburg. Bündnis erwartet Pfingstmontag 10000 Protestierer

Mit »Null Toleranz« und »niedrigen Einsatzschwellen« will Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) den Protesten gegen das sogenannte »Asia-Europe-Meeting« (ASEM) am Pfingstmontag begegnen. Die Proteste gegen das Treffen, zu dem sich am 28. und 29. Mai 43 Außenminister aus 27 Ländern der Europäischen Union und aus 16 asiatischen »Partnerstaaten« in der Hansestadt angekündigt haben, gelten Nagel als »Generalprobe« vor den G-8-Protesten in Heiligendamm. Folgerichtig soll auch in Hamburg ein weiträumiges Demonstrationsverbot gelten, wenn sich die erwarteten 10000 Demonstranten auf der Hamburger Reeperbahn versammeln. Daß der Aufzug dann nur durch menschenleere Straßen, weitab vom eigentlichen Tagungsgeschehen, führen soll, will sich das Demo-Bündnis »Dissent« aber nicht bieten lassen. Bis zur letzten Instanz werde man dagegen gerichtlich vorgehen, betonte Bündnissprecher Andreas Blechschmidt am Dienstag auf einer Pressekonferenz in der Roten Flora.

Daß der Protest sowohl in Heiligendamm als auch in Hamburg bis »an die Ohren der Gipfelteilnehmer« dringt, sei legitim, betonte das Bündnis. Es kritisiert, daß die EU mit ihrer ASEM-Konferenz nur »eigene globale Interessen« und »weitere Ausbeutung und Unterdrückung« fremder Länder durchsetzen will. Doch damit habe die »kapitalistische Globalisierung« auch ein Namen, sie sei »greifbar« und somit auch »angreifbar«. Deutlich kritisierte das Bündnis die »zunehmende Kriminalisierung« der Globalisierungsgegner. Die Razzien am 9. Mai hätten »absolut nichts« ergeben, was für die Justiz verwertbar sei. Spaltung der politischen Bewegung und Einschüchterung möglicher Teilnehmer der Proteste sei das Ziel gewesen, aber das habe nicht funktioniert.

Das mußte indirekt auch der stellvertretende Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, bestätigen. Er erklärte gegenüber der Presse, daß der staatliche Versuch, durch die Razzia die Gegner der Globalisierung in »gewaltfreie« und »gewalttätige« aufzuteilen, weitgehend schiefgegangen sei. Statt dessen seien »Einheit« und »Mobilisierungskraft« der Protestierer gewachsen.

Nun versucht die Polizei, gegen den Versammlungsleiter der Demonstration am Pfingstmontag, Fritz Storim, vorzugehen. Das Vertrauen, daß er im Ernstfall »mäßigend« auf die Demonstranten eeinwirken könne, sei nicht gegeben, so Polizeipräsident Werner Jantosch. Storim komme als Versammlungsleiter nicht in Frage, weil gegen ihn ein Ermittlungsverfahren nach dem Strafrechtsparagraphen 129a (»Bildung einer terroristischen Vereinigung«) laufe. Die Bündnisvertreter setzten dem entgegen, daß die Unschuldsvermutung mit einer solchen Argumentation von vorn herein außer Kraft gesetzt werde. Sie wollen auch diesbezüglich eine gerichtliche Klärung herbeiführen.Und im Übrigen werde man sich auch nicht bei den Transparenten vorschreiben lassen, welche Länge diese besitzen oder wo und wie sie getragen werden. Auch einen Wanderkessel der Polizei bezeichnete Blechschmidt als nicht akzeptabel.

So aber gerät Innensenator Nagel mit seiner übertriebenen Sicherheitshysterie in arge Bedrängnis. Denn dem Hartliner stehen zur Durchsetzung seiner Auflagen am Pfingstmontag nur 1000 eigene Bereitschaftspolizisten zur Verfügung. Tausende weitere Beamte will Nagel deshalb aus Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Bremen zusammenziehen. Doch selbst wenn dies gelingt, dürfte sein Ziel, auch die 1400 hochrangigen Fachbeamten, die ab 28. Mai in Hamburg erwartet werden, von ihrer Außenwelt weitgehend hermetisch abzuriegeln, kaum durchsetzbar sein. Bei dem Demo-Bündnis gab man sich indes sehr optimistisch, daß die Demo am Pfingstmontag ein »sehr gelungener« Auftakt der G8 Proteste werden wird.

* Hamburg, 28. Mai, 12 Uhr, Reeperbahn: Demo gegen »Asia-Europe-Meeting« (ASEM), www.hamburg.dissentnetzwerk.org

Verwendung (zum Teil): Junge Welt
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08. Mai 2007

Vor zwanzig Jahren als studentische Streikzentrale an der Hochschule für Politik und Wirtschaft gegründet

Das »Café Knallhart« an der Hamburger Uni feiert in dieser Woche seinen zwanzigsten Geburtstag. Entstanden während eines Besetzungsstreik 1987 an der damaligen »Hochschule für Wirtschaft und Politik« (HWP), ist das Café seitdem ein Ort der kritischen Diskussion. Inzwischen hat das selbstverwaltete Café sogar die eigene HWP überlebt. Die gewerkschaftsnahe Hochschule, die auch Nicht-Abiturienten die Chance zum Studium bot, war 2005 durch den CDU-Senat als »Department für Wirtschaft und Politik« (DWP) mit der Universität Hamburg zwangsfusioniert worden.

Das »Knallhart« entstand am 13. Mai 1987 als Streikcafé – seinerzeit protestierten die HWP-Studenten gegen die Verschärfung der Aufnahmeprüfungen. Sogar Hochschulpräsident Norbert Aust war damals »stolz« auf das Engagement seiner Studenten. Doch diese Anfangssympathie legte sich, als die Café-Betreiber mit politischen Veranstaltungen und der Sammlung von Geld – so etwa für den Befreiungskampf in Lateinamerika, für die streikenden Arbeiter in Rheinhausen oder die Besetzer der Häuser in der Hafenstraße – ihrem Projekt eine ganz eigene Prägung gaben. Aust verlangte eine Entpolitisierung der Einrichtung und ließ die besetzten Seminarräume wieder räumen. Doch darauf reagierten die Café-Betreiber über Wochen hinweg mit »mobilen Cafés«, die jeden Tag an verschiedenen Orten in der Hochschule organisiert wurden. Die Auseinandersetzung endete schließlich mit einem Kompromiß. Während die Betreiber der Bildung eines Trägervereins zustimmen mußten, konnten sie gleichzeitig ihre politische Autonomie verteidigen.

Generationen von Studierenden haben bei leckerem Kaffee und selbstgemachten Brötchen – hergestellt in »Solischichten« und mit einem Soli-Aufpreis von 5 Cent verbunden – inzwischen die Angebote des Cafés genossen. Die Resonanz war so stark, daß der Hochschulrat Mitte der 90er Jahre sogar weitere Räume im Foyer der Hochschule zur Verfügung stellte. Optimismus, dieses lebendige Projekt studentischen Widerstands auch nach 20 Jahren zu verteidigen, prägt deshalb nun auch die Geburtstagsfeiern. Noch bis Samstag finden zahlreiche Veranstaltungen, alternative Vorlesungen, Erzählstunden, Partys und Konzerte statt.

Das komplette Programm unter www.knallhart.anti.de

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04. Mai 2007

Lehrauftrag in Hamburg nach TV-Sendung entzogen

Mit einer Demonstration über den Campus haben rund 100 Studierende der Uni Hamburg am Donnerstag nachmittag gegen den Rausschmiß ihrer Geschichtsdozentin Sabine Todt protestiert. Der Dozentin am historischen Seminar ist ihr Lehrauftrag entzogen worden, nachdem sie in der ARD-Sendung »Monitor« vor einigen Wochen auf die prekäre Lage von Jungakademikern an der Universität aufmerksam gemacht hatte. Diese seien häufig von nur befristeten und schlecht bezahlten Lehraufträgen abhängig. Sie äußerte sich trotz eines Maulkorberlasses, den Hamburgs neue Unipräsidentin Monika Auweter-Kurtz im März verfügt hatte. Im »Interesse einer einheitlichen und professionellen Darstellung« sind demnach öffentliche Äußerungen mit der Unileitung abzustimmen.

Todt, deren Lehrangebot bereits im Vorlesungsverzeichnis stand, ist sicher, daß sie Opfer des Maulkorberlasses ist. Der »kausale Zusammenhang« zwischen ihren Äußerungen und der Beendigung ihres Lehrauftrags sei ihr in einem Gespräch selbst verdeutlicht worden, betonte sie. Für die Studenten ist das ein Skandal. Sie erklärten, daß hier ein Exempel nach der Devise »Bestrafe einen und erziehe hundert« statuiert werden soll. Das aber sei mit dem Status einer »demokratisch verfaßten Uni« nicht vereinbar, sagte Bela Rogalla, Mitglied im Ethikrat des Akademischen Senats. Für ihn ist das »Recht zur freien Meinungsäußerung« eine »unabdingbare Voraussetzung« für einen wirksamen wissenschafts- und hochschulpolitischen Diskurs. Daß hochschulpolitische Fragen nicht nur im »akademischen Elfenbeinturm«, sondern auch öffentlich diskutiert werden müßten, betonte auch Hanno Willkomm, Mitglied im Fachschaftsrat Medienkultur. Der Führungsstil von Auweter-Kurtz sei »anachronistisch verstaubt«. Das Aktionsbündnis ruft alle Hochschulangehörigen für den 10. Mai um 11.30 Uhr zu einer Protestkundgebung auf dem Campus auf.

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03. Mai 2007

Die vier Hochschulrektoren der Hansestadt rufen zum Protest gegen Kürzungspläne des SPD/CDU-Senats auf

Es ist fast eine Rebellion, die die Hochschulen in Bremen zur Zeit erleben. Hunderte Professoren, Studierende und weitere Hochschulbeschäftigte gingen gemeinsam auf die Straße, nachdem eine Vollversammlung der Uni Protestwochen beschloß. Dutzende Seminare wurden in die Fußgängerzonen verlegt. Und seit Mittwoch geschieht das sogar mit offizieller Unterstützung der vier Hochschulrektoren.

Vor Journalisten erklärten sie in einer gemeinsamen Pressekonferenz, sie fürchteten, daß ein Viertel aller Professuren und damit ganze Studiengänge gestrichen werden. Dieser Kahlschlag wäre die Folge des Anfang des Jahres vom SPD-CDU-Senat beschlossenen Wissenschaftsplans, der für die Hochschulen Einsparungen in Höhe von fast 100 Millionen Euro vorsieht. Die Rektoren lehnen diesen Plan ab und fordern statt dessen die »Erweiterung des Wissenschaftssystems«. Unirektor Wilfried Müller forderte gar alle Bürger dazu auf, an einer für kommenden Dienstag geplanten Großkundgebung vor dem Bremer Rathaus teilzunehmen. Bei der Gelegenheit solle dann auch gegen die Einführung von Studiengebühren demonstriert werden.

Mit »Bildern von heißen und kalten Kriegen« setzten Studierende des Fachbereichs Kulturwissenschaften unterdessen auch am Mittwoch ihre Proteste fort. Hunderte Studierende nahmen auch an einer Podiumsdiskussion der »Hochschule für angewandte Wissenschaften« gegen die Kürzungspläne des Senats teil. Für die kommenden Tage sind Proteste bei Veranstaltungen zur Bürgerschaftswahl am 13. Mai angekündigt.

Die Wahlkampfstrategen der Großkoalitionäre haben errechnet, daß es an den Hochschulen und an der Uni auch um ein Potential von fast 30000 Stimmen geht. Die Grünen haben deshalb für den Fall einer eigenen Regierungsbeteiligung bereits zweistellige Millionenbeträge für die Hochschulen zusätzlich in Aussicht gestellt. Und Druck kommt auch von der Linkspartei, die die Rücknahme der Kürzungspläne, den Verzicht auf Studiengebühren und eine Aufstockung des Wissenschaftsetats forderte.

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