05. September 2008

Heftige Auseinandersetzung in Hamburger Bürgerschaft. CDU diffamiert Abgeordnete der Linken

In der ersten Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft nach der Sommerpause hat die Linkspartei-Abgeordnete Christiane Schneider am Mittwoch abend die Polizeiübergriffe auf Teilnehmer des dort kürzlich veranstalteten Klima- und Antirassismuscamps kritisiert. »Was zählen in dieser Stadt eigentlich die Bürgerrechte?« fragte die Vizechefin der Linksfraktion in der Aktuellen Stunde. Der CDU/Grünen-Senat habe zur »Wahrung des Koalitionsfriedens« zwar während der Camps auf einen offenen »Law and Order«-Kurs verzichtet. Später hätten sich aber die CDU-Hardliner, wie etwa Innensenator Christoph Ahlhaus, durchgesetzt. Auf dem Höhepunkt der Camps habe Ahlhaus dann mit seiner Parole »den Chaoten kein Pardon« grünes Licht für Polizeiübergriffe gegeben, die Grundrechte „außer Kraft“ gesetzt hätten. Vor allem die Versammlungsfreiheit wäre dabei »auf der Strecke geblieben«, so Schneider. Wie berichtet, hatte die Abgeordnete bereits in der Woche zuvor auf einer Pressekonferenz ein Video vorgestellt, auf dem deutlich zu sehen ist, wie Polizeibeamte Teilnehmer von Aktionen der Camps grundlos zu Boden warfen und mißhandelten. In der Bürgerschaft sprach die Abgeordnete deshalb von einer »arroganten Demonstration polizeilicher Macht« auf Kosten der Grundrechte. Als innenpolitische Sprecherin ihrer Frak­tion forderte Schneider, die Vorkommnisse gründlich aufzuarbeiten.

Der Auftritt sei ein »dreister Angriff auf die Integrität unserer Polizei«, reagierte der innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, Kai Voet van Vormizeele. Ähnlich erregt zeigte sich SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel, der die Frage aufwarf, welche Rolle die Linksfrak­tion in diesem »Grenzbereich zwischen illegalen und legalen Protest« spiele. Schneider habe mit »ihren Solidaritätsadressen für Chaoten« der Demokratie einen Bärendienst erwiesen und selbst den Boden für »Krawall und Chaos« geschaffen. Dressel reagierte damit auch auf Vorwürfe von Schneider. Da der SPD-Mann ein Verbot solcher Camps gefordert hatte, sei er mitverantwortlich für die »Kriminalisierung« des berechtigten Protests etwa gegen Abschiebungen. Sicherlich, so Schneider: Bei einzelnen Aktionen, sei die Grenze zur Gewalt überschritten worden, was sie selbst bedaure. Doch wer dies dann, wie etwa Dressel oder Ahlhaus, zum Vorwand nehme, um gleich Hunderte von Demonstranten »in eine Art von gesinnungsmäßiger Sippenhaftung« zu nehmen, der verlasse auch selbst »den Boden des Rechts«.

Ganz aus dem Häuschen war daraufhin CDU-Hardliner Karl-Heinz Warnholz: »Wir kennen Ihre kommunistische Vergangenheit«, schrie er Schneider an. »Halten Sie künftig zu diesem Thema den Mund«, so der Vorsitzende des Innenausschusses, der den Verdacht äußerte, Schneider habe ihr Video gefälscht. Schließlich forderte er die Abgeordnete auf, ihr Mandat niederzulegen. »Sie sind eine Schande für das ganze Haus«, rief er aus.

Und die in der Hansestadt mitregierenden Grünen? Die Polizei habe »insgesamt ihre Einsätze gut gelenkt«, doch offenbar gebe es »Einzelfälle«, wo dies nicht so war, müßten diese geprüft werden, versuchte die Abgeordnete Antje Möller einen komplizierten Spagat. Dass die Versammlungsfreiheit missachtet worden wäre, wies ihr Parteikollege und Justizsenator, Till Steffen, indes klar zurück. Er suchte den Fokus der Kritik nun auf SPD-Mann Dressel zu lenken. Dieser habe seiner Forderung des Verbots den Bogen überspannt. »Denken Sie doch nur an ihre eigene Geschichte und daran, dass die Vorstellung, man könne staatskritischen Protest einfach ersticken, schon unter Bismarck scheiterte«, rief er Dressel zu. Immerhin: Steffen versprach Schneider nun alle Vorwürfe gegen einzelne Beamte auch durch seine Behörde zu prüfen. Die CDU-Fraktion quittierte dies mit eisigem Schweigen.

Anmerkung: In der Veröffentlichung für die Tageszeitung junge Welt mussste dieser Artikel aus Platzgründen leider gekürzt werden. Die entsprechenden, dort nicht veröffentlichten Passagen, sind hier kursiv gesetzt. Leider ging dadurch verloren, daß Schneider in der Sache durchaus einen kleinen Erfolg erzielte: der Justizsenator sicherte ihr immerhin zu, die Vorwürfe zu prüfen.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 5. September 2008
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30. August 2008

Hamburger Gewerkschafter und Elterninitiativen wollen gleiche Bildungschancen durchsetzen

In Hamburg hat der SPD-Grüne-Senat neue Regeln für Volksbegehren und Volksabstimmungen beschlossen. Demnach können Unterstützerunterschriften nicht mehr nur auf dem Amt, sondern auch wieder auf der Straße gesammelt werden. So würden die Voraussetzungen für das anstehende Volksbegehren »Eine Schule für alle« geschaffen, hieß es zur Begründung aus der Innenbehörde. Für den Erfolg des Begehrens müssen rund 60000 Unterstützerunterschriften innerhalb von drei Wochen – vom 19. September bis 9. Oktober – gesammelt werden. Die Unterstützerunterschriften können auch weiterhin in den amtlichen Stellen der Bezirke oder per Briefwahl abgegeben werden. Entsprechende Formulare werden ab heute auf Antrag der Bürger verschickt.

Inhaltlich geht es bei dem Begehren darum, daß künftig alle Hamburger Schüler bis zur 10. Klasse in einer Schule gemeinsam unterrichtet werden. Von der Grundschule kommend wechselten sie bislang schon nach Klasse vier auf drei verschiedene Schulformen. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen für den CDU/Grünen-Senat konnte die Grün-Alternative Liste (GAL) im Februar 2008 durchsetzen, daß die bisherigen Hauptschulen abgeschafft werden und ein Schulwechsel erst nach der sechsten Klasse erfolgt. Den Initiatoren des Volksbegehrens »Eine Schule für alle«, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), reichen diese Schritte nicht. Zwar entstehen neue Stadtteilschulen, aber die Gymnasien bleiben wie gehabt. Damit bliebe auch die Ungleichheit der Bildungschancen vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien erhalten, so GEW-Landeschef Klaus Bullan am Freitag im Gespräch mit junge Welt. Er kritisiert zudem, daß der »schwarz-grüne« Senat den Betroffenen sein Schulmodell »einfach überstülpen« will. Demokratischer sei es, darüber in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Wie das Beispiel skandinavischer Länder zeige, sei die »Schule für alle das gerechtere, leistungsfähigere und zeitgemäßere Schulsystem«, so Bullan gegenüber jW.

Ob sich der Gewerkschafter mit diesem Standpunkt durchsetzen kann, ist allerdings offen. Bereits bei der Gründung der Volksinitiative im Herbst vorigen Jahres als innerhalb von sechs Monaten 10000 Unterschriften gesammelt werden mußten, traten erhebliche Mobilisierungsprobleme zutage. Hinzu kommt, daß sich die Grünen jetzt aus dem Unterstützerkreis für die Initiative weitgehend verabschiedet haben. Bullan gibt sich dennoch optimistisch. Immerhin hätten sich schon jetzt rund 500 Personen als Unterschriftensammler gemeldet. Zudem werde das Begehren auch durch die Partei Die Linke, den DGB und weitere Einzelgewerkschaften wie auch durch den Elternverein massiv unterstützt.

Wer Briefwahlunterlagen anfordern will, kann dies formlos mit einfacher Postkarte bei der Briefeintragungsstelle Volksbegehren im Bezirksamt Hamburg Mitte, Klosterwall 8, Block D, 20095 Hamburg, beantragen

Verwendung: Junge Welt vom 30. August 2008
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06. August 2008

Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft will »Hartz IV«-Beziehern bei Behördenbesuchen Beistand leisten

In Hamburg hat einer der Vizepräsidenten der Bürgerschaft, der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Joithe angekündigt, »Hartz IV«-Bezieher künftig als »Beistand« bei ihren Besuchen in der für sie zuständigen Leistungsbehörde zu begleiten. Damit wolle er ein Beispiel für »tätige Solidarität« geben, erklärte der Politiker gegenüber jW. »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.« Wer die »Arbeitsgemeinschaft SGB II« (ARGE) aufsuche, sei vielfach »behördlichen Schikanen« ausgesetzt. Joithe spricht aus eigener Erfahrung: Bis zu seinem Einzug in die Bürgerschaft im Februar 2008 war er als Erwerbsloser auch selbst von Leistungen der »Hartz IV«-Behörde abhängig.

Die Hinzuziehung eines solchen Beistandes ist im Paragraphen 13, Absatz 4 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) geregelt. Eine sinnvolle Bestimmung, die allerdings viel zu wenig genutzt werde, meint Joithe und verweist auf das Beispiel eines 23jährigen Mannes. Ohne dessen Zustimmung hätten ARGE-Mitarbeiter diesem eine »Eingliederungsvereinbarung« und einen Ein-Euro-Job aufnötigen wollen. Als er sich weigerte, die »Vereinbarung« zu unterzeichnen, da er zunächst seinen Hauptschulabschluß nachholen wollte, habe ihm das Amt mit dem Entzug sämtlicher Leistungen gedroht. »Völlig rechtswidrig« sei dies gewesen, so Joithe, denn der Betroffene habe ja selbst konstruktive Vorschläge für die Verbesserung seiner Vermittlungschancen vorgebracht. Vorschläge, die das Amt am Ende auch akzeptierte – doch erst, nachdem Joithe interveniert hatte.

Im Gespräch mit junge Welt verweist der Abgeordnete auf eine Vielzahl solcher Widrigkeiten, mit denen sich Erwerbslose fast täglich konfrontiert sehen. Besonders schlimm sei es auch dann, wenn etwa Anträge auf Bewilligung von Leistungen »systematisch« verschleppt oder unsachgemäß, häufig zu Lasten des Leistungsempfängers, bearbeitet werden. Ohne Beistand seien die Betroffenen solcher Willkür dann aber häufig recht hilflos ausgesetzt. Durchführen will Joithe seine eigenen Beistandsbesuche deshalb in Kooperation mit der Erwerbsloseninitiative PeNG! (»Aktive Erwerbslose und Geringverdiener«). Durch sein eigenes Beispiel ermutigt, hofft Joithe, daß sich dann weitere Freiwillige nach einem kurzen Einführungsseminar als ehrenamtlich tätige Beistände zur Verfügung stellen. Ein »Netzwerk konkreter Hilfe und Solidarität« könne so flächendeckend entstehen. Wer selbst helfen möchte oder aber einen Bestand benötigt, kann sich an das Abgeordnetenbüro des Vizepräsidenten wenden. Rufnummer: (040) 79695004.

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05. August 2008

Mecklenburg-Vorpommern will Hilfen für Sehbehinderte drastisch reduzieren

Die im Juli bekanntgewordenen Pläne der SPD-CDU-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern, das Blindengeld dort ab 2009 von monatlich 546 auf 333 Euro pro Peson zu kürzen, haben den Widerstand der Blinden- und Sehbehindertenverbände hervorgerufen. Für den heutigen Dienstag ist eine Mahnwache vor der Staatskanzlei in Schwerin angekündigt. Der Protest richtet sich auch gegen eine Kabinettsvorlage von Finanzministerin Sigrid Keler (SPD). Darin hatte sie die Kürzung des Blindengeldes damit begründet, daß der in Mecklenburg-Vorpommern bisher gezahlte Zuschuß um etwa 150 Euro über dem Durchschnitt der Zahlungen in allen anderen ostdeutschen Bundesländern liege. »Ich dachte, die Zeiten wären vorbei, da zwischen Ost und West unterschieden wird«, empört sich etwa Bernd Uhlig vom Blinden- und Sehbehindertenverein Greifswald.

Die Landesregierung will auch die Zuschüsse für hochgradig sehbehinderte Menschen außerhalb von Blindeneinrichtungen, das sogenannte kleine Blindengeld, auf etwa die Hälfte des derzeit ausgezahlten Betrages von monatlich 136 Euro reduzieren. Keler erhofft sich so Haushaltseinsparungen von 8,7 Millionen Euro allein 2009. In den drei Folgejahren sollen es jeweils 8,2 Millionen Euro sein. Für Blinde und Sehbehinderte wäre das »fatal«, empört sich Gudrun Buse, Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins in Mecklenburg-Vorpommern. In einer Erklärung verweist sie auf die gestiegenen Kosten nicht nur für Blinden-Hilfsgeräte, sondern vor allem auch für die Begleitung sehbehinderter Personen. Ohne diese seien Blinde kaum in der Lage Einkaufsfahrten, Arzt- und Behördenbesuche, Freizeitaktivitäten und Urlaub zu organisieren. Würden die Pläne aus dem Finanzministerin umgesetzt, sei eine »angemessene Teilhabe« am gesellschaftlichen Leben für diesen Personenkreis kaum noch möglich. »Bittere Armut« und ein weitgehender Mobilitätsverlust wären die Folgen. Eine Ausweitung der Proteste kündigte Buse deshalb bereits an; notfalls auch mit »mehreren tausend Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet« vor dem Schweriner Schloß. Blinde, so Buse, halten schließlich zusammen.

Die Landesregierung erhofft sich Einsparungen. Tatsächlich werde so aber das Geld nur »von einer Tasche in die nächste geschoben«, bemängelt Irene Müller, sozialpolitische Sprecherin der Partei Die Linke, und als Blinde selbst betroffen. Sie sagt: Kürzungen beim Blindengeld erhöhen gleichzeitig die Ausgaben bei der sogenannten Blindenhilfe. Letzteres ist eine spezielle Form der Sozialhilfe, die ebenfalls aus einem Topf des Landes finanziert werden muß. Dann allerdings verbunden mit dem Nachteil, daß Blinde zunächst ihr mühsam Erspartes aufbrauchen müssen. Auch Müller kündigte im Namen ihrer Partei Widerstand gegen die Kürzungspläne an.

heute, 9.30 Uhr, Mahnwache vor dem Haupteingang der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern, Schloßstraße 2–4 in Schwerin

Verwendung: Junge Welt vom 05. August 2008
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23. Juli 2008

Mannschaftsbild

Wie ist es für einen deutschen Fußballtrainer im Baseball-Land Kuba? Ein Gespräch mit Reinhold Fanz

Reinhold Fanz ist Trainer der kubanischen Fußballnationalmannschaft

Sie sind seit Januar 2008 Trainer der kubanischen Fußballnationalmannschaft. Zuvor waren Sie beim Bonner SC. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Der Bonner SC pflegt seit über zehn Jahren Beziehungen mit Kuba. Aus dem Präsidium des SC kam deshalb immer wieder der Vorschlag, daß ich selbst nach Kuba gehe, damit der dortige Fußball sich entwickeln kann. Nach Auslaufen meines Vertrags ergab sich dazu dann die Gelegenheit. Einige Spiele der Kubaner – etwa die gegen Mexiko oder Panama im Rahmen des Gold-Cups – hatte ich mir zuvor bereits angeschaut. Sie zeigten mir, daß aus diesem kubanischen Fußball noch eine Menge zu machen ist. Daß dafür jetzt auch die Rahmenbedingungen – zum Beispiel die Situation auf den Sportplätzen – noch deutlich verbessert wird, hat mich schließlich überzeugt.

Was zeichnet die kubanischen Fußballspieler aus?

Sie sind schnell, sehr talentiert und auch technisch sehr gut drauf. Dazu kommt ihr enormer Fleiß. Was fehlt, sind Taktik und jene Disziplin, die europäische wie deutsche Spitzenmannschaften auszeichnet. Schließlich kommt es im Fußball nicht nur darauf an, ein schönes Spiel zu machen. Man muß auch Tore schießen.

Reinhold FanzUnmittelbar nach Ihrem Wechsel haben Sie die Teilnahme Kubas an den Weltmeisterschaften 2010 zur Zielmarke erklärt. Ist das realistisch?

Es ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, das gebe ich zu. Doch die kubanischen Spieler haben dafür das Potential. Erstmals seit über zwölf Jahren konnten wir die zweite Qualifikationsrunde im Vorfeld einer Fußball-WM erreichen. Ich gehe davon aus, daß wir in dieser Gruppe am Ende einen zweiten Tabellenplatz belegen und somit dann auch die nächste Qualifikationsrunde erreichen werden.

Daran glauben Sie fest?

Im Fußball ist fast alles möglich. Vorausgesetzt man arbeitet gut und die Spieler haben erstens das Potential sowie zweitens auch den Willen, ein solches Ziel zu erreichen. Für die kubanische Mannschaft trifft beides zu.

Nach dem jüngsten Sieg über Antigua und Barbuda stehen schwierigere Begegnungen für einen solchen Aufstieg allerdings noch bevor. Mit besonderer Spannung wird das Spiel gegen die USA am 6. September erwartet. Erstmals seit 61 Jahren werden US-amerikanische Fußballer dann in Havanna antreten.

Dieses Spiel wird etwas ganz Besonderes. Es wird ein Spiel Bush gegen Castro. Da geht es um sehr viel mehr als nur um den Sport. Meine Spieler werden deshalb alles dafür tun, die USA zu schlagen. Als Trainer gehe ich davon aus, daß wir nicht nur in diesem Spiel, sondern zuvor bereits gegen Trinidad und Tobago sowie dann gegen Guatemala die erforderlichen Punkte für den Aufstieg in die nächste Runde holen werden.

Gegenwärtig hält sich Ihre Mannschaft zu Testspielen in Europa auf. Gegen die österreicherische Nationalmannschaft mußte sie eine 4:1-Niederlage einstecken. Wie ist Ihre Gesamtbilanz?

Ich muß das relativieren, denn bei diesem Spiel traten die Österreicher mit etwa 30 Fußball-Profis an. In dem drei mal 35 Minuten dauernden Match konnten sie so ihre Spieler mehrfach austauschen. Wir hingegen waren nur mit 13 Kickern präsent. Im ersten Drittel, als diese noch frisch waren, gab es ein 1:1. Die weiteren Tore mußten wir einstecken, nachdem unsere Jungs kräftemäßig schon ziemlich mitgenommen waren. Immerhin hatten wir zu dieser Zeit fast jeden Tag ein anderes Spiel.

Und Ihre Gesamtbilanz?

Wir sind gegen etliche kleinere Mannschaften, auch gegen Zweitligisten, angetreten. Unter den Gegnern befinden sich auch der FC Freiburg und der FC St. Pauli. Mir wurde bei den schon absolvierten Spielen deutlich, wie sich unsere Spieler, ja die gesamte Mannschaft, fast von Spiel zu Spiel steigern konnte.

Warum wollten Sie unbedingt gegen den FC St. Pauli antreten?

Im Millerntor-Stadion herrscht eine besondere Atmosphäre. Wir haben vor dem Spiel geradezu gehofft, daß es ein richtiger Hexenkessel wird. Für unsere Spieler war das eine sehr gute Vorbereitung auf New York. Denn dort werden wir später vor bis zu 70000 Zuschauern unter Flutlichtbedingungen antreten müssen. Dann sollten unsere Spieler mit einer vergleichbaren Situation bereits vertraut sein.

FC-St.-Pauli-Präsident Corny Littmann hat junge Welt gegenüber betont, daß er sich eine Ausdehnung der Beziehungen seines Vereins zum kubanischen Fußball wünscht. Er hofft nun, Sie könnten dabei behilflich sein.

Wenn ich das kann, werde ich es tun. Doch das Entscheidende leisten die Kubaner selbst. Jetzt zum Beispiel ist im Gespräch, daß wir in unserem Stadion einen Kunstrasenplatz erhalten. So könnten die guten klimatischen Verhältnisse, die es in Kuba zwischen November und Februar für Fußballspiele gibt, dann besser auch für Trainingslager europäischer Mannschaften genutzt werden. Auch den Austausch von Schüler- und Jugendmannschaften kann ich mir vorstellen.

Trotzdem ist Kuba eher ein Baseball-Land. Welchen Stellenwert hat der Fußball?

Die Begeisterung nimmt zu. Deutlich wurde dies auch während der Europameisterschaften, die vom kubanischen Fernsehen übertragen wurden. Auch auf der Straße sehe ich immer mehr Jugendliche, die Fußball spielen. Wenn dazu dann noch ein Erfolg der Nationalmannschaft käme, würde der Fußball richtig aufblühen. Havanna unterstützt die sportlichen Aktivitäten seiner Bürger immerhin in besonderer Weise.

Zu einer anderen Frage: In den hiesigen Medien ist häufiger von einem gelähmten Land die Rede. Wie erleben Sie die kubanische Gesellschaft?

Kuba, das ist ein Land im Aufbruch. Die Reformen von Raúl Castro tragen dazu sicherlich bei. Doch es hilft auch, daß jetzt zum Beispiel das EU-Embargo gefallen ist.

Anmerkung:

Dieses Interview, das ich mit Reinhold Fanz noch vor dem Spiel gegen den FC St. Pauli am 18. Juli führte, ist Bestandteil einer 12-seitigen Sonderbeilage der Tageszeitung Junge Welt vom 23. Juli 2008. Weitere Beiträge in dieser Beilage, darunter solche von Hans Modrow, aber auch von kubanischen Revolutionären, zu den Perspektiven des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses in Kuba, lesen Sie bitte hier.

Verwendung: Junge Welt vom 23. Juli 2008



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23. Juli 2008

Experimentelle Landwirtschaft: Kubanische Bauern bauen Zwiebeln auf einem Feld in Hydrokultur an. Die Methode ist auf kleinsten Flächen anwendbar

Es ist nun knapp zwei Jahre her, daß Fidel Castro aus den Regierungsgeschäften ausschied. Seitdem hat sich in Kuba viel verändert. Neue Sozialprogramme wurden aufgelegt, Wirtschaftsabkommen wurden geschlossen. Im vergangenen Sommer initiierte die Regierung in Havanna – damals noch unter dem Interimspräsidenten Raúl Castro – eine Volksbefragung zu den bestehenden Problemen des Landes. In Betriebsgruppen und Nachbarschaftskomitees nahmen Hunderttausende an der Aussprache teil. Von Stagnation und Frustration, die Kuba im Ausland gerne unterstellt werden, keine Spur. Ähnliches ist in der Außenpolitik zu beobachten. Das sozialistische Kuba baut nicht nur seine Wirtschaftskontakte zu Asien und Afrika aus, Havanna gehört sogar zu den Gründungsmitgliedern des Wirtschaftsbündnisses Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA). Vor dem 50. Jahrestag der Revolution zeigt sich die Inselrepublik als integraler Bestandteil der lateinamerikanischen Gemeinschaft.

In Europa wird all das kaum wahrgenommen. Die Mehrheit der hiesigen Medien arbeitet sich noch immer an Fidel Castro ab, als hätte es einen Wechsel nie gegeben. Ihr politischer Tunnelblick ist verständlich: Die kubanische Realität im Jahr 2008 anzuerkennen hieße, die eigenen Fehleinschätzungen einzugestehen. Nach Fidel Castros Rückzug aus der aktiven Politik ist nichts von dem eingetreten, was westliche Medien und Politologen für die »Post-Castro-Ära« prognostiziert haben. Trotzdem ist die kubanische Gesellschaft im Umbruch. 17 Jahre nach dem Beginn der »Spezialperiode in Zeiten des Friedens«, wie die kubanische Krise nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus genannt wurde, hat sich die Wirtschaft so weit erholt, daß Reformen in Angriff genommen werden können. Mit dieser Situation befaßt sich die diesjährige Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt.

Dabei kommen auch kubanische Stimmen zu Wort. Der Schriftsteller und Essayist René Vázquez Díaz schreibt nicht nur über die Veränderungen auf der Insel, sondern auch über die Irrtümer zu Kuba in Europa. Von seiner Wahlheimat Schweden aus setzt sich Vázquez Díaz mit den westlichen Verleumdungen Kubas auseinander. Kuba in Zeiten von CIA-Folterflügen und NATO-Kriegen von der europäischen Warte aus als Diktatur zu bezeichnen, sei »absurd«, urteilt er in dem Plädoyer für die Souveränität seines Heimatlandes. Trotzdem endet sein Text mit einem Zweifel: Werden die jungen Generationen den bisherigen Konsens weiterhin mittragen?

Auf die Debatte über einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts gehen Jorge Luis Santana Pérez und Concepción Nieves Ayús ein. Die beiden Mitarbeiter des Philosophischen Instituts der Universität Havanna sehen die Diskussion über ein neues Sozialismus-Modell in Lateinamerika als große Chance. Die Lehre aus Kubas Entwicklung sei es, sich bei diesen Diskussionen nicht nur an Theorien, sondern an der Lebensrealität der Menschen zu orientieren. In Kuba sei der Sozialismus »nicht eine beliebige Option unter vielen. Er ist eine Notwendigkeit, die das Überleben, die gesellschaftliche Entwicklung, die Verteidigung und Festigung der Identität gewährleistet«, schreiben Santana Pérez und Nieves Ayús. Gerade deswegen werden auch die Fehler thematisiert. Die deutsche Lateinamerikanistin Ute Evers faßt in diesem Zusammenhang die Diskussion kubanischer Intellektueller über die »grauen fünf Jahre« zusammen – eine Zeit repressiver Kulturpolitik in den 1970ern. Daß dieser Meinungsaustausch heute von der Regierung forciert wird, zeigt die Qualität des politischen Umgangs in Kuba.

Mehrere deutsche Autoren schreiben hier über Kuba. Unter ihnen der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke und der Sozialwissenschaftler Edgar Göll. Die Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt liefert auch in diesem Jahr ein breites Spektrum an Beiträgen für die Diskussion. Nicht über, sondern mit Kuba.

Anmerkung:

Der vorliegend veröffentlichte Beitrag aus einer heute erschienenen 12-seitigen Kuba-Extra-Beilage der Tageszeitung Junge Welt, stammt von meinem jW-Redaktionskollegen Harald Neuber. Einleitend beschreibt er eine Beilage, in der unterschiedliche und sehr respektable Autoren zu den Entwicklungen auf der Karibikinsel Stellung nehmen. Ich veröffentliche diesen Beitrag hier, weil ich selbst zu dieser Beilage einen kleinen Beitrag leisten konnte: ich interviewte den Fußball-Nationaltrainer von Kuba, Reinhold Fanz. Dieses Interview lesen Sie hier.

Darüber hinaus stelle ich den Leserinnen und Lesern meiner Web-Seite hiermit zudem die gesamte Beilage zu Kuba vom 23. Juli als PDF-Datei (3,4 MB) zur Verfügung. Verstehen Sie dies als einen besondere Dienstleistung für die Leser meiner Seite, denn diese, sehr informative Beilage, ist im Internet sonst nur für jW-Abonnenten erreichbar!

Verwendung: Junge Welt vom 23. Juli 2008



03. Juli 2008

Eimsbüttel lädt am Wochenende zum dreitägigen Methfesselfest

Unter dem Motto »Mit Vergnügen Position beziehen« beginnt am Freitag abend das dreitägige Hamburger Methfesselfest. In den 80er Jahren war es eins der vielen Stadtteilfeste der damals noch stärkeren Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Nach einer Pause wurde die Tradition Mitte der 90er wieder aufgegriffen. Unter Einbeziehung anderer linker Gruppen und Parteien sowie zahlreicher Stadtteil- und Bürgerinitiativen ist es inzwischen das größte nichtkommerzielle Straßenfest in der Hansestadt.

In diesem Jahr steht vor allem die Solidarität mit Migrantinnen und Migranten im Vordergrund. Sie seien besonders betroffen von Erwerbslosigkeit, Schulmisere und der daraus resultierenden Perspektivlosigkeit, heißt es in der Ankündigung für das Wochenende. Es wird Lesungen, Diskussionen, Kabarett und Live-Musik geben. Die »Bollywood«-Kindertanzgruppe aus dem Sportverein Grün-Weiß Eimsbüttel ist ebenso dabei wie die Rock-Formation »more than 6«, der HipHopper Holger Burner, die Oma-Körner-Band sowie die Musikgruppe Gutzeit. Politischer Höhepunkt ist eine Podiumsdiskussion am Sonntag vormittag zum Problem der wachsenden Armut in der Stadt. Dafür haben sich unter anderem der Vizepräsident der Bürgerschaft Wolfgang Joithe (Die Linke) sowie die Buchautorin Ursel Becher angekündigt. Starkes Interesse dürfte auch ein Solidaritätsmeeting mit dem sozialistischen Kuba am Samstag mittag finden. Erwartet wird dazu die Erste Sekretärin der kubanischen Botschaft aus Berlin, Déborah Ascuy Carillo.

Methfesselfest: 4. bis 6. Juli, Hamburg-Eimsbüttel, Else-Rauch-Platz
Nähere Infos: methfesselfest.de

Verwendung: Junge Welt vom 03. Juli 2008
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02. Juli 2008

Das Reiherstieg-Viertel in Hamburg WilhelmsburgHamburger Armutsviertel soll flottgemacht werden. Berliner Soziologe warnt vor Folgen der Gentrifizierung

Mit einem »Sprung über die Elbe« und einer Internationalen Bauausstellung (IBA) will der CDU-geführte Hamburger Senat den auf einer Elbinsel gelegenen Armutsbezirk Wilhelmsburg »aufwerten«. Für CDU-Bürgermeister Ole von Beust hat die Aufgabe »höchste Priorität«, denn die Elbinsel biete den Raum für die »wachsende Stadt«. Doch die Wilhelmburger selbst sind indes wenig angetan von dem Bemühen um ihr Quartier.

Während Medien und IBA-Geschäftsführer Ulrich Hellwig seit Monaten keine Gelegenheit auslassen, zu betonen, daß nun endlich die Chance da sei, einen seit den 80ern als »restlos kaputt« geltenden »Problembezirk« zu heilen, lehnen viele der Inselbewohner die Planungen ab. Man sei »in tiefer Sorge«, daß die als Aufwertung verkaufte Umstrukturierung am Ende nur dazu führe, daß die Mieten steigen und der Stadtteil zum »Spekulationsobjekt für Privatinvestoren« werde, hieß es am Montag abend auf einer gut besuchten Protestveranstaltung. Zu Gast war auch der Berliner Soziologe Andrej Holm, der die sozialen Verdrängungsprozesse im Zuge einer »neoliberalen Stadtpolitik« am Beispiel des Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg verdeutlichte.

Von Beust setzt dagegen, daß Hamburg wachsen müsse und die Elbinsel den dafür nötigen Raum biete. 35 Quadratkilometer ist das Eiland groß. Fast die Hälfte der rund 50000 Einwohner sind so arm, daß sie auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. In keinem anderen Viertel Hamburgs sind die Erwerbslosenquote sowie der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund höher als in Wilhelmsburg. »Wieviel Gucci verträgt die Insel?« fragte deshalb Hellwig gleich zu Beginn des von ihm geleiteten Aufwertungsprozesses. Besonders das Reiherstieg-Viertel – ein durch zahlreiche Gründerzeitbauten geprägtes Altstadtviertel – hat es dem Geschäftsführer der für 2013 geplanten IBA angetan.

Stadtplaner nennen das, was er betreibt, Gentrifizierung: Um die Stadtentwicklung voranzutreiben, werden »Pioniere« angelockt. Meist sind es Studenten, die mit extra bezuschußtem und damit sehr günstigen Wohnraum versorgt werden. Hellwigs Kalkül: Mit jedem dieser Studenten ändert sich der Alltag im Viertel, geraten gewachsene Milieus durcheinander. So entdecken schließlich auch Künstler die »inspirierende Vielfalt« dieses Stadtteils und Investoren scharren mit den Hufen. Da dies nicht von allein passiert, hilft Hellwig mit einer millionenschweren Imagekampagne. Wilhelmsburg, das sei die »neue Mitte«, die »Zukunft Hamburgs«, heißt es in zahlreichen bunten Werbeflyern. Events und staatlich finanzierte Dauerpartys sollen die Stimmung anheizen. Ist das Viertel erst aufpoliert, so hofft Hellwig, würden sich auch finanzkräftige Neubewohner in den mit öffentlichen Mitteln sanierten Altbaubeständen niederlassen.

»Scheiß auf Gucci« ist die Antwort vieler Bewohner. Sie schimpfen über »unerträglichen Dauerlärm« und verlangen, daß der »bezahlbare Wohnraum« auch für sie geschützt werde. Andrej Holm warnte am Montag abend: »Sie werden euch mit Beteiligungs- und Partizipationsformen kommen, sie werden sagen, daß alles, was gemacht werde, mit den Bewohnern besprochen werde«. Doch am Ende eines solchen »Stadtplanungsregiments« stünde allein das »ökonomische Verwertungsinteresse«. »Prüft deshalb jede Maßnahme, die sie euch anbieten, auf ihren realen Gebrauchswert für euch selbst«, riet Holm den widerständigen Wilhelmsburgern.

Verwendung: Junge Welt vom 2. Juli 2008
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30. Juni 2008

Andreas Grünwald, 49, geb. in WilhelmsburgDie Arbeitsgruppe Wilhelmsburg diskutiert Umstrukturierung und neoliberale Stadtpolitik

taz: Herr Grünwald, wie weit ist die Aufwertung von Wilhelmsburg gediehen?

Andreas Grünwald: Noch ist sie in der Planungsphase. Im Moment wüsste ich nicht, welche Bauvorhaben eigentlich real sind. Außerdem gibt es eine Kampagne, um das Image des Stadtteils aufzubessern.

Was meinen Sie konkret, wenn Sie die neoliberale Stadtpolitik kritisieren?

Es ist die ökonomische Verwertung des Stadtteils mit dem Ziel, Geschäftsleute, Privatinvestoren und besserverdienende Neuzuzöglinge anzuziehen, statt etwas für die Menschen zu machen, die schon da sind. Davon leben 50 Prozent von staatlichen Transferleistungen.

Sie haben den Berliner Soziologen Andrej Holm eingeladen. Was kann Hamburg von Berlin lernen?

Als Stadtteilaktivist hat sich Holm mit ähnlichen Entwicklungen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg beschäftigt. Wir erhoffen uns Anregungen für eine konkrete Form des politischen Widerstands vor Ort.

Hat Wilhelmsburg das gleiche widerständische Potential?

Im Rahmen der IBA-Prozesse müssen Hunderte Kleingärtner jetzt ihre Parzellen aufgeben. In der Weimarer Straße sollen bisher günstige Sozialwohnungen in größere und damit teurere Wohneinheiten umgewandelt werden. Da gibt es bereits eine Menge Protest. Interview: MKG

30. Juni, 19.30 Uhr, Rudolfstr. 5, Eintritt frei

Anmerkung: Ganz gegen meine Gewohnheiten habe ich mit obigen Interview nicht selbst ein solches geführt, sondern mich interviewen lassen. Die angesprochene Veranstaltung ist inzwischen vorbei. Sie hatte 85 Besucher. Nähere Infos finden Sie hier.

Verwendung: taz hamburg vom 30. Juni 2008
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21. Juni 2008

Corny LittmannDer FC St. Pauli weiht demnächst seine neue Südtribüne ein – mit einem Spiel gegen die kubanische Nationalmannschaft. Gespräch mit Corny Littmann

Corny Littmann ist Präsident des FC St. Pauli

Am 18. Juli wird die neue Südtribüne des FC St. Pauli offiziell eingeweiht. Im Anschluß gibt es ein Spiel gegen die kubanische Nationalmannschaft. Wie kam das zustande?

Seit wir vor einigen Jahren als bisher einzige deutsche Profimannschaft ein Trainingslager auf Kuba hatten, gibt es enge Verbindungen zwischen uns und dem kubanischen Fußball. Da die Nationalmannschaft des Landes gerade zu einem Trainingslager in Europa weilt und hier gegen mehrere Zweitligisten antreten will, ergab sich jetzt diese Möglichkeit. Vor allem weil die Mannschaft selbst, und auch ihr deutscher Trainer Reinhold Fanz, ausdrücklich wünschten, während ihres Aufenthalts in Europa mit dem FC St. Pauli zusammenzutreffen. Daß wir das jetzt mit der Eröffnungsfeier kombinieren können, freut mich besonders.

Was verbinden Sie mit diesem Spiel?

Das wird aus vielen Gründen etwas ganz Besonderes. Zum einen wegen der Eröffnung. Zum zweiten und vor allem wegen der bekannten Lebensfreude und überhaupt der Einstellung der Kubaner. Das wird dem Spiel und der Stimmung am Millerntor einen ganz besonderen Glanz verleihen. Etwas Besseres hätte dem FC St. Pauli nicht passieren können.

Bevor das Spiel angepfiffen wird, soll es ein umfangreiches Rahmenprogramm geben. Was erwartet die Besucher?

Zum Beispiel ein Tag der offenen Tür, bei dem sich die Ticketinhaber über die neue Tribüne führen lassen können. Außerdem werden kubanische Musikgruppen auftreten, und es wird eine kleine Zeremonie zur offiziellen Einweihung der Südtribüne geben.

Während des Trainingslagers auf Kuba unterhielten Sie sich Anfang 2005 auch mit kubanischen Sportfunktionären. Sportminister Humberto Rodríguez González war dabei so begeistert, daß er von »neuen Freunden« sprach, die sein Land gewonnen habe. Was verbindet Sie mit dem Land von Fidel Castro?

Ich bin seit langer Zeit ein Kuba-Freund und verfolge das dortige politische Geschehen sehr interessiert. Mit Castro konnten wir nicht zusammentreffen. Doch mit seinem Namen und mit der Geschichte seines Volkes verbinde ich ausgesprochen viel. Es ist ja nicht nur eine spannende, sondern vor allem eine bewunderungswürdige Geschichte, beginnend mit der Revolution. Was die Kubaner auf fast allen Gebieten seitdem zustande gebracht haben und wie sie es verstehen, das auszubauen, das ist ganz außerordentlich.

2005 schmiedeten Sie Pläne, diese Verbindungen zu Kuba durch den Austausch von Schülermannschaften und durch ein Hilfsprogramm für die Ausbildung kubanischer Übungsleiter zu festigen. Was ist daraus geworden?

Das war unsere Absicht. Doch leider ist es in der Praxis manchmal viel komplizierterer, etwas einzulösen, als man es sich vorstellt. Schwierigkeiten ergeben sich auch aus der bekannten Abwerbe- und Flüchtlingsproblematik. Trotzdem halten wir daran fest, die Beziehungen unseres Klubs zum kubanischen Fußball auszubauen. Daß Reinhold Fanz jetzt Nationaltrainer der Kubaner ist, ist dafür sicherlich hilfreich.

St. Pauli gilt seit Jahren als rebellisch im deutschen Profifußball. Für viele Fans gehören politisches Engagement, Antifaschismus, die Ablehnung von Kriegen sowie internationale Solidarität zum Alltag. Warum ist das für den FC St. Pauli so wichtig?

Es betrifft die Identität unseres Vereins, die über solche Werte definiert ist. Unser Auftreten gegen Rassismus, unser antifaschistischer Grundkonsens sind ja auch für unsere Fangruppen kennzeichnend. Daß es heutzutage im deutschen Fußball eher eine Ausnahme ist, daß solche Werte gegen rechtsextreme Bestrebungen im deutschen Fußball auch noch verteidigt werden müssen, ist für mich sehr erschreckend. Denn eigentlich sollten solche Werte auch von allen anderen Vereinen beansprucht werden können.

Zurück zum Spiel gegen die Kubaner. 2005 haben ihre Kicker mit 1:3 Toren klar verloren. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie jetzt?

Also das stimmt so nicht, denn es gab schon mehrere Begegnungen. Mal haben wir verloren, mal gewonnen. Auch ein Unentschieden war schon dabei. Der Freundschaft zu Liebe würde ich mich über ein Unentschieden sehr freuen. Ich hätte aber auch nichts dagegen, wenn unsere Jungs ein paar Tore schießen.

Ab wann gibt es die Tickets?

Der Verkauf hat begonnen. Stehplätze für die Gegengerade und die Südkurve gibt es schon ab 5 Euro. Sitzplätze gibt es für 10 bis 15 Euro.

Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 21. Juni 2008
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06. Juni 2008

»Fest der Arbeit« am Samstag in der Grugahalle

Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) lädt für diesen Samstag zu einem »Fest der Arbeit« in der Essener Grugahalle ein. Die Migrantenorganisation, die dazu 10 000 Teilnehmer erwartet, will so ein »Zeichen gegen den wachsenden Nationalismus und Rassismus« in der deutschen, wie in der türkischstämmigen Bevölkerung setzen.

In den vergangenen Monaten habe es »zahlreiche gemeinsame Kämpfe für eine Verbesserung der Lebensbedingungen«, zum Beispiel für den gesetzlichen Mindestlohn oder gegen die Rente mit 67 gegeben, betonte DIDF-Vorsitzender Hüseyin Avgan. »Wir treffen uns für ein besseres Miteinander von Deutschen und Migranten, von Muslimen und Christen, von Deutschen, Türken und Kurden«, so Avgan. Alle, die sich »gegen den Sozialraub und eine diskriminierende Politik« wehren wollen, seien eingeladen.

Als Redner sind u. a. die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht, die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Klaus Ernst (alle Die Linke) sowie der Vizechef der türkischen Partei der Arbeit (EMEP), Mustafa Yalciner, angekündigt. Zudem werden bekannte Künstler, wie die Sängerin Aynur Dogan oder der Sänger Hasan Yükselir, auftreten.
Samstag, 7. Juni, 16 Uhr, Grugahalle, Essen, didf.de

Verwendung: Junge Welt vom 6. Juni 2008
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31. Mai 2008

Nach Debakel bei Kommunalwahl lecken CDU und SPD weiter ihre Wunden. Stärkere Abgrenzung vom Koalitionspartner soll Landtagswahl 2010 retten

Eine Woche nach den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein stehen Spitzenpolitiker von CDU und SPD gehörig unter Druck. Das Land wird derzeit von einer großen Koalition unter Führung der Christdemokraten regiert. Bei der Wahl am 25. Mai hatten beide Parteien dramatische Verluste hinnehmen müssen.

Besonders angeschlagen ist Exinnenminister und SPD-Landeschef Ralf Stegner. Ihm wird von seinen Genossen eine entscheidende Verantwortung für das mit 26,6 Prozent schlechteste Kommunalwahlergebnis seiner Partei seit 1946 zur Last gelegt. Doch auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat Probleme, der Basis seiner Partei zu erklären, wie die Verluste von 12,2 Prozent bis zu den Landtagswahlen 2010 wieder wettgemacht werden könnten.

Um sich vom Koalitionspartner abzugrenzen, hatte Stegner im Kommunalwahlkampf auf soziale Themen wie den Mindestlohn gesetzt. In Städten und Gemeinden gehe es aber nicht um solche Fragen, sondern um Müllgebühren, Spielplätze, Straßenbau und Busfahrpläne, argumentieren jetzt Kommunalpolitiker seiner Partei. Sie fühlen sich offenbar um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Stegner wird vorgeworfen, mit seiner Strategie der Linken eine Steilvorlage geboten zu haben.

Der Landeschef dagegen meinte, die SPD hätte noch schlechter abgeschnitten, wenn er solche Themen nicht aufgegriffen hätte. Alles werde er jetzt dafür tun, daß sich der Linkspartei-Erfolg bei den Landtagswahlen 2010 nicht wiederholt. Die SPD müsse »unterscheidbarer« von der CDU werden. Wie das funktioniert, solle auf einer Parteikonferenz im Juni geklärt werden.

Ähnlich hilflos zeigt sich Carstensen. Auf einer Kreisvorsitzenden-Beratung der CDU kündigte er an, eine Arbeitsgruppe einzuberufen, die Ideen dafür sammeln soll, wie seine Partei in der Schul- und Bildungspolitik mehr Profil und Distanz zum kleineren Koalitionspartner zeigen könne. Dem liegt wohl die Annahme zugrunde, daß etliche CDU-Stammwähler am Sonntag einfach zu Hause geblieben sind.

Abgrenzung scheint auch bei den kleineren Parteien das Zauberwort zur Erklärung der Wahlergebnisse zu sein. Am Donnerstag titelte etwa die im südlichen Dänemark erscheinende Wochenzeitung Der Nordschleswiger mit einer Story darüber, wie es der Landtagsabgeordneten des Südschleswigschen Wählerbunds (SSW), Anke Spoorendonk, in ihrer Heimatgemeinde Harrislee gelang, in einzelnen Stimmbezirken »Traumergebnisse« von bis zu 80 Prozent herauszuholen. Dies zeige, daß die auf Distanz zu den etablierten Parteien beruhende Politik der Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein von den Wählern honoriert werde. In Flensburg sei es anders gekommen, weil der dortige SSW zu eng mit dem Establishment verbunden sei.

Katerstimmung herrscht auch bei der NPD. Ihr Spitzenkandidat für Nordfriesland, Kevin Stein, sieht im Ergebnis seiner Partei eine »vollständige und enttäuschende« Niederlage. Die Neonazis waren im Landesdurchschnitt lediglich auf 0,4 Prozent gekommen.

Daß es ihnen überhaupt gelang, Mandate in Lauenburg und Kiel zu holen, hält Linkspartei-Landessprecher Lorenz Gösta Beutin für den »traurigsten Punkt« in seiner Wahlanalyse. Das antifaschistische Profil der Linken müsse gestärkt werden. Wirksam sei dies aber nur, wenn auch die sozialpolitische Glaubwürdigkeit erhalten bleibe. Mutmaßungen über ein »rot-rot-grünes« Bündnis in Lübeck widersprach am Freitag im Gespräch mit junge Welt auch Ragnar Lüttke, Kreischef der dortigen Linken.

Verwendung: Junge Welt vom 31. Mai 2008
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30. Mai 2008

Hamburgs Sonny-Boy Ole von BeustKoalition aus CDU und Grünen in der Hansestadt verkauft Ein-Euro-Jobs als Innovation. SPD und Linkspartei rücken zusammen. Eimsbüttel macht den Ausreißer

Mit einer Regierungserklärung vor der Bürgerschaft hat Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am Mittwoch nachmittag die Philosophie seines neuen »schwarz-grünen« Senats offenbart. Jenseits »durchschnittlichen Denkens« überwinde die Koalition mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) »alte Gegensätze zwischen links und rechts« und bringe so eine Modernisierung von Staat und Gesellschaft zustande. Beispielhaft verdeutlichte er dies am Beispiel der 470000 in Hamburg lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Auch seine Partei müsse begreifen, daß deren bessere Integration für den Standort gut sei. Die mit »ökologischen Aspekten« durchsetze Wirtschaftspolitik müsse sozial- und bildungspolitisch so flankiert werden, daß die »Versorgungsmentalität kreativ aufgebrochen« werde. Haushaltsumschichtungen dafür seien möglich, neue Schulden schließe er hingegen aus, so von Beust.

»Verkrustete Strukturen« aufbrechen will auch Jens Kerstan, Frak­tionschef der Grünen. Ein Kerngedanke des neuen Bündnisses bestehe darin, »individuelle Lösungen für individuelle Probleme« zu finden, sagte er in der Plenardebatte. »Lücken in der Sozialversorgung einzelner Stadtteile« werde die neue Koalition mit Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik schließen. Als da wären: 4000 neue Kombi- und Ein-Euro-Jobs. Ähnlich »kreativ« zeigte sich Kerstan dann auch bei der Frage der bislang von seiner Partei bekämpften Vertiefung der Elbfahrrinne. Das Problem sei halb so wild, denn dafür gäbe es jetzt einen »ökologischen Ausgleichsfond«.

SPD-Fraktionschef Michael Naumann ging die Debatte auf die Nerven: »Faule Kompromisse« könne man so nicht verkleistern. »Die Gebühren für Schulen, Kindertagesstätten, Lernmittel, ja selbst für Obdachloseneinrichtungen, die ihr jetzt akzeptiert«, ließen sich nicht wegdiskutieren, hielt er den Grünen entgegen. Kein gutes Haar ließ der SPD-Mann an der neuen, sechsjährigen Grundschule. Da diese sowohl an Gymnasien wie an den Stadtteilschulen eingerichtet werde, verstärke sie die soziale Selektion. Neumann versprach eine »kraftvolle Opposi­tion« und wandte sich überraschend an Die Linke. Deren Hang zum Populismus teile er zwar nicht, doch eine engere Zusammenarbeit sei in vielen Fragen angesagt.

Linksfraktionschefin Dora Heyenn ging darauf nicht ein. Auffällig war aber doch, daß sie den »Systemwechsel in der Gesundheits- und Sozialpolitik« dann nur an Maßnahmen der CDU festmachte. SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor. Der neue Senat sei »eine Koalition der Opernbesucher«, rief sie Grünen und Christdemokraten zu und bekam kräftigen Beifall von Neumann. Als hätte es die jahrelange Feindschaft nicht gegeben, stehen die Zeichen auf Annäherung der beiden Oppositionsparteien. SPD-Landeschef Ingo Egloff überraschte am Dienstag mit der Aussage, daß ein Bündnis mit den Linken, die er bislang wahlweise als »Dummköpfe«, »Stalinisten« oder »Sektierer« bezeichnet hatte, nach der Bürgerschaftswahl 2012 denkbar sei.

Noch einen Schritt weiter ging die Kreisorganisation der Eimsbüttler SPD. Auf einem Parteitag beschloß sie Anfang der Woche, eine Koalition mit der Linkspartei auf Bezirksebene anzustreben. Da wäre auch die Eimsbüttler GAL im Boot, und »rot-rot-grün« hätte die Mehrheit in der Bezirksversammlung. Ob es zu einer solchen Koalition in Eimsbüttel komme, sei aber noch »völlig offen«, versicherte die Linke-Bezirkssprecherin Cornelia Hippler-Sattler am Donnerstag gegenüber junge Welt. Über die Aufnahme von Gesprächen müsse eine Mitgliederversammlung am 9. Juni entscheiden. Nach uns vorliegenden Informationen, haben solche Gespräche aber längst stattgefunden. SPD Kreischef Jan Pörksen sicherte der Linken dabei zu, alle Forderungen ihres Wahlprogramms zu unterstützen, unterzeichne diese einen Bezirks-Koalitionsvertrag.

Anmerkung: Die im obigen Artikel kursiv wiedergegebenen Texte wurden für die Veröffentlichung in der Tageszeitung „Junge Welt“ leider aus Platzgründen gestrichen. Zudem schlich sich dort ein Fehler ein: Aus dem Satz „SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor“ (in dem Absatz zu Dora Heyenn) wurde der Satz „SPD und Grüne blieben außen vor“, was aber richtig falsch ist, denn die Grünen kritisierte Heyenn äußerst scharf.

Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 30. Mai 2008
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27. Mai 2008

Uwe Menke PorträtAuf der roten Felseninsel Helgoland erzielte Die Linke ihr bestes Ergebnis bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Ein Gespräch mit Uwe Menke

Der Wetterdiensttechniker Uwe Menke ist Gemeinderatsmitglied für die Partei Die Linke in Helgoland. Bei den ­schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen am Sonntag erreichte die ­Partei auf der Insel bei etwa 1300 Wahlberechtigten zwei von 13 Mandaten.

Ihre Partei bekam am Sonntag 16,1 Prozent der Stimmen und kann in den Gemeinderat von Helgoland einziehen. Haben Sie selbst mit einem so hohen Anteil gerechnet?

Eigentlich schon, denn die Resonanz bei den Bürgern war sehr gut. Als erste Partei überhaupt haben wir in Helgoland einen Wahlkampf geführt. Bislang war das nicht üblich, und es beschränkte sich alles auf eine Postwurfsendung. Mit den Bürgern zu sprechen, das ist unsere Erfindung. Schon deshalb haben wir dieses Ergebnis verdient.

Welche Gründe gibt es für die Helgoländer, die Linke zu wählen? Hartz IV dürfte auf ihrer Insel doch kaum eine Rolle spielen?

Das ist ein Irrtum. Hartz IV und der damit verbundene Sozialklau spielen gerade bei uns eine große Rolle. Wir Helgoländer sind vom Tourismus abhängig. Die Sommersaison ist aber relativ kurz. Viele sind nur sechs bis sieben Monate im Jahr beschäftigt. Für den Rest der Zeit erhielten sie früher Arbeitslosengeld. Jetzt gibt es noch diese Hartz-IV-Sätze, von denen aber kaum jemand leben kann.

Außerdem haben wir das Problem, daß der Tourismus nicht mehr so läuft wie noch vor Jahren. Früher hatten wir jährlich rund 500000 Tagesbesucher. 2007 waren es noch 300000. Eingebrochen sind auch die Umsätze bei den »Butterfahrten«. Da Helgoland zollfrei ist, kann man hier Schnaps und Tabak billiger bekommen. Doch die Besucher kaufen immer weniger. Die bisher im Gemeinderat vertretenen Parteien haben diese Entwicklung verschlafen und häufig nur abgenickt, was ihnen die Verwaltung vorgab. Das werden wir ändern.

Mit welchen Vorschlägen wird Ihre Partei diese Probleme angehen?

Die Bedeutung von Kurzreisen nimmt zu. Für uns geht es deshalb auch um viele Kleinigkeiten. Es kann doch nicht angehen, daß z.B. unser Schwimmbad ausgerechnet am Ostermontag geschlossen ist. In Helgoland gibt es neben der Hauptinsel noch die Düne. Sie gilt als Badeinsel. Wir fordern, daß die Fährverbindung zwischen beiden Inseln verbessert wird. Wenn da, wie jetzt, die letzte Fähre schon um 20 Uhr absetzt, dann befördert dies den Tourismus nicht. Auch daß Kurkonzerte fehlen, während das Geld für irgendwelchen Schickimicki-Krempel ausgegeben wird, ist nicht zu akzeptieren.

Wahlkampf im Schatten der »langen Anna«. Wie kann man sich das vorstellen?

Die alten Fraktionen hatten sich abgesprochen, daß es Infostände oder öffentliche Wahlkampfauftritte nicht gibt. Wir sind zunächst mit einem Bauchladen über die Insel gezogen, um mit den Bürgern zu sprechen, ihnen unser Wahlprogramm bekanntzumachen. Die Zahl unserer Mitglieder wuchs dabei von drei auf 14. Nun ließen wir es uns auch nicht mehr nehmen, Infotische aufzubauen. Das haben wir über die Kommunalaufsicht durchgesetzt. Außerdem geben wir unsere Kleinzeitung »Die rote Socke« heraus, mit der wir die anderen Parteien richtig unter Druck gesetzt haben. Plötzlich schrieb auch die SPD ein Kommunalwahlprogramm. Da haben sie zwar viel bei uns abgekupfert, doch der Wahlkampf wurde so inhaltlicher und es ging nicht mehr nur um Personen. Besondere Unterstützung erhielten wir von unserem Parteichef Lothar Bisky und unserer Landessprecherin Antje Jansen. Seit ihrem Auftritt bei uns betrachten wir die beiden als Freunde unserer Insel.

Ein Hotelbesitzer hat jetzt vorgeschlagen, die Hauptinsel mit der Düne durch eine Landanbindung zu vereinen. Was halten Sie davon?

Da sind wir sehr skeptisch. Zunächst muß diskutiert werden, was das dann für alle Helgoländer heißt.

Bislang konnte Helgoland nur mit Börte-Booten erreicht werden. Sie nahmen die Passagiere der Fährdampfer auf. Jetzt gibt es eine erste Schnellfähre, die direkt anlegt. Was passiert mit den Börte-Booten?

Das Hauptproblem besteht darin, dass die Reeder immer nur rausholen wollten, nichts in ihre Schiffe hineingesteckt haben. Modernen Sicherheitskriterien entsprechen sie deshalb nun nicht mehr. Da muß dringend was gemacht werden, denn an den Börte-Booten hängen 30 Familien. In diesem Zusammenhang: Wir fordern, dass es eine tägliche Verbindung auch im Winter mit dem Festland gibt. Es kann doch nicht sein, daß ein einzelner Ort an bestimmten Tagen nicht erreichbar ist.

Mit wem werden Sie im Gemeinderat zusammenarbeiten?

Das hängt von den Sachfragen ab. Probleme wird es sicherlich mit der SPD geben. Denn die sagt in den Ausschüssen etwas ganz anderes als im Gemeinderat. Solche Unzuverlässigkeit lehnen wir ab.

Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 27. Mai 2008
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27. Mai 2008

Der Lack ist ab: Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bekam, wie auch die SPD, bei den Kommunalwahlen die Quittung für seine PolitikBei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein setzte Die Linke ihre Erfolgsserie in den alten Bundesländern fort

Herbe Verluste für CDU und SPD, ein sensationell gutes Wahlergebnis für Die Linke und Stimmengewinne für andere kleinere Parteien, so läßt sich das Resultat der schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen vom Sonntag zusammenfassen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis stürzte die CDU dabei von 50,8 auf 38,6 Prozent ab. Fast moderat wirken da die Verluste der SPD. Sie verlor am Sonntag landesweit 2,7 Punkte, liegt jetzt bei 26,6 Prozent. Doch das ist zugleich ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis seit 1946. Auf Anhieb schaffte es hingegen die Linke, in sämtliche Kreistage, aber auch in etliche Stadt- und Gemeinderäte einzuziehen. Im Landesdurchschnitt liegt ihr Ergebnis bei 6,9 Prozent. Zugewinne verzeichnen auch die Grünen (+1,9 auf 10,3 Prozent ), die FDP (+3,3 auf 9,0 Prozent), die Freien Wählergemeinschaften (+2,5 auf 5,1 Prozent ) und der Südschleswigsche Wählerverband SSW (+0,5 auf drei Prozent). Letzterer trat allerdings nur in Nordfriesland, Rendsburg-Eckernförde, Kiel und Schleswig-Flensburg an. Dort erzielte die Interessenvertretung der dänischen und friesischen Minderheit fast ausnahmslos zweistellige Ergebnisse.

Nicht zufrieden sei er mit dem Ergebnis dieser Wahl, betonte noch am Abstimmungsabend Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Doch kommunalpolitisch sei seine Partei immerhin noch die »stärkste politische Kraft«, versuchte er der Situation dennoch etwas Positives abzugewinnen. Ähnlich sein Koalitionspartner, designierter Herausforderer für die Landtagswahlen 2010, Ex-Innenminister und SPD-Landeschef Ralf Stegner. Trotz des desaströs schlechten Ergebnisses für seine Partei frohlockte dieser, daß nun die Zeit »schwarzer Mehrheiten« vorbei und »Gestaltungsmehrheiten« in den Kommunen erkennbar seien.

Als eine »schallende Ohrfeige« für ihre »unsoziale Politik in Bund, Land und Kommunen« bewerteten die Landessprecher der Linken, Antje Jansen und Lorenz Gösta Beutin, die Resultate von CDU und SPD. Demgegenüber sei die eigene Partei nun auch in Schleswig-Holstein als »eine starke, linke Opposition« angekommen. FDP-Landeschef Wolfgang Kubicki forderte »unverzügliche Neuwahlen« für den Landtag. Die Menschen seien der »Politik der großen Koalition überdrüssig«, so Kubicki.

Noch bis kurz vor dem Urnengang hatte auch Carstensen von einer »Testwahl« für die von ihm geführte Landesregierung gesprochen. Die Stimmberechtigten blieben dennoch eher desinteressiert. Die Wahlbeteiligung fiel mit 49,5 Prozent auf ein Rekordtief.

Abgestraft wurden CDU und SPD vor allem in den größeren Städten. In Flensburg etwa sank ihr gemeinsamer Stimmenanteil von bislang 62 auf 36 Prozent. Hauptgewinner ist hier die Wählerinitiative »Wir in Flensburg«, die auf Anhieb 22,3 Prozent erreichte. Der eher im linken Spektrum angesiedelte SSW erreichte 22 Prozent, und Die Linke zog mit 7,3 Prozent in den Stadtrat ein.

Noch bessere Ergebnisse erzielte diese Partei in Neumünster (13,2), in Lübeck (11,7), Kiel (11,1), Heide (10,2), Itzehoe (9,3), Wedel (8,8), Norderstedt (8,4) und Rendsburg (acht Prozent). Auf der Hochseeinsel Helgoland gewann sie bei den Gemeinderatswahlen sogar sensationelle 16,1 Prozent der Stimmen. In den Kommunalparlamenten werde seine Partei ihren Kurs »klarer, linker Opposition« nun fortsetzen, sich allenfalls in Sachfragen auf eine »Politik wechselnder Mehrheiten« einlassen, betonte Beutin. Allein dies sei die Voraussetzung dafür, 2010 mit einem guten Ergebnis auch in den Landtag einzuziehen.

Unter ihren Erwartungen blieb indes die NPD. Landesweit erzielte die Neonazipartei nur 0,4 Prozent. Da erstmals für die Kommunalwahlen die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr galt, gelang es der Organisation allerdings, in Kiel mit 1,7 und in Lauenburg mit 2,1 Prozent jeweils ein Mandat zu gewinnen. Noch am Samstag hatten mehrere tausend Menschen mit einer Demonstration quer durch die Landeshauptstadt vor einem Vormarsch der Rechten gewarnt und ein Verbot der NPD gefordert.

Verwendung: Junge Welt vom 27. Mai 2008
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21. Mai 2008

Protest gegen Nazi-Aufmarsch in Kiel, Januar 2005Schleswig Holstein: Antifaschistisches Bündnis mobilisiert vor Kommunalwahlen am Sonntag zu Protesten gegen rechts

Unter der Losung »Keine Stimme den Nazis« ruft ein »Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus« für Samstag in Kiel zu einer Demonstration auf. Anlaß für diese Aktion am Vorabend der schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen, sei der Versuch der NPD, am Sonntag auch in den Kieler Stadtrat einzuziehen. Doch nicht nur in der Landeshauptstadt, auch in Ostfriesland, Ostholstein und Lauenburg will die Neonazipartei mit 102 Kandidaten und unter der Losung »Deutsche Sozialleistungen nur für Deutsche« bei diesen Kommunalwahlen punkten. »Selbst haben die nur 240 Mitglieder«, sagte Bettina Jürgensen, eine der Sprecherinnen des antifaschistischen Bündnisses und Bezirkschefin der DKP in Schleswig-Holstein gegenüber junge Welt. Aber sie seien eng verwoben mit den »Freien Kameradschaften«, und ihr Wahlkampf ziele auf »Haß gegen Minderheiten, Rassismus und Ausgrenzung«. Durch die Beteiligung an den Wahlen und den möglichen Einzug in die Kommunalparlamente versuchten die Rechten zu einem »Teil des akzeptierten politischen Spektrums« zu werden, so Jürgensen. Doch weder in Kiel, noch irgendwo sonst in Schleswig-Holstein sei ein Platz für die Nazis, heißt es in dem Aufruf für die Demonstration, die von der DIDF, diversen Gewerkschaftsgruppen, dem Kreisschülerrat, der VVN-BdA sowie Linkspartei und DKP unterstützt wird.

Daß etliche der rechten Kandidaten wegen Körperverletzung oder Volksverhetzung bereits rechtskräftig verurteilt worden sind, macht ihr Auftreten zu einem besonderen Skandal. Das Antifa-Bündnis verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die in Kiel antretenden Zwillingsbrüder Lars und Filip Jochimsen. Erst kürzlich mußten beide wegen schwerer Körperverletzung und illegalem Waffenbesitz eine einjährige Haftstrafe absitzen. Verwiesen wird außerdem auf den vorbestraften NPD-Kandidaten Peter von der Born. Dieser fiel in der Vergangenheit auch dadurch auf, daß er Antifaschisten mehrfach zusammenschlug.

Solche Leute würden nun in Kiel versuchen, auch die Kontrolle über Teile des öffentlichen Raums zu erlangen, so Jürgensen. Was das heißt, wurde vielen Kielern am 20. April bewußt: Unter Polizeischutz feierten 30 grölende Neonazis in der Preetzer Straße im Stadtteil Gaarden Hitlers Geburtstag. Mit nächtlichen Anschlägen auf Räume von Initiativen, Kultur- und Wohnprojekten, einem Kinder- und einem Buchladen, aber auch auf Privatwohnungen hielten sie anschließend den Stadtteil eine Woche lang im Atem. Vor Veranstaltungslokalen der Linkspartei zerstachen sie Fahrradreifen und warfen Pflastersteine in Fenster- und Schaufensterscheiben. Auch die Scheiben einer Arbeitsloseninitiative gingen zu Bruch. Hinzu kamen mehrere Messerattacken gegen ausländische Jugendliche.

Die Angriffe richteten sich »gezielt gegen Personen, Projekte und Einrichtungen, die nicht in das rassistische und menschenfeindliche Weltbild der Neofaschisten passen«, sagte Jürgensen. Doch Polizei und Staatsschutz würden deren Krawalle nur als Teil eines »Bandenkriegs« bewerten und dem Treiben keinen Einhalt gebieten. Anfang Mai demonstrierten rund 500 Antifaschisten gegen die zunehmende rechte Gewalt. Am Samstag soll ein noch deutlicheres Zeichen gegen rechts in Kiel gesetzt werden.

Samstag, 24. Mai, 11.30 Uhr, Bahnhofvorplatz: »Keine Stimme den Nazis«, Demo

Verwendung: Junge Welt vom 21. Mai 2008
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19. Mai 2008

Ihre Stimme fuer unsSchleswig-Holstein wählt am Sonntag neue Kommunalparlamente. Partei Die Linke hofft auf Lübeck, rechnet sich aber auch anderswo gute Chancen aus

Am kommenden Sonntag stehen in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen an, bei denen in vielen Kommunen auch linke Kandidaten antreten. Mit einer Wahlveranstaltung stimmte sich Die Linke am Freitag abend in Kiel auf den Endspurt ein.

Spannend könnte es für die Partei vor allem in Lübeck werden. Erdrutschartige Verluste von 50 auf 32 Punkte haben Meinungsforschungsinstitute jedenfalls der bislang das Rathaus beherrschenden CDU schon vorausgesagt. Davon profitieren würde vor allem Die Linke, die mit neun Prozent erstmals in das Rathaus einzöge. Da gleichzeitig die SPD aus ihrem Tief von 2003 (32,4 Prozent) mit 34 Punkten kaum herauskäme und Die Grünen (plus 2,8) und die FDP (plus 0,8) leicht zulegen, wäre – abseits einer großen Koalition oder eines Bürgerblocks von CDU, FDP, Grünen und der mit vier Punkten gehandelten Wählerinitiative »Bürger für Lübeck« – eine »rot-rot-grüne« Mehrheit im Rathaus durchaus möglich.

Doch Berlin habe gezeigt, daß solche Bündnisse nur dazu führen »das eigene Gesicht zu verlieren«, warnte bei der Wahlveranstaltung die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht ihre schleswig-holsteinischen Parteifreunde. Mit »konsequenter, linker Opposition« könne man mehr bewegen, rief sie vor 120 Zuhörern aus. Richtig in Stimmung kam ihr Publikum, als sie den Sozialdemokraten im Zusammenhang mit deren Forderung nach einem Mindestlohn »Heuchelei« vorwarf. »Wer hat denn die Hartz-IV-Gesetze auf den Weg gebracht, die heute Grundlage für die Dumpinglöhne sind«, fragte die Rednerin. »Nichts als Lügen« gingen von den etablierten Parteien aus, geißelte die EU-Parlamentarierin auch die »Sparzwanglüge« und die Politik der Privatisierungen. Letztere würden nur dazu dienen, daß dann »alles nach der Maxime des Maximalprofits« verlaufe.

Das linke Spitzenquintett für die Kommunalwahl 2008 im Herzogtum Lauenburg - Foto von links - Falko Kortylak, Ellen Streitbörger, Michael Schröder, Claus-Peter Feindt und Andrea BrunswikSeine Partei werde sich auch in Kiel gegen Privatisierungen jeglicher Art zur Wehr setzen, versprach Florian Jansen, Listenplatz-Dritter der Linken zu den Kieler Stadtratswahlen. Er halte sieben Prozent für möglich. Dann, so der 30jährige Student im Gespräch mit jW, werde er im Stadtrat beantragen, daß »alle Ein-Euro-Jobs in reguläre Arbeitsplätze mit einem Mindestlohn von 8,44 Euro« umgewandelt würden und allen Kindern eine »kostenlose Kita-Betreuung« zur Verfügung stünde. »Wir wollen Sprachrohr für diejenigen sein, die sonst nicht mehr zu Wort kommen«, ergänzte Linke-Landessprecher Lorenz Gösta Beutin gegenüber jW. 350 Kandidaten habe seine Partei flächendeckend aufgestellt. Für alle Kreistage, auch für etliche Gemeindevertretungen.

Lothar Bisky auf Helgoland - hier im Bild mit Linke-Co-Landessprecherin Antje JansenLinke-Parteichef Lothar Bisky präsentierte sich unterdessen zur gleichen Zeit auf Helgoland. »Hartz IV muß weg« das sei besonders wichtig für diesen Ort, in dem viele Menschen nur von Saisonarbeitsplätzen lebten. Sieben Kandidaten vom Wetterdiensttechniker bis zur Raumpflegerin hat Die Linke auf der Hochseeinsel für den Gemeinderat aufgestellt. Im Wahlkampf sei deren Resonanz ausgesprochen positiv, berichtet Beutin.

Schwieriger hat es Die Linke allerdings in Dithmarschen, Nordfriesland, in Schleswig und Flensburg. Nördlich des Nord-Ostsee-Kanals beginnt nämlich das Stammland des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW). Und der greift viele Punkte schon auf, die durchaus auf Linie der Linkspartei liegen. Im Landtag sind es die SSW-Abgeordneten Anke Spoorendonk und Lars Hansen, die der auf Sozialkahlschlag basierenden Politik der CDU-SPD-Koalition widersprechen. Auch die »Privatisierung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge« lehnt die Interessenvertretung der dänischen und friesischen Minderheit grundsätzlich ab.

In den Kommunalparlamenten werde der SSW deshalb zu den Bündnispartnern der Linken gehören, meint Beutin. Er ist sich zugleich sicher, daß es Die Linke auch im Norden des Landes schafft, in Stadt- und Gemeinderäte einzuziehen. Die Chancen dafür stünden um so besser, weil das Bundesverfassungsgericht im Februar die Fünf-Prozent-Hürde gekippt habe.

Das allerdings könnte auch der NPD zugute kommen. Unter dem Motto »Deutsche Sozialleistungen nur für Deutsche« versuchen 102-Nazi-Kandidaten – darunter etliche aus den »Freien Kameradschaften« – in Nordfriesland, Lauenburg, Ostholstein und in Kiel zu punkten. Antifaschistische Bündnisse stehen dem entgegen; sie verweisen darauf, dass etliche rechte Kandidaten schon wegen Volksverhetzung oder Körperverletzung verurteilt worden sind. Unter der Losung »Keine Stimme den Nazis« rufen sie für Samstag zu einer Demonstration quer durch Kiel auf.

[Anmerkung: Für die Veröffentlichung in der Tageszeitung „Junge Welt“ mussten einige Passagen aus Platzgründen gekürzt werden. Sie sind hier kursiv gesetzt.]

Verwendung (leicht gekürzt) in: Junge Welt vom 19. Mai 2008
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09. Mai 2008

Hamburger Bündnis gegen RechtsHamburger Bürgerschaft diskutierte über rechten Aufmarsch am 1. Mai. GAL und CDU wollen von Neonazigewalt nichts wissen und sagen »linken Chaoten« den Kampf an

Die Grün-Alternative Liste (GAL) hat am Mittwoch abend in der Hamburgischen Bürgerschaft gezeigt, was mitregieren für sie heißt. Sie verteidigte das »Demonstrationsrecht« für Neonazis. Unter dem Titel »Konsequenzen aus dem Neonaziaufmarsch am 1. Mai ziehen« hatte die Partei Die Linke das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. CDU und Grünen fielen zu dem Aufmarsch und den antifaschistischen Protesten im Arbeiterstadtteil Barmbek aber nur die Stichworte »Krawall« und »Keine Toleranz gegen Gewalt« ein. Letztere ordneten sie den Gegendemonstranten zu. Die Partei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wollte die Gelegenheit offenbar nutzen, um klarzumachen, wer in der Bürgerschaft das Sagen hat. Von Beust war zuvor mit den Stimmen seiner Partei, der Grünen sowie einer weiteren aus dem Oppositionslager erneut zum Bürgermeister gewählt worden. Daß die Abgeordneten der Grün-Alternativen Liste (GAL) nicht mucken würden, war zu erwarten. Der Übereifer, mit dem sie dann agierten, überraschte aber doch. Grünen-Vize-Fraktionschef Christian Maaß ließ keinen Zweifel daran, daß eine »Unschuldsvermutung« auch für Neonazis zu gelten habe. Schon deshalb habe der Aufzug nicht verboten werden können.

Die Vizefraktionschefin der Linken, Christiane Schneider, stellte dagegen klar, daß es eine »Fehleinschätzung hinsichtlich der von den Nazis ausgehenden Gefahren« gegeben hat. Faktenreich wies sie im Rathaus nach, wie viele Übergriffe es an diesem Tag durch die etwa 1000 angereisten Rechten auf Ausländer, Antifaschisten und Journalisten gab. Der Gipfel sei gewesen, wie diese schon bei ihrer Anreise einen ganzen S-Bahn-Zug gekapert hätten. Durch den Zuglautsprecher hätten sie bekanntgegeben, »daß Deutsche und Ausländer künftig wieder getrennt verreisen. Letztere in Viehwaggons«. Allein das, sagte Schneider, hätte reichen müssen, den Aufmarsch noch zu verbieten. Völlig unverständlich sei es ihr daher, wie prügelnde Polizisten dann versucht hätten, den Neonazis die Straßen frei zu machen. Nur der »politischen Entschlossenheit« der 10000 Gegendemonstranten sei zu verdanken, daß dies mißlungen sei.

Derartige Blockaden will der »schwarz-grüne« Senat künftig als »gewalttätig« diffamieren. An der Absicht seiner Partei, die »Linkschaoten« zu bekämpfen, ließ der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Manfred Jäger, keinen Zweifel. Scharf attackierte er das Oberverwaltungsgericht, weil dieses per Eilentscheidung auch die Antifaschisten nach Barmbek gelassen hatte. Erst dadurch seien die »Krawalle« möglich gewesen. »Da ist was schiefgelaufen« befand denn auch der innenpolitische Sprecher der SPD Andreas Dressel.

Die grüne Abgeordnete Antje Möller distanzierte sich schließlich von den Antifaschisten: Gewalt stünde im Widerspruch zu einer »bunten, vielfältigen und friedlichen« Demonstration. »Wir verurteilen jede Gewalt – egal, von welcher Seite«, so Möller. Ihr Vizefraktionschef Maaß befand gar, der »Schutz Andersdenkender« gehöre nun mal zur Demokratie. Das machte Eindruck auf den Koalitionspartner. Der CDU-Mann und am Mittwoch vereidigte Innenminister Christoph Ahlhaus versprach, die Gewalttäter auch künftig zu bekämpfen. Daß die nicht bei den Neonazis, sondern im Hamburger Bündnis gegen rechts zu suchen sind, schien bei CDU und Grünen ausgemachte Sache zu sein. Und wenn die Neonazis doch ein bißchen über die Stränge geschlagen hätten? Karl-Heinz Warnholz (CDU) hat eine einfache Erklärung: Die Übergriffe der Rechten seien erst durch den Aufruf der Antifaschisten, »den Nazis keinen Meter« zu geben, provoziert worden.

Antifaschistische Positionen bezog hingegen der Fraktionskollege von Dressel, ver.di-Landesbezirkschef Wolfgang Rose (SPD): Wenn 75 Jahre nach der Erstürmung des Gewerkschaftshäuser Nazis durch Hamburg marschieren, dann sei dies für alle Gewerkschafter eine »ungeheuere Provokation«. Ihm fehle daher jedes Verständnis, daß der Nazi-Marsch und die damit zusammenhängende »Volksverhetzung« nicht verboten worden wäre. Ähnlich die Bauer-Konzernbetriebsrätin und Linkspartei-Abgeordnete Kersten Artus. Für sie war der Nazi-Aufmarsch gar eine »Kriegserklärung« an alle »arbeitenden und erwerbslosen Menschen«. Dem entgegenzutreten, sei notwendig gewesen.

[Anmerkung: in der Veröffentlichung für die Tageszeitung musste der letzte Absatz dieses Berichts – hier kursiv dargestellt – aus Platzgründen leider gestrichen werden.]

Verwendung: Junge Welt vom 9. Mai 2008
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30. April 2008

Als neuer und alternativer Stadtführer für Hamburg hat sich im April 2008 das Projekt Hamburg News gegründet. Ziel der Gruppe ist es, ohne Schwarz-Weiß-Malerei die verschiedenen Stadtteile Hamburgs auch aus der Sicht der Arbeiterbewegung, der Lohnabhängigen, der Erwerbslosen, der so genannten einfachen Frauen und Männer, also »een lütt beten anners« darstellen; dort auf Wissenswertes aufmerksam zu machen. Für Einheimische, wie für Hamburg-Besucher. Kaum gestartet offeriert die Gruppe für den Monat Mai bereits eine Vielzahl von Veranstaltungen:

Vogelhüttendeich - altes DeichhausDas Reiherstieg-Viertel – Geschichte, Gegenwart und Zukunft (Spaziergang)

Geprägt vom Aufschwung des Hafens, entstand das Viertel Ende des 19. Jahrhunderts als typisches Arbeiterwohngebiet in Wilhelmsburg. Ebenfalls mit dem Hafen hatte es allerdings zu tun, dass der Stadtteil Ende der 70iger und in den 80iger Jahren dann weitgehend verkam. Die Politik antwortet darauf heute mit einem Aufwertungsprozess. 2013 werden in Wilhelmsburg die Internationale Bau- und die Internationale Gartenbausstellung stattfinden. Für die Aufwertung sollen vorhandene Potentiale, wie etwa die städtebaulich reizvolle Altbausubstanz im Reiherstieg-Viertel genutzt werden. Doch was passiert, mit den jetzt hier lebenden Menschen, wenn durch Neuzuzüge dann die Mieten steigen?

Das optisch reizvolle Viertel ist schon heute geprägt durch unterschiedliche Kulturen. Das Straßenleben ist hier besonders lebendig und interessant. Doch ebenso ist auch die große Armut eines Teils der Bevölkerung kaum zu übersehen. Welche Chancen und welche Risiken liegen deshalb im „Sprung über die Elbe“?

In unmittelbarer Nähe des Hafens, entwickelte sich das Reiherstieg-Viertel schon frühzeitig zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung. Am Vogelhüttendeich etwa sprach Rosa Luxemburg schon 1905. In der Weimarer Republik galt die Gegend um die Ernastraße als tiefrot. Wie funktionierte und wie tickte diese proletarische Massenbewegung? Überall finden wir während unseres Rundgangs Spuren dieser interessanten Geschichte.

Beginn: Samstag, 17. Mai 11 Uhr am S-Bahnhof Veddel. Unser Rundgang – einzelne Strecken werden mit dem Metrobus zurückgelegt – dauert etwa 2 bis 2 ½ Stunden.

Barmbek und Dulsberg zum „Reinschnuppern“

Vielen Hamburgern, erst recht Auswärtigen, sind beide Stadtteile weitgehend unbekannt. Interessantes ist häufig in Vergessenheit geraten. Dies soll mit unserem Rundgang ein klein wenig wieder wettgemacht werden. Hauptsächlich umtreibt uns dabei die Frage, wie sich die sozialen, die politischen, die baulichen Verhältnisse entwickelt haben. Fast im Vorbeigehen streifen wir das „Museum der Arbeit“ und somit ein Stück Hamburger Industriegeschichte. Ebenfalls die zahlreichen Vergnügungsmöglichkeiten, die es in Barmbek traditionell gibt.
Wer war der „Lord von Barmbek“? Was hat auf sich mit dem „Roten Platz“? Welche Bedeutung hatte die Bürgerburg? Während unseres Rundgangs werden Episoden der Geschichte lebendig. Auch solche aus dem Roman „Neger, Neger Schornsteinfeger“.

In Richtung Dulsberg rücken dann die städte- und wohnungsbaulichen Fragen in den Vordergrund. Der Baustil ist bis heute von den Bauten Fritz Schumachers in der 20er Jahren vielfach geprägt. Und wenn dann die Zeit noch ist, soll auch das Gelände der Schiffbauversuchsanstalt begangen werden.

Beginn: Freitag, 23. Mai 2008, 14 Uhr am S-Bahnhof Rübenkamp. Unser drei bis dreieinhalbstündige Rundgang ist als eine erste und lockere Kenntnisnahme verborgener Schätze gedacht.

StuhlmannbrunnenAbendspaziergang durch die Altonaer Altstadt

Wenn von Altona die Rede ist, wird meist an Ottensen, bei einigen vielleicht auch an Blankenese gedacht. Wir aber wollen mit unserem politisch-historischen Abendspaziergang die Altonaer Altstadt und damit eines der ältesten Arbeiterwohngebiete Hamburgs begehen.
Hamburgs? Dass Altona noch bis 1938 eine selbständige und aufstrebende Großstadt war, ist den meisten wohl bekannt. Doch wusstet ihr, dass die Stadt fast 200 Jahre zum Staatsgebiet von Dänemark gehörte? Dass sie nach Kopenhagen zeitweilig sogar die zweitgrößte Stadt auf dänischem Staatsgebiet war? Wie wirkte sich das, wie wirkt sich das bis heute, auf die Beziehungen ins Hamburger Rathaus aus?

Reichhaltiges gibt es an verschiedenen Punkten aus der Geschichte der Altonaer Arbeiterbewegung zu erzählen. Gleich zu Beginn unseres Rundgangs stoßen wir auf den „Walter Möller Park“. Er erinnert an den Altonaer Blutsonntag von 1932, an den Widerstand der Arbeiterschaft gegen die Nazis. Doch ebenso an den so genannten „Preußenschlag“ durch Reichskanzler Hugo von Papen. Dann geht es zum „Platz der Republik“. 1918 bildeten sich hier die ersten Arbeiter- und Soldatenräte, war der Platz ein Zentrum der Revolution. Was sagt uns der „Stuhlmannbrunnen“, was die „Black Box“?

Kurz danach stehen wir am „Altonaer Balkon“. Wir sehen den Hafen, hören das schrille Pfeifen der Van Carriers. Schlagartig werden auch Probleme der Hafenentwicklung deutlich. Dies alles und vieles mehr wollen wir in einer der ältesten Hafenkneipen Altonas bei leckeren Matjes und einem kühlen Pils gut verdauen.

Beginn: Freitag, 30. Mai 2008, 19:30 Uhr am S-Bahnhof Holstenstraße. Unser Rundgang – inklusive des Kneipenaufenthalts – dauert etwa 3 bis 3½ Stunden.

Bunthäuser SpitzeWilhelmsburg erleben – Große Fahrradtour quer über die Elbinsel

Wilhelmsburg ist Hamburgs größter Stadtteil. Jahrzehntelang eher vernachlässigt, rückt die große Insel im Fluss nun ins Interesse der Hamburger: Wegen ihrer landschaftlichen Schönheit, ihrer Industrieromantik, aber auch als Wohnort und für Großvorhaben. Doch die Internationale Bauausstellung (IBA) verspricht den Bewohnern nicht nur Positives. Was läuft da quer? Wo liegen die Chancen?

Im Westen von Wilhelmsburg sehen wir den alten Luftschutzbunker. Er erinnert an den Krieg und die Nazis. Doch nur wenige Schritte entfernt stoßen wir auf Spuren des Widerstands, hören wir von den Aktionen des Studenten Hans Leipelt und des Arbeitersportlers Rudolf Mokry.
Wilhelmsburg ist vielfältig und bunt. Fast unberührt wirkende Naturparadiese, wie etwa die der Dove Elbe oder den Tide-Auenwald, können wir vom Fahrradsattel besonders gut erleben. Im Auenwald lockt uns ein wahres Meer von Gräsern, Bäumen und Ästen. Im Mai landschaftlich besonders schön ist auch die Bunthäuser Spitze und unsere Tour über den Jenerseite- und den Einlagedeich.

Beginn: Samstag, 31. Mai 2008 um 11 Uhr an der Einfahrt zum Alten Elbtunnel in St. Pauli. Inklusive der verschiedener Stopps dauert die Tour etwa 4 Stunden.

Anmeldung und Kostenbeteiligung:

Pro Veranstaltung und Person erheben wir eine Kostenbeteiligung zwischen 7 und 8 Euro. Ermäßigt 5 Euro. Die Gebühr wird bei Veranstaltungsbeginn erhoben.

Für alle Veranstaltungen bitten wir um eine rechtzeitige Anmeldung, so dass wir unsererseits kalkulieren können, ob es wirtschaftlich vertretbar ist, sie durchzuführen. Wir informieren euch dann über die Einzelheiten.

Anmelden könnt ihr Euch entweder über das Anmeldeformular auf unserer Web-Seite oder aber telefonisch bzw. mit einer einfachen Rückmail. Wir bestätigen euch dann die genaueren Daten der jeweiligen Veranstaltung.

Kontaktdaten:

0176-54730581
http://hamburg-news.org
hamburg-news@alice-dsl.net

Wer und was ist Hamburg News?

Die Gruppe besteht aus verschiedenen Referentinnen und Referenten, die sich in unterschiedlichen Projekten der Erwachsenenbildung kennen gelernt haben. Dort bieten sie einige der Veranstaltungen bereits seit Jahren an. Die Idee diese auch für weitere Personen zu öffnen, entstand dann Anfang 2007, denn die Rundgänge und Führungen machen den Beteiligten sehr viel Spaß. Kaum auf „Sendung“ gibt es nun zudem Anfragen von Personen, die für ihren Stadtteil Vergleichbares anbieten möchten. Ab Mitte Mai soll es außerdem eine große Stadtrundfahrt und eine alternative Hafenrundfahrt regelmäßig geben. Letztere dann in Kooperation mit Hafenbetriebsräten. Nähere Infos findet man auf der Web-Seite von Hamburg News.



29. April 2008

Schleswig-Holstein: Linkspartei beschließt »Eckpunkte« für Kommunalwahlen am 25. Mai

Für soziale Gerechtigkeit, gute Arbeit und menschenwürdige Lebensverhältnisse!« – unter diesem Motto stand am Sonntag der Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Linken in Neumünster. Für die rund 100 Delegierten war es gleichzeitig der Auftakt zur heißen Phase des Kommunalwahlkampfs. Am 25. Mai erhofft sich die Partei, in alle Kreistage, aber auch in die Kommunalparlamente aller kreisfreien Städte in Fraktionsstärke einzuziehen.

Zum zentralen Thema macht Die Linke dabei den Kampf gegen Privatisierungen öffentlichen Eigentums: Diese seien ein Versuch, »wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens demokratischer Kontrolle zu entziehen«, sagte Landessprecher Lorenz Gösta Beutin in seiner Rede. In der Bildungspolitik orientiere sich seine Partei »am skandinavischen Modell« und fordere ein Schulsystem, in dem »alle Kinder gemeinsam lernen und individuell gefördert werden«.

Neonazis müsse man entgegentreten, wo immer man sie trifft. Deren Erstarken sei auch Resultat der Politik der anderen Parteien. Diese hätten mit ihrer Politik soziale Sicherungssysteme zerstört und einen Teil der Bevölkerung »in die soziale Isolation« getrieben. Beutin forderte deshalb, im bevorstehenden Wahlkampf und in Parlamenten das »Sprachrohr für diejenigen zu sein, die sonst nicht mehr zu Wort kommen«.

Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten die »Eckpunkte« für die Kommunalwahlen. Darin fordern sie die Abschaffung aller Ein-Euro-Jobs, ihren Ersatz durch sozialversicherungspflichtige und reguläre Arbeitsverhältnisse und die Erhöhung der Unterkunftskosten für die Empfänger des Arbeitslosengeldes II. Außerdem fordert Die Linke, daß Systeme des örtlichen Nahverkehrs künftig so gestaltet werden, daß sich diese auch Geringverdiener und Erwerbslose leisten können. Damit habe man »eine gute Grundlage für die heiße Phase des Wahlkampfes«, kommentierte Antje Jansen, ebenfalls Landessprecherin und Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Lübecker Bürgerschaft.

Für Kontroversen hatte im Vorfeld des Parteitags indes der Umgang der Linken mit Mitgliedern der DKP geführt. Hierzu hatte der Lübecker Kreisverband beantragt, daß Mitglieder anderer Parteien künftig sowohl bei den Landtags- als auch bei den Kommunalwahlen als Kandidaten nicht mehr zugelassen werden. Doch mit großer Mehrheit votierten die Delegierten für die Nichtbefassung dieses Antrags. »Wir sollten uns klar darüber werden: Selbst wenn wir uns vollständig von der DKP abgrenzen. So lange wir uns nicht an Sozialabbau, Kriegsführung und Beschränkung der politischen Freiheiten beteiligen, werden wir von den anderen Parteien als Feinde dieses Gesellschaftssystems betrachtet«, erklärte Beutin.

Verwendung: Junge Welt vom 29. April 2008
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24. April 2008

Gewerkschaften kritisieren Koalitionsvertrag von CDU und GAL in Hamburg. Beschäftigte, Auszubildende und Erwerbslose sind die Verlierer

In Hamburg haben Gewerkschaftsvertreter Einzelheiten des Ende letzter Woche unterschriebenen »schwarz-grünen« Koalitionsvertrages heftig kritisiert. So erklärte DGB-Landeschef Erhard Pumm am Dienstag, daß er sich vom künftigen Senat stärkere Initiativen zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit gewünscht habe. André Bunkowsky, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte am Mittwoch in einer Erklärung mit, daß die im Koalitionsvertrag erkennbare Absicht, die Lebensarbeitszeit für Polizeibeamte zu verlängern, auf heftigen Widerstand seiner Gewerkschaft stoßen werde. Für Polizisten müsse »mit 60 Schluß sein«, alles andere sei eine »unzumutbare Belastung«.

Schärfer fällt die Kritik von ver.di-Landeschef Wolfgang Rose aus. Als Vorsitzender der größten Hamburger Einzelgewerkschaft hatte er im Wahlergebnis Ende Februar zunächst eine »Chance zum sozialen Aufbruch« gesehen. Doch durch die Bildung einer CDU-Grünen-Koalition sei diese nun restlos vertan. Rose sieht die Gefahr einer noch stärkeren »sozialen Spaltung«. Der Koalitionstext biete für Beschäftigte, Erwerbslose, Auszubildende und Studierende kaum etwas. Nichts werde darin vereinbart, was zur Eingrenzung der ausufernden Ein-Euro-Jobs oder der Leiharbeit führen könne, kaum etwas zur Einschränkung der Ausbildungsplatznot. »Dafür wollen sie nun die Bildungsgebühren erhöhen«, schimpft der Gewerkschaftsmann. Ihm sei klar, daß der künftige Senat einer für die Besserverdienenden sei.

Kein gutes Haar läßt Rose auch an den Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst. Durch die bereits in der letzten Legislatur von der CDU durchgepeitschte Novellierung des Hamburgischen Personalvertretungsgesetzes und die Kündigung der Mitbestimmungstarifverträge herrschten in den Behörden und Amtsstuben »obrigkeitsstaatliche Verhältnisse«. Das ganze passiere jetzt mit dem Segen der Grünen, so Rose. Versagt hätte die Partei auch mit ihrem Wahlkampfversprechen, die Steuergerechtigkeit wieder herzustellen. Da der Koalitionsvertrag die Einstellung weiterer Betriebs- und Steuerprüfer ausdrücklich negiere, bleibe Hamburg »die Hauptstadt der Hinterzieher«.

Wie Pumm fordert auch Rose, daß die grassierende Langzeitarbeitslosigkeit und die damit zusammenhängende Armut stärker bekämpft werden müßten. Dazu gehörten Initiativen für einen Mindestlohn und für den Ersatz der Ein-Euro-Jobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf die Tagesordnung. Dies, so Rose, stehe im Widerspruch zum Ansatz der Grünen, fehlende Mittel in den Stadtquartieren durch die Arbeitskraft der Jobber teilweise zu kompensieren. Begrüßenswert sei an der neuen Koalition lediglich, daß diese die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker betone und einen Rechtsanspruch für die Kita-Betreuung schon für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr festschreiben möchte.

Dies allerdings trifft auf Kritik der Linkspartei-Abgeordneten und Bauer-Konzernbetriebsrätin Kersten Artus. Solange die Kinderbetreuung kostenpflichtig sei und es kein Recht auf Ganztagsplätze gebe, werde die Vereinbarung von Familie und Beruf »nicht unter Gleichstellungsaspekten gesehen«, kritisiert die Betriebsrätin. Schier unfaßbar sei zudem der Umstand, daß die Grünen nicht darauf gedrängt hätten, die bereits 2001 erfolgte Schließung des Senatsamts für Gleichstellung zu korrigieren. Sie sieht nun ihre Partei in der Pflicht, auch die Gleichstellungspolitik als Aufgabenfeld zu übernehmen.

Verwendung: Junge Welt vom 24. April 2008
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22. April 2008

HafenrundfahrtMit 39 Spaziergängen und Rundfahrten startet Hamburg News heute am 22. April sein Angebot für Einheimische und Touristen. Passend dazu strahlt der Himmel heute blau über dem Hafen – siehe WebCam vom Dach des Germanischen Lloyd.

Hamburgs News ist ein freier Zusammenschluss verschiedener Teamer, Referentinnen und Referenten aus unterschiedlichen Bereichen der Erwachsenenbildung in Hamburg. Das Ziel des neuen Angebotes besteht darin Hamburg und seine Stadtteile auch aus der Sicht der Arbeiterbewegung, der Lohnabhängigen, der Erwerbslosen, also aus der Sicht der »einfachen« Hamburgerinnen und Hamburger darzustellen. Bei den Stadt- und Stadtteilrundgängen, bei den Hafen- und Fahrradrundfahrten spielen soziale und politische Fragen deshalb eine größere Rolle, als bei den bisher vorhandenen Anbietern im Bereich von Stadtführungen. Letztere betonen häufig nur die »goldene Seite«

Besondere Schwerpunkte des Startangebotes von Hamburg News sind Stadtteilrundgänge und Rundfahrten in Wilhelmsburg, in Altona, in Barmbek und im Dulsberg. Außerdem gibt es eine große Stadtrundfahrt. Im Mai kommen dann Angebote für die Veddel, für Harburg, für die Dörfer im Alten Land und eine regelmäßige alternative Hafenrundfahrt dazu …

Schauen Sie selbst: http://hamburg-news.org

Medienrechtlich verantwortlich zeichnet für das neue Angebot der Betreiber dieser Webseite Andreas Grünwald.

Verwendung: Hamburg News



22. April 2008

Regierungsspöttische Aufforderung zum Schwarzfahren
Hamburg: CDU und Grüne gewähren Bedürftigen Preisnachlaß im öffentlichen Nahverkehr. »Sozialticket« soll 67 Euro kosten

Die Wiedereinführung des von der CDU 2003 abgeschafften Sozialtickets für Erwerbslose und Geringverdiener hatten Hamburgs Grüne noch wenige Tage vor Abschluß der schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen versprochen: »Falls es in Hamburg eine schwarz-grüne Regierung gibt, wird es auch das Sozialticket wieder geben«, so die Bürgerschaftsabgeordnete Martina Gregersen am Mittwoch letzter Woche im Landesparlament. Doch nach Vorlage der Einzelheiten des inzwischen unterschriebenen Koalitionsvertrages, erweise sich dies nun als eine Luftblase, monierte der sozialpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Wolfgang Joithe, am Montag gegenüber junge Welt. Denn nicht ein Sozialticket – es berechtigt zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für einen angemessenen Preis – werde es demnach geben, sondern lediglich einen »Preisnachlaß auf Zeitkarten« in Höhe von 18 Euro im Monat. Dies aber sei »kein Sozialticket, sondern nur eine Mogelpackung«, sagt Joithe.

»Wie schnell ein sozial ausgrenzender Regierungsstil abfärben kann«, kommentiert der ehemalige Erwerbslose. Selbst bis zum Einzug ins Parlament ein »Hartz-IV-Geschädigter«, rechnet Joithe nun vor, … [[daß „eine CC-Karte mit zeitlicher Nutzungsbeschränkung für den Großbereich Hamburg“, mit diesem Preisnachlass, dann immer noch 28,50 Euro im Monat koste. Ohne zeitliche Beschränkung würde sich nach einem solchen Preiserlass sogar ein Fahrpreis von 67 Euro im Monat ergeben. [Anm. Verfasser: Dieser wichtige Satz wurde bei der Veröffentlichung in der jW leider weggekürzt. So ergibt sich aber durch den folgenden Teilsatz dann ein falsches Bild. Ich entschuldige mich dafür ausdrücklich bei Herrn Joithe!]] … daß eine Monatskarte mit diesem Preisnachlaß für den Großbereich Hamburg 67 Euro kosten würde. Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm versprochen, daß es mit ihnen »ein echtes Sozialticket zum Abgabepreis von 20 Euro« geben werde.

»Leistungsberechtigten« stünden im Hartz-IV-Satz aber lediglich 15 Euro für Aufwendungen im Öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung. Alles was darüber hinausgehe, müssen sie sich »buchstäblich vom Munde absparen«, so Joithe. Die von den Koalitionären ausgehandelte Regelung sei deshalb auch nur ein »Mogelticket«. Es sei wie eine »regierungspolitische Aufforderung zum Schwarzfahren«. Er sieht seine Befürchtungen, daß wer die Grünen wählt, sich anschließend schwarz ärgert, bestätigt. »Außer einem Darlehen für Bestattungen fällt dieser Koalition kaum etwas ein«, fügt er verärgert hinzu.

Ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose sieht das ähnlich: »Ich vermisse Antworten, die der Dimension der sozialen Spaltung und der Abstiegsangst vieler Menschen gerecht werden.« Da die Sozialkürzungen des ehemaligen CDU-Senats kaum korrigiert würden, sieht er den wörtlichen Hinweis im Vertrag, daß es in Hamburg – »wie in jeder Stadt« – sowohl reiche wie arme Menschen geben würde, als eine sozialpolitische »Bankrotterklärung« des neuen Senats, noch bevor dieser sein Amt antritt. Für »Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Erwerbslose, Auszubildende, Studierende, Seniorinnen und Senioren« finde sich dort nichts. Keine Abkehr von Ein-Euro-Jobs und Leiharbeit, kein Ausbau der Mitbestimmung, keine Ausbildungsumlage für Jugendliche und auch kein Mindestlohn, so der Gewerkschafter. Damit aber präsentiere sich Schwarz-Grün als eine »Koalition der Besserverdienenden«, so Rose gegenüber junge Welt.

Verwendung: Junge Welt vom 22. April 2008
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18. April 2008

Schlagabtausch in der Hamburgischen Bürgerschaft vor der Koalitionsbildung

Die bevorstehende Besiegelung der ersten schwarz-grünen Länderkoali­tion hat in der Hamburgischen Bürgerschaft zum einem heftigen Schlagabtausch geführt. Die SPD hatte eine »Aktuelle Stunde« zum Thema »Nach der Wahl ist vor der Wahl« angemeldet. Öffentlichkeitswirksam sollten am Mittwoch abend so vor allem die Grünen an ihre Wahlversprechen erinnert werden: Kein neues Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg, keine Fahrrinnenvertiefung der Elbe. Doch das Spiel »Alte Freunde, neue Feinde« ging zumindest für die beantragende Partei von SPD-Landeschef Ingo Egloff kräftig daneben. Mit Blick auf Äußerungen von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gab die Grünen-Frak­tionsvorsitzende Christa Goetsch diesen Ball geschickt zurück: Es sei nicht zu erkennen, ob die Sozialdemokraten nun für oder gegen das Kraftwerk sind. Leichtes Spiel hatte da Dora Heyenn: Die Linke-Fraktionschefin geißelte die »Prinzipienlosigkeit« beider Parteien, nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auch und vor allem in der So­zialpolitik. Diese habe für die Bildung einer neuen Stadtregierung offenbar kaum eine Rolle gespielt.

Unter Schwarz-Grün werde die »Spaltung der Stadt« vertieft, konstatierte Joachim Bischoff. Von Zwischenrufen unbeirrt, verwies der Linke-Parlamentarier darauf, daß allein in Hamburg 200000 Menschen von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Die Grünen deuteten daraufhin immerhin an, daß es mit der neuen Regierung in Hamburg die Wiedereinführung des 2003 von der CDU geschliffenen Sozialtickets geben wird. Doch zu welchem Preis? Redner unterstrichen unisono, daß für diese »Mindestmobilität« der Bezieher von Arbeitslosengeld II dann auch jene Anteile mitberücksichtigt werden müßten, die in den Hartz-IV-Sätzen für den öffentlichen Nahverkehr bereits enthalten sind. Wie erschreckend gering diese sind, das vermochte im Plenum dann aber nur der linke Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Joithe zu sagen. Selbst bis zu seinem Parlamentseinzug »Hartz-IV-Betroffener«, wies er Cent für Cent nach, daß ein Sozialticket, das im Monat mehr als 15 Euro kostet, seinen Namen nicht verdient. »Leistungsberechtigte« müßten sich dieses Ticket dann nämlich »buchstäblich vom Munde absparen«. Joithe forderte, daß auch Bezieher von Grundsicherungsleistungen, die wegen Alters oder dauerhafter Erwerbsminderung längst aus der offiziellen Arbeitslosigkeit herausgefallen sind, zum Kreis der Berechtigten gehören müßten. Viel Aufmerksamkeit hatte der 57jährige Erwerbslosenvertreter schon zuvor erregt: Obwohl die mit nur acht Abgeordneten vertretene Linke kein Anrecht darauf hatte, wurde er vom Parlament zu einem seiner Vizepräsidenten gewählt.

Ebenso gut vorbereitet zeigte sich die Linksfraktion auch bei der Behandlung ihres Antrags, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD durch Hamburg zu unterstützen. »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, das geächtet gehört«, mit diesen Worten attackierte die Abgeordnete Christiane Schneider Innensenator Udo Nagel (parteilos). Dieser hatte sich geweigert, Erkenntnisse seiner Behörde, die ein Verbotsverfahren stützen, an die Bundesbehörden zu übermitteln. Schneider forderte außerdem, daß ein für den 1. Mai in Hamburg geplanter Aufmarsch militanter Neonazis wegen »Volksverhetzung« verboten wird. Die Aktivitäten von Antifaschisten gegen diesen Marsch, seien hingegen ein »ermutigendes Zeichen«. Die Finanzierung sogenannter V-Leute in der NPD müsse eingestellt werden, forderte Schneider. Die seien »Fleisch vom Fleisch der Neofaschisten«. Eine derartig klare Sprache wohl bisher nicht gewohnt, wurde der Linken-Antrag nicht abgelehnt, sondern zur weiteren Prüfung in den zuständigen Ausschuß verwiesen.

Verwendung: Junge Welt vom 18. April 2008
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3 Kommentare

15. April 2008

NPD und »Freie Kameradschaften« wollen am 1. Mai durch Hamburg-Barmbek marschieren. Dort findet sonst die traditionelle Gewerkschaftsdemo statt

Kein Fußbreit den Faschisten!« – Diese antifaschistische Formel nimmt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Hamburg offenbar nicht sehr ernst. 75 Jahre nachdem die Gewerkschaftshäuser durch die Nazis okkupiert und die Arbeiterorganisationen zerschlagen wurden, hat dieser seine traditionelle 1. Mai-Kundgebung von Barmbek nach St. Pauli verlegt. Sie gibt damit den Stadtteil für Neofaschisten frei. Wo sonst die Gewerkschaften demonstrieren, haben »Freie Nationalisten« und Anhänger der neofaschistischen NPD bereits im vergangenen Jahr einen eigenen Aufmarsch unter dem Motto »Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen« angemeldet. »Wer zuerst anmeldet, hat das Zugriffsrecht«, meint DGB-Lokalchef Erhard Pumm. Fern ab des Geschehens soll es nun nach der verlegten Gewerkschaftskundgebung ein »Kulturfest gegen rechts« geben, fügt er hinzu.

Ergreifen die Gewerkschaften die Flucht vor den Neofaschisten? Für das Netzwerk der Hamburger Gewerkschaftslinken wäre dies ein Skandal. In einem offenen Brief an den Vorstand des DGB wird dessen Entscheidung massiv kritisiert. Die Mitglieder und die Basis seien daran nicht beteiligt worden. Erinnert wird zudem, daß erst vor fünf Jahren eine Tafel für die Erinnerung an die Ereignisse vom 1. und 2. Mai 1933 am Gewerkschaftshaus angebracht worden sei. »Und jetzt, bei der ersten Provokation der Nachfahren jener Nazibanden durch ihre Okkupation unseres Kundgebungsplatzes sollen wir zurückweichen?« Mit »ehrendem Gedenken an die vor 75 Jahren in die Gefängnisse geprügelten Gewerkschafter«, habe dies nichts zu tun, heißt es in dem jetzt veröffentlichten Brief.

Den Nazis nicht weichen, will indes das Hamburger Bündnis gegen rechts. »Wir wünschen uns, daß sich am 1. Mai so viele Menschen wie möglich den Nazis in Barmbek entgegenstellen«, heißt es im eigenen Aufruf für einen »antifaschistischen 1. Mai«. Daß die Nazis am Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse durch Hamburg marschieren und dabei gewerkschaftliche Kundgebungsplätze in Anspruch nehmen wollen, betrachtet Bündnissprecher Wolfram Siede als »eine gezielte Provokation«, der nun mit aller Kraft entgegengetreten werden müsse. Unterstützt wird dies auch von der Gewerkschaftsjugend. »Der 1. Mai ist unser Tag«, so DGB-Jugendsprecher Olaf Schwede gegenüber junge Welt. Deshalb werde seine Organisation am 1. Mai auch nicht durch St. Pauli, sondern durch Barmbek demonstrieren.

Die Entscheidung für die geänderte Demoroute am 1. Mai hatte der Vorstand des DGB auch mit der Sorge begründet, daß es im Verlauf einer Kundgebung in der Nähe eines Neonaziaufmarsches zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommen könnte. Wenn die Mehrheit der Gewerkschafter mit dieser Begründung fernbleibt, läuft das darauf hinaus, daß die dennoch in Barmbek Demonstrierenden den Polizeimaßnahmen »schutzlos ausgeliefert sind«, kritisiert das Netzwerk der Gewerkschaftslinken. Entsolidarisierung sei im Widerstand gegen Neonazis das »falsche Signal«. Gefordert wird deshalb nun, daß der DGB, neben der bereits angemeldeten Kundgebung für St. Pauli, auch eine zweite und vom ihm getragene Antifa-Veranstaltung für Barmbek anmeldet.

Wie notwendig das wäre, zeigt das Triumphgeheul bei der NPD. Den DGB verhöhnend, spricht ihr Landeschef Jürgen Rieger bereits von einem »klägliche Rückzug« der Gewerkschaften. Da damit auch die Linke zerstritten sei, rechnet er selbst nur mit »Kleingruppen«, die den Aufmarsch behindern könnten. Rieger fordert die Anhänger seiner Partei auf, am 1. Mai in Hamburg ein Zeichen für die gewachsene Stärke des »nationalen Sozialismus« zu setzen. Er selbst rechnet mit 500 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet.

Nähere Infos: http://keine-stimme-den-nazis.org

Verwendung: Junge Welt vom 15. April 2008
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05. April 2008

Christiane SchneiderAuch die tibetische Opposition muß sich Fragen nach Menschenrechtsverletzungen gefallen lassen. Ein Gespräch mit Christiane Schneider

Christiane Schneider ist Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft

Der Forderung der Grünen, sich mit Tibet und dem Dalai Lama solidarisch zu erklären, haben Sie am Mittwoch in der Bürgerschaft widersprochen. In den Medien werden Sie dafür nun als jemand gegeißelt, der in »kalter kommunistischer Kadersprache« Menschenrechtsverletzungen billige. Was haben Sie tatsächlich gesagt?

Daß ich Schwarz-Weiß-Zeichnungen der schrecklichen Ereignisse und die darauf beruhende Voraussetzungslosigkeit, mit der die Grünen-Fraktion »Solidarität mit Tibet« forderte, ablehne. Die Forderung, Menschenrechte einzuhalten, richtet sich selbstverständlich in erster Linie an den Staat. Doch im weiteren gilt das auch für die Opposition. Fakt ist, daß es Augenzeugenberichte und Nachrichten gibt, wonach es bei den Protesten zu pogromartigen Ausschreitungen gegen chinesische Bewohner Tibets kam. Da wurden Geschäfte geplündert, Menschen zusammengeschlagen, nur weil sie Han-Chinesen sind, Häuser – mitsamt ihrer Bewohner – in Brand gesetzt. Deshalb muß sich auch die tibetische Oppositionsbewegung die Frage gefallen lassen, wie sie denn Menschenrechtsverletzungen künftig ausschließen will.

In den Medien wird behauptet, Sie würden den Dalai Lama auf eine Stufe mit dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini stellen.

Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich habe lediglich ausgeführt, daß es mit Religionsführern, die sich als Repräsentanten gesellschaftlicher Opposition in politische Prozesse einmischen, weltweit keine guten Erfahrungen gibt. Nur in diesem Zusammenhang habe ich den Namen von Khomeini erwähnt. Es ging mir um dieses grundsätzliche Problem, nicht um einen Vergleich oder die Gleichsetzung der Personen.

Warum lehnen Sie die Vermischung von Religion und Politik so grundsätzlich ab?

Jede Religion erfordert ein Bekenntnis. Ein Staat, der auf der Grundlage von Bekenntnissen aufgebaut ist, versperrt sich demokratischen Willensbildungsprozessen, weil keine Meinungsfreiheit herrscht, sondern ein Bekenntnis gefordert wird. Daß sich Politik vom Zwang zum Bekenntnis lösen muß, ist ja historisch wie auch analytisch eine Grundlage der Menschenrechte. Denn die beinhalten die Freiheit zum Bekenntnis ebenso wie die Freiheit vom Bekenntnis. Die Haltung des Dalai Lama hierzu ist völllig unklar. Auch die sozialistische Bewegung hat damit schlechte Erfahrungen gemacht. [Daraus muss in China die Konsequenz gezogen werden muss, dass auf der Grundlage von Meinungsfreiheit ein toleranter Meinungsaustausch stattfinden muss.]

Gegängelt fühlen sich viele Tibeter heute aber nicht vom Dalai Lama, sondern von der chinesischen Regierung.

Daß es im Tibet Unterdrückung, kulturelle Diskriminierung und eine Benachteiligung von Tibetern auf vielen Gebieten gibt, kann nicht bestritten werden. Ebensowenig wie die Tatsache, daß die Politik der Modernisierung nicht nur, aber eben auch in der autonomen Region Tibet zu erheblichen Verwerfungen, zu einem Anstieg der Armut, zum Ausschluß von Entwicklung für viele Menschen führt. Der Forderung, solche Menschenrechtsverletzungen einzustellen, schließen wir uns uneingeschränkt an.

Obwohl Tibet seit 1253 zu China gehört, wird in der deutschen Öffentlichkeit immer so getan, als sei früher ein unabhängiger Staat gewesen. Diese Unabhängigkeit sei nun wieder herzustellen. Wie sehen Sie das?

Die Volksrepublik China hat sich aus kolonialer Abhängigkeit durch einen langen Krieg befreien müssen. Die nationale Unabhängigkeit und die damit verbundene staatliche Einheit gehören zum Grundkonsens der Volksrepublik. Dessen Erschütterung hätte unabsehbare Konsequenzen. Nicht nur für China, sondern für die gesamte Region. Es ginge nicht ohne Gewalt und wäre ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.

Bis zum Abtritt des Dalai Lama waren fast 90 Prozent aller Tibeter Leibeigene oder Sklaven. Angenommen, der tibetische Buddhismus käme erneut an die Macht. Was hieße das für Tibet?

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Gerechtfertigt ist aber die Forderung, daß auch die tibetischen Religionsführer und die Oppositionsbewegung die Frage beantworten müssen, welchen Kurs sie denn bei der Modernisierung, gegen Armut und für die Verwirklichung sozialer und politischer Menschenrechte steuern würden.

Anmerkungen:

In der Veröffentlichung für die Tageszeitung Junge Welt wurde der Satz von Christiane Schneider leider weggekürzt, dass daraus (aus der Vermischung von Politik und Bekenntnis] für ganz China der Schluss gezogen werden müsse, die gesamte Gesellschaft auf der Grundlage von Meinungsfreiheit und eines toleranter Meinungsaustausches zu entwickeln. Der Satz ist oben in einer Klammer []hinzugefügt.

Passend zum Thema lesen Sie bitte auch die Abschrift aus einem Buch von Alan Winnington zur Herrschaft des Dalai Lama im Tiber: Freiheit für Leibeigene.

Verwendung: Junge Welt vom 05. April 2008



14. März 2008

Hamburg: Bürgerschaft konstituierte sich. Neue Fraktion soll Verfassungsschutz nicht kontrollieren dürfen

Zweieinhalb Wochen nach der Wahl in Hamburg ist die Bürgerschaft am späten Mittwoch nachmittag zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetroffen. Zum neuen Parlamentspräsidenten wurde mit großer Mehrheit der CDU-Politiker Berndt Röder gewählt. Zu einem ersten Disput kam es bei der Besetzung des Parlamentarischen Kontrollausschusses für den Verfassungsschutz. Der Fraktion Die Linke stehe ein eigener Sitz dort nicht zu, argumentierten unisono Redner von CDU, SPD und Grünen. Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn forderte, daß gerade für diesen Ausschuß ihre Partei berücksichtigt werden müsse. Da die anderen Parteien dem nicht folgten, lehnte es die Linke schließlich ab, sich überhaupt an der Wahl der sieben Ausschußmitglieder zu beteiligen.

Geschnitten wird Die Linke auch mit Hilfe der Sitzordnung im Plenarsaal. Sie hatte beantragt, ganz links sitzen zu dürfen. Doch da dieser Platz auch von den Grünen beansprucht wurde, entschied Röder nach einer Sitzung des Ältestenrats, daß die Vertreter der Linkspartei zwischen den Abgeordneten von SPD und Grünen, noch dazu durch einen Mittelgang voneinander getrennt, Platz nehmen müssen. So teilt Dora Heyenn nun eine Bank mit Grünen-Fraktionschefin Christa Götsch. Der linke Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch fürchtet, daß die Arbeitsfähigkeit seiner Fraktion dadurch leiden könnte.

Als Stellvertreter von Heyenn gehört der Ex-Grüne Hackbusch neben Ex-PDS-Landeschefin Christiane Schneider seit Anfang der Woche zum Fraktionsvorstand der Linken. Eine hervorgehobene Rolle soll auch der in Erwerbsloseninitiativen engagierte Wolfgang Joithe spielen. Anfang April wird er zu einem der Vizepräsidenten des Parlaments gewählt werden. Wie die Funktionen in der Fraktion aufzuteilen sind, hatte ein Landesparteitag am vergangenen Wochenende vorgegeben.

Parlamentspräsident Röder plädierte für »einen fairen Umgang aller Abgeordneten« miteinander. Dies sei besonders wichtig, weil die »Legitimation des Parlaments« durch die geringe Wahlbeteiligung (63,5) Prozent einen Knacks bekommen habe. Röder vermutet, daß unter den 450000 Nichtwählern viele sind, die »vom Parlamentarismus« enttäuscht sind. Da »die Freiheit in ganz Deutschland erst seit weniger als 20 Jahren« existiere, sei dies besorgniserregend. Artig klatschten da auch vier der acht Linksparlamentarier. Noch bis zum Wahlabend hatte Die Linke mit mindestens zwölf Sitzen gerechnet. Doch nach dem Auftritt der inzwischen fraktionslosen niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner (DKP) in der ARD-Sendung Panorama, sei das Wahlergebnis „verhagelt“, meint inzwischen auch Heyenn. Nicht eingezogen ins Parlament ist deshalb DKP-Mann Olaf Harms. Ebenso wenig, wie die Iranerin Zaman Masudi, die Sozialpädagogin Angelika Traversin, die frühere Regenbogen-Abgeordnete Heike Sudmann und Schwerbehindertenvertreter Gerlef Gleiss. Tragisch. Denn allesamt gehören sie zum linken, auf Kooperation mit außerparlamentarische Gruppen orientierten Parteiflügel. Doch nach dem Auftritt der inzwischen fraktionslosen niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner (DKP) in der ARD-Sendung »Panorama« sei das Wahlergebnis »verhagelt«, meint Heyenn. Den Einzug ins Parlament verfehlten dadurch jedoch ausschließlich Leute, die zum linken, auf Kooperation mit außerparlamentarischen Gruppen orientierten, Parteiflügel gehören.

Verwendung: Junge Welt vom 14. März 2008
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Richtigstellung:
Bei der Übernahme dieses Textes durch die Tageszeitung Junge Welt wurde ein bestimmter Abschnitt in einer Weise redigiert, der mir nicht gefällt. Ich habe dies oben durch Streichungen verdeutlicht. Der gestrichene Text beinhaltet dabei jenen Teil, wie er in der jW veröffentlicht wurde, der nicht gestrichene kursiv gesetzte Teil kennzeichnet den Originaltext.



13. März 2008

Vasco SchultzUnter den Grünen in Hamburg regt sich Widerstand gegen einen Koalitionsvertrag mit der CDU. Ein Gespräch mit Vasco Schultz

Vasco Schultz ist Bezirksabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen (Grün-Alternative Liste – GAL) in Hamburg-Wandsbek

Sie sammeln gegenwärtig Unterschriften, um in der GAL – das sind die Hamburger Grünen – eine Urabstimmung über den noch auszuhandelnden schwarz-grünen Koalitionsvertrag durchzusetzen. Was bezwecken Sie damit?

Bei einer so wichtigen Frage müssen möglichst viele Mitglieder an der Entscheidung beteiligt sein. Etliche von ihnen haben mir außerdem deutlich gemacht, daß sie gegen schwarz-grün sind, sich aber auf den Mitgliederversammlungen unter Druck gesetzt fühlen. Die Urabstimmung hat den Vorteil, daß sie in einem geschützten Rahmen stattfindet und sich jeder in Ruhe entscheiden kann, ob ihm das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ausreicht.

Wie hoch ist das Quorum?

Da wir in der GAL keine Regeln für solche Urabstimmungen haben, würde das gelten, was auch für die Mitgliederversammlungen gilt: Ein Antrag ist angenommen, wenn er die Mehrheit der Stimmen erhält.

Ihnen wird vorgeworfen, die Bildung der Koalitionsregierung nur verzögern zu wollen. Immerhin hatte sich Ihr Kreisverband schon vor den Wahlen für Gespräche mit der Linkspartei und der SPD stark gemacht.

Daß wir verzögern, ist Quatsch. Denn wenn die Unterschriften zusammen sind, werden wir uns schnell mit dem Vorstand auf ein zügiges Verfahren einigen. Daß aber nach den Wahlen Gespräche zwischen allen demokratischen Parteien stattfinden, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Die Linke davon auszuschließen, ist eine Mißachtung des Wählerwillens.

Wir haben doch jetzt – zumindest rechnerisch – eine Mehrheit links der CDU in der Bürgerschaft. Warum soll da nicht ausgelotet werden, ob und wie die trägt? In den Wahlprogrammen erkenne ich zahlreiche Schnittmengen.

Das Ergebnis der Sondierungen mit der CDU war doch gar nicht so schlecht. Demnach soll die Grundschulzeit, also die Zeit des gemeinsamen Lernens, auf sechs Jahre verlängert werden. Die CDU verzichtet auf einige Verkehrsprojekte und sagt außerdem zu, Volksentscheide künftig anzuerkennen. Selbst die Abschaffung der Studiengebühren und die Einführung eines Sozialtickets sind im Gespräch.

Daß Volksentscheide verbindlich sind, ist eigentlich selbstverständlich. Dies, oder die Wiedereinführung des Sozialtickets – das die CDU gestrichen hat – nun als großen Verhandlungserfolg darzustellen, ist armselig. Uns müßte es doch darum gehen, möglichst viel aus unserem Wahlprogramm durchzusetzen. Doch auch beim Schulsystem sind wir meilenweit davon entfernt. Wo es, wie bei den Studiengebühren, gar haushaltsrelevant wird, da heißt es zudem, daß dies dann aus anderen Bereichen gegenfinanziert werden muß. Das ist diffus und entspricht nicht dem, wofür wir angetreten sind.

Die CDU hat zugesagt, daß den illegal in Hamburg lebenden Menschen Gesundheitsversorgung und Schulbildung zuteil werden soll. Auch der Kinderknast in der Feuerbergstraße soll geschlossen werden.

Daß Illegale ein Recht auf medizinische Betreuung und ihre Kinder ein Recht auf Schulbildung haben, ist ein Menschenrecht. In einigen Bezirken wird das längst praktiziert. Hier wäre es doch darum gegangen, die Qualität einer solchen Schulbildung zu hinterfragen. Und diesen Kinderknast, den gibt es nur, weil ihn der rechte Politik Ronald Schill 2001 gefordert hat. Seitdem zeigt sich schon, daß diese Einrichtung nicht funktioniert.

1997 hatte Ihre Partei auf Rot-Grün gesetzt. Dafür mußte dann der Zuschüttung des »Mühlenberger Lochs« in der Elbe zugestimmt werden.

Wer verhandelt, muß Kompromisse machen. Doch Kompromisse sind etwas anderes, als sich, wie in diesem Fall, über den Tisch ziehen zu lassen. Ich frage mich: Was wird nun aus unserem Widerstand gegen die Elbvertiefung? Es wäre falsch, ihn für ein paar Peanuts im Rahmen eines Öko-Topfs einfach aufzugeben. Besorgniserregend finde ich zudem, daß das Soziale fast keine Rolle mehr spielt. Weder die Ausstattung der Schulen mit Lernmitteln ist ein Thema noch zum Beispiel der Verkauf von Wohnungen aus dem öffentlichen Wohnungsbestand.

Wie geht es weiter?

Für die Urabstimmung benötigen wir die Unterstützung von zehn Prozent unserer Mitglieder. Das wären 140 Unterschriften. Ich bin guter Dinge, daß wir die bis zum Ende der Koalitionsverhandlungen zusammenbekommen.

Verwendung: Junge Welt vom 13. März 2008
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10. März 2008

Manfred SohnNachfolgend dokumentiere ich hier einen Beitrag von Manfred Sohn, Fraktionsvorsitzender der Linken im niedersächsischen Landtag, zum Wahlerfolg seiner Partei am 27. Januar 2008 und zu den Ereignissen, die schließlich zum Mandatsklau durch Christel Wegner (DKP) führten. Was ich selber von diesem Mandatsklau halte, habe ich an anderer Stelle schon deutlich gemacht. Manfred Sohn hatte mir diesen Beitrag schon vor längerer Zeit zugestellt, mich dann aber gebeten diesen erst zu verwenden, wenn er ihn selbst veröffentlicht hat.

Kurze Anmerkungen zu einem Wahlerfolg und seinen Nachwehen

von Manfred Sohn

Vorbemerkung des Autors: Die folgenden Betrachtungen sind subjektiv und eine persönliche Einzelmeinung eines der inzwischen fast 3 000 Mitgliedern der niedersächsischen Landesorganisation der Partei Die Linke. Sie versuchen neben einer Einschätzung einzelner Aspekte unseres Wahlerfolgs vom 27. Januar auch eine Darstellung der Ereignisse, die zu dem Ausschluß eines der Mitglieder der neugewählten Landtagsabgeordneten aus der Fraktion Die Linke im niedersächsischen Landtag geführt haben. Eine ausführlichere Fassung ist auf der jW-Themaseite im Internet zu lesen. (Siehe: Langfassung, hier auf diesem Weblog ebenfalls dokumentiert.)

Am 27. Januar 2008 zog die Linkspartei mit ihren jeweiligen Landeslisten durch 5,1 Prozent der Wählerstimmen in das Landesparlament von Hessen und durch 7,1 Prozent in das von Niedersachsen ein. Knapp einen Monat später, am 24. Februar, erreichte sie 6,4 Prozent und damit eine neue Fraktion auch in der Hamburger Bürgerschaft. Nach dem Erfolg bei den Bremer Wahlen im Mai 2007, bei denen sie mit 8,4 Prozent der Stimmen erstmals in ein westdeutsches Parlament einzog, gelang ihr durch diese Serie der parlamentarische Durchbruch in den alten Bundesländern. Sie ist seitdem gemessen an der Stärke ihrer Landtagsmandate unbestreitbar und mit einigem Abstand zu FDP und den Grünen die drittstärkste parlamentarische Kraft in Deutschland.

Der Wahlerfolg in Niedersachsen ist zustandegekommen dank des Einsatzes der im Wahlkampf um fast 50 Prozent gewachsenen Mitgliedschaft der Partei Die Linke. In gewisser Weise läßt sich sagen: Dieser Kampf um das Leineschloß – dem Sitz des niedersächsischen Landtages – hat diese Landespartei in der jetzigen Form erst hervorgebracht. Bei den Landtagswahlen 2003 bestand der Vorläufer dieser Partei, die PDS, aus rund 500 Mitgliedern, deren Kandidaten bei den Wahlen damals rund 20 000 Stimmen erreicht hatten.

Der positive Sog der mit 8,7 Prozent gewonnenen Bundestagswahl und die Ausstrahlung der anschließend gebildeten Fraktion Die Linke in Berlin führte in Niedersachsen zu einem Zuwachs an Mitgliedern in beiden Quellparteien. Sie hatten am 16. Juni 2007, bei der Verschmelzung zur neuen Partei, jeweils knapp 1 000 Mitglieder. Der Landtagswahlkampf selbst entwickelte vor allem in den Monaten Dezember und Januar eine weitere Sogwirkung, so daß die Mitgliederzahl sich von insgesamt rund 2 000 zum Zeitpunkt der Parteineubildung auf jetzt fast 3 000 erhöhte. Jedem Marxisten, der nicht tagträumend durch die Gegend läuft, ist klar, welch ein politisch labiles Gebilde eine so schnell wachsende Organisation ist und welche Verantwortung für besonnenes Vorgehen eine solche Lage für alle erfordert, die in einem politischem Gefecht herausragende Verantwortung tragen.

Wir haben aber nicht nur einen starken Wahlkampf geführt, sondern hatten auch Gegner, die schwach waren. Zum einen ist es der SPD – anders als in Hessen – überhaupt nicht gelungen, ihre Mitglieder zu mobilisieren. Zweitens haben CDU und die von ihr dominierten Leitmedien die Linie gefahren: »Totschweigen, nicht vorkommen lassen und wenn, dann mit der Bemerkung: Kommen sowieso nicht rein.« Dies ist unterspült worden zum einen von den (überwiegend schlecht bezahlten) Lokalredakteuren, die ordentlich über uns berichtet haben und durch unseren eigenen, druckvollen Wahlkampf in buchstäblich jedem Dorf zwischen Nordsee und Harz. Vier Tage vor der Wahl haben die klügeren Köpfe der anderen Seite umgeschaltet und auf Seite eins der den Zeitungsmarkt in Niedersachsen beherrschenden Madsack-Kette mit der Hilfe eines ausgetretenen Mitglieds aus Hannover doch noch versucht, uns mit DKP und DDR am Zieleinlauf zu hindern. Aber das war zu zaghaft und zu spät, und so blieb es bei dem, was irgendein trotziges Parteimitglied am 26. Januar auf ein Plakat in der Wahlkampfzentrale gekritzelt hatte: »CDU und HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung, d. Red.) schießen auf uns mit DDR und DKP – wir aber stürmen das Leinepalais.«

DKP im Linkspartei-Wahlkampf

Christel WegnerMehr als ein halbes Jahr vor den Wahlen hat die DKP angeboten, auf eine eigene Kandidatur zu verzichten, wenn sie dafür einen aussichtsreichen Listenplatz bekäme. Nun ist diese Partei organisatorisch nur noch ein Abglanz früherer Stärke. Sie hat knapp 400 Mitglieder in Niedersachsen, die ein Durchschnittsalter von gut 60 Jahren haben und von denen nach eigenen Angaben nur noch ein Drittel wenigstens einmal im Monat für politische Aktivitäten das Haus verlassen. Viel ist das nicht. Dennoch haben wir der von ihr gewählten Kandidatin die Möglichkeit eingeräumt, sich auf den Regionalversammlungen unserer Partei – an denen alle Mitglieder teilnehmen konnten – als mögliche Kandidatin vorzustellen, und es hat über die Einbeziehung von Christel Wegner auch im internen Verteiler eine rege, kontroverse Diskussion gegeben.

Am 3. November haben wir auf einer LandesvertreterInnenversammlung dann mit mit knapper, aber von niemanden angefochtener Mehrheit Wegner auf Platz neun dieser Liste gewählt. Durch den Wahlerfolg am 27. Januar war sie damit Landtagsabgeordnete.

Als sich die zunächst von vielen als winzig eingeschätzte Möglichkeit, in den Landtag einzuziehen, im Januar zu einer realen entwickelte, weitete sich der Widerspruch zwischen dem hervorragenden Platz, den wir Christel Wegner zugebilligt hatten, und den Möglichkeiten der DKP. Die DKP spielte von einzelnen Kreisen abgesehen in diesem Wahlkampf praktisch keine Rolle. Sie hatte zwar etwas vollmundig angekündigt, einen sichtbaren, solidarischen und eigenständigen Wahlkampf zu führen. Das blieb aber Ankündigungspolitik. Weder frühmorgens vor den Betriebstoren noch bei den Plakateinsätzen war – Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel – von den Kommunisten viel zu sehen. Wenn aber Wahlkämpfer das Gefühl haben, sie rödeln sich den Arsch ab für Leute, die sie außer bei der Kandidatenaufstellung nicht zu Gesicht bekommen, macht sie das in der Regel verdrießlich. Das hat weniger mit politischen Inhalten zu tun. Das hat mit dem sozialen Gesetz zu tun, daß man Räume, die man beansprucht, auch ausfüllen können muß. Das aber war bei der DKP angesichts ihrer hohen Listenposition im Verlauf des praktischen Wahlkampfes immer weniger der Fall.

Dann kam der Wahltag, und alle haben sich gefreut, DKP und Wegner eingeschlossen. Sie hat das in Unsere Zeit, die Zeitung ihrer Partei, am 1. Februar mit den Worten kommentiert, sie sei zum Mandat gekommen »wie die Jungfrau zum Kinde«. Das widerspiegelt in etwas flapsigen Worten in der Tat den oben skizzierten Widerspruch zwischen Plazierung und der Schwäche der Organisation, der sie angehört.

DKP-Flirt mit Panorama

Schon am Tag nach der Wahl war ersichtlich, daß die Leitmedien in Norddeutschland – allen voran Bild – entschlossen waren, die Scharte Niedersachsen auszuwetzen, ihren Fehler des Unterschätzens und Totschweigens nicht zu wiederholen und in den wenigen verbleibenden Tagen bis zum Wahlgang in Hamburg alles zu tun, damit dort die Deiche, die aus ihrer Sicht in Niedersachsen gebrochen waren, nicht auch noch brechen. Es wurde nach Lektüre der Medien schnell klar, mit welchen Mitteln sie versuchen würden, ihre Dämme zu verstärken: mit dem Ruf »Die Linke = DKP und DDR«.

Es gab daher bei uns in der zwei Tage nach der Wahl – unter Einschluß von Christel Wegner – konstituierten Fraktion und im Landesverband eine hohe Disziplin, gegenüber der Presse, dieses Thema nicht zu bedienen. Daran haben sich – wie sich das in einem Gefecht gehört – alle anderen Fraktionsmitglieder, alle Landesvorstandsmitglieder, alle 140 Kommunalparlamentarier gehalten – nur eine nicht: Christel Wegner.

Die Panorama-Sendung selbst deutet darauf hin, daß hier – leider – viel mehr passiert ist als die Entgleisung einer einzelnen frisch gebackenen und vielleicht im Umgang mit nicht wohlgesonnenen Medien unerfahrenen Landtagsabgeordneten. Was die Aufregung verursacht hat, war ja kein isoliertes Interview mit der Abgeordneten. Es war ein nach Panorama-Manier aus drei Teilen zusammengeschnittener Bericht. Da war zum einen ein Ausschnitt aus der Beerdigung des Genossen und Gründungsmitglieds der DKP, Kurt Erlebach, mit einem Ausschnitt aus der Rede des Parteivorsitzenden der DKP, zum anderen eine Sequenz, bei der der Hamburger Bezirksvorsitzende Olaf Harms im Wahlkampf begleitet wurde und dann ein Interview mit Wegner bei ihr zu Hause. Der Rest (Rede Herbert Mies etc.) war aus dem Archiv.

Das heißt aber: Panorama ist – wie von uns befürchtet – gleich nach dem »Niedersachsen-Desaster« aktiv geworden und hat mehrere Größen der DKP vor die Kamera gebeten. Und der eigentliche Skandal ist: Sie alle haben sich wie die Kinder gefreut, daß sie endlich gefilmt werden und haben sich stolz filmen lassen: Parteivorsitzender, verdiente Genossen, Bezirksvorsitzender und die einzige Landtagsabgeordnete – sozusagen die Crême der Partei. Und all‘ dies an der Liste vorbei, der sie den für sie selbst überraschenden (»Jungfrau zum Kinde«) Einzug in den niedersächsischen Landtag verdanken. Ich betone: an der Liste vorbei. Über die Tatsache, daß die DKP mit den Panorama-Machern herumflirtet, sind wir erst informiert worden, als das Material schon abgedreht war.

Dies kann nur zweierlei bedeuten. Entweder das ist ein kollektiver Blackout der Führung der führenden Partei der Arbeiterklasse. Oder aber es ist – zwei Wochen vor ihrem Parteitag – Ergebnis der Überlegung, den parteieigenen Kritikern an der Politik, auf Listen der Linkspartei zu kandidieren, durch einen wohlüberlegten Paukenschlag deutlich zu machen, daß man sehr wohl willens und in der Lage sei, eine eigenständige mediale Rolle als DKP trotz einer Integration einzelner Kommunistinnen und Kommunisten in Listen von Die Linke zu spielen. Im ersten Fall wäre es eine völlige Disziplinlosigkeit einer Partei, die einst nicht ganz zu unrecht auf diese revolutionäre Tugend stolz war. Im zweiten Fall ist es ein Hintergehen eines Partners. Beides aber kann nur dazu führen, daß dieser Partner mit einer solchen Organisation, die so vorgeht (entweder disziplinlos oder bewußt intrigant) anders zusammenarbeitet als vor einem solchem Ereignis.

In dem Interview hätte sich die Abgeordnete wenigstens – wie es jeder von uns tut, wenn er vor bürgerliche Journalisten tritt – auf die im Wahlprogramm niedergelegten Aufgaben der Liste im Landtag konzentrieren können. Das alles hat sie nicht getan. Sie hat nicht das Gemeinsame aller Kandidatinnen und Kandidaten der Liste fünf in den Vordergrund gestellt, sondern das, was sie von allen anderen unterscheidet – und sich anschließend bitter darüber beklagt, daß die Fraktion dieser Logik folgend nun auch das in den Vordergrund stellt, was diese eine Landtagsabgeordnete dieser Liste von allen anderen unterscheidet: ihre eigene Parteimitgliedschaft.

Wenig Lust auf Klarheit

Deshalb ist es auch müßig, darüber zu streiten, ob ihre Äußerungen mit dem Landtagswahlprogramm der Linkspartei kompatibel sind. Sie selbst betont in dem Interview ja gerade das trennende – die Position, daß man »so ein Organ wieder braucht«, das Gewähr dafür bietet, sich davor zu schätzen »so einen Staat von innen auf(zu)weichen«, die Position zur Berliner Mauer, die Position zu Reform und Revolution. Es ist eine Umkehrung der Abläufe, jetzt so zu tun, als sei sie durch eine Art politischer Gewaltakt von der Fraktion getrennt worden. Sie hat sich durch Führung und Inhalt des Interviews für die ARD von der Fraktion getrennt und diese hat die Trennung lediglich quittiert.

Die ganze Kritik gegenüber der angeblich zu harten Umgangsweise mit der Abgeordneten Wegner konzentriert sich auf den Vorwurf, wir hätten sie ohne Prüfung der Tatsachen aus der Fraktion geworfen. Das ist ein Märchen. Am Donnerstag der Panorama-Sendung haben wir ihr nachmittags telefonisch für den Fall, daß das alles so sei, wie Panorama behaupte, den Mandatsverzicht nahegelegt und angekündigt, daß wir ihren Fraktionsausschluß prüfen würden. Zumindest für Niedersachsen kann ich bezeugen, daß der Ausschluß nicht, wie Wegner in der jungen Welt vom 21. Februar behauptet, »schon vor der Ausstrahlung der Panorama-Sendung feststand«. Und niemand anders als die niedersächsische Fraktion konnte diesen Ausschluß beschließen.

Wir haben sie an diesem Tag angesichts der Gefahr für die Wahl in Hamburg in der Tat gebeten, zunächst öffentlich nichts weiter zu diesem Thema zu sagen, aber auch gebeten, möglichst schnell eine eigene schriftliche Stellungnahme zu dem Vorgang zu verfassen. Diese Stellungnahme lag zumindest mir als ihrem damaligen Fraktionsvorsitzenden erst am Sonntag abend um 21 Uhr vor. Kernsatz: »Mein Aussage im Interview bezog sich nicht auf die Stasi.«

Das aber läßt sich presserechtlich klären. Also habe ich gut eine Stunde später sie und ihren Rechtsanwalt – ebenfalls schriftlich per E-Mail – um »das Einlegen von Rechtsmitteln« gebeten, »um eine Herausgabe des Interviewmitschnitts zu erwirken«. Bis heute (6. März 2008) kenne ich kein Schriftstück, mit dem das auch nur versucht wird.

Statt dessen erschien am 21. Februar ein Interview von Wegner in junge Welt, in der sie abwinkend erklärt: »Bestenfalls würde in einer Panorama-Sendung eine Richtigstellung in zwei Sätzen erfolgen. Das lohnt nicht wirklich (…).« Bestenfalls! Das lohnt nicht! Und so sollen wir kämpfen in diesem Lande? Bestenfalls! Das lohnt nicht! Nur zwei Sätze im nationalen Fernsehen? Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es ein Stück aus dem Tollhaus der führenden Partei der Arbeiterklasse – und welcher Kontrast zu den Zeiten der Kämpfe gegen die Berufsverbote, wo dieselbe DKP zu recht um jeden Fußbreit Boden vor den Gerichten gefochten hat!

Einen Tag nach diesem jW-Interview hat Panorama – schriftlich – erklärt: Der Kontext wäre so gewesen wie dargelegt: »Anders als jetzt von Frau Wegner behauptet, ging es dabei nicht um irgendeinen Geheimdienst, sondern durchgängig ganz konkret um die DDR-Staatssicherheit.« Eine oder einer lügt hier. Und das kann herausgefunden werden. Aber nur durch die interviewte Person und die von ihr beauftragten Rechtsanwälte. Solange warten wir.

Die Forderung nach Mandatszurückgabe ist nur konsequent. Zum Vorwurf der Wählertäuschung sagt sie im jW-Interview, das sei absurd, denn: »In meinem Wahlkreis bin ich als Direktkandidatin aufgetreten und in der Lokalpresse als Kandidatin für Die Linke, aber auch als DKP-Mitglied vorgestellt worden.« Sie sollte aber zur Kenntnis nehmen, daß sie keine direkt in Buchholz, sondern über die Liste gewählte Abgeordnete ist.

Wir wiederum nehmen zur Kenntnis, daß sie stur und damit Abgeordnete bleibt. Die gegenseitige Zuneigung fördert das nicht.

Konzentration auf Hauptaufgaben

Die Unterschriften, die zur Zeit von junge Welt gesammelt werden, stehen unter der Forderung, Wegner »wieder einen Status innerhalb der Landtagsfraktion (…) zu geben«. Das wird nicht möglich sein. Alle Abgeordneten – auch Wegner – haben von der Landtagsverwaltung zwei Tage nach der Wahl unter anderem die Geschäftsordnung des Landtags ausgehändigt bekommen. Dort heißt es im Paragraphen zwei: »Fraktionen sind Vereinigungen, zu denen sich Mitglieder des Landtages zusammenschließen können, die der gleichen Partei angehören (…)«. Solange die Mehrheit des Landtages – die aus CDU und FDP besteht – diese Geschäftsordnung nicht ändert, kann Wegner nicht Mitglied einer ihrer Fraktionen werden.

Also sitzt sie jetzt allein im Landtag und bleibt auch auf absehbare Zeit die einzige Vollzeitparlamentarierin der DKP. Durch ihr Interview mit den Panorama-Leuten in ihrem Wohnzimmer hat sie im Ergebnis vermutlich ihren Genossen Olaf Harms kurz vor dem Eingang in die Hamburger Bürgerschaft »von der Treppe geschossen« – auch das gehört zu den Ergebnissen dieser Einzelaktion.

Im übrigen wird es weder ein Schneiden der Abgeordneten durch ihre ehemaligen Listenkollegen geben noch eine Hexenjagd. Der Vergleich zur Berufsverbotezeit ist absurd angesichts der Tatsache, daß Wegner für die nächsten fünf Jahre monatlich 6 500 Euro zu ihrer Verfügung und obendrein Anspruch auf einen persönlichen Mitarbeiter hat. Wir nehmen natürlich auch zur Kenntnis, daß sie öffentlich als einzige Abgeordnete außerhalb unserer Fraktion erklärt hat, weiter für die Umsetzung des Wahlprogramms der Liste fünf zu wirken.

Ansonsten gilt zumindest aus persönlicher Sicht des Autors dieser Zeilen, daß sich die Partei Die Linke gegenüber Mitgliedern der DKP so verhalten sollte wie gegenüber Mitgliedern aller anderen Parteien, die zu unserer Programmatik Deckungsflächen aufweisen. Konkurrierende Kandidaturen haben mich noch nie gehindert, mit SPD-Leuten in der Gewerkschaft oder im Personalrats- bzw. Betriebsratsbereich zusammenzuarbeiten. Und die Zusammenarbeit mit den Grünen ist in einer Reihe von Bürgerinitiativen ebenfalls eng und herzlich. Warum sollte das bei DKP-Leuten anders sein oder werden?

Die DKP-Frage ist angesichts der Schwäche dieser Partei aber nicht die Hauptfrage und auch nicht das, was die Partei Die Linke in Niedersachsen zur Zeit bewegt. Es herrscht bei uns in den Kreisen und in der Frage die sehr kompakte Stimmung: Wir werden uns weder von denen noch von irgendjemanden anders von unserer Hauptaufgabe abdrängen lassen. Die ist uns aufgegeben worden von einer Viertelmillion Wählern, die ihr Kreuz bei Der Linken unter den drei Kernlosungen gemacht haben, mit denen wir unsere Wahlen gewonnen haben, und die weiter Handlungslinie für die nächsten fünf Jahre sind: Armut bekämpfen – Bildung gebührenfrei für alle – Privatisierung stoppen.

Wir haben das mit der ersten Landtagssitzung begonnen. Dort hat Christel Wegner auf das ihr als fraktionsloser Abgeordneter zustehende Rederecht verzichtet. Wir haben in unserem ersten längeren Redebeitrag, als es eine allgemeinpolitische Debatte um die deutsche Geschichte gab, auf die große Rolle der KPD im antifaschistischen Kampf und auf die Notwendigkeit hingewiesen, die in Stalingrad gefallenen Rotarmisten zu ehren. Diese Redeteile sind von junge Welt im übrigen nicht beachtet worden – aber auf der Internetseite des niedersächsischen Landtags nachzulesen.

Vor allem aber haben wir uns in den Tagen der konstituierenden Landtagssitzung und seitdem in einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen in Niedersachsen auf zwei außerparlamentarische Aktivitäten konzentriert: auf die Entwicklung einer breiten Kampagne für die Verankerung eines Mindestlohns in das Landesvergabegesetz und auf die Entwicklung von Widerstand gegen die Entsendung von Kampftruppen der in Niedersachsen stationierten Ersten Panzerdivision nach Afghanistan.

Noch einmal: Von diesen Hauptaufgaben werden wir uns nicht abdrängen lassen – von nichts und niemanden.

Manfred Sohn ist einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im niedersächsischen Landtag

Verwendung: Junge Welt vom 10. März 2008

Die Langfassung dieses Beitrags, der für die Veröffentlichung in der Junge Welt gekürzt werden musste, lesen Sie hier:

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10. März 2008

Klauis-Rainer RuppMit Änderungsanträgen zum Haushalt will Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft Profil zeigen. Ein Gespräch mit Klaus-Rainer Rupp

Klaus-Rainer Rupp ist haushalts- und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft

Zum Haushaltsentwurf 2008/2009 des SPD-Grünen-Senats hat Ihre Fraktion 42 Änderungsanträge eingereicht. Wo liegen die Schwerpunkte?

Unsere Anträge zielen erstens auf eine Vielzahl kleinerer und nun von Haushaltskürzungen betroffener Sozialprojekte. Da geht es um Summen, die so gering sind, daß sie das Haushaltsgesamtvolumen kaum tangieren würden. Andererseits wäre es genau dieses fehlende Geld, das Einrichtungen in ihrem Bestand gefährdet. Beispielhaft will ich dafür den Notruf für Frauen und Mädchen und die Beratungsstelle für Prostituierte erwähnen. Ein weiterer Teil unserer Anträge zielt schließlich auf Bereiche, wo Bremen, um seinen sozialen Zusammenhalt zu stärken, dringend mehr Geld investieren muß. 18 Millionen Euro fordern wir z.B. für den Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Beantragt haben wir außerdem, daß 35 weitere Lehrer für die Primarstufe, 20 Fallmanager für die Jugendarbeit und fünf zusätzliche Hebammen für die Betreuung von Risikofamilien eingestellt werden. Nicht einverstanden sind wir zudem mit den Senatsplanungen, die Gehaltserhöhungen für die Beamten vom Januar 2008 auf den November zu verschieben.

Welche zusätzlichen Kosten würden durch Ihren Vorschlag entstehen?

Für 2008 wäre es ein Volumen von 85, für 2009 von 107 Millionen Euro. Bezogen auf den gesamten Haushalt, wäre das eine Erhöhung um etwa zwei Prozent. Das liegt also selbst noch unter dem, was im Rahmen eines Inflationsausgleichs notwendig wäre.

Trotzdem haben die Regierungsparteien eingewandt, daß viele Anträge angesichts der Haushaltslage nicht finanzierbar sind.

Auch wenn die Linke nicht dafür verantwortlich ist, daß Bremen nun Staatsschulden von über 15 Milliarden Euro aufweist, können wir einer überbordenden Staatsverschuldung nicht das Wort reden. Andererseits muß beim Schuldenabbau eine Abwägung zwischen den – von uns so genannten – sozialen Schulden und den fiskalischen Schulden erfolgen. Wir sind in Bremen an einem Punkt angelangt, wo weitere Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich, nur dazu führen, daß eine ganz neue Form von Schulden entsteht. Schulden, die dann auch mit Geld nicht mehr auszugleichen wären. Nehmen Sie z.B. die nur mit zwei Mitarbeitern besetzte Beratungsstelle für die Prostituierten. Wer die weiter zusammenstreicht, der muß uns erklären, wie er die daraus entstehenden sozialen Probleme bewältigen will.

Wie haben Sie Ihre Anträge mit Initiativen oder Sozialprojekten abgestimmt?

Durch öffentliche Anhörungen. Unmittelbar nachdem die Eckwerte des Haushaltsplans vorlagen, haben wir zu einer Reihe von Anhörungen – für die Bereiche Arbeit und Soziales, Wissenschaft, Bildung und Kultur sowie Stadtentwicklung und Umwelt – eingeladen. Die Gewerkschaften, die von Sozialkürzungen betroffenen Initiativen und Projekte sowie weitere außerparlamentarische Gruppen nahmen daran teil. So erfuhren wir, wo der Schuh am meisten drückt, wo wir mit Anträgen aktiv werden müssen.

In einem Thesenpapier hat Ihre Fraktion kürzlich gesagt, daß die Haushaltspolitik des Bremer Senats die Landesverfassung verletzt. Wäre es da nicht konsequent, den gesamten Haushaltsentwurf abzulehnen?

Das werden wir tun. Doch dies enthebt uns nicht von der Pflicht, durch konkrete Detailanträge das einzufordern, was zum Erhalt wichtiger sozialer Projekte unabdingbar ist. So wird zudem deutlich, daß wir nicht in einem Wolkenkuckucksheim leben, sondern daß unsere Forderungen realistisch sind.

Richtig ist, daß unsere Landesverfassung seit Jahren verletzt wird. Sie enthält eine Vielzahl von Bestimmungen, die darauf hinauslaufen, daß die wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten für alle Bremer Bürger annähernd gleich sein müssen. Daß also soziale Unterschiede durch öffentliche Dienstleistungsangebote teilweise weit ausgeglichen werden müssen. Mittelfristig muß es deshalb auch darum gehen, die Einnahmeseite zu stärken, anstatt immer weiter zu kürzen. Durch eine gerechtere Besteuerung höherer Einkommen und einen solidarischen Länderfinanzausgleich wäre dies möglich.

Nähere Infos: www.linksfraktion-bremen.de

Verwendung: Junge Welt vom 10. März 2008
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