11. Januar 2008

Bericht über eine Diskussion

Dieser Artikel soll über die Diskussion unserer Arbeitsgruppe unterschiedlicher Linker über die Zukunft unseres Stadtteils Wilhelmsburg informieren, die wir seit einigen Wochen führen. Ausgangspunkt dafür waren und sind die Planungen, wie sie unter dem Stichwort von der „wachsenden Stadt“ auch und gerade für Wilhelmsburg greifen: „Sprung über die Elbe“, Internationale Bau- und Internationale Gartenbauausstellung 2013 (IBA und IGS). Eine schwierige Thematik, denn so wie es ist, kann es auch nicht bleiben. Unsere Elbinsel ist schon seit Jahren auch als ein Ort bekannt, wo Arbeitslosigkeit und Armut besonders greifen. Fast 50 Prozent der etwa 55.000 Einwohner (eingerechnet ist die Veddel) sind so arm, dass sie ohne staatliche Transferleistungen nicht leben könnten. In einigen Schulen liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei über 90%.

Doch können diese und andere Probleme im Rahmen des vom Senat angeschobenen Aufwertungsprozesses – samt IBA und IGS – tatsächlich gelöst werden? Vielfach sind die Maßnahmen symbolischer Natur, nur darauf gerichtet, das Image des Stadtteils zu verbessern. Dort, wo sie realpolitisch greifen, besteht die Befürchtung, dass nicht Armut und Arbeitslosigkeit, sondern die Armen bekämpft werden. Die IBA bringt dafür den Lärm, der nun schon gnadenlos seit einem Jahr auf uns ballert. Wie ein unaufhörliches Feuerwerk von Veranstaltungen und Highlights, die so laut, so chaotisch und lärmend sind, dass Alteingesessene sich schon wünschen, dass der „Sprung über die Elbe“ eher ein Sprung ins kalte Wasser wird.

Aufwertung zielt auf Image-Verbesserung

Doch die Dauerparty macht ihren Sinn. Für viele Millionen Euro soll das Bild von Wilhelmsburg, das Image, korrigiert werden. Seht her: das ist der Stadtteil der Zukunft, der mindestens genauso verrückt und genauso verworren ist wie das Schanzenviertel oder der Kiez. „Weltquartier“ heißt deshalb nun ein eher trister Häuserblock im südlichen Reiherstiegviertel. Doch das „Moderne“ dieser auch „Gentrifizierung“ genannten Politik besteht eben darin, dass der alte Gedanke, Schlechtes durch Besseres zu ersetzen, damit sich die vorhandener Bevölkerung nicht nur wohler fühlt, sondern es ihnen auch besser geht, dabei überwunden scheint. Es reicht, das Gefühl dringt nach außen.

Gentrifizierung wird in der Fachliteratur als der Zusammenhang zwischen sozialer Aufwertung und den dafür notwendigen Prozessen im Bereich der Boden- und Immobilienverwertung eines Stadtteils beschrieben. Zu entscheiden ist demnach zwischen der baulichen, sozialen, kommerziellen und symbolischen Gentrifizierung. Letztere zielt auf die „Raumsemantik“ eines Viertels, auf das „gefühlte“ Image, das Bild nach außen. Im Rahmen eines Aufwertungsprozesses, der soziale Probleme durch „Durchmischung“ (also auch durch Verdrängung) lösen möchte, hat die symbolische Aufwertung hohen Wert. Sie ist die Einstiegsdroge für die „Pioniere“, die sich niederlassen sollen. Pioniere, das sind Studierende, Künstler, Angehörige subkultureller Schichten, Gelockt durch den billigeren Wohnraum (der nötigenfalls, wie jetzt in Wilhelmsburg, subventioniert wird) sorgen sie für neue Szeneclubs, besondere Dienstleistungen, entsprechende Kneipen. So wird der Stadtteil auch für bessere Schichten interessant. Die Folge sind Miet- und Kostensteigerungen im Wohnumfeld, die die Ärmeren vertreiben, die den Stadtteil durchmischen.

Das Beispiel St. Georg

Nachzuvollziehen ist ein solcher Prozess für St. Georg. Noch vor Jahren galt dieser Stadtteil als eher arm. Gentrifizierung führte dazu, dass die Bevölkerungszahl zwischen 1992 und 2005 auf 60 Prozent ihres ursprünglichen Werts sank. Weggezogen sind v.a. die kinderreichen Familien mit Migrationshintergrund. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 sank auf 30 Prozent seines Werts von 1992. Zugezogen sind demgegenüber vor allem besser verdienende Kleinst- oder Ein-Personenhaushalte. Für die Lange Reihe weitgehend abgeschlossen, tobt sich dieser Kampf am Steindamm noch in harten Kulturkonflikten aus.
Doch gemessen an seiner Fläche ist Wilhelmsburg 16 Mal so groß wie St. Georg. Der Stadtteil umfasst die unterschiedlichsten Gegenden: das alte Reiherstiegviertel mit seiner schönen, alten Bausubstanz, davon südlich gelegen eher eintönige Blockbauten (jetzt „Weltquartier“ genannt), in der Mitte sind es Wohnbebauungen im Stil der sechziger Jahre. Dann folgen Einzelhaussiedlungen, die Hochaussiedlung Kirchdorf Süd, mit allein etwa 5000 Einwohnern und das eher ländlich geprägte Moorwerder. Rund ein Drittel unserer Insel wird von der Hafenwirtschaft kontrolliert. Sie betrachtet den Stadtteil als eine große Logistik-, Lager- und Verkehrsdrehscheibe.

Gentrifzierung in Wilhelmsburg

Manches spricht dafür, dass deshalb die Gentrifizierung anders als in St. Georg stattfinden wird: durch Aufteilungen und Polarisierungen auch innerhalb des Viertels. Von der Aufwertung werden vor allem die Menschen im Reiherstiegviertel betroffen sein. Die Mitte scheint hingegen als eine Art Verbindungslinie zwischen der City Süd und dem Harburger Binnenhafen für eine neue Kommerz- und Bürostadt interessant. Betroffen von beiden Entwicklungen wären rund 25000 Menschen.

Die Elbinsel sei ein „Raum mit enormen landschaftlichen, klimatischen und historischen Qualitäten“, sagt der Stadtplaner Uli Hellwig. Stadtplanungsprofessor Dieter Läpple von der TU in Harburg, sieht Wilhelmsburg als neuen „Boom-Stadtteil“. „Soziale Stigmatisierung“ müsse dafür mit „neuen Restaurants, konsumorientierten Dienstleistungen und sauberen Manufakturen“ überwunden werden. „Solche Maßnahmen führen dazu, dass wir das verdrängen, was wir dort nicht wollen“, sagte hingegen der heutige CDU-Landesvorsitzende Michael Freytag noch vor einigen Jahren zu den Entwicklungen in St. Georg.

Die begonnene Debatte soll am 31. Januar mir einer Diskussion zu den Entwicklungen im Hafen und ihren Rückwirkungen auf den Stadtteil fortgesetzt werden. Eingeladen ist dafür ein Referent von „Rettet die Elbe“. Beginn 19:00 Uhr in einem Gruppenraum des Bürgerhauses Wilhelmsburg. Nähere Infos unter: www.wilhelmsburg.blog.de

Verwendung: Lokalberichte Hamburg, Nr. 1 2008, Printausgabe Seite 11
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