05. September 2008

Heftige Auseinandersetzung in Hamburger Bürgerschaft. CDU diffamiert Abgeordnete der Linken

In der ersten Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft nach der Sommerpause hat die Linkspartei-Abgeordnete Christiane Schneider am Mittwoch abend die Polizeiübergriffe auf Teilnehmer des dort kürzlich veranstalteten Klima- und Antirassismuscamps kritisiert. »Was zählen in dieser Stadt eigentlich die Bürgerrechte?« fragte die Vizechefin der Linksfraktion in der Aktuellen Stunde. Der CDU/Grünen-Senat habe zur »Wahrung des Koalitionsfriedens« zwar während der Camps auf einen offenen »Law and Order«-Kurs verzichtet. Später hätten sich aber die CDU-Hardliner, wie etwa Innensenator Christoph Ahlhaus, durchgesetzt. Auf dem Höhepunkt der Camps habe Ahlhaus dann mit seiner Parole »den Chaoten kein Pardon« grünes Licht für Polizeiübergriffe gegeben, die Grundrechte „außer Kraft“ gesetzt hätten. Vor allem die Versammlungsfreiheit wäre dabei »auf der Strecke geblieben«, so Schneider. Wie berichtet, hatte die Abgeordnete bereits in der Woche zuvor auf einer Pressekonferenz ein Video vorgestellt, auf dem deutlich zu sehen ist, wie Polizeibeamte Teilnehmer von Aktionen der Camps grundlos zu Boden warfen und mißhandelten. In der Bürgerschaft sprach die Abgeordnete deshalb von einer »arroganten Demonstration polizeilicher Macht« auf Kosten der Grundrechte. Als innenpolitische Sprecherin ihrer Frak­tion forderte Schneider, die Vorkommnisse gründlich aufzuarbeiten.

Der Auftritt sei ein »dreister Angriff auf die Integrität unserer Polizei«, reagierte der innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, Kai Voet van Vormizeele. Ähnlich erregt zeigte sich SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel, der die Frage aufwarf, welche Rolle die Linksfrak­tion in diesem »Grenzbereich zwischen illegalen und legalen Protest« spiele. Schneider habe mit »ihren Solidaritätsadressen für Chaoten« der Demokratie einen Bärendienst erwiesen und selbst den Boden für »Krawall und Chaos« geschaffen. Dressel reagierte damit auch auf Vorwürfe von Schneider. Da der SPD-Mann ein Verbot solcher Camps gefordert hatte, sei er mitverantwortlich für die »Kriminalisierung« des berechtigten Protests etwa gegen Abschiebungen. Sicherlich, so Schneider: Bei einzelnen Aktionen, sei die Grenze zur Gewalt überschritten worden, was sie selbst bedaure. Doch wer dies dann, wie etwa Dressel oder Ahlhaus, zum Vorwand nehme, um gleich Hunderte von Demonstranten »in eine Art von gesinnungsmäßiger Sippenhaftung« zu nehmen, der verlasse auch selbst »den Boden des Rechts«.

Ganz aus dem Häuschen war daraufhin CDU-Hardliner Karl-Heinz Warnholz: »Wir kennen Ihre kommunistische Vergangenheit«, schrie er Schneider an. »Halten Sie künftig zu diesem Thema den Mund«, so der Vorsitzende des Innenausschusses, der den Verdacht äußerte, Schneider habe ihr Video gefälscht. Schließlich forderte er die Abgeordnete auf, ihr Mandat niederzulegen. »Sie sind eine Schande für das ganze Haus«, rief er aus.

Und die in der Hansestadt mitregierenden Grünen? Die Polizei habe »insgesamt ihre Einsätze gut gelenkt«, doch offenbar gebe es »Einzelfälle«, wo dies nicht so war, müßten diese geprüft werden, versuchte die Abgeordnete Antje Möller einen komplizierten Spagat. Dass die Versammlungsfreiheit missachtet worden wäre, wies ihr Parteikollege und Justizsenator, Till Steffen, indes klar zurück. Er suchte den Fokus der Kritik nun auf SPD-Mann Dressel zu lenken. Dieser habe seiner Forderung des Verbots den Bogen überspannt. »Denken Sie doch nur an ihre eigene Geschichte und daran, dass die Vorstellung, man könne staatskritischen Protest einfach ersticken, schon unter Bismarck scheiterte«, rief er Dressel zu. Immerhin: Steffen versprach Schneider nun alle Vorwürfe gegen einzelne Beamte auch durch seine Behörde zu prüfen. Die CDU-Fraktion quittierte dies mit eisigem Schweigen.

Anmerkung: In der Veröffentlichung für die Tageszeitung junge Welt mussste dieser Artikel aus Platzgründen leider gekürzt werden. Die entsprechenden, dort nicht veröffentlichten Passagen, sind hier kursiv gesetzt. Leider ging dadurch verloren, daß Schneider in der Sache durchaus einen kleinen Erfolg erzielte: der Justizsenator sicherte ihr immerhin zu, die Vorwürfe zu prüfen.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 5. September 2008
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30. August 2008

Hamburger Gewerkschafter und Elterninitiativen wollen gleiche Bildungschancen durchsetzen

In Hamburg hat der SPD-Grüne-Senat neue Regeln für Volksbegehren und Volksabstimmungen beschlossen. Demnach können Unterstützerunterschriften nicht mehr nur auf dem Amt, sondern auch wieder auf der Straße gesammelt werden. So würden die Voraussetzungen für das anstehende Volksbegehren »Eine Schule für alle« geschaffen, hieß es zur Begründung aus der Innenbehörde. Für den Erfolg des Begehrens müssen rund 60000 Unterstützerunterschriften innerhalb von drei Wochen – vom 19. September bis 9. Oktober – gesammelt werden. Die Unterstützerunterschriften können auch weiterhin in den amtlichen Stellen der Bezirke oder per Briefwahl abgegeben werden. Entsprechende Formulare werden ab heute auf Antrag der Bürger verschickt.

Inhaltlich geht es bei dem Begehren darum, daß künftig alle Hamburger Schüler bis zur 10. Klasse in einer Schule gemeinsam unterrichtet werden. Von der Grundschule kommend wechselten sie bislang schon nach Klasse vier auf drei verschiedene Schulformen. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen für den CDU/Grünen-Senat konnte die Grün-Alternative Liste (GAL) im Februar 2008 durchsetzen, daß die bisherigen Hauptschulen abgeschafft werden und ein Schulwechsel erst nach der sechsten Klasse erfolgt. Den Initiatoren des Volksbegehrens »Eine Schule für alle«, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), reichen diese Schritte nicht. Zwar entstehen neue Stadtteilschulen, aber die Gymnasien bleiben wie gehabt. Damit bliebe auch die Ungleichheit der Bildungschancen vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien erhalten, so GEW-Landeschef Klaus Bullan am Freitag im Gespräch mit junge Welt. Er kritisiert zudem, daß der »schwarz-grüne« Senat den Betroffenen sein Schulmodell »einfach überstülpen« will. Demokratischer sei es, darüber in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Wie das Beispiel skandinavischer Länder zeige, sei die »Schule für alle das gerechtere, leistungsfähigere und zeitgemäßere Schulsystem«, so Bullan gegenüber jW.

Ob sich der Gewerkschafter mit diesem Standpunkt durchsetzen kann, ist allerdings offen. Bereits bei der Gründung der Volksinitiative im Herbst vorigen Jahres als innerhalb von sechs Monaten 10000 Unterschriften gesammelt werden mußten, traten erhebliche Mobilisierungsprobleme zutage. Hinzu kommt, daß sich die Grünen jetzt aus dem Unterstützerkreis für die Initiative weitgehend verabschiedet haben. Bullan gibt sich dennoch optimistisch. Immerhin hätten sich schon jetzt rund 500 Personen als Unterschriftensammler gemeldet. Zudem werde das Begehren auch durch die Partei Die Linke, den DGB und weitere Einzelgewerkschaften wie auch durch den Elternverein massiv unterstützt.

Wer Briefwahlunterlagen anfordern will, kann dies formlos mit einfacher Postkarte bei der Briefeintragungsstelle Volksbegehren im Bezirksamt Hamburg Mitte, Klosterwall 8, Block D, 20095 Hamburg, beantragen

Verwendung: Junge Welt vom 30. August 2008
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28. August 2008

Hamburg: Querelen im Management von privatisierten Landeskliniken. Ver.di: »massiver Affront«

Schon wieder Ärger in den Hamburger Asklepios-Kliniken. Deren Presseabteilung teilte Anfang der Woche in einem Dreizeiler mit, daß Arbeitsdirektor Volker Frese um eine »einvernehmliche Beendigung seiner Tätigkeit« gebeten habe. Über die Neubesetzung der Stelle solle nun in einem Ausschuß beraten werden.

Der Vorsitzende des ver.di-Landesbezirks, Wolfgang Rose, wies diese Darstellung zurück. »Nach meinem Kenntnisstand ist das Arbeitsverhältnis mit Herrn Frese bereits beendet worden«, sagte er am Mittwoch in Hamburg vor Journalisten. Frese habe seine seine Position keineswegs freiwillig zur Disposition gestellt. Rose, der selbst im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt, sprach von einem »massiven Affront« gegenüber der gesamten Belegschaft.

Die Einsetzung eines Arbeitsdirektors, der sowohl das Vertrauen der Geschäftsführung als auch der Beschäftigtenvertreter im Aufsichtsrat besitzt, war auf Verlangen der Gewerkschaft ver.di vor drei Jahren von Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) im Zusammenhang mit der Privatisierung des ehemaligen Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) den Beschäftigten zugesichert worden. Die Gewerkschaft hatte die Einrichtung der Funktion zur Bedingung für ihre Zustimmung zur Privatisierung der Kliniken gemacht.. Erst als diese Position dann nach einem langwierigen Verfahren vor einigen Monaten besetzt werden konnte, habe die Belegschaft der gebeutelten Kliniken allmählich wieder Hoffnung geschöpft, sagt Rose. Nun aber sei der paritätisch besetzte Aufsichtsrat bei der »Entlassung« von Frese regelrecht »ausgebootet« worden, so der Gewerkschafter. Die Klinikbosse hätten offenbar kein Interesse an Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft und würden die rund 12000 Mitarbeiter nach »Gutsherrenart« behandeln. Doch sauer ist Rose auch über den Senat: Denn obwohl die Stadt weiterhin einen 25prozentigen Anteil an den Kliniken halte, weigere sich der Senat, irgendeine Verantwortung für die Mitarbeiter zu übernehmen. Entscheidungen der Konzernspitze würden im Aufsichtsrat lediglich abgenickt, berichtete Rose.

Gegenüber der Presse gab der Gewerkschaftschef in diesem Zusammenhang an, daß er selbst noch Ende letzter Woche eine Beteiligung des Gremiums in der Frage der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Frese gefordert hatte. Doch sei dies von Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU) regelrecht »abgeblockt« worden. Mit einem derart »unprofessionellen Vorgehen« würde nun aber neue Unruhe in die Kliniken getragen werden.

Anerkennung in der Belegschaft hatte Frese zuvor auch in der Behandlung der sogenannten Rückkehrberechtigten gewonnen. Für etwa 1200 anspruchsberechtigte Vollzeitkräfte, die nach der Privatisierung des Unternehmens in den Staatsdienst zurückkehren können und wollen, hatte er dort bis Juni die entsprechenden Jobs vermittelt. Gleichzeitig setzte sich Frese so sehr für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein, daß es ihm gelang, rund 100 Rückkehrberechtigte für einen Verbleib in den Kliniken zu gewinnen. Nach der Privatisierung habe sich die Konzernleitung Mitarbeitern gegenüber »nicht immer klug verhalten und Fehler« gemacht, räumte Frese seinerzeit ein.

Anmerkung: In der Veröffentlichung dieses Textes in der Tageszeitung Junge Welt hat sich leider ein kleiner Fehler eingeschlichen. Dort hieß es, dass die Gewerkschaft ihre Zustimmung zur Privatisierung von der Einrichtung der Stelle eines Arbeitsdirektors abhängig gemacht habe. Tatsächlich hat verdi der Privatisierung des ehemaligen LBK natürlich niemals zugestimmt. Die fehlerhafte Stelle ist hier mit eingefügtem kursiven und durchgestrichenen Text verdeutlicht.

Verwendung: Junge Welt vom 28. August 2008
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09. August 2008

Nach tagelangem Mauern des schwarz-grünen Senats wird ein Gelände bereitgestellt

Am 15. August beginnen in Hamburg das diesjährige antirassistische Sommer- und das erste deutsche Klimaaktionscamp. Bis zu 2500 Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Bewegungen und Initiativen werden dazu erwartet. Am Freitag sagte der schwarz-grüne Senat der Hansestadt den Veranstaltern nun endlich einen Ort für das Treffen zu. Es wird nun auf einem Platz im Vorhornweg im Stadtteil Lurup stattfinden. Zuvor hatten die Behörden den Organisatoren einen angemessenen Platz verweigert. Die hatten einen Park auf der dem Hafen zugeneigten Halbinsel Entenwerder vorgeschlagen. Doch das zuständige Bezirksamt berief sich auf die Grünanlagenverordnung, die das Kampieren in Parkanlagen verbiete. Für den Fall der Zuwiderhandlung war ein Zwangsgeld von 25000 Euro angedroht worden. Mit der Mobilisierung geht es unterdessen voran. »Die elektrischen Leitungen fliegen wie Wolken über unsere Dörfer, wir haben aber selbst keinen Strom« und »Wer von Migration redet, darf von Weltwirtschaft nicht schweigen« lautet der Titel einer Veranstaltung am Montag, mit der möglichst viele Hamburger für eine Teilnahme an den Aktionen zwischen 15. und 24. August gewonnen werden sollen.

Das Podium am Montag wird hochkarätig mit internationalen Gästen besetzt sein, unter ihnen der Botschafter Boliviens in der BRD, Walter Magne, und Victor Nzuzi Mbembe von der internationalen Kleinbauernorganisation Via Campesina. »Wir haben es bewußt so eingerichtet, daß dort nur Nichteuropäer sitzen«, sagte Margret Geitner von der Initiative »Kein Mensch ist illegal« gegenüber jW. Den Veranstaltern gehe es auch nicht nur um Aktionen, sondern auch um die Diskussion gemeinsamer Strategien sozialer Bewegungen.

Walter Magne wird am Montag über einen Brief des bolivianischen Präsidenten Evo Morales an Institutionen der Europäischen Union informieren. Schon im Juni hatte er darin die neue Abschieberichtlinie der EU scharf kritisiert. Sie verletze »in schlimmster Weise« die Menschenrechte. Trete sie in Kraft, müsse sich sein Land vorbehalten, die Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag mit der EU abzubrechen. Auch Bolivien könne Visapflichten für EU-Bürger einführen, so Morales, der daran erinnerte, daß während des Zweiten Weltkrieges Millionen Flüchtlinge aus Europa in Lateinamerika aufgenommen worden waren. Zudem habe Europa diese Länder jahrhundertelang ausplündert, während die heutigen Migranten durch Geldüberweisungen einen Beitrag zur Prosperität ihrer Herkunftsländer bzw. einen Teil jener Entwicklungshilfe leisten, der sich die EU immer noch entziehe.

Der kongolesische Landwirt Victor Nzuzi gilt seit Jahren auch in Deutschland als ein besonders engagierter Streiter für eine gerechtere Welt. Er beschreibt die Probleme Afrikas meist an Hand vieler Bilder aus seinem Dorf im Westen Kongos.

Mobilisierungsveranstaltung für die Camps am 11. August, 19 Uhr, HWP, Von-Melle-Park 9, Großer Hörsaal

Verwendung: Junge Welt vom 9. August 2008
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06. August 2008

Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft will »Hartz IV«-Beziehern bei Behördenbesuchen Beistand leisten

In Hamburg hat einer der Vizepräsidenten der Bürgerschaft, der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Joithe angekündigt, »Hartz IV«-Bezieher künftig als »Beistand« bei ihren Besuchen in der für sie zuständigen Leistungsbehörde zu begleiten. Damit wolle er ein Beispiel für »tätige Solidarität« geben, erklärte der Politiker gegenüber jW. »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.« Wer die »Arbeitsgemeinschaft SGB II« (ARGE) aufsuche, sei vielfach »behördlichen Schikanen« ausgesetzt. Joithe spricht aus eigener Erfahrung: Bis zu seinem Einzug in die Bürgerschaft im Februar 2008 war er als Erwerbsloser auch selbst von Leistungen der »Hartz IV«-Behörde abhängig.

Die Hinzuziehung eines solchen Beistandes ist im Paragraphen 13, Absatz 4 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) geregelt. Eine sinnvolle Bestimmung, die allerdings viel zu wenig genutzt werde, meint Joithe und verweist auf das Beispiel eines 23jährigen Mannes. Ohne dessen Zustimmung hätten ARGE-Mitarbeiter diesem eine »Eingliederungsvereinbarung« und einen Ein-Euro-Job aufnötigen wollen. Als er sich weigerte, die »Vereinbarung« zu unterzeichnen, da er zunächst seinen Hauptschulabschluß nachholen wollte, habe ihm das Amt mit dem Entzug sämtlicher Leistungen gedroht. »Völlig rechtswidrig« sei dies gewesen, so Joithe, denn der Betroffene habe ja selbst konstruktive Vorschläge für die Verbesserung seiner Vermittlungschancen vorgebracht. Vorschläge, die das Amt am Ende auch akzeptierte – doch erst, nachdem Joithe interveniert hatte.

Im Gespräch mit junge Welt verweist der Abgeordnete auf eine Vielzahl solcher Widrigkeiten, mit denen sich Erwerbslose fast täglich konfrontiert sehen. Besonders schlimm sei es auch dann, wenn etwa Anträge auf Bewilligung von Leistungen »systematisch« verschleppt oder unsachgemäß, häufig zu Lasten des Leistungsempfängers, bearbeitet werden. Ohne Beistand seien die Betroffenen solcher Willkür dann aber häufig recht hilflos ausgesetzt. Durchführen will Joithe seine eigenen Beistandsbesuche deshalb in Kooperation mit der Erwerbsloseninitiative PeNG! (»Aktive Erwerbslose und Geringverdiener«). Durch sein eigenes Beispiel ermutigt, hofft Joithe, daß sich dann weitere Freiwillige nach einem kurzen Einführungsseminar als ehrenamtlich tätige Beistände zur Verfügung stellen. Ein »Netzwerk konkreter Hilfe und Solidarität« könne so flächendeckend entstehen. Wer selbst helfen möchte oder aber einen Bestand benötigt, kann sich an das Abgeordnetenbüro des Vizepräsidenten wenden. Rufnummer: (040) 79695004.

Verwendung: Junge Welt vom 6. August 2008
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05. August 2008

Mecklenburg-Vorpommern will Hilfen für Sehbehinderte drastisch reduzieren

Die im Juli bekanntgewordenen Pläne der SPD-CDU-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern, das Blindengeld dort ab 2009 von monatlich 546 auf 333 Euro pro Peson zu kürzen, haben den Widerstand der Blinden- und Sehbehindertenverbände hervorgerufen. Für den heutigen Dienstag ist eine Mahnwache vor der Staatskanzlei in Schwerin angekündigt. Der Protest richtet sich auch gegen eine Kabinettsvorlage von Finanzministerin Sigrid Keler (SPD). Darin hatte sie die Kürzung des Blindengeldes damit begründet, daß der in Mecklenburg-Vorpommern bisher gezahlte Zuschuß um etwa 150 Euro über dem Durchschnitt der Zahlungen in allen anderen ostdeutschen Bundesländern liege. »Ich dachte, die Zeiten wären vorbei, da zwischen Ost und West unterschieden wird«, empört sich etwa Bernd Uhlig vom Blinden- und Sehbehindertenverein Greifswald.

Die Landesregierung will auch die Zuschüsse für hochgradig sehbehinderte Menschen außerhalb von Blindeneinrichtungen, das sogenannte kleine Blindengeld, auf etwa die Hälfte des derzeit ausgezahlten Betrages von monatlich 136 Euro reduzieren. Keler erhofft sich so Haushaltseinsparungen von 8,7 Millionen Euro allein 2009. In den drei Folgejahren sollen es jeweils 8,2 Millionen Euro sein. Für Blinde und Sehbehinderte wäre das »fatal«, empört sich Gudrun Buse, Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins in Mecklenburg-Vorpommern. In einer Erklärung verweist sie auf die gestiegenen Kosten nicht nur für Blinden-Hilfsgeräte, sondern vor allem auch für die Begleitung sehbehinderter Personen. Ohne diese seien Blinde kaum in der Lage Einkaufsfahrten, Arzt- und Behördenbesuche, Freizeitaktivitäten und Urlaub zu organisieren. Würden die Pläne aus dem Finanzministerin umgesetzt, sei eine »angemessene Teilhabe« am gesellschaftlichen Leben für diesen Personenkreis kaum noch möglich. »Bittere Armut« und ein weitgehender Mobilitätsverlust wären die Folgen. Eine Ausweitung der Proteste kündigte Buse deshalb bereits an; notfalls auch mit »mehreren tausend Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet« vor dem Schweriner Schloß. Blinde, so Buse, halten schließlich zusammen.

Die Landesregierung erhofft sich Einsparungen. Tatsächlich werde so aber das Geld nur »von einer Tasche in die nächste geschoben«, bemängelt Irene Müller, sozialpolitische Sprecherin der Partei Die Linke, und als Blinde selbst betroffen. Sie sagt: Kürzungen beim Blindengeld erhöhen gleichzeitig die Ausgaben bei der sogenannten Blindenhilfe. Letzteres ist eine spezielle Form der Sozialhilfe, die ebenfalls aus einem Topf des Landes finanziert werden muß. Dann allerdings verbunden mit dem Nachteil, daß Blinde zunächst ihr mühsam Erspartes aufbrauchen müssen. Auch Müller kündigte im Namen ihrer Partei Widerstand gegen die Kürzungspläne an.

heute, 9.30 Uhr, Mahnwache vor dem Haupteingang der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern, Schloßstraße 2–4 in Schwerin

Verwendung: Junge Welt vom 05. August 2008
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04. August 2008

Kritiker befürchten, dass der Stadtteil an seinen Bewohner vorbeientwickelt werde. Manche wehren sich gegen Strukturveränderungen, andere kritisieren den Mangel an konkreten Verbesserungen

VON KRISTINA GERSTENMAIER

Gegen die Internationale Bauausstellung (IBA) 2013 in Wilhelmsburg regt sich Widerstand. Kleingärtner sorgen sich um ihre Oasen, Studenten um die billigen Mieten, andere bemängeln, dass die Bewohnerschaft nicht genügend an den bevorstehenden Veränderungen beteiligt werde. „Die IBA ist nur für die IBA da“, behauptet Michael Rothschuh, Professor für soziale Entwicklung.

Obwohl sich IBA-Mitarbeiter, Investoren und die Bewohner Wilhelmsburgs einig waren, dass im Stadtteil etwas passieren muss, haben sich seit dem Auftakt im vergangenen Jahr mehrere kritische Initiativen gebildet. „Es besteht die Gefahr, dass hier wohnende Menschen durch Mietsteigerungen und durch die Umwandlung von Sozial- in Eigentumswohnungen vertrieben oder in Randbereiche abgedrängt werden“, sagt der Journalist und Stadtteilaktivist Andreas Grünwald. Dies betreffe vor allem Migrantenfamilien und Wenigverdiener. Seit Monaten beschäftigt er sich im Aktionskreis „Wilhelmsburg gehört uns!“ damit, wie man „die asozialen Komponenten der ,Durchmischung‘ genannten Vertreibung eines Teils der Bevölkerung“ entgegentreten kann.

Die Immobilienpreise stiegen zwischen 2005 und 2007 schon von 1.018 Euro pro Quadratmeter auf 1.233 Euro. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga vermeldet keinen Leerstand mehr, seit viele Studenten und Künstler in Wilhelmsburg ihre Zukunft sehen. Eine Mietsteigerung gebe es jedoch nicht, sagt eine Saga-Sprecherin.

Sanierungsarbeiten im Reiherstiegviertel haben bereits begonnen. Dabei werden in einem IBA-Projekt die Außenfassaden der Gründerzeitgebäude erneuert. Das „Weltquartier“, das Menschen von über 30 Nationalitäten beherbergt, wird unter Beteiligung der BewohnerInnen umgebaut. Die 820 Wohnungen des Quartiers sollen renoviert und vergrößert werden, so dass 130 wegfallen. Allerdings werden auch neue Wohnungen gebaut.

Bei den Projekten werde nicht viel herauskommen, unkt Michael Rothschuh. Auch Projekte, die sich erst einmal positiv anhörten, seien nicht nachhaltig. Sie würden nur angegangen, um 2013 etwas präsentieren zu können. Das so genannte Open House, bei dem „ein buntes Straßenleben“ mit Geschäften und Cafés entstehen werden soll, hält er für überfrachtet. Auch Andreas Grünwald spricht von einer „reinen Inszenierung“.

Es gebe kein einziges Projekt, das den Bewohnern nutze, behaupten einige. „Ihr habt viel versprochen, aber umgesetzt wurde bis jetzt nichts“, schimpfte Günther Katz, Vorsitzender des Bürgervereins, bei einer IBA-Veranstaltung. Der Zollzaun am Spreehafen im Norden des Stadtteils solle endlich geöffnet werden, damit die Anwohner Zugang zum Wasser hätten. Ein Fahrradweg solle den Stadtteil mit dem Alten Elbtunnel und St. Pauli verbinden.

„Der IBA stehen eine Millionen Euro zur Verfügung“, kritisiert Jörg von Prondzinski, der seit seiner Geburt im Stadtteil lebt. „Dafür wird Goldlametta gekauft und in die Luft gepustet.“ Eigentlich werde nur die Werbetrommel gerührt, um Investoren anzulocken.

Gute Ansätze wie der Themenschwerpunkt „soziale Stadt“ seien zwar vorhanden, meint Michael Rothschuh, aber die IBA habe keine Erfahrung damit. Deswegen sei die Umsetzung unzureichend. „Eine Befragung im Weltquartier ist keine längerfristige Bürgerbeteiligung“, sagt Rothschuh.

Die Bürgerbeteiligung ist der IBA wichtig. „Hier gibt niemand fertige Lösungen vor – schon gar nicht gegen den Willen der Betroffenen“, teilt sie im Internet mit. Tatsächlich hat sie schon eine Reihe von Diskussionsforen auch unter Beteiligung von Bewohnern veranstaltet. Eine Ausstellung in einem ehemaligen Supermarkt gibt einen Überblick über die Themen und Pläne.

Für Jörg Prondzinski steht fest, dass das grundlegende Problem Wilhelmsburgs der Lärm ist, dessen Lösung nicht angegangen werde. Im Zuge des IBA-Kultursommers, der in erster Linie Werbung für den Stadtteil machen solle, habe der Lärm sogar noch zugenommen. „Es wird versucht, Negativ-Lärm, wie die Container vom Hafen, mit Positiv-Lärm zu überdecken“, moniert er.

Prondzinski ist Mitbegründer der Lärmschutzinitiative „60 Dezibel“, die der IBA vorwirft, die lärmempfindliche Bevölkerung verdrängen zu wollen. Zwar würde die IBA gern die zentrale Wilhelmsburger Reichsstraße verlegen und den Durchgangsverkehr um den Stadtteil herumlenken. Doch zugleich plant der Senat einen neuen Containerhafen am Rande des Stadtteils.

Auch unter den Kleingärtnern regt sich Widerstand. Die Gruppe „Zornige Gartenzwerge“ kämpft um ihre Kolonie Bauernfelde, die teilweise geräumt werden soll. Die Gärten sollen Teil des Geländes der mit der IBA verbundenen Gartenschau werden. Die meisten Kleingärten sollen aber nur umgestaltet werden. Die Kleingärtner üben grundsätzliche Kritik an den IBA-Projekten: „Schwachsinn ist es“, sagt Kleingartenbesitzer Ronald Wilken, „wenn Grün gegen Grün kämpfen muss.“

Beileibe nicht alle Wilhelmsburger sehen die IBA so kritisch. Manuel Humburg von der Bürgerinitiative „Zukunft Elbinsel“ könnte vieles von den allgemeinen Projekten unterschreiben. Er glaubt nicht, dass der Stadtteil nach ökonomischen Kriterien umstrukturiert wird. „Der Mensch braucht mehr als bezahlbaren Wohnraum“, meint er, „zum Beispiel Bildung“. Darum kümmere sich die IBA in Gestalt einer neuartigen Stadtteilschule. Einige Kritiker argumentierten „unglaublich oberflächlich“.

IBA 2013

Die IBA ist ein Prozess, mit dem die Lebensbedingungen im Stadtteil über mehrere Jahre hinweg verbessert werden sollen. Die zentrale Idee ist, dass mitten in der Großstadt, auf der Elbinsel zwischen der City und Harburg, Stadtentwicklung betrieben wird. Dabei will das IBA-Büro wegweisende Lösungen für das 21. Jahrhundert finden. Sie orientieren sich an drei Themenkreisen: dem Zusammenleben vieler unterschiedlicher Ethnien, dem Klimawandel und den „inneren Stadträndern“, denn Wilhelmsburg ist umgeben von Hafen-, Industrie- und Verkehrsflächen. KNÖ

Verwendung: taz hamburg vom 04. August 2008
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26. Juli 2008

Klimaschützer und Antirassisten rufen zum gemeinsamen Camp in Hamburg auf. Stadt verweigert Fläche

In drei Wochen werden Klimaschützer und Antirassisten in Hamburg ihre Zelte aufschlagen. Am Donnerstag nachmittag informierte ein Initiativenbündnis während einer Barkassenfahrt durch den Hafen über zwei Protestcamps, die vom 15. bis 24. August in Hamburg organisiert werden. »Wir rechnen mit etwa 2500 Anreisenden aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland«, so eine Sprecherin der Initiative gegenüber junge Welt. Um so ärgerlicher sei das Verhalten der Behörden in der Hansestadt. Alle Vorschläge für eine Fläche, auf der sowohl das Klima- als auch das antirassistische Camp Platz gefunden hätten, seien zurückgewiesen worden. »Wir haben einen Spießrutenlauf durch die Ämter hinter uns«, so die Sprecherin. Ohne Ergebnis. Nun fordern die Organisatoren einen Park auf der dem Hafen zugeneigten Halbinsel Entenwerder. Sollte die Stadt auch diesen Vorschlag ignorieren, müsse die Fläche halt besetzt werden, so Ines Kohburger von der Vorbereitungsgruppe. Der schwarz-grüne Senat sei dringend aufgefordert, die Fläche offiziell zur Verfügung zu stellen, heißt in einer Erklärung des Bündnisses, in dem u. a. ATTAC, NoLager Bremen, six hills aus Berlin, die BUND-Jugend, zahlreiche Flüchtlingsinitiativen sowie die Bundeskoordination Internationalismus (Buko) aktiv sind. Der zuständige Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (SPD), lehnt das ab. Unterstützung bekommt er vom Fraktionschef der Grünen im Bezirk, Michael Osterberg: In Hamburger Parkanlagen sei das Zelten »grundsätzlich verboten«, so der Grüne vor der Presse.

Die Initiativen haben sich bewußt für Hamburg entschieden. Zum Beispiel, weil die Hansestadt eine »so traurige Rolle als norddeutsche Abschiebezentrale« spiele, begründet Conni Gunßer für die antirassistischen Initiativen. Eindringlich verwies sie auf die zahlreichen – vor allem afghanischen – Flüchtlinge, die die Ausländerbehörde, häufig im Rahmen von Sammelabschiebungen, in ihre vom Krieg gezeichneten Länder zurückgeschickt habe. Regelmäßig werde dafür das Nachtflugverbot für den Flughafen außer Kraft gesetzt. Vor allem gegen Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern komme es häufig zu »brutalen Polizeiübergriffen«. Allein für das kommende Jahr bereite die europäische Grenzschutzagentur Frontex noch zehn Sammelabschiebungen vor. Ausgehend von den Camps wird es deshalb am 22. August einen Aktions-tag auf dem Hamburger Flughafen geben. Gunßers Hoffnung ist es, das Gebäude »mit Tausenden von Teilnehmern zu fluten«. Bereits am 18. August wollen die Camper einen Discounter besetzen, um auf die »rabiate Geschäftspolitik von Supermarktketten und ihre rassistische Ausbeutung« aufmerksam zu machen.

Aktionen wird es während der Camps auch gegen das geplante Steinkohlekraftwerk in Moorburg (Besetzung des Bauplatzes am 15. August) sowie gegen verschiedene Produzenten im Düngemittel- und Pestizidbereich geben, berichtete Heinz Wittmer vom Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft. Die Vorherrschaft der Agrochemie führe in zahlreichen Ländern dazu, die bäuerliche Landwirtschaft in Abhängigkeit von solchen Konzernen zu halten. Das Ergebnis seien Hunger und Unterernährung. Wittmer verwies im Hafen auf eine Biodieselraffinerie, die vom Agrarkonzern Archer Daniels Midland (ADM) betrieben wird. Dort würde »Gensoja aus Südamerika und das Palmöl der gerodeten Urwaldflächen Indonesiens« für deutsche Autos verarbeitet. Am 19. August rufen die Camper daher zu einer Demonstration zum Firmensitz von ADM im Stadtteil Wilhelmsburg auf.

camp08.antira.info

Verwendung: Junge Welt vom 26. Juli 2008
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23. Juli 2008

Mannschaftsbild

Wie ist es für einen deutschen Fußballtrainer im Baseball-Land Kuba? Ein Gespräch mit Reinhold Fanz

Reinhold Fanz ist Trainer der kubanischen Fußballnationalmannschaft

Sie sind seit Januar 2008 Trainer der kubanischen Fußballnationalmannschaft. Zuvor waren Sie beim Bonner SC. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Der Bonner SC pflegt seit über zehn Jahren Beziehungen mit Kuba. Aus dem Präsidium des SC kam deshalb immer wieder der Vorschlag, daß ich selbst nach Kuba gehe, damit der dortige Fußball sich entwickeln kann. Nach Auslaufen meines Vertrags ergab sich dazu dann die Gelegenheit. Einige Spiele der Kubaner – etwa die gegen Mexiko oder Panama im Rahmen des Gold-Cups – hatte ich mir zuvor bereits angeschaut. Sie zeigten mir, daß aus diesem kubanischen Fußball noch eine Menge zu machen ist. Daß dafür jetzt auch die Rahmenbedingungen – zum Beispiel die Situation auf den Sportplätzen – noch deutlich verbessert wird, hat mich schließlich überzeugt.

Was zeichnet die kubanischen Fußballspieler aus?

Sie sind schnell, sehr talentiert und auch technisch sehr gut drauf. Dazu kommt ihr enormer Fleiß. Was fehlt, sind Taktik und jene Disziplin, die europäische wie deutsche Spitzenmannschaften auszeichnet. Schließlich kommt es im Fußball nicht nur darauf an, ein schönes Spiel zu machen. Man muß auch Tore schießen.

Reinhold FanzUnmittelbar nach Ihrem Wechsel haben Sie die Teilnahme Kubas an den Weltmeisterschaften 2010 zur Zielmarke erklärt. Ist das realistisch?

Es ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, das gebe ich zu. Doch die kubanischen Spieler haben dafür das Potential. Erstmals seit über zwölf Jahren konnten wir die zweite Qualifikationsrunde im Vorfeld einer Fußball-WM erreichen. Ich gehe davon aus, daß wir in dieser Gruppe am Ende einen zweiten Tabellenplatz belegen und somit dann auch die nächste Qualifikationsrunde erreichen werden.

Daran glauben Sie fest?

Im Fußball ist fast alles möglich. Vorausgesetzt man arbeitet gut und die Spieler haben erstens das Potential sowie zweitens auch den Willen, ein solches Ziel zu erreichen. Für die kubanische Mannschaft trifft beides zu.

Nach dem jüngsten Sieg über Antigua und Barbuda stehen schwierigere Begegnungen für einen solchen Aufstieg allerdings noch bevor. Mit besonderer Spannung wird das Spiel gegen die USA am 6. September erwartet. Erstmals seit 61 Jahren werden US-amerikanische Fußballer dann in Havanna antreten.

Dieses Spiel wird etwas ganz Besonderes. Es wird ein Spiel Bush gegen Castro. Da geht es um sehr viel mehr als nur um den Sport. Meine Spieler werden deshalb alles dafür tun, die USA zu schlagen. Als Trainer gehe ich davon aus, daß wir nicht nur in diesem Spiel, sondern zuvor bereits gegen Trinidad und Tobago sowie dann gegen Guatemala die erforderlichen Punkte für den Aufstieg in die nächste Runde holen werden.

Gegenwärtig hält sich Ihre Mannschaft zu Testspielen in Europa auf. Gegen die österreicherische Nationalmannschaft mußte sie eine 4:1-Niederlage einstecken. Wie ist Ihre Gesamtbilanz?

Ich muß das relativieren, denn bei diesem Spiel traten die Österreicher mit etwa 30 Fußball-Profis an. In dem drei mal 35 Minuten dauernden Match konnten sie so ihre Spieler mehrfach austauschen. Wir hingegen waren nur mit 13 Kickern präsent. Im ersten Drittel, als diese noch frisch waren, gab es ein 1:1. Die weiteren Tore mußten wir einstecken, nachdem unsere Jungs kräftemäßig schon ziemlich mitgenommen waren. Immerhin hatten wir zu dieser Zeit fast jeden Tag ein anderes Spiel.

Und Ihre Gesamtbilanz?

Wir sind gegen etliche kleinere Mannschaften, auch gegen Zweitligisten, angetreten. Unter den Gegnern befinden sich auch der FC Freiburg und der FC St. Pauli. Mir wurde bei den schon absolvierten Spielen deutlich, wie sich unsere Spieler, ja die gesamte Mannschaft, fast von Spiel zu Spiel steigern konnte.

Warum wollten Sie unbedingt gegen den FC St. Pauli antreten?

Im Millerntor-Stadion herrscht eine besondere Atmosphäre. Wir haben vor dem Spiel geradezu gehofft, daß es ein richtiger Hexenkessel wird. Für unsere Spieler war das eine sehr gute Vorbereitung auf New York. Denn dort werden wir später vor bis zu 70000 Zuschauern unter Flutlichtbedingungen antreten müssen. Dann sollten unsere Spieler mit einer vergleichbaren Situation bereits vertraut sein.

FC-St.-Pauli-Präsident Corny Littmann hat junge Welt gegenüber betont, daß er sich eine Ausdehnung der Beziehungen seines Vereins zum kubanischen Fußball wünscht. Er hofft nun, Sie könnten dabei behilflich sein.

Wenn ich das kann, werde ich es tun. Doch das Entscheidende leisten die Kubaner selbst. Jetzt zum Beispiel ist im Gespräch, daß wir in unserem Stadion einen Kunstrasenplatz erhalten. So könnten die guten klimatischen Verhältnisse, die es in Kuba zwischen November und Februar für Fußballspiele gibt, dann besser auch für Trainingslager europäischer Mannschaften genutzt werden. Auch den Austausch von Schüler- und Jugendmannschaften kann ich mir vorstellen.

Trotzdem ist Kuba eher ein Baseball-Land. Welchen Stellenwert hat der Fußball?

Die Begeisterung nimmt zu. Deutlich wurde dies auch während der Europameisterschaften, die vom kubanischen Fernsehen übertragen wurden. Auch auf der Straße sehe ich immer mehr Jugendliche, die Fußball spielen. Wenn dazu dann noch ein Erfolg der Nationalmannschaft käme, würde der Fußball richtig aufblühen. Havanna unterstützt die sportlichen Aktivitäten seiner Bürger immerhin in besonderer Weise.

Zu einer anderen Frage: In den hiesigen Medien ist häufiger von einem gelähmten Land die Rede. Wie erleben Sie die kubanische Gesellschaft?

Kuba, das ist ein Land im Aufbruch. Die Reformen von Raúl Castro tragen dazu sicherlich bei. Doch es hilft auch, daß jetzt zum Beispiel das EU-Embargo gefallen ist.

Anmerkung:

Dieses Interview, das ich mit Reinhold Fanz noch vor dem Spiel gegen den FC St. Pauli am 18. Juli führte, ist Bestandteil einer 12-seitigen Sonderbeilage der Tageszeitung Junge Welt vom 23. Juli 2008. Weitere Beiträge in dieser Beilage, darunter solche von Hans Modrow, aber auch von kubanischen Revolutionären, zu den Perspektiven des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses in Kuba, lesen Sie bitte hier.

Verwendung: Junge Welt vom 23. Juli 2008



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23. Juli 2008

Experimentelle Landwirtschaft: Kubanische Bauern bauen Zwiebeln auf einem Feld in Hydrokultur an. Die Methode ist auf kleinsten Flächen anwendbar

Es ist nun knapp zwei Jahre her, daß Fidel Castro aus den Regierungsgeschäften ausschied. Seitdem hat sich in Kuba viel verändert. Neue Sozialprogramme wurden aufgelegt, Wirtschaftsabkommen wurden geschlossen. Im vergangenen Sommer initiierte die Regierung in Havanna – damals noch unter dem Interimspräsidenten Raúl Castro – eine Volksbefragung zu den bestehenden Problemen des Landes. In Betriebsgruppen und Nachbarschaftskomitees nahmen Hunderttausende an der Aussprache teil. Von Stagnation und Frustration, die Kuba im Ausland gerne unterstellt werden, keine Spur. Ähnliches ist in der Außenpolitik zu beobachten. Das sozialistische Kuba baut nicht nur seine Wirtschaftskontakte zu Asien und Afrika aus, Havanna gehört sogar zu den Gründungsmitgliedern des Wirtschaftsbündnisses Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA). Vor dem 50. Jahrestag der Revolution zeigt sich die Inselrepublik als integraler Bestandteil der lateinamerikanischen Gemeinschaft.

In Europa wird all das kaum wahrgenommen. Die Mehrheit der hiesigen Medien arbeitet sich noch immer an Fidel Castro ab, als hätte es einen Wechsel nie gegeben. Ihr politischer Tunnelblick ist verständlich: Die kubanische Realität im Jahr 2008 anzuerkennen hieße, die eigenen Fehleinschätzungen einzugestehen. Nach Fidel Castros Rückzug aus der aktiven Politik ist nichts von dem eingetreten, was westliche Medien und Politologen für die »Post-Castro-Ära« prognostiziert haben. Trotzdem ist die kubanische Gesellschaft im Umbruch. 17 Jahre nach dem Beginn der »Spezialperiode in Zeiten des Friedens«, wie die kubanische Krise nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus genannt wurde, hat sich die Wirtschaft so weit erholt, daß Reformen in Angriff genommen werden können. Mit dieser Situation befaßt sich die diesjährige Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt.

Dabei kommen auch kubanische Stimmen zu Wort. Der Schriftsteller und Essayist René Vázquez Díaz schreibt nicht nur über die Veränderungen auf der Insel, sondern auch über die Irrtümer zu Kuba in Europa. Von seiner Wahlheimat Schweden aus setzt sich Vázquez Díaz mit den westlichen Verleumdungen Kubas auseinander. Kuba in Zeiten von CIA-Folterflügen und NATO-Kriegen von der europäischen Warte aus als Diktatur zu bezeichnen, sei »absurd«, urteilt er in dem Plädoyer für die Souveränität seines Heimatlandes. Trotzdem endet sein Text mit einem Zweifel: Werden die jungen Generationen den bisherigen Konsens weiterhin mittragen?

Auf die Debatte über einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts gehen Jorge Luis Santana Pérez und Concepción Nieves Ayús ein. Die beiden Mitarbeiter des Philosophischen Instituts der Universität Havanna sehen die Diskussion über ein neues Sozialismus-Modell in Lateinamerika als große Chance. Die Lehre aus Kubas Entwicklung sei es, sich bei diesen Diskussionen nicht nur an Theorien, sondern an der Lebensrealität der Menschen zu orientieren. In Kuba sei der Sozialismus »nicht eine beliebige Option unter vielen. Er ist eine Notwendigkeit, die das Überleben, die gesellschaftliche Entwicklung, die Verteidigung und Festigung der Identität gewährleistet«, schreiben Santana Pérez und Nieves Ayús. Gerade deswegen werden auch die Fehler thematisiert. Die deutsche Lateinamerikanistin Ute Evers faßt in diesem Zusammenhang die Diskussion kubanischer Intellektueller über die »grauen fünf Jahre« zusammen – eine Zeit repressiver Kulturpolitik in den 1970ern. Daß dieser Meinungsaustausch heute von der Regierung forciert wird, zeigt die Qualität des politischen Umgangs in Kuba.

Mehrere deutsche Autoren schreiben hier über Kuba. Unter ihnen der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke und der Sozialwissenschaftler Edgar Göll. Die Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt liefert auch in diesem Jahr ein breites Spektrum an Beiträgen für die Diskussion. Nicht über, sondern mit Kuba.

Anmerkung:

Der vorliegend veröffentlichte Beitrag aus einer heute erschienenen 12-seitigen Kuba-Extra-Beilage der Tageszeitung Junge Welt, stammt von meinem jW-Redaktionskollegen Harald Neuber. Einleitend beschreibt er eine Beilage, in der unterschiedliche und sehr respektable Autoren zu den Entwicklungen auf der Karibikinsel Stellung nehmen. Ich veröffentliche diesen Beitrag hier, weil ich selbst zu dieser Beilage einen kleinen Beitrag leisten konnte: ich interviewte den Fußball-Nationaltrainer von Kuba, Reinhold Fanz. Dieses Interview lesen Sie hier.

Darüber hinaus stelle ich den Leserinnen und Lesern meiner Web-Seite hiermit zudem die gesamte Beilage zu Kuba vom 23. Juli als PDF-Datei (3,4 MB) zur Verfügung. Verstehen Sie dies als einen besondere Dienstleistung für die Leser meiner Seite, denn diese, sehr informative Beilage, ist im Internet sonst nur für jW-Abonnenten erreichbar!

Verwendung: Junge Welt vom 23. Juli 2008



17. Juli 2008

Hafenrundfahrt350 Kilometer Schienennetz sollen an die Hochbahn AG der Hansestadt übertragen werden

Dem Hamburger Hafen stehen gewaltige Veränderungen bevor, meldete Welt online Anfang der Woche. Offenbar, so der Springer-Internetdienst, habe der schwarz-grüne Senat sich vorgenommen, mit einem »ehernen Grundsatz« aller bisherigen Bürgermeister der Hansestadt zu brechen. Dieser besagt erstens, daß sich die Hafenwirtschaft zwar selbst um die sogenannte Suprastruktur ihrer Kaianlagen, also um Gebäude und Kräne, kümmern muß. Er besagt zweitens, daß die Stadt sämtliche Infrastrukturkosten für den Hafen übernimmt. Sollte das geändert werden, wäre die bisher bestimmende Hafenbehörde, die Hamburg Port Authority (HPA), weitgehend entmachtet. Das entspricht einer Forderung der Grünen, die schon seit Jahren vertreten, die HPA solle sich auf ihr Kerngeschäft, die Organisation des Hafens, zurückziehen. Pflege und Ausbau des Straßen- und Wegenetzes hingegen müßten der Stadtentwicklungsbehörde überlassen werden.

Entschieden sei diesbezüglich noch nichts, betonte am Dienstag ein Sprecher des Senats. Oder doch? Beschlossen scheint, daß die Hafenbahn mit ihrem fast 350 Kilometer langen Schienennetz aus dem HPA-Komplex herausgelöst werden soll. Senatsvertreter bestätigten ein erstes Treffen zwischen Wirtschaftssenator Axel Gedaschko (CDU) und dem Chef der Hochbahn AG Günter Elste zur Übernahme der Hafenbahn. Die Hochbahn AG betreibt in Hamburg bisher nur das Bus- und U-Bahn-Netz.

Dahinter steckt der Gedanke, daß eine so »entschlackte« HPA ihre Restaufgaben, darunter den Ausbau der Kaianlagen, ohne weitere Haushaltsmittel, also aus eigener Kraft finanzieren könnte. Linkspartei, Grüne und Umweltschutzverbände fordern seit Jahren die Aufgabe der milliardenschweren Subventionspraxis. Erstaunlich wäre allerdings, wenn sich dem nun auch die CDU unter Bürgermeister Ole von Beust anschließen würde. Vieles spricht eher dafür, daß sich dort allmählich ein realistisches Bild vom Wachstum des Hafens und den damit verbundenen Infrastrukturkosten abzeichnet. Fast zehn Millionen Standardcontainer (TEU) werden an der Elbe schon jetzt jährlich umgeschlagen. Auf über 18 Millionen TEU soll diese Kapazität in den nächsten sieben Jahren anwachsen. Neues Geld muß dringend her. Geld, das die HPA durch eine Beleihung städtischer Grundstücke beschaffen soll – 700 Millionen Euro schon im nächsten Jahr. Erst nach und nach sollen dann auch die Hafenunternehmer zur Tilgung der Bankkredite durch leicht erhöhte Pachtzinsen herangezogen werden.

Dieses Prinzip nennen die Grünen »ökologisch«, weil es ein »nachhaltiges« Flächenmanagement ermögliche. Handelskammer-Syndikus Reinhard Wolf betont indes, daß durch die Mobilisierung des zusätzlichen Kapitals der Ausbau des Hafens »ein Stück weit von der Haushaltslage der Stadt« entkoppelt werden könnte, ohne diese allerdings aus ihrer »Verantwortung« zu entlassen. Ähnlich der Blick der Kammer auf die Hafenbahn: Um sie auszubauen, bestünde ein Investitionsstau von 500 Millionen Euro. Damit »private Partner« sich an der Lösung dieses Problems beteiligen könnten, sei ihre Ausgliederung in die rechtlich verselbständigte Hochbahn dringend erforderlich.

Sollte die Bürgerschaft so beschließen, wäre das für den städtischen Haushalt allerdings verheerend. Experten verweisen darauf, daß die Hochbahn – sollte sie die Regie über die Containerzüge übernehmen – auch die Eisenbahnlinie Altona–Kaltenkirchen–Neumünster (AKN) mitsamt der dort vorhandenen Rangierbetriebe übernehmen müßte. 50 Prozent der AKN-Anteile hält Schleswig-Holstein, das seine Anteile nicht unter Wert verkaufen will. So erweist sich das Gerede vom angeblichen Ausstieg aus der Hafensubventionierung bei näherer Betrachtung als reiner Betrug.

Verwendung: Junge Welt vom 17. Juli 2008
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04. Juli 2008

Hamburg: Nachgelagerte Gebühren sollen trotz zahlreicher Proteste ins Gesetz

Am kommenden Dienstag wollen CDU und Grüne in Hamburg sogenannte nachgeordnete Studiengebühren im Gesetz verankern. Die Oppositionsparteien SPD und Die Linke haben angekündigt, ihre Zustimmung in der Bürgerschaft zu verweigern.

Mitte dieser Woche durften die Studierenden noch einmal Luft ablassen. Rund 150 Kommilitonen verschiedener Hochschulen nahmen an einer Anhörung des Wissenschaftsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft teil. Die heftige Kritik richtete sich vor allem an die Abgeordneten der Grünen. »Ich vertraue euch nicht mehr«, so Benjamin Renter vom AStA der Hochschule für bildende Künste (HfbK) zur grünen Ausschußvorsitzenden Dr. Eva Gümbel. Die hatte den Studenten der HfbK noch kurz vor der Stimmabgabe für die Bürgerschaft am 24. Februar erklärt: Wer die Grünen wählt, wählt die Studiengebühren ab. Ähnlich harsch war die Kritik des Generalsekretärs des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde. Durch das neue Gesetz werde der »Abschreckungseffekt«, nach der Schule ein Studium aufzunehmen, eher noch verschärft. Dazu trage besonders bei, daß die Zahlungsverpflichtungen nun direkt an die Bank- und Kreditinstitute übertragen werden.

Für die Studierenden brächte das neue Gesetz – bei dem nicht während, sondern nach dem Studium zur Kasse gebeten wird – in vielen Punkten eine Verschlimmerung bisheriger Regelungen. Sicherlich: Die Höhe der Gebühren wird von 500 auf 375 Euro pro Semester reduziert. Das ist eine »Mogelpackung«, weil Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) gleichzeitig eine Vielzahl bisher geltender Ausnahmeregelungen zur Befreiung von den Studiengebühren gestrichen hat. Zahlen müssen nun auch Behinderte und Studierende mit Kind. Dadurch würden sich die Zahlungsverpflichteten um rund 10000 Personen pro Semester erhöhen, freute sich die Senatorin.

Die Studiengebühren werden bei dem Modell zunächst durch die Hamburgische Wohnungsbaukreditanstalt zinslos kreditiert und für die Studierenden nur virtuell erfaßt. Für die Stadt, so die Kritiker, bedeute das einen zusätzlichen Verwaltungs- und Zinsaufwand von bis zu 22 Millionen Euro im Jahr. Doch auch die Studierenden sind vor Zinszahlungen an die Bank- und Kreditinstitute keineswegs geschützt. Wird etwa die Regelstudienzeit überschritten, kann nur noch zwei Semester ein Studiendarlehen in Anspruch genommen werden. Grundsätzlich sollen die Studierenden ihre aufgelaufene Schuld nach Ende des Studiums und bei Erreichen eines Jahresbruttoeinkommens von 30000 Euro zurückzahlen. Dann allerdings auf einen Schlag. Wem dies nicht gelingt, der ist zu Zinsvereinbarungen mit Kreditinstituten verpflichtet.

Verwendung: Junge Welt vom 04. Juli 2008
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03. Juli 2008

Eimsbüttel lädt am Wochenende zum dreitägigen Methfesselfest

Unter dem Motto »Mit Vergnügen Position beziehen« beginnt am Freitag abend das dreitägige Hamburger Methfesselfest. In den 80er Jahren war es eins der vielen Stadtteilfeste der damals noch stärkeren Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Nach einer Pause wurde die Tradition Mitte der 90er wieder aufgegriffen. Unter Einbeziehung anderer linker Gruppen und Parteien sowie zahlreicher Stadtteil- und Bürgerinitiativen ist es inzwischen das größte nichtkommerzielle Straßenfest in der Hansestadt.

In diesem Jahr steht vor allem die Solidarität mit Migrantinnen und Migranten im Vordergrund. Sie seien besonders betroffen von Erwerbslosigkeit, Schulmisere und der daraus resultierenden Perspektivlosigkeit, heißt es in der Ankündigung für das Wochenende. Es wird Lesungen, Diskussionen, Kabarett und Live-Musik geben. Die »Bollywood«-Kindertanzgruppe aus dem Sportverein Grün-Weiß Eimsbüttel ist ebenso dabei wie die Rock-Formation »more than 6«, der HipHopper Holger Burner, die Oma-Körner-Band sowie die Musikgruppe Gutzeit. Politischer Höhepunkt ist eine Podiumsdiskussion am Sonntag vormittag zum Problem der wachsenden Armut in der Stadt. Dafür haben sich unter anderem der Vizepräsident der Bürgerschaft Wolfgang Joithe (Die Linke) sowie die Buchautorin Ursel Becher angekündigt. Starkes Interesse dürfte auch ein Solidaritätsmeeting mit dem sozialistischen Kuba am Samstag mittag finden. Erwartet wird dazu die Erste Sekretärin der kubanischen Botschaft aus Berlin, Déborah Ascuy Carillo.

Methfesselfest: 4. bis 6. Juli, Hamburg-Eimsbüttel, Else-Rauch-Platz
Nähere Infos: methfesselfest.de

Verwendung: Junge Welt vom 03. Juli 2008
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02. Juli 2008

Das Reiherstieg-Viertel in Hamburg WilhelmsburgHamburger Armutsviertel soll flottgemacht werden. Berliner Soziologe warnt vor Folgen der Gentrifizierung

Mit einem »Sprung über die Elbe« und einer Internationalen Bauausstellung (IBA) will der CDU-geführte Hamburger Senat den auf einer Elbinsel gelegenen Armutsbezirk Wilhelmsburg »aufwerten«. Für CDU-Bürgermeister Ole von Beust hat die Aufgabe »höchste Priorität«, denn die Elbinsel biete den Raum für die »wachsende Stadt«. Doch die Wilhelmburger selbst sind indes wenig angetan von dem Bemühen um ihr Quartier.

Während Medien und IBA-Geschäftsführer Ulrich Hellwig seit Monaten keine Gelegenheit auslassen, zu betonen, daß nun endlich die Chance da sei, einen seit den 80ern als »restlos kaputt« geltenden »Problembezirk« zu heilen, lehnen viele der Inselbewohner die Planungen ab. Man sei »in tiefer Sorge«, daß die als Aufwertung verkaufte Umstrukturierung am Ende nur dazu führe, daß die Mieten steigen und der Stadtteil zum »Spekulationsobjekt für Privatinvestoren« werde, hieß es am Montag abend auf einer gut besuchten Protestveranstaltung. Zu Gast war auch der Berliner Soziologe Andrej Holm, der die sozialen Verdrängungsprozesse im Zuge einer »neoliberalen Stadtpolitik« am Beispiel des Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg verdeutlichte.

Von Beust setzt dagegen, daß Hamburg wachsen müsse und die Elbinsel den dafür nötigen Raum biete. 35 Quadratkilometer ist das Eiland groß. Fast die Hälfte der rund 50000 Einwohner sind so arm, daß sie auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. In keinem anderen Viertel Hamburgs sind die Erwerbslosenquote sowie der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund höher als in Wilhelmsburg. »Wieviel Gucci verträgt die Insel?« fragte deshalb Hellwig gleich zu Beginn des von ihm geleiteten Aufwertungsprozesses. Besonders das Reiherstieg-Viertel – ein durch zahlreiche Gründerzeitbauten geprägtes Altstadtviertel – hat es dem Geschäftsführer der für 2013 geplanten IBA angetan.

Stadtplaner nennen das, was er betreibt, Gentrifizierung: Um die Stadtentwicklung voranzutreiben, werden »Pioniere« angelockt. Meist sind es Studenten, die mit extra bezuschußtem und damit sehr günstigen Wohnraum versorgt werden. Hellwigs Kalkül: Mit jedem dieser Studenten ändert sich der Alltag im Viertel, geraten gewachsene Milieus durcheinander. So entdecken schließlich auch Künstler die »inspirierende Vielfalt« dieses Stadtteils und Investoren scharren mit den Hufen. Da dies nicht von allein passiert, hilft Hellwig mit einer millionenschweren Imagekampagne. Wilhelmsburg, das sei die »neue Mitte«, die »Zukunft Hamburgs«, heißt es in zahlreichen bunten Werbeflyern. Events und staatlich finanzierte Dauerpartys sollen die Stimmung anheizen. Ist das Viertel erst aufpoliert, so hofft Hellwig, würden sich auch finanzkräftige Neubewohner in den mit öffentlichen Mitteln sanierten Altbaubeständen niederlassen.

»Scheiß auf Gucci« ist die Antwort vieler Bewohner. Sie schimpfen über »unerträglichen Dauerlärm« und verlangen, daß der »bezahlbare Wohnraum« auch für sie geschützt werde. Andrej Holm warnte am Montag abend: »Sie werden euch mit Beteiligungs- und Partizipationsformen kommen, sie werden sagen, daß alles, was gemacht werde, mit den Bewohnern besprochen werde«. Doch am Ende eines solchen »Stadtplanungsregiments« stünde allein das »ökonomische Verwertungsinteresse«. »Prüft deshalb jede Maßnahme, die sie euch anbieten, auf ihren realen Gebrauchswert für euch selbst«, riet Holm den widerständigen Wilhelmsburgern.

Verwendung: Junge Welt vom 2. Juli 2008
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30. Juni 2008

Andreas Grünwald, 49, geb. in WilhelmsburgDie Arbeitsgruppe Wilhelmsburg diskutiert Umstrukturierung und neoliberale Stadtpolitik

taz: Herr Grünwald, wie weit ist die Aufwertung von Wilhelmsburg gediehen?

Andreas Grünwald: Noch ist sie in der Planungsphase. Im Moment wüsste ich nicht, welche Bauvorhaben eigentlich real sind. Außerdem gibt es eine Kampagne, um das Image des Stadtteils aufzubessern.

Was meinen Sie konkret, wenn Sie die neoliberale Stadtpolitik kritisieren?

Es ist die ökonomische Verwertung des Stadtteils mit dem Ziel, Geschäftsleute, Privatinvestoren und besserverdienende Neuzuzöglinge anzuziehen, statt etwas für die Menschen zu machen, die schon da sind. Davon leben 50 Prozent von staatlichen Transferleistungen.

Sie haben den Berliner Soziologen Andrej Holm eingeladen. Was kann Hamburg von Berlin lernen?

Als Stadtteilaktivist hat sich Holm mit ähnlichen Entwicklungen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg beschäftigt. Wir erhoffen uns Anregungen für eine konkrete Form des politischen Widerstands vor Ort.

Hat Wilhelmsburg das gleiche widerständische Potential?

Im Rahmen der IBA-Prozesse müssen Hunderte Kleingärtner jetzt ihre Parzellen aufgeben. In der Weimarer Straße sollen bisher günstige Sozialwohnungen in größere und damit teurere Wohneinheiten umgewandelt werden. Da gibt es bereits eine Menge Protest. Interview: MKG

30. Juni, 19.30 Uhr, Rudolfstr. 5, Eintritt frei

Anmerkung: Ganz gegen meine Gewohnheiten habe ich mit obigen Interview nicht selbst ein solches geführt, sondern mich interviewen lassen. Die angesprochene Veranstaltung ist inzwischen vorbei. Sie hatte 85 Besucher. Nähere Infos finden Sie hier.

Verwendung: taz hamburg vom 30. Juni 2008
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21. Juni 2008

Corny LittmannDer FC St. Pauli weiht demnächst seine neue Südtribüne ein – mit einem Spiel gegen die kubanische Nationalmannschaft. Gespräch mit Corny Littmann

Corny Littmann ist Präsident des FC St. Pauli

Am 18. Juli wird die neue Südtribüne des FC St. Pauli offiziell eingeweiht. Im Anschluß gibt es ein Spiel gegen die kubanische Nationalmannschaft. Wie kam das zustande?

Seit wir vor einigen Jahren als bisher einzige deutsche Profimannschaft ein Trainingslager auf Kuba hatten, gibt es enge Verbindungen zwischen uns und dem kubanischen Fußball. Da die Nationalmannschaft des Landes gerade zu einem Trainingslager in Europa weilt und hier gegen mehrere Zweitligisten antreten will, ergab sich jetzt diese Möglichkeit. Vor allem weil die Mannschaft selbst, und auch ihr deutscher Trainer Reinhold Fanz, ausdrücklich wünschten, während ihres Aufenthalts in Europa mit dem FC St. Pauli zusammenzutreffen. Daß wir das jetzt mit der Eröffnungsfeier kombinieren können, freut mich besonders.

Was verbinden Sie mit diesem Spiel?

Das wird aus vielen Gründen etwas ganz Besonderes. Zum einen wegen der Eröffnung. Zum zweiten und vor allem wegen der bekannten Lebensfreude und überhaupt der Einstellung der Kubaner. Das wird dem Spiel und der Stimmung am Millerntor einen ganz besonderen Glanz verleihen. Etwas Besseres hätte dem FC St. Pauli nicht passieren können.

Bevor das Spiel angepfiffen wird, soll es ein umfangreiches Rahmenprogramm geben. Was erwartet die Besucher?

Zum Beispiel ein Tag der offenen Tür, bei dem sich die Ticketinhaber über die neue Tribüne führen lassen können. Außerdem werden kubanische Musikgruppen auftreten, und es wird eine kleine Zeremonie zur offiziellen Einweihung der Südtribüne geben.

Während des Trainingslagers auf Kuba unterhielten Sie sich Anfang 2005 auch mit kubanischen Sportfunktionären. Sportminister Humberto Rodríguez González war dabei so begeistert, daß er von »neuen Freunden« sprach, die sein Land gewonnen habe. Was verbindet Sie mit dem Land von Fidel Castro?

Ich bin seit langer Zeit ein Kuba-Freund und verfolge das dortige politische Geschehen sehr interessiert. Mit Castro konnten wir nicht zusammentreffen. Doch mit seinem Namen und mit der Geschichte seines Volkes verbinde ich ausgesprochen viel. Es ist ja nicht nur eine spannende, sondern vor allem eine bewunderungswürdige Geschichte, beginnend mit der Revolution. Was die Kubaner auf fast allen Gebieten seitdem zustande gebracht haben und wie sie es verstehen, das auszubauen, das ist ganz außerordentlich.

2005 schmiedeten Sie Pläne, diese Verbindungen zu Kuba durch den Austausch von Schülermannschaften und durch ein Hilfsprogramm für die Ausbildung kubanischer Übungsleiter zu festigen. Was ist daraus geworden?

Das war unsere Absicht. Doch leider ist es in der Praxis manchmal viel komplizierterer, etwas einzulösen, als man es sich vorstellt. Schwierigkeiten ergeben sich auch aus der bekannten Abwerbe- und Flüchtlingsproblematik. Trotzdem halten wir daran fest, die Beziehungen unseres Klubs zum kubanischen Fußball auszubauen. Daß Reinhold Fanz jetzt Nationaltrainer der Kubaner ist, ist dafür sicherlich hilfreich.

St. Pauli gilt seit Jahren als rebellisch im deutschen Profifußball. Für viele Fans gehören politisches Engagement, Antifaschismus, die Ablehnung von Kriegen sowie internationale Solidarität zum Alltag. Warum ist das für den FC St. Pauli so wichtig?

Es betrifft die Identität unseres Vereins, die über solche Werte definiert ist. Unser Auftreten gegen Rassismus, unser antifaschistischer Grundkonsens sind ja auch für unsere Fangruppen kennzeichnend. Daß es heutzutage im deutschen Fußball eher eine Ausnahme ist, daß solche Werte gegen rechtsextreme Bestrebungen im deutschen Fußball auch noch verteidigt werden müssen, ist für mich sehr erschreckend. Denn eigentlich sollten solche Werte auch von allen anderen Vereinen beansprucht werden können.

Zurück zum Spiel gegen die Kubaner. 2005 haben ihre Kicker mit 1:3 Toren klar verloren. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie jetzt?

Also das stimmt so nicht, denn es gab schon mehrere Begegnungen. Mal haben wir verloren, mal gewonnen. Auch ein Unentschieden war schon dabei. Der Freundschaft zu Liebe würde ich mich über ein Unentschieden sehr freuen. Ich hätte aber auch nichts dagegen, wenn unsere Jungs ein paar Tore schießen.

Ab wann gibt es die Tickets?

Der Verkauf hat begonnen. Stehplätze für die Gegengerade und die Südkurve gibt es schon ab 5 Euro. Sitzplätze gibt es für 10 bis 15 Euro.

Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 21. Juni 2008
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18. Juni 2008

Martin Behrsing PorträtSeit drei Jahren hilft das Erwerbslosen Forum Betroffenen, ihre Rechte durchzusetzen. Ein Gespräch mit Martin Behrsing

Martin Behrsing ist Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland

Das Erwerbslosen Forum Deutschland beging soeben sein dreijähriges Bestehen. Was haben Sie in dieser Zeit erreicht?

Bundesweit gehört das Forum zu den bekanntesten Internet-Portalen für Erwerbslose. Inzwischen verzeichnen wir jeden Tag Seitenzugriffe von über 30000 Besuchern. Etwa 12000 Erwerbslose haben sich registriert. Sie haben damit einen Zugang auch zu den internen Foren, in denen sich Erwerbslose über ihre Erfahrungen mit Arbeitsämtern austauschen. Diese gegenseitige Hilfe, das Gefühl, nicht allein zu sein, ist auch der Punkt, an dem politische Aktionen entstehen. So ist unser Forum zu einer großen Erwerbsloseninitiative geworden. Bei diesen Aktionen konfrontieren wir die Verantwortlichen mit den Folgen der Hartz-IV-Gesetze und machen zudem auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten der Behörden aufmerksam. Bundesweit hat sich das Forum damit als anerkannter Interessenvertreter der Erwerbslosen profiliert.

Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Von Erfolg würde ich nicht reden, denn die Hartz-IV-Gesetze sind weiterhin in Kraft. Wir können mit unseren Informationen lediglich helfen, daß einzelne ihre Rechtsansprüche besser durchsetzen können.

Wäre es nicht Aufgabe der Arbeitsämter bzw. Jobagenturen, die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren?

Nach dem Sozialgesetzbuch sind sie dazu sogar verpflichtet. Doch in der Praxis erleben wir, daß das meist nicht geschieht. Wenn ich mir etwa die Leistungsbescheide ansehe, dann muß ich feststellen, daß nach wie vor fast 70 Prozent aller Bescheide falsch berechnet worden sind, also zu Lasten der Betroffenen. Und die Betroffenen werden meist entweder falsch oder lückenhaft über die rechtlichen Möglichkeiten informiert, dagegen vorzugehen. Ähnlich ist es mit den sogenannten Eingliederungsvereinbarungen. Vielfach werden die Betroffenen dabei genötigt, etwas zu unterschreiben, was sie gar nicht wollen. Das ergibt auch arbeitsmarktpolitisch keinen Sinn.

Neben Ihrem Forum gibt es bundesweit zahlreiche weitere Erwerbsloseninitiativen. Wie ist die Zusammenarbeit?

Daß es vor Ort Initiativen gibt, halte ich für besonders wichtig. Denn der direkte Kontakt kann durch ein Internet-Forum nicht ersetzt werden. Doch in vielen Kommunen gibt es solche Initiativen noch nicht. Da sind wir dann häufig der erste Ansprechpartner, können aber auch dabei behilflich sein, daß sich solche Initiativen gründen.

Bei Einführung der Hartz-IV-Gesetze haben Sie gesagt, das sei Armut per Gesetz. Hat sich daran etwas verändert?

Nein, denn die Armut hat durch Preissteigerungen und die Willkür der Behörden seitdem zugenommen. Die Gründung unseres Forums war eine Reaktion auf Äußerungen des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement (SPD). Nachdem dieser Erwerbslose mit Parasiten verglichen hatte, haben wir uns gesagt: Jetzt ist Schluß! Jetzt müssen wir selbst für unsere Interessen aktiv werden. Auch und vor allem im politischen Raum.

Trotzdem fällt auf, daß sich noch immer nur wenige dafür mobilisieren lassen. Woran liegt das?

Erwerbslose sind eine sehr heterogene Gruppe. Die meisten Betroffenen haben bis zum Eintritt in die Erwerbslosigkeit kaum gelernt, wie sie für ihre Interessen selbst aktiv werden können. In die Armut getrieben, geht viel Energie dafür drauf, mit der eigenen Lebenslage zurechtzukommen. Die Erkenntnis, daß es auch andere gibt, denen es ähnlich geht, vor allem die Erfahrung, daß man sich gegenseitig helfen kann, ist dann häufig der Anstoß für eine nachhaltige Politisierung. Wir haben gelernt: Kombinieren wir Fragen der unmittelbaren sozialen Interessenvertretung mit politischen Forderungen! Das spricht viele an.

Anfang 2009 sollen die Hartz-IV-Gesetze noch einmal verschärft werden …

Aus dem Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums geht hervor, daß die Rechte des einzelnen Erwerbslosen weiter beschnitten werden sollen. Bislang war es möglich, mit Widersprüchen gegen unsinnige Maßnahmen zumindest eine Aufschiebung zu erreichen – das soll nun ganz wegfallen. Im Kreis der Erwerbsloseninitiativen müssen wir deshalb dringend koordinieren, wie wir dagegen politisch vorgehen können.

Nähere Infos unter http://www.erwerbslosenforum.de/

Verwendung: Junge Welt vom 18. Juni 2008
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11. Juni 2008

KZ Gedenkstätte NeuengammeKZ-Gedenkstätte Neuengamme stellt Berufssoldaten als Museumspädagogen ein

In der Hamburger Gedenkstätte KZ Neuengamme ist ein heftiger Streit entbrannt. Mitarbeiter aus dem museumspädagogischen Dienst – sie betreuen die Besucher – beklagen die Entlassung eines Kollegen. Sie sprechen von einem »Maulkorb für einen kritischen Mitarbeiter«, gar einem »Berufsverbot«. Der Betroffene hatte sich geweigert, weiter Soldaten über das Gelände zu führen. Er begründete dies damit, daß die Gedenkstättenleitung zuvor einen Berufssoldaten der Bundeswehrhochschule nebenberuflich als Museumspädagogen unter Vertrag genommen hatte, eine Diskussion darüber – und über das Verhältnis der Gedenkstätte zur Bundeswehr – aber sowohl mit den Museumspädagogen, als auch mit den Verbänden der ehemaligen KZ-Häftlinge verweigert habe. Daraufhin teilte ihm die Leitung mit, künftig auf seine Mitarbeit »verzichten« zu wollen. Auch der Forderung, mit Vertretern der Häftlingsverbände über die Frage einer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zu diskutieren, erteilte die Gedenkstättenleitung eine Absage. Die Fronten sind verhärtet. Trotzdem soll heute ein erstes Krisengespräch zwischen den Museumspädagogen und der Gedenkstättenleitung stattfinden.

Von »Machtmißbrauch« sprach Fritz Bringmann, langjähriger Präsident, jetzt Ehrenpräsident der internationalen Gefangenenorganisation »Amicale Internationale KZ Neuengamme«. Er erinnerte vor Journalisten daran, daß die Losung der 1945 befreiten Häftlinge nicht nur »Nie wieder Faschismus«, sondern auch »Nie wieder Krieg« gelautet habe. Bringmann forderte die Wiedereinstellung des geschaßten Pädagogen. Außerdem müsse »endlich mit dem Team der Gedenkstättenpädagogen und mit den Überlebendenverbänden über die Bedingungen einer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr« geredet werden. Bringmann erinnerte an einen Vorfall aus dem Februar 2004. Damals hatte die Bundeswehr im ehemaligen Konzentrationslager – also dort, wo zwischen 1938 und 1945 über 50000 Häftlinge von den Nazis ermordet wurden – eine »psychologische Vorbereitungsveranstaltung« für geplante Auslandseinsätze durchgeführt – unter dem Motto »Leben mit dem Massengrab«. Der ehemalige Häftling erinnert sich daran nur mit Grausen. Er forderte, daß KZ-Gedenkstätten nicht von der Bundeswehr instrumentalisiert werden dürfen.

Die damalige Veranstaltung sei »unglücklich« verlaufen, räumt inzwischen auch Gedenkstätten-Vizedirektor Wolfgang Stiller ein. Doch daß die Museumspädagogen deshalb nun meinen, sie könnten der Gedenkstättenleitung »vorschreiben«, wen sie einzustellen habe, das gehe nicht, so Stiller im Gespräch mit jW. Auch mit den Häftlingsverbänden werde er darüber nicht reden. Grundsätzlich sei es ihm egal, ob ein Museumspädagoge »Tischler, Schreiner, Speditionskaufmann oder eben Berufssoldat« sei. Zwar gebe es bis heute vielfältige Traditionslinien zwischen der Bundeswehr und der alten faschistischen Wehrmacht, räumte er gegenüber jW ein. Doch dieses Mißtrauen dürfe auf einzelne Soldaten nicht übertragen werden.

»Bestürzend« sei dies, so reagierte indes die »Arbeitsgemeinschaft Neuengamme« auf solche Positionen. Den deutschen Zweig der Häftlingsverbände repräsentierend, pocht die Gemeinschaft darauf, daß auch die Bundeswehr nichts anderes als ein Machtinstrument zur Durchsetzung von Zielen mit »kriegerischen Mitteln« wäre. Solche Zielsetzungen seien aber mit dem Wesen einer KZ-Gedenkstätte nicht vereinbar. In einer Erklärung fordert die Arbeitsgemeinschaft deshalb nun eine Diskussion zu den »Leitbildern« der Gedenkstätte. Nur wenn diese fruchtbar verlaufe, könne das »bislang positive Verhältnis« zwischen der Arbeitsgemeinschaft und der Gedenkstätte erhalten bleiben.

Anmerkung: In der Veröffentlichung für die Tageszeitung junge Welt (dort veröffentlicht unter dem Pseudonym Niels Stecker) wurden einige Teile dieses Artikels leider gekürzt. Zur besseren Übersicht sind die dort weggefallenen Passagen deshalb hier kursiv gekennzeichnet.

Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 11. Juni 2008
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11. Juni 2008

Beim größten Hamburger Pflegeunternehmen steht ein Arbeitskampf ins Haus. Warnstreiks noch diese Woche

Achtzehn Monate, nachdem das größte Hamburger Pflegeunternehmen »Pflege & Wohnen (p&w)« privatisiert wurde, steht dessen Alten- und Pflegeheimen ein heftiger Arbeitskampf ins Haus. Am Montag kündigte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an, daß es noch in dieser Woche zu ersten Warnstreiks kommen kann.

Die Nachricht erstaunt. Denn eigentlich hatte die Gewerkschaft mit der Geschäftsführung des Unternehmens bereits vor Wochen geeinigt. Mit einem neuen Haustarif sollten die Rechte aus den Arbeitsverträgen der ehemaligen Mitarbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg auch künftig gesichert werden. Weitgehend einig war man sich darin, den erst kürzlich im öffentlichen Dienst erzielte Tarifabschluß im Prinzip zu übernehmen sowie einen Beschäftigungspakt abzuschließen. Letzterer sollte betriebsbedingte und Änderungskündigungen bis 2012 ausschließen.

Doch die Rechnung hatte die Geschäftsführung von p&w ganz offenbar ohne die neuen Eigentümer von der Berliner Vitanas und der EAF-Holding GmbH gemacht. Sie teilen sich das Unternehmen zu jeweils gleichen Teilen und wiesen die Geschäftführung vergangene Woche an, auf der Basis erheblich geringerer Lohnvorgaben neu zu verhandeln. Auch von einem Beschäftigungspakt war nun nicht mehr die Rede.

Sich auf neue, möglicherweise monatelange Verhandlungen einzulassen, sei aber für ver.di unannehmbar, erklärte am Wochenende Verhandlungsführerin Angelika Detsch. Energisch verwahrte sich die Gewerkschaftssekretärin dagegen, zum Ausgangspunkt der bereits monatelang geführten Verhandlungen zurückzukehren. Statt dessen erklärte die ver.di-Verhandlungskommission, Warnstreiks seien »ab sofort« möglich.

Anfang der Woche goß EAF-Boß Andreas Francke noch mal Öl ins Feuer, indem er seinen Mitarbeitern mitteilen ließ, wer nicht zu den neuen Bedingungen bei p&w arbeiten wolle, könne das Unternehmen auch gern verlassen. Er selbst habe jedenfalls gute Kontakte zwecks Vermittlung einer Rückkehr zur Stadt, so Francke, hieß es aus Betriebsratskreisen. Zynisch habe er zudem hervorgehoben, daß dann möglicherweise auftretende Lücken, schnell durch neues Personal geschlossen werden könnten.

Ein Rückkehrrecht zur Stadt haben bei p&w etwa 650 der rund 1350 Beschäftigten. Doch würden so viele tatsächlich das Unternehmen verlassen und zur Stadt zurückkehren, wäre der Betrieb zahlreicher Pflegeheime gefährdet. Bisher ging man deshalb davon aus, daß auch die neuen Eigentümer ein Interesse daran haben, möglichst viele Mitarbeiter zu halten. Die Äußerungen von Francke seien ein Zeichen »der Nichtachtung und der Geringschätzung« gegenüber den Mitarbeitern, erklärte Detsch am Montag. Schon in dieser Woche werde es erste Arbeitskampfaktionen geben.

Verwendung: Junge Welt vom 11. Juni 2008
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06. Juni 2008

»Fest der Arbeit« am Samstag in der Grugahalle

Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) lädt für diesen Samstag zu einem »Fest der Arbeit« in der Essener Grugahalle ein. Die Migrantenorganisation, die dazu 10 000 Teilnehmer erwartet, will so ein »Zeichen gegen den wachsenden Nationalismus und Rassismus« in der deutschen, wie in der türkischstämmigen Bevölkerung setzen.

In den vergangenen Monaten habe es »zahlreiche gemeinsame Kämpfe für eine Verbesserung der Lebensbedingungen«, zum Beispiel für den gesetzlichen Mindestlohn oder gegen die Rente mit 67 gegeben, betonte DIDF-Vorsitzender Hüseyin Avgan. »Wir treffen uns für ein besseres Miteinander von Deutschen und Migranten, von Muslimen und Christen, von Deutschen, Türken und Kurden«, so Avgan. Alle, die sich »gegen den Sozialraub und eine diskriminierende Politik« wehren wollen, seien eingeladen.

Als Redner sind u. a. die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht, die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Klaus Ernst (alle Die Linke) sowie der Vizechef der türkischen Partei der Arbeit (EMEP), Mustafa Yalciner, angekündigt. Zudem werden bekannte Künstler, wie die Sängerin Aynur Dogan oder der Sänger Hasan Yükselir, auftreten.
Samstag, 7. Juni, 16 Uhr, Grugahalle, Essen, didf.de

Verwendung: Junge Welt vom 6. Juni 2008
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31. Mai 2008

Nach Debakel bei Kommunalwahl lecken CDU und SPD weiter ihre Wunden. Stärkere Abgrenzung vom Koalitionspartner soll Landtagswahl 2010 retten

Eine Woche nach den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein stehen Spitzenpolitiker von CDU und SPD gehörig unter Druck. Das Land wird derzeit von einer großen Koalition unter Führung der Christdemokraten regiert. Bei der Wahl am 25. Mai hatten beide Parteien dramatische Verluste hinnehmen müssen.

Besonders angeschlagen ist Exinnenminister und SPD-Landeschef Ralf Stegner. Ihm wird von seinen Genossen eine entscheidende Verantwortung für das mit 26,6 Prozent schlechteste Kommunalwahlergebnis seiner Partei seit 1946 zur Last gelegt. Doch auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat Probleme, der Basis seiner Partei zu erklären, wie die Verluste von 12,2 Prozent bis zu den Landtagswahlen 2010 wieder wettgemacht werden könnten.

Um sich vom Koalitionspartner abzugrenzen, hatte Stegner im Kommunalwahlkampf auf soziale Themen wie den Mindestlohn gesetzt. In Städten und Gemeinden gehe es aber nicht um solche Fragen, sondern um Müllgebühren, Spielplätze, Straßenbau und Busfahrpläne, argumentieren jetzt Kommunalpolitiker seiner Partei. Sie fühlen sich offenbar um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Stegner wird vorgeworfen, mit seiner Strategie der Linken eine Steilvorlage geboten zu haben.

Der Landeschef dagegen meinte, die SPD hätte noch schlechter abgeschnitten, wenn er solche Themen nicht aufgegriffen hätte. Alles werde er jetzt dafür tun, daß sich der Linkspartei-Erfolg bei den Landtagswahlen 2010 nicht wiederholt. Die SPD müsse »unterscheidbarer« von der CDU werden. Wie das funktioniert, solle auf einer Parteikonferenz im Juni geklärt werden.

Ähnlich hilflos zeigt sich Carstensen. Auf einer Kreisvorsitzenden-Beratung der CDU kündigte er an, eine Arbeitsgruppe einzuberufen, die Ideen dafür sammeln soll, wie seine Partei in der Schul- und Bildungspolitik mehr Profil und Distanz zum kleineren Koalitionspartner zeigen könne. Dem liegt wohl die Annahme zugrunde, daß etliche CDU-Stammwähler am Sonntag einfach zu Hause geblieben sind.

Abgrenzung scheint auch bei den kleineren Parteien das Zauberwort zur Erklärung der Wahlergebnisse zu sein. Am Donnerstag titelte etwa die im südlichen Dänemark erscheinende Wochenzeitung Der Nordschleswiger mit einer Story darüber, wie es der Landtagsabgeordneten des Südschleswigschen Wählerbunds (SSW), Anke Spoorendonk, in ihrer Heimatgemeinde Harrislee gelang, in einzelnen Stimmbezirken »Traumergebnisse« von bis zu 80 Prozent herauszuholen. Dies zeige, daß die auf Distanz zu den etablierten Parteien beruhende Politik der Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein von den Wählern honoriert werde. In Flensburg sei es anders gekommen, weil der dortige SSW zu eng mit dem Establishment verbunden sei.

Katerstimmung herrscht auch bei der NPD. Ihr Spitzenkandidat für Nordfriesland, Kevin Stein, sieht im Ergebnis seiner Partei eine »vollständige und enttäuschende« Niederlage. Die Neonazis waren im Landesdurchschnitt lediglich auf 0,4 Prozent gekommen.

Daß es ihnen überhaupt gelang, Mandate in Lauenburg und Kiel zu holen, hält Linkspartei-Landessprecher Lorenz Gösta Beutin für den »traurigsten Punkt« in seiner Wahlanalyse. Das antifaschistische Profil der Linken müsse gestärkt werden. Wirksam sei dies aber nur, wenn auch die sozialpolitische Glaubwürdigkeit erhalten bleibe. Mutmaßungen über ein »rot-rot-grünes« Bündnis in Lübeck widersprach am Freitag im Gespräch mit junge Welt auch Ragnar Lüttke, Kreischef der dortigen Linken.

Verwendung: Junge Welt vom 31. Mai 2008
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30. Mai 2008

Hamburgs Sonny-Boy Ole von BeustKoalition aus CDU und Grünen in der Hansestadt verkauft Ein-Euro-Jobs als Innovation. SPD und Linkspartei rücken zusammen. Eimsbüttel macht den Ausreißer

Mit einer Regierungserklärung vor der Bürgerschaft hat Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am Mittwoch nachmittag die Philosophie seines neuen »schwarz-grünen« Senats offenbart. Jenseits »durchschnittlichen Denkens« überwinde die Koalition mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) »alte Gegensätze zwischen links und rechts« und bringe so eine Modernisierung von Staat und Gesellschaft zustande. Beispielhaft verdeutlichte er dies am Beispiel der 470000 in Hamburg lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Auch seine Partei müsse begreifen, daß deren bessere Integration für den Standort gut sei. Die mit »ökologischen Aspekten« durchsetze Wirtschaftspolitik müsse sozial- und bildungspolitisch so flankiert werden, daß die »Versorgungsmentalität kreativ aufgebrochen« werde. Haushaltsumschichtungen dafür seien möglich, neue Schulden schließe er hingegen aus, so von Beust.

»Verkrustete Strukturen« aufbrechen will auch Jens Kerstan, Frak­tionschef der Grünen. Ein Kerngedanke des neuen Bündnisses bestehe darin, »individuelle Lösungen für individuelle Probleme« zu finden, sagte er in der Plenardebatte. »Lücken in der Sozialversorgung einzelner Stadtteile« werde die neue Koalition mit Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik schließen. Als da wären: 4000 neue Kombi- und Ein-Euro-Jobs. Ähnlich »kreativ« zeigte sich Kerstan dann auch bei der Frage der bislang von seiner Partei bekämpften Vertiefung der Elbfahrrinne. Das Problem sei halb so wild, denn dafür gäbe es jetzt einen »ökologischen Ausgleichsfond«.

SPD-Fraktionschef Michael Naumann ging die Debatte auf die Nerven: »Faule Kompromisse« könne man so nicht verkleistern. »Die Gebühren für Schulen, Kindertagesstätten, Lernmittel, ja selbst für Obdachloseneinrichtungen, die ihr jetzt akzeptiert«, ließen sich nicht wegdiskutieren, hielt er den Grünen entgegen. Kein gutes Haar ließ der SPD-Mann an der neuen, sechsjährigen Grundschule. Da diese sowohl an Gymnasien wie an den Stadtteilschulen eingerichtet werde, verstärke sie die soziale Selektion. Neumann versprach eine »kraftvolle Opposi­tion« und wandte sich überraschend an Die Linke. Deren Hang zum Populismus teile er zwar nicht, doch eine engere Zusammenarbeit sei in vielen Fragen angesagt.

Linksfraktionschefin Dora Heyenn ging darauf nicht ein. Auffällig war aber doch, daß sie den »Systemwechsel in der Gesundheits- und Sozialpolitik« dann nur an Maßnahmen der CDU festmachte. SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor. Der neue Senat sei »eine Koalition der Opernbesucher«, rief sie Grünen und Christdemokraten zu und bekam kräftigen Beifall von Neumann. Als hätte es die jahrelange Feindschaft nicht gegeben, stehen die Zeichen auf Annäherung der beiden Oppositionsparteien. SPD-Landeschef Ingo Egloff überraschte am Dienstag mit der Aussage, daß ein Bündnis mit den Linken, die er bislang wahlweise als »Dummköpfe«, »Stalinisten« oder »Sektierer« bezeichnet hatte, nach der Bürgerschaftswahl 2012 denkbar sei.

Noch einen Schritt weiter ging die Kreisorganisation der Eimsbüttler SPD. Auf einem Parteitag beschloß sie Anfang der Woche, eine Koalition mit der Linkspartei auf Bezirksebene anzustreben. Da wäre auch die Eimsbüttler GAL im Boot, und »rot-rot-grün« hätte die Mehrheit in der Bezirksversammlung. Ob es zu einer solchen Koalition in Eimsbüttel komme, sei aber noch »völlig offen«, versicherte die Linke-Bezirkssprecherin Cornelia Hippler-Sattler am Donnerstag gegenüber junge Welt. Über die Aufnahme von Gesprächen müsse eine Mitgliederversammlung am 9. Juni entscheiden. Nach uns vorliegenden Informationen, haben solche Gespräche aber längst stattgefunden. SPD Kreischef Jan Pörksen sicherte der Linken dabei zu, alle Forderungen ihres Wahlprogramms zu unterstützen, unterzeichne diese einen Bezirks-Koalitionsvertrag.

Anmerkung: Die im obigen Artikel kursiv wiedergegebenen Texte wurden für die Veröffentlichung in der Tageszeitung „Junge Welt“ leider aus Platzgründen gestrichen. Zudem schlich sich dort ein Fehler ein: Aus dem Satz „SPD-geführte Vorgängerregierungen blieben außen vor“ (in dem Absatz zu Dora Heyenn) wurde der Satz „SPD und Grüne blieben außen vor“, was aber richtig falsch ist, denn die Grünen kritisierte Heyenn äußerst scharf.

Verwendung zum Teil: Junge Welt vom 30. Mai 2008
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27. Mai 2008

Uwe Menke PorträtAuf der roten Felseninsel Helgoland erzielte Die Linke ihr bestes Ergebnis bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Ein Gespräch mit Uwe Menke

Der Wetterdiensttechniker Uwe Menke ist Gemeinderatsmitglied für die Partei Die Linke in Helgoland. Bei den ­schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen am Sonntag erreichte die ­Partei auf der Insel bei etwa 1300 Wahlberechtigten zwei von 13 Mandaten.

Ihre Partei bekam am Sonntag 16,1 Prozent der Stimmen und kann in den Gemeinderat von Helgoland einziehen. Haben Sie selbst mit einem so hohen Anteil gerechnet?

Eigentlich schon, denn die Resonanz bei den Bürgern war sehr gut. Als erste Partei überhaupt haben wir in Helgoland einen Wahlkampf geführt. Bislang war das nicht üblich, und es beschränkte sich alles auf eine Postwurfsendung. Mit den Bürgern zu sprechen, das ist unsere Erfindung. Schon deshalb haben wir dieses Ergebnis verdient.

Welche Gründe gibt es für die Helgoländer, die Linke zu wählen? Hartz IV dürfte auf ihrer Insel doch kaum eine Rolle spielen?

Das ist ein Irrtum. Hartz IV und der damit verbundene Sozialklau spielen gerade bei uns eine große Rolle. Wir Helgoländer sind vom Tourismus abhängig. Die Sommersaison ist aber relativ kurz. Viele sind nur sechs bis sieben Monate im Jahr beschäftigt. Für den Rest der Zeit erhielten sie früher Arbeitslosengeld. Jetzt gibt es noch diese Hartz-IV-Sätze, von denen aber kaum jemand leben kann.

Außerdem haben wir das Problem, daß der Tourismus nicht mehr so läuft wie noch vor Jahren. Früher hatten wir jährlich rund 500000 Tagesbesucher. 2007 waren es noch 300000. Eingebrochen sind auch die Umsätze bei den »Butterfahrten«. Da Helgoland zollfrei ist, kann man hier Schnaps und Tabak billiger bekommen. Doch die Besucher kaufen immer weniger. Die bisher im Gemeinderat vertretenen Parteien haben diese Entwicklung verschlafen und häufig nur abgenickt, was ihnen die Verwaltung vorgab. Das werden wir ändern.

Mit welchen Vorschlägen wird Ihre Partei diese Probleme angehen?

Die Bedeutung von Kurzreisen nimmt zu. Für uns geht es deshalb auch um viele Kleinigkeiten. Es kann doch nicht angehen, daß z.B. unser Schwimmbad ausgerechnet am Ostermontag geschlossen ist. In Helgoland gibt es neben der Hauptinsel noch die Düne. Sie gilt als Badeinsel. Wir fordern, daß die Fährverbindung zwischen beiden Inseln verbessert wird. Wenn da, wie jetzt, die letzte Fähre schon um 20 Uhr absetzt, dann befördert dies den Tourismus nicht. Auch daß Kurkonzerte fehlen, während das Geld für irgendwelchen Schickimicki-Krempel ausgegeben wird, ist nicht zu akzeptieren.

Wahlkampf im Schatten der »langen Anna«. Wie kann man sich das vorstellen?

Die alten Fraktionen hatten sich abgesprochen, daß es Infostände oder öffentliche Wahlkampfauftritte nicht gibt. Wir sind zunächst mit einem Bauchladen über die Insel gezogen, um mit den Bürgern zu sprechen, ihnen unser Wahlprogramm bekanntzumachen. Die Zahl unserer Mitglieder wuchs dabei von drei auf 14. Nun ließen wir es uns auch nicht mehr nehmen, Infotische aufzubauen. Das haben wir über die Kommunalaufsicht durchgesetzt. Außerdem geben wir unsere Kleinzeitung »Die rote Socke« heraus, mit der wir die anderen Parteien richtig unter Druck gesetzt haben. Plötzlich schrieb auch die SPD ein Kommunalwahlprogramm. Da haben sie zwar viel bei uns abgekupfert, doch der Wahlkampf wurde so inhaltlicher und es ging nicht mehr nur um Personen. Besondere Unterstützung erhielten wir von unserem Parteichef Lothar Bisky und unserer Landessprecherin Antje Jansen. Seit ihrem Auftritt bei uns betrachten wir die beiden als Freunde unserer Insel.

Ein Hotelbesitzer hat jetzt vorgeschlagen, die Hauptinsel mit der Düne durch eine Landanbindung zu vereinen. Was halten Sie davon?

Da sind wir sehr skeptisch. Zunächst muß diskutiert werden, was das dann für alle Helgoländer heißt.

Bislang konnte Helgoland nur mit Börte-Booten erreicht werden. Sie nahmen die Passagiere der Fährdampfer auf. Jetzt gibt es eine erste Schnellfähre, die direkt anlegt. Was passiert mit den Börte-Booten?

Das Hauptproblem besteht darin, dass die Reeder immer nur rausholen wollten, nichts in ihre Schiffe hineingesteckt haben. Modernen Sicherheitskriterien entsprechen sie deshalb nun nicht mehr. Da muß dringend was gemacht werden, denn an den Börte-Booten hängen 30 Familien. In diesem Zusammenhang: Wir fordern, dass es eine tägliche Verbindung auch im Winter mit dem Festland gibt. Es kann doch nicht sein, daß ein einzelner Ort an bestimmten Tagen nicht erreichbar ist.

Mit wem werden Sie im Gemeinderat zusammenarbeiten?

Das hängt von den Sachfragen ab. Probleme wird es sicherlich mit der SPD geben. Denn die sagt in den Ausschüssen etwas ganz anderes als im Gemeinderat. Solche Unzuverlässigkeit lehnen wir ab.

Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 27. Mai 2008
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27. Mai 2008

Der Lack ist ab: Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bekam, wie auch die SPD, bei den Kommunalwahlen die Quittung für seine PolitikBei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein setzte Die Linke ihre Erfolgsserie in den alten Bundesländern fort

Herbe Verluste für CDU und SPD, ein sensationell gutes Wahlergebnis für Die Linke und Stimmengewinne für andere kleinere Parteien, so läßt sich das Resultat der schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen vom Sonntag zusammenfassen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis stürzte die CDU dabei von 50,8 auf 38,6 Prozent ab. Fast moderat wirken da die Verluste der SPD. Sie verlor am Sonntag landesweit 2,7 Punkte, liegt jetzt bei 26,6 Prozent. Doch das ist zugleich ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis seit 1946. Auf Anhieb schaffte es hingegen die Linke, in sämtliche Kreistage, aber auch in etliche Stadt- und Gemeinderäte einzuziehen. Im Landesdurchschnitt liegt ihr Ergebnis bei 6,9 Prozent. Zugewinne verzeichnen auch die Grünen (+1,9 auf 10,3 Prozent ), die FDP (+3,3 auf 9,0 Prozent), die Freien Wählergemeinschaften (+2,5 auf 5,1 Prozent ) und der Südschleswigsche Wählerverband SSW (+0,5 auf drei Prozent). Letzterer trat allerdings nur in Nordfriesland, Rendsburg-Eckernförde, Kiel und Schleswig-Flensburg an. Dort erzielte die Interessenvertretung der dänischen und friesischen Minderheit fast ausnahmslos zweistellige Ergebnisse.

Nicht zufrieden sei er mit dem Ergebnis dieser Wahl, betonte noch am Abstimmungsabend Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Doch kommunalpolitisch sei seine Partei immerhin noch die »stärkste politische Kraft«, versuchte er der Situation dennoch etwas Positives abzugewinnen. Ähnlich sein Koalitionspartner, designierter Herausforderer für die Landtagswahlen 2010, Ex-Innenminister und SPD-Landeschef Ralf Stegner. Trotz des desaströs schlechten Ergebnisses für seine Partei frohlockte dieser, daß nun die Zeit »schwarzer Mehrheiten« vorbei und »Gestaltungsmehrheiten« in den Kommunen erkennbar seien.

Als eine »schallende Ohrfeige« für ihre »unsoziale Politik in Bund, Land und Kommunen« bewerteten die Landessprecher der Linken, Antje Jansen und Lorenz Gösta Beutin, die Resultate von CDU und SPD. Demgegenüber sei die eigene Partei nun auch in Schleswig-Holstein als »eine starke, linke Opposition« angekommen. FDP-Landeschef Wolfgang Kubicki forderte »unverzügliche Neuwahlen« für den Landtag. Die Menschen seien der »Politik der großen Koalition überdrüssig«, so Kubicki.

Noch bis kurz vor dem Urnengang hatte auch Carstensen von einer »Testwahl« für die von ihm geführte Landesregierung gesprochen. Die Stimmberechtigten blieben dennoch eher desinteressiert. Die Wahlbeteiligung fiel mit 49,5 Prozent auf ein Rekordtief.

Abgestraft wurden CDU und SPD vor allem in den größeren Städten. In Flensburg etwa sank ihr gemeinsamer Stimmenanteil von bislang 62 auf 36 Prozent. Hauptgewinner ist hier die Wählerinitiative »Wir in Flensburg«, die auf Anhieb 22,3 Prozent erreichte. Der eher im linken Spektrum angesiedelte SSW erreichte 22 Prozent, und Die Linke zog mit 7,3 Prozent in den Stadtrat ein.

Noch bessere Ergebnisse erzielte diese Partei in Neumünster (13,2), in Lübeck (11,7), Kiel (11,1), Heide (10,2), Itzehoe (9,3), Wedel (8,8), Norderstedt (8,4) und Rendsburg (acht Prozent). Auf der Hochseeinsel Helgoland gewann sie bei den Gemeinderatswahlen sogar sensationelle 16,1 Prozent der Stimmen. In den Kommunalparlamenten werde seine Partei ihren Kurs »klarer, linker Opposition« nun fortsetzen, sich allenfalls in Sachfragen auf eine »Politik wechselnder Mehrheiten« einlassen, betonte Beutin. Allein dies sei die Voraussetzung dafür, 2010 mit einem guten Ergebnis auch in den Landtag einzuziehen.

Unter ihren Erwartungen blieb indes die NPD. Landesweit erzielte die Neonazipartei nur 0,4 Prozent. Da erstmals für die Kommunalwahlen die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr galt, gelang es der Organisation allerdings, in Kiel mit 1,7 und in Lauenburg mit 2,1 Prozent jeweils ein Mandat zu gewinnen. Noch am Samstag hatten mehrere tausend Menschen mit einer Demonstration quer durch die Landeshauptstadt vor einem Vormarsch der Rechten gewarnt und ein Verbot der NPD gefordert.

Verwendung: Junge Welt vom 27. Mai 2008
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21. Mai 2008

Protest gegen Nazi-Aufmarsch in Kiel, Januar 2005Schleswig Holstein: Antifaschistisches Bündnis mobilisiert vor Kommunalwahlen am Sonntag zu Protesten gegen rechts

Unter der Losung »Keine Stimme den Nazis« ruft ein »Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus« für Samstag in Kiel zu einer Demonstration auf. Anlaß für diese Aktion am Vorabend der schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen, sei der Versuch der NPD, am Sonntag auch in den Kieler Stadtrat einzuziehen. Doch nicht nur in der Landeshauptstadt, auch in Ostfriesland, Ostholstein und Lauenburg will die Neonazipartei mit 102 Kandidaten und unter der Losung »Deutsche Sozialleistungen nur für Deutsche« bei diesen Kommunalwahlen punkten. »Selbst haben die nur 240 Mitglieder«, sagte Bettina Jürgensen, eine der Sprecherinnen des antifaschistischen Bündnisses und Bezirkschefin der DKP in Schleswig-Holstein gegenüber junge Welt. Aber sie seien eng verwoben mit den »Freien Kameradschaften«, und ihr Wahlkampf ziele auf »Haß gegen Minderheiten, Rassismus und Ausgrenzung«. Durch die Beteiligung an den Wahlen und den möglichen Einzug in die Kommunalparlamente versuchten die Rechten zu einem »Teil des akzeptierten politischen Spektrums« zu werden, so Jürgensen. Doch weder in Kiel, noch irgendwo sonst in Schleswig-Holstein sei ein Platz für die Nazis, heißt es in dem Aufruf für die Demonstration, die von der DIDF, diversen Gewerkschaftsgruppen, dem Kreisschülerrat, der VVN-BdA sowie Linkspartei und DKP unterstützt wird.

Daß etliche der rechten Kandidaten wegen Körperverletzung oder Volksverhetzung bereits rechtskräftig verurteilt worden sind, macht ihr Auftreten zu einem besonderen Skandal. Das Antifa-Bündnis verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die in Kiel antretenden Zwillingsbrüder Lars und Filip Jochimsen. Erst kürzlich mußten beide wegen schwerer Körperverletzung und illegalem Waffenbesitz eine einjährige Haftstrafe absitzen. Verwiesen wird außerdem auf den vorbestraften NPD-Kandidaten Peter von der Born. Dieser fiel in der Vergangenheit auch dadurch auf, daß er Antifaschisten mehrfach zusammenschlug.

Solche Leute würden nun in Kiel versuchen, auch die Kontrolle über Teile des öffentlichen Raums zu erlangen, so Jürgensen. Was das heißt, wurde vielen Kielern am 20. April bewußt: Unter Polizeischutz feierten 30 grölende Neonazis in der Preetzer Straße im Stadtteil Gaarden Hitlers Geburtstag. Mit nächtlichen Anschlägen auf Räume von Initiativen, Kultur- und Wohnprojekten, einem Kinder- und einem Buchladen, aber auch auf Privatwohnungen hielten sie anschließend den Stadtteil eine Woche lang im Atem. Vor Veranstaltungslokalen der Linkspartei zerstachen sie Fahrradreifen und warfen Pflastersteine in Fenster- und Schaufensterscheiben. Auch die Scheiben einer Arbeitsloseninitiative gingen zu Bruch. Hinzu kamen mehrere Messerattacken gegen ausländische Jugendliche.

Die Angriffe richteten sich »gezielt gegen Personen, Projekte und Einrichtungen, die nicht in das rassistische und menschenfeindliche Weltbild der Neofaschisten passen«, sagte Jürgensen. Doch Polizei und Staatsschutz würden deren Krawalle nur als Teil eines »Bandenkriegs« bewerten und dem Treiben keinen Einhalt gebieten. Anfang Mai demonstrierten rund 500 Antifaschisten gegen die zunehmende rechte Gewalt. Am Samstag soll ein noch deutlicheres Zeichen gegen rechts in Kiel gesetzt werden.

Samstag, 24. Mai, 11.30 Uhr, Bahnhofvorplatz: »Keine Stimme den Nazis«, Demo

Verwendung: Junge Welt vom 21. Mai 2008
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19. Mai 2008

Ihre Stimme fuer unsSchleswig-Holstein wählt am Sonntag neue Kommunalparlamente. Partei Die Linke hofft auf Lübeck, rechnet sich aber auch anderswo gute Chancen aus

Am kommenden Sonntag stehen in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen an, bei denen in vielen Kommunen auch linke Kandidaten antreten. Mit einer Wahlveranstaltung stimmte sich Die Linke am Freitag abend in Kiel auf den Endspurt ein.

Spannend könnte es für die Partei vor allem in Lübeck werden. Erdrutschartige Verluste von 50 auf 32 Punkte haben Meinungsforschungsinstitute jedenfalls der bislang das Rathaus beherrschenden CDU schon vorausgesagt. Davon profitieren würde vor allem Die Linke, die mit neun Prozent erstmals in das Rathaus einzöge. Da gleichzeitig die SPD aus ihrem Tief von 2003 (32,4 Prozent) mit 34 Punkten kaum herauskäme und Die Grünen (plus 2,8) und die FDP (plus 0,8) leicht zulegen, wäre – abseits einer großen Koalition oder eines Bürgerblocks von CDU, FDP, Grünen und der mit vier Punkten gehandelten Wählerinitiative »Bürger für Lübeck« – eine »rot-rot-grüne« Mehrheit im Rathaus durchaus möglich.

Doch Berlin habe gezeigt, daß solche Bündnisse nur dazu führen »das eigene Gesicht zu verlieren«, warnte bei der Wahlveranstaltung die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht ihre schleswig-holsteinischen Parteifreunde. Mit »konsequenter, linker Opposition« könne man mehr bewegen, rief sie vor 120 Zuhörern aus. Richtig in Stimmung kam ihr Publikum, als sie den Sozialdemokraten im Zusammenhang mit deren Forderung nach einem Mindestlohn »Heuchelei« vorwarf. »Wer hat denn die Hartz-IV-Gesetze auf den Weg gebracht, die heute Grundlage für die Dumpinglöhne sind«, fragte die Rednerin. »Nichts als Lügen« gingen von den etablierten Parteien aus, geißelte die EU-Parlamentarierin auch die »Sparzwanglüge« und die Politik der Privatisierungen. Letztere würden nur dazu dienen, daß dann »alles nach der Maxime des Maximalprofits« verlaufe.

Das linke Spitzenquintett für die Kommunalwahl 2008 im Herzogtum Lauenburg - Foto von links - Falko Kortylak, Ellen Streitbörger, Michael Schröder, Claus-Peter Feindt und Andrea BrunswikSeine Partei werde sich auch in Kiel gegen Privatisierungen jeglicher Art zur Wehr setzen, versprach Florian Jansen, Listenplatz-Dritter der Linken zu den Kieler Stadtratswahlen. Er halte sieben Prozent für möglich. Dann, so der 30jährige Student im Gespräch mit jW, werde er im Stadtrat beantragen, daß »alle Ein-Euro-Jobs in reguläre Arbeitsplätze mit einem Mindestlohn von 8,44 Euro« umgewandelt würden und allen Kindern eine »kostenlose Kita-Betreuung« zur Verfügung stünde. »Wir wollen Sprachrohr für diejenigen sein, die sonst nicht mehr zu Wort kommen«, ergänzte Linke-Landessprecher Lorenz Gösta Beutin gegenüber jW. 350 Kandidaten habe seine Partei flächendeckend aufgestellt. Für alle Kreistage, auch für etliche Gemeindevertretungen.

Lothar Bisky auf Helgoland - hier im Bild mit Linke-Co-Landessprecherin Antje JansenLinke-Parteichef Lothar Bisky präsentierte sich unterdessen zur gleichen Zeit auf Helgoland. »Hartz IV muß weg« das sei besonders wichtig für diesen Ort, in dem viele Menschen nur von Saisonarbeitsplätzen lebten. Sieben Kandidaten vom Wetterdiensttechniker bis zur Raumpflegerin hat Die Linke auf der Hochseeinsel für den Gemeinderat aufgestellt. Im Wahlkampf sei deren Resonanz ausgesprochen positiv, berichtet Beutin.

Schwieriger hat es Die Linke allerdings in Dithmarschen, Nordfriesland, in Schleswig und Flensburg. Nördlich des Nord-Ostsee-Kanals beginnt nämlich das Stammland des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW). Und der greift viele Punkte schon auf, die durchaus auf Linie der Linkspartei liegen. Im Landtag sind es die SSW-Abgeordneten Anke Spoorendonk und Lars Hansen, die der auf Sozialkahlschlag basierenden Politik der CDU-SPD-Koalition widersprechen. Auch die »Privatisierung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge« lehnt die Interessenvertretung der dänischen und friesischen Minderheit grundsätzlich ab.

In den Kommunalparlamenten werde der SSW deshalb zu den Bündnispartnern der Linken gehören, meint Beutin. Er ist sich zugleich sicher, daß es Die Linke auch im Norden des Landes schafft, in Stadt- und Gemeinderäte einzuziehen. Die Chancen dafür stünden um so besser, weil das Bundesverfassungsgericht im Februar die Fünf-Prozent-Hürde gekippt habe.

Das allerdings könnte auch der NPD zugute kommen. Unter dem Motto »Deutsche Sozialleistungen nur für Deutsche« versuchen 102-Nazi-Kandidaten – darunter etliche aus den »Freien Kameradschaften« – in Nordfriesland, Lauenburg, Ostholstein und in Kiel zu punkten. Antifaschistische Bündnisse stehen dem entgegen; sie verweisen darauf, dass etliche rechte Kandidaten schon wegen Volksverhetzung oder Körperverletzung verurteilt worden sind. Unter der Losung »Keine Stimme den Nazis« rufen sie für Samstag zu einer Demonstration quer durch Kiel auf.

[Anmerkung: Für die Veröffentlichung in der Tageszeitung „Junge Welt“ mussten einige Passagen aus Platzgründen gekürzt werden. Sie sind hier kursiv gesetzt.]

Verwendung (leicht gekürzt) in: Junge Welt vom 19. Mai 2008
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16. Mai 2008

Wilhelms Rahlfs

Hamburg. Der ehemalige Wirtschaftssenator der Freien Hansestadt Hamburg, der FDP-Mann Wilhelm Rahlfs (links), hat den Schauspieler Rolf Becker bei einer öffentlichen Lesung zum Jahrestag der Bücherverbrennung tätlich angegriffen. Becker rezitierte gerade am Hamburger Heinrich-Heine-Denkmal Texte des Dichters, als sich von hinten ein älterer Mann näherte und dem Schauspieler seinen Gehstock quer über den Rücken schlug. Entsetzt rief dieser: »Was fällt Ihnen ein?«, setzte dann aber seine Lesung fort.

Ein Amtsrichter (rechts im Bild) hatte den Vorfall beobachtet. Informierte Polizeibeamte stellten daraufhin dessen Identität fest. jW wurde sie am gestrigen Donnerstag bekannt.

Rahlfs war von 1987 bis 1991 Wirtschaftssenator unter den damaligen SPD-Bürgermeistern Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau. Von 1970 bis 1974 und 1987 bis 1993 gehörte er der Hamburger Bürgerschaft an. Was den späteren Vorsitzenden des Tourismusverbands der Hansestadt zu seiner Knüppelattacke trieb, ist bislang nicht bekannt. Becker kündigte an, Strafantrag gegen Rahlfs zu stellen.

Verwendung: Junge Welt vom 16. Mai 2008
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1 Kommentar

09. Mai 2008

Hamburger Bündnis gegen RechtsHamburger Bürgerschaft diskutierte über rechten Aufmarsch am 1. Mai. GAL und CDU wollen von Neonazigewalt nichts wissen und sagen »linken Chaoten« den Kampf an

Die Grün-Alternative Liste (GAL) hat am Mittwoch abend in der Hamburgischen Bürgerschaft gezeigt, was mitregieren für sie heißt. Sie verteidigte das »Demonstrationsrecht« für Neonazis. Unter dem Titel »Konsequenzen aus dem Neonaziaufmarsch am 1. Mai ziehen« hatte die Partei Die Linke das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. CDU und Grünen fielen zu dem Aufmarsch und den antifaschistischen Protesten im Arbeiterstadtteil Barmbek aber nur die Stichworte »Krawall« und »Keine Toleranz gegen Gewalt« ein. Letztere ordneten sie den Gegendemonstranten zu. Die Partei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wollte die Gelegenheit offenbar nutzen, um klarzumachen, wer in der Bürgerschaft das Sagen hat. Von Beust war zuvor mit den Stimmen seiner Partei, der Grünen sowie einer weiteren aus dem Oppositionslager erneut zum Bürgermeister gewählt worden. Daß die Abgeordneten der Grün-Alternativen Liste (GAL) nicht mucken würden, war zu erwarten. Der Übereifer, mit dem sie dann agierten, überraschte aber doch. Grünen-Vize-Fraktionschef Christian Maaß ließ keinen Zweifel daran, daß eine »Unschuldsvermutung« auch für Neonazis zu gelten habe. Schon deshalb habe der Aufzug nicht verboten werden können.

Die Vizefraktionschefin der Linken, Christiane Schneider, stellte dagegen klar, daß es eine »Fehleinschätzung hinsichtlich der von den Nazis ausgehenden Gefahren« gegeben hat. Faktenreich wies sie im Rathaus nach, wie viele Übergriffe es an diesem Tag durch die etwa 1000 angereisten Rechten auf Ausländer, Antifaschisten und Journalisten gab. Der Gipfel sei gewesen, wie diese schon bei ihrer Anreise einen ganzen S-Bahn-Zug gekapert hätten. Durch den Zuglautsprecher hätten sie bekanntgegeben, »daß Deutsche und Ausländer künftig wieder getrennt verreisen. Letztere in Viehwaggons«. Allein das, sagte Schneider, hätte reichen müssen, den Aufmarsch noch zu verbieten. Völlig unverständlich sei es ihr daher, wie prügelnde Polizisten dann versucht hätten, den Neonazis die Straßen frei zu machen. Nur der »politischen Entschlossenheit« der 10000 Gegendemonstranten sei zu verdanken, daß dies mißlungen sei.

Derartige Blockaden will der »schwarz-grüne« Senat künftig als »gewalttätig« diffamieren. An der Absicht seiner Partei, die »Linkschaoten« zu bekämpfen, ließ der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Manfred Jäger, keinen Zweifel. Scharf attackierte er das Oberverwaltungsgericht, weil dieses per Eilentscheidung auch die Antifaschisten nach Barmbek gelassen hatte. Erst dadurch seien die »Krawalle« möglich gewesen. »Da ist was schiefgelaufen« befand denn auch der innenpolitische Sprecher der SPD Andreas Dressel.

Die grüne Abgeordnete Antje Möller distanzierte sich schließlich von den Antifaschisten: Gewalt stünde im Widerspruch zu einer »bunten, vielfältigen und friedlichen« Demonstration. »Wir verurteilen jede Gewalt – egal, von welcher Seite«, so Möller. Ihr Vizefraktionschef Maaß befand gar, der »Schutz Andersdenkender« gehöre nun mal zur Demokratie. Das machte Eindruck auf den Koalitionspartner. Der CDU-Mann und am Mittwoch vereidigte Innenminister Christoph Ahlhaus versprach, die Gewalttäter auch künftig zu bekämpfen. Daß die nicht bei den Neonazis, sondern im Hamburger Bündnis gegen rechts zu suchen sind, schien bei CDU und Grünen ausgemachte Sache zu sein. Und wenn die Neonazis doch ein bißchen über die Stränge geschlagen hätten? Karl-Heinz Warnholz (CDU) hat eine einfache Erklärung: Die Übergriffe der Rechten seien erst durch den Aufruf der Antifaschisten, »den Nazis keinen Meter« zu geben, provoziert worden.

Antifaschistische Positionen bezog hingegen der Fraktionskollege von Dressel, ver.di-Landesbezirkschef Wolfgang Rose (SPD): Wenn 75 Jahre nach der Erstürmung des Gewerkschaftshäuser Nazis durch Hamburg marschieren, dann sei dies für alle Gewerkschafter eine »ungeheuere Provokation«. Ihm fehle daher jedes Verständnis, daß der Nazi-Marsch und die damit zusammenhängende »Volksverhetzung« nicht verboten worden wäre. Ähnlich die Bauer-Konzernbetriebsrätin und Linkspartei-Abgeordnete Kersten Artus. Für sie war der Nazi-Aufmarsch gar eine »Kriegserklärung« an alle »arbeitenden und erwerbslosen Menschen«. Dem entgegenzutreten, sei notwendig gewesen.

[Anmerkung: in der Veröffentlichung für die Tageszeitung musste der letzte Absatz dieses Berichts – hier kursiv dargestellt – aus Platzgründen leider gestrichen werden.]

Verwendung: Junge Welt vom 9. Mai 2008
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06. Mai 2008

Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere. Gewerkschaft kündigt Verfahren vor Arbeitsgerichten an

In Hamburg hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Montag die bundesweit erste gewerkschaftliche Anlauf- und Beratungsstelle für Illegalisierte, also Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, eingerichtet. Allein in der Hansestadt gäbe es rund 100000 Illegalisierte, bundesweit rund eine Million, begründete dies ver.di Fachbereichsleiter Peter Bremme. Viele von ihnen würden in Privathaushalten als Hilfs- und Reinigungskräfte arbeiten. Andere in der Pflege oder Gastronomie, auf dem Bau, im Hafen oder als Sexarbeiterinnen. Die Gewerkschaft sei auch für die Interessenvertretung dieser Menschen zuständig, so Bremme.

Die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic verwies am Montag vor der Presse auf eine Studie, wonach in 7,5 Prozent aller Privathaushalte regelmäßig Putz- oder Haushaltshilfen beschäftigt sind. Dies entspräche rund 2,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen. »Doch nur 40000 dieser Jobs tauchen in der Sozialversicherungsstatistik auf«, so Mitrovic. Es seien eben vielfach Illegalisierte, die einen oder auch mehrerer solcher Jobs ausüben. Das träfe auch auf die besonders schmutzigen und gefährlichen Container-Reinigungen im Hafen zu. Angeworben über bestimmte Kneipen, angeheuert durch Subunternehmer, gäbe es dort Stundenlöhne von weniger als drei Euro. Und selbst um diese würden die Betroffenen vielfach noch geprellt.

Die Idee zur Schaffung der Beratungsstelle mit dem Namen MigrAr sei im Arbeitskreis »undokumentierte Arbeit« entstanden, berichtet Bremme. Daraus ergebe sich nun ein enges Beziehungsfeld zu weiteren Einrichtungen der Migrationsarbeit. Ziel der gemeinsamen Arbeit sei es, Menschen ohne Papiere einen Zugang zu ihren Rechten zu ermöglichen. Jeden Dienstag in der Zeit zwischen 10 und 14 Uhr erhalten Betroffene nun im ver.di-Center kostenlos Auskunft zu Fragen des Arbeits- und Sozialrechts. In Fällen von Lohnprellerei, verweigertem Gesundheitsschutz oder der Einschränkung von Freiheitsrechten, würden Verfahren vor dem Arbeitsgericht angestrengt. Ähnliches gelte zudem, wenn Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetzt nicht gewährt wurde.

Erst kürzlich habe ein Gerichtssprecher darauf hingewiesen, daß solche Gerichtsverfahren möglich sind, ohne daß der Richter gleich die Ausländer- und Abschiebebehörden informiere, erklärte ver.di-Mann Bremme.

Die Beratungsstelle werde mit »äußerster Sensibilität« arbeiten, betont die Sozialarbeiterin Monica Orjeda. Bestünde bei Betroffenen die Angst das verdi-Center zu besuchen, etwa weil befürchtet wird, die Ausländerbehörde bekäme das mit, würden Mitarbeiter die Betroffenen auch zu hause aufsuchen. Für die Sozialarbeiterin ergeben sich zwei Ziele für die neue Einrichtung: Erstens den Illegalisierten zu verdeutlichen, daß sie nicht allein und auch nicht rechtlos sind; zweitens, genau dies auch den Arbeitgebern klar zu machen. Der Schutz vor einer möglichen Abschiebung habe dabei höchste Priorität. Um die Beratungsstelle noch besser den Bedürfnissen der Betroffenen anzupassen, werde zudem eine auf Interviews basierende Studie vorbereitet.

Bremme ging abschließend noch einen Schritt weiter: Es sei rechtlich kein Problem sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auch unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus zu schaffen. Dem neuen schwarz-grünen Senat schlug Bremme deshalb vor eine Legalisierungskampagne für das »Tor zur Welt« einzuleiten. So könnte aus den vielen »Prüfaufträgen« des Koalitionsvertrags doch noch Realpolitik werden, sagt Bremme.

Kontakt zur Beratungsstelle: 040/2584138

[Anmerkung: in der Veröffentlichung für die Tageszeitung junge Welt mussten bestimmte Passagen, sie sind oben zur Verdeutlichung kursiv gesetzt, aus Platzgründen leider weggelassen werden.]

Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 6. Mai 2008
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02. Mai 2008

IG Metall Jugend und IG Metall Senioren aus HamburgMit einer machtvollen Demonstration haben am 1. Mai mehr als 8000 Menschen gegen einen Neonaziaufmarsch im Hamburger Arbeiterstadtteil Barmbek demonstriert. Unter dem Motto »Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen« war deren Zusammenrottung vor allem als Provokation gegen die Gewerkschaften gedacht. Denn 75 Jahre nachdem die Gewerkschaftshäuser von Nazis besetzt worden waren, hatten deren Erben ihre Veranstaltung ausgerechnet für jenen Ort angemeldet, an dem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seine traditionelle Maikundgebung durchführen wollte. Der verzog sich daraufhin in das zehn Kilometer entfernt liegende St. Pauli, was von vielen Gewerkschaftern als Zurückweichen vor den Rechtsextremisten kritisiert wurde.

Dagegen hielten allerdings eine Barmbeker Anwohnerinitiative und das »Hamburger Bündnis gegen Rechts«, welches auch von der Gewerkschaftsjugend unterstützt wurde. Die erfolgreiche Mobilisierung führte dazu, daß die rund 1000 angereisten Neonazis kaum vom Fleck kamen, obwohl ein Großaufgebot von Bereitschaftspolizisten mit Wasserwerfern und Knüppelattacken immer wieder versuchte, das »Demonstrationsrecht« der Neonazis zu »verteidigen«. Und das, obwohl das Oberverwaltungsgericht Hamburg am Vorabend die ursprünglich von der Innenbehörde verfügte Absperrung des Stadtteils, vor allem der Fuhlsbüttler Straße, für die antifaschistischen Demonstranten aufgehoben hatte.

Unter dem Motto »Barmbek nimmt Platz« verzögerten die Teilnehmer ihr Marschtempo erheblich, was dazu führte, daß der braune Aufmarsch steckenblieb. Es sei eine »Schande für die Demokratie und für Hamburg«, daß erst couragierte Antifaschisten kommen müßten, um die Neofaschisten zu stoppen, hatte zuvor die 84jährige Naziverfolgte und Auschwitz-Überlebende Esther Béjarano den Teilnehmern der antifaschistischen Demonstration das Ziel des Tages vorgegeben: Nazis zu stoppen, wo immer man sie trifft. Auch außerhalb des Demonstrationszuges schnitten daraufhin Antifaschisten den Ansammlungen der Neonazis immer wieder ihren Weg ab. Lange Zeit blieben diese deshalb in kleinere und von Gegendemonstranten belagerte Kleinstgruppen aufgeteilt. Sporadisch kam es dabei zu Auseinandersetzung zwischen Nazigegnern und der Polizei. Augenzeugen berichteten, daß einige Mülltonnen und Papierkörbe angezündet sowie Rauchbomben geworfen wurden. Ein Einsatzfahrzeug der Polizei sei umgeworfen worden, sagte ein Behördensprecher.

Einen weiteren größeren NPD-Aufmarsch gab es mit 1000 Teilnehmers in Nürnberg, wo der Parteivorsitzende Udo Voigt als Hauptredner auftreten sollte. Seit dem Vormittag zogen 4000 Antifaschisten durch die Stadt, die von der Polizei daran gehindert wurden, zu den Neonazis vorzudringen. Laut Polizei kam es zu »vereinzelten leichten Rangeleien« zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten.

Bilder zur antifaschistischen Demonstration sehen Sie hier.

Verwendung: Junge Welt vom 02. Mai 2008