27. September 2007

Thomas Meese
Landesparteitag: Hamburger Linkspartei diskutiert über Alternativen zu Ein-Euro-Jobs. Ein Gespräch mit Thomas Meese

Der Soziologe Thomas Meese engagiert sich als Parteiloser in der Hamburger Arbeitsgemeinschaft »Arbeit und Armut« der Partei Die Linke

Auf dem am Wochenende stattfindenden Landesparteitag der Hamburger Linken drohen heftige Kontroversen. Umstritten ist eine Passage aus dem Entwurf zum Wahlprogramm nach der Die Linke für den Ausbau eines neuen und öffentlich geförderten Beschäftigungssektors eintreten will. Sie nennen das die Fortsetzung »schmutziger Geschäfte« mit Erwerbslosen. Warum?

Ganz gezielt und schon seit Anfang der 90er Jahre wurden auch in Hamburg immer mehr Stellen im öffentlichen Bereich abgebaut. Das heißt, daß die jetzt vorhandene Erwerbslosigkeit nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Gründe hat. Von der Politik wird immer so getan, als sei die hohe Arbeitslosigkeit vor allem das Problem der Betroffenen. Diese müßten durch sogenannte Trainings- oder andere Repressionsmaßnahmen wieder fit gemacht werden, heißt es. Dieser auch in das Sozialgesetzbuch gegossene Geist besagt zudem, daß die Erwerbslosen dazu gezwungen werden dürfen, jede Art von Beschäftigung – egal wie sie aussieht oder bezahlt wird – anzunehmen.

Wenn das jetzt durch Die Linke aufgegriffen wird – sie will die bisherigen Ein-Euro-Jobs durch Arbeitgelegenheiten nach der sogenannten Entgeltvariante ersetzen –, dann finde ich das skandalös. Denn auch das sind schlecht bezahlte und irreguläre Zwangsarbeiten. Sie dienen gleichzeitig dazu, tariflich gesicherte und reguläre Arbeitsverhältnisse immer weiter zu verdrängen.

Die Autoren des Programms betonen aber, daß es auch ihr Ziel sei, die Langzeitarbeitslosen in tariflich geschützte und reguläre Arbeitsverhältnisse zu integrieren. Was müßte aus Ihrer Sicht passieren?

Wenn man die Erwerbslosen in reguläre Arbeitsverhältnisse dauerhaft integrieren will, dann ist das das richtige Ziel. Doch uns stellt sich die Frage, warum man den Umweg über einen öffentlich geförderten, aber privat organisierten Beschäftigungssektor gehen muß? Neue Stellen für Erwerbslose könnten doch direkt im öffentlichen Dienst oder im öffentlichen Bereich entstehen.

Solche Stellen würde die Bundesagentur für Arbeit (BA) aber nicht bezuschussen.

Das ist richtig. Doch wer sich der Logik eines zweiten oder gar dritten Arbeitsmarktes unterwirft, der muß sich sagen lassen, daß er sich damit in der politischen Zielrichtung der Agenda 2010 bewegt. Die Mittel von der Bundesagentur erhält man nur, wenn man auch die Repressionsspirale des Sozialgesetzbuches anerkennt. Gleichzeitig wächst damit der Druck, prekäre Beschäftigung und Niedriglohnbereiche immer mehr als Normalzustand anzuerkennen. Auch die Stellen in der sogenannten Entgeltvariante sind völlig rechtlose Arbeitsverhältnisse. Sie führen noch nicht einmal dazu, daß ein Neuanspruch auf Bezug des Arbeitslosengeldes I entsteht.

Eine emanzipatorische neue Linke darf sich niemals daran beteiligen, die rechtlichen und sozialen Standards der Normalarbeitsverhältnisse zu beseitigen. Unsere Haltung muß sein: Schluß damit!

Aber wie ist zusätzliche und öffentliche Beschäftigung ohne Zuschüsse der BA zu finanzieren?

Ich wiederhole: Wer sich auf solche Geschäfte einläßt, der nimmt damit auch die weitgehende Rechtlosigkeit der so entstehenden Arbeitsverhältnisse und den gesamten Repressionsapparat des Sozialgesetzbuches in Kauf. Die Linke sollte statt dessen betonen, daß das Recht auf gleichwertige Arbeit gleiche Entlohnung und gleiche Bedingungen einschließt. Das gilt laut Grundgesetz und Völkerrecht auch für Erwerbslose. Wie solche Stellen dann zu finanzieren sind, das ist erst die nächste Frage. Daß es aber auch auf lokaler Ebene möglich ist, zeigt zum Beispiel das skandinavische Modell.

Was erwarten Sie vom Hamburger Landesparteitag?

Ich erwarte, daß sich die Delegierten mit den Alternativvorstellungen unserer Arbeitsgemeinschaft auseinandersetzen. Ich erwarte, daß sie alles verwerfen, was auf eine weitere Entrechtung der Erwerbslosen oder die weitere Beförderung der Hartz-IV-Repressionsspirale hinausläuft. Das wäre für mich auch ein Kriterium dafür, ob Die Linke bei den Bürgerschaftswahlen wirklich wählbar ist.

Verwendung: Junge Welt vom 27. September 2007
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