11. Juli 2007

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Fusion der Partei Die Linke in Hamburg mit großer Geschlossenheit. Sofortprogramm verabschiedet. Ein Gespräch mit Christiane Schneider

Die Verlegerin Christiane Schneider ist Landessprecherin der Partei Die Linke in Hamburg

Auf dem Gründungsparteitag der Hamburger Linken wurden Sie am Wochenende mit einem ausgesprochen guten Wahlergebnis zur deren Landessprecherin gewählt. Doch als Sie 1993 mit ihrer Arbeitsgemeinschaft »Bund Westdeutscher Kommunisten« in die PDS eintreten wollten, waren Sie für die Zentrale in Berlin nicht mal als einfaches Mitglied erwünscht. Was ist seitdem passiert?

Daß mir am Wochenende dieses Vertrauen entgegengebracht wurde, hat mich gefreut. Doch ich möchte betonen, daß vier gleichberechtigte Landesprecher bzw. -sprecherinnen gewählt wurden. Seit 1993 hat sich viel geändert. Überreste der sogenannten Neuen Linken aus den alten Bundesländern sind inzwischen anerkannt in der Partei. Die, die das damals nicht wollten, haben hier dazugelernt.

Gelernt hat offenbar auch die Hamburger Linke. Obwohl der Landesverband inzwischen fast 1200 Mitglieder umfaßt, hat der Parteitag am vergangenen Wochenende fast alle Beschlüsse mit großer Mehrheit gefaßt. Haben sich die Streitigkeiten, die jahrelang das Bild der Hamburger Linken kennzeichneten, in Luft aufgelöst?

Die Widersprüche zwischen den verschiedenen Strömungen sind weiterhin da. Denn sie basieren ja auch auf ganz unterschiedlichen Erfahrungen. Doch gleichzeitig ist die Einsicht sehr groß, daß wir die jetzt gegebene Chance, auch in Hamburg eine starke Linke aufzubauen, nicht vergeben dürfen. Den Erwartungsdruck dafür gibt es aus der Bevölkerung, wie die guten Umfragewerte auch in Hamburg zeigen. Doch es gibt auch einen zweiten Grund: Die Hamburger Linke ist inzwischen so stark, daß wir unsere Forderungen nun so plazieren können, daß sie nicht nur von vielen wahrgenommen werden, sondern auch der politische Gegner an ihnen nicht mehr vorbeikommt und sich damit auseinandersetzen muß. Das ist für viele eine ganz neue Erfahrung.

Besteht in diesem Wachstum nicht die Gefahr, das eigene politische Profil zu verlieren?

Diese Gefahr besteht. Einmal die Gefahr der Anpassung an die herrschenden politischen Verhältnisse, aber auch und mehr noch die Gefahr einer reinen Antihaltung gegenüber den anderen Parteien, die damit verbunden ist, unerfüllbare Forderungen zu erheben oder Versprechungen zu machen. Wir müssen alles gründlich diskutieren und beide Fehler vermeiden.

Haben Sie deshalb für die Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 nur ein Minimalprogramm auf dem Parteitag aufgestellt?

Kein Minimal-, sondern ein Sofortprogramm. Enthalten sind darin jene Zielsetzungen, die wir sehr schnell in die Hamburger Bürgerschaft einbringen werden. Es sind Forderungen, die unmittelbar dringende Anliegen gegen Armut und Ausgrenzung aufgreifen und die zu erfüllen keine Veränderung der finanziellen Rahmenbedingungen erfordert.

Praktisch läuft das darauf hinaus, daß mit dem Sofortprogramm auch die Schwerpunkte für den Wahlkampf festgelegt sind. Sie bewegen sich dabei ausschließlich in dem Rahmen, der durch die neoliberale Wirtschaftspolitik bereits vorgegeben ist. Reicht das aus?

Diese Behauptung kann ich so nicht akzeptieren. Für die Betroffenen hätte die Durchsetzung auch nur eines Teils unserer Forderungen eine spürbare Auswirkung. Gelänge es zum Beispiel, die Praxis der Zwangsumzüge durch höhere Mietzuschüsse zu beenden, wäre der jetzt immense Druck auf viele ALG-II-Bezieher gemindert. Dann wäre Hartz IV zwar nicht weg, aber ein Schritt in diese Richtung wäre getan. Ähnlich im Bildungsbereich, wo wir nicht nur die Abschaffung der Stu­diengebühren und die Wiederherstellung der vollen Lern- und Lernmittelfreiheit einfordern, sondern die Schule für alle mit einem integrierten System von Klasse 1 bis Klasse 10. Das wäre durchaus ein Systemwechsel im Bildungswesen. Und die Forderung nach einer Rekommunalisierung bereits verkaufter Kliniken und Energiebetriebe hat auch für zukünftige Auseinandersetzungen um Privatisierungen eine erhebliche Bedeutung. Viele unserer Forderungen greifen Anliegen außerparlamentarischer Bewegungen und Initiativen auf. Denn nur durch eine enge Zusammenarbeit mit solchen Bewegungen und nur wenn es gelingt, eine öffentliche Meinung für Veränderung, für einen grundlegenden Politikwechsel zu schaffen, nur dann können wir in der Bürgerschaft eine wirksame und spürbare Opposition entwickeln.

Verwendung: Junge Welt vom 11. Juli 2007
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