17. Dezember 2007

Feuer und Flamme der RepressionMassive Behinderung der Demo gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat in Hamburg. Kundgebungsverbot in der City mit kreativen Aktionen unterlaufen

Rund 4000 Menschen haben am Samstag in Hamburg gegen den Strafrechtsparagraphen 129a (Bildung bzw. Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung«), für die Einstellung aller Verfahren, gegen »Sicherheitswahn und Überwachungsstaat« demonstriert. Sie trafen auf etwa 2500 Polizisten, die Innensenator Udo Nagel (parteilos) aus ganz Norddeutschland sowie aus Berlin und von der Bundespolizei angefordert hatte. Trotz der Zusage der Demonstrationsleitung, die vom Oberverwaltungsgericht erst am Abend zuvor festgelegte Route zu akzeptieren, bildeten die Beamten ein dichtes Spalier, aus dem heraus sie die Demonstranten immer wieder mit Schlagstöcken traktierten. Die Demoleitung löste die Veranstaltung daher am Millerntor im Stadtteil St. Pauli nach etwa einem Drittel der genehmigten Wegstrecke selbst auf. Veranstaltungsleiter Bela Rogalla (Die Linke) sprach von einem »gezielten Angriff auf die kollektive Meinungsfreiheit«.

Eine Rednerin kündigte jedoch an, man müsse die Öffentlichkeit nun auf andere Weise erreichen. Und tatsächlich zogen daraufhin viele Demonstranten in größeren und kleineren Gruppen über die Reeperbahn und durch die City.

So kreativ, wie sie endete, hatte die Versammlung auch begonnen: Verkleidet als »Unschuldsengel« oder Weihnachtsmann, war am Mittag vor dem linken Zentrum »Rote Flora« zunächst »Tanzen statt Wanzen« angesagt. Unter dem Motto »Feuer und Flamme der Repression« setzte sich der Demonstrationszug gegen 14.30 Uhr in Bewegung. Doch schon zwölf Minuten später stellte sich den Teilnehmern ein dichtes Spalier behelmter und bewaffneter Polizisten entgegen. Es hieß, einige der Seitentransparente wären zu lang und würden den Auflagen nicht entsprechen. Kurz darauf monierten die Beamten, einige Personen würden das Vermummungsverbot nicht beachten. Zudem wurde das Fortkommen durch »Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten« massiv behindert.

Besser hatten es da nur jene 300 Aktivisten, die bereits zu Beginn der Veranstaltung und im Rahmen des neuen Aktionskonzepts »out of control« Protestinszenierungen auf Gehwegen und Plätzen vorbereitet hatten. Sie wollten damit die »nur scheinbare Allmacht polizeilicher Überwachung« auch optisch ad absurdum führen. Vereinzelt gelang es den Gruppen, bis in die City vorzustoßen. Und nach Auflösung der großen Demo drangen noch einmal rund 1000 Aktivisten bis zur Mönckebergstraße, Hamburgs größter Einkaufsmeile, vor. Hunderte weitere protestierten zeitgleich auf Jungfernstieg und Reeperbahn.

Im dichten Gewühl der Weihnachtsmärkte funktionierte das aus dem Märchen »Hase und Igel« bekannte Konzept hervorragend. Die Ordnungshüter hatten es erkennbar schwer, zwischen Normal- und Protestbürgern zu entscheiden. Wo es den zunehmend frustrierten Polizisten dann doch noch gelang, einzelne Protestierer zu umzingeln, kamen Hunderte weitere um die nächste Ecke. Lautstark riefen sie über Stunden Slogans wie »Wir alle sind 129a« oder »Nein zum Überwachungsstaat«. Bis tief in die Nacht dauerten die Proteste auch im Schanzenviertel.

Senator Nagel ist also mit seinem Vorhaben, jeglichen Antirepressionsprotest aus der Innenstadt fernzuhalten, grandios gescheitert. Eine Niederlage, die sich schon am Vorabend andeutete, als das Oberverwaltungsgericht zwar das City-Verbot bestätigte, zugleich aber den Valentinskamp und die Dammtorstraße freigab – Straßenzüge, die zumindest in die Nähe der Innenstadt führen. Mit Provokationen von seiten seiner Beamten wollte man offenbar einen Grund finden, die Demo auseinanderzujagen oder ihre Teilnehmer zu zermürben. Demoanmelder Andreas Blechschmidt nannte das Vorgehen der Polizei einen politischen Skandal. Er kündigte eine Klage gegen die Innenbehörde an. Insgesamt wurden während der Proteste 25 Personen fest- und 111 in Gewahrsam genommen.

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17. Dezember 2007

Manfred SohnTrotz gegenteiliger Umfragen rechnet Niedersachsens Linkspartei mit Einzug in den Landtag. Ein Gespräch mit Manfred Sohn

* Manfred Sohn ist Vorstandsmitglied im niedersächsischen Landesverband der Partei Die Linke. Zur Landtagswahl am 27. Januar kandidiert er auf Platz zwei der Landesliste

Für die Landtagswahl am 27. Januar sehen Umfragen die schwarz-gelbe Koalition unter Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) fest im Sattel, die Partei Die Linke hingegen bei nur bei vier Prozent. Bleibt in Niedersachsen alles beim alten?

Vier Prozent, das entspricht den Umfragewerten, die wir auch 2005 vor den Bundestagswahlen und dieses Jahr vor den Bremer Wahlen hatten. Tatsächlich wurden es jeweils über acht Prozent. Es spricht sich außerdem herum, daß es eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Landtag nur geben wird, wenn auch »Die Linke« ins Parlament einzieht. Ich bin mir deshalb sicher, daß wir die Fünf-Prozent-Hürde knacken werden.

Wie kommt es, daß Wulff auch unter Beschäftigten so beliebt ist?

Ich halte das für eine mediale Überbewertung. Wulff hat schon 2006 verdeutlicht, daß er die Lohnkosten senken will. Es ist offensichtlich, daß seine jetzt zur Schau gestellte Sympathie mit einigen Gewerkschaftsforderungen Wahlkampfgetöse ist und mit der Politik seiner Landesregierung nichts zu tun hat. Deutlich wird dies an den Landeskrankenhäusern, bei denen die CDU sich brüstet, europaweit eine der größten Privatisierungswellen eingeleitet zu haben. Deutlich wird es auch in der Bildungspolitik. Hier gab es ja schon zarte Ansätze in Richtung einer integrierten Gesamtschule. Die hat Wulffs Regierung rückgängig gemacht.

Mit welchem Profil tritt Ihre Partei an?

Mit drei Schwerpunkten: Die Armut wollen wir mit einem gesetzlichen Mindestlohn bekämpfen –Niedersachsen könnte dafür eine Bundesratsinitiative entwickeln und das Landesvergabegesetz ändern. Öffentliche Aufträge sollen nur noch an Firmen vergeben werden, die mindestens acht Euro Stundenlohn zahlen. Wir fordern zweitens gebührenfreie Bildung für alle. Das zielt auf die Schulen, aber vor allem auf die Universitäten, wo wir Studiengebühren von 500 Euro pro Semester haben. Wir wollen drittens Privatisierungen stoppen und – wo es geht – wieder rückgängig machen. Für VW müssen die Anteile des Landes so weit aufgestockt werden, daß Sperrminoritäten erhalten bleiben.

Mit Ihrem Wahlprogramm schließen Sie nicht aus, einen SPD-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu unterstützen. Das soll erst am 29. Januar auf einem »großen Ratschlag« geklärt werden. Warum treten Sie nicht als klare Opposition an?

Wir sind alle Realpolitiker und wissen deshalb, daß sich das geschilderte Problem nicht stellen wird. Auch die SPD betreibt eine neoliberale Politik, und die werden wir nicht unterstützen. Doch andererseits wollten wir es dem SPD-Spitzenkandidaten Wolfgang Jüttner auch nicht so einfach machen, überall sagen zu können, daß sich »Die Linke« vor der Verantwortung drückt. Wenn die SPD wirklich bereit wäre, zentrale Forderungen unseres Wahlprogramms aufzunehmen, würden wir nicht nein sagen. Das aber ist völlig unwahrscheinlich. Deshalb werden wir im Landtag eine starke, linke Opposition sein.

Warum dann dieser Ratschlag?

So einen Ratschlag haben wir auch schon bei der Ausarbeitung unseres Wahlprogramms durchgeführt. Es entspricht unserem Politikverständnis, daß wir wichtige Fragen mit Vertretern außerparlamentarischer Bewegungen, mit Gewerkschaftern und Betriebsräten, auch mit Erwerbslosenvertretern gemeinsam diskutieren.

Die niedersächsische Linkspartei hat 2700 Mitglieder. Wie wollen Sie bei der Größe des Landes einen wirkungsvollen Wahlkampf machen?

Mit 47000 Quadratkilometern ist Niedersachsen doppelt so groß wie Hessen. Diese Wahlen sind die bisher größte Herausforderung für unsere Partei im Westen. Wenn wir hier den Einzug ins Parlament schaffen, dann schaffen wir es überall. Ich bin auch deshalb optimistisch, weil wir im Wahlkampf von vielen Parteilosen und anderen Gruppen unterstützt werden.

Spiegelt sich das auf der Kandidatenliste wieder?

Ja, schon im vorderen Teil unserer Liste kandidieren Gewerkschafter, Betriebsräte, Vertreter aus Bewegungen. Darunter – auf Platz 9 – eine Vertreterin der DKP.

Verwendung: Junge Welt vom 17. Dezember 2007
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15. Dezember 2007

Olaf HarmsGespräch mit Olaf Harms zu den Bürgerschaftswahlen in Hamburg

Für die Bürgerschaftswahlen am 24. Februar 2008 kandidierst Du auf Platz 10 der Kandidatenliste der LINKEN. Mit Rücksicht auf die Föderation der türkischen Arbeitervereine (DIDF) hattest Du darauf verzichtet, für Platz 6 der Liste zu kandidieren. Warum geschah dies und wie bewertest Du dein eigenes Ergebnis?

Die Hamburger LINKE hatte schon vor Monaten signalisiert, dass sie mit offenen Listen antreten will. Allerdings sah sich der Vorstand nicht dazu in der Lage, einen Personalvorschlag für die Delegierten des Wahlparteitages zu unterbreiten. So gab es viele Bewerber. Wir hatten verdeutlicht, dass wir uns nicht auf Konkurrenzkämpfe mit anderen Gruppen einlassen werden. Die DIDF ist eine große Migrantenorganisation und sie gehört zu unseren Bündnispartnern.

Was mein Ergebnis anbetrifft, so will ich unterstreichen, dass dies das Resultat der Arbeit unserer gesamten Bezirksorganisation ist. Es zeigt, dass unsere Genossen in ihrer Tätigkeit, insbesondere in den Stadtteilen, anerkannt sind. Dass wir nach 1989 an einer eigenständigen Kommunistischen Partei festhielten und dann das Profil kommunistischer Politik in harter Arbeit wieder schärften, das wird heute auch von den LINKEN anerkannt.

Antikommunistische Ressentiments gab es nicht?

Auf dem gesamten Wahlparteitag gab es keine Äußerung, die in diese Richtung wies. Etliche Delegierte setzten sich sogar dafür ein, dass die DKP auf der Kandidatenliste vertreten ist. Diesen Standpunkt hat die Listen-Erste Dora Heyenn auch auf unserer eigenen Bezirkskonferenz unterstrichen. Sie sagte, dass ihr die Zusammenarbeit auch deshalb sehr wichtig sei, weil die DKP als marxistisch-leninistische Partei Aufgaben hätte, die von der LINKEN gar nicht übernommen werden könnten.

Nach Meinungsumfragen liegt die LINKE bei sieben bis acht Prozent. Werden es 8,3 Prozent, steht die Chance nicht schlecht, dass du selbst in die Bürgerschaft einziehst.

Das ist für mich nicht entscheidend. Viel wichtiger ist es, dass überhaupt eine linke Fraktion in das Rathaus einzieht. Bei 5 Prozent wären es sechs Abgeordnete. Darunter ein guter Vertreter der Erwerbsloseninitiativen und Aktive aus Betrieb und Gewerkschaft.

Für die DKP wäre es doch aber von Bedeutung, wenn auch ein Kommunist in die Bürgerschaft zöge. So wie in die Bezirksversammlungen von Wandsbek und Harburg. Denn hier kandidieren DKP-Mitglieder schon ab Platz 3 der jeweiligen Listen.

Ein Kommunist in der Bürgerschaft – das wäre natürlich von Bedeutung. Doch lass uns darüber diskutieren, wenn es der Fall sein sollte. Zu den Bezirken möchte ich ergänzen, dass wir auch in Altona gute Chancen haben, mit einer Genossin in das Bezirksparlament einzuziehen. Für uns ist das eine große Chance. Denn diese Genossen benötigen dann die feste Einbindung und die Unterstützung ihrer Wohngebietsgruppen. So könnten wir unser kommunalpolitisches Profil deutlich schärfen.

Was wäre daran das Spezifische?

Sich, wie es Lenin sagt, um das Teewasser zu bekümmern. Also um die Alltagssorgen der Menschen. Diese müssen wir mit den außerparlamentarischen Bewegungen und den dortigen Kämpfen verbinden. Es reicht nicht aus, wenn die SPD zum Beispiel fordert ein kommunales Stadtwerk zu gründen und das dann als Großkunde bei den Energieversorgungsunternehmen auftritt. Die Energiepreise werden sich nur senken lassen, wenn auch die Versorgungsunternehmen wieder in staatlicher Hand sind. Hier verknüpfen sich die Interessen der Belegschaften mit denen der Konsumenten. Zudem gilt: Nur mit dem Druck der Straße, werden wir in den Parlamenten etwas erreichen.

Wie und mit welchen Schwerpunkten wird die DKP Wahlkampf betreiben?

Wir unterstützen den Wahlkampf der LINKEN. Gleichzeitig entwickeln wir eigene Aktivitäten und geben auch eigene Materialien heraus. Inhaltlich geht es um jene vier Punkte, die auch im Sofortprogramm der LINKEN betont werden: Der Kampf für mehr Demokratie und gegen den Abbau demokratischer Rechte. Zum Beispiel bei den Volksentscheiden. Der Kampf gegen weitere Privatisierungen und für die Rekommunalisierung privatisierter Bereiche. Dann der Bereich Arbeit und Soziales. Wir sagen:„Hartz IV muss weg“. Kompromisse kann es da nicht geben. Bis dies erreicht ist, fordern wir eine Anhebung des Regelsatzes auf mindestens 500 Euro. Alternativen zu der auf Ausgrenzung und Selektion gerichteten Bildungspolitik des Hamburger CDU-Senats, bilden den vierten Schwerpunkt.

Als DKP werden wir außerdem friedenspolitische und antifaschistische Positionen betonen. Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Hamburg ist eine Rüstungsmetropole. Wir sagen: Rüstung vernichtet Arbeitsplätze, ist eine gigantische Verschwendung öffentlichen Vermögens. Im antifaschistischen Bereich kämpfen wir gegen den Einzug der DVU in das Landesparlament. Deshalb haben wir im „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ den Aufruf „Keine Stimme den Nazis“ mit initiiert. Als Erstunterzeichner konnten bekannte Schauspieler, Fußball-Kicker, zahlreiche Wissenschaftler, aber auch etliche Gewerkschafter und Betriebsräte gewonnen werden. So soll ein Klima entstehen, in dem die Nazis keine Chance haben, ihre rassistischen Aktivitäten zu entfalten.

Warum hat es sich die DKP eigentlich so schwer gemacht, die LINKE zu unterstützen? Die Entscheidung fiel ja erst nach Aufstellung der Kandidatenlisten.

Das kann ich so nicht akzeptieren. Denn schon im Dezember 2006 haben wir politische Kriterien erarbeitet. Selbst nicht zu kandidieren und stattdessen die LINKE zu unterstützen, das haben wir davon abhängig gemacht, ob es ihnen gelingt, klare Position gegen die Privatisierungen, für die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen, für eine konsequente Oppositionspolitik zu finden. Wir mussten ja berücksichtigen, dass es eine neue Partei mit zahlreichen neuen Mitgliedern ist. Wir wollten dann schon abwarten, wie sich diese positionieren. Denn eines ist doch auch klar: Wäre es so wie in Berlin, dann hätte es die Unterstützung der DKP nicht gegeben.

Wahlumfragen besagen, dass Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nur abgelöst werden kann, wenn nach den Wahlen alle Oppositionsparteien bei der Bürgermeisterwahl zusammen stehen. Wie ist deine Haltung zu diesen Fragen?

Das halte ich für abwegig. Es widerspräche zudem den Beschlüssen der Linkspartei. Selbst wenn eine linke Fraktion das Zünglein an der Waage wäre, so geht es doch auch dann um inhaltliche Fragen. Ich sehe die Aufgabe einer solchen Fraktion eher darin, die Finger in die Wunden der Regierungspolitik zu legen und aus der Opposition heraus Veränderungen zu bewirken.

Die SPD hat aber gerade ein Wahlprogramm beschlossen, wo man meinen kann, es sei bei den LINKEN abgeschrieben.

Links blinken, heißt noch nicht links zu handeln. Wenn SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann nun bestimmte Positionen übernimmt, dann ist das ein erster Erfolg. Doch bisher ist es nur Wahlkampfgetöse. Denn wenn die SPD ihre Politik tatsächlich korrigieren möchte, dann könnte sie schon jetzt entsprechende Anträge in die Bürgerschaft einbringen. Zum Beispiel für die Abschaffung der Ein-Euro-Jobs und deren Ersatz durch reguläre Arbeitsplätze.

Verwendung: Wochenzeitung Unsere Zeit vom 15.12.07, Seite 2



15. Dezember 2007

Polizei kündigt Großeinsatz gegen Antirepressionsdemo in Hamburg an. Verbot für City zum Teil aufgehoben

In Hamburg hat die Innenbehörde angekündigt, daß während der am heutigen Sonnabend stattfindenden Demonstration gegen staatliche Repression mehrere tausend Polizeibeamte eingesetzt werden. Begründet wird dies mit einer »Gefahrenprognose«, die Krawalle und »Störungen der öffentlichen Ordnung« voraussagt. Vor allem das Demokonzept »Out of Control« ist der Behörde nicht geheuer. Wie berichtet, wollen sich die Teilnehmer dadurch einem möglichen »Wanderkessel« entziehen und ihren politischen Protest auch außerhalb der eigentlichen Demonstration zum Ausdruck bringen.

Innensenator Udo Nagel (Parteilos) will neben den Einheiten der Bereitschaftspolizei auch spezielle »Festnahme- und Alarmhundertschaften« einsetzen. Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« und der linke Bundestagsabgeordnete Norman Paech kündigten derweil an, die Polizeieinsätze zu beobachten und mögliche Übergriffe zu dokumentieren. Keine Einigung gab es bisher zur Demoroute. Während die Veranstalter darauf bestehen, nicht nur durch menschenleere Straßenzüge geführt zu werden, hatte die Versammlungsbehörde ein vollständiges City-Verbot ausgesprochen.

Das Verwaltungsgericht bestätigte am Freitag, daß es bei einem Marsch über den Jungfernstieg und über die Mönckebergstraße, zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen könne, beschloß aber den Valentinskamp und die Dammtorstraße freizugeben. Diese Straßenzüge führen zumindest in die Nähe der Innenstadt. Die Innenbehörde hat angekündigt, die Entscheidung anzufechten.

Samstag, 13 Uhr, Rote Flora, Achidi-John-Platz: Demo gegen Repression und Überwachungsstaat

Verwendung: Junge Welt vom 15. Dezember 2007
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13. Dezember 2007

Die Bremer Linksfraktion rauft sich allmählich zusammen. Aber der Gründungsproporz zwischen WASG und PDS macht ihr noch zu schaffen

StadtmusikantenDer Jubel war groß, als die Linkspartei im Mai mit 8,4 Prozent in die Bremische Bürgerschaft und damit erstmals in ein westdeutsches Landesparlament einzog. Noch am Wahlabend sprach Oskar Lafontaine von einem »Vorbildprojekt« für die Anfang 2008 stattfindenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg. Doch wer jetzt mit »Die Linke Bremen« durch das Internet googelt, der erfährt eher Abschreckendes: Längst habe sich die siebenköpfige Fraktion durch »interne Machtkämpfe« zerfressen, heißt es vor allem in der taz. Auch von »Heckenschützentum« und einer frustrierten Basis ist dort die Rede. So häufig, daß schließlich auch die niedersächsische Nord-West-Zeitung und das Neue Deutschland die Thesen der taz übernahmen.

Die aber »entbehren jeglicher Grundlage und sind schlecht recherchiert«, sagen die Co-Vorsitzenden der Linken-Bürgerschaftsfraktion, Peter Erlanson und Monique Troedel, im Gespräch mit junge Welt. Deutlicher wird Antoni Brinkmann. Die Landesschatzmeisterin spricht von einer »hinterhältigen« Kampagne, die nur dazu diene, die Wahlergebnisse in Hamburg und Niedersachsen zu beeinflussen. Daß die Arbeit der linken Fraktion »ausgezeichnet« verlaufe, betont auch der Landessprecher der Linken, der Bundestagsabgeordnete Axel Troost. »Ohne die Arbeit unserer Fraktion würden die Deputationen und Ausschüsse der Bürgerschaft noch immer unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen, gäbe es keine Senkung der Zahl der Zwangsumzüge, keine Initiativen gegen die Teilprivatisierung der städtischen Kliniken, keine Initiativen für ein neues Sozialticket«, sagt Troost. Schwächen gebe es auch – bei der Besetzung der Mitarbeiterstellen etwa sei nur der Proporz der Quellparteien, nicht aber die Sachkenntnis zur Geltung gekommen.

Exakt dies ist das Problem, mit dem sich die Weser-Linken schon seit Wochen herumschlagen. Fast jeden Tag liefert es der taz neue Munition für neue Gerüchte. Vorrangig geht es um das Schicksal des Ex-PDSlers Christoph Spehr und des Ex-WASGlers Manfred Steglich. Im Gründungsproporz hatten diese im Juni jeweils eine Hälfte der Fraktionsgeschäftsführerstelle übernommen. Doch das führte zu Konflikten, so daß die Fraktion die Stelle neu besetzte. Für die taz ist das allerdings ein gefundenes Fressen. Wenn sich schon die »Pioniere« der westdeutschen Linken in »Ränkespielen und Machtkämpfen« verlören, dann sei diese Partei für die Wahlen in Niedersachsen und in Hamburg »keine gute Empfehlung«, heißt es in einem am Montag für die norddeutsche Lokalausgabe veröffentlichten Kommentar. Daß Spehr nun als wissenschaftlicher Mitarbeiter sogar auf eine Vollzeitstelle wechselt, verschweigt das Blatt jedoch.

Umso genüßlicher werden hingegen die Einzelheiten der Kündigung von Steglich ausgebreitet. Er mußte gehen, weil die Vertrauensgrundlage zwischen ihm und der Fraktion zerbrochen war. Von einem »persönlichen Fehlverhalten gegenüber Vorgesetzten« war in offiziellen Fraktionsstatements die Rede. »Durch diese Formulierung wollten wir die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten schützen«, sagt Troedel. Doch unbarmherzig schlug die taz erneut zu, indem sie die fraktionsintern diskutierten Gründe öffentlich machte. Demnach habe Steglich eine Abgeordnete mehrfach belästigt. Die sonst dem Feminismus zugewandte taz machte daraus ein harmloses »Anbaggern«, das genutzt werde, um einen unbequemen Mitarbeiter loszuwerden. Die 27jährige Bürgerschaftsabgeordnete Sirvan-Latifah Çakici fordert nun ein Zurück zur Politik und will die Kampagne »gegen die Armut in Bremen« und für ein Sozialticket forcieren. Dann, so sagt sie, gebe es kaum noch die Chance, die Bremer Linke mit Dreck zu bewerfen.

[Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 13. Dezember 2007. Lesen Sie deshalb auch die beiden anderen Artikel dieser Seite: Die Linke in Bremen und »Die Arbeit unserer Fraktion ist gar nicht so schlecht«. Die gesamte und gestaltete Zeitungsseite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt
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13. Dezember 2007

Peter ErlansonDie Linke in der Bremischen Bürgerschaft arbeitet sich nach anfänglichen Fehlern in die Parlamentsarbeit ein. Ein Gespräch mit Peter Erlanson

Peter Erlanson ist Vorsitzender der Fraktion »Die Linke« in der Bremischen Bürgerschaft

Ihre Fraktion sorgt gegenwärtig vor allem für Negativschlagzeilen. Vor allem in der taz ist von Machtkämpfen und davon die Rede, daß Ihre Fraktion bereits zerrissen und damit paralysiert sei. Stimmt das?

Wo gearbeitet wird, da werden Fehler gemacht. Das will ich für die Bremer Linke und auch für unsere Fraktion keineswegs abstreiten. Doch das, was jetzt an Vorwürfen kommt, ist so an den Haaren herbeigezogen, daß es mit der Realität kaum noch etwas zu tun hat. Sind wir etwa paralysiert, wenn wir zum Beispiel am Donnerstag eine große Solidaritätsveranstaltung mit Beschäftigten aller städtischen Kliniken gegen die Teilprivatisierung der Krankenhäuser machen? Sind wir zerrissen, wenn wir das Thema vorher schon in die Bürgerschaft gebracht haben? Ähnlich läuft es in anderen Fragen, die wir als linke Fraktion bereits in den ersten sechs Monaten unserer Repräsentanz in dieser Bürgerschaft bearbeitet oder angestoßen haben. Zum Beispiel die Schulbeihilfen und das Sozialticket für Bezieher von Arbeitslosengeld II, das wir fordern. Stolz bin ich darauf, daß unter unserem Druck die Zahl der Zwangsumzüge für Hartz-IV-Empfänger deutlich reduziert werden mußte. Ohne unsere Fraktion hätte es bis heute keine Öffentlichkeit bei den Ausschuß- und Deputationssitzungen gegeben. Gerade für Initiativen ist das von besonderer Bedeutung! Die Fraktionsarbeit läuft also gar nicht so schlecht.

Doch warum dann diese Medienschelte?

Die taz hat uns vorgeworfen, wir seien mit dem Versprechen angetreten, alles anders oder besser zu machen. Dieses Versprechen hätten wir nicht eingelöst. Wir streiten für eine andere Politik – aber, daß wir die besseren Menschen sind, die keine Fehler machen, haben wir nie gesagt. Wir befinden uns in einem Lernprozeß. Jede und jeder einzelne Abgeordnete, die gesamte Fraktion. Daß uns die taz als kritische Zeitung diesen Prozeß nicht zubilligt, finde ich schade. Sie sieht ihre Aufgabe offenbar nur darin, auf uns einzuhauen.

Wie erklären Sie sich das?

Wenn es um Konflikte geht, bei denen auch Emotionen und menschliche Zerwürfnisse auftreten, dann besteht bei Journalisten oft ein besonderes Interesse. Vielleicht gilt das für kleinere Zeitungen in besonderer Weise. Also mal den Bohrer herauszuholen und zu zeigen: Seht her, wenn wir wollen, dann können wir das und das mit euch machen. Richtig nachvollziehen kann ich einen solchen Ehrgeiz nicht.

Wie ging es Ihnen, als Sie am Freitag letzter Woche die von der taz erhobenen Vorwürfe auch im Neuen Deutschland (ND) nachlesen konnten?

Das ND will keine Parteizeitung sein, sondern versteht sich als Blatt, das dem kritischen Journalismus verpflichtet ist. Das nehme ich ernst und das respektiere ich auch. Doch bei allem Respekt: Was da jetzt abgeliefert wurde, das hat mit kritischem Journalismus nichts zu tun. Das war üble Nachrede. Ich frage mich, warum tun die das? Nicht nur wir sind ja die Geschädigten, sondern auch die Wahlkämpfer in Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Oder sollte die Botschaft sein, daß die Westlinke einfach zu blöde ist, um kluge Parlamentsarbeit zu betreiben?

Hat nicht auch Ihre Fraktion Fehler gemacht?

Etliche! Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Doch andererseits ärgert es mich schon, wenn jetzt einige so tun, als hätten sie den Stein der Weisen bereits gefunden – also, wie man linke Oppositionspolitik in einem westdeutschen Landesparlament optimal betreibt. Wir wollten in dieses Parlament, um dort Sprachrohr für die außerparlamentarischen Bewegungen und für die Interessen unserer Wähler zu sein. Doch wir sind allesamt keine Berufspolitiker. Wir kommen aus Initiativen, aus Gewerkschaften und Betriebsräten. Das aber bedeutet, daß wir das eine oder andere auch noch lernen müssen. In Bremen führen wir regelmäßige Plenumsveranstaltungen durch. Dort kann jeder einzelne, auch wenn er nicht zur Linken gehört, durchaus auf die Inhalte unserer Parlamentsarbeit Einfluß nehmen.

Wie wollen Sie die Öffentlichkeitsarbeit Ihrer Fraktion verbessern?

Zugespitzt gesagt, gibt es auf dem Bremer Zeitungsmarkt die taz und den Weser-Kurier. Darüber verstärkt nachzudenken, wie wir unsere Wähler vielleicht auch direkt erreichen können, wäre deshalb eine lohnenswerte Aufgabe.

[Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 13. Dezember 2007. Lesen Sie deshalb auch die anderen beiden Artikel dieser Seite: Die Linke in Bremen und Kleine Schwächen. Die gesamte und gestaltete Zeitungsseite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.]

Verwendung: Junge Welt vom 13. Dezember 2007
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13. Dezember 2007

Bremer LINKE bei DemoDer Bremer Landesverband der Partei Die Linke wurde zwar erst am 13. Oktober 2007 offiziell gegründet. Aber schon ein halbes Jahr zuvor war die neue Partei sowohl in der Bürgerschaft als auch im Stadtparlament von Bremerhaven vertreten: Bei den Wahlen am 13. Mai erzielten die gemeinsamen Kandidatenlisten von Linkspartei.PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) einen seinerzeit als »triumphal« empfundenen Wahlerfolg. Mit einem Anteil von 8,4 Prozent der Wählerstimmen stellt die Linke jetzt sieben Abgeordnete in der Bürgerschaft. Mit einem Stimmanteil von 6,1 Prozent entsendet sie außerdem drei Abgeordnete ins Stadtparlament von Bremerhaven.

Im Aktionsprogramm des Landesverbandes sind die Schwerpunkte des parlamentarischen und außerparlamentarischen Handelns benannt: Kampf gegen Ein-Euro-Jobs und Zwangsumzüge für Bezieher des Arbeitslosengeldes II; Ausbau des öffentlichen Dienstes; keine weiteren Privatisierungen; Vervollständigung des Angebots an Kindertagesstätten; Überwindung des »Drei-Klassen-Schulsystems«.

In Bremerhaven wurde der Linken unmittelbar nach der Wahl durch die Mehrheitsfraktionen der Fraktionsstatus aberkannt (sie setzten in der Geschäftsordnung die dafür erforderliche Anzahl von Abgeordneten von drei auf vier hoch. Dort bemüht sich die Partei außerdem um Initiativen zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit. In Bremen spielt hingegen die Auseinandersetzung um die vom Senat betriebene Teilprivatisierung der städtischen Kliniken eine besondere Rolle.

Aufgefallen ist der kleine Landesverband (er zählt in seinen vier Kreisverbänden etwa 450 Mitglieder) zudem dadurch, daß er sich schon frühzeitig und als erste Gliederung der Linkspartei mit dem GDL-Streik der Lokomotivführer solidarisch erklärt hatte.

Dieser Artikel ist Teil einer Schwerpunktseite in der Tageszeitung „Junge Wel“ vom 13.12.07. Lesen Sie deshalb auch die beiden weiteren Beiträge auf dieser Seite: Kleine Schwächen und »Die Arbeit unserer Fraktion ist gar nicht so schlecht«. Die gesamte und gestaltete Zeitungsseite können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen.

Verwendung: Junge Welt vom 13. Dezember 2007



13. Dezember 2007

Repressionsgegner mobilisieren nach Hamburg. Polizei reagiert mit Cityverbot

Die Hamburger Innenstadt wird am Samstag voraussichtlich zum Sperrgebiet. Zumindest gegen rund 5000 aus dem ganzen Bundesgebiet erwartete Demonstranten, die gegen die zunehmende staatliche Repression protestieren wollen, soll sie abgeschottet sein. Geht es nach dem Willen der Hamburger Innenbehörde, dann dürfen die Kundgebungsteilnehmer ausschließlich durch fast menschenleere Straßen ziehen. Der Jungfernstieg und Hamburgs zentrale Einkaufsmeile, die Mönckebergstraße, sind tabu. Diese bleibe den Weihnachtsmännern und -märkten überlassen, bestätigte am Mittwoch auch Polizeisprecher Ralf Meyer. Das linke Veranstaltungsbündnis wird sich das nicht bieten lassen, so Demo-Anmelder Andreas Blechschmidt am Dienstag nachmittag auf einer Pressekonferenz in der Roten Flora. Auch er selbst habe keine Lust, in einem »Wanderkessel mit dreifachem Polizeispalier« durch öde Viertel geführt zu werden. Deshalb werde gegen das Cityverbot juristisch – notfalls hinauf bis zum Bundesverfassungsgericht – vorgegangen.

Für die Antirepressionsdemo wird seit Wochen mobilisiert. Das überregionale Interesse übersteige die Erwartungen bei weitem, so die Veranstalter. Die Demo könne zu einer der größten Veranstaltungen des linksradikalen Spektrums seit vielen Jahren werden. Dies sei auch notwendig, denn die Bewegung könne ihre politische Stärke erst wieder entwickeln, wenn es gelingt, die zunehmende Repression politisch zu beantworten.

Zahlreiche Gruppen haben unter dem Motto »Out of Control« angekündigt, mit einem völlig neuen Demonstrationskonzept an die Elbe zu kommen. Der Repression soll nicht nur plakativ, sondern ebenso mit einem »Konzept der wirksamen Zerstreuung« entgegengetreten werden. Mit Hilfe der »Weite des Raums« soll »die nur scheinbare Allmacht polizeilicher Überwachung« auch optisch ad absurdum geführt werden. Konkret heißt das: Bei der Demonstration soll es ein ständiges Kommen und Gehen geben. Sowohl am Rande als auch »hinter den Kulissen« werde es spontane »Kontaktbörsen« und für den Staat »irritierende Ereignisse und Protestinszenierungen« geben. Die Demo selbst soll trotzdem »geschlossen und damit kraftvoll« durchgeführt werden.

Daß die Hamburger Veranstaltung allen Manövern der Innenbehörde zum Trotz ein »starker und phantasiereicher Ausdruck des Widerstandes gegen staatliche Kontrollwut und die Verfolgung« sein wird, das betonte am Mittwoch auch die Vorbereitungsgruppe in der Hansestadt. Nicht nur hier heißt es nun: »Rein ins Vergnügen – gegen Repression und Überwachungsstaat!«

Samstag, 15. Dezember, 13 Uhr, vor der Roten Flora. Achidi-John-Platz: »Out of control – Gegen Repression, Überwachungsstaat und Paragraph 129a«, Demonstration. Nähere Infos unter www.antirepressionskampagne-hamburg.tk

Verwendung: Junge Welt vom 13. Dezember 2007
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05. Dezember 2007

Zahlreiche Organisationen wollen vor ­Bürgerschafts­wahl ein nazifeindliches Klima schaffen

Unter dem Motto »Keine Stimme den Nazis« will ein »Bündnis gegen rechts« vor den Hamburgischen Bürgerschaftswahlen am 24. Februar 2008 ein Klima schaffen, das die Wahl der DVU und anderer rechter Parteien erschwert. Unter einem »Hamburger Aufruf« sollen jetzt Unterschriften dafür gesammelt werden. Neonazis soll künftig möglichst auch der Zugang zu Schulhöfen, Betrieben sowie Musikkonzerten verweigert werden.

Nach Angaben seines Sprechers Olaf Harms will das Bündnis vor allem dazu beitragen, daß sich den Rechten mit einem möglichen Einzug ins Parlament, nicht noch stärkere Möglichkeiten eröffnen, ihr »faschistisches und rassistisches Gedankengut« zu propagieren. Die Initiative wird auch von ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose, vom FC-St.-Pauli-Kicker Marcel Eger, der Schauspielerin Hannelore Hoger, FC-St.-Pauli-Präsident Corny Littmann, der Nazi-Verfolgten Esther Bejarano, den Bundestagsabgeordneten Niels Annen (SPD) und Norman Paech (Die Linke) sowie zahlreichen Hochschulprofessoren und Betriebsräten unterstützt. Mit »großer Sorge« beobachte man, dass auch in Hamburg die neonazistischen Aufmärsche zunehmen, heißt es in ihrem Aufruf. Noch gefährlicher sei es aber, wenn die Neonazis nun immer stärker auch die Schulhöfe erobern.

Indes bestätigen Wahlforscher, daß Neonazis durchaus die Chance haben, in die Bürgerschaft oder Bezirksversammlungen einzuziehen. Sie weisen auf den sogenannten Deutschland-Pakt zwischen DVU und NPD hin, mit dem sich beide Parteien darauf geeinigt haben, bei Landtagswahlen nicht gegeneinander anzutreten. In Hamburg wird deshalb nur die DVU kandidieren. Und die erzielte in der Hansestadt schon 1997 ein Rekordergebnis von 4,98 Prozent. Daß die NPD-Mitglieder nun den Wahlkampf der DVU aktiv unterstützen, hält hingegen das Landesamt für Verfassungsschutz für wenig wahrscheinlich. Selbst NPD-Landeschef Jürgen Rieger würde sich weigern den Wahlkampf der DVU zu unterstützen, sagt Manfred Murck, stellvertretender Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz. Doch gleichzeitig warnt Murck, daß das »rechtsextremistisches Wählerpotential« zusammen genommen bei deutlich über 7 Prozent läge.

Aktiv geworden sind deshalb auch verschiedene Jugendverbände. Die DGB-Jugend kündigte an, mit einer eigenen Informationsbroschüre auf die Schulhöfe und in die Ausbildungsbetriebe zu ziehen. Unter dem Motto »Kein Bock auf Nazis« hat indes die SDAJ eine »rote Schulhof CD« aufgelegt. Diese soll nun kostenlos an Schulen und Berufsschulen verbreitet werden.

Nähere Infos unter: http://keine-stimme-den-nazis.org/

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04. Dezember 2007

Einzelhandelskonzern attackiert erst im November gewählten Betriebsrat in Hamburg

Lidl_Betriebsrat_HamburgNach den Betriebsratswahlen in einer Hamburger Lidl-Filiale Anfang November schlägt der Konzern nun zurück. Die Wahlen werden vom Unternehmen angefochten, ein ver.di-Gewerkschafter wurde Ende letzter Woche entlassen. Am Montag kündigte ver.di-Fachbereichsleiter Ulrich Meinecke deshalb Gegenmaßnahmen an: Mit einer Unterschriftensammlung sollen die skandalösen Vorgänge öffentlich gemacht werden. Doch gleichzeitig steigt der Druck auf die 17 Mitarbeiter. Sie haben Angst vor weiteren Entlassungen bis hin zur Schließung der Filiale.

Für den Discounter war es eine Niederlage, als die Gewerkschaft die Wahl eines Betriebsrates in einem der 33 Hamburger Lidl-Märkte Anfang November verkündete. Nach Gewerkschaftsangaben gibt es in nicht mal zehn der bundesweit rund 2800 Lidl-Filialen Betriebsräte.Das gehört zur Unternehmensphilosophie des extrem gewerkschaftsfeindlichen Einzelhandelskonzerns. Wie eine geheime Kommandosache hatte die Gewerkschaft deshalb die Vorbereitung der Betriebsratswahlen in der Filiale am Eidelstedter Markt behandelt. Und nachdem es gelungen war, einen innerbetrieblichen Wahlvorstand zu bilden, halfen auch die »Vier-Augen-Gespräche« der Vorgesetzten oder die Drohung, Überstunden und damit verbundene Zuschläge zu streichen, nicht mehr. Mit 100 Prozent der Stimmen wählten die Mitarbeiter Tayed Azzab zu ihrem Betriebsrat.

Doch in den Vorstandsetagen bei Lidl gibt man sich nicht geschlagen. Nun sind Juristen nach Gewerkschaftseinschätzung dabei, Unregelmäßigkeiten bem Wahlablauf zu konstruieren. Und mit der Entlassung eines ersten Mitarbeiters – er war noch in der Probezeit – sollen die anderen zermürbt werden. Gleichzeitig soll den Beschäftigten in den anderen Filialen bedeutet werden, von Betriebsratswahlen die Finger zu lassen, vermutete Meinecke am Montag. Die Entlassung sei nur ein »Nachtreten« der Geschäftsführung, denn daß man dort fachlich mit dem Mitarbeiter zufrieden war, sei ihm erst kurz zuvor bestätigt worden. Mit der Sammlung von Unterschriften gegen die Entlassung will die Gewerkschaft nun Druck auf den Eigentümer der bundesweit 2850 Lidl-Filialen, den Schwarz-Konzern, ausüben.

Verwendung: Junge Welt vom 4. Dezember 2007
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03. Dezember 2007

Aktion_gegen_Kriegsverbrecher_in_Hopfgarten_TirolIn Italien verurteilte NS-Verbrecher leben unbehelligt in Deutschland

Mit einem Aktionstag unter dem Motto »Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen« haben Antifa-Initiativen am Samstag auf das Unrecht verwiesen, daß in Italien zu lebenslanger Haft verurteilte Kriegsverbrecher sowohl in Deutschland als auch in Österreich auf freiem Fuß leben. In zwölf Städten zogen die Antifaschisten vor die Wohnhäuser der ehemaligen SS- und Wehrmachtsoffiziere. Sie waren von italienischen Gerichten zwischen 2005 und 2007 zu lebenslanger Haft und zu hohen Entschädigungsleistungen verurteilt worden, weil sie im Jahre 1944 an Massakern in Marzabotto, Sant’Anna di Stazzema oder Civitella beteiligt waren. Die deutschen und österreichischen Justizbehörden weigern sich jedoch, die Mörder auszuliefern oder die Urteile zu vollstrecken.

Die Massaker gehören zu den brutalsten Kriegsverbrechen des II. Weltkriegs in Italien. Mehr als 800 Menschen, darunter 216 Kinder, starben allein als zwischen dem 29. September und dem 2. Oktober 1944, als gemischte Einheiten der SS und der Wehrmacht in das Bergdorf Marzabotto und in die umliegenden Gemeinden der Emilia Romagna eindrangen. Als „Vergeltung“ für Partisanenaktionen wurden die Bewohner erschlagen und erschossen. Schon im Sommer 1944 traf es die Bewohner von Sant’ Anna di Stazzema. Hier wurden 560 Dorfbewohner auf brutalste Weise ermordet. 207 Zivilisten starben in Civitella in Val di Chiana.

Doch nach dem Krieg gelang es vielen der daran beteiligten Kriegsverbrecher unterzutauchen oder ihre Taten zu verwischen. Ermittlungsakten der Alliierten wurden zudem von den italienischen Behörden jahrelang verschlossen. Im beginnenden kalten Krieg wollte es es sich die italienische Regierung mit ihrem neuen Verbündeten nicht verderben. Die rund 700 Aktenbündel kamen so erst Mitte der 90er Jahre wieder ans Licht. Erst jetzt wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen. Doch die Verurteilung der Kriegsverbrecher blieb in Deutschland ohne Folgen. Nach BRD-Recht dürfen deutsche Staatsbürger nicht ausgeliefert werden und die dann begonnenen Ermittlungen der hiesigen Staatsanwälte, werden verschleppt. Die alten Herren seien zum Teil nicht mehr verhandlungsfähig, ein „niedriger Beweggrund“ und eine „besondere Schwere“ der Kriegstaten zudem kaum nachzuweisen, hieß es bei den zuständigen Staatsanwälten in Stuttgart.

Die Aktionen sollten zu einer »stärkeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung« und dazu beitragen, daß die Täter endlich zur Verantwortung gezogen werden, sagte der Sprecher der Antifa-Initiativen, Ralph Klein, zu junge Welt. Zugleich sollten aber auch die Bürger darüber aufgeklärt werden, daß in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Mörder lebt. So war es Samstag früh in Berlin, als etwa 40 Nazigegnern zur Wohnung des Kriegsverbrechers Max Schneider in der Rheinberger Straße 22 zogen. In Hopfgarten (Tirol) gelang es den Nazigegnern sogar, den ehemaligen SS-Offizier Hubert Bichler direkt zu stellen. Reue zeigte er nicht. In Hamburg zogen rund 50 Antifaschisten vor die noble Wohnresidenz in der Lerchenstraße Nummer 4 des ehemaligen SS-Untersturmführers Gerhard Sommer. Sommer hatte in Sant Anna di Stazzema den Schießbefehl gegeben. Schuldig fühlt er sich trotzdem nicht. Genauso wenig, wie Max Josef Milde aus Bremen. Vor dem Haus des ehemaligen Unteroffiziers aus der Devision Hermann Göring versammelten sich am Samstag rund 100 Menschen. Aktionen fanden auch im nordrhein-westfälischen Greven, in Duisburg, in Saarbrücken, in Ottobrunn und Eurasburg (Bayern)sowie im sächsischen Freiberg statt.

Dies sind einige der Kriegsverbrecher, die in Deutschland auf freiem Fuß leben: Paul Albers (Saarbrücken), Josef Baumann (Grafenwiesen), Max Roithmeier (Eurasburg), Adolf Schneider (Nürnberg), Max Schneider (Berlin), Kurt Spieler (Wurzen), Heinz Fritz Träger (Duisburg), Georg Wache (Düsseldorf), Helmut Wulf (Darmstadt), Werner Bruss (Reinbek), Alfred Mathias Concinca (Freiberg), Ludwig Göring (Karlsbad, Baden-Württemberg), Karl Gropler (Wollin), Georg Rauch (Lörrach), Horst Richter (Krefeld), Heinrich Schendel (Lißberg/Ortenberg), Gerhard Sommer (Hamburg), Josef Scheungraber (Ottobrunn), Herbert Stommel (Wohnort unbekannt), Heinrich Nordheim (Greven), Max Milde (Bremen).

Ausführliche Informationen zu diesen Aktionen finden Sie in meinem Beitrag Erste Berichte vom Aktionstag gegen Kriegsverbrecher in Deutschland. Eine Übersicht, über welche Kriegsverbrecher es sich dabei handelt und wo diese wohnen, habe ich in meinem Beitrag In Deutschland lebende Kriegsverbrecher gegeben.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 3. Dezember 2007
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01. Dezember 2007

Zu dem heute stattgefundenen Aktionstag gegen Kriegsverbrecher – vergleiche Aktionstag gegen Kriegsverbrecher und in Deutschland lebende Kriegsverbrecher gibt es erste Berichte aus verschiedenen Städten. Die nachfolgenden Berichte stammen aus Saarbrücken, Bremen, Hamburg, Hopfgarten (Tirol/Österreich), Eurasburg, Ottobrunn, Berlin, Greven, Nürnberg, Grafenwiesen, Duisburg, Freiberg und Wurzen. Sie wurden mir durch die Antifa-Initiativen zugestellt und werden hier unverändert dokumentiert:

Saarbrücken

Aktionstag_Kriegsverbrecher_SaarbrückenAm 1. Dezember fand in Saarbrücken im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages gegen NS-Kriegsverbrecher eine Kundgebung auf dem Rathausplatz statt. Rund 50 Menschen aus allen Altersspektren waren zusammengekommen um auf den in Saarbrücken lebenden und in Italien wegen des Massakers in der der Stadt Marzabotto verurteilten NS-Kriegsverbrecher Paul Albers aufmerksam zu machen. Bereits am Vormittag verteilten 25 AktivistInnen zahlreiche Flugblätter in der direkten Nachbarschaft von Paul Albers und sangen italienische Partisanenlieder wie „Bella ciao“ und „Bandiera rossa“ vor dessen Wohnhaus und es kam zu Gesprächen mit interessierten Nachbarn.

(mehr …)



01. Dezember 2007

Heute, am Samstag dem 1. Dezember 2007, findet in 11 Städten Deutschlands (und zusätzlich in Tirol) ein antifaschistischer Aktionstag gegen in Deutschland (und Österreich) noch lebende Kriegsverbrecher statt. Näheres dazu unter Aktionstag gegen Kriegsverbrecher.

Wie dringlich diese Aktion ist, wird an der folgenden Übersicht deutlich:

Von italienischen Gerichten zu lebenslanger Haft verurteilte und in Deutschland auf freiem Fuß lebende Kriegsverbrecher:

Verurteilt Anfang 2007 wegen der Beteiligung an den Massakern in und um Marzabotto vom Militärgericht in La Spezia:

[Bei diesen Massakern zwischen dem 29. September und dem 1. Oktober 1944 wurden allein in Marzabotto 770 Zivilpersonen auf brutale und sadistische Weise ermordet. Hunderte Weitere in umliegenden Dörfern und Gemeinden. Darunter auch 200 Kinder.]

  • Albers, Paul (SS-Hauptstabsoffizier), wohnhaft in Saarbrücken (Saarland)
  • Baumann, Josef (SS-Kompaniechef), wohnhaft in Grafenwiesen (Bayern)
  • Roithmeier, Max (SS-Oberscharführer), wohnhaft in Eurasburg (Bayern)
  • Schneider, Adolf (Stabsfeldwebel), wohnhaft in Nürnberg (Bayern)
  • Schneider, Max (Unteroffizier), wohnhaft in Berlin (Berlin)
  • Spieler, Kurt (SS-Schütze), wohnhaft in Wurzen (Sachsen)
  • Träger, Heinz Fritz (Heinrich) (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Duisburg-Rheinhausen (NRW)
  • Wache, Georg (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Düsseldorf (NRW)
  • Wulf, Helmut (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Darmstadt (Hessen)
  • In Österreich (Hall in Tirol) lebt zudem der ehemalige SS-Kommandant und Oberscharführer Hubert Bichler. Er wurde ebenfalls wegen der Massaker in und um Marzabotto zu lebenslanger Haft verurteilt.

Verurteilt im Juni 2005 wegen der Beteiligung am Massaker in St. Anna di Stazzema vom Militärgericht in La Spezia:

[Bei diesem Massaker, ausgeführt von der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ im August 1944, wurden etwa 560 Dorfbewohner brutal gequält und dann ermordet.]

  • Bruss, Werner (SS-Unteroffizier), wohnhaft in Reinbek bei Hamburg (Schleswig-Holstein)
  • Concinca, Alfred Mathias (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Freiberg (Sachsen)
  • Göring, Ludwig (SS-Rottenführer), wohnhaft in Karlsbad (Baden-Württemberg)
  • Gropler, Karl (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Wollin (Brandenburg)
  • Rauch, Georg , (Unterleutnant), wohnhaft in Rümmingen bei Lörrach (Baden-Württemberg)
  • Richter, Horst, (SS-Unterscharführer), wohnhaft in Krefeld (NRW)
  • Schendel, Heinrich, (Unteroffizier), wohnhaft in Lißberg / Ortenberg (Hessen)
  • Sommer, Gerhard (Untersturmführer), wohnhaft in Hamburg-Volksdorf (Hamburg)
  • Schöneberg, Alfred, (SS-Unterscharführer), wohnte bei Urteilsverkündung in Düsseldorf (NRW), ist aber inzwischen verstorben.
  • Sonntag, Ludwig Heinrich, (Unterscharführer), wohnte bei Urteilsverkündung in Dortmund (NRW), ist aber inzwischen verstorben.

Verurteilt im September 2006 wegen der Beteiligung am Massaker in Falzano di Cortona vom italienische Militärgericht in La Spezia:

[Unter der Leitung von Josef Scheungaber wurde dieses Massaker im Juni 1944 als „Vergeltungsmaßnahme“ von der SS durchgeführt. 15 Zivilisten wurden in ein Bauernhaus gesperrt, das dann gesprengt wurde.]

  • Scheungraber, Josef (Unteroffizier), wohnhaft in Ottobrunn (Bayern)
  • Stommel, Herbert (Major), Wohnort unbekannt

Verurteilt im November 2006 wegen der Ermordung von insgesamt 10 Geiseln in den Dörfern Branzolino und San Tome (bei Forli) im August und September 1944 vom italienische Militärgericht in La Spezia:

  • Nordheim, Heinrich (Leutnant), wohnhaft in Greven (NRW)

Verurteilt im Oktober 2006 wegen der Beteiligung am Massaker im italienische Dorf Civitella vom italienischen Militärgericht in La Spezia:

[Bei diesem Massaker wurden 207 Zivilisten in dem italienischen Dorf Civitella in Val di Chiana am 29. Juni 1944 im Rahmen einer so genannten ?Vergeltungsaktion“ ermordet. Unter ihnen viele Kinder.]

  • Milde, Max (Unteroffizier), wohnhaft in Bremen / Steintorviertel

Bisher nicht verurteilt wurden Beteiligte des Massakers in Cefalonia. In Italien fand dazu bisher kein Verfahren statt. In Bayern wurde es schon nach kurzer Zeit niedergeschlagen:

[Bei diesem Massaker wurden am 24. September 1943 in Cefalonia das Kommando gegeben den italienischen General Antonio Gandin, zwölf seiner Offiziere und eine nicht genau bekannte Anzahl bereits entwaffneter italienischer Soldaten zu erschießen.]

  • Mühlhauser, Othmar (SS-Kommandeur), wohnhaft in Dillingen an der Donau (Bayern) 

Zusammenstellung: Andreas Grünwald (nach unterschiedlichen Quellen)

Verwendung: 0815-info vom 1. Dezember 2007
Verwendung ebenfalls bei: Kaffeesatz.blog.de vom 3. Dezember 2007
Verwendung zum Teil in: Junge Welt vom 3. Dezember 2007



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01. Dezember 2007

Berlin. Antifaschistische Initiativen aus dem gesamten Bundesgebiet rufen für diesen Samstag zu einem Aktionstag gegen die Kriegsverbrecher auf, die im Sommer und Herbst 1944 an den Massakern unter der italienischen Zivilbevölkerung in Marzabotto, Sant’ Anna di Stazzema und Civitella beteiligt waren. In zwölf Städten, darunter in Saarbrücken, Hamburg, Nürnberg, Freiberg und Bremen, werden Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen vor den Wohnungen der Täter stattfinden. Sie wurden in Italien zu lebenslanger Haft und zu hohen Entschädigungszahlungen verurteilt, leben in Deutschland aber völlig unbehelligt. (agw)

info: keine-ruhe.org

Verwendung: Junge Welt vom 1. Dezember 2007
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23. November 2007

Michael Naumann und Kurt BeckHamburger Linke setzt SPD unter Druck

In Hamburg gibt es derzeit einiges zu bestaunen: die Hafencity als des Kontinents größte Baustelle, eine imposante Ausstellung über die antiken Gräber von Paestum. Vor allem aber den „Linksruck“ der SPD. Denn mit jedem Tag, da die Bürgerschaftswahlen am 24. Februar 2008 nun näher rücken, umwirbt SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann auch die nach links schlagenden Herzen immer offensiver. Gefragt, was er von Ein-Euro-Jobs halte, ließ er diese Woche an diesen kein gutes Haar. Ähnlich bizarr auch die Auslegung des Wahlprogramms der SPD in anderen Fragen: Ein „Mindestlohn für Geringverdiener“ müsse nun her, ein „Stopp der Privatisierungen“, der „Verzicht auf die Studiengebühren“ sowie eine „kostenlose Kita-Betreuung“. sagt der 65-jährige ehemalige Staatsminister aus dem Kabinett von Gerhard Schröder. Es sind halt Wahlkampfzeiten und da sagt der Kandidat zu allem ja.

Doch aus dem Umfragetief kommt Naumann trotzdem nicht. Vor Wochen polterte er noch gegen „Die Linke“, weil deren Forderung nach einer Rekommunalisierung der Kliniken „Politik des letzten Jahrhunderts“ und aus der „Mottenkiste der DDR“ gewesen wäre. Doch das half auch nicht. Die Meinungsforschungsinstitute geben ihm und seiner Partei seit Monaten nur magere 32 Prozent. Von vier auf fünf, dann auf sechs, schließlich sogar auf sieben bis acht Prozent stiegen hingegen die Umfragewerte für „Die Linke“.

Olaf Harms (DKP) auf Listenplatz 10

Dass deren Ergebnis am Wahlabend noch viel besser wird, dafür kämpft die
linke Spitzenkandidatin Dora Heyenn. Sie spüre auf Wochenmärkten und auf Veranstaltungen ein großes Interesse, sagt die 58-jährige Lehrerin und frühere schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete der SPD gegenüber der UZ. Mit ihrer alten Partei brach Heyenn, als Oskar Lafontaine das Handtuch warf. Glaubwürdigkeit habe es in der Regierungspolitik seitdem nicht mehr gegeben. Die Hamburger Linke werde sich auch deshalb an keiner Regierung beteiligen. Selbst wenn sie das „Zünglein an der Waage“ wäre, sagt Heyenn. Doch selbst eine Tolerierung schlossen die 130 Delegierten eines Wahl-Parteitages Ende September weitgehend aus. Die könne es nur geben, wenn sich ein anderer Kandidat als der amtierende Bürgermeister Öle von Beust (CDU) auf das linke Sofortprogramm beziehe und dieses dann auch umsetze.

Deutlich wird diese Haltung auch an der Kandidatenliste. Denn auf den weiteren als aussichtsreich empfundenen Listenplätzen kandidieren der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Bischoff und die bisherige Sprecherin der Hamburger Linken, Christiane Schneider, der Erwerbslosenvertreter Wolfgang Joithe, die Bauer-Betriebsrätin Kersten Artus, Mehmet Yildiz von der Föderation der türkischen Arbeitervereine (DIDF), die iranische Marxistin Zaman Masudi, der Ex-Grüne Norbert Hackbusch (er verließ seine Partei anlässlich des Kosovo-Kriegs) und DKP-Landeschef Olaf Harms.

Dass die Kommunisten die LINKEN unterstützen, das beschloss eine Mitgliederversammlung der DKP erst nach Aufstellung der Kandidatenliste. Hier wollte man zunächst abwarten, ob der Verzicht auf Regierungsbeteiligungen und die Absage weiterer Privatisierungen wirklich beschlossen werden. Entscheidungsrelevant war außerdem, ob sich die Orientierung auf „offenen Listen“ und auf die außerparlamentarischen Bewegungen durchsetzt.

Nun sieht es freilich so aus, als wenn mit Harms auch ein Kommunist wieder in die Bürgerschaft einziehen könnte. Oberhalb eines Ergebnisses von acht Prozent wäre dies wahrscheinlich, heißt es aus dem linken Wahlbüro. Gute Chancen, Parlamentsmandate zu erringen, hat die DKP aber auch in Harburg und in Wandsbek. Denn hier kandidieren Kommunisten schon ab Platz 3 der jeweiligen linken Wahlvorschläge für die „Bezirksversammlungen“ genannten Kommunalparlamente.

DKP unterstützt die Kandidatur von „Die Linke“
* Die DKP unterstützt die Kandidatur der Partei „Die Linke“ bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen am 24.2.2008 und wird daher zu diesen Wahlen eine Eigenkandidatur nicht durchführen.
* Die DKP-Hamburg wird sich inhaltlich mit ihren eigenen politischen Forderungen und Aussagen in den Wahlkampf einbringen. Hierzu wird ein Wahlaktiv, bestehend aus unseren Kandidatlnnen sowie mindestens je einem Mitglied pro Grundorganisation gebildet und die Herstellung von eigenen DKP-Wahlkampfmaterialien (Plakat, Flugblätter) organisiert. Als weiteres zentrales Wahlkampfmaterial wird die Broschüre „Hamburg – Stadt der Klassengegensätze“ gedruckt und in Umlauf gebracht.
* Die Gliederungen der DKP-Hamburg greifen aktiv in den Wahlkampf ein.
* Unser Ziel sind starke Fraktionen der linken und fortschrittlichen Kräfte mit einer klaren Orientierung auf die außerparlamentarischen Bewegungen
(Beschluss der DKP-Hamburg zu den Wahlen zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen am 24.02.08 in Hamburg)

Verwendung: Unsere Zeit, Printausgabe 23.11.07, Seite 7
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19. November 2007

Detlef_Baade
Ausstand bei der Bahn im Hamburger Hafen deutlich zu spüren. Docker solidarisch. Ein Gespräch mit Detlef Baade

Detlef Baade ist Betriebsrat bei Eurogate Hamburg und ver.di-Schwerbehindertenvertreter

In der vergangenen Woche hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) für mehrere Tage den Güterverkehr lahmgelegt. Wie hat sich das im Hamburger Hafen ausgewirkt?

Der Hamburger Hafen wird jeden Tag von etwa 35 Hochseeschiffen angelaufen. Rund 6000 Container werden täglich per Bahn umgeschlagen. Das sind fast 30 Prozent der Gesamtmenge. Insofern war der Streik deutlich zu spüren, denn von täglich 200 Güterzügen ist fast die Hälfte ausgefallen. Schwierigkeiten gab es vor allem bei den Exportcontainern, also bei jenen, die auf die Schiffe verladen werden. Da etliche Container zu spät geliefert wurden, blieben sie stehen. Doch unsere Terminals werden inzwischen von etwa 50, meist privaten Eisenbahnunternehmen angefahren. Und mit Hilfe dieser Privaten, die einen Marktanteil von etwa 50 Prozent haben, gelang es den Unternehmen, Gassen zu schlagen. Würde die GDL zu längeren Streikaktionen aufrufen – also zu solchen, die über drei Tage hinausgehen – dann wäre so etwas kaum noch möglich, und nicht nur der Hafen, sondern auch die Zulieferbetriebe kämen in arge Bedrängnis.

Wie haben die Hafenarbeiter den Streik erlebt? Gab es Verständnis und Solidarität?

Die große Mehrzahl unserer Kollegen hat großes Verständnis für diesen Streik. Da gab es viele und meist spontane Äußerungen der Solidarität. Auch unter den ver.di-Vertrauensleuten spüren immer mehr Kollegen, daß wir als Gewerkschaft mit diesem Streik der Lokomotivführer solidarisch sein müssen. Durch Aktionen, aber auch in der Aufklärung der Öffentlichkeit. In unserem Betrieb haben wir das auf einer Vollversammlung der Vertrauensleute bereits diskutiert.

Die ver.di-Spitze argumentiert aber doch, daß dieser Streik nur der Versuch sei, Einzelinteressen auf Kosten anderer durchzusetzen.

Es wäre natürlich viel besser, wenn sich auch die Kollegen der Gewerkschaft Transnet diesem Arbeitskampf anschließen würden. Das gäbe der Sache viel mehr Kraft. Angesichts des Reallohnverlustes, den die Triebwagenfahrer und das übrige Fahrpersonal in den vergangenen Jahren hinnehmen mußten, und angesichts des unverschämt niedrigen Lohnniveaus ist dieser Arbeitskampf mehr als gerechtfertigt. Denn von Arbeit muß man leben können. Zudem verteidigen die GDL-Kollegen ja auch unser Streikrecht. Ist dieses demokratische Grundrecht erst einmal eingeschränkt, dann sieht nicht nur die GDL ziemlich alt aus, sondern wir alle.

Sehen Sie nicht die Gefahr einer dauerhaften Spaltung der Gewerkschaften, wenn für immer mehr Berufsgruppen Sondertarifverträge ausgehandelt werden?

Die Tarifgemeinschaft muß auch bei der Bahn langfristig wiederhergestellt werden. Doch ich wiederhole: Dieser Arbeitskampf ist berechtigt und notwendig. Denn nicht nur die Löhne, sondern auch die Arbeitsbedingungen haben sich für die Mitarbeiter der Bahn immer weiter verschlechtert. Was hat Transnet konkret dagegen getan? Während sich die Belegschaft zwischen 1994 und 2006 fast halbierte, haben sich die Konzerngewinne der Deutschen Bahn im gleichen Zeitraum vervielfacht. Nun streikt die GDL für eine Rücknahme dieser Verschlechterungen. Und dafür soll sie platt gemacht werden, ein Exempel soll statuiert werden. Eine Niederlage der GDL würde dazu führen, Tür und Tor für einen Angriff auf alle anderen Gewerkschaften zu öffnen. Nicht wer kämpft, spaltet die Gewerkschaftsbewegung, sondern diejenigen, die immer wieder bereit sind, zurückzuweichen oder faule Kompromisse zu machen. Ich fordere alle DGB-Gewerkschaften deshalb dazu auf, Solidaritätsaktionen mit den Lokführern und dem übrigen Fahrpersonal zu organisieren.

Eine entsprechende Initiative ging in Hamburg vom ver.di-Fachbereich 8 und von der Deutschen Journalistenunion (dju) aus. Die Kollegen laden für Montag abend um 18.30 Uhr zu einer Solidaritätsveranstaltung ins Gewerkschaftshaus (Besenbinderhof). Doch in der ver.di-Landesleitung war der Druck sehr stark, die Veranstaltung wieder abzusagen.

Das verstehe ich nicht, denn auch wenn die GDL nicht zum DGB gehört, so sind es doch unsere Kollegen. Die Einheit der Gewerkschaften wiederherzustellen ist keine akademische Aufgabe, sondern sie realisiert sich in den konkreten Tageskämpfen. Ich gehe deshalb davon aus, daß in der Folge dieser Veranstaltung noch viele Solidaritätsaktionen stattfinden. Diesen Willen der Basis muß auch unsere Leitung akzeptieren.

Verwendung: Junge Welt vom 19. November 2007
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17. November 2007

In dem vom Hamburger SPD-Bürgermeisterkandidaten Michael Naumann gegen das Vorstandsmitglied der Hamburger Linken, Horst Bethge, betriebenen Unterlassungsverfahren, hat das Landgericht Hamburg eine Entscheidung am Freitag vertagt. Wie berichtet hatte Naumann beantragt, Bethge untersagen zu lassen, er sei ein „alter Bertelsmann“, der „jahrelang intime Beziehungen zum Bundesnachrichtendienst (BND“ gepflegt habe. Die Verhandlung wurde vertagt, nachdem der Anwalt von Bethge Klaus Dammann erst jetzt bekannt gewordene Schriftsätze zwischen Naumann und dem Verlag Kiepenheuer & Witsch aus dem Jahr 1998 vorgelegt hatte.

Aus diesen geht hervor, dass das im gleichen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschiene Buch von Erich Schmitt-Eeenboon „Undercover – Der BND und die deutschen Journalisten“ auch mit Naumann abgestimmt war. Bethge stützte seine Angaben auf dieses Buch, während Naumann stets behauptet hatte, dass die darin über ihn enthaltenen Aussagen „absurd“ seien.

Doch ebenso geht aus diesem Briefwechsel nun hervor, dass Naumann nicht nur ein Mal, und wie von ihm selbst bestätigt, „Arbeitskontakte“ zum BND hatte, sondern gleich mehrfach und über mehrere Jahrzehnte. Selbst die Angabe in dem Buch von Schmitt-Eenboom, dass Naumann bereits im März 1970 auf einer Liste der BND und unter dem Decknamen „Nord-Dorf“ vom BND Dienststellenleiter 923 Elze geführt wurde, hat Naumann in dem Briefwechsel mit Verlag Kiepenheuer & Witsch schon 1998 bestätigt. Noch am Donnerstag hatte der SPD-Politiker hingegen behauptet, dass alle diese Angaben „grundfalsch“ gewesen wären und er nur deshalb seinerzeit auf eine Klage verzichtet habe, weil diese „Unterstellungen“ „keine Wellen geschlagen“ hätten und er außerdem beim Segeln gewesen wäre.

Die Verhandlung vor dem Landgericht wurde unterbrochen, damit Naumann, der an der Verhandlung am Freitag selbst nicht teilnahm, nun Gelegenheit erhält zu den Briefen Stellung zu beziehen. Mit einer Entscheidung in der Sache, ist damit aber nicht vor Ende Dezember, vielleicht auch erst im Januar zu rechnen. Treffe das Landgericht am Freitag keine Entscheidung, habe er selbst „ein Problem“, so hatte es Naumann noch tags zuvor gegenüber Journalisten betont. Dieses Problem hat er nun. Denn mitten im Wahlkampf zu den im Februar anstehenden Bürgerschaftswahlen, darf nun weiterhin und öffentlich darüber gerätselt werden, wie tief die Beziehungen zwischen Naumann und dem Geheimdienst tatsächlich waren oder sind. Bethge zeigte sich indes zufrieden: „Nach Lage der Fakten, lasse ich mir den Mund nicht verbieten und sehe keine Veranlassung auf das Unterlassungsbegehren einzugehen“, sagte Bethge unmittelbar nach der Verhandlung.

Verwendung: bisher keine Verwendung in einem anderen Medium
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16. November 2007

Demo_gegen_Razzia_9_MaiBundesgerichtshof rüffelt die Bundesanwaltschaft. Durchsuchung bei G-8-Gegnern wurde zur Anbringung von Abhörwanzen genutzt

Die bundesweite Razzia gegen Kritiker des G-8-Gipfels am 9. Mai dieses Jahres war offenbar rechtswidrig. Das geht aus einem Schreiben des 3. Senats des Bundesgerichtshofes (BGH) an die Bundesanwaltschaft hervor. Das Dokument wurde den Anwälten der von den Untersuchungen betroffenen Personen in Kopie zugestellt. Der BGH verneint darin einen Straftatbestand nach Paragraph 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) und somit auch die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft.

In mindestens einem Fall seien bei den Durchsuchungen Abhörwanzen angebracht worden, sagte die Hamburger Rechtsanwältin Britta Eder am Donnerstag zu junge Welt. Wenn aber schon die Razzia unrechtmäßig gewesen sei, dann sei auch der damit eingeleitete Lauschangriff ein »klarer Rechtsbruch«. Die Abhöraktion sei laut Bundesanwaltschaft mit einer Video- und Telefonüberwachung verbunden gewesen. Mikrofon und Sender seien erst am 14. Juni entfernt worden – und zwar durch ein heimliches Eindringen der Polizei. Aus Akten der Staatsschutzorgane gehe hervor, sagte Eder, daß es von vornherein geplant war, linke Projekte bzw. deren Aktivisten zu belauschen.

Hintergrund der Razzia, bei der allein in Hamburg und Berlin rund 900 Beamte in etwa 40 Büros sowie Wohnungen Linker eindrangen, waren Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft gegen 18 bekannte und weitere unbekannte Personen. Da diese das Ziel hätten, »mit Brandanschlägen und anderen Gewalttaten« den G-8-Gipfel in Heiligendamm zu stören, sei von der Bildung einer »terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129a Strafgesetzbuch auszugehen, hieß es in den damaligen Verlautbarungen der Behörden. Der BGH hält dem jedoch im zitierten Schreiben entgegen, konkret beanstandete Aktionen, wie Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen oder das Besprühen von Gebäuden, seien nicht geeignet gewesen, die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern. Und deshalb sei auch der Vorwurf der Bildung einer »terroristischen Vereinigung« unsinnig.

Verwendung: Junge Welt vom 16. Juni 2007
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14. November 2007

Landgericht Hamburg soll am Freitag über Unterlassungsklage entscheiden

Der Hamburger SPD-Bürgermeisterkandidat und ehemalige Zeit-Mitherausgeber Michael Naumann will dem Vorstandsmitglied der Hamburger Linken, Horst Bethge, gerichtlich die Aussage verbieten lassen, Naumann sei ein »alter Bertelsmann« und habe jahrelang »intime Beziehungen zum Bundesnachrichtendienst (BND)« gepflegt. Über eine entsprechende Unterlassungsklage will das Landgericht Hamburg am Freitag entscheiden.

Bethge hatte die beanstandeten Aussagen Mitte April per E-Mail an einige Bekannte verschickt. Wenige Tage später forderte Naumann eine Unterlassungserklärung, verbunden mit der Aufforderung, Bethge möge unterschreiben, daß er für den »entstandenen oder entstehenden Schaden« aufkomme. Doch sowohl das Landgericht, als auch das Oberlandesgericht wiesen die Eilanträge Naumanns auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurück. Jetzt sucht er sein Glück im Klageverfahren. Gewinnt er es, könnte es für Bethge teuer werden, denn der Streitwert des Verfahrens liegt bei 30000 Euro.

Daß es zwischen Naumann und dem BND Kontakte gegeben hat, steht indes zweifelsfrei fest. Bethge hatte sich in seiner Mail auf den Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom berufen, der in dem Buch »Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten« schon 1998 eine Kontaktliste des BND aus dem März 1970 veröffentlicht hatte. Naumann, der dort unter dem Decknamen »Nord-Dorf« geführt wurde, wandte ein, es sei lediglich ein »Zufallskontakt« gewesen. Er habe 1970 bei der Pressestelle des BND angerufen und um Illustrationen für den Nachdruck eines amerikanischen Artikels über den russischen Geheimdienst gebeten.

Zufall hin oder her: Die von Schmidt-Eenboom veröffentlichte Liste von 230 »Pressesonderverbindungen« war auf Ersuchen des damaligen Kanzleramtsministers Horst Ehmke (SPD) erstellt worden, der Licht in das Treiben des seinerzeit von vielen Skandalen geschüttelten Geheimdienstes bringen wollte. Doch selbst wenn Naumann wirklich zufällig auf die Liste gekommen sein sollte – der damals 29jährige hatte noch ganz andere Verbindungen. Denn just, als seine steile journalistische Karriere 1970 bei der Zeit begann, heiratete er die Tochter des damaligen BND-Chefs (und ehemaligen Nazioffiziers) Gerhard Wessel. Dieser sagte einmal: »Ich halte es für eine legitime und ehrenvolle Mitarbeit auch von Journalisten, wenn sie dem BND Erkenntnisse vermitteln.« Auffällig ist ebenfalls, daß Naumann, als er 1979 die erste Dossier-Redaktion bei der Zeit übernahm, innerhalb eines Jahres gleich drei Dossiers mit Geheimdienstthemen füllte: eine erste zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR, eine zweite über den Zugang israelischer Agenten zu in Deutschland inhaftierten Palästinensern, eine dritte dann im März 1980 zu Lauschangriffen. Alle drei waren laut Schmidt-Eenboom mit »Teilinformationen« aus dem BND gespickt.

Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg: Naumann contra Bethge. Freitag, 16. 11. 2007, 11 Uhr im Ziviljustizgebäude, Sievekingplatz 1, Sitzungsraum B 335

Verwendung: Junge Welt vom 14. November 2007
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13. November 2007

Einzelhandelsstreik HamburgTrotz Einschüchterungsversuchen wird Arbeitskampf im Einzelhandel verstärkt. Kundgebungen und Demonstrationen in Hamburg und Berlin

In Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind am Montag erneut zahlreiche Einzelhandeslbetriebe bestreikt worden. Zu einer ver.di-Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz kamen mehrere hundert Beschäftigte von Rewe, Reichelt, Schlecker, real, Penny Kaufland und Kaisers. Mit Trommeln und Trillerpfeifen erneuerten sie ihre Forderungen nach 6,5 Prozent mehr Lohn, Beibehaltung der Spät- und Nachtzuschläge sowie einer »Azubiquote« von zehn Prozent. Außerdem verlangten sie die Angleichung der Ostlöhne an das Westniveau.

»Die Abend- und Nachtzuschläge betragen 20, beziehungsweise 50 Prozent vom Stundenlohn. Wenn die gestrichen werden, bleibt von unserem Gehalt nicht mehr viel übrig«, berichtete eine Rewe-Verkäuferin. Beschäftigte von Reichelt hatten auf Plakaten den Werbeslogan ihres Betriebs »Wir lieben Lebensmittel« mit dem Zusatz »aber wir müssen sie uns auch kaufen können« versehen. Mehrere Redner auf dem Alexanderplatz riefen die Streikenden auf, sich nicht einschüchtern zu lassen: »Alle Kolleginnen und Kollegen, die heute nicht hier sind, sind nicht im Betrieb geblieben, weil sie ihren Chef so gernhaben. Die haben einfach eine Scheißangst nach den Einschüchterungsaktionen der Arbeitgeber.« Man müsse alle ermutigen, an den Streiks teilzunehmen, denn das einzige, wovor man wirklich Angst haben müsse, sei ein Scheitern des Tarifkampfes: »Wir haben nichts zu verlieren!« sagte ver.di-Sekretär Siegmar Roder, bedauerte allerdings, daß es bisher nur in wenigen Fällen gelinge, Filialen dichtzubekommen. Mit Aushilfen von Zeitarbeitsfirmen habe der Betrieb bislang meist aufrecht erhalten werden können.

In Hamburg ging am Montag in zahlreichen Kaufhäusern, Discountern und Supermärkten nichts mehr. In anderen Geschäften war der Verkauf massiv eingeschränkt. Gestreikt wurde bei Karstadt und Kaufhof, bei Rewe, Penny und Marktkauf, in Toom-, Sky- und Plusmärkten sowie in Filialen von Max Bahr und Thalia-Buchhandlungen. Mehr als 1000 Beschäftigte waren dem Aufruf der Gewerkschaft ver.di zu Ausstand und Demonstration gefolgt. Zum ersten Mal gingen dabei die Beschäftigten aller Betriebe, die seit Ende vergangener Woche bestreikt wurden, gemeinsam auf die Straße. Die Aktionen waren verstärkt worden, weil die Tarifrunde für die mehr als 50000 Beschäftigten der Branche in Hamburg festgefahren ist. Auch in der Hansestadt geht es vor allem um die Streichung der Zuschläge für Abend- und Spätstunden. »In der Tarifauseinandersetzung ist dies ein neuer Anlauf für die Durchsetzung von Lohnerhöhungen und für den Erhalt des Manteltarifvertrages mit Urlaub und Urlaubsgeld, mit Nacht- und Spätzuschlägen, mit Weihnachtsgeld und Altersvorsorge«, so ver.di-Fachbereichsleiter Ulrich Meinecke am Montag auf der Abschlußkundgebung am Gerhart-Hauptmann-Platz.

Arbeitsniederlegungen gab es zu Wochenbeginn auch in Schleswig-Holstein. Schwerpunkt des dortigen Arbeitskampfes war das Zentrallager von Rewe in Norderstedt, von dem aus Märkte in ganz Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern beliefert werden. Bereits um drei Uhr früh legten die ersten Beschäftigten ihre Arbeit nieder. In Niedersachsen in der Region Hannover setzten die Beschäftigten von Rewe, Extra und Penny ihren am Freitag begonnenen Ausstand fort. Am heutigen Dienstag findet unter anderem eine Kundgebung an der Berliner Philharmonie (8 Uhr) statt, zu der ver.di weit über 2000 Teilnehmern erwartet. In Köln werden die Beschäftigten von 39 Rewe- und 15 Penny-Filialen ganztägig die Arbeit niederlegen.

Verwendung: Junge Welt vom 13. November 2007
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13. November 2007

Lorenz Gösta Beutin, Landessprecher der Partei Die Linke in Schleswig-HolsteinDie Linke Schleswig-Holsteins zieht mit antikapitalistischen Positionen und offenen Listen in den Wahlkampf. Ein Gespräch mit Lorenz Gösta Beutin

Lorenz Gösta Beutin ist Landessprecher der Partei Die Linke in Schleswig-Holstein

Auf der Fortsetzung des Gründungsparteitages der Partei Die Linke in Schlewig-Holstein ist am Sonntag in Kiel ein Leitantrag verabschiedet worden. Gestritten wurde im Vorfeld über Fragen einer möglichen Regierungsbeteiligung und ob in einem landespolitischen Forderungskatalog auch sozialistische Zielsetzungen ihren Platz haben. Welche Positionen haben sich durchgesetzt?

Wir haben deutlich gemacht, daß landes- und kommunalpolitische Alternativen in eine gesellschaftspolitische Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus eingebettet sein müssen. Denn wir wollen eine Gesellschaft, die frei ist von der Herrschaft des Kapitals. Lokal handeln, aber global denken, das war unser Motto auch auf diesem Parteitag.

Ebenso klar ist unsere Haltung zur Frage möglicher Regierungsbeteiligungen. Wir werden sowohl bei den Kommunalwahlen als auch bei den dann folgenden Landtagswahlen als eine klare Oppositionskraft zum neoliberalen Mainstream antreten.

Aber wie würden Sie sich verhalten, wenn nach den Landtagswahlen die Bildung einer neuen Landesregierung nur mit Unterstützung der Linken möglich wäre?

Dann würden wir eine solche Regierung nur tolerieren, wenn sie zu einem grundsätzlichen Politikwechsel bereit wäre. Das aber hieße zum Beispiel, daß sie für die Erhöhung der Erbschaftssteuer und für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aktiv eintreten müßte. Daß sie sich den Hartz-IV-Gesetzen verweigert, Ein-Euro-Jobs abschafft und durch reguläre und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt. Ebenso müßte eine solche Regierung das bisherige selektierende Schulsystem durch eine Schule für alle ersetzen. Definitiv Schluß sein müßte mit der bisherigen Privatisierungs- und Kürzungspolitik.

Linke Politik muß glaubwürdig sein. Deshalb haben wir unterstrichen, daß es uns nicht nur um einen Parteienwechsel, sondern um einen Politikwechsel geht. Außer dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) sind die anderen Parteien doch nur Wasserträger des Neoliberalismus.

In Ihrem Leitantrag haben Sie sich gegen den Überwachungsstaat und für eine Rücknahme der Verschärfung des Polizeirechts in Schleswig-Holstein ausgesprochen. Wie stehen Sie angesichts dieser Positionierung zur angestrebten Verschärfung des Polizeirechts in Berlin?

Auf Bundesebene vertritt Die Linke die gleiche Position wie wir auf Landesebene. Was in Berlin passieren soll, widerspricht der Position der Gesamtpartei deutlich. Vor diesem Hintergrund habe ich in meiner Rede meiner Freude Ausdruck verliehen, daß in Berlin dazu jetzt eine Diskussion in Gang kommt. Da sollten wir unseren Berliner Genossinnen und Genossen den Rücken stärken, damit sie den Mut haben, diesen Weg in Richtung Überwachungsstaat nicht mitzugehen.

Unterstrichen hat Ihr Parteitag das grundsätzliche Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Auch wenn sich diese auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta vollziehen. Was waren dafür die Motive?

So wie in der alten PDS gibt es auch in der neuen Partei durchaus einige, die diese friedenspolitischen Positionen aufweichen möchten. Deshalb haben wir mit ganz großer Mehrheit verdeutlicht, daß dies mit uns nicht zu machen ist.

Im Mai 2008 finden Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein statt. Wie und mit welchen Zielen wird Ihre Partei daran teilnehmen?

Wir wollen in alle Kreistage und in etliche Gemeindevertretungen in Fraktionsstärke einziehen. Für den Wahlkampf wurden kommunalpolitische Eckpunkte bereits erarbeitet, die nun auf einem weiteren Parteitag Anfang 2008 verabschiedet werden sollen. Auch dort steht der Kampf gegen Privatisierungen und den weiteren Sozialklau im Vordergrund. Wir fordern zudem eine Rekommunalisierung aller bereits privatisierten Bereiche. Wichtig für uns ist auch der Antifaschismus. Denn auf kommunaler Ebene nehmen die Aktivitäten von Neonazis in Schleswig-Holstein bedrohlich zu.

Bereits festgelegt haben wir außerdem, daß wir bei den Kommunalwahlen mit offenen Listen antreten werden. Wir bemühen uns, Vertreter der außerparlamentarischen Bewegungen, aus lokalen Initiativen und aus anderen linken Gruppen für unsere Kandidatenlisten zu gewinnen. Diese Haltung kam auch in einer Solidaritätsresolution mit den streikenden Lokführern zum Ausdruck. Wir unterstützen ihre Forderungen nach deutlichen Lohnerhöhungen genauso wie ihr Engagement gegen die Privatisierung der Bahn.

Verwendung: Junge Welt vom 13. November 2007
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13. November 2007

Rund 500 Mitarbeiter müssen an die Spree umziehen

Der bereits vor mehreren Monaten angekündigte Umzug der Zeitungen Bild und Bild am Sonntag von Hamburg nach Berlin wird nun konkret. Wie der Verlag am Montag in Hamburg ankündigte, werden beide Blätter schon ab Ostern 2008 in Berlin produziert. Vorgesehen ist, daß rund 500 Mitarbeiter aus Redaktion und Verlag von der Alster an die Spree umziehen. Das aber, so sagte ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose, sei eine »fatale Verlagerung von Arbeitsplätzen«, durch die der Mediensektor in Hamburg weiter ausblute.

Alle Erfahrungen zeigten, daß bei derartigen Konzernoperationen Arbeitsplätze nicht nur verlagert, sondern auch vernichtet werden, faßte Rose in einer Stellungnahme seine Befürchtungen zusammen. Doch sein Appell an Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sich für den Hamburger Standort einzusetzen, hat bisher nichts gebracht. Der Konzern teilte am Montag nur mir, daß er den Betroffenen bei der Wohnungssuche in Berlin helfen werde und ebenso bei der Jobsuche für die jeweiligen Partnerinnen oder Partner. Konkretisiert wurde dies allerdings genausowenig wie das Versprechen, nach geeigneten Tagesstätten für die Kinder der Mitarbeiter Ausschau zu halten.

Wie viele der 500 vorgesehenen Mitarbeiter nach Berlin ziehen werden, ist nach Verlagsangaben bisher nicht abzusehen. Wer nicht umziehen wolle, für den müßten »sozialverträgliche Lösungen« gefunden werden, so ein Konzernsprecher. Er betonte, daß es dem Springer-Konzern bei dem Umzug nicht um Personalabbau, sondern nur um »publizistische und unternehmenspolitische« Überlegungen gehe.

Doch dagegen steht, daß beim Umzug des Finanzbereichs des Springer-Konzerns von Hamburg nach Berlin, bereits im Juni 34 Kündigungen ausgesprochen wurden. Es waren die ersten Kündigungen dieser Art im Springer-Verlag seit 1978. So warnt denn auch der Vorsitzende des ver.di-Fachbereichs Medien und Morgenpost-Betriebsrat Holger Artus, daß sich andere Mitarbeiter ebenfalls »auf einen wesentlich härteren Umgang« in dem Medienkonzern einstellen müßten.

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10. November 2007

KameraIm niedersächsischen Stade werden die 1700 Einwohner eines Stadtviertels rund um die Uhr überwacht: Mit über 300 Videokameras, 100 weitere sollen noch installiert werden. Mit der Begründung, »Straftaten« so besser dokumentieren zu können, hatten die Wohnungseigentümer unlängst beschlossen, alle Plätze, die Haus­eingänge, Fahrstühle und Treppenhäuser sowie die Müllpavillons mit moderner Technik zu überwachen.

Die »Bevölkerung will die Kameras nicht – sie müssen wieder weg«, forderte am Freitag der Vertreter des Stader »Sozialbüros«, Werner Gutmann, im Gespräch mit junge Welt. In der ehrenamtlich betriebenen Einrichtung werden unter anderem Erwerbslose, aber auch Geringverdiener, kostenlos beraten. Rund 70 Prozent der Bewohner des Viertels zählen zu diesem Personenkreises. Seit Installation der Kameras fühlten sich die Bewohner »wie in einem Knast«, sagte ein junger Mann aus der Breslauer Straße.

Solche Einwände zählen bei den Eigentümern der 660 Wohnungen nicht, die sie schon 1986 nach der Pleite der gewerkschaftseigenen Neue Heimat gekauft hatten – zu Spottpreisen und häufig als reines Renditeobjekt. Die Eigentümerversammlung argumentiert laut Gutmann damit, daß die zahlreichen leerstehenden Wohnungen besser vermietet werden können, wenn »gefühlte Sicherheit« ins Viertel einkehre. Für die Kameras zahle das Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« obendrein noch Zuschüsse.

Die ständige Beobachtung sei nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein unzulässiger Eingriff in das »Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung«, sagt der Stader Rechtsanwalt Rainer Kattau. Vor der Installation der Kameras hätten deshalb die Mieter zustimmen müssen. Kattau vertritt mehrere Mandanten, bei denen die um 180 Grad schwenkbaren Geräte direkt vor den Wohnungstüren angebracht wurden.

»Das ist weniger dramatisch, als es scheint«, sagt hingegen der Chef der Stader Stadtverwaltung, Dirk Kraska. Rechtliche Probleme gebe es schon deshalb nicht, weil die mit einem Bewegungsmelder ausgerüsteten Kameras auf Privatgrundstücken stünden. Die Aufzeichnungen würden zudem nach sieben Tagen gelöscht. Doch zuvor wird das Filmmaterial laut Gutmann ausgewertet: durch die Hausmeister der Eigentümergemeinschaft. Und jetzt hätten viele Bewohner Angst, daß diese das Material mißbrauchen könnten. Denn die Kontrolleure kontrolliere in Stade niemand. »Das ist der Gipfel der Unverschämtheit«, sagte Jan Korte, Innenpolitiker der Bundestagsfraktion Die Linke, am Freitag gegenüber junge Welt. Zur Auswertung des Filmmaterials müsse geschultes Personal sowie ein Datenschutzbeauftragter eingesetzt werden.

Doch der Wahnsinn kennt in Stade keine Grenzen: An den Mülltonnen seien jetzt auch Chipanlagen installiert worden, berichtete am Freitag der Sprecher der Linkspartei in diesem Viertel, Klaus Stahncke. Die Tonnen ließen sich jetzt nur noch mit Hilfe eines persönlichen Chips öffnen. Damit lasse sich jetzt exakt nachprüfen, wer um welche Uhrzeit Müll eingeworfen habe.

[Dieser Beitrag erschien als Titel-Story in der Jungen Welt vom 10. November 2007. Sie können ihn deshalb hier als PDF-Datei herunterladen.]

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10. November 2007

Bettlermarsch 2006Hamburg. Bereits zum siebten Mal findet am heutigen Samstag der Hamburger Bettlermarsch statt. Erneut soll so auf die Situation der Armen und Obdachlosen aufmerksam gemacht werden, erklärte Margit Wolf, Geschäftsführerin der Obdachloseneinrichtung »CaFée mit Herz« und Sprecherin der Bettlermarsch-Initiative. In diesem Jahr habe man sich im Vorbereitungskreis die Frage gestellt, ob die zunehmende Armut inzwischen nicht sogar »politisch erwünscht« sei. Wolf verwies in diesem Zusammenhang darauf, daß allein in Hamburg jeden Tag acht Wohnungen zwangsweise geräumt werden.

Der jährliche Aufmarsch, der von St. Pauli quer durch die Innenstadt führt, war 2001 initiiert worden, weil der damalige Innensenator Ronald Barnabas Schill Bettler und andere Arme aus der Innenstadt vertreiben wollte. Seitdem setzt der Marsch ein jährliches Zeichen der Solidarität – hier ein Foto von 2006. Heute werden dabei die Forderungen nach einer »deutlichen Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes« und einem Mindestlohn »nicht unter acht Euro« im Mittelpunkt stehen. (ag/jW)

Beginn 13 Uhr, Spielbudenplatz auf der Reeperbahn

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09. November 2007

Der Streik der Lokführer bei der Deutsche-Bahn-Tochter Rai­lion hat bereits wenige Stunden nach seinem Beginn am Donnerstag um 12 Uhr zu erheblichen Beeinträchtigungen des Güterverkehrs geführt. Die Zentren und Rangierbahnhöfe würden »nach und nach vollaufen«, sagte der GDL-Bezirkschef von Berlin-Sachsen-Brandenburg, Hans-Joachim Kernchen, im RBB. Wenn Züge nicht aus den Anlagen herausführen, seien die Kapazitäten irgendwann erschöpft. Nach Angaben der Bahn sind in Ostdeutschland bis zum frühen Abend über 90 Prozent aller geplanten Güterzüge ausgefallen.

Stark betroffen waren auch die deutschen See- und Binnenhäfen, wo die Be- und Entladung der Schiffe am heutigen Freitag teilweise zum Erliegen kommen könnte. Im Hamburger Hafen wurde ein Krisenstab eingerichtet. Viele Reedereien haben ihre Schiffe bereits umgeleitet, was für die Hafenbetreiber Millionenverluste bedeutet. Die örtlichen Beschäftigten stehen oftmals auf der Seite der GDL »Die Forderungen der Lokomotivführer nach deutlich höherem Lohn sind gerechtfertigt. Deshalb sind wir Hafenarbeiter mit dem Streik solidarisch«, erklärte am Donnerstag Thomas Adler, Betriebsrat im Gesamthafenbetrieb Hamburg, gegenüber jW. »Die GDL kämpft nicht nur ums Geld, sondern auch um die historischen Rechte aller Arbeitnehmer. Sie verteidigt unser Streikrecht«, sagte Detlef Baade, Betriebsrat bei Eurogate und ver.di-Schwerbehindertenvertreter.

Auch bei Fahrzeugherstellern gab es bereits am Donnerstag erste Engpässe. Firmensprecher von VW und Opel wollten Kurzarbeit nicht ausschließen, falls die Streiks länger andauern sollten. Das Porschewerk in Leipzig muß am heutigen Freitag eventuell seine Produktion einstellen, da die Anlieferung wichtiger Teile aus Bratislava auf der Kippe stehe, erklärte ein Konzernvertreter. Die Arbeitsniederlegung im Güterverkehr soll noch bis Sonnabend morgen fortgesetzt werden.

Die Bahn zeigte sich am Donnerstag allerdings unbeeindruckt. »Es wird absehbar kein neues Angebot geben«, erklärte Transportvorstand Norbert Bensel am Nachmittag. Einige Stunden zuvor hatte die Nachrichtenagentur AP erstmalig den Wortlaut der von den im August als Vermittler in dem Tarifstreit bestellten CDU-Politiker Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler verfaßten »Interpretation« des Moderationsergebnisses veröffentlicht. Aus dem Papier geht eindeutig hervor, daß Geißler und Biedenkopf von einem »eigenständigen Tarifvertrag« der GDL ausgingen, »der Entgelt und Arbeitszeitregelungen für Lokomotivführer umfaßt«. Die von der Bahn AG verlangte »Konflikt- und Widerspruchsfreiheit« tariflicher Regelungen innerhalb des Konzerns »ist auch gewährleistet, wenn sie durch zwei selbständige Tarifverträge« und einer darauf aufbauenden Kooperationsvereinbarung basiere, heißt es weiter. Bisher hatte die Bahn AG stets behauptet, laut dem Moderationsergebnis seien unterschiedliche Tarifverträge im Konzern ausgeschlossen.

Mehrere GDL-Sprecher reagierten auf die Weigerung der Bahn, ein Angebot für einen eigenständigen Vertrag vorzulegen, mit der Ankündigung, die Streiks in der kommenden Woche auszuweiten. Solange die Konzernleitung seiner Gewerkschaft »nur ein Kinderzimmer mit Laufgestell zugestehen will «, werde man weiterkämpfen, sagte der GDL-Vizechef Günther Kinscher im WDR. Er sei zudem guter Hoffnung, daß die Wirtschaftsverbände wegen der Auswirkungen des Streiks Druck auf den Eigentümer Bund ausüben und den Bahnvorstand zur Räson bringen würden.

[Der vorgestellte Beitrag wurde von meinem jW-Kollegen Rainer Balcerowiak verfasst. Meinerseits wurden die Passagen zur Solidarität durch die Hafenbetriebsräte beigesteuert. – AG]

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06. November 2007

Linksfraktion hält die Arbeit der mecklenburg-vorpommerschen Landesregierung für »grottenschlecht«

Ein Jahr nach der Bildung einer neuen Koalitionsregierung aus SPD und CDU für Mecklenburg-Vorpommern hat die Linksfraktion im Schweriner Landtag eine »verheerende Bilanz« gezogen. In einer Erklärung warf der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion, Wolfgang Methling, der Landesregierung am Montag vor, vor allem in der Arbeitsmarkt-, aber auch in der Umweltpolitik »grottenschlecht« gearbeitet und komplett versagt zu haben. Denn während »aktive Arbeitsmarktpolitik« weitgehend beerdigt worden sei, habe die Landesregierung durch die faktische Abschaffung des Umweltressorts auch in diesem Bereich völlig falsche Akzente gesetzt. Als schizophren bezeichnete Methling das Vorhaben, in Lubmin ein Steinkohlekraftwerk zu errichten und damit allen Bestrebungen für einen besseren Klimaschutz zu widersprechen.

Die Große Koalition habe kaum Konzepte und neue Ideen, die das Land voranbringen, sagte Methling am Montag. Kritisch vermerkte er zudem, daß »positive und zukunftsorientierte Ansätze« der alten Landesregierung – vor allem in der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Bildungs- und Umweltpolitik – nun weitgehend zerschlagen würden. Geglänzt habe die neue Regierung demgegenüber nur durch »undurchsichtige Manöver im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm« und beim »Stochern im Nebel des Nichtraucherschutzes.«

Im Landtag sei es dagegen die Linke gewesen, die mit 63 Anträgen, acht Gesetzentwürfen und 131 Anfragen die inhaltliche Debatte vorangetrieben hätte. Besonders erwähnte Methling dabei die eigenen Initiativen für die Fortsetzung des Existenzgründerprogramms, für die Sicherung des Landespflegewohngeldes und gegen die Senkung des Blindengeldes. Seine Fraktion habe auch erreicht, daß Mittelkürzungen bei Klassenfahrten und kostenlosem Schulessen zwar nicht verhindert werden, aber abgemildert werden konnten. Andererseits verwundere es nicht, daß vieles von dem, für das sich die Linke einsetze, im Landtag keine Mehrheit findet. Deshalb – so Methling – müsse die Linke nun auch besonders Wert auf die Verbesserung ihrer Kontakte zu außerparlamentarischen Organisationen, Bewegungen und Initiativen legen. Nur so sei eine gute Oppositionsarbeit gewährleistet.

Mit »Schwung, mit klugen Ideen, kämpferisch und phantasievoll« wolle seine Fraktion diesen Kurs fortsetzen, sagte Methling. Schwerpunkte seien dabei die Sicherung aller Kranken­hausstandorte sowie die Verbesserung der Lebenssituation für Geringverdiener und für Bezieher des Arbeitslosengeldes II. Hier fordert die Linke eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze sowie eine vollständige Befreiung von Rundfunk- und Fernsehgebühren. Im Rahmen eines Modellprojekts will sich die Linke zudem für ein neues öffentlich gefördertes Beschäftigungsprogramm einsetzen. »Existenz sichernd« und mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, betonte Mehtling. Auf umweltpolitischem Gebiet wolle sich die Fraktion vor allem gegen das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner-Heide und für ein klares Nein zum Bau eines Steinkohlekraftwerks in Lubmin einsetzen.

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20. Oktober 2007

Bernhard StrasdeitAuch in Baden-Württemberg wird am Wochenende ein Landesverband der Linken gegründet. Keine großen inhaltlichen Differenzen. Ein Gespräch mit Bernhard Strasdeit

»Der Tübinger Kreistagsabgeordnete Bernhard Strasdeit ist Sprecher des Interimsvorstandes der Partei Die Linke in Baden-Württemberg

Am Wochenende findet in Stuttgart der Gründungsparteitag für Die Linke in Baden-Württemberg statt. Gemeinsam mit Bernd Riexinger wollen auch Sie dort erneut für das Amt eines Landessprechers kandidieren. Doch auch inhaltlich sind strittige Themen bisher kaum identifizierbar. Wie erklären Sie sich diese für Die Linke fast schon ungewöhnliche Harmonie?

Von Harmonie würde ich nicht sprechen, denn es wird auf dem Parteitag eine sehr lebendige Debatte zu den konkreten Fragen der Landes- und der Kommunalpolitik geben. Grundsatzfragen haben wir in dem zweieinhalbjährigen Parteibildungsprozeß ausführlich diskutiert. Die Mitgliedschaft will diese neue Partei, denn für sie gibt es einen konkreten gesellschaftlichen Bedarf: In Aktionen für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, aber auch in der Landes- und Kommunalpolitik.

Für die Kommunalwahlen 2009 setzten Sie sich das Ziel, in wichtige Stadtparlamente in Fraktionsstärke einzuziehen. Wie sind sie dafür aufgestellt?

Baden Württembergs Linke - hier bei einer Aktion am 21 Oktober 2006 in StuttgartMit unseren fast 2200 Mitgliedern sind wir inzwischen in fast allen Kreisen unseres Landes präsent. Vor allem in den sozialen Bewegungen und in den Gewerkschaften. Doch außerdem sind wir stützpunktmäßig in einigen Städten wie Mannheim, Freiburg, Tübingen, Karlsruhe, Konstanz und Stuttgart auch in den Stadträten vertreten. Die dort schon vorhandenen Erfahrungen wollen wir landesweit nutzen. Das gilt insbesondere für die Frage, wie wir die großen politischen Themen auf die kommunale Ebene herunterbrechen. Für mich ist das eine zentrale Frage, denn zwei Drittel aller Menschen, die sich überhaupt politisch engagieren, machen das in der Kommune. Sicher: mit Kommunalpolitik läßt sich Harz IV allein nicht stoppen. Doch für die Betroffenen ist es von Bedeutung, ob es uns gelingt zum Beispiel Zuschüsse für den Besuch ihrer Kinder in der Kantine einer Ganztagsschule oder für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs herauszuholen. Im Frühjahr wollen wir diese Diskussion auf Regionalkonferenzen fortsetzen. Auch die Probleme aus einzelnen Regionen müssen wir dabei aufgreifen. Zum Beispiel die Verschleuderung von Milliarden für Stuttgart 21, also die Tieferlegung des Hauptbahnhofs. Denn gleichzeig gibt es Fahrplankürzungen in der Fläche. Auch der Ausbau von Kita-Angeboten oder die Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse sind dann wichtige Themen.

Gerade auf der kommunalen Ebene Baden-Württembergs gibt es zahlreiche linke Bündnisse, die zum Teil auch in den Stadtparlamenten vertreten sind. Wie suchen Sie dort die Zusammenarbeit?

Wo es solche Bündnisse gibt, wie in Freiburg, da sollten wir Kooperationen suchen. Doch in der Fläche und in den Großstädten werden wir mit offenen Parteilisten antreten. Dafür wollen wird dann auch Nichtmitglieder aus Initiativen, Betrieben und Gewerkschaften gewinnen. Für uns ist diese Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen sehr wichtig. Denn sonst können wir in den Stadträten kaum etwas durchsetzen. Mit der Friedensbewegung diskutieren wir außerdem die Frage, was Bundeswehr-Feldwebel oder Offiziere in Jobcentern der Kreise zu suchen haben, wo sie leider häufig als Arbeitsvermittler eingesetzt werden.

Strittig scheint für den Parteitag die neue Landessatzung. Denn nach dem Entwurf dürften parlamentarische Mandatsträger und ihre Mitarbeiter künftig nur noch sehr eingeschränkt auch Delegiertenmandate oder Vorstandsfunktionen übernehmen.

Das ist eine kontrovers diskutierte Frage. Doch wird sie unseren Parteitag weder dominieren noch sprengen. In dem Ziel, daß wir eine starke Mitgliederpartei benötigen, sind wir uns alle einig. Nicht einig sind wir uns darin, wie das am besten zu erreichen ist. Ich selber vertrete die Position, daß die Einbeziehung der Abgeordneten für die Starkung der Parteibasis nützlich ist. Die Erfahrung der Grünen hat doch gezeigt, daß eine so starke Trennung von Amt und Mandat nicht dazu führt, daß die Parteiorganisationen dann mehr zu sagen haben als die Fraktionen. Ohne ein Parteiamt innezuhaben, war Joseph Fischer in der Grünen Partei jahrelang der mächtigste Strippenzieher.

[Dieses Interview ist Teil einer gemeinsamen Schwerpunktseite mit meiner jW-Kollegin Wera Richter. Lesen Sie deshalb auch ihren Beitrag zum Landesparteitag der Linken in NRW. Die gesamte Schwerpunktseite können Sie sich hier als PDF-Datei herunterladen. Dort finden Sie einen weiteren Text zur Vorbereitung der NRW-Kommunalwahlen 2009.]

Verwendung: Junge Welt vom 20. Oktober 2007



20. Oktober 2007

Ablösung der CDU/FDP-Landesregierung, parlamentarische Kraft, Teil der Bewegung – und wenn ja, in welcher Reihenfolge? In Gladbeck gründet sich Die Linke NRW

Aufbruchstimmung in NRW. Am Wochenende gründet sich – wie auch in Baden-Württemberg (siehe Interview) – Wolfgang Zimmermannin Gladbeck der nordrhein-westfälische Landesverband der Partei Die Linke. 310 Delegierte werden dort in Vertretung von über 5200 Mitgliedern »landespolitische Positionen« verabschieden und einen Vorstand wählen. Wolfgang Zimmermann ist am Vortag der zweitägigen Marathon-Tagung – neben dem 20seitigen Positionspapier liegen weit über 50 Änderungs- sowie Einzelanträge und eine Satzung vor, und auch die Vorstandsplätze sind begehrt – guter Dinge. »Wir sind schon jetzt eine starke politische Kraft. Umfragen zufolge liegen wir in NRW bei sechs bis acht Prozent; seit der Gründung der Partei in Berlin hatten wir hier über 900 Eintritte«, so Zimmermann, der für die WASG Sprecher des Übergangsvorstandes war und nun neben Ulrike Detjen, ehemals PDS, als gleichberechtigter Sprecher kandidiert.

Sechs bis acht Prozent bei Wähler-umfragen für Die Linke, eine SPD auf absteigendem Ast, deren Vorsitzende Hannelore Kraft. In der Linken keine Schmuddelkinder mehr sehen will, und der Ex-Grüne Rüdiger Sagel, der mit Eintrittsgedanken spielt und als Vorhut bereits im Landtag sitzt. Hinzu kommt eine CDU-FDP-Landesregierung, die privatisiert, was ihr in die Quere kommt. Obwohl sie auf der Hand liegt: Zimmermann ist genervt von der Frage nach Ablösung der neoliberalen Landesregierung und einer möglichen Regierungsbeteiligung. »Darum geht es jetzt nicht, die Landtagswahlen sind 2010«, so der Gewerkschafter am Freitag im Gespräch mit junge Welt. Er schiebt nach: »Grundsätzlich schließen wir keine Zusammenarbeit aus. Es kommt auf die Bedingungen an.« Er sei bereit, mit allen politischen Kräften zu arbeiten, die für bestimmte Ziele, nämlich für einen grundlegenden Politikwechsel, eintreten. Damit fallen die im Landtag vertretenen Parteien offensichtlich aus. Auch die SPD. Die sei in ihrer Not verbal manchmal auf der richtigen Seite, so Zimmermann. Aber wenn man genauer hinsehe, sei die Sache klar. Zum Beispiel im Fall von Hannelore Kraft. Die äußere sich gern gegen Privatisierungen. »Aber in ihrem Wahlkreis in Mülheim hat ihre Partei Front gegen ein Bürgerbegehren für den Erhalt des öffentlichen Eigentums gemacht«. Für ihn ist das Zusammenspiel von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit entscheidend. Vor allem die Arbeit mit den Gewerkschaften müsse ausgebaut werden, und die Ortsverbände müßten zunächst ein Gesicht bekommen.

So klar, wie für Zimmermann ist die Frage der Gewichtung von parlamentarischer zu außerparlamentarischer Arbeit in der Partei Die Linke.NRW nicht. Zwei alternativ zur Abstimmung gestellte Präambeln zu den »Positionen zur Landespolitik« wurden vor dem Parteitag zurückgezogen, der amtierende Vorstand einigte sich auf ein Kompromißpapier. In Alternative A für die Präambel sollte der Politikwechsel primär durch »Druck von unten« mit Gewerkschaften, sozialer, Friedens-, Frauen- und Antifabewegung erreicht werden. In Alternative B lag die Priorität auf einer möglichst starken Partei Die Linke – in »Kreistagen, Stadträten und Bezirksvertretungen und im nächsten Landtag mit einer schlagkräftigen Fraktion.« Das Kompromißpapier verzichtet an dieser Stelle auf die Prioritätensetzung: »Die Linke.NRW steht für einen Politikwechsel«, heißt es da. Und dann ist da noch der 10seitige Antrag »Keine Ruhe geben – Ein Politikwechsel ist möglich – Aktionsprogramm der Partei Die Linke.NRW« aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis. »Vier Parteien gegen eine – nur Die Linke will eine völlig andere Wirtschafts- und Sozialpolitik« wird darin eine klare Oppositionsrolle formuliert. Eine Mehrheit des bisherigen Landesvorstandes begreift das Papier als Gegenantrag.

200 geladene Gäste werden in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck erwartet. Ein Statement von Linksfraktionschef Gregor Gysi ist angekündigt sowie Grußworte des DGB-Vorsitzenden aus NRW, Guntram Schneider, und von Raja Bernhardt, Bezirksvorstand der DKP Rheinland-Westfalen. Und dann kommt noch Reinhold Kämmerer alias Rudy Cash, mit seinem »musikalischen Abschied vom Bergbau«. Spätestens dann ist alles wieder gut.

[Der oben wiedergegebene Text wurde von meiner Kollegin Wera Richter verfasst. Er wird hier veröffentlicht, weil er Teil einer gemeinsamen Schwerpunktseite in der „Jungen Welt“ zu den Landesparteitagen der Linken in NRW und Baden-Württemberg ist. Lesen Sie hierzu auch das Interview mit Bernhard Strasdeit, Landessprecher der Linken in Baden-Württemberg. Die gesamte Schwerpunktseite können Sie sich hier als PDF-Datei herunterladen. Dort finden Sie einen weiteren Text zur Vorbereitung der Kommunalwahlen 2009.]

Verwendung: Junge Welt vom 20. Oktober 2007



19. Oktober 2007

Rostock. Ihren Unmut über drohenden Stellenabbau in der Stadtverwaltung und die Teilprivatisierung des Rostocker Volkstheaters haben am Mittwoch abend rund 800 Menschen vor der Rostocker Bürgerschaft mit lauten Pfiffen und Buhrufen deutlich gemacht. »Wir haben mit unseren Protesten schon viel bewegt und geben nicht auf«, sagte ver.di- Gewerkschaftssekretär Frank Pieper zu den Demonstranten. Die Demonstration richtete sich gegen die Auswirkungen eines Nachtragshaushalts für 2007, den die Mehrheit der Abgeordneten aus CDU, SPD und Grünen beschlossen hatte.
(ag /jW)

Verwendung: Junge Welt vom 19. Oktober 2007
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16. Oktober 2007

Referendum für mehr direkte Demokratie in Hamburg an geringer Wahlbeteiligung gescheitert. CDU feiert »Vertrauensbeweis für Ole von Beust«

In Hamburg ist der Volksentscheid »Hamburg stärkt den Volksentscheid« gescheitert. Wie Landesabstimmungsleiter Willi Beiß unmittelbar nach Schließung der Wahllokale bereits am Sonntag abend mitteilte, haben sich an der Abstimmung nur 492864 Wahlbürger beteiligt. Doch für eine Annahme des vom Verein »Mehr Demokratie« und dreißig weiteren Bürgerinitiativen vorgelegten Gesetzentwurfes hätten mindestens 607468 Wahlbürger mit »Ja« stimmen müssen. Schon vor der genauen Stimmenauszählung (diese soll erst Ende Oktober erfolgen) könne deshalb nun die Niederlage der Initiatoren des Volksentscheids festgestellt werden.

Niederlage für Opposition

Eine bittere Niederlage, denn monatelang hatten nicht nur die Bürgerinitiativen, sondern auch die Gewerkschaften sowie sämtliche Oppositionsparteien für »mehr Demokratie« gestritten. SPD und Grüne warben frühzeitig mit tausenden Werbeträgern und etlichen Veranstaltungen. Ihr Hauptargument: 2004 hätte die allein regierende CDU die Privatisierung der städtischen Kliniken durchgepeitscht, obwohl sich in einer Abstimmung drei Viertel aller Wahlberechtigten dagegen ausgesprochen hatten. Um das künftig zu verhindern, müsse deshalb sichergestellt sein, daß Änderungen an Entscheidungen des Volkes nur noch dann möglich sind, wenn dem in der Bürgerschaft zwei Drittel aller Abgeordneten zustimmen.

Doch die Hürden für solche die Hamburgische Landesverfassung verändernden Vorschriften sind ziemlich hoch. Außer einer Zweidrittelmehrheit hätten mindestens 50 Prozent aller Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf stimmen müssen. Da die regierende CDU außerdem durchgesetzt hatte, daß solche Abstimmungen nur noch abseits von Wahlterminen stattfinden, sprach Mehr-Demokratie-Vertreterin Angelika Gardiner denn auch am Sonntag davon, daß man mit der Abstimmung das »Unmögliche« versucht habe. Für sie sei es trotzdem ermutigend, daß sich rund eine halbe Million Menschen am Volksentscheid beteiligten.

Eine halbe Million? Am Sonntag waren es exakt 92151 Bürger, die bei bestem Wetter den Weg in die 201 Wahllokale schafften. Rund 400000 Bürger hatten bereits in den Wochen zuvor per Briefwahl abgestimmt. Bei aller berechtigten Kritik an der Partei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gilt es doch festzustellen, daß die Briefwahl dieses Mal besonders einfach war: Ohne besondere Aufforderung hatte die Innenbehörde allen Bürgern die Stimmzettel schon vor drei Wochen ins Haus geschickt. Fast mühe- und völlig kostenlos hätten sich somit alle die beteiligen können, die es tatsächlich wollten. Und so frohlockt die CDU denn jetzt auch, das deutliche Scheitern des Volksentscheids sei »ein klarer Vertrauensbeweis für Ole von Beust und die parlamentarische Demokratie«. Katerstimmung stellt sich demgegenüber bei den Oppositionsparteien ein. Zwar bemängeln sie nun öffentlich, daß es hier und dort zu Unregelmäßigkeiten gekommen wäre, doch intern stellt man eher die Frage, wie es denn angehen könne, daß nun nicht sie, sondern eher der amtierende Bürgermeister und die Union gestärkt in die Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 gehen können.

Linkspartei zögerlich

Gardiner plagen solche Sorgen nicht. Sie kündigte am Montag bereits an, daß man jetzt darüber nachdenke, vielleicht schon bei den Bundestagswahlen 2009 einen neuen Anlauf zu nehmen. Das wäre dann vielleicht auch eine Chance für Die Linke. Denn anstatt sich auf einen Erfolg bei dieser Abstimmung zu konzentrieren, stritt man hier wochenlang und noch während der bereits begonnenen Abstimmung über die Besetzung der Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahlen. Ein eigenes Plakat zum Thema wurde dann erst Anfang letzter Woche sichtbar. So aber ist es kein Wunder, daß die Beteiligung an der Abstimmung gerade in den linken Wahlhochburgen, etwa in Wilhelmsburg, Harburg und Mitte, besonders niedrig ausfiel.

Verwendung: Junge Welt vom 16. Oktober 2007
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