Besuch in einer DGB-Schulungsstätte für Betriebsräte

Arbeitsrecht_nur_am_Anfang_schwer_2Salborn, 23 000 Einwohner, ist eine richtige Wohlfühlstadt. Größter Arbeitgeber ist das traditionsreiche Stammwerk der Baden AG mit 430 Beschäftigten. Doch dunkle Wolken ziehen auf, seit die frühere Unternehmensberaterin Sonja Maibaum Geschäftsführerin ist. Die Produktion müsse auf die »Kernbereiche« zurückgefahren werden, Versetzungen und Entlassungen stehen im Raum.

Helle Aufregung im Betriebsratsbüro, wo der erfahrene Betriebsratsvorsitzende Karl-Heinz Link eine Krisensitzung moderiert. Viele bunte Ansteckkarten hat er mitgebracht. Auf den gelben wird notiert, wie die Lage ist. Auf den roten wird vermerkt, was nun drohen könnte. Und auf den grünen stehen die Ziele der Betriebsratsmitglieder. Alles pinnt »Kalle« an die Wand. Solche Systematik bestimmt denn auch die weitere Debatte um die Handlungsmöglichkeiten, wie sie sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und dem Arbeitsrecht ergeben. Erst ganz zum Schluss werden dann die Beschlüsse durch den Betriebsrat festgelegt.

Doch davor ist Mittagspause und es stellt sich heraus: Salborn ist nicht Salborn sondern Hamburg-Sasel. Und die Baden AG befindet sich in einem Tagungszentrum des DGB Bildungswerks.

Auf rund 500 Seminarangebote kommt dieses Bildungswerk allein im laufenden Seminarjahr. In Hattingen und Düsseldorf zum Beispiel zu den Themen »Qualitätsmanagement« oder »Computerisierung und Arbeitnehmer-Datenschutz«. Am Starnberger See gibt es etwa Rhetorik-Seminare und Kurse über »Projektmanagement in der Betriebsratsarbeit«. In Sasel hat man sich auf das Arbeits- und Sozialrecht spezialisiert.

Es sind Grundlagenseminare zum Arbeitsrecht, aber auch solche zur Mitarbeit im Aufsichtsrat oder im Wirtschaftsausschuss eines Unternehmens. Jeder Betriebsrat kann diese besuchen, denn nach § 37 Absatz 6 des BetrVG müssen Arbeitgeber ihre Betriebsräte dafür freistellen und auch die Kosten übernehmen, liegt denn ein Betriebsratsbeschluss vor.

Paragraphenpaukerei ist in Sasel eher verpönt, denn selbst die beste Schulung mache aus Betriebsräten noch lange keine Rechtsanwälte, wie »Kompetenzteamleiterin« Susanne Bost erläutert. Ihr eigenes Lernkonzept, nach dem auch Kalle vorgegangen ist, nennt sie den »Saseler Dreischritt«.

»Sind wir Richter oder Betriebsräte?«

Vermittelt wird dieser in einer der reichsten Gegenden Hamburgs. Die idyllische Tagungsstätte liegt direkt am nördlichen Alsterzufluss. Dort, wo sonst der hanseatische Geldadel spazieren geht und Privatgrundstücke schon mal eine Größe von 30 000 Quadratmetern erreichen, bilden die Gewerkschaften schon seit Jahrzehnten ihre Betriebsräte im Arbeitsrecht aus. Schärfen diese Gegensätze vielleicht den Blick?

Bost weiß jedenfalls sehr genau um die Bedeutung des Arbeitsrechts für Betriebsräte. Doch im Gespräch mit ND sagt die gelernte Juristin dann auch, dass ein Betriebsrat, der immer nur danach frage, was er dürfe, »und noch bevor er weiß, was er will«, sich Handlungsmöglichkeiten verbaue. Dann holt sie weit aus und verweist auf die unterschiedlichsten Handlungsgrundlagen, die Betriebsräte nach dem Arbeitsrecht hätten. Doch wirkliche Gestaltungskraft ginge nur von den Mitbestimmungsrechten aus, wie sie etwa in den Paragraphen 87 oder 112 des BetrVG definiert sind. »Da muss man hin«, fordert Bost, die somit auch Licht in den Paragraphendschungel bringt.

Bildungsreferent Christian Matthiessen, der selbst viele Jahre auf einer Großwerft Betriebsrat war, sieht das ebenso. Er spricht von der »Handlungsorientierung arbeitsrechtlicher Bildungsarbeit«, denn wo »nur ein Hauch von Mitbestimmungsrecht existiert, können die Betriebsräte ihre Ziele besser durchsetzen«. Aus der Synthese einer klaren Bestimmung eigener Interessen und den Handlungsmöglichkeiten entstehe der Mut, die arbeitsrechtlichen Normen voll auszuschöpfen, ist sich Matthiessen sicher.

Konkret wird das in der Arbeitsgruppe, wo die Geschäftsführerin Frau Maibaum gerade die Entlassung eines Mitarbeiters angeordnet hat. Nun wird im Betriebsrat eifrig diskutiert, ob dies rechtens oder sozialwidrig wäre. Sind wir Arbeitsrichter oder Betriebsräte? Diese einfache Frage von Kalle bringt Klarheit. Die Kollegen beschließen der Kündigung zu widersprechen. Das aber gibt dem Betroffenen die Möglichkeit eine Weiterzahlung seiner Bezüge durchzusetzen, bevor dann ein Arbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Kündigung entscheidet. Meist dauert das 12 Monate.

»Ein Gefühl der Stärke«

Ähnlich ist das gesamte Seminarprogramm gestrickt, das methodisch in einem Wechsel arbeitsrechtlicher Inputs (durch Fachanwälte) und Arbeitsgruppen sowie Planspielen verläuft. So können die Betriebsräte als Betriebsräte und eben nicht als Schüler handeln. Der Aha-Effekt ist meist groß, wenn spielerisch auch Einigungsstellen oder einstweilige Verfügungen durchgesetzt werden.

Es ist dieses »Gefühl der Stärke«, das auch Marianne beeindruckt, die nun schon ihr drittes Arbeitsrechtsseminar besucht. Die gelernte Therapeutin kommt aus einem der größten anthroposophischen Krankenhäuser Deutschlands. Doch nun gehören zum Arbeitsteam auch Jens, Michelina, Udo und Stefanie, allesamt in Industrie- oder Metallbetrieben tätig. »So lerne ich auch aus deren Erfahrungen«, sagt Marianne, die es auch toll findet, so viele Menschen aus unterschiedlichen Regionen kennen zu lernen. Stefanie schwärmt von der »solidarischen Atmosphäre«, die es auch auch bei Freizeitaktivitäten gebe. In der Kneipe, beim Spaziergang, mit dem Kanu auf der Alster oder beim Schnack im rauchfreien Bistro.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=101710&IDC=42