In Schleswig-Holstein sind vier Vorstandsmitglieder der Wahlalternative zurückgetreten. Ein Gespräch mit Lorenz Gösta Beutin

* Lorenz Gösta Beutin ist Landessprecher der WASG in Schleswig-Holstein

F: Am Dienstag sind vier Mitglieder des Landesvorstandes der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Schleswig-Holstein zurückgetreten. Wie kam es dazu?

Die Zurückgetretenen, ich gehöre nicht dazu, erklärten, daß der Anlaß für den Rücktritt der Verlauf einer Landesratssitzung eine Woche zuvor war. Dort stand die Acht-Euro-Mindestlohnkampagne der Linkspartei auf der Tagesordnung. Die Vertreter einiger Kreisverbände warfen die Frage auf, ob acht Euro ausreichend sind. Auf der Demo am 3. Juni in Berlin wurden zum Beispiel zehn Euro gefordert. Thematisiert wurde auch die Gefahr der weiteren Senkung der ALG-II-Sätze, die die Neoliberalen im Falle einer zu niedrigen Forderung mit dem »Lohnabstandsgebot« begründen könnten.

F: Was fordert denn die WASG?

Im Parteiprogramm fordern wir einen monatlichen Mindestlohn von 1500 Euro. Bei einer 35-Stunden-Woche entspricht das in etwa der Forderung nach zehn Euro in der Stunde. Auch die Linkspartei hatte in ihrem Wahlprogramm noch 1400 Euro gefordert. Acht Euro in der Stunde liegen aber unter diesem Betrag. Eine Reihe von Landesratsmitgliedern war der Meinung, daß wir die Kampagne der Linkspartei nicht mittragen können. Andere, darunter alle Mitglieder des Landesvorstandes, forderten, daß wir trotz der Kritik gemeinsame Aktivitäten hierzu mit der Linkspartei durchführen sollten. Es handelte sich um eine ganz normale Parteidebatte.

F: Warum dann aber der Rücktritt von vier Vorstandsmitgliedern?

Unterschwellig ging es darum, ob sich die WASG weiter als eigenständige Partei begreift, die auch eigene Positionen hat. Dem steht die Meinung gegenüber, daß wir politische Fragen aus dem Blickwinkel der Einheit mit der Linkspartei zu beantworten hätten. Doch diese Frage der Einheit soll ja gerade im Parteibildungsprozeß beantwortet werden. Da müssen wir klare inhaltliche Positionen entwickeln, die an der Basis zuvor diskutiert worden sind. Nur so entsteht Glaubwürdigkeit. Das ist der Kern des Konflikts, der sich so nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in anderen Ländern stellt.

F: Wie wollen Sie denn diese Glaubwürdigkeit erreichen?

Wir haben am Mittwoch eine Erklärung veröffentlicht, in der wir unter anderem für Mindestbedingungen bei Regierungsbeteiligungen eintreten – kein Sozialabbau, keine Privatisierungen, keine Kriegseinsätze. Das wird aus unserer Sicht eine wichtige Debatte in diesem Parteibildungsprozeß sein. Zum anderen muß durch Programm, Satzung und Statut abgesichert werden, daß es sich um ein neues Projekt handelt, das wirklich die Mitglieder beteiligen will. Wir fordern die Trennung von Amt und Mandat, die paritätische Besetzung der Gremien und Vorstände für eine Übergangszeit sowie die Absicherung der Beteiligungsmöglichkeiten von Mitgliedern befreundeter Parteien oder sozialer Bewegungen – wie es ja Anspruch der neuen Partei sein soll.

F: Aus dem Kreis der Zurückgetretenen hört man, daß dies eine unpolitische Haltung sei, welche die WASG letztlich politikunfähig mache.

Kontroverse Debatten gehören zum Selbstverständnis unserer Wahlalternative, die sich doch stets als linke Sammlungsbewegung verstanden hat. Mit »Politikunfähigkeit« hat das nichts zu tun. Eher damit, daß wir keine geschliffene Funktionärspartei sein wollen.

F: Die Zurückgetretenen sprechen von einer Allianz antikapitalistischer und basisdemokratisch orientierter Mitglieder in Schleswig-Holstein, deren gemeinsames Ziel es sei, den Parteibildungsprozeß zu stoppen und die realpolitisch orientierten Mitglieder herauszudrängen. Auch die Debatte zur Regierungsbeteiligung in Berlin hätte dies gezeigt.

Das ist eine Fehleinschätzung, denn in Schleswig-Holstein sind wir fast alle für eine neue linke Partei, die sich aus WASG, Linkspartei.PDS und weiteren Kräften herausbildet. Doch ein solcher Prozeß muß fair und demokratisch verlaufen, sonst schlägt die Stunde der Ankommer und Opportunisten. Das betrifft dann auch Berlin. Das ist ein politischer Konflikt, der nicht administrativ gelöst werden kann. Als Oppositionskraft können wir nur erfolgreich sein, wenn wir die neue linke Partei als Sammlungsbewegung verstehen, in der eine Pluralität von bürgerlichen Humanisten und sozialen Christen bis zu Sozialisten und Kommunisten ihren Platz hat.

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