[Die nachfolgende Titelstory für die Wochenzeitung „Unsere Zeit“ wurde gemeinsam mit Chefredakteur Rolf Priemer verfasst.]
10 000 Menschen haben am Samstag gegen einen Nazi-Aufmarsch in Kiel demonstriert, den Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz (CDU) nicht verbieten wollte. „Dies ist unsere Stadt! Hier ist für Faschisten kein Platz! Wer ihnen den öffentlichen Raum zur Verfügung stellt, wird auf Widerstand stoßen“, so hieß es in einer Erklärung der Organisatoren des „Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus“ in Kiel. Auch in Dörvelden bei Bremen gingen 2 000 Menschen gegen die Neonazis auf die Straße. Ebenfalls im thüringischen Schleusingen, in Gera, Leverkusen und anderen Orten.
„Zwei Tage nach dem 60. Jahrestag der Befreiung des von den Hitlerfaschisten betriebenen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz wurde bekennenden Nationalsozialisten erlaubt“, in Kiel zu demonstrieren – so der „Runde Tisch“ in einer Erklärung. „Gegen Multi-Kulti und Hartz IV – das Volk sind wir“, so hatten „Freie Nationalisten“ ihren Aufmarsch angekündigt, den auch die NPD wochenlang beworben hatte. Kurzfristig sagte sie ihre Unterstützung ab, denn alle Kräfte seien im Wahlkampf gebunden. Reine Taktik, um Wähler nicht abzuschrecken, sagte Alexander Hoffmann vom Runden Tisch, der auf mehrere NPD-Kandidaten unter den 350 Marschierern verwies.
Um am 20. Februar in den Landtag einzuziehen, will die NPD Kräfte bündeln: Nicht nur bei der DVU und anderen Rechtsparteien, auch bei den „Freien Kameradschaften“. „Arbeit zuerst für Deutsche“, „Wahltag ist Zahltag – auch für Hartz IV“ so wirbt die NPD um Wählerstimmen. Soziale Demagogie und Rassismus sollen per Wahlzeitung in alle Haushalte getragen werden. In Kiel sprach jetzt Thomas Wulff, Chef der „Freien Kameradschaften“, vom „Raub deutscher Arbeitsplätze“, die auch NPD-Funktionärin Daniela Wegener nur für „deutsche Volksgenossen“ will. Ein Wahlplakat zeigt Frauen mit Kopftüchern, die Plastiksäcke schleppen. Ausländer müssten „zurückgekehrt werden“ heißt es im NPD-Programm. „Gute Heimreise“ titelt das Plakat.
Die Provokationen der Hitler-Nachfolger nehmen zu. Aus dem Aufmarsch der 300 in Kiel heraus wurde gerufen: „Ein Volk, ein Führer – die letzte Hoffnung für unser Land!“ Auf einer Demonstration in Leverkusen hieß es: „Die schönsten Nächte sind aus Kristall“ und „Nie wieder Israel“. Auch grölende Rockbands heizen die Stimmungen an, so die Gruppe „Oidoxie“: „Hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz“. Oder die „Weißen Wölfe“: „Juda verrecke und Deutschland erwache“. Ungestraft ist auch das zu hören: „Für unser Fest ist uns nichts zu teuer – Zehntausend Juden für ein Freudenfeuer!“
Mit diesen und anderen Parolen haben Neonazis ihren Einfluss ausgebaut. Bei den Europa- und den Kommunalwahlen. Vier Prozent für die NPD gab es bei den Landtagswahlen im Saarland. 9,2 Prozent in Sachsen. Im „Deutschland-Pakt“ haben sich NPD und DVU nun das Ziel gesetzt 2006 in den Bundestag einzuziehen. Zuvor will man es bei der Landtagswahl im Februar in Schleswig-Holstein und dann, im Mai, in Nordrhein-Westfalen schaffen. Dort hat die NPD ihren Bundesvorsitzenden als Spitzenkandidaten aufgestellt. Was von diesen Leuten zu erwarten ist, erlebten viele kürzlich im sächsischen Landtag, in dem die NPD „mächtige Schneisen in das Dickicht antideutscher Geschichtslügen“ schlagen will.
Offensichtlich ist aufgrund all dieser Vorgänge und neonazistischen Provokationen eine neue Diskussion über ein Verbot neonazistische Organisationen und Parteien entbrannt. Ob ein neuer Gang nach Karlsruhe erfolgen wird, ist nach der selbstverschuldeten Niederlage mit dem ersten NPD-Verbotsantrag heftig umstritten. Die Auseinandersetzung müsse politisch geführt werden, Grundrechte beim Versammlungsrecht einschränken. Für den Résistance-Kämpfer und Kommunisten Peter Gingold wird die Gefahr der neofaschistischen Massenbasis klein geredet. Gingold kritisierte das Demokratieverständnis führender Politiker, die Nazi-Aufmärsche genehmigten. Nazis dürften nach dem Leid der Konzentrationslager und dem Völkermord nie wieder das Recht haben aufzumarschieren.
Für Bettina Jürgensen vom „Runden Tisch“ in Kiel geht es nun mit der Initiative „Keine Stimme den Nazis“ weiter. Sie will ein Verbot und die Auflösung faschistischer Parteien!
http://www.dkp-online.de/uz/3705/s0102.htm