Für 5 000 Hamburger, die beim Arzt keine Praxisgebühr entrichtet haben, laufen teure Mahnverfahren an

Seit Einführung der Praxisgebühr im Januar 2004 im Zuge der sogenannten Gesundheitsreform haben rund 5 000 Hamburger die bei Arztbesuchen pro Quartal fälligen zehn Euro trotz erfolgter Mahnung nicht bezahlt. Jetzt wird es für die Betroffenen teuer. Am Donnerstag kündigte die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) an, zusätzliche Mahngebühren zu erheben. Sollten die Säumigen auch dann nicht reagieren, drohen Sozialgerichtsverfahren, deren Kosten pro Fall mindestens beim Zehnfachen des Streitwerts liegen. Nach Aussage von KVH-Sprecherin Barbara Heidenreich gab es in Hamburg die größten Probleme bei der Eintreibung der Praxisgebühr im Bereich der Notfallambulanzen der Krankenhäuser.

Die Einführung der Praxisgebühr hat bekanntermaßen bundesweit zu einem Rückgang der Arztbesuche um zehn Prozent geführt. Die Bundesregierung findet das vollkommen in Ordnung und erklärte, damit sei das Ziel erreicht, nicht notwendige Arztkonsultationen auf ein Minimum zu reduzieren. Doch sowohl Kassenvertreter als auch Politiker (siehe jW vom 29. Juni) weisen darauf hin, daß sich die Zahl der Arztbesuche in der Gruppe der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1000 Euro sogar um 20 Prozent verringert hat – eine Größenordnung, bei der wohl niemand mehr ernsthaft behaupten kann, hier seien nur die Simulanten zu Hause geblieben.

http://www.jungewelt.de/2004/07-02/016.php



Hamburger Justizvollzugsanstalten werden nach den Plänen eines CDU-Hardliners umgebaut

Man stelle sich vor: Ein Gefängnis wird geschlossen, und die Knackis weinen. So ist es jetzt in Hamburg geschehen, als der Leiter der sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme, das Aus seines Hauses vor den Gefangenen verkündete.

Die Schließung dieser sozialtherapeutischen Anstalten – so auch in Bergedorf und in Altona – ist der traurige Höhepunkt eines Umbaus im Hamburger Strafvollzug, den der alte CDU-Schill-Senat schon in der letzten Wahlperiode angeschoben hatte. Für Gerhard Rehn, langjähriger Leiter der Vollzugsgestaltung in der Justizbehörde und zuletzt Mitglied im Beirat eines der größten deutschen Gefängnisse, der Vollzugsanstalt Fuhlsbüttel, nun ein Grund zum Rücktritt.

Rehn konkretisierte am Montag seine Kritik gegenüber der Presse. Als »Akt der Verzweiflung« will er seinen Rücktritt verstanden wissen und fügte hinzu: »Es ist mir unbegreiflich, wie ein einzelner soviel Schaden anrichten und wertvolle Teile eines Strafvollzugssystems zerstören kann«. Gemeint ist Justizsenator Roger Kusch (CDU).

Für den ist das lediglich eine Frage der Kosten: 700 000 Euro bringe die »Einsparung« der Anstalten. Der sozialtherapeutische Bereich werde »ohne Qualitätsverlust« in die bestehenden Haftanstalten eingegliedert. Daß dies nur mit millionenschweren Investitionen möglich wäre, verschweigt er. Bereits zuvor hatte Kusch die Hälfte aller Plätze im offenen Vollzug der Haftanstalten gestrichen. Den offenen Vollzug sieht das Strafgesetzbuch aber als Regelhaft vor. Er soll den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenwirken. So soll Resozialisierung ermöglicht werden. Kusch aber möchte »das Wort Resozialisierung nicht nutzen«. Er spricht von »erhöhter Sicherheit«, schließlich habe sich nun die Anzahl der Ausbrüche reduziert.

Tatsächlich hat der Senator ganz andere Pläne. Im August 2002 besuchte Kusch Sheriff Joe Arpaio in Phoenix (US-Bundesstaat Arizona) und rechtfertigte dies damit, daß er es für unerläßlich halte, »im Interesse der Modernisierung des Hamburger Strafvollzugs aus einem breiten Feld von Möglichkeiten Anregungen zu holen«. Joe Arpaio gilt als der »härteste Sheriff der USA«, der seine Gefangenen in rosa Unterwäsche und in der Nähe von Müllhalden hält, damit diese »gleich wissen, wo sie hingehören«. Kusch eifert seinem Vorbild kräftig nach: Spritzentausch-Automaten für Drogenabhängige hat er beseitigt, Vollzugslockerungen eingeschränkt, die Einschlußzeiten in den Zellen drastisch erhöht, Freizeitangebote gekappt und Besuchsmöglichkeiten eingeschränkt. Auch das Telefonieren, für viele Gefangene der einzige Draht zur Außenwelt, wird nur noch unter strenger Auflage genehmigt. 23 Stunden am Tag sind Gefangene nun in »Santa Fu« – jenem bekannten Haus 2 der Haftanstalt Fuhlsbüttel – am Wochenende in ihren Zellen isoliert. Und die neue Haftanstalt Billwerder, mit 800 Haftplätzen ursprünglich als »offene Anstalt« konzipiert, mutierte zu einer Art Hamburger »Alcatraz«.

Für ver.di-Landeschef Wolfgang Rose entpuppt sich Kusch damit als »Sicherheitsrisiko«. »Die Wende im Strafvollzug bedroht die Sicherheit in der Stadt.« Diesen Vorwurf erhebt auch das »Forum Hamburger Strafvollzug und Straffälligenhilfe«, zu dem sich Fachleute, darunter Kriminologen, Juristen und Suchtärzte, zusammengeschlossen haben. Das Ziel des Senators, immer mehr Straffällige möglichst lange wegzusperren und in den Anstalten nur zu verwahren, sei kontraproduktiv: »Dies wird langfristig nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bringen.« Für den Kriminologen Prof. Klaus Sessar wächst unter Kusch »in den Gefängnissen eine Generation potentieller Rückfalltäter heran.« Für Richter Reinhold Roth ist »der Verwahrvollzug nicht nur gesetzeswidrig, sondern schlicht verfassungswidrig«. Das Bundesverfassungsgericht habe immer wieder betont, daß das Ziel der Resozialisierung unumstößlich sei. Dem einzelnen Gefangenen müsse deshalb, so Roth, »ein Grundrecht auf soziale Wiedereingliederung zugebilligt werden«. Dies diene auch dem Opferschutz.

Die Situation in den Hamburger Gefängnissen gleicht inzwischen einem Pulverfaß. Bereits um die Jahreswende kam es zu ersten Meutereien, in deren Folge in »Santa Fu« der Ausnahmezustand verhängt werden mußte. Die Behörde befürchtete eine offene Revolte.

http://www.jungewelt.de/2004/06-30/011.php



In zwei Bezirken wurden offizielle Bündnisse zwischen CDU und Grünen vereinbart

Hamburg hat eine Premiere: Die ersten Bündnisse zwischen CDU und der Grün-Alternativen Liste GAL auf Bezirksebene sind perfekt und zwar in den Stadtteilen Altona und Harburg. Für Altona liegt ein 18-seitiger »Vertrag zur Zusammenarbeit« bereits vor, der am Dienstag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Schwerpunkte des Vertrages sind die Bereiche Stadtentwicklung, Verkehr sowie Gleichstellung und Integration. In Harburg stehen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluß.

Die »schwarz-grüne Option« hat seit den Bürgerschaftswahlen am 29. Februar etliche Fürsprecher. Hatten Christdemokraten und Grüne im Wahlkampf ein solches Bündnis noch ins Reich der Fabel verwiesen, so lobt Jo Müller, ehemaliger grüner Bundestagsabgeordneter, inzwischen ausdrücklich die CDU, da sie sich an Verträge halte. Altonas CDU-Fraktionschef Uwe Szczesny erklärte, daß Hamburg für eine schwarz-grüne Koalition geradezu ideal sei. Entsprechend eindeutig waren jetzt auch die Entscheidungen der Bezirksgremien der Parteien. Bei der CDU gab es lediglich einige Enthaltungen, bei der nur sechs Nein-Stimmen.

Es war Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der den Bündnissen den Weg geebnet hatte. Für von Beust besteht ein strategisches Interesse in der Zusammenarbeit mit den Grünen, besonders in Hinblick auf mögliche Koalitionsbildungen nach der nächsten Bürgerschaftswahl 2008. Trotz angespannter Haushaltslage läßt sich der Bürgermeister dies einiges kosten. So wurde der GAL in Altona die Einrichtung einer Trasse für den Busverkehr in der Großen Bergstraße eingeräumt. Kostenpunkt: 700000 Euro. Zur Sicherung des Stadtteilarchivs Ottensen werden zusätzliche 30000 Euro bereitgestellt. Auch die 2005 auslaufenden Verträge für Bauwagenplätze, die in den vergangenen Jahren für heftige Auseinandersetzungen gesorgt hatten, werden verlängert. Umgekehrt muß die GAL das Konzept der »wachsenden Stadt« akzeptieren, mit dem die CDU gigantische naturzerstörende Infrastrukturmaßnahmen vorantreibt.

http://www.jungewelt.de/2004/06-23/013.php



jW sprach mit Tina Sanders, Vorsitzende der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ)

F: Sie sind gerade aus Brasilien vom ersten internationalen Vorbereitungstreffen für die nächsten Weltfestspiele der Jugend und StudentInnen zurückgekehrt. Was wurde beschlossen?

Die 16. Weltfestspiele werden vom 5. bis 13. August 2005 in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela, stattfinden. An dem ersten Vorbereitungstreffen nahmen 60 Jugendorganisationen aus fünf Kontinenten teil. Dabei haben wir uns auch schon auf einen gemeinsamen Slogan geeinigt: »Für Frieden und Solidarität, wir kämpfen gegen Imperialismus und Krieg!« In Caracas wird die revolutionäre Jugend Venezuelas mit der fortschrittlichen und demokratischen Jugend aus aller Welt zusammentreffen. Wir haben einen Aufruf verabschiedet, der unterstreicht, daß das Festival seinen antiimperialistischen Charakter beibehält.

F: Vor 1989 fanden die Weltfestspiele zumeist in den Hauptstädten sozialistischer Länder statt, so etwa 1951 und 1973 in der DDR-Hauptstadt. Warum fiel die Wahl jetzt auf Venezuela?

Der Vorschlag, das Festival in Venezuela auszutragen, stammte sowohl vom Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) als auch Jugendorganisationen aus dem Land selbst. In Venezuela findet ein revolutionärer Prozeß statt, der sich gegen die imperialistischen Interessen, vor allem gegen den US-Imperialismus richtet. Die Regierung unter Hugo Chavez hat erhebliche soziale Fortschritte für die Menschen gebracht. Venezuela ist zu einem Ausdruck des Widerstands gegen die imperiale Ausbeutung geworden.

F: Wie ist die Resonanz in Deutschland?

Zunächst ist es an uns, die Einladung nach Caracas publik zu machen. Die Weltfestspiele sind der Ort, an dem sich junge Leute aus allen Teilen der Welt über ihre Kämpfe um soziale und demokratische Rechte austauschen. Erwartet werden 15 000 Jugendliche aus mehr als 150 Ländern. In Deutschland wollen wir ganz gezielt die Gewerkschaftsjugend ansprechen, die sich für eine bessere und qualifizierte Ausbildung einsetzt. Wir müssen klarmachen, daß die Auseinandersetzungen hierzulande auch Thema in Caracas sein werden. Genauso sollen die jüngsten Erfahrungen der Studierendenbewegung in Venezuela eine Rolle spielen. Für den Vorbereitungsprozeß sind natürlich alle Jugendorganisationen eingeladen, die sich dem Aufruf und dem Motto der Weltfestspiele verpflichtet fühlen. Im Spätsommer soll sich ein deutsches Vorbereitungskomitee bilden, das dann die gemeinsame Teilnahme plant.

F: In Venezuela findet noch in diesem Jahr ein Referendum statt, mit dem die rechte Opposition hofft, Hugo Chavez aus dem Amt zu jagen. Was dann?

Nicht nur die Kommunistische Jugend in Venezuela, sondern alle, die sich dort zu einem nationalen Vorbereitungskomitee zusammengeschlossen haben, konnten überzeugend darlegen, daß dieses Referendum keinen Erfolg haben und sich der revolutionäre Prozeß eher noch beschleunigen wird. Andererseits wird ein erneuter Putschversuch, wie zuletzt im April 2002, als reale Gefahr betrachtet. Das Festival ist Teil der notwendigen Solidarität, um dies zu verhindern.

* Infos: www.weltfestspiele.de

http://www.jungewelt.de/2004/06-22/017.php



CDU legt 150-Millionen-Euro-»Sparprogramm« mit langer Liste sozialer Grausamkeiten vor

Hamburg steht dieser Tage im Zeichen der Haushaltspolitik. Am Mittwoch begannen dreitägige Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft. Hierzu legte Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) ein 150-Millionen-Euro-»Sparprogramm« vor, mit dem der Haushalt ab 2005 entlastet werden soll. Ausgerechnet der GAL mit ihrem Haushaltsexperten Willfried Maier ist das nicht genug. Maier wirft dem Senat »unsolide Haushaltspolitik« vor. Schon für das letzte Jahr, so Maier, habe der Senat 32 Millionen mehr ausgegeben als geplant.

Die Liste der Grausamkeiten ist lang. Besonders trifft es erneut die Einrichtungen der Beschäftigungsförderung. Hier will der Senat 28 Millionen Euro kürzen. Eine dieser Einrichtungen ist die »Stiftung für berufliche Bildung«. Ihre Zuschüsse werden vollständig gestrichen. Hinzu kommen Streichungen bei den Lehr- und Lernmitteln, Kürzungen beim Schülerfahrgeld und im Ausbildungsverkehr, beim Blindengeld, der Filmförderung, beim Schulschwimmen, der Seniorenbildung sowie bei Projekten der Frauenförderung. Mit deftigen Fahrpreiserhöhungen im ÖPNV, der Erhöhung des Wasserpreises und zahlreichen neuen Gebühren – so für den Rettungsdienst – soll den Bürgern tief in die Tasche gegriffen werden. 34 Millionen Euro will der Senat so zusätzlich einfahren. Nichts bleibt unberührt: Die »Sportstadt Hamburg«, die sich anschickt, eine erneute Olympiabewerbung zu verfassen, will den kleinen Sportvereinen 3,5 Millionen für die Nutzung staatlicher Sportstätten abtrotzen. Öffentliche Einrichtungen, so die Bücherhallen, sollen durch »Effizienzsteigerungen« 14 Millionen Euro erwirtschaften. Und das erste Hamburger Frauenhaus, vor über 20 Jahren entstanden, wird zum Jahresbeginn 2005 schließen.

Neben diesen Maßnahmen finden kräftige »Umschichtungen« statt. In der Bildungsbehörde betrifft dies 1 019 Lehrerstellen (Gesamtvolumen: 13 800). Die Schülerzahlen – so eine Prognose – werden bis 2008 um 6 000 auf dann 230 000 steigen. Allein hierfür berechnet die Behörde einen Mehrbedarf von 431 Stellen. Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen müßten weitere zusätzliche Stellen entstehen. Da aber auch die Schulbehörde noch 81 Stellen »einsparen« muß, werden die Klassengrößen nun erhöht und insbesondere Mittel und Personal im Bereich der Sprachförderung gestrichen.

DGB-Chef Erhard Pumm bewertete die Streichung bei der »Stiftung für berufliche Bildung« als Fortführung des Kahlschlages in der Weiterbildungslandschaft. Diese Stiftung bietet seit 1982 Maßnahmen zur Berufsvorbereitung, Umschulung und Fortbildung für Erwerbslose an. Schon im letzten Jahr mußten allein bei den Weiterbildungsträgern 300 Mitarbeiter entlassen werden. Mit der Kürzung städtischer Zuschüsse im Bereich der Beschäftigungsförderung werden zudem Mittelstreichungen durch die Bundesanstalt für Arbeit und den Europäischen Sozialfonds provoziert. Allein für die Stiftung sind das acht Millionen Euro an Komplementärfinanzierung.

Nicht angetastet werden hingegen die Haushaltstitel im Bereich Wirtschaft und Verkehr. Ein Leckerbissen der besonderen Art: 30 Millionen Euro will die Stadt für ein neues Marinemuseum ausgeben. Mit allem, was dazugehört und inklusive einer Anlegestelle für Kriegsschiffe.

http://www.jungewelt.de/2004/06-17/014.php



Ronald Prieß ist Leiter einer Kindertagesstätte im Hamburger Schanzenviertel

* Seit dem 1. August 2003 gilt in Hamburg das bundesweit einmalige Kita-Gutscheinsystem. Eltern erhalten dabei einen Gutschein, auf dem die Leistung und die Anzahl der Betreuungsstunden vermerkt sind, und lösen diesen bei einer Einrichtung ihrer Wahl ein. Jeder Gutschein hat einen pauschalierten Gebäude-, Personal- und Sachkostenwert, auch Entgelt genannt.

F: Erzieher in den Hamburger Kindertagesstätten planen Protestaktionen bis hin zu einem Streik. Wogegen wehren Sie sich?

Ab 1. August werden die Entgelte für Krippenplätze um 30 Prozent gekürzt, was eine Vergrößerung der Gruppen auf 20 Kinder und eine sinkende Betreuungsqualität zur Folge haben wird. Zusätzlich sollen ab Januar 50 Millionen Euro eingespart werden. Für die Träger bleibt nur die Möglichkeit, beim Personal zu sparen. Kleineren Trägern droht die Insolvenz.

F: Auf die Umstellung vom Pflegesatz- auf das Gutscheinsystem hat die SPD mit einem Volksbegehren reagiert. Hat sich seitdem nichts verbessert?

Das Volksbegehren wurde gemeinsam von der SPD und verschiedenen Sozialinitiativen eingeleitet. Nach den Bürgerschaftswahlen im Fühjahr hat die SPD das Volksbegehren ohne Absprache einfach abgeblasen und wieder auf auf eigene Faust Verhandlungen mit der CDU geführt. Das Ergebnis war der Kita-Kompromiß, der ab 2005 eine Erhöhung des Rechtsanspruchs von vier auf fünf Stunden und eine Betreuungsgarantie vorsieht – letztere aber erst ab 1. August 2006. Schon das Gutscheinsystem brachte einen Abbau der Betreuungsstunden in den sozialen Brennpunkten mit sich. Jetzt sollen die mit der Betreuungsgarantie verbundenen Mehrkosten allein durch die Träger aufgefangen werden. Damit rutschen wir noch unter den Stand vor der Einführung des Gutscheinsystems. Ursprünglich sollten die Mehrkosten aus anderen Bereichen des Haushalts finanziert werden.

F: Streben Sie ein neues Bündnis mit der SPD an?

Wir werden uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen. Wir wollen ein breites Bildungsbündnis auf die Beine stellen: mit Schülern und Lehrern, Auszubildenden und Studierenden. Wenn andere mitziehen, auch Parteien, dann ist das in Ordnung.

F: Ist es Ihnen mit Ihrer Streikdrohung wirklich ernst?

Es geht ja nicht nur um Entgeltkürzungen, hinzu kommen die beabsichtigte Kürzung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes und eine geplante Arbeitszeitverlängerung auf bis zu 42 Stunden. Am 23. Juni wollen wir auf unserer nächsten Versammlung eine erste Aktion beraten. Ende August sollen Betriebsversammlungen in Verbindung mit einer Großdemonstration stattfinden. An diesem Tag werden die Hamburger Kitas bis maximal 14 Uhr geschlossen bleiben. Wir wollen die Intensität unserer Aktionen allmählich steigern. Auf unsere letzten Versammlung haben etliche Kolleginnen und Kollegen längere Arbeitsniederlegungen gefordert. Im Rahmen der tariflichen Auseinandersetzungen ist auch ein stadtweiter Streik möglich.

http://www.jungewelt.de/2004/06-15/015.php



Hamburger GEW, Schüler- und Elternkammer wollen keine Entstaatlichung der beruflichen Schulen

Mit einem Paukenschlag eröffnete die GEW ihre Fachtagung »Neue Rechtsformen für die berufsbildenden Schulen« am Donnerstag. Zu dieser hatte die Lehrergewerkschaft nicht nur ihre Vorsitzende Eva-Maria Stange aufgeboten, sondern auch zahlreiche Experten aus verschiedenen Bundesländern. Die Hamburger GEW will, gemeinsam mit Schüler- und Elternkammern sowie dem Lehrerverband, ein Volksbegehren durchführen, um die vom Senat geplante Übernahme der 48 Berufsschulen in eine wirtschaftsorientierte Stiftung zu verhindern. Vom 23. August bis 5. September sollen 60 000 Unterschriften gesammelt werden, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Die Initiatoren betonen dabei die bundesweite Bedeutung ihres Anliegens, denn auch in Bremen sollen Teile der Berufsschulen in eine GmbH verwandelt werden.

»Die Hamburger Politiker sind gut beraten, endgültig die Hände vom Stiftungsmodell für die beruflichen Schulen in der Hansestadt zu lassen. Das Modell ist in weiten Teilen verfassungswidrig«, so Ursula Herdt, beim GEW-Vorstand für berufliche Bildung zuständig, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Hamburg. Die Gewerkschafterin berief sich auf ein Rechtsgutachten, das der Oldenburger Wissenschaftler Prof. Dr. Dieter Sterzel im Auftrag der Max-Träger-Stiftung erstellt hatte. Dessen Kernaussagen: Entstaatlichung der Berufsschule hebelt die Grundsätze der dualen Berufsausbildung aus und widerspreche dem im Grundgesetz festgelegtem staatlichen Bildungsauftrag. Hamburgs GEW-Vorsitzende Stephanie Odenwald sieht in dem Gutachten eine Unterstützung: »Nur wenn die beruflichen Schulen uneingeschränkt bei der staatlichen Behörde bleiben«, sei »gewährleistet, daß Jugendliche eine umfassende Bildung erhalten.«

In der Tat läßt das Gutachten wenig Spielraum: »Aus dem Primat des staatlichen Erziehungsauftrages folgt laut Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes, daß sich der staatliche Geltungsbereich nicht nur auf die organisatorische Gliederung bezieht, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und der Unterrichtsziele umfaßt.« Die Schulaufsicht gehöre zu den obligatorischen Staatsaufgaben, die nicht an eine private Stiftung übertragen werden können. Sterzel sieht das »grundgesetzliche Demokratiegebot« in Gefahr. »Dem Hamburger Schulgesetzgeber ist es daher verwehrt, eine Stiftung des öffentlichen Rechts als ›Form der kollegialen Selbststeuerung‹ quasi in die Rolle einer Einrichtung der funktionalen Selbstverwaltung schlüpfen zu lassen«, so Sterzel.

Genau das sah das neue Stiftungsmodell vor, mit dem vor allem die Wirtschaft Einfluß erhalten sollte. Die Handelskammer will es ermöglichen, daß »die Lerninhalte besser an die Bedürfnisse der Praxis« angepaßt werden. Übersetzt heißt dies: Wegfall allgemeinbildender Fächer (wie Deutsch und Politik) sowie die Reduzierung theoretischen Unterrichts auf Fachunterricht.

Seit 2001 betreibt die Handelskammer die Privatisierung der Hamburger Berufsschulen offensiv und traf dabei immer wieder auf erheblichen Widerstand. Beim FDP-Schulsenator Lange und dem alten CDU/FDP/Schill-Senat fand man endlich Unterstützung. Dieser erklärte das Anliegen der Handelskammer zu einem der »ehrgeizigsten Reformvorhaben« der Hamburger Regierung. Doch selbst in den Workshops der Bildungsbehörde kam es zum offen Widerspruch. Viele Betriebsvertreter lobten »die bisher gute Zusammenarbeit mit den Berufsschulen.« Um den Protest abzuschwächen, sah sich der alte Senat im November 2003 dann gezwungen, einen Garantieschutz für bisherige Berufsschulstandorte abzugeben. Im April legte die neue Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig das Vorhaben dann »zunächst auf Eis«, um in einer »Potential- und Schwachstellenanalyse« die Notwendigkeit der Privatisierung erneut zu prüfen. GEW, Eltern- und Schülerkammern werteten dies als »Bankrotterklärung« der bisherigen Schulpolitik, wiesen jedoch gleichzeitig darauf hin, daß damit noch keine Absage an ein Stiftungsmodell verbunden ist. Deshalb soll das Volksbegehren stattfinden.

http://www.jungewelt.de/2004/06-11/015.php



[Der nachfolgende Text ist als Beitrag zur Analyse der Ein-Euro-Jobs für das Hamburger Sozialforum entstanden. Er wurde für die Zeitschrift „Politische Berichte“ gekürzt. Diese gekürzte Fassung wird hier dokumentiert.]

Skandalöse Behandlung von Arbeitslosen und staatlich gefördertes Lohndumping

HAMBURG. In den vergangenen Wochen hat das Bekannt werden von Praktiken der „Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft“ HAB eine öffentliche Diskussion über diese Maßnahmen hervorgerufen. Neben der menschenunwürdigen Behandlung von Arbeitslosen, die von Geschäftsführer Scheele als notwendige „Trainingsphase“ zur Feststellung der „Verlässlichkeit“ gerechtfertigt wird, erweist sich zunehmend, dass das Ein-Euro-Programm im Kern der staatlichen Förderung des Lohndumpings und der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze dient. Da offenkundig wird, dass es zu den derzeit angelegten Kriterien keinesfalls genug „Arbeitsgelegenheiten“ geben wird, wird nicht etwa das Programm in Frage gestellt, sondern der Leiter des Amtes Arbeitsmarkt und Strukturpolitik, Bernhard Proksch, erklärt die Absicht der Stadt, die Kriterien für die Zulässigkeit abzusenken (Hamburger Abendblatt 18.11.2004).Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus dem Erfahrungsbericht einer Betroffenen und aus der Analyse des Hamburger Sozialforums. (ulj)

Hamburger Arbeit bei der Durchführung der Ein-Euro-Maßnahmen überfordert

10 000 Ein-Euro-Jobs sollen allein in Hamburg entstehen. Zwischen 600 000 und 1 Million bundesweit. Schon jetzt sind in Hamburg zweitausend dieser Arbeitsgelegenheiten geschaffen, größtenteils bei der Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft ( HAB ). Doch die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft ist mit der Durchführung dieser Ein-Euro-Maßnahmen überfordert! Das ist das Ergebnis von Prüfungen des Sozialforums.

Ausgangspunkt hierfür war die Zuschrift einer Teilnehmerin an einer solchen Ein-Euro-Maßnahme in Hamburg, die auf groteske Verhältnisse hinwies. Die Recherchen zeigen an, dass die Umsetzung der Ein-Euro-Maßnahmen konkret in Hamburg entweder zu sehr fragwürdigen Ergebnissen führen oder aber – nehmen wir die Äußerungen des HAB-Betriebsleiters Peter Steinert zur Grundlage – Einstieg für ein weiteres Lohndumping sind, mit dem reguläre Arbeitsplätze gefährdet und vorhandene Qualifikationen am Arbeitsmarkt entwertet werden. Konkret:

a) Bei der Akquisition von Arbeitsaufträgen durch die HAB, werden die Prinzipien der „Zusätzlichkeit“ und des „öffentlichen Interesses“ nicht oder nicht ausreichend beachtet. Nach dem Kriterium der Zusätzlichkeit sind nur solche Aufträge zulässig, wenn diese Arbeiten ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Arbeiten, die auf Grund einer rechtlichen Verpflichtung durchzuführen sind oder üblicherweise von juristischen Personen des öffentlichen Rechts durchgeführt werden, sind nur förderungswürdig, wenn sie ohne die Förderung voraussichtlich erst nach zwei Jahren durchgeführt werden.“ (SGB III § 261). Nach dem Kriterium des öffentlichen Interesses liegen Arbeiten dann im öffentlichen Interesse, „wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient. Arbeiten deren Ergebnis überwiegend erwerbswirtschaftlichen Interessen oder den Interessen eines begrenzten Personenkreises dient, liegen nicht im öffentlichen Interesse.“ (SGB III § 261). Die Hamburger Arbeit akquiriert – so die Aussage ihres Betriebsleiters Peter Steinert – Arbeitsaufträge in folgenden Bereichen: Renovierung von Wohnunterkünften und der Wohnungen von Sozialhilfeempfängern, Renovierung von Kindergärten, Reinigung von Kinderspielplätzen, Gestaltung von Grünflächen. Alle diese Auftragssegmente entsprechen nicht dem Kriterium der Zusätzlichkeit und zum Teil auch nicht dem des öffentlichen Interesses. Es handelt sich größtenteils um Regelaufgaben der Stadt oder sie dienen, wie bei der Renovierung der Wohnungen, einem begrenzten Personenkreis. Diese Aufträge sind – so das Gesetz – nicht förderungsfähig. Die Deutung der HAB, dass „Zusätzlichkeit“ dann gegeben sei, wenn für marktübliche Bezahlung kein Geld da sei, ist skandalös und muss als Versuch bewertet werden, reguläre Arbeitsverhältnisse im Handwerk und im öffentlichen Dienst über Dumpingpreise zu beseitigen bzw. zu gefährden.

b) Entsprechend dem Zwangscharakter der Ein-Euro-Jobs ist die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft nicht in der Lage, Ein-Euro- Beschäftigte würdevoll und vernünftig zu behandeln. Die Ein- Euro-Jobs bilden kein reguläres Arbeitsverhältnis, es sind rechtlose „Arbeitsgelegenheiten“. In fest gefügten Blocks werden Ein-Euro-Beschäftigte nun – wohl aufgrund mangelhafter Auftragslage – wochen-, ja monatelang, mit „Übungseinheiten“ beschäftigt, die nutzlos sind (…) Anleiter betonen, dass, mangels eigener Auftragslage, die „Mitarbeiter irgendwie beschäftigt werden“. Im Ergebnis eigener Gespräche mit Teilnehmern der Ein- Euro-Maßnahmen bei der HAB, können wir diese Angaben eines ersten Berichts einer Teilnehmerin, nun leider nur bestätigen.

c) Auf Anfrage konnte die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft keine wirklichen Qualifizierungsmaßnahmen benennen. Qualifizierende Maßnahmen müssen konkretisierbar und auch zertifikationsfähig sein und können sich nicht nur auf „Softskills“ beziehen. Sie sollen und müssen auch fachlich sinnvoll sein.
Wie aber soll die HAB solcherart qualifizierende Maßnahmen vorhalten oder anbieten können, wenn gleichzeitig die Dienstleistungsträger für solche Qualifikationsmaßnahmen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Hamburg geschlossen werden? So z.B. „Zebra2V oder die „Stiftung für berufliche Bildung“.

d) Die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft führt Einführungsveranstaltungen für Neuankömmlinge in den Ein-Euro-Maßnahmen durch, die der Zielgruppe nicht entsprechen. In ganztägigen Modulen werden allgemeine Vorschriften erläutert und Belehrungen veranstaltet, die zudem diskriminierend sind. So sollten sich Ein-Euro-Beschäftigte verschiedenen Geschlechts nicht isoliert treffen dürfen („außerhalb der Arbeitskolonne“), da damit sexuelle Belästigungen verbunden sein könnten. Diese Behandlung von armen und arbeitslosen Menschen – so als wenn es sich um potentielle Sexualstraftäter handelt – ist empörend. Man gewinnt den Eindruck, es ginge um Erziehungslager.

e) Die HAB ist nicht in der Lage geeignete Formen der Vertretung für Teilnehmer der „Arbeitsgelegenheiten“ zu implementieren. So bleiben die Teilnehmer vollkommen rechtlos, Widerspruchs- und Beschwerdeverfahren sind nicht integriert.

Dies veranlasst zu folgenden Feststellungen:

Das Versprechen auf sinnvolle Arbeit für mehr Menschen kann durch das Ein- Euro-Programm nicht realisiert werden, sofern die Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentliches Interesses gewahrt bleiben. Werden diese aber nicht berücksichtigt, gefährdet das Ein- Euro-Programm reguläre Arbeitsplätze vor allem im Handwerk. Die Handwerkskammer hat sich zu solchen Programmen in der Vergangenheit sehr klar geäußert. Mit der Einführung von Ein- Euro-Maßnahmen sind die arbeitsmarktpolitischen Erfordernisse nicht zu bewältigen. Statt der Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten wäre eine Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eine sinnvolle und weitgehend kostenneutrale Alternative. Aber ABM wird in Hamburg total heruntergefahren und soll Ende 2005 vollständig beseitigt sein. Trotz der auch bei ABM gegebenen Gehaltskürzungen, die wir kritisieren, verbleiben doch erhebliche Unterschiede: So sind Qualifizierungsmodule fester Bestandteil, es existiert ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsvertrag, der dem Arbeitnehmer allgemeine Rechte und auch eine Interessenvertretung über einen Betriebsrat sichert. ABM sind näher dran am allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Ein-Euro- Jobs sind hingegen der erste Schritt zur Bildung eines „dritten Arbeitsmarktes“, der vom allgemeinen Arbeitsmarkt noch weiter entfernt ist, als der „zweite Arbeitsmarkt“. Die Gestaltung von Maßnahmen darf nicht den einzelnen Trägern überlassen werden. Diese haben ein starkes Eigeninteresse daran, möglichst viele Teilnehmer im jeweiligen Träger zu versammeln, unabhängig davon, ob sie diese tatsächlich einsetzen können oder auch nicht. Notwendig wäre die Bildung öffentlicher Aufsichtsräte, die für die Träger verbindliche Vorgaben erarbeiten (Qualifizierungen, Arbeitseinsätze, Mitwirkungsmöglichkeiten etc.) In diesen Aufsichtsräten sollten Vertreter der Handwerkskammer, der Gewerkschaften, der Behörden und kommunaler Gremien aus den einzelnen Stadtteilen vertreten sein. Die Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses müssen strikt eingehalten werden, um nicht eine weitere Spirale des Lohndumpings auszulösen. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist strikt zu beachten. Wer freiwillig eine Ein-Euro-Maßnahme übernimmt, kann nicht dafür bestraft werden, wenn er sich dafür entscheidet, diese wieder abzubrechen, weil er erkennt, dass diese ihn nicht näher an den allgemeinen Arbeitsmarkt heranführt.

http://www.gnn-archiv.staticip.de/archiv/PB/2004/25pb.pdf // Seite 12,13