IG BAU befürchtet durch Bolkestein-Richtlinie weiteres Lohndumping. Am heutigen Dienstag wird in Strasbourg demonstriert. Ein Gespräch mit Andreas Steppuhn
* Andreas Steppuhn ist Mitglied des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bauen- Agrar-Umwelt (IG BAU) und außerdem Bundestagsabgeordneter der SPD
F: Am Samstag haben in Berlin 40000 Menschen gegen die Verabschiedung der Bolkestein-Richtlinie durch das Europäische Parlament demonstriert. Die IG BAU ruft auch zu der Protestdemonstration auf, die am heutigen Dienstag in Strasbourg stattfindet. Warum sind Sie gegen die Richtlinie?
Im ihrem Entwurf ist das sogenannte Herkunftslandprinzip wenn auch nicht mehr mit diesem Begriff verankert, wonach Beschäftigte aus dem Ausland in Deutschland zu den Bedingungen ihres Heimatlandes arbeiten dürften. Das würde einen großflächigen Prozeß des Sozial- und Lohndumpings auslösen.
F: Die EU-Kommission argumentiert, daß dadurch 600000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen könnten.
Das glaube ich nicht. Vielmehr würden sich vorhandene Arbeitsplätze verlagern. Die Probleme, die wir mit Schwarzarbeit und Lohndumping haben, würden sich noch verschärfen.
F: Was wären die Folgen auf den Baustellen?
Nach der Richtlinie könnte eine polnische Firma mit polnischen Arbeitskräften und zu polnischen Arbeitsbedingungen hier auf den Markt gehen. Damit würden Mindestlöhne am Bau keine Rolle mehr spielen. Es wäre aber auch denkbar, daß sich deutsche Bauunternehmer formal im Ausland ansiedeln, um dann hiesige Arbeitnehmer zu den schlechteren Bedingungen des Auslands zu beschäftigen. Damit würden sich die Arbeitsbedingungen in allen Ländern der EU verschlechtern, und bestehende Arbeitsplätze wären gefährdet.
Außerdem müßten Entsendefirmen hiesige Sicherheitsbestimmungen nicht mehr einhalten. Wir hätten keine Kontrolle mehr über das, was auf den Baustellen geschieht, weil unsere Arbeitsschutzbestimmungen nicht mehr greifen würden. Durch schlechteres oder fehlendes Arbeitsmaterial zum Beispiel im Gerüstbau wären die Menschen weitgehend ungeschützt. Entfallen würde auch die Pflicht, Schutzhelme und Sicherheitsschuhe zu tragen.
F: Warum hatten Sie auch zu der Demo in Berlin aufgerufen? Sollte da Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden?
Laut Koalitionsvertrag akzeptiert die Bundesregierung den bisherigen Richtlinienentwurf nicht. Jetzt ist es wichtig, daß die Bundesregierung auch in Brüssel eine klare Position bezieht. Auch dafür wollen wir Druck ausüben.
F: Vergangene Woche Mittwoch haben sich Vertreter der sozialdemokratischen und der konservativen EU-Parlamentsfraktionen auf einen Kompromiß zur Richtlinie geeinigt. Das Wort »Herkunftslandprinzip« soll demnach ganz aus der Richtlinie gestrichen werden.
Damit zeigen bisherige Proteste eine erste Wirkung. Allerdings bin ich eher verhalten optimistisch, denn wir müssen uns die Details erst mal genau anschauen. Es kommt ja nicht auf die Streichung einzelner Worte, sondern auf die Sache an. Wir müssen aufpassen, daß sich ähnliche Absichten nun nicht auf andere Weise durchsetzen. Zudem stehen die Parlamentsberatungen ja noch aus. So lange aber keine Entscheidungen in unserem Sinne getroffen sind, bleiben die Demonstrationen wichtig.
F: Kritiker des Kompromisses sagen, daß dieser nichts taugt, weil es damit gravierende Einschnitte in die nationale Gesetzgebung gibt. Regulierungen zur Leiharbeit sollen ganz entfallen.
Für eine abschließende Beurteilung ist es noch zu früh. Ich warte da ab, bis mir ein endgültiger Text vorliegt. Doch die Streichung des Herkunftslandprinzips ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung.
F: Zur Demo in Berlin hatte auch SPD-Vorsitzender Matthias Platzeck aufgerufen. Doch andererseits gibt es sozialdemokratische Europaabgeordnete, wie etwa den Aachener Martin Schulz, die für die Annahme des Richtlinienentwurfs sind. Wie bewerten Sie das?
Die SPD hat als Gesamtpartei eine klare und ablehnende Position zum vorgelegten Richtlinienentwurf bezogen. Daraus entsteht dann auch der Druck auf die Parlamentsfraktion in Strasbourg, wo es noch unterschiedliche Meinungen gibt. Ich leite daraus ab, daß wir diesen Druck noch verstärken müssen, damit Positionen herauskommen, die klar von Arbeitnehmerinteressen ausgehen.
F: Wie viele Mitglieder der IG BAU haben sich am Samstag an der Demo in Berlin beteiligt?
Ich gehe von 20000 Mitgliedern aus. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Demo für unsere Verhältnisse relativ kurzfristig festgelegt wurde und einige Bezirke schon für die heutige Demo in Strasbourg mobilisieren.
http://www.jungewelt.de/2006/02-14/052.php
Hamburg kündigt Kurskorrektur in der Arbeitsmarktpolitik an: Staatlich subventioniertes Lohndumping wird weiter verschärft
In Hamburg hat Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) in dieser Woche eine Kurskorrektur in der Arbeitsmarktpolitik angekündigt. Da von Ein-Euro-Jobs Übergänge in dauerhafte Beschäftigung kaum ausgingen, müsse das Instrument neu justiert werden. Der Senator will die Ein-Euro-Jobs deshalb mit einem Kombilohnmodell verbinden. Unternehmen, die Ein-Euro-Jobber nach dem Auslauf ihrer Maßnahmen einstellen, erhalten bis zu 24 Monate lang einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von drei Euro pro Arbeitsstunde. Im April will die Wirtschaftsbehörde 1000 solcher Kombistellen schaffen. Ab dem dritten Quartal sollen noch mehr Menschen für Kombilöhne arbeiten, während die Anzahl der Ein-Euro-Jobs reduziert wird.
Dass die Ein-Euro-Jobs arbeitsmarktpolitisch ein Flop sind, hatten Experten schon bei ihrer Einführung vorausgesagt. Doch allein in Hamburg gibt es 12000 solcher Stellen. Als Arbeitsgelegenheiten ohne berufliche Qualifizierung und ohne Rechte für die Betroffenen sind sie nur dafür geeignet, billige (Zwangs-)Arbeit zu verrichten, was reguläre und feste Arbeit eher verdrängt. Uldall räumte ein, dass die Übergänge in reguläre Arbeit erheblich niedriger seien als bei den früheren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM).
In einem Geheimpapier der Arbeitsgemeinschaft zur Umsetzung des SGB II (ARGE) wird deshalb vorgeschlagen, die Hälfte aller Ein-Euro-Jobs zu streichen, während dafür dann die Kombilohnstellen sowie staatlich bezuschusste Leiharbeitsstellen in einer Leihagentur entstehen sollen. In diese Leihagentur sollen die Ein-Euro-Jobber dann nach dem Ablauf ihrer Maßnahme für sechs Monate wechseln. Wie die Wirtschaftsbehörde auf Anfrage bestätigte, soll der dort erzielte Bruttolohn bei 6,80 Euro in der Stunde liegen. Da aber gleichzeitig die Grundsicherung (Arbeitslosengeld II und Kosten der Unterkunft) wegfällt, wäre dies netto noch weniger, als viele Betroffene bei den Ein-Euro-Jobs heute schon haben, wo neben der Mehraufwandspauschale von 210 Euro im Monat auch die Grundsicherung weiter gezahlt wird. Deshalb will die Wirtschaftsbehörde die Mehraufwandspauschale für die Ein-Euro-Jobs auf 120 Euro im Monat kürzen. Sonst bestünde kein Anreiz, in die Verleihagentur zu wechseln. Ausgeliehen sollen die Billigarbeiter dort an ganz normale Wirtschaftsbetriebe werden, die dafür eine sehr geringe Pauschale bezahlen würden. Nach sechs Monaten könnten die Unternehmer dann entscheiden, ob sie geliehenen Beschäftigten für weitere 18 Monate übernehmen. Dann würde der Kombilohn bezahlt, der aber im Netto so niedrig sein soll, dass er das nicht übersteigt, was Ein-Euro-Jobbern heute schon haben.
Der Vorteil soll darin bestehen, einen Arbeitsvertrag zu haben, auch wenn der auf wenige Monate beschränkt sein kann. Was anschließend wird, ist nicht geregelt. Mit dem neuen Programm erhofft sich Hamburg einen höheren Integrationserfolg durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. In Wirklichkeit ist das Kombilohnmodell aber nichts anderes als eine Verlängerung staatlich subventionierter Billigstarbeit. Ganz ungeniert werden arbeitsmarktpolitische Instrumente nun auf den ersten Arbeitsmarkt übertragen, womit auch lästige Kriterien des Sozialgesetzbuches wegfallen, wie etwa die der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses, die besser bezahlte und reguläre Arbeit bisher schützen sollten. Auch für den Staat ist das ein lohnendes Geschäft, denn die Grundsicherung fällt bis zu 24 Monate weg. In Hamburg kritisierte die Sozialpolitische Opposition (SOPO) Uldalls Absichten als eine Fortsetzung staatlich finanzierten Lohndumpings.
Seite 4: http://85.183.64.11/archiv/Lokal/Hamburg/2006/02hh.pdf
Warnstreik und Demonstrationen Hamburger Studenten
Etwa 1000 Studenten haben am Samstag in Hamburg erneut gegen die Einführung von Studiengebühren demonstriert. Polizei und Versammlungsbehörde hatten zuvor versucht, den angemeldeten Aufmarsch aus der Innenstadt fernzuhalten, um so den verkaufsoffenen Samstag für die Geschäftswelt ohne Störungen ablaufen zu lassen. Gegen diese Einschränkung des »Grundrechts auf Versammlungsfreiheit« hatte der AStA der Uni Hamburg vor dem Verwaltungsgericht geklagt, das den Studierenden (kurz vor Demo-Beginn) schließlich auch Recht gab und eine Demo durch die Innenstadt genehmigte.
Bereits am Donnerstag und Freitag hatten Studierende mit einem zweitägigen Warnstreik, durch Aktionen und im Rahmen eines alternativen Vorlesungsprogramms erneut auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht. Neben dem Philosophenturm und dem Pädagogischen Institut, wurden dabei auch der soziologische Fachbereich und das Geomatikum der Uni Hamburg blockiert und bestreikt. Mit Transparenten wie »Studiengebühren stoppen« oder »Existenzgeld für alle« hatten Studenten am Freitag auch zeitweilig das BAföG-Amt besetzt, das sie erst wieder verließen, nachdem sich die Amtsleitung mit den Studenten solidarisch erklärte.
Wie schon im November richteten sich die Protestaktionen gegen einen Gesetzentwurf von Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos), der allgemeine Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester bereits zum Herbst nächsten Jahres einführen will. Während sich Dräger davon eine bessere Finanzierung der Universitäten verspricht, befürchten die Studenten, daß ein Bezahlstudium künftig viele Menschen von höherer Bildung ausschließt.
http://www.jungewelt.de/2005/12-19/014.php
Hamburg: Volksbegehren gegen Privatisierung der Berufsschulen vor Verfassungsgericht gescheitert
Das Volksbegehren gegen die Privatisierung der 48 Hamburger Berufsschulen ist gescheitert. Am Mittwoch entschied das Hamburger Verfassungsgericht, daß die Volksinitiative »Bildung ist keine Ware« auf einen Volksentscheid nicht bestehen könne, da die Bürgerschaft im November 2004 dem Anliegen der Initiative bereits entsprochen habe.
Wie berichtet, hatten statt geforderter 61000 sogar 121000 Hamburger das Volksbegehren unterstützt. Daraufhin beschloß die Bürgerschaft, daß die Berufsschulen zwar nicht mehr, wie ursprünglich geplant, auf eine private Wirtschaftstiftung übertragen werden, doch gleichzeitig beschloß das Landesparlament deren Ausgliederung in einen Landesbetrieb. Der Pferdefuß: In dessen aufsichtsführenden Gremien haben Vertreter der Handwerks- und Handelskammer einen bestimmenden Einfluß. Das alte Vorhaben, »nur neu verpackt«, kommentierte Sigrid Strauß, stellvertretende Vorsitzende der GEW in Hamburg. Doch Senat und Bürgerschaft sahen damit die Sache als erledigt an. Um doch noch einen Volksentscheid zu erzwingen, ging die Initiative im Dezember 2004 vor das Verfassungsgericht. Die Kläger beantragten festzustellen, daß der Beschluß der Bürgerschaft dem Anliegen des Volksbegehrens nicht entspricht.
Diese Klage wurde nun zurückgewiesen, nachdem Verfassungsgerichtspräsident Wilhelm Rapp schon Anfang November in mündlicher Verhandlung verdeutlicht hatte, daß das Petitum des Volksbegehrens nicht eindeutig wäre. (junge Welt berichtete). Durch den Beschluß der Bürgerschaft, so das Gericht, wäre dem eigentlichen Anliegen entsprochen worden.
Enttäuscht zeigen sich neben den Initiatoren vor allem Hamburgs Gewerkschaften. Das Gericht habe der Volksgesetzgebung einen weiteren Dämpfer verpaßt, meinte DGB-Chef Erhard Pumm, dem sich die »Frage aufdrängt, worüber das Volk eigentlich noch entscheiden dürfe«, werden die juristische Hürden so hoch gesetzt. Wie Strauß befürchtet auch Pumm nun einen Verlust von Allgemeinbildung und eine Benachteiligung vollzeitschulischer Bildungsgänge in den Hamburger Berufsschulen.
http://www.jungewelt.de/2005/12-01/013.php
Hamburger Oberverwaltungsgericht stoppt Gebührenerhebung für auswärtige Studenten
Das Hamburger Oberverwaltungsgericht (OVG) hat am Montag eine von der Wissenschaftsbehörde verfügte Regelung gestoppt, wonach auswärtige Studierende ohne Wohnsitz in Hamburg zusätzliche Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester zahlen müssen. Die Entscheidung kann als Niederlage für Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) betrachtet werden, denn dieser will noch im Dezember ein Gesetz in die Bürgerschaft einbringen, mit dem allgemeine Studiengebühren für alle Studenten eingeführt werden. Doch mit der Entscheidung des OVG ist nunmehr nicht nur die Eintreibung der Gebühren für auswärtige Studierende sofort gestoppt, sondern gleichzeitig die politische Diskussion um die Studiengebühren neu entbrannt.
Nach der Regelung der Wissenschaftsbehörde mußten auswärtige Studenten schon seit April 2004 zusätzliche Gebühren zahlen, so lange sie ihren Hauptwohnsitz nicht nach Hamburg verlegten. Durch solche Wohnsitzummeldungen erhält die Stadt höhere Zahlungen beim Länderfinanzausgleich. Gegen diese Regelung hatte im März 2005 ein Student mit Wohnsitz in Hannover geklagt und vor dem Verwaltungsgericht in erster Instanz Recht erhalten. Am Montag wurde durch das OVG nun die Beschwerde des Senats gegen diesen Gerichtsentscheid zurückgewiesen. Solcherart Studiengebühren, so das Gericht, würden gegen Artikel 33 des Grundgesetzes verstoßen, in dem es heißt: »Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten«. Der Länderfinanzausgleich berücksichtige bereits besondere Belastungen einzelner Bundesländer. Zudem so das Gericht sei es »äußerst fraglich«, ob eine Gebührenregelung überhaupt mit dem Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 des Grundgesetzes vereinbar sei.
Da sich seit April 2004 7200 auswärtige Studenten nach Hamburg umgemeldet haben, was Mehreinnahmen im Länderfinanzausgleich von 15 Millionen Euro brachte, habe die bisherige Regelung ihren Dienst bereits erfüllt, sagte die Sprecherin der Wissenschaftsbehörde Sabine Neumann. Lediglich 1500 auswärtige Studenten taten dies nicht. Zudem erklärte Neumann, daß der Senat daran festhalte, mit einem Gesetz allgemeine Studiengebühren für alle Studenten bereits zum Sommersemester 2007 einzuführen.
Demgegenüber begrüßten Vertreter der Gewerkschaften, der studentischen Interessenvertretungen und der Oppositionsparteien die Gerichtsentscheidung. SPD-Hochschulexpertin Barbara Brüning sieht wie das Gericht Gleichheitsgrundsätze vernachlässigt. Die wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Heike Opitz, warf dem Senat vor, den rechtlichen Rahmen für Studiengebühren nicht ausreichend geprüft zu haben. Das könne nun Folgen für die geplante Einführung allgemeiner Studiengebühren haben. In einer Stellungnahme des AStA der Universität Hamburg hieß es, daß »jede Befreiung von Studiengebühren ein Erfolg« sei. AStA-Sprecher Florian Kasiske versprach Studenten seiner Uni, die gegen Studiengebühren klagen, juristische Unterstützung. So wie Kasiske forderte auch Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm erneut dazu auf, generell auf Studiengebühren zu verzichten, weil ein Studium »über alle sozialen Grenzen hinweg« weiterhin möglich sein müsse.
http://www.jungewelt.de/2005/11-23/019.php
Hanseatisches Oberverwaltungsgericht verfügt Baustopp gegen Airbus in Hamburg
Seltene Fledermäuse schaffen nun vielleicht, was jahrelanger Bürgerprotest in Hamburg nicht leisten konnte: den Stopp der umstrittenen Landebahnverlängerung im Airbus-Werk Finkenwerder. Das Hanseatische Oberverwaltungsgericht (OVG) entschied am Montag, daß ein Baumbestand auf dem Baugelände nicht abgeholzt werden dürfe, weil er Fledermäusen als Sommerquartier dient. Dem Urteil gingen die Klagen zweier Naturschutzverbände voraus, unter ihnen des BUND, dessen Sprecher Paul Schmidt nun von einem Erfolg spricht, denn die seltenen nachtaktiven Tiere, denen Baumhöhlen und Spalten als Versteck dienen, seien vom Aussterben bedroht. Die Abholzung sei deshalb, so das Gericht, nach deutschem und europäischem Recht nur unter engsten Voraussetzungen möglich, die in der Begründung zum Planfeststellungsbeschluß der Stadt aber nicht geprüft worden seien. Die Abholzung der Bäume und damit die freie Sicht vom neuen Airbus-Tower auf die Landebahn und die Landebahnerweiterung selbst ist damit erneut blockiert.
Die Landebahnerweiterung wollte Airbus, um künftig auch schwere Frachtversionen des A 380 in Hamburg landen und starten lassen zu können. Daran knüpfte der Konzern seine Standortzusage für Hamburg, wo der Innenausbau des A 380 erfolgen soll. Da sich Obstbauern und Anrainer weigerten, die benötigten Grundstücke zu verkaufen, wollte die Stadt die Grundeigentümer sogar enteignen. Wie berichtet, drohte das Projekt daraufhin zu scheitern, weil das OVG 2004 Enteignungsverfahren zunächst stoppte. Erst nach monatelanger Hetze insbesondere seitens der Springerpresse, gaben die Grundeigentümer bis auf zwei ihren Widerstand schließlich auf. Daraufhin konnte die Landebahnerweiterung leicht modifiziert geplant werden, womit nun allerdings das Wäldchen der Fledermäuse berührt ist. Ob der Senat mit einer Neubegründung des Planfeststellungsbeschlusses, die er bereits für nächste Woche ankündigte, den Wald doch noch abholzen kann, ist fraglich.
Unerwartete Schwierigkeiten drohen dem Senat auch von der EU-Kommission, die Ausgleichsmaßnahmen für die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs anmahnte. Beim Mühlenberger Loch handelte es sich um eine Elbbuchtung, die zahlreiche seltene Vögel und Pflanzen aufwies und für eine Werkserweiterung von Airbus bereits vor einigen Jahren auf Staatskosten für 650 Millionen Euro zugeschüttet wurde (junge Welt berichtete). Gutachten haben nun ergeben, daß eine Ausgleichsmaßnahme in der Haseldorfer Marsch auf absehbare Zeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Ebenfalls haben Vogelzählungen ergeben, daß eine bereits durchgeführte Ausgleichsmaßnahme, bei der die Elbinsel Hahnöfersand um zwei Drittel versenkt wurde, als neues Quartier für die Löffelente erheblich schlechter geeignet ist als zunächst angenommen.
http://www.jungewelt.de/2005/11-23/015.php
Hamburgs Autonome wollen sich vernetzen. Gemeinsame Demo soll der »revolutionären Linken« Impulse geben. Ein Gespräch mit Frank Krautner*
* Frank Krautner ist aktiv im Hamburger Demo-Bündnis gegen Umstrukturierung, Ausbeutung, Repression und Vertreibung
F: Sie rufen für den 19. November zu einer Demonstration unter dem Titel »Think of a Revolution« auf. Worum geht es?
Es geht um unseren Widerstand gegen die Umstrukturierung unserer Lebensverhältnisse, bei der sich das Leben nur noch der Kapitalverwertungslogik unterordnen soll. Während in Hamburg Luxushotels, Elbphilharmonie, eine neue Messe und die Hafencity gebaut werden, werden zugleich ärmere Menschen von Bildung, Gesundheit, sozialer Teilhabe, ja selbst aus ihren eigenen Wohnquartieren ausgegrenzt. Mit dem Umbau des Wasserturms im Schanzenviertel zum Luxushotel verlieren die Bewohner in dieser Gegend nicht nur ihre Grünfläche sie werden durch anziehende Mieten und Preise auch aus ihrem eigenen Stadtteil vertrieben. Verdrängt werden außerdem Bettler, Obdachlose, Junkies und Punks, während Hilfeprojekte geschlossen werden.
Mit der Demo wehren wir uns zugleich gegen den Sozial- und Lohnabbau, wie er mit der Agenda 2010 und Hartz IV verbunden ist. Ziel unserer Demo ist gleichzeitig ein Naziladen in der Talstraße, der dort seit Monaten weitgehend unbehelligt existiert. Wir wollen unsere Widerstände miteinander verknüpfen.
F: Braucht das nicht auch eine gesellschaftspolitische Perspektive?
Ja, denn die Ursache all dieser Fehlentwicklungen liegt in der kapitalistischen Gesellschaft. Das müssen wir klar und radikal benennen. Unsere Demonstration soll ein Beitrag dazu sein, daß sich auch in Hamburg eine revolutionäre Linke neu konstituiert.
F: Was gab den Anstoß dazu, daß sich mehrere Gruppen auf diese Aktion geeinigt haben?
Der Demo-Aufruf wurde vor allem von Gruppen aus dem autonomen Spektrum unterzeichnet. Da drehte sich in letzter Zeit vieles um den Wasserturm im Schanzenviertel.
Der Widerstand gegen den Umbau des Wasserturms zu einem Luxushotel war für uns ein wichtiger Kristallisationspunkt, um wieder aktiver einzugreifen. Dabei haben wir gelernt, wie wichtig es ist, Kämpfe zu vernetzen. Auch wenn die Gruppen sehr heterogen sind, die unser Demo-Bündnis unterstützen, geht das nur mit einer gemeinsamen politischen Positionierung.
Parallel zur Demo gibt es sechs Veranstaltungen. Darin diskutieren wir einerseits Erscheinungsformen der Repression, der Armut und der Ausgrenzung angefangen bei den Studentenprotesten über den Wasserturmwiderstand bis hin zur Bewertung von Zwangsarbeit und Schikanen für Erwerbslose. Andererseits befassen wir uns aber auch mit den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen.
F: Demonstrationen des autonomen oder linksradikalen Spektrums werden in Hamburg häufig von einem dichten Polizeispalier begleitet.
Früher war das nur beängstigend. Inzwischen hat sich die Polizeipräsenz so ausgeweitet, daß die Öffentlichkeit oft gar nicht mehr mitbekommt, was das eigentliche Ziel einer solchen Demonstration ist. Genau so war es beim Protest der Studenten gegen die Studiengebühren. Auch das ist Repression, die widerständiges Denken und Handeln verhindern soll. Das werden wir nicht akzeptieren wir werden uns daher Mühe geben, den 19. November etwas aufzulockern.
* Think of a Revolution! Demo-Beginn: 19.11.2005, 14 Uhr, U-Bahn Feldstraße, Hamburg. Nähere Infos unter: www.regierung-stuerzen.de
http://www.jungewelt.de/2005/11-15/029.php
Demo der Studenten und Mitarbeiter der Uni Lübeck gegen geplante Fusion mit Hochschulen in Kiel und Flensburg
Etwa 3 000 Studenten und Mitarbeiter der Universität in Lübeck haben am Donnerstag gegen die geplante Fusion ihrer Uni mit den Hochschulen in Kiel und Flensburg demonstriert. Unmittelbar vor der Demonstration hatte Schleswig-Holsteins Wissenschaftsminister Dietrich Austermann auf einer Vollversammlung vor rund 700 Studenten noch versucht, seine Pläne zu rechtfertigen. Er behauptete, daß von der Zusammenlegung auch der Wissenschaftsstandort Lübeck profitieren würde. Doch selbst die Lübecker CDU lehnt die Pläne von Austermann entschieden ab.
Der Wissenschaftssenator erhofft sich durch eine Zusammenlegung zur Landesuniversität vor allem Einsparungen. Bis zu 41 Millionen Euro will das Land durch Synergieeffekte im Bereich der Verwaltungen einsparen. Der AStA der Uni Lübeck befürchtet dagegen, daß bei Umsetzung der Kieler Pläne die eigene Universität langsam ausblute. Heftig wird eine geplante Einschränkung universitärer Mitbestimmung kritisiert, die auch zu Qualitätsverlusten in der Lehre führen werde. Doch nicht nur die Studenten der Universitäten im nördlichsten Bundesland lehnen die Pläne der Landesregierung entschieden ab, sondern auch ihre Professoren. Richtig verärgert ist der Verband der Hochschullehrer in Schleswig-Holstein: Es zeuge von Stillosigkeit, wenn solche Pläne ohne Beteiligung akademischer Gremien entworfen werden.
Zu den Kritikern gehören auch Kommunalpolitiker und Gewerkschafter in Lübeck und Flensburg, die einen Verlust zahlreicher Arbeitsplätze befürchten, sind doch die Universitäten in Lübeck und Flensburg jeweils größter Arbeitgeber in der Region. Doch Kritik kommt auch aus Kiel, wo Florian Peters vom AStA der Kieler Uni, die Pläne der Landesregierung als »Schrumpfungsmodell« bezeichnete, das darauf ziele, landesweit Kapazitäten und Studiengänge zu kürzen. In diesem Zusammenhang kritisierte Peters erneut die Studiengebühren. Es zeige sich, was von vollmundigen Versprechungen der Politiker zu halten sei, Einnahmen aus den Studiengebühren zu 100 Prozent den Hochschulen zugute kommen zu lassen, wenn durch Fusionen der Betrag gleichzeitig wieder einkassiert werde. Auch in einer Erklärung der Landesrektorenkonferenz (LRK) werden die Pläne von Austermann kategorisch abgelehnt. LRK-Vorsitzender Heiner Dunckel befürchtet einen systematischen Qualitätsverlust für die Universitäten in Schleswig-Holstein.
Unterstützung erhielten die demonstrierenden Studenten durch den Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Lutz Heilmann, der auf der Kundgebung sagte, daß er eine große Ablehnung der Pläne in allen Schichten Schleswig-Holsteins spüre. Die Demo in Lübeck sei »ein starker Auftakt im Kampf um den Erhalt der Universitäten« gewesen, sagte Heilmann.
http://www.jungewelt.de/2005/11-12/016.php
Auftakt 12 Uhr am Spielbudenplatz
Hamburg. Schon zum vierten Mal findet am heutigen Samstag in Hamburg ein Bettlermarsch statt. So könne ein Zeichen der Solidarität gegen die Ausgrenzung armer Menschen gesetzt werden, erklärte die Obdachloseneinrichtung »Café mit Herz«, die 1 000 Teilnehmer erwartet. Kritisiert wird die Finanzierung von Prestigeprojekten, wie der Elbphilharmonie oder der Flaniermeile Jungfernstieg, während Sozialeinrichtungen schließen. Mit dabei sind die Schauspieler Ben Becker und Lilo Wanders sowie Künstler vom St.-Pauli-Theater, dem Operettenhaus und vom Tivoli. Auftakt: 12 Uhr am Spielbudenplatz. (jW)
http://www.jungewelt.de/2005/11-12/019.php
Niederlage der Hamburger Initiative »Bildung ist keine Ware« vor Verfassungsgericht
Der Volksentscheid über die Privatisierung der Hamburger Berufsschulen ist möglicherweise ausgehebelt. Die Volksinitiative »Bildung ist keine Ware« hat am Donnerstag vor dem Hamburger Verfassungsgericht eine schwere Niederlage einstecken müssen. Das Gericht hat eine zur Bürgerabstimmung stehende Frage als zu ungenau bewertet. »Wir sehen kein eindeutiges Petitum, das mit Ja oder Nein beantwortet werden kann«, sagte Gerichtspräsident Wilhelm Rapp. Ein endgültiges Urteil hat das Gericht für den 30. November angekündigt.
Zum Hintergrund: Nach einem erfolgreichen Volksbegehren, bei dem die Initiative statt geforderter 61000 sogar 121000 Unterschriften gegen die Privatisierung der 48 Hamburger Berufsschulen sammeln konnte, hatte die Bürgerschaft beschlossen die Berufsschulen nicht mehr wie ursprünglich geplant auf eine private Stiftung zu übertragen. Doch gleichzeitig beschloß das Landesparlament deren Ausgliederung in einen Landesbetrieb. Der Pferdefuß: In den die Aufsicht führenden Gremien sollen Vertreter der Handwerks- und Handelskammer einen bestimmenden Einfluß haben. »Im Kern das alte Vorhaben, nur neu verpackt«, kommentierte Sigrid Strauß, stellvertretende Vorsitzende der GEW in Hamburg. Doch der CDU-Senat hoffte, sich so um eine Volksabstimmung herumzumogeln.
Die Volksinitiative reagierte im Dezember 2004 mit einer Verfassungsklage gegen die Bürgerschaft, um den Volksentscheid doch noch zu erzwingen. Die Kläger beantragten festzustellen, daß der Beschluß der Bürgerschaft dem Anliegen des Volksbegehrens nicht entspricht.
Doch das Verfassungsgericht beschäftigte sich nicht damit, sondern nur mit dem Text des Volksbegehrens, dessen Kernforderung lautete, daß die Berufsschulen »unter unmittelbarer und uneingeschränkter staatlicher Leitung« verbleiben. So ein Satz sei nicht wertungsunabhängig, sagte Rapp. Zudem sei zu bezweifeln, daß »uneingeschränkte staatliche Verantwortung« bisher gelte. Rapp verwies auf eine Vielzahl schon bestehender Beteiligungsrechte für die Wirtschaft. Die Vertreter von Senat und Bürgerschaft hatten im Gerichtsverfahren zudem argumentiert, daß die Klage schon deshalb nicht begründet sei, weil sich das Volksbegehren nur auf die Verhinderung eines Stiftungsmodells bezogen habe.
http://www.jungewelt.de/2005/11-05/013.php
Niedersachsen: Volksbegehren für Wiedereinführung des Blindengeldes bei der Landersregierung eingereicht
Der Kampf um das Blindengeld in Niedersachsen geht in eine neue Runde. Nachdem im April die Vorbereitungen für ein Volksbegehren starteten (junge Welt berichtete), wurde dieses nun am Freitag mit 104160 Unterschriften offiziell zur Prüfung bei der niedersächsischen Landesregierung eingereicht. 25000 gültige Unterschriften hätten dafür genügt. Im unwahrscheinlichen Fall der Nichtzulassung könnten die Initiatoren auch den Staatsgerichtshof anrufen. Nach erfolgter Prüfung verbleiben den Initiatoren dann sechs Monate Zeit, um weitere 500000 Unterstützer zu gewinnen. Gelingt dies, hätte der Landtag folgende Wahl: Entweder er führt das Blindengeld wieder ein, oder es gibt den ersten Volksentscheid in Niedersachsen.
Hintergrund: Bereits Anfang des Jahres hatte die CDU-FDP-Landesregierung den Zuschuß für das Blindengeld für 90 Prozent der Betroffenen gestrichen. Bis dahin erhielten alle 12000 Blinden in Niedersachsen monatlich 409 Euro. Jetzt gibt es einen (reduzierten) Zuschuß nur noch für Blinde bis zum 27. Lebensjahr. Für alle anderen sind Zuwendungen einkommens- und vermögensabhängig. Das heißt: Blinde und schwer sehbehinderte Menschen (darunter viele ältere Menschen) müssen wie Empfänger des neuen Arbeitslosengeldes II ihre Bedürftigkeit nachweisen, damit sie finanzielle Unterstützungen erhalten. Doch zuvor müssen Ersparnisse über einer Höchstgrenze von 2600 Euro vollständig aufgebraucht sein. Pauschalisierte Zuweisungen gibt es nicht mehr. Das Blindengeld wird benötigt, um besondere Aufwendungen zu tragen, wie zum Beispiel bei Haushalts- und Einkaufshilfen, Begleitpersonen für Arztbesuche, Blindenschriftbücher oder spezielle Haushaltsgeräte.
Der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen (BVN) hatte die Initiative zum Erhalt des Blindengeldes im April gestartet. Mit einer Kampagne »Jeder bringt 10« soll die erforderliche Zahl von Unterschriften für einen Volksentscheid nun bis Mitte Mai zusammenkommen. Auf Unterstützung hofft BVN-Sprecher Harald Stegmann bei seinen Bündnispartnern wie dem Sozialverband (wo bei den Adventsfeiern gesammelt werden soll) oder in den Gewerkschaften. Aktive Mitglieder sollen jeweils zehn Unterschriften sammeln. Da unterstützende Parteien, Gewerkschaften, Sozialverbände und Kirchen 1,2 Millionen Mitglieder haben, rechnet sich auch Hans-Werner Lange, Geschäftsführer des Blindenverbandes, gute Chancen aus, das nötige Quorum von einem Zehntel der Wahlberechtigten zu erreichen.
Kritiker der Landesregierung machten bei der Streichung des Blindengeldes darauf aufmerksam, daß dies nur vordergründig Einsparungen erbringe. Mittelfristig würden Betroffene beim Sozialamt landen, wenn kleinste Ersparnisse aufgebraucht wären. Damit wären die Folgekosten erheblich. Doch unbeirrt will Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), die jetzt auch designierte Familienministerin für das Bundeskabinett ist, an der Streichung des Blindengeldes festhalten. Auch in anderen Bundesländern, wie etwa in Thüringen, soll das Blindengeld gestrichen werden. Erst kürzlich hatten deshalb in Erfurt 6000 Blinde aus dem ganzen Bundesgebiet demonstriert (junge Welt berichtete). Auch in Erfurt prüft man nun ein Volksbegehren.
Seitdem das niedersächsische Volksabstimmungsgesetz in Kraft getreten ist, gab es im Land erst sechs Volksbegehren, die aber fast alle an den hohen Zulassungskriterien scheiterten. Nur das Volksbegehren zum »Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen« war erfolgreich. Allerdings wurde dessen Anliegen dann vom Landtag übernommen, so daß ein Volksentscheid nicht stattfinden mußte. Nun droht der niedersächsischen Landesregierung neben einem Volksentscheid in Sachen Blindengeld gleich noch ein weiteres Volksbegehren. Die Initiative für Lernmittelfreiheit prüft nach Angaben ihres Sprechers Ulf Riebau dessen Vorbereitung. Außer dem Blindengeld hatte der Landtag auch die Lernmittelfreiheit abgeschafft.
http://www.jungewelt.de/2005/10-18/016.php
Sogenannte Jugendhilfeeinrichtung in Hamburg verkommt zu Kinderknast: Rechtsverstöße und Skandale en masse
In Hamburg haben sich die Auseinandersetzungen um die »Geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße« (GUF) weiter zugespitzt. Nachdem am Montag SPD-Oppositionsführer Michael Neumann (SPD) den Rücktritt von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) forderte, weil in dem Jugendheim mehrfach Jugendliche auch ohne richterlichen Beschluß untergebracht waren (Neumann sprach von »Freiheitsberaubung im Amt«), wurden nunmehr weitere Rechtsverstöße bekannt. Aus Akten geht hervor, daß Gespräche der Insassen mit ihren Rechtsanwälten sowie die ein- und ausgehende Post kontrolliert wurden. Das sind Rechtsverstöße, die selbst in Gefängnissen nicht stattfinden dürfen. Bei dem Jugendheim in der Feuerbergstraße handelt es sich aber formal um eine Jugendhilfeeinrichtung, selbst wenn diese im Volksmund als »Kinderknast« bezeichnet wird.
Wie berichtet, geht das Heim auf eine Forderung des ehemaligen Innensenators Ronald Schill zurück, der sich dann auch CDU und SPD anschlossen. »Kriminelle« Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren werden hier seit 2003 durch Beschluß eines Familiengerichts untergebracht. Solche Heime sind höchst umstritten, sie wurden bundesweit schon vor über 20 Jahren abgeschafft. Doch für die in Hamburg regierende CDU hat das Heim in der Feuerbergstraße hohe Symbolkraft, wurde der SPD/Grünen-Senat in Hamburg doch auch deshalb abgewählt, weil die Springerpresse dem damaligen Senat mangelnde Konsequenz im Kampf gegen die Jugendkriminalität vorwarf.
Obwohl die geschlossene Unterbringung als Jugendhilfeeinrichtung geführt wird, ist von einer konsistenten pädagogischen Konzeption kaum zu sprechen. In Zeugenbefragungen des Mitte des Jahres gebildeten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Hamburger Bürgerschaft, gingen Behörden, Heimleitungen und Mitarbeiter von unterschiedlichen Zielprojektionen aus. Für die Sozialbehörde steht dabei das repressive Element des reinen Wegsperrens, um »Bürger zu schützen«, im Vordergrund. Penibel machten Staatsräte bis ins Detail Vorschriften zur Führung des Hauses, um Ausbrüche und Entweichungen zu verhindern. Zur Betreuung wurden dabei auch Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Securitas eingesetzt, die für die Bewachung des Hauses zuständig waren. Immer bedrohlicher stieg so das Gewaltpotential in der Einrichtung, was sich in zahlreichen Schlägereien, aber auch Selbstverstümmelungen und Suizidversuchen der Kinder ausdrückte. In ihrer Hilflosigkeit gingen pädagogische Mitarbeiter dazu über, diese mit Psychopharmaka ruhigzustellen, ohne Ärzte oder Eltern zu konsultieren. Überdosierungen waren die Folge.
Aufgrund der katastrophalen Zustände verweigerten Familienrichter zunehmend Einweisungsanträge in das Jugendheim. Eine Unterbelegung der Einrichtung ließ die Kosten pro Insassen nun auf 900 Euro pro Tag ansteigen. Offenbar war dies ein Grund, Jugendliche auch ohne rechtskräftigen Beschluß aufzunehmen, um die Auslastung der Einrichtung zu erhöhen.
Während sich Grüne, Linkspartei und ein Aktionsbündnis von Jugendhilfemitarbeitern für die ersatzlose Schließung des Hauses einsetzen und statt dessen den Ausbau betreuter Jugendwohnungen fordern, hält die SPD an der Option einer geschlossenen Unterbringung fest. Zur Minimierung der Kosten will die SPD aber eine gemeinsame norddeutsche Einrichtung anstreben. Die CDU wies ihrerseits Rücktrittsforderungen zurück und versprach eine Überprüfung der Vorwürfe. Die wird in der Tat notwendig, denn die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung und Freiheitsberaubung im Amt aufgenommen.
http://www.jungewelt.de/2005/10-13/015.php
Kinderknast ohne Urteil: Ausschuss untersucht geschlossenes Jugendheim in Hamburg
In Hamburg haben SPD und Grüne den Rücktritt der CDU-Sozialsenatorin gefordert. Auslöser: Neueste Erkenntnisse über das geschlossene Jugendheim in der Feuerbergstraße. Mindestens 13 minderjährige Jugendliche sollen dort ohne ein Urteil eines Familiengerichts festgehalten worden sein.
Für Oppositionsführer Michael Neumann (SPD) ist die Affäre ein klarer Fall von »Freiheitsberaubung im Amt«, für den die Senatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) Verantwortung trage. Mit der Rücktrittsforderung eskaliert ein jahrelanger Streit um die »Geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße« (GUF), deren Einrichtung auf Ex-Innensenators Ronald Schill zurückgeht. Der Rechtsaußen hatte 2001 bei den Bürgerschaftswahlen vor allem mit dem Thema »Bekämpfung der Jugendkriminalität« gepunktet. Doch obwohl Schill längst ins Ausland abgewandert ist, hat die 2003 geschaffene Einrichtung überlebt. Im Volksmund »Kinderknast« genannt, werden hier 12- bis 16-Jährige eingesperrt. Weil deren Taten strafrechtlich noch nicht abzuurteilen sind, müssen Einweisungen deshalb durch Familiengerichte entschieden werden. Doch während die Kosten der Einrichtung in die Höhe schossen, wurde immer deutlicher: Das Heim funktioniert nicht. Deshalb beschloss die Bürgerschaft Mitte des Jahres die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Abgeordnete stellten nun fest, dass in dem Heim auch U-Bahn-Wachen zur Betreuung der dort untergebrachten Kinder und gefährliche Psychopharmaka zu deren Beruhigung eingesetzt wurden, ohne dass Jugendämter, Eltern oder behandelnde Ärzte konsultiert wurden. »Wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt« hat deshalb die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen eingeleitet.
Ausgerichtet für zunächst 18 bis 24 ständige Insassen, ist das Heim meist unterbelegt. Häufig weigerten sich Familienrichter Einweisungen in das mit einem vier Meter hohen Zaun ausgestattete Heim vorzunehmen, da diese nicht »kindeswohlfördernd« seien. Ehemalige Mitarbeiter sagen, das Heim lasse eine sinnvolle pädagogische Arbeit nicht zu. Die hohe Personalfluktuation ist einer der Gründe, warum Einrichtungsleiter pädagogische Aufgaben für die schwer erziehbaren, häufig suizidgefährdeten Jugendlichen, mit Wachpersonal erledigen wollten.
Penibel registrierten Mitglieder des Ausschusses 220 besondere Vorkommnisse in der Feuerbergstraße: Ausbrüche und Entweichungen, über 100 Gewalttätigkeiten und Schlägereien, aber auch 20 Selbstverletzungen. Allein 2004 gab es 11 Selbstverstümmelungen und vier Selbstmordversuche.
Das sei ein »Dampfkessel der Gewalt«, sagte die grüne Abgeordnete Christiane Blömeke, für die es kein Wunder ist, dass die Mehrzahl der Entlassenen anschließend wieder straffällig wird. Blömeke kritisierte, dass ein pädagogisches Konzept bis heute nicht vorliege, obwohl das Heim dem Steuerzahler satte 900 Euro pro Tag und Insassen koste.
Für die CDU ist das Heim vor allem ein prestigeträchtiges Symbolprojekt für einen harten Kurs gegen jugendliche Straftäter. Sozialstaatsrat Klaus Meister gab zu verstehen, dass es »Zimperlichkeiten« hier nicht geben dürfe, handele es sich doch »nicht um Opfer, sondern um Täter«.
Auf Alternativen verweist seit Jahren ein Aktionsbündnis von 47 Jugendhilfegruppen. Diese fordern wie die Grünen einen Ausbau betreuter Wohneinrichtungen. Dagegen will sich die SPD der Sichtweise, Resozialisierung funktioniere mit Repression, nicht völlig verschließen. Statt des Heimes in der Feuerbergstraße wollen die Sozialdemokraten nun, auch um Kosten einzusparen, ein geschlossenes Heim in Kooperation mit Schleswig-Holstein oder mit Mecklenburg-Vorpommern einrichten.
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=79395&IDC=2&DB=Archiv
HAMBURG. Finden demnächst Streiks und Arbeitsniederlegungen in den Kindertagesstätten statt? Am Aschermittwoch hat das Beschäftigtenbündnis der Hamburger Kitas mit einer Aktion vor der Behörde für Soziales und Familie die Befragung aller 10.000 Mitarbeiter angekündigt. Das Bündnis wendet sich gegen Mittelkürzungen von 50 Millionen Euro. Im Dezember hatten zwei größere Träger in Verhandlungen mit Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) diesen zugestimmt. Zuvor hatte die Senatorin angedroht, sonst den Etat um weitere 20 Millionen zu kürzen. Mehrfach hatten Tausende gegen die Etat- Kürzungen demonstriert. Das Bündnis will keine Kürzungen, erhöhe sich doch gleichzeitig die Anzahl betreuter Kinder um mehrere Tausend.
http://gnn-archiv.staticip.de/archiv/PB/2005/04pb.pdf // Seite 11
Widerstand gegen Konsum- und Castingwahn
Am 10. Januar 2005 zeigte ein erhöhtes Polizeiaufkommen im Hamburger Schanzenviertel für jeden deutlich an: der Umbau des Wasserturms im Schanzenpark hat begonnen. Seit vielen Monaten wehren sich die Anwohner der Schanze, dass ihr Wahrzeichen in ein Mövenpick-Hotel verwandelt werden soll. 40 Millionen Euro will die Augsburger Firma Patrizia dafür aufwenden. Diese plant ein Hotel mit 226 Zimmern, Fitnesscenter und Restaurant. Dagegen organisiert ein „Freies Netzwerk für den Erhalt des Schanzenparks“ seit Mitte letzten Jahres Aktionen und Demonstrationen, oft begleitet durch ein Großaufgebot der Polizei. 1 100 Demonstranten war es allein beim Baubeginn. Inzwischen gleicht die Baustelle einer Festung mit hohen Zäunen und Stacheldraht. Wer sich dem Areal nähert erhält Platzverweis. Doch zum 5. Februar hat die Initiative erneut zu einer Großdemonstration an der Sternschanze aufgerufen.
Die Initiative befürchtet, dass der acht Hektar große Schanzenpark in dem der Wasserturm liegt, nach dem Bau des Hotels für viele Menschen nicht mehr nutzbar ist. Hier treffen sich die Menschen aller Altersstufen und Herkunft vor allem im Sommer, werfen Frisbee-Scheiben, grillen und spielen Fußball. Das soll so bleiben, sagt das Protest-Netzwerk in einer Stellungnahme. Schon jetzt nach dem Baubeginn würden Menschen afrikanischer Herkunft verdrängt. Man unterstelle ihnen pauschal als Dealer tätig zu sein. Der Park sei der einzige verbliebene Ort im Stadtteil, der noch nicht Teil des Konsum- und Castingwahns ist, wie er in der Schanze Einzug gehalten habe.
Die Schanze ist seit Mitte der 80er Jahre Treffpunkt der links-alternativen Szene. In dem ursprünglich eher proletarisch geprägten Viertel entstanden linke Projekte und Buchläden, Kneipen und Geschäfte. Häuser, die zum Abriss vorgesehen waren, wurden besetzt. Hier liegt die „Rote Flora“, kultureller Treffpunkt der Autonomen. Zum Bild des Stadtteils gehören auch zahlreiche ausländische Bewohner, mit ihren Geschäften und Cafés. Doch längst hat ein Umstrukturierungsprozess eingesetzt. Vom Pferdemarkt kommend zeigt die Schanze ihr neues Gesicht: Häuser mit erkennbar teuren Wohnungen. Mobilfunkläden und Edel-Boutiquen, Grafik- und Werbeagenturen prägen das Bild. Überteuerte Öko-Märkte verweisen auf die Bedürfnisse grüner Wohlstandsbürger. 110 Millionen Euro hat die Stadt für Sanierungsmaßnahmen investiert. Aus dem linken Schmuddelkind ist so längst ein angesagter Stadtteil geworden. Dagegen gibt es seit langem Widerstand, der sich jetzt bei der Auseinandersetzung um den Wasserturm kumuliert. Man wolle, sagt das Bündnis, den Protest auch als solchen gegen die Privatisierung öffentlicher Räume verstanden wissen. Zudem sei das Hotelprojekt Teil der Konzeption der „wachsenden Stadt“, mit der die regierende CDU ihre kommunalpolitischen Ziele umschreibt. Diese Konzeption setze auf Verdrängungsprozesse in verschiedenen Stadtteilen.
http://www.dkp-online.de/uz/3706/s1202.htm
18. Januar 2005
Initiative will in Hamburg per Bürgerbegehren die Verfassung ändern
Mit einer Volksinitiative »Hamburg stärkt den Volksentscheid« geht das Ringen um die Zukunft der Volksgesetzgebung in die nächste Runde.
Ein Bündnis aus Initiativen, Vereinen, Gewerkschaften und Parteien will die Hamburger Landesverfassung ändern, um die Bindungswirkung von Volksentscheiden für die Bürgerschaft zu erhöhen. Schon im Dezember wurde die Volksinitiative zur »Rettung des Volksentscheids« eingereicht. Sie richtet sich gegen ein Gesetz, mit dem der CDU-Senat die Hürden für Volksentscheide erhöhen möchte. Die Initiativen verfolgen unterschiedliche Zwecke, aber dasselbe Ziel, begründet Angelika Gardiner vom Landesvorstand des Vereins »Mehr Demokratie« die komplizierte Situation.
Nun müssen je 10000 Unterschriften gesammelt werden, damit Volksbegehren stattfinden können, bei denen je 60000 Wahlbürger zustimmen müssen. Erst dann können Volksentscheide stattfinden. Dabei müssen der Verfassungsänderung Zwei-Drittel der Abstimmenden und mindestens 50 Prozent aller Wahlbürger zustimmen.
Immer wieder konnten Volksbegehren und -entscheidungen Vorhaben des Senats in Zweifel ziehen. Im Februar 2004 waren 77 Prozent der Wähler gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser. Zuvor konnte eine Wahlrechtsreform durchgesetzt werden, die den Bürgereinfluss erhöht. Volksbegehren gegen die Privatisierung der Berufsschulen und der Wasserwerke im September gab der Senat nach, um nicht erneut Volksentscheide zu verlieren.
Jetzt will die CDU Volksabstimmungs- und Wahltermine entkoppeln. Unterschriften für Volksbegehren sollen nur noch in Ämtern, nicht bei Sammlungen geleistet werden dürfen. So aber würde das Zustimmungsmindestquorum von 20 Prozent aller Wahlberechtigten (50 Prozent bei Verfassungsänderungen) häufig nicht mehr erreicht werden, befürchtet Gardiner. Viele Initiativen würden scheitern. Das will die im Dezember eingereichte Volksinitiative verhindern.
Mit der zweiten Initiative antwortet das Bündnis auf ein Urteil des Hamburger Verfassungsgerichts, das der Bürgerschaft zwischenzeitlich zusprach, Volksentscheide jederzeit wieder aufheben zu können. Verfassungsgerichtspräsident Wilhelm Rapp begründete: Volksentscheide haben keine höhere Verbindlichkeit als Parlamentsbeschlüsse.
Das macht Volksentscheide, die einen langen Vorlauf benötigen, unsinnig, sagte Hamburgs IG-Metall-Chef Frank Teichmüller. Auch er will die Verfassungsänderung, damit Aufhebungsentscheidungen des Parlaments erneut dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden. »Das Volk soll das letzte Wort erhalten«, sagte der grüne Abgeordnete Farid Müller und SPD-Chef Mathias Petersen ergänzt: Volksentscheidungen sind zu respektieren.
Das Bündnis muss sich zu den erschwerten Bedingungen durchsetzen, die die CDU mit absoluter Parlamentsmehrheit beschließen wird. Nur mit einer großen Volksmobilisierung könnte die Verfassungsänderung erreicht werden. Gegenüber ND verwies Angelika Gardiner deshalb auf die Breite des Bündnisses: Gewerkschaften, SPD, Grüne, Mieterbund, Naturschutzverbände, Stadtteilinitiativen und die Patriotische Gesellschaft gehören dazu. Selbst von der FDP und der Handwerkskammer erwartet die 63-jährige Journalistin Unterstützung.
Gardiner kommt ursprünglich aus Bayern, wo es seit 1946 Volksentscheidungen gibt. Als sie nach Hamburg kam, wäre sie erschüttert gewesen, wie gering die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger in der als weltoffen, demokratisch und liberal bezeichneten Stadt waren. Bei der Gründung von »Mehr Demokratie e.V.« war Gardiner 1997 deshalb sofort dabei. Jetzt hat sie das breiteste Bündnis geschaffen, das es in der Hansestadt je gab. Ist es erfolgreich, wäre das für die CDU ein Super-GAU.
Verwendung: Neues Deutschland
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14. Januar 2005
Die Gewerkschaftslinke muss die Internationalisierung der Gewerkschaften vorantreiben
Dr. Werner Sauerborn (55) ist Gewerkschaftssekretär beim ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg. Als Autor zu Fragen gewerkschaftlicher Politik ist er am Wochenende zum Ratschlag der Gewerkschaftslinken in Stuttgart eingeladen. Andreas Grünwald sprach für ND mit ihm.
ND: Am Wochenende trifft sich die Gewerkschaftslinke. Welche Bilanz ziehen Sie für 2004?
Sauerborn: Das Jahr fing kämpferisch an. Es gab wichtige Höhepunkte: die Massendemos am 3. April, die Streiks bei Opel Bochum und DaimlerChrysler Mettingen. Das Ende des Jahres war dagegen eher deprimierend. Wir müssen überlegen, wie wir Kämpfe besser koordinieren und im Einzelfall besseren Widerstand leisten können. Im Kern hat die Defensivsituation der Gewerkschaften aber strukturelle Gründe. Wir schwanken ständig zwischen Widerstand, Proklamation und Einknicken. Hingegen ist die neoliberale Gegenfront sehr geschlossen und verfügt mit der weltweiten Lohnkostenkonkurrenz und dem Steuersenkungswettbewerb über ein neues Erpressungspotenzial, auf das wir noch keine Antwort gefunden haben.
Auf dem Perspektivenkongress in Berlin wurde das Bündnis mit den sozialen Bewegungen proklamiert. Ist das ein Ausweg?
Das ist sehr wichtig. Wirksame Gegenstrategien erfordern eine Vernetzung aller, die von dieser Politik betroffen sind. Aber auch im Bündnis kommt es darauf an, dass die Gewerkschaften in der Lage sind, ihr eigentliches Potenzial einzubringen: Gegenmacht durch Arbeitskämpfe auszuüben. Bündnisse sind wichtig, aber sie lösen nicht unsere Probleme. Unsere Schwäche hat mit globaler Erpressbarkeit zu tun. Um unsere Krise zu lösen, müssen wir sie zuerst deutlicher registrieren: Das ist kein Schnupfen, das ist eine lebensbedrohliche Erkrankung! Die ökonomische Globalisierung schränkt die Widerstandsfähigkeit der Gewerkschaften dramatisch ein. Weltweiter Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten können wir nur begegnen, wenn sich die Gewerkschaften längerfristig zu Global Unions entwickeln. Beim Opel-Konflikt wurde das deutlich. Dem Standort-Erpressungsversuch hätte die Gewerkschaft eine komplementäre Branchensolidarisierung entgegensetzen müssen. Da stehen sich polnische, schwedische, belgische und deutsche Standorte gegenüber. Nur mit einer grenzüberschreitenden Gegenwehr wäre die Auseinandersetzung zu gewinnen gewesen.
Ist das mit den deutschen Gewerkschaften überhaupt zu machen?
Als Gewerkschaften haben wir zwanzig Jahre Globalisierung verschlafen. Entweder haben wir diese geleugnet, als großen Bluff der Arbeitgeber abgetan, oder mit Unterwerfung reagiert. Zu den Global Unions gibt es langfristig keine Alternative. Nur wenn wir uns auf diesen Weg machen, die ersten Schritte bestimmen, werden wir das Blatt wieder wenden. Ein gutes Beispiel ist die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF). Hier zeigt sich: die Zukunft hat längst begonnen. Die ITF/Maritime Sektion ist ja im Grunde eine globale Seeleutegewerkschaft. Die nationale Tarifpolitik für Seeleute (ötv/ ver.di) war längst anachronistisch geworden. Die ITF hat einen Welttarifvertrag für Seeleute ausgehandelt. Das ist eine aufstrebende Gewerkschaft, mit Mitgliederzuwächsen und zunehmender Handlungsfähigkeit. Das wird aber kaum diskutiert und wahrgenommen.
Was sehen Sie als Aufgaben der Gewerkschaftslinken?
Die Krise der Gewerkschaften ist auch die der Gewerkschaftslinken. Aber die Gewerkschaftslinke ist geradezu dazu berufen, Antworten auf Globalisierungsdruck und Standorterpressung einzufordern und zu entwickeln. Die Gewerkschaften sind das wichtigste, was Arbeitnehmer haben. An ihrer Handlungsfähigkeit hängt die soziale Lage nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Rentner. Als Arbeitnehmer sind wir nicht Kunden der Gewerkschaft, es sind unsere Organisationen und deshalb müssen wir sie uns wieder so herstellen, wie wir sie brauchen.
»(…) Die Apparate sind nicht für sich selbst da. Strategische Antworten müssen gesucht und gefunden werden, auch und gerade durch die Gewerkschaftslinke. Man muss das ja auch noch differenzieren. Im Grunde muss man sagen, dass auch in den Apparaten eigentlich die linken Positionen in den letzten Jahren ganz deutlich an Einfluss gewonnen haben. Viele Linke sind da auch in Schlüsselfunktionen, die aber auch ziemlich ratlos mit dem umgehen, was gerade passiert. Diese Konstellation: Wir sind die Basis und die da oben in den Institutionen sind die rechten Bürokraten, die jede Mobilisierung abwürgen, stimmt so nicht (…)«
Verwendung: Neues Deutschland
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Parlament ist an Willen des Volkes nicht gebunden
Volksgesetzgebung in Hamburg per Gericht de facto eliminiert
Das Hamburger Verfassungsgericht hat die Beschwerde der Gewerkschaften gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser zurückgewiesen. Nebenbei wurde die gesamte Volksgesetzgebung in Frage gestellt.
77 Prozent der Hamburger Wahlbürger sprachen sich am 29. Februar gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) aus. »Der Senat wird aufgefordert, sicherzustellen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg Mehrheitseigentümer des Landesbetriebs Krankenhäuser bleibt«, so der Abstimmungstext anlässlich der Bürgerschaftswahlen. Die Gewerkschaften hatten dann eine Klage beim Verfassungsgericht eingereicht, um Bürgermeister Ole von Beust (CDU) daran zu hindern, den LBK trotz Volksentscheid an den privaten Klinikbetreiber Asklepios zu verkaufen.
Beust hatte argumentiert, dass der Volksentscheid rechtlich nicht bindend sei, da lediglich ein Ersuchen formuliert worden sei. Das ist nun gerichtlich bestätigt. Auch für Wilhelm Rapp, Präsident des Hamburger Verfassungsgerichts, steht fest, dass eine rechtliche Bindung von Bürgerschaft und Senat nicht gegeben sei, wie er am Mittwoch bei der Urteilsverkündung betonte.
So kann die Bürgerschaft nun den Verkauf des LBK zum 1.Januar 2005 beschließen. Tarifabsenkungen, Kündigungen und der Abbau sozialer Standards für die Mitarbeiter sind damit verbunden. Noch schlimmer: Zukünftig kann das Parlament auch jeden anderen Volksentscheid sofort wieder aufheben. In seiner Urteilsbegründung betonte Rapp die Gleichrangigkeit von Volksgesetzgebung und parlamentarischer Gesetzgebung. Deshalb könne die Bürgerschaft jederzeit ein Gesetz mit anderem Inhalt beschließen. Einem Volksentscheid käme keine höhere Verbindlichkeit als einem Bürgerschaftsbeschluss zu. Das Parlament müsse nur gründlich abwägen, dürfe sich aus Gründen der Organtreue nicht leichtfertig über einen Volksentscheid hinwegsetzen. Eine gründliche Abwägung habe es im Fall des LBK aber durch eine Vielzahl von Erörterungen und Abstimmungen in der Bürgerschaft und in den Ausschüssen gegeben.
Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) freute sich sichtlich: Der Beschluss des Gerichts setze klare Spielregeln. Röder hat Grund zur Freude, denn immer wieder gelang es Hamburgs Gewerkschaften, Privatisierungsvorhaben des CDU-Senats mit Volksbegehren und Volksentscheiden zu hinterfragen. Entnervt wollte die CDU zuletzt das Volksgesetzgebungsverfahren schon korrigieren und den Volksinitiativen höhere Hürden setzen. Eine »Volksinitiative zur Rettung des Volksentscheids« kündigte Widerstand an (ND berichtete).
Das Verfassungsgericht hat diesen Streit nun faktisch entschieden. Jürgen Kühling, Anwalt der Gewerkschaften und selbst ehemaliger Verfassungsrichter betonte nach dem Urteilsspruch, dass Volksentscheide keinen Sinn machen, wenn diese vom Parlament sofort wieder außer Kraft gesetzt werden können. Die Niederlage der Hamburger Gewerkschaften ist fundamental. Denn auch die bisherigen Volksentscheide etwa gegen die Privatisierung der Berufsschulen und der Wasserwerke könnten nun ignoriert werden.
Schon im August hatte Rapp zu erkennen gegeben, dass die Klage der Gewerkschaften in Sachen LBK nur geringe Erfolgsaussichten hat. Gerald Kemski, Sprecher der AG Gewerkschaftspolitik der örtlichen PDS, forderte deshalb, Entscheidungen nicht nur auf juristischem Weg zu suchen, sondern auch den politischen Druck durch Aktionen der Beschäftigten zu verstärken. Kemski konnte sich seinerzeit nicht durchsetzen. Jetzt sind Hamburgs Gewerkschaften zur Strategieüberprüfung gezwungen.
Verwendung (unter Pseudonym): http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=64654&IDC=2&DB=Archiv
Verlagerung von Hamburg nach Toulouse angedroht
Im Streit um die geplante Erweiterung des Airbus-Standorts Hamburg-Finkenwerder setzen Konzern und Lokalpolitik auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Gegner des Vorhabens weiter unter Druck.
Das neue Auslieferungszentrum für den Super-Jet A 380 kommt zum Sitz der Airbus-Konzernzentrale nach Toulouse. Zumindest für ein Jahr wird der französische Standort den ab 2006 eigentlich für Hamburg vorgesehenen Anteil von Auslieferungen mit übernehmen. Damit entfallen für die Hansestadt auch der Innenausbau und die Lackierung der neuen Flugzeuge. Eine Rückverlagerung nach Hamburg sei möglich aber nur wenn die Stadt endlich Planungssicherheit für die geforderte Verlängerung der Start- und Landepiste im dortigen Airbuswerk Finkenwerder herstelle, so Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken am Donnerstag. Gegen eine endgültige Absage an Hamburg hatte sich in den letzten Tagen auch die Bundesregierung in Person von Wirtschaftsstaatssekretär Dietmar Staffelt eingesetzt.
Airbus gehört zu zwei Dritteln dem Luft- und Raumfahrtriesen EADS, zu der sich einst die deutsche DASA und der französischen Rüstungskonzern Aerospatiale Matra zusammenschlossen hatten. Der in hohem Maße auf öffentliche Subventionen angewiesen Konzern wird von einer deutsch-französischen Führungsspitze gelenkt. Puttfarcken betonte, dass die nationale Balance nicht geändert werden solle. Doch faktisch ist nun eine Gewichtsverlagerung zu Gunsten von Toulouse gegeben. Schon wird in Hamburg darüber spekuliert, dass die Airbus-Spitze eine solche Standortentscheidung schon länger vorbereitet habe.
Dennoch begrüßte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) die Übereinkunft mit Airbus und kündigte nunmehr die Enteignung von Grundstücksbesitzern an, die sich nach wie vor weigern, ihre Immobilien für die Verlängerung der Start- und Landebahn zu veräußern, die Airbus zur Bedingung gesetzt hat, das Auslieferungszentrum in Hamburg zu errichten.
Ausgelöst wurde die gemeinsame Pressekonferenz durch eine Mitteilung des Kirchenvorstands der evangelischen Sankt-Pankratius-Gemeinde, »fortan keine außergerichtlichen Gespräche« über den Verkauf ihres Grundstücks mehr zu führen. Dieses wird für die Erweiterung der Landepiste allerdings benötigt. Zudem verhandelt die Kirchengemeinde auch für mehrere Obstbauern, die sich ebenfalls weigern, ihre Immobilien zu veräußern. Dabei hatte der Kirchenvorstand die Gespräche mit der Stadt abgebrochen, da keinerlei Konzessionen in Sicht waren, ließ sich aber auf Druck der Kirchenleitung auf weitere Gespräche mit Airbus ein. Diese wurden jetzt mit einstimmigem Beschluss wieder abgesagt.
Die Kirchengemeinde begründet ihre Haltung damit, dass sich Airbus weigert, Arbeitsplatzgarantien zu übernehmen, sollte die Landebahnerweiterung tatsächlich erfolgen. Für zusätzlichen Unmut sorgt, dass auch die vom Bürgermeister ausgesprochene Bestandsgarantie für das angrenzende Dorf Neuenfelde zeitlich befristet ist.
Landesbischöfin Maria Jepsen zeigte sich jetzt nach der Erklärung des Kirchenvorstandes verärgert und forderte die Respektierung öffentlicher Interessen. Die Bischöfin drohte damit, den widerständigen Gemeindevorstand abzusetzen. Doch laut der Kirchenverfassung der evangelisch-lutherischen Glaubensgemeinschaft ist eine solche Absetzung nur zulässig, wenn eine beharrliche Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann. Dies wäre aber angesichts eines Gerichtsurteils von Anfang August, das die Bauarbeiten für die Landebahnerweiterung stoppte und deren Gemeinnützigkeit verneinte, kaum begründbar. In dem Gerichtsverfahren konnte Airbus nicht nachweisen, dass eine Landebahnerweiterung für den A 380 nötig ist und zu mehr Arbeitsplätzen führen würde.
Bürgermeister von Beust will für die nun angekündigten Enteignungen den Planfeststellungsbeschluss nachbessern. Er betont, seit der Standortentscheidung von Airbus für Hamburg seien zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden, 1900 Stellen allein bei Luftfahrtzulieferern. Auch habe der Konzern angekündigte Investitionen getätigt.
Experten indes sagen, dass der Arbeitsplatzgewinn vor allem mit der Auftragsflut bei kleineren Modellreihen der Typen A318 bis A321 zu tun habe. Damit bleibt auch ein weiteres Enteignungsverfahren ungewiss.
Verwendung (unter Pseudonym): http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=63519&IDC=3&DB=Archiv