12. April 2007

Kundgebung vor Hamburger Beschäftigungsgesellschaft thematisiert gesetzwidrigen Umgang bei der Zuweisung von Ein-Euro-Jobs

Unter dem Motto »Weg mit Hartz IV – Schluß mit der schikanösen Behandlung der Erwerbslosen« rufen Hamburger Erwerbsloseninitiativen für den heutigen Donnerstag zu einer Kundgebung vor der Zentrale der »Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft« (HAB) auf. Anlaß ist eine neue Regelung der Wirtschaftsbehörde, wonach nicht mehr die Fallmanager der ARGE, sondern die HAB selbst für die Zuweisung der Erwerbslosen auf Ein-Euro-Jobs zuständig sein soll. Dadurch werde das Sozialgesetzbuch eklatant verletzt, kritisieren die Initiativen. Die Zuweisung solcher »Jobs« sei laut Gesetz an »Eingliederungsvereinbarungen« zwischen der ARGE und dem Erwerbslosen gebunden.

Doch Hamburg hat das neue Verfahren eingeführt, um weitere Kosten bei der Verwaltung der Erwerbslosen zu sparen. Da aber die HAB selbst ein Beschäftigungsträger ist und davon lebt, möglichst viele solcher Jobs selbst zu erhalten, befürchten nun die Erwerbsloseninitiativen, daß es mit dem neuen Verfahren auch eine weitere Verschärfung im Umgang mit den Erwerbslosen gibt. Diese müßten dann jeden »Drecksjob« annehmen, bilanziert das Sozialforum im Stadtteil Eimsbüttel, das die Aktion initiiert hatte. Befürchtet wird außerdem, daß nun die Kriterien der Qualifizierung und der sogenannten »Zusätzlichkeit« überhaupt nicht mehr beachtet werden.

Kritik an dem Verfahren kommt aber auch von den Beschäftigungsträgern selbst. Sie fürchten, daß ein Mitkonkurrent die Verteilung so steuert, daß sie selbst dabei benachteiligt werden. Die Erwerbslosenaktion beginnt um 11.00 Uhr vor der Zentrale der HAB (Am Strohhaus 2).

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5. April 2007

Hamburger Jugendliche verteidigen afghanische Mitschüler gegen angekündigte Ausweisung

»Was wir allein nicht schaffen, schaffen wir zusammen«. Unter diesem Motto feierten am Dienstag nachmittag gleich mehrere hundert Schüler mitten auf dem Hamburger Rathausmarkt einen ersten Teilerfolg in ihrem Kampf gegen die drohende Abschiebung afghanischer Mitschüler. Grund zum Feiern gab es jedenfalls reichlich, denn 35 afghanische Familien, mitsamt ihren schulpflichtigen Kindern, wollte Innensenator Udo Nagel (parteilos) zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon abgeschoben haben. Still und möglichst leise. Doch dann zogen Tausende Schüler der Erich-Kästner- und der Rudolf-Roß-Gesamtschule sowie aus Stellingen und Wilhelmsburg immer wieder auf Straße. Sie sammelten Unterschriften für den Verbleib ihrer Mitschüler, zogen mit Lichterketten vor das Rathaus und an die Alster. Daraufhin hob Nagel die Abschiebeverfügungen »für mindestens ein Jahr« wieder auf – wegen der Sicherheitslage in Afghanistan, die sich »aktuell« besonders zuspitze, hieß es offiziell.

Afghanische Flüchtlinge ohne schulpflichtige Kinder will Nagel allerdings weiterhin abschieben, wogegen GEW-Landeschef Klaus Bullan am Dienstag in seiner Rede protestierte: Wenn die Sicherheitslage tatsächlich so bedrohlich sei, müsse der Abschiebestopp selbstverständlich für alle gelten.

Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose gratulierte den Schülern zu ihrem Erfolg. Wenn das Auswärtige Amt die Lage in Afghanistan als »unverändert lebensgefährlich« einstufe, Nagel aber weiter dorthin abschieben wolle, sei das eine »perfide Situation«. Trotz schlechten Wetters war die Stimmung dann so angeheizt, daß sich gleich nach dem Livekonzert afghanischer Gruppen und Schülerbands zwischen Alster und Rathaus erneut eine Menschenkette gegen Abschiebungen bildete.

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02. April 2007

Herbert_Thomsen
Bremen fordert Erwerbslose zur Mietminderung auf. Mietobergrenzen haben mit Realität nichts zu tun. Ein Gespräch mit Herbert Thomsen

Herbert Thomsen ist Sozialberater bei der Solidarischen Hilfe in Bremen

Seit Wochen protestieren Erwerbslose bei den Sitzungen des Sozialausschusses in der Bremer Bürgerschaft. Worum geht es?

Die für die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Bezieher zuständige ARGE hat rund 6500 Erwerbslose angeschrieben und sie zu einer Senkung ihrer Mietkosten aufgefordert. Am besten durch Umzug in eine billigere Wohnung. Während sich die Zahl solcher Anschreiben in diesem Frühjahr noch verdoppeln soll, gibt es in Bremen pro Jahr maximal 1 000 freie Wohnungen, die den Angemessenheitskriterien der Behörde entsprechen. Wem es aber nicht gelingt, eine billigere Wohnung zu finden, der muß Senkungen bei den Mietkostenzuschüssen hinnehmen. Die Differenz muß aus den Regelleistungen für die Grundsicherung aufgebracht werden. Das heißt für viele, daß sie dann ihren Lebensunterhalt von 200 bis 250 Euro im Monat bestreiten müssen.

Wie kommt es, daß die Mietobergrenzen so gering bemessen sind?

Nach dem Wohngeldgesetz richten sich die Mietobergrenzen nach dem Zeitpunkt, in dem eine Wohnung gebaut oder modernisiert wurde. Doch in Bremen wird die Mietstufe 3, die sich auf Neubauten ab 1992 bezieht, einfach nicht anerkannt. Für einen allein- stehenden Erwerbslosen liegt deshalb die Mietobergrenze für eine zulässige Bruttokaltmiete nicht bei 325, sondern bei 265 Euro im Monat. Für einen solchen Preis gibt es in Bremen kaum Wohnungen. Da die Stadt jeden Euro in die Haushaltssanierung stecken möchte, soll diese Praxis auch nicht geändert werden. Wie aber sollen dann die betroffenen 10000 bis 12000 Menschen eine Wohnung finden, die den Mietobergrenzen entspricht?

Sie haben die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt selbst untersucht. Wie waren Ihre Ergebnisse?

Unsere Untersuchung bezog sich auf alle Mietangebote, die im Monat Januar zur Verfügung standen. Insgesamt waren das 950 Wohnungen. Doch von diesen entsprachen nur etwa 100 den zulässigen Mietobergrenzen. Und zu 70 Prozent lagen sie in den Stadtteilen, in denen es schon jetzt eine Arbeitslosenquote von etwa 20 Prozent gibt. Würde man die Vorgaben der ARGE also rigide anwenden, dann müßten noch mehr Erwerbslose in solche Armutsquartiere ziehen. Die Bildung solcher Ghettos vor allem am Standrand würde noch zunehmen.

Sind nur Alleinstehende betroffen?

Die im besonderen Maße. Denn die Neubauten des sozialen Wohnungsbaus wurden früher meist auf Familiengröße zugeschnitten. Inzwischen haben sich die Lebensgewohnheiten vieler Menschen geändert. Deshalb gibt es einen besonderen Mangel für kleinere, bezahlbare Wohnungen. Betroffen sind aber auch die größeren Haushalte, denn auch bei ihnen entsprechen die Mietobergrenzen nicht der tatsächlichen Situation auf dem Wohnungsmarkt.

Was fordern Sie?

Wir fordern eine Besitzstandswahrung für alle, die schon jetzt mit Arbeitslosengeld II leben müssen. Das sind ja größtenteils Menschen, die früher Arbeitslosenhilfe bekommen haben. Deren Ersatz durch das Arbeitslosengeld-II war eine politische und keine sachliche Entscheidung. Sie darf aber nicht dazu führen, daß die Menschen auch noch ihre letzte Lebensgrundlage verlieren. Und wir fordern zudem, daß nun endlich auch in Bremen die Mietstufe 3 anerkannt wird.

Wie reagieren die Abgeordneten auf diese Forderungen, und wie verliefen Ihre Aktionen?

In der großen Koalition aus CDU und SPD wird meist gemauert. Vielfach ist man dort der Meinung, daß nur die Einhaltung der bisherigen Mietobergrenzen, die Wohnungsgesellschaften dazu zwingt, günstigeren Wohnraum anzubieten. Da ist sicherlich was dran. Doch das Perfide dieser Strategie besteht darin, daß die Erwerbslosen in diesem Konflikt mit den Wohnungsanbietern als Kanonenfutter benutzt werden. Sie werden im Mühlstein dieser unterschiedlichen Interessen zerrieben.

Dreimal hintereinander waren wir mit mehr als 100 Leuten bei Sozialausschußsitzungen. Das hat die Sozialsenatorin so sehr genervt, daß sie die Sitzung beim letzten Mal einfach abbrach, nachdem wir uns weigerten zu gehen. Mit unseren Aktionen werden wir aber nicht nachlassen. Am 13. Mai wird eine neue Bürgerschaft gewählt. Gemeinsam mit den Erwerbslosengruppen der IG Metall und von ver.di, aber auch mit den Montagsdemonstranten haben wir beschlossen, die Wahlkampfveranstaltungen von SPD und CDU zu besuchen.

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30. März 2007

Bürgermeister von Beust will Verfassungsänderung »mit Macht« verhindern

Die Debatte um die Volksgesetzgebung hat am Mittwochabend in der Hamburger Bürgerschaft zu einem heftigen Schlagabtausch geführt. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) kündigte zwar an, die restriktiveren Bestimmungen zur Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden zu streichen. Die ebenfalls geforderte Verfassungsänderung, mit der Volksentscheide verbindlicher werden sollen, will der Regierungschef jedoch »mit Macht« verhindern. Aus diesem Grund solle eine Volksabstimmung zu dieser Frage bereits im November – und damit nicht zeitgleich mit der Bürgerschaftswahl am 24. Februar 2008 – stattfinden. Der Senat erhofft sich von dieser Terminierung, daß die für eine Verfassungsänderung notwendige Mindestbeteiligung von 50 Prozent der Wahlberechtigten nicht zustande kommt.

Rund 100000 Hamburger hatten die beiden Volksbegehren »Rettet den Volksentscheid« und »Hamburg stärkt den Volksentscheid« zuvor unterstützt (jW berichtete). Nötig gewesen wären hierfür lediglich 62000 Unterschriften. Dabei fand deren Sammlung unter erschwerten Bedingungen statt, da die Menschen zum Beispiel nicht einfach auf der Straße unterzeichnen konnten. Das soll künftig möglich sein – soviel hat der Bürgermeister nun zugestanden. »Bei diesem ersten Volksbegehren sehen wir die große Unterstützung der Bürger mit Respekt und akzeptieren deren Wunsch«, sagte von Beust. Doch die Verfassungsänderung lehne seine Partei ab, da sie »das Prinzip der repräsentativen Demokratie auf den Kopf« stelle.

Das Vorgehen von Beusts sei nichts als »Sabotage« und »Manipulation« am in den Volksbegehren dokumentierten Bürgerwillen, konterte die Fraktionschefin der Grünen, Christa Goetsch. Von »ehrabschneidenden« Formulierungen sprach daraufhin CDU-Fraktionschef Bernd Reinert. Um »jemanden etwas abzuschneiden, müßte es derjenige erst einmal besitzen«, brachte SPD-Fraktionschef Michael Neumann das Faß für die Konservativen schließlich zum Überlaufen. Sie brachen die Debatte ab und forderten die Einberufung des Ältestenrates. Die Volksinitiativen gaben derweil bekannt, daß sie eine Wiederholung des zweiten Volksbegehrens erwägen. Das hätte neue Fristen zur Folge, die Senat und Bürgerschaft dazu zwingen würden, die Volksabstimmung zur Verfassungsänderung an den Wahltermin zu koppeln.

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1 Kommentar

23. März 2007

Der nachfolgende Beitrag ist ein Gastbeitrag von Wolfgang Joithe

Glos lässt Katze aus dem Sack: Zwangsarbeit für Hartz-IV-Geschädigte

Laut einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23.03.07 will der Wirtschaftsminister 1,4 Millionen Stellen für Geringverdiener schaffen. Das „erarbeitete Konzept“ sieht eine „Arbeitspflicht für alle Hilfsbedürftigen“ vor. Die „Ökonomen des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) glauben, dass die Pläne von Glos ein wahres Job-Wunder auslösen können“.

Ob die „entwickelte Reform“ aus der Feder des Herrn Glos und seiner Mitarbeiter stammt, sei einmal dahingestellt. Wie wir wissen, erbeitet die Wirtschaftslobby den Regierenden gern zu – was bei der fehlenden Fachkompetenz nur allzu bereit „angenommen“ wird.

Dass hier eine Journalistin der „Süddeutschen Zeitung“ (Nina Bovensiepen) dieses Konzept ohne jede kritische Bemerkung in einen Artikel gießt, zeigt den Zustand der journalistischen Arbeit in Deutschland – und den Zustand unserer „BILDungsgesellschaft“.

Einen Blick in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hätte Frau Bovensiepen doch wohl werfen können:

Artikel 12 GG:

„Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“

„Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen Dienstpflicht.“

„Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“

Zumindest hier hätte man einige kritische Anmerkungen erwarten dürfen. Das ein Bundesminister das Grundgesetz auf Grund setzen will, wäre doch die eine oder andere Zeile wert gewesen – oder ist unsere Verfassung das Papier nicht mehr wert, auf dem es gedruckt ist?

Noch besser kommt es mit dem „unabhängigen“ IZA-Institut. Haben die kein Archiv mehr bei der „Süddeutschen Zeitung“?

Im Februar 2006 schlug der IZA-Direktor für Arbeitsmarktpolitik, Dr. Hilmar Schneider, vor, die Arbeitskraft von Hartz-IV-Geschädigten zu „versteigern“, der „Sklavenmarkt“ ließ grüßen.

Direktor des Instituts ist Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann, der der „Initiative für (A)Soziale Marktwirtschaft“ nahe steht und auch Präsident des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist . Zimmermann ist vehementer Verfechter der Arbeitsmark“reformen“ und trimmt das ehemals gut beleumdete DIW auf den neoliberalen Kurs.

Last but not least: Präsident des IZA ist Klaus Zumwinkel, der Vorstandsvorsitzende der „Deutsche Post World Net“, die sich das IZA „hält“.

Bei der IZA handelt es sich also nicht um ein unabhängiges Institut, sondern um ein Instrument jener, die den Raubtierkapitalismus weiter (bis zum Endsieg?) vorantreiben wollen, der verharmlosend auch „Neoliberalismus“ (besser: Neofeudalismus) genannt wird.

Eine Nachfrage sei gestattet: Wieso nur 1,4 Millionen Stellen? Nach den offiziellen Zahlen müssten doch mindestens 4 Millionen Zwangsarbeit-Jobs geschaffen werden! Da man sich bei diesen Herren, denen das Grundgesetz einfach schnuppe ist, reichlich aus dem Fundus unserer jüngsten, unrühmlichen Geschichte bedient (Reichsarbeitsdienst, der unter den Nazis zum Zwangsdienst wurde), lässt diese Lücke nur einen Schluss zu: die restlichen 2,6 Millionen werden– um im Jargon der „Schmarotzer, Parasiten, Zwangsarbeit“-Hetzer zu bleiben – der „Endlösung“ zugeführt. Ganz im Sinne unseres Bundesministers Müntefering: „Nur wer arbeitet, soll essen“. Und wie sagte der Präsident des HWWI (Hamburger Welt-Wirtschafts-Institut), Prof. Dr. Thomas Straubhaar (Botschafter der „Initiative (A)Soziale Marktwirtschaft“), kürzlich: „Zuckerbrot und Peitsche“.

Glos, Clement, Zimmermann, Zumwinkel, Schneider, Straubhaar: nur die Mode hat sich geändert. Man trägt heute dezentes Grau bis Schwarz – und ist kräftig dabei, das Grundgesetz auf Grund zu setzen.

Der Autor dieses Beitrages Wolfgang Joithe ist aktiv in der Erwerbslosengruppe PeNG! Näheres siehe: hier

Der besprochene Artikel in der Süddeutschen Zeitung ist unter folgendem Link zu finden: Süddeutsche Zeitung

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16. März 2007

Hamburger Senat will Abstimmung über Plebiszite nicht zeitgleich mit Bürgerschaftswahl abhalten

Rund 100000 Hamburger haben mit ihrer Unterschrift die Volksbegehren »Rettet den Volksentscheid« und »Hamburg stärkt den Volksentscheid« unterstützt. Dies gab Landesabstimmungsleiter Willi Beiß am Dienstagnachmittag bekannt. 60 747 Unterschriften wären nötig gewesen.

Die Hamburger Bürgerschaft hat nun drei Monate Zeit, um die Volksbegehren anzunehmen. Tut sie dies nicht, kommt es zum Volksentscheid, der laut Gesetz mindestens drei Monate vor der nächsten Bürgerschaftswahl stattfinden muß. Kann ein solcher Abstand nicht eingehalten werden, ist eine Zusammenlegung mit dem Wahltermin, dem 24. Februar 2008, vorgeschrieben. Wäre die Feststellung erst am Donnerstag erfolgt, hätte der Senat eine solche Zusammenlegung nicht mehr verhindern können. Die regierende CDU erhofft sich von einer Trennung der Termine eine niedrige Beteiligung an der Volksabstimmung, die einer Mindestbeteiligung von 50 Prozent bedarf, um verbindlich zu sein.

Ein früher Termin zur offiziellen Feststellung über das Zustandekommen des Volksbegehrens lag also im Interesse des Senats. Um dies zu erreichen ließ das Wahlamt die Unterschriften sogar am Wochenende auszählen und entlohnte die beteiligten Beamten mit einer Zusatzprämie von 50 Cent pro ausgezählter und überprüfter Unterschrift. Zuvor hatten die Initiativen erst mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht durchsetzen können, daß auch die verspätet ausgesandten Briefwahlunterlagen bei der Auszählung berücksichtigt wurden.

Initiativensprecher Manfred Brandt spricht nun von »Tricksereien«. Wenn 100 000 Bürger unter erschwerten Bedingungen – Unterschriften können in Hamburg nicht gesammelt, sondern nur in den Amtstuben oder per Briefwahl abgegeben werden – eine stärkere Volksgesetzgebung fordern, so sei dies auch für den Senat ein Signal. Sollte dieser die Volksabstimmung tatsächlich noch vor der Wahl stattfinden lassen, sei ein erneuter Gang vor das Verfassungsgericht nicht ausgeschlossen, drohte Brandt.

Verwendung: Junge Welt
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9. März 2007

Bremer Mahnwache für den Frieden feierte gestern 25. Geburtstag. Ein Gespräch mit Ingeborg Kramer

Ingeborg Kramer ist 73 Jahre alt und gehört zu den Mitinitiatorinnen der seit 25 Jahren in Bremen bestehenden Mahnwache für den Frieden

Gemeinsam mit anderen Frauen organisieren Sie nun seit 25 Jahren die Bremer Mahnwache für den Frieden. Wie ist es dazu gekommen?

Unsere Mahnwache, die jeden Donnerstag vor dem Rathaus auf dem Marktplatz stattfindet, ist ursprünglich im Zusammenhang mit der Anti­atombewegung entstanden. So wollten wir unsere Kinder unterstützen, die seinerzeit in Brokdorf und Gorleben demonstrierten. Doch schnell wurde uns dabei klar, daß es einen Zusammenhang zwischen dieser Frage und der Frage der Atombewaffnung gibt. Unsere Aktion wurde deshalb zu einer Mahnwache für den Frieden.

Wer beteiligt sich an der Aktion?

Meist sind wir zehn bis 15 Frauen, wovon die meisten inzwischen auch etwas älter sind. Angefangen hat alles mit einem Kontakt zur Evangelischen Frauenhilfe, heute beteiligen sich Frauen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Schichten. Es sind Christinnen, aber auch Kommunistinnen, die ja schon sehr lange für Frieden und Abrüstung eintreten. Gemeinsam ziehen wir jeden Donnerstag vor das Rathaus. Es gab auch Zeiten, wo unsere Mahnwache täglich stattfand. So war es zum Beispiel während des gesamten Krieges gegen Jugoslawien. Häufig verbinden wir die Mahnwache dann auch mit Unterschriftensammlungen oder der Verteilung von Materialien. Das ist unser Beitrag zur Aufklärung der Menschen.

Wie reagieren die Bremer?

Am Anfang war es manchmal sehr schwierig. Vor allem, wenn ehemalige Kriegsteilnehmer uns regelrecht beschimpften. Da schlug uns sehr viel Distanz und Ablehnung entgegen. Vor allem dann, wenn wir der antisowjetischen Hetze entgegen- und für Versöhnung auftraten. Doch heute überwiegt eher die Zustimmung, und die Leute sagen, das ist gut, daß ihr das macht.

Trotzdem gibt es Kriege mit deutscher Beteiligung, und die Kriegsgefahr wächst weiter. Ist das nicht manchmal frustrierend?

Natürlich. Doch durch die Solidarität in unserer Gruppe und auch die unserer Familien konnten wir uns gegenseitig immer wieder aufrichten.

Was steht heute, am 25. Geburtstag, im Vordergrund Ihrer Aktionen?

Der Widerstand gegen den Einsatz der »Tornados« in Afghanistan, der ja auch Deutschland immer stärker in diesen Krieg mit einbezieht. Wir hinterfragen auch die Funktion unseres Landes als eine große Drehscheibe für den US-Nachschub von Soldaten und Waffen. Ebenfalls wollen wir wissen, warum sich die politischen Führer der Industriestaaten beim G-8-Gipfel eigentlich hinter Mauern verstecken müssen.

Am heutigen Freitag will der Bundestag die deutsche Unterstützung bei der NATO-Frühjahrsoffensive in Afghanistan beschließen. Nur so sei der Wiederaufbau des Landes zu sichern. Was sagen Sie dazu?

Mit immer mehr Soldaten kann doch der Frieden nicht gesichert werden. Im Gegenteil: Dadurch wird es immer schlimmer. Wir sagen den Menschen, daß sie dabei nicht mitmachen dürfen. Meinungsumfragen haben ja bereits ergeben, daß rund 75 Prozent aller Deutschen gegen diesen Einsatz der »Tornados« sind.

So ähnlich ist es auch mit dem Iran, wo die Situation ja unter anderem deshalb immer weiter eskaliert, weil die Politik der USA, aber auch die der Europäischen ­Union und der Bundesregierung, diesem Land kaum noch einen Ausweg läßt. Auch wenn ich selber Kernenergie ablehne, hat das Land natürlich das Recht, diese Kernenergie friedlich zu nutzen.

In Hamburg hat die »Friedens­initiative Wilhelmsburg« der gesamten Friedensbewegung vorgeschlagen, alle Kräfte auf die Forderung nach einem »Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und dem Nahen und Mittleren Osten« zu konzentrieren.

Ich habe die Diskussion mit großem Interesse verfolgt und ich bin sehr dafür, diesem Aufruf zu folgen. Der Einsatz von deutschen Soldaten ist ein offener Bruch des Grundgesetzes, den die meisten Menschen ablehnen. Eine solche Kampagne müßte dann ähnlich laufen wie zum Beispiel in den achtziger Jahren der Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluß durch den Krefelder Appell.

Verwendung: Junge Welt
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8. März 2007

Appell an Friedensbewegung, Auslandseinsätze im Nahen und Mittleren Osten in den Mittelpunkt zu stellen. Ein Gespräch mit Inge Humburg

[dieses Interview führte jW-Redakteurin Wera Richter]

Inge Humburg ist Mitglied der »Friedensinitiative Wilhelmsburg« in Hamburg

Die Hamburger »Friedensinitiative Wilhelmsburg« hat die Friedensbewegung in einem offenen Brief aufgefordert, sich stärker auf bestimmte Fragen zu konzentrieren. Was haben Sie konkret vorgeschlagen?

Wir meinen, daß die Forderung »Abzug der Bundeswehr aus Afgha­nistan und dem Nahen und Mittleren Osten« in den Mittelpunkt der Aktivitäten gerückt werden muß. Alle Anzeichen sprechen für eine Zuspitzung der Lage in der Region: US-Luftschläge gegen den Iran werden propagandistisch und militä-ri­sch vorbereitet, in Irak und Afghanistan sollen die Truppenstärken erhöht werden. Taliban und NATO haben große Frühjahrsoffensiven angekündigt. Die Kriegsereignisse von Georgien bis Somalia, vom Hindukusch bis Palästina stehen in engem Zusammenhang. Es geht um Öl, Gas und Vorherr­schaft. In diese Kriege werden wir durch die Politik der Bundesregierung immer stärker hineingezogen.

Dann soll sich die Kampagne vor allem gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung richten?

Ein Erfolg der Friedensbewegung in diesem Land wäre angesichts der derzeitigen Probleme der US-Regierung ein wichtiger Beitrag gegen die Aus­weitung der Kriege. Deshalb hebt unser Aufruf, den wir als Basis für die Kampagne und für eine Unterschriftensammlung vorschlagen, das Handeln gegen die Politik der jeweils eigenen Regierung hervor. In den USA, in Italien und Großbritannien gibt es sehr erfolgreiche Kampagnen und Massenproteste für den Truppenrückzug. Wir sollten in der BRD unseren Teil beitragen und uns an die Seite der Friedenskräfte in aller Welt stellen.

Was schlagen Sie außer einer Unterschriftensammlung vor?

Wir wollen diese Fragen auf den Ostermärschen und in Vorbereitung des G-8-Gipfels und in Heiligendamm selbst zuspitzen. Die Menschen müssen überall mit den For­derungen nach Truppenrückzug konfrontiert werden. Die Unterschriftensammlung gibt uns die Möglichkeit, mit ihnen in die Diskussion zu kommen. In unserem Stadtteil, einem Arbeiterviertel mit hohem Migrantenanteil, haben wir gute Erfahrungen gemacht. Insbesondere türkische Kollegen haben oft eine klare Haltung gegen den Krieg. Und wir wollen das Parlament zur Tribüne machen. Die Linkspartei.PDS leistet im Bundestag gute Arbeit. Mit einer Kampagne der Friedensbewegung würde diese auch auf der Straße stärker wahrgenommen werden.

Um die Bundesregierung unter Druck zu setzen braucht es etwas mehr, oder?

Sicher, aber wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur im Kopf gegen den Krieg ist oder es in Umfragen formuliert, sondern sich auch politisch formiert und mit Unterschriftensammlungen, Aktionen und Demonstrationen aktiv wird, sieht das schon anders aus. Erst recht, wenn man berücksichtigt, daß es bei den Kriegskräften im Land widersprüchliche Interessen gibt. Wir können uns nicht damit begnü­gen, die Politik zu kommentieren. Wir müssen, den Anspruch haben, unsere Forderungen durch­zusetzen.

Halten Sie die Forderung nach Rückzug der Bundeswehr momentan wirklich für durchsetzbar?

Ich meine, daß wir mit unserem Aufruf die Köpfe und Herzen von Millionen errei­chen können. Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist gegen die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo. Sie fürchten eine Ausweitung der Kriege und die möglichen Folgen. Das Thema wird uns wegen der Zuspitzung der Lage, wegen der deutschen EU-Präsidentschaft und des G-8-Gipfels ständig begleiten.

Hat »die Friedensbewegung« auf Ihren Vorschlag reagiert? Sie läßt sich ja nicht gern sagen, was sie zu tun hat, weil die lokalen Gruppen selbst über ihre Schwerpunkte entschei­den sollen.

Die Friedensbewegung ist vielfältig durch die unterschiedlichen weltanschaulichen Zugänge zur Friedensfrage und eine bunte Vielfalt von Aktionsformen. Das ist eine ihrer Stärken und soll es auch bleiben. Aber was spricht dagegen, gemeinsam die Lage einzuschätzen und dann die Kräfte zu bündeln? Unser Vorschlag für eine Kampagne ist ein Angebot zur Diskussion. Aufruf und Forderungen sind offen für Verbesserungen. Wir haben eine Homepage eingerichtet, wo wir die Debatte führen wollen. Wir wollen aber auch zu einem Ergebnis und zur gemeinsamen praktischen Arbeit kommen. Die Ereignisse drängen.

Der Offene Brief an die Friedensbewegung und der Vorschlag für die Kampagne finden sich unter: www.truppenabzug-jetzt.de

Quelle: Junge Welt
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3. März 2007

Streit um Landebahnverlängerung bei Airbus erhält neue Nahrung

Während die Politik über die Airbus-Pläne für den Standort Hamburg erleichtert ist, kündigt der Betriebsrat Proteste an.

Derzeit vergeht kaum ein Tag ohne neue Überraschungen bei Airbus. Am Mittwoch wurde das umstrittene Sparprogramm »Power 8« verkündet, bei dem Hamburg laut Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) mit einem »blauen Auge« davon kam. Doch nun führen Meldungen über einen Baustopp für die geplante Frachterversion des Großraumjets A 380 zu Besorgnis.

Dieser A 380F war in der Hansestadt der Bewilligungsgrund für die umstrittene Verlängerung der Start- und Landebahn am Airbus-Werk in Finkenwerder. Ohne eine solche Verlängerung hätte die Konzernspitze in Toulouse aber auch niemals das Auslieferungszentrum für die Passagiervariante des Megajets genehmigt. Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken ist deshalb um Schadensbegrenzung bemüht. Er spricht von einem nur »vorübergehenden Baustopp«, weil bisherige Terminpläne nicht eingehalten worden seien.

Das sieht A 380-Programmchef Mario Heinen offenbar völlig anders. Er sagte gegenüber der »Financial Times Deutschland«, dass es eine Marktperspektive für den Frachter nicht gebe. Großkunden wie die Leasinggesellschaft International Lease Finance sowie Paketversender Fedex und UPS hatten Bestellungen zuvor storniert.

Für die Klägergemeinschaft um die streitbare Obstbäuerin Gabi Quast, die sich jahrelang mit anderen Anrainern gegen die Landebahnverlängerung gewehrt hatte, schafft der Baustopp neue Perspektiven. Gegenüber ND verwies sie darauf, dass das Hauptverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch nicht einmal eröffnet worden sei. Bisherige Grundstücksenteignungen und den Baubeginn habe es nur im Wege von Eilverfahren vor dem Landgericht gegeben. Quast fordert jetzt einen sofortigen Rückbau der Baumaßnahmen.

Doch ob das realistisch ist, bleibt abzuwarten. EADS-Konzernchef Louis Gallois hat mit »Power 8« ja nun auch grünes Licht für das neue Hamburger Auslieferungszentrum für den A 380 gegeben. Ein monatelang geführter Streit um die Aufgabenverteilung zwischen den beiden Airbus-Hauptstandorten Hamburg und Toulouse ist damit beendet. Die Landebahnverlängerung forderte die Konzernzentrale auch mit Blick auf künftige noch größere Varianten des Passagierflugzeugs.

Bei Kurz- und Mittelstreckenjets soll Hamburg künftig sogar noch mehr zu tun haben als bisher. Während das Werk bisher nur am Bau für den A 318, den A 319 und den A 321 beteiligt war, kommen nun noch kleinere Kontingente beim A 320 dazu. Und die nächste Generation des erfolgreichen Mittelstreckenflugzeugs, die ab Mitte nächsten Jahrzehnts auf den Markt kommen soll, wird sogar fast vollständig an der Elbe gebaut werden. Entwicklungsverantwortung verbleibt aber auch für den Rumpf und die Kabine des Langstreckenflugzeugs A 350, was für die Hamburger Flugzeugindustrie eine besonders gute Nachricht ist: So bleibt der Standort auch von der neuen Technologie CFK (kohlefaserverstärkter Kunststoff) nicht abgeschnitten, was insbesondere die Politik zuvor befürchtete.

Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sieht die Hansestadt deshalb durch »Power8« auch eher gestärkt. »Fair und angemessen« sei der Standort behandelt worden, hieß es. Doch so viel Euphorie will bei den Beschäftigten und ihrem Betriebsratschef Horst Niehus bisher nicht aufkommen. Niehus weiß, dass auch sein Werk Tribut zahlen muss, wenn Airbus seine Ankündigung wirklich wahrmacht, bis zu 3700 Stellen allein in Deutschland abzubauen. In einigen Medien ist sogar schon von bis zu 1000 Arbeitsplätzen die Rede, die an der Elbe trotz höherer Aufträge verloren gehen könnten.

Das aber will Niehus nicht hinnehmen. Nicht wegen der Personalkosten, sondern wegen Managementfehlern sei Airbus in die Krise geraten. Hunderte seiner Kollegen mobilisierte Niehus deshalb schon am Donnerstag zu ersten Protestaktionen. Und beim europaweiten Aktionstag Mitte März gegen »Power 8« soll Hamburg ein Zentrum der Proteste sein.

Verwendung: Neues Deutschland
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3. März 2007

In Hamburg sieht es nach einem Erfolg der beiden Begehren zur Stärkung der Volksgesetzgebung aus

Die Unterschriftensammlung für die beiden Volksbegehren in Hamburg hat offenbar ihr erstes Ziel erreicht: Staatsrat Christoph Althaus berichtete am Donnerstag abend in der Bürgerschaft, beide Befragungen hätten das nötige Quorum von 60747 Unterschriften erreicht. Noch am Tag zuvor hatte es nach einem knappen Einlauf ausgesehen: Es fehlten 7000 Unterschriften.

Trotz des wahrscheinlichen Erfolges der Begehren ruft die Initiative »Mehr Demokratie« weiter dazu auf, noch bis Montag abend Unterstützerunterschriften bei den Eintragungsstellen der Behörden abzugeben. Es gelte jetzt, mit einem sehr deutlichen Votum ein politisches Signal zu setzen.

In den Volksbegehren haben die Hansestädter zur Zeit die Möglichkeit, ein Signal gegen von der CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft schon im letzten Jahr beschlossene Einschränkungen demokratischer Mitspracherechte zu setzen. Die Bürgerabstimmung »Rettet den Volksentscheid« fordert, daß Unterschriftensammlungen für Bürgerbegehren auch auf der Straße wieder möglich werden. Derzeit ist eine Teilnahme an einem Plebiszit mit einem Weg zu den Behörden verbunden. »Hamburg stärkt den Volksentscheid« setzt sich für verbindliche Volksentscheide ein, denen Senat und Bürgerschaft verpflichtet werden sollen. Hinter den Kampagnen stehen das Bündnis »Rettet den Volksentscheid« und die Initiative Mehr Demokratie e. V.

Daß es beide Volksbegehren offenbar geschafft haben, ist umso beachtlicher, da sie bereits Einschränkungen unterlagen. Schwierigkeiten bei der Mobilisierung hatte den Initiatoren anfänglich auch bereitet, daß sich die laufenden Abstimmungen nicht auf konkrete Betroffene oder Sachfragen beziehen, sondern auf grundsätzliche Fragen. »Mehr-Demokratie«-Sprecherin Angelika Gardiner wertete das vorfristig erreichte Ergebnis denn auch als überraschend und »tollen Erfolg«.

Mit diesem Erfolg im Rücken will die Initiative jetzt Druck machen. Nachdem der Senat mehrfach Bürgerabstimmungen einfach ignoriert hatte, könnten nun die Instrumente Volksbegehren und Volksentscheide stärkeres Gewicht in der Politik gewinnen. Senat und Bürgerschaft haben nun drei Monate Zeit, ihre bisherige Linie einer Korrektur zu unterziehen. Sollten sie die Behinderungen von Bürgerbegehren aufrechterhalten, kommt es dann zum Volksentscheid.

Verwendung: Junge Welt
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Zu diesem Artikel ist in der Tageszeitung Junge Welt auch ein Kommentar von Rainer Balcerowiak erschienen. Hier der Wortlaut:

Plebiszit als Ventil
Hamburger wollen mehr Rechte

Mit den erfolgreichen Volksbegehren zur Stärkung der direkten Demokratie in Hamburg haben die Freunde plebiszitärer Gesetzgebung einen beachtlichen Teilerfolg erzielt. Die unerträgliche Arroganz, mit der Senat und Parlamentsmehrheit der Hansestadt in den letzten Jahren den in Volksentscheiden dokumentierten Bürgerwillen zu ignorieren pflegten, fällt der Landesregierung jetzt offensichtlich auf die Füße. Wer – wie in Hamburg vor gut zwei Jahren geschehen – das Votum von über 77 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Privatisierung der landeseigenen Krankenhäuser unter Verweise auf den nicht bindenden Charakter von Volksentscheiden vom Tisch wischt, braucht sich nicht wundern, wenn der Souverän »seinen« Vertretern zunehmend mißtraut und wichtige Entscheidungen selbst fällen will.

Doch man sollte die Hamburger Abstimmung auch nicht überbewerten. Volksentscheide auf Landesebene haben – anders als auf kommunaler Ebene – bisher lediglich eine Ventilfunktion. Wenn der Bürgerwille den Regierenden nicht in den Kram paßt, muß er nicht umgesetzt werden. In den meisten Bundesländern steht für diese Abwimmelung eine Allzweckwaffe zur Verfügung. Ein Bürgerbegehren, das in irgendeiner Form in den Haushalt eines Landes eingreift – und welche politische Entscheidung tut das nicht – kann entweder von vornherein oder im nachhinein für unzulässig erklärt werden. Diese Erfahrung machten nicht nur die Hamburger Privatisierungsgegner. In Berlin wurde auf diesem Wege ein Volksentscheid zur Auflösung der Bankgesellschaft Berlin verworfen.

Es ist wohl eine Illusion, zu erwarten, daß sich das System der von Kapitallobbyisten dominierten parlamentarischen Demokratie mittels Volksentscheiden aushebeln lassen wird. Und daher können Unterschriftensammlungen für Gesetzesinitiativen direkte Aktionen der Betroffenen bestenfalls begleiten, doch keinesfalls ersetzen. Das zeigt auch das Beispiel Hamburg: Mit einer entsprechenden Mobilisierung bis hin zum Streik wäre der Kampf gegen die Krankenhausprivatisierung wohl wesentlich erfolgreicher zu führen gewesen, als durch die Verbreitung von Illusionen über einen Volksentscheid.

Völlig schief liegen etliche Vertreter der Plebiszit-Bewegung auch, wenn sie eine quasi unbeschränkte Ausdehnung rechtsverbindlicher Volksentscheide auch auf die Bundesebene verlangen. Angesichts einer von Massenmedien und ihren Hintermännern dominierten »öffentlichen Meinung« sollte man diese Verabsolutierung »demokratischer Mehrheitsentscheidungen« ganz schnell von der Agenda streichen. Todesstrafe für Sexualtäter, Begnadigungs- und Entlassungsverbot für die politischen Gefangenen der RAF oder die Verschärfung der Ausländergesetze könnten bei entsprechender propagandistischer Vorbereitung ganz schnell zu traurigen Meilensteinen »direkter Demokratie« werden.

Quelle: Junge Welt



2. März 2007

[Der nachfolgende Artikel war leider schon vor seiner Veröffentlichung wieder inaktuell, denn kurz danach meldete „Mehr Demokratie“, dass die erforderliche Anzahl an Unterstützerunterschriften schon erreicht ist. Die Info ergab sich aus einer Debatte in der Bürgerschaft. Eine entsprechende Mitteilung von Mehr Demokratie e.V. wird deshalb unten im Anschluss an den Artikel dokumentiert]

Bis Montag 18.00 Uhr müssen nur noch 7247 Unterschriften gesammelt werden

Die beiden Hamburger Volksbegehren zur Rettung und Stärkung des Volksentscheids befinden sich offenbar in der Zielgeraden. Wie Landesabstimmungsleiter Christian Kower am Donnerstag bekannt gab, liegen nun jeweils rund 53500 gültige Unterstützerunterschriften vor. Es fehlten nur noch 7247 Stimmen, damit die Volksbegehren erfolgreich sind.

Noch am Ende der ersten Abstimmungswoche hatte es danach ausgesehen, daß die Begehren scheitern könnten. Schwierigkeiten waren aufgetreten, weil sich die Behörden zunächst weigerten, die täglichen Eintragungszeiten von 10.00 bis 16.00 Uhr auszuweiten. Außerdem waren rund 15000 Briefwahlanträge einfach verschwunden. Derart starke Behinderungen habe es bei Volksbegehren und Volksentscheiden noch nie gegeben, sagte Manfred Brandt, Sprecher der Initiativen, die die Bürgerbefragung auf den Weg gebracht hatte.

Ziel der Begehren ist es, daß für derartige Bürgerbefragungen Unterschriftensammlungen auf der Straße wieder möglich werden. Außerdem wollen die Initiatoren durchsetzen, daß die Ergebnisse von Volksbegehren und Volksabstimmungen für den Senat verbindlich sind. Dieser hatte zuvor gleich zwei Volksabstimmungen einfach ignoriert. Sollten bis Montag 18.00 Uhr die erforderlichen 60747 Unterschriften vorliegen, muß der Senat das Anliegen der Volksbegehren in die Bürgerschaft einbringen. Andernfalls muß er eine allgemeine Volksabstimmung ansetzen.

Verwendung: Junge Welt
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Aktuelle Erklärung von Mehr Demokratie e.V.

Volksbegehren geschafft – Jetzt gilt es ein politisches Signal zu setzen.

Begeisterung und Stolz auf die gemeinsame Leistung herrschte heute, Donnerstag, beim Bündnis „Rettet den Volksentscheid“, nachdem Staatsrat Ahlhaus in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft mitgeteilt hatte, dass die beiden Volksbegehren die Mindestzahl von 60.747 Stimmen erreicht hatten. Für die Bürgeraktion heißt dies aber noch keinen Abbruch der beiden Volksbegehren. Mehr-Demokratie-Sprecherin Angelika Gardiner: „Wir bitten die Bürgerinnen und Bürger jetzt erst recht, sich noch auf den Ämtern und per Brief einzutragen, damit deutlich wird, wie groß die Unterstützung in der Bevölkerung ist. Es geht schließlich auch um ein deutliches Signal an den Senat, dass die Menschen in Hamburg nicht damit einverstanden sind, wie ihre Mitspracherechte in den letzten Jahren gekappt wurden.“

Gefeiert wird am Ende der Eintragungsfrist, Montag, 05. März 2007 ab 18:00 Uhr im Frosta-Bistro in der Innenstadt. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen. Adresse: Große Johannisstraße 11



24. Februar 2007

Gipfeltreffen Anfang Juni in Heiligendamm wird weiträumiger abgeriegelt als bislang angenommen. Polizei steckt »erweiterten Maßnahmenraum« ab

Während des G-8-Gipfels Anfang Juni im Ostseebad Heilgendamm will die Polizei eine erweiterte Sicherheitszone einrichten, die über den durch einen derzeit im Bau befindlichen Sperrzaun abgetrennten Bereich weit hinausgehen soll. Das gab der Chef der mit der Absicherung des Gipfels befaßten polizeilichen Sondereinheit »Kavala«, Knut Abramowski, am Donnerstag bei einem Treffen mit Aktivisten der G-8-Gegner bekannt. Eigentlich hatte es bei dem Treffen zwischen Vertretern der »G-8-Protest-CampAG« und der Polizei um die Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten für Globalisierungskritiker während des Gipfels gehen sollen.

Nach Vorstellungen der »Kavala« sollen Proteste in einem um fünf bis zehn Kilometer »erweiterten Maßnahmenraum« um den Zaun herum während des Gipfels »unmöglich« sein, teilte die »CampAG« in einer am Donnerstag verbreiteten Erklärung mit. Ende Januar hatte die Landesregierung der Sondereinheit für die Zeit vom 25. Mai bis 15. Juni auch die Funktion einer Versammlungsbehörde für die Hansestadt Rostock und die Landkreise Bad Doberan und Güstrow übertragen. Der »Maßnahmenraum« umfaßt neben Heiligendamm die Gemeinden Kühlungsborn und Bad Doberan und reicht im Osten bis an die Rostocker Stadtgrenze. Als »unproblematisch« sieht die Polizei den Angaben zufolge lediglich Aktionen und Camps westlich von Reddelich, Steffenshagen, Wittenbeck, Kühlungsborn, südlich von Bad Doberan sowie in Rostock selbst an.

Das »mit heißer Nadel gestrickte Sicherheitskonzept der Polizei« widerspreche »den zu erwartenden Realitäten des Protestes«, heißt es in der Reaktion der G-8-Gegner. Man sei sich sicher, daß wenigstens die Gemeinde Bad Doberan aus der Sicherheitszone herausgenommen werden müsse.

»Immer neue gesperrte Bereichen werden nicht dazu beitragen, daß weniger Menschen zum Protest nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, sondern nur dazu, daß er sich unorganisiert äußert und sich seine Plätze selbst sucht«, wird Monty Schädel, Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft und Koordinator im Rostocker Bündnis zur Vorbereitung der G-8-Proteste, in der Erklärung zitiert.

Die G-8-Protestvorbereitung benötigt nach eigenen Angaben für die Zeit vom 1. bis zum 8. Juni 2007 Unterbringungsmöglichkeiten für rund 15000 Teilnehmer. Außerdem sollen in den Camps Gesprächs- und Kulturveranstaltungen stattfinden, bei denen sich die Protestteilnehmenden, aber auch Einwohner der Region und Gäste, über die Folgen der Globalisierung verständigen und Alternativen diskutieren können.

Weil »Kavala« die Schotten dicht macht, fürchtet die Hamburger Polizei, daß sich ein Teil der Aktionen an die Elbe verlagern könnte. Im Gegensatz zu ihren schleswig-holsteinischen Kollegen, die im Juni 1000 Beamte nach Heiligendamm schicken wollen, verweigern sich die Hamburger, wie Polizeisprecher Ralf Meyer dieser Tage bekanntmachte. Begründet wird dies mit dem Asien-Europa-Treffen, zu dem sich Ende Mai bis Anfang Juni rund 1400 politische Spitzenbeamte und mehrere Dutzend Außenminister aus ganz Europa und Asien in der Elbmetropole einfinden werden. Laut Meyer fürchtet die Polizeiführung, daß dieses Treffen für die »linken Kräfte« zu einer »Generalprobe« für Aktionen gegen den G-8-Gipfel werden könnte. Denkbar sei aber auch, daß sich G-8-Gegner, kämen sie in Heiligendamm und Umgebung nicht durch, während des G-8-Treffens auf Hamburg umorientieren könnten, so der Polizeisprecher. Aus diesem Grunde habe der Stadtstaat nun selbst polizeiliche Unterstützung bei anderen Bundesländern beantragt. Insgesamt werden Anfang Juni in Heiligendamm rund 16000 Polizeibeamte der Länder sowie 2000 Bundespolizisten erwartet.

[Der Artikel ist ein gemeinsames Produkt von Joern Boewe und Andreas Grünwald]

Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-24/025.php



23. Februar 2007

Ein Gespenst ging heute um in Hamburg. Das Gespenst einer Rente mit 67. Gewerkschaftsmitglieder zogen aus es zu vertreiben. Vom Gewerkschaftshaus bis zum Rathaus, wo die nachfolgenden Bilder entstanden. Unter dem Motto mit „Angies Geisterbahn in die Sackgasse oder mit dem Gewerkschaftsexpress in die Zukunft“ begleiteten die mehreren Hundert Demonstranten eine Lokomotive und fünf Waggons“, die um die Mittagszeit am Rathaus einliefen. Die gewerkschaftliche Kritik richtet sich neben der Rente mit 67 auch gegen die kürzlich beschlossene Gesundheitsreform und gegen Dumpinglöhne.

Die nachfolgenden Bilder können von linken politischen Gruppen und Parteien, sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen ohne Honorar verwendet werden. Für Zeitungen oder Onlinemedien gelten die üblichen (im Zweifel die abgesprochenen) Bedingungen. Ich bitte auch hier um Aufnahme eines vollständigen Bildnachweises und in allen Fällen um Zusendung eines Belegexemplares.

Sie können die nachfolgenden Bilder bei mir bestellen.

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Verwendung dieses Fotos in: Lokalberichte Hamburg, 01.03.07, Seite 11

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Verwendung dieses Fotos in: Lokalberichte Hamburg, 01.03.07, Seite 11

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23. Februar 2007

Nur schleppende Beteiligung an Unterschriftensammlung

Zwei Hamburger Volksbegehren zur Rettung und zur Stärkung des Volksentscheids drohen ins Leere zu laufen. In der ersten Woche der Unterschriftensammlung hätten nur 18000 Bürger das Anliegen unterstützt, teilten die Initiatoren am Donnerstag mit. Von fast 50000 Bürgern, die Briefwahlunterlagen abgefordert hatten, hätten bislang nicht einmal 3000 ihren Bogen zurückgesandt.

Um den beiden parallel laufenden Volksbegehren doch noch zum Durchbruch zu verhelfen, müßten in den nächsten zwei Wochen mindestens 45000 weitere Hamburger unterschreiben. Tatsächlich sind es eher mehr, denn am Ende solcher Bürgerbefragungen werden erfahrungsgemäß nicht alle Unterstützer von den Wahlbehörden anerkannt.

Initiatorensprecherin Angelika Gardiner vom Verein »Mehr Demokratie« reagierte in einer Erklärung leicht bestürzt auf die Zwischenbilanz, verwies zugleich aber auf eine »positive Stimmung in der Stadt«. Die aktuellen Schwierigkeiten gingen auch auf Behinderungen durch die Stadtverwaltung zurück. Unterstützerunterschriften dürften nicht mehr auf der Straße gesammelt werden, außerdem seien Berufstätige praktisch ausgeschlossen, da die Eintragungsstellen nur von 10 bis 16 Uhr geöffnet seien. Ex-IG-Metall-Bezirksleiter und Bündnissprecher Frank Teichmüller verwies auf Fehler im Begleittext der Briefwahlunterlage. Möglicherweise werde die Initiative wegen Behinderung des Volksbegehrens vor Gericht gehen.

Ziel des einen Volksbegehrens ist es u. a., daß Unterschriften wieder auf der Straße gesammelt werden dürfen. Das zweite soll durchsetzen, daß die Ergebnisse derartiger Bürgerbefragungen für den Senat verbindlich sind. Der hatte zwei frühere Volksbegehren ignoriert.

Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-23/050.php



13. Februar 2007

Hamburg: Mit Volksbegehren sollen Hürden für direkte Mitbestimmung gesenkt werden. Unterstützung von Oppositionsparteien und Gewerkschaften

In Hamburg beginnt am heutigen Dienstag die dreiwöchige Eintragungsfrist für die Volksbegehren »Rettet den Volksentscheid« und »Hamburg stärkt den Volksentscheid«. Etwa 63000 Hamburger müssen in dieser Zeit ihre Unterstützung für die Plebiszite auf einem Amt anzeigen, damit Volksbegehren und Volksentscheide in ihrer bisherigen Form auch weiterhin in Hamburg möglich bleiben. Gleichzeitig soll erreicht werden, daß Volksentscheide künftig auch einen maßgeblichen Einfluß auf die Gesetzgebung in der Bürgerschaft haben.

Dies durchzusetzen wird kein Spaziergang, denn der CDU-Senat macht es den Initiatoren von »Mehr Demokratie« denkbar schwer. Während bislang Unterschriften für ein Volksbegehren auch auf der Straße gesammelt werden konnten, müssen nun die Unterstützereintragungen während der offiziellen Öffnungszeiten von 10 bis 16 Uhr auf einem Orts- oder Einwohnermeldeamt erfolgen. »Mehr Demokratie« sammelt deshalb nun schon seit Tagen Anträge für eine Briefwahl, die es den Bürgern ermöglichen sollen, ihr Votum auch außerhalb der Öffnungszeiten abzugeben.

In der Sache geht es um viel, denn mit dem Volksbegehren »Rettet den Volksentscheid« wollen die Initiatoren eine Verfassungsänderung durchsetzen, die dann in einem Volksentscheid von einer Zweidrittelmehrheit aller Hamburger Wahlbürger bestätigt werden müßte. Der Bürgerschaft soll so die Möglichkeit genommen werden, die Ergebnisse von Volksentscheiden im Parlament zu übergehen. Genau dies war in der Vergangenheit, beispielsweise nach dem Volksentscheid gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser, mehrfach passiert. Auch ein mit großer Mehrheit befürwortetes neues Wahlrecht, das die Rechte der Bürger stärken sollte, hatte die CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft gekippt.

Wegen der Hürden für die schon laufenden Volksbegehren ist es ungewiß, ob die nötige Anzahl an Unterschriften zusammenkommt. »Nie waren die Bedingungen schlechter«, sagt Gregor Hackmack von »Mehr Demokratie«. Andererseits wird die Initiative von einem breiten Bündnis unterstützt. Beiden Volksbegehren haben sich nicht nur alle Oppositionsparteien, sondern auch die Gewerkschaften und etliche Vereine angeschlossen. Mit dem Volksbegehren »Stärkt den Volksentscheid« sollen die Bedingungen für Volksbegehren und Volksentscheide gelockert werden. Hätte es Erfolg, könnten die Bürger beispielsweise die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen künftig mit Unterschriftensammlungen verhindern.

Um noch mehr Hamburger auf die Möglichkeit einer Briefwahl aufmerksam zu machen, hat der Verein »Mehr Demokratie« dieser Tage begonnen, Antragsformulare an alle Hamburger Haushalte zu verschicken. Der Senat hatte sich geweigert, den Bürgern die entsprechende Information zukommen zu lassen. Der Postversand kostet die Initiative mehr als 40000 Euro. Sie bittet deshalb um Spenden zur Finanzierung der Aktion.

www.rettet-den-volksentscheid.de

Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-13/043.php



Zwei Wochen lang boykottierten Insassen des niedersächsischen Abschiebelagers Bramsche das Kantinenessen, um gegen menschenunwürdige Verhältnisse zu protestieren

Wie am Dienstag abend bekannt wurde, ist der Flüchtlingsstreik im niedersächsischen Abschiebelager Bramsche-Hesepe nach zweiwöchiger Dauer am Wochenende beendet worden. Wie berichtet, hatten etliche der rund 300 Insassen mit einem Boykott ihres Kantinenessens und durch verschiedene Blockadeaktionen zuvor mehrfach auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in dem rund 25 Kilometer vor Osnabrück gelegenen Lager aufmerksam gemacht. Sie forderte in die Gespräche zur Verbesserung der Lebensbedingungen einbezogen zu werden, die inzwischen im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde ( ZAAB ) in Blankenburg bei Oldenburg geführt werden, nachdem dort die Flüchtlinge fast vier Wochen gestreikt hatten. Eine berechtigte Forderung, denn Bramsche ist eine Außenstelle des ZAAB, in der vor allem Flüchtlinge mit abgelehnten Asylanträgen kaserniert werden. In diesen sogenannten »Ausreisezentren« ist aber nicht nur das Essen und die medizinische Versorgung schlecht, sondern die dort Untergebrachten werden zudem durch allerlei Alltagsschikanen immer dazu angehalten, ihre »Ausreise« zu beschleunigen.

»Wir sind uns sicher, daß die Botschaft unseres Streiks verstanden wurde«, kommentierte am Mittwoch ein Sprecher der Flüchtlinge das vorläufige Ende des Protestes in Bramsche. Die politischen Aufklärungsaktionen sollen aber fortgesetzt werden. Schon am Freitag mit einer Demonstration quer durch Osnabrück, bei der die Bevölkerung auch mit Flugblättern und Reden über das Lagerleben informiert werden soll.

Ähnlich wie zuvor in Blankenburg waren auch die Streikaktionen in Bramsche von zahlreichen Repressionsmaßnahmen begleitet. So etwa, als Mitte letzter Woche ein Flüchtling ein Gespräch mit dem Lagerleiter Conrad Bramm verlangte und er daraufhin unter Einsatz von Pfefferspray gleich festgenommen wurde. Dazu kommen etliche Ermittlungsverfahren gegen einzelne Flüchtlinge, weil sie andere angeblich genötigt hätten, an den Protesten teilzunehmen. Die Wirkung solcher Maßnahmen konnte in Bramsche aber nur bedingt durch Unterstützung von außen wieder ausgeglichen werden, denn das Lager ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen und liegt weit außerhalb und abgelegen von Osnabrück und Bramsche. Behindert waren die Streikaktionen aber auch deshalb, weil es an geeigneten Kommunikationsräumen fehlte, weshalb Peer Hilkmann vom Unterstützernetzwerk »NoLager« gegenüber junge Welt nun auch ankündigte, demnächst in unmittelbarer Lagernähe ein Unterstützungscafé für die Flüchtlinge einzurichten.

Das Netzwerk fordert unterdessen, daß sich nun auch die Behörden in Bramsche am Rat der Stadt Oldenburg orientieren. Dieser hatte erst kürzlich in einer Resolution gefordert, die Lagersituation »ernsthaft und intensiv« zu prüfen, um dann gemeinsam mit den Flüchtlingen Lösungswege zu erarbeiten. Entsprechende Gespräche haben in Blankenburg bereits begonnen, während eine Antwort von Innenminister Uwe Schünemann (CDU) auf die ebenfalls erhobene Forderung, landesweit eine unabhängige Untersuchungskommission zur Lagersituation einzurichten, allerdings noch aussteht.

http://www.jungewelt.de/2006/12-07/032.php



Erfolg des Volksbegehrens für Novelle des Wahlrechts amtlich bestätigt

Das Ergebnis des Bremer Volksbegehrens »Mehr Demokratie beim Wählen« ist nun auch amtlich bestätigt. Am Dienstag gab der Landeswahlleiter bekannt, daß 65197 gültige Unterschriften für das Volksbegehren zusammengekommen seien. Mit dem Volksbegehren wird ein verändertes Wahlrecht gefordert, das den Bürgern größeren Einfluß auf die Auswahl von Kandidaten für die Bürgerschaft geben soll. Dafür sollen alle Bremer Wahlberechtigten bei den Landtagswahlen künftig über fünf Stimmen verfügen, die sie dann entweder auf einzelne Kandidaten verteilen oder kumulieren können.

71365 Bremer hatten diese Forderung innerhalb der für Volksbegehren vorgegebenen Frist von drei Monaten unterstützt. Die amtliche Gültigkeitsquote von mehr als 90 Prozent überraschte selbst Paul Tiefenbach vom Verein Mehr Demokratie. Er sprach gestern von einem »hervorragenden Ergebnis«. Es zeige deutlich, wie gewissenhaft die Menschen das neue Wahlrecht unterstützt hätten. Die Freude ist nicht unbegründet. Denn es ist das erste Mal seit 1994, als die Volksgesetzgebung an der Weser eingeführt wurde, gelungen, ein Volksbegehren zum Erfolg zu führen. Bisher waren alle Eingaben daran gescheitert, daß mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten in Bremen also wenigstens 50000 Bürger – ein Volksbegehren unterstützen müssen, damit es im Landtag behandelt wird. Die Bremer Hürde für Volksbegehren ist auch im Ländervergleich sehr hoch. Tiefenbach nahm das aktuelle Ergebnis deshalb zum Anlaß, veränderte »Spielregeln« für Volksbegehren an der Weser zu fordern.

Doch zuvor muß die Bürgerschaft nun erst einmal binnen zwei Monaten über den Gesetzentwurf zum neuen Wahlrecht entscheiden. Würde das Parlament seine Zustimmung verweigern, wäre der Weg zu einer Volksabstimmung frei. Doch damit rechnet eigentlich niemand, denn angesichts des großen Initiativenerfolgs haben die Landesvorsitzenden der Regierungsparteien, Uwe Beckmeyer (SPD) und Bernd Neumann (CDU), bereits angekündigt, man werde die Gesetzesnovelle annehmen.

Es wird allerdings gemunkelt, die Großkoalitionäre könnten das Inkrafttreten des neuen Gesetzes so festlegen, daß es erst bei den Bürgerschaftswahlen im Jahr 2011 anzuwenden ist. Tiefenbach forderte Beckmeyer und Neumann deshalb auf, alles dafür zu tun, daß das neue Recht bei den Bürgerschaftswahlen am 11. Mai 2007 bereits gilt. Dann würde auch die Fünfprozenthürde für die Wahl der Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven fallen.

http://www.jungewelt.de/2006/12-06/046.php



Nach vier Wochen Streik im Aufnahmelager Blankenburg signalisiert Lagerleitung Gesprächsbereitschaft

Der Flüchtlingsstreik im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde ( ZAAB ) in Blankenburg bei Oldenburg ist beendet. Am Dienstag abend gaben die Organisatoren bekannt, daß die Vollversammlung aller Streikenden am Montag beschlossen hat, den Streik auszusetzen.

Vier Wochen lang haben rund 200 Flüchtlinge im Aufnahmelager gestreikt. Sie boykottierten das schlechte Kantinenessen und die lagerinternen Ein-Euro-Jobs. Sie forderten die Umwandlung von Sach- in Geldleistungen, wie sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich ist. Zudem verlangten sie eine bessere ärztliche Versorgung und schließlich menschliche Alternativen zum tristen Lagerleben.

Zuvor hatte die Lagerleitung erstmals zögerlich Gesprächsbereitschaft signalisiert, so daß die Streikenden nun erklären konnten, eine Frist von vier Wochen zu setzen, innerhalb derer sich die Lebensbedingungen im Lager spürbar verbessern müssen. Am Mittwoch abend beschäftigte sich auch die Ratsversammlung der Stadt Oldenburg mit der Situation der Flüchtlinge. Die Fraktion der Linken hatte einen Antrag eingereicht, in dem die Umwandlung von Sach- in Geldleistungen gefordert wird. Gesprächsbereitschaft dazu signalisierten auch Abgeordnete aus den Fraktionen von SPD und Grünen. Gemeinsam hätten die drei Parteien eine Mehrheit im Rat. Der Landtagsabgeordnete der Grünen Ralf Briese hatte angeregt, eine unabhängige Kommission zur Überwachung der Zustände in den Flüchtlingslagern auf Landesebene zu bilden. Das Antirassistische Plenum Oldenburg schlug zudem vor, daß in dieser auch Vertreter der Kirchen, der Gewerkschaften und von Flüchtlingsorganisationen vertreten sind. Das gibt den Flüchtlingen nun die Zeit, erst mal abzuwarten, ob sich an den Lagerzuständen tatsächlich spürbar etwas ändert. Geschieht dies nicht, sind weitere Aktionen angekündigt.

Zu einer ehrlichen Bilanz dieses Streiks gehört allerdings auch zu analysieren, warum dieser Streik seit Beginn der dritten Streikwoche immer schwieriger wurde. Ganze Polizeieinheiten hatten das Lager besetzt, vermeintliche Streikführer wurden in weit entfernte Camps zwangsverlegt. Druck entfalteten ebenso die immer häufiger stattfindenden Botschaftsvorführungen für schwarzafrikanische Flüchtlinge, die diesen deutlich machen sollten: Wer nicht spurt, wird notfalls sehr schnell abgeschoben. Anderen Flüchtlingen wurde auch noch der Rest ihres mageren Taschengeldes von monatlich 38 Euro entzogen. Unterstützer wurden nachts in ihren Wohnungen von der Polizei aufgesucht, während Streikbrecher gleichzeitig mit großzügigen Besuchs- oder Urlaubsregelungen sowie einem zeitweilig besseren Kantinenessen gelockt wurden. Es war eben »Zuckerbrot und Peitsche«, was sich Lagerleiter Christian Lüttgau mit Unterstützung des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) zur Streiksabotage ausgedacht hatte.

Theoretisch haben auch Flüchtlinge ein Recht auf Meinungs-, Informa­tions- und Koalitionsfreiheit – so sagt es zumindest das Grundgesetz. Doch tatsächlich leben diese Menschen in einer ständigen Angst, vielleicht schon morgen abgeschoben zu werden. Da entfalten zusätzliche Repressionsmaßnahmen, selbst dann, wenn sie illegal sind, eine besondere Wirkung. Umso erstaunlicher ist es, daß die Flüchtlinge ihren Streik vier Wochen lang durchgehalten haben und darüber hinaus mit einer Vielzahl von Aktionen eine breite Öffentlichkeit erreichten. Nun haben die Flüchtlinge alle Parteien, Verbände und Bürger in ganz Niedersachsen dazu aufgefordert, eine Position zum täglichen Flüchtlingselend in Deutschland zu beziehen. Auch dafür haben sie gestreikt.

http://www.jungewelt.de/2006/11-02/028.php



Solidarität mit Protesten im Zentralen Aufnahmelager Blankenburg wächst. Behörden setzen auf Repression

Der Streik der Flüchtlinge im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde in Blankenburg ( ZAAB ) bei Oldenburg geht nun schon in die dritte Woche. Am heutigen Mittwoch setzt sich der Ausstand, der sich am schlechten Lageressen entzündet hatte, sogar mit einer Demonstration quer durch Hannover fort. Zur Protestaktion, die heute um 13 Uhr vor dem Hauptbahnhof beginnt und zu der auch Flüchtlinge aus Bramsche und Braunschweig erwartet werden, haben auch der Flüchtlingsrat und verschiedene Solidaritätsgruppen aus ganz Niedersachsen aufgerufen. Die Streikforderungen nach einer Umwandlung von Sach- in Geldleistungen und der Unterbringung der Flüchtlinge in eigenen Wohnungen richtet sich nun auch direkt gegen die CDU/FDP-Landesregierung. Doch diese setzt auf Repression. Schon seit Tagen ist das Lager in Blankenburg durch Polizeieinheiten regelrecht besetzt. Angeblich sollen so Flüchtlinge vor den Flüchtlingen »geschützt« werden, denn Lagerleiter Christian Lüttgau hatte zuvor behauptet, daß die Streikführer im Lager selbst ein »Klima der Angst« erzeugen würden und der Streik zudem von »Chaoten« ferngesteuert sei. Vermeintliche Rädelsführer wurden deshalb in der vergangenen Woche schon in andere, weit entfernte Lager zwangsverlegt.

Das aber sei völlig unangemessen, betonten Vertreter von Flüchtlings- und Solidaritätsgruppen erst am Freitag letzter Woche, als die Flüchtlinge zum »Tag der offenen Tür« eingeladen hatten, damit sich die Oldenburger ein eigenes Bild vom Lagerleben machen können. Doch Lüttgau hatte die Lagertür einfach absperren lassen, weshalb der »Tag der offenen Tür« vor der Tür direkt am Metallzaun stattfinden mußte. Ronald Sperling vom »Antirassistischen Plenum in Oldenburg« betonte dort, daß die Streikenden »in keiner Weise gegen geltendes Recht« verstoßen haben, weshalb er und der Flüchtlingsrat ein Ende der Repressionen und eine politische Lösung des Konflikts forderten. Die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Vereinigungsfreiheit gelte auch für Flüchtlinge, hieß es.

Währenddessen wächst die Solidaritätsbewegung mit den mutigen Flüchtlingen. Für diesen Freitag hat sich beispielsweise die Dancehall-Reggae-Band »Yalla Yalla Movement« zum Soli-Konzert angemeldet, und auch der Bundestagsabgeordnete und Landeschef der Linkspartei, Diether Dehm, forderte zur Solidarität mit den Flüchtlingen auf, deren Forderungen »vollauf berechtigt« wären.

* Weitere Infos: www.nolager.de

http://www.jungewelt.de/2006/10-25/029.php



Protest gegen Unterbringung in Blankenburg

Der Streik der rund 250 Bewohner in dem sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenem Flüchtlingslager Blankenburg dauert nun schon 18 Tage. Ausgelöst durch schlechtes Essen werden seitdem die Kantine, aber auch die lagerinternen Ein-Euro-Jobs boykottiert.

Die Bewohner wollen mehr Geld, damit sich diese selbst verpflegen können. Angemahnt werden auch Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung sowie eine Unterbringung aller Flüchtlinge in gemeindenahen Wohnungen, was auf die Auflösung des Lagers zielt.

Dem aber steht Lagerchef Christian Lüttgau kompromisslos entgegen. Lüttgau hat in diesen Tagen gleich mehrere der vermeintlichen Streikführer in weit entfernte Flüchtlingslager strafverlegt. Doch damit konnte der Streik bisher nicht gebrochen werden, wie sich auch an den zahlreichen Demonstrationen quer durch Oldenburg zeigt. Gestern luden die Flüchtlinge die Bevölkerung zu einem »Tag der offenen Tür« – doch informiert werden musste dann doch draußen vor verschlossenen Toren.

Seit Tagen besetzen ganze Polizeieinheiten das Lager, angeblich um Flüchtlinge vor Flüchtlingen »zu schützen«. Eine bedrohliche Kulisse, die auf die schwarzafrikanischen Flüchtlinge besondere Wirkung hat. Denn diese werden schon seit Tagen für Vorführungen bei den Botschaften ihres tatsächlichen oder mutmaßlichen Heimatlandes gezielt herausgesucht.

Eingeschüchtert werden aber auch die anderen Flüchtlinge, denen Lüttgau das monatliche Taschengeld von rund 38 Euro teilweise entzog. Dies sei völlig unangemessen, sagten Vertreter von Flüchtlings- und Solidaritätsgruppen aus ganz Niedersachsen. Die Streikenden hätten »in keiner Weise gegen geltendes Recht« verstoßen, betonte Ronald Sperling vom »Antirassistischen Plenum in Oldenburg«, das auch Solidaritätsaktionen organisierte. Die »Meinungs- und Vereinigungsfreiheit« gelte auch für Flüchtlinge, unterstrich Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat.

Die Streikforderungen entsprechen ohnehin dem, was Menschenrechtsorganisationen schon seit Jahren fordern. So sei etwa die Umwandlung von Sach- in Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur möglich, sondern in etlichen Bundesländern auch schon Praxis. Unterstützung kommt dafür von Diether Dehm, Landeschef der Linkspartei, der auch will, dass die Flüchtlinge künftig eine Arbeitserlaubnis erhalten, damit sie ihren Lebensunterhalt in »regulären Arbeitsplätzen« selbst verdienen können.

Quelle: Printausgabe Neues Deutschland, 21. Oktober 2006, Seite 5



Bremen: Chance, schon vor der nächsten Abstimmung zur Bürgerschaft das Wahlrecht zu demokratisieren

Zum ersten Mal überspringt ein Volksbegehren im Bundesland Bremen die Hürde, von zehn Prozent der Wahlberechtigten per Unterschrift unterstützt zu werden. Über 71000 Bremer und Bremerhavener hätten für das Volksbegehren »Mehr Demokratie beim Wählen« unterzeichnet, wie Paul Tiefenbach, Vertrauensperson des Volksbegehrens, bekanntgab. Notwendig wären rund 50000 Unterschriften gewesen. Bisher waren alle Volksbegehren in Bremen an dieser hohen Hürde gescheitert, weshalb Tiefenbach nun auch von einem »phantastischen Ergebnis« sprach.

Nun muß der Gesetzentwurf der Volksinitiative der Bürgerschaft zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Das Papier sieht mehr Mitbestimmungsrechte der Bürger bei der Auswahl der Kandidaten zur Bürgerschaft, aber auch die Streichung der Fünf-Prozent-Klausel für die Stadtversammlung in Bremerhaven vor.

Sollte in der Bürgerschaft die Koalition aus SPD und CDU ihre Zustimmung verweigern, kommt es zu einem Volksentscheid. Die Fristen im weiteren Verfahren sind dabei so geregelt, daß der Volksentscheid gleichzeitig mit der nächsten Bürgerschaftswahl im Mai 2007 stattfinden könnte.

Doch angesichts der großen Zustimmung zu dem alternativen Gesetzentwurf rechnet Tiefenbach nun auch mit einer Mehrheit im Parlament, so daß gegebenenfalls schon bei den nächsten Wahlen nach dem neuen Recht verfahren werden könne. Tiefenbach betonte zudem, daß dieser Erfolg ohne ein breites Bündnis aus Organisationen, Vereinen, Gewerkschaften und Oppositionsparteien nicht möglich gewesen wäre.

http://www.jungewelt.de/2006/10-19/046.php



2 Kommentare

Niedersächsische Behörden versuchen, durch Psychokrieg die streikenden Asylbewerber im Lager Blankenburg zu isolieren

Die Situation im Zentralen Aufnahmelager der Ausländerbehörde im niedersächsischen Blankenburg spitzt sich zu. Wie berichtet, befinden sich in diesem sieben Kilometer von Oldenburg entfernten Lager schon seit dem 4.Oktober rund 250 meist schwarzafrikanische Flüchtlinge in einem unbefristeten Streik. Sie boykottieren die Kantine und die lagerinternen Ein-Euro-Jobs, fordern Geld zum eigenen Lebensmitteleinkauf statt Lagerfraß und eine bessere ärztliche Versorgung. Doch nun wird eine Aktion vom vergangenen Wochenende zum Vorwand genommen, um die Streikenden zu kriminalisieren.

Rund 20 Unterstützer der Flüchtlinge hatten ein Transparent vor dem Privathaus von Lagerleiter Christian Lüttgau aufgehängt sowie um das Haus einen symbolischen Zaun errichtet. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach daraufhin von »strafbaren Handlungen«, die mit berechtigtem Protest nichts zu tun hätten. Inzwischen wurden auch die Polizeieinheiten im Lager verstärkt, die dort nun jeden weiteren Protest bereits im Keim unterdrücken sollen. Zuvor hatte der Innenminister geleugnet, daß die Flüchtlinge nur vitaminarmes und fades Essen bekämen. Das Essen sei immerhin frisch zubereitet, hatte Schünemann betont. Demgegenüber forderte der niedersächsische Flüchtlingsrat die sofortige Schließung des Lagers sowie dezentrale Unterkünfte für alle Bewohner in verschiedenen Kommunen des Landes. Die Unterbringung in Lagern sei teuer, menschenunwürdig und auch verfassungsrechtlich bedenklich, heißt es in einer Stellungnahme.

Kritik kommt auch vom bundesweiten Netzwerk »No Lager«. Schünemann wolle mit seiner Diffamierung des Protests nur davon ablenken, daß die Forderungen der Flüchtlinge mit denen von Menschenrechtsorganisationen identisch sind. Doch in großen Zeitungen, wie etwa der Welt, der Neuen Presse, der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ), im Weserkurier und der Nordwestzeitung wird nun einseitig Schünemanns Darstellung wiedergegeben. Der Boykott sei ferngesteuert, wobei antirassistische Gruppen bei den Bewohnern auch ein »Klima der Angst« erzeugten, heißt es in einigen der Medien. Von »wenigen Aufwieglern« im Lager selbst sprechen hingegen andere, und die HAZ verglich nun das Lager sogar mit einem »Kurpark«, das – trotz Metallgitterzaun – vor allem durch einen großen Teich und »schönen Laubwald« gekennzeichnet sei. Doch dieser Wald sei nun offenbar in Gefahr, weil es hier schon »nächste Woche brennt«, wie Lagerleiter Christian Lüttgau zitiert wird. Auch von zunehmenden »Schlägereien« ist bei ihm die Rede. Und Oldenburgs Polizeichef Johann Kühme spricht unterdessen von einer »offenen Drogenszene«. So solle der Protest isoliert werden, betonten jedoch Vertreter des antirassistischen Plenums in Oldenburg am Mittwoch gegenüber jW.

Doch auch Bedrohungen kommen hinzu. Vor allem schwarzafrikanische Flüchtlinge werden seit einigen Tagen gezielt für Vorführungen bei den Botschaften ihres tatsächlichen oder mutmaßlichen Heimatlandes ausgesucht, um sie so gegebenenfalls schneller abzuschieben. Auf den Streikversammlungen betonten aber auch sie, daß der Ausstand fortgesetzt werde. Schon am heutigen Donnerstag soll es in Oldenburg eine weitere Protestkundgebung geben, und für die nächste Woche ist eine Aktion in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover geplant. Dazu werden dann auch Flüchtlinge aus Bramsche und Braunschweig erwartet.

http://www.jungewelt.de/2006/10-19/045.php



Aufstand im niedersächsischen Flüchtlingslager Blankenburg: Rund 250 Bewohner wehren sich gegen Erniedrigung und mieses Essen.

In Niedersachsens Provinz werden Flüchtlinge schikaniert. Seit knapp zwei Wochen befinden sich die rund 250 ständigen Bewohner des sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen Flüchtlingslagers Blankenburg in einem unbefristeten Streik. Es sind Menschen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, die das Kantinenessen verweigern und lagerinterne Ein-Euro-Jobs boykottieren. Statt des schlechten Essens fordern sie eigenes Geld, eine bessere Gesundheitsversorgung und die Unterbringung in normalen Wohnungen. Doch auch die Forderung nach dem Ende aller Abschiebungen und nach einem gesichertes Leben in Deutschland steht nun mit im Vordergrund der zahlreichen Demonstrationen, die Oldenburg zur Zeit erlebt.

Entzündet hatte sich der Streik aber am Essen, das so mies ist, daß bei etlichen Flüchtlingen Mangelerscheinungen und Krankheiten auftraten. Am 4. Oktober war das Maß voll: Der suppenähnliche Fraß landete nicht im Magen, sondern auf dem Fußboden. 200 Menschen zogen anschließend durch das Lager und verlangten, mit dessen Leiter Christian Lüttgau zu diskutieren. Doch der holte die Polizei, die mit 20 Einsatzwagen und Hunden anrückte. Mit Pfefferspray und mehreren Festnahmen wurde der Protest aufgelöst.

Nun aber ging die Revolte erst richtig los. Schon am nächsten Tag demonstrierten die Lagerinsassen erneut und erweiterten ihre Forderungen. Sie verlangten zusätzlich eine bessere Gesundheitsversorgung und die Ablösung der Lagerärztin, die alle Krankheiten angeblich nur mit ein und demselben Schmerzmittel behandelt.

Tägliche Schikanen

Die Lebensbedingungen in dem ehemaligen Dominikanerkloster sind so schlecht, daß Flüchtlingsorganisationen seit Jahren dessen Schließung fordern. Hinzu kommen die täglichen Schikanen des Lagerpersonals, das öffentlich durch rassistische Sprüche auffiel. Etliche Flüchtlinge zogen die Flucht vor – was Lüttgau aber wohl ganz recht ist, weil auf diese Weise die Unterhaltskosten des Lagers gesenkt werden. Flüchtige aber werden über kurz oder lang geschnappt und dann noch schneller abgeschoben.

Wer bleibt, erhält monatlich 38 Euro Taschengeld. Doch nur dann, wenn er sich an der Beschaffung der für seine Abschiebung nötigen Papiere beteiligt. Solche »guten« Flüchtlinge können sich bei den lagerinternen Ein-Euro-Jobs durch Putz- und Reinigungsarbeiten etwas hinzuverdienen. Doch seit dem 4. Oktober muß das Lagerpersonal selbst an die Arbeit – bei den Flüchtlingen läuft nichts mehr.

Diese Entschlossenheit beeindruckt immer mehr Oldenburger, die mit Lebensmittel- oder auch Geldspenden die Flüchtlinge unterstützen. Eine Erwerbslosengruppe sammelte zum Beispiel 300 Euro. Händler des Wochenmarktes lieferten Gemüse. Kirchliche Gruppen sammelten Geld für Getränke. Auch einzelne Bürger gehen vermehrt auf die Flüchtlinge zu. Dazu trägt auch die Kommunalpresse bei, die das Thema nun aufgegriffen hat. Nur die Nordwest-Zeitung verläßt inzwischen jedes Gebot der Fairneß. Sie präsentiert nun aufgetischte Festessen der Lagerleitung als Normalität. Doch das überzeugt nur wenige, weshalb selbst der Stadtrat über die Flüchtlingsproblematik sprechen will.

Koordiniert wird alles durch das Antirassistische Plenum in Oldenburg, das schon vor Beginn des Streiks mit »Lagertagen« die Flüchtlinge informierte und zu den Flüchtlingsdemonstrationen mit aufrief.

Streikbruch wird belohnt

Die Lagerleitung reagiert scharf auf die Proteste. Die Flüchtlinge müssen nun regelmäßig ihre Lagerpässe vorlegen, in denen sie für jeden Kantinenbesuch einen Stempel erhalten. Boykotteure lassen sich so leichter identifizieren. Wer überhaupt keine Stempel gesammelt hat, riskiert seine Verlegung in andere Lager. Auch Polizeimitarbeiter traten an einzelne Flüchtlinge heran und versprachen Hilfe bei der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung – allerdings nur, wenn sie die Führer des Streiks verraten. Anderen entzog Lüttgau die Besuchserlaubnis oder das Taschengeld. Wer den Streik verrät, hat Vorteile: Er bekommt Urlaub und kann Freunde und Verwandte bis zu vier Wochen lang in ganz Deutschland besuchen.

Diese Strategie von Zuckerbrot und Peitsche will Lüttgau offenbar fortsetzen, denn er handelt im Auftrag von Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der Flüchtlinge zur »freiwilligen Ausreise« bewegen möchte. Freiwillig reist aber nur aus, wer diese Lagermentalität nicht mehr aushalten kann. Ungenießbares Kantinenessen, überbelegte Wohnräume und systematische Beleidigungen durch das Lagerpersonal sind deshalb in Niedersachsen politisches Programm. Nur Solidarität kann den mutigen Flüchtlingen jetzt noch helfen.

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Lagerleben: Integration soll verhindert werden
und Eine Art mentaler Folter

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[Das nachfolgende Interview hat Kathrin Hedtke für eine gemeinsame Schwerpunktseite geführt.]

Druck auf Flüchtlinge, Deutschland zu verlassen. Ein Gespräch mit Kamil N

Kamil N. lebt als Flüchtling im Lager Blankenburg, in der Nähe von Oldenburg

Seit zwei Wochen machen die Flüchtlinge im Abschiebelager Blankenburg in Niedersachsen mit Demonstrationen auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam. Wogegen richtet sich Ihr Protest?

Wir wehren uns gegen die schlechten Bedingungen im Flüchtlingslager. Aus diesem Grund boykottieren wir das Essen in der Kantine und die Ein-Euro-Jobs. Es beteiligen sich rund 90 Prozent der Flüchtlinge an dem Protest, das sind etwa 120 der hier lebenden Personen. Wir verlassen unser Lager und demonstrieren in der Öffentlichkeit. Dabei haben wir dem Bürgermeister, den großen Parteien und einer Kirchengemeinde einen offiziellen Besuch abgestattet.

Was können Sie über die Lebensbedingungen im Flüchtlingslager berichten?

Das Problem in Blankenburg ist, daß dieses Lager ursprünglich eingerichtet wurde, um Flüchtlinge für eine kurze Zeitspanne unterzubringen. Vor zwei Jahren wurde es in ein Dauerlager umgewandelt, doch die Bedingungen sind die gleichen geblieben. Das Essen ist miserabel. Es gibt jeden Tag nur ein einziges Gericht zur Auswahl und seit Jahren alle zehn Tage den gleichen Essensplan. Das ist auf Dauer kaum auszuhalten. Außerdem ist die Qualität der Nahrungsmittel schlecht und das Essen hat zu wenig Vitamine. Ein weiteres Problem ist die medizinische Versorgung. Es gibt nur einen Allgemeinarzt vor Ort. Bei allen möglichen Beschwerden und Krankheiten verabreicht er immer die gleiche Sorte Schmerztabletten. Wir werden so gut wie nie an Spezialärzte außerhalb des Lagers überwiesen. Außerdem kritisieren wir den Platzmangel. Es müssen zwischen vier und sechs Personen in einem kleinen Raum zusammenleben. Wir haben keinerlei Privatsphäre.

Teilen Sie die Einschätzung, daß die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge mit Absicht so schlecht sind?

Es ist ganz eindeutig, daß wir vertrieben werden sollen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder die Lagerleitung und Behörden gebeten, uns zu helfen, und sogar konkrete Verbesserungsvorschläge vorgebracht. Doch die Antwort war immer die gleiche: »Wir sind hier kein Hotel. Als Flüchtlinge solltet ihr die Situation akzeptieren. Schließlich geht es euch hier besser als in eurer Heimat. Wenn es euch nicht gefällt, geht doch zurück in euer Land.« Das zeigt, daß sie unsere Probleme gar nicht lösen wollen. Es ist ihre Politik, auf uns Druck auszuüben, damit wir Deutschland schnell wieder verlassen. Ich empfinde das als eine Art mentale Folter.

Welche Reaktionen gab es bislang von offizieller Seite auf Ihren Protest?

Es gab ein einziges offizielles Treffen, das ohne Ergebnis blieb. Der Leiter des Flüchtlingslagers erklärte uns, daß die Lebensbedingungen hier in Einklang mit dem Gesetz stünden und es deshalb keiner Veränderungen bedürfe. Jeden Tag wird hier ein Polizeiaufgebot aufgefahren. Meiner Meinung nach ist es Teil der Strategie, die Leute einzuschüchtern, damit sie sich nicht länger an dem öffentlichen Protest beteiligen. Es wird auf einzelne Personen Druck ausgeübt, deren Situation besonders schlecht ist, weil sie beispielsweise keine Aufenthaltserlaubnis haben. Ihnen wird gedroht, sie in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Dieser Druck steigt mit jedem Tag.

Gibt es Solidarität der Anwohner?

Ohne Hilfe von außen ginge es gar nicht. Wir boykottieren das Essen der Kantine, müssen aber trotzdem die Menschen hier im Lager versorgen. Glücklicherweise können wir unsere Aktionen bislang durchhalten, da wir Lebensmittel und Unterstützung von außen erhalten.

Gibt es Kontakte zu Flüchtlingen in anderen Lagern?

Letzte Woche kamen Leute aus dem Flüchtlingslager Bramsche und haben sich an unserem Protest beteiligt. Wir versuchen über das Internet, über Zeitungen und Radio auf unsere Aktionen aufmerksam zu machen und die Flüchtlinge in anderen Camps zu informieren. Wir hoffen, daß sich noch mehr zu uns gesellen werden.

http://www.jungewelt.de/2006/10-16/053.php

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Lagerleben: Integration soll verhindert werden
und Zuckerbrot und Peitsche

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Der Streik in Blankenburg setzt an konkreten Forderungen an, die sich letztlich auf das Sachleistungsprinzip des sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen. Gefordert werden Geld- statt Sachleistungen. Das ist in einigen Bundesländern, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern, wo auch schon die Lagerkantinen abgeschafft wurden, bereits üblich. Auch in Berlin, Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, NRW und selbst in Hamburg wird inzwischen überwiegend Bargeld ausgezahlt. In Niedersachsen wird hingegen eine Politik betrieben, nach der Flüchtlinge möglichst nur noch in den Lagern leben sollen.

Diese Lager haben lediglich die Aufgabe, den Druck auf die Menschen zu erhöhen, damit diese wieder »freiwillig« ausreisen. Das niedersächsische Innenministerium mußte kürzlich zugeben, daß die Kosten bei dezentraler Unterbringung pro Flüchtling 4270 Euro jährlich betragen. Die Lagerunterbringung verschlingt hingegen 9662 Euro. Schünemann rechtfertigte dies mit der größeren Effizienz bei »Rückführungen«.

Die Lagerpolitik verfolgt dabei nur ein Ziel: Die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft und damit eine mögliche Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus’ soll unter allen Umständen verhindert werden. Nur erfolgreiche Rückführungen stehen im Zentrum der niedersächsischen Flüchtlingspolitik. In den Lagern gibt es deshalb nur für solche Flüchtlinge Vergünstigungen, die in ihre »freiwillige Rückkehr« einwilligen.

Kein Streik ohne Streikkasse! Erwünscht sind in erster Linie Geldspenden: Mit dem Geld werden die Grundnahrungsmittel gekauft, die jeden Tag zum Lager gefahren und dort von den Flüchtlingen selbst verteilt werden. Das Geld sollte auf folgendes Konto überwiesen werden: Arbeitskreis Dritte Welt e.V., Konto-Nr. 015 131 337, BLZ 280 501 00, LZO, Verwendungszweck: Aktionstage. Aber auch Lebensmittelspenden sind willkommen: Sie können im Oldenburger Kulturzentrum Alhambra abgegeben werden, das sich in der Hermannstr. 83 in 26135 Oldenburg befindet.

Nähere Infos unter: www.papiere-fuer-alle.org/blankenburg

http://www.jungewelt.de/2006/10-16/052.php

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Zukerbrot und Peitsche
und Eine Art mentaler Folter

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Polizei schlug Revolte von 200 Asylbewerbern nieder. Sie verlangten bessere Lebensbedingungen

Eine Revolte von rund 200 Insassen eines zentralen Aufnahmelagers der Ausländerbehörde Oldenburg ist in dieser Woche von der Polizei niedergeschlagen worden. Wie das Online-Nachrichtenportal redglobe.de am Freitag meldete, hatten die Flüchtlinge in einer spontanen Demonstration auf dem Hof des im Nachbarort Blankenburg gelegenen Lagers bessere Lebensbedingungen, vor allem gesünderes Essen, gefordert. In diesem Lager sei die Ernährung besonders vitaminarm, was zu Krankheiten und Mangelerscheinungen bei den überwiegend afrikanischen Flüchtlingen führe.

Statt auf die Forderungen einzugehen, habe die Lagerleitung jedoch die Polizei gerufen, die bei ihrem Einsatz mehrere Demonstranten verletzt habe, hieß es. Einigen Flüchtlingen drohen nach Mitteilung der Blankenburger Polizei nun noch Strafanzeigen, da bei dem Einsatz ein Beamter leicht verletzt worden sei.

Zu Protesten in dem sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen ehemaligen Dominikanerkloster, das seit 1990 zunächst als Erstaufnahmelager und dann als Sammellager für Flüchtlinge genutzt wird, kam es schon vor Jahren. 1994 traten 40 Flüchtlinge in einen Hungerstreik, wonach zusätzliche Kochmöglichkeiten eingerichtet wurden. Flüchtlingsorganisationen fordern seit Jahren die Schließung des Lagers und die dezentrale Unterbringung der Bewohner.

Anläßlich des europäischen Migrationsaktionstages war für den Freitag abend in Oldenburg eine Protestdemonstration angekündigt. Aktionen für ein besseres Leben der Flüchtlinge und gegen die Politik der Abschiebungen sind auch in Köln, Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Jena, Augsburg, Hamburg und Nürnberg vorgesehen.

Weitere Infos unter www.redglobe.de und www.noborder.org

http://www.jungewelt.de/2006/10-07/012.php



Europäischer Aktionstag

Europaweit bereiten sich Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen in diesen Tagen auf einen europäischen Ak­tionstag gegen die restriktive Flüchtlings- und Asylpolitik der Europäischen Union und ihrer Regierungen vor. Für den kommenden Samstag sind in 18 europäischen und afrikanischen Ländern zeitgleich Demonstrationen und Aktionen geplant.

Die Initiative geht auf ein Treffen des Europäischen So­zialforums im Mai 2006 in Athen zurück, an dem seinerzeit fast 15 000 Menschen teilnahmen. In Köln, Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Jena, Augsburg, Hamburg und Nürnberg finden am Samstag Demonstrationen statt. Die Aktion in Hamburg wird auch von Gruppen aus Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Gerade in der Hansestadt betreibt der CDU-Senat nun schon seit Jahren eine besonders rigide Abschiebepolitik.

Gleichzeitig werden am Samstag auch Tausende Demonstranten in London, Paris, Warschau, Amsterdam, Wien und Madrid auf die Straße gehen. Weitere Aktionen finden in Mauretanien, Italien, Tunesien, Togo, Griechenland und Benin statt. Darauf haben sich über 100 Organisationen und Bündnisse aus Europa und Afrika verständigt, die sich in einem gemeinsamen Aufruf zu diesem dritten europäischen Migrations-Aktionstag (ihm gingen schon 2004 und 2005 gemeinsame Aktionen voraus), für die »bedingungslose europäische Legalisierung« aller hier lebenden, aber auch zureisenden Menschen einsetzen. Zugleich soll mit diesem Aktionstag auch an die Ereignisse vor einem Jahr erinnert werden, als Hunderte Flüchtlinge die Grenzzäune zu den in Marokko gelegenen spanischen Enklaven Ceuta und Melilla buchstäblich überrannten und das spanische Militär nur noch mit Todesschüssen, Masseninternierungen und dem Aussetzen von Menschen in entfernten Wüstenregionen die Lage unter Kontrolle bringen konnte. Doch dabei sei auch deutlich geworden, daß sich das Recht der Menschen auf Bewegungsfreiheit dauerhaft nicht unterdrücken lasse, heißt es im Aufruf. Orientiert wird deshalb auf einen Prozeß der »fortlaufenden Unterminierung dieses Migrationsregimes« durch zunehmend politische und soziale Aktionen für die Gleichberechtigung aller Menschen.

Nähere Informationen unter www.noborder.org

Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/10-05/003.php

Dieser Beitrag ist Teil einer Schwerpunktseite der Jungen Welt zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland gewesen. Lesen Sie hier zwei weitere Beiträge dieser Seite:

Wurst im Plastikbeutel, von Maja Schuster

»Blutiger Stift« für Schünemann, von Raimar Paul

und hier Schwerpunkt_jW_05_10_06 können Sie sich die Seite als PDF-Datei herunterladen



In Hamburg rührt sich Widerstand gegen den Ausbau des Hafens

Der Hafenpolitik des Hamburger Senats droht ein Rückschlag. Anwohner und Naturschützer erheben Einwände gegen das Großprojekt.

Wie jetzt bekannt wurde, klagen 31 Bürger gegen den Ausbau des Containerterminals am Burchardkai. Sie wohnen auf der anderen Elbseite und befürchten »unzumutbaren Lärm«. Der im Februar gefasste Planfeststellungsbeschluss, der städtische Investitionen von 60 Millionen Euro vorsieht, berücksichtige nicht, dass die Häuser denkmalgeschützt sind. Ein erster Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht ist für den 20. September anberaumt. Damit droht der gesamte Hafenentwicklungsplan, der ein milliardenschweres Investitionsprogramm vorsieht, zeitlich aus den Fugen zu geraten. Ungemach droht auch von Naturschutzverbänden, die Einwände gegen ein Genehmigungsverfahren zur Fahrrinnenvertiefung der Elbe angekündigt haben. Allein vom Bund kommen dafür Zuschüsse von 245 Millionen Euro.

Der Burchardkai ist die größte Anlage für Containerumschlag im Hamburger Hafen; 40 Prozent aller Stahlboxen werden hier abgefertigt. Jährlich heben 18 Containerbrücken 2,6 Millionen Standardcontainer (TEU) von über 5000 Schiffen über die Kaikante. Wie überall im Hafen soll hier die Umschlagskapazität erhöht werden – auf 5,2 Millionen TEU bis 2015 –, wofür die Kaimauern um 1100 Meter verlängert werden müssen.

Auf der anderen Elbseite liegen die Stadtteile Neumühlen und Övelgönne, wo man das Dröhnen der Schiffsaggregate und den schrillen Schrei der Van-Carrier schon jetzt Tag und Nacht deutlich hört. Der Lärmpegel liege bei 60 Dezibel, berichten Anwohner, die einen weiteren Anstieg befürchten, wenn der Kai verlängert wird. Vertreten durch die Anwaltskanzlei Mohr & Partner, die bereits Airbus-Gegner vertrat, wenden sie ein, dass es keine ausreichende Begründung für den Hafenausbau gebe.

Für die Wirtschaftsbehörde könnte dies ein großes Problem darstellen. Die Gesamtplanung, die auch drei weitere Großterminals, die Hafenbahn und die Autobahnzubringer umfasst, basiert auf erhofften künftigen Entwicklungen. Die Behörde rechnet mit Wachstumspotenzialen von jährlich 9,4 Prozent und verweist auf bisherige Entwicklungen im Warenverkehr und Wettbewerbsvorteile gegenüber den anderen Nordrange-Häfen. Verwertbare Fakten stehen indes kaum zur Verfügung.

Ebenfalls nur auf vagen Prognosen fußt die Planung zur Vertiefung der Elbfahrrinne. Die weltweit größten Containerfrachter mit bis zu 9000 TEU an Bord und größerem Tiefgang wären schon bald normale Arbeitspferde, heißt es, doch bislang ist bei 13,50 Meter Schluss. Daher soll die Elbe in Hamburg ab 2007 für 347 Millionen Euro um 1,50 Meter ausgebaggert werden.

Nachweisbar sind hingegen Einwände des Naturschutzbundes (NABU), der auf Verschlackungen und für Fische tödliche Sauerstofflöcher schon nach der letzten Elbvertiefung von 1999 hinweist. Ein weiteres Ausbaggern erhöhe zudem die Sturmflutwasserstände, was die Deichsicherheit bedrohe, weil Forschungserkenntnisse über steigende Meeresspiegel nicht berücksichtigt seien, sagen die Naturschutzverbände.

»Wenn die Deiche brechen, säuft ein Drittel meines Wahlkreises ab«, warnt deshalb auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Magrit Wetzel aus dem Landkreis Stade. Doch solche Kritik aus Politikermunde ist bislang die Ausnahme. Denn am Hafen, so heißt es, hängen in der ganzen Region bis zu 154 000 Arbeitsplätze. Das verschlägt auch der Linken die Sprache, während die frühere Wählervereinigung Regenbogen milliardenschwere Hafeninvestitionen vor Jahren in Frage stellte. Fast eine Milliarde Euro waren damals in eine supermoderne Containeranlage auf Altenwerder geflossen. Doch gerade weil sie so modern ist, gibt es dort ganze 280 Arbeitsplätze.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=96510&IDC=3



Rote Hilfe erwartet massive Eingriffe in die Rechte von Demonstranten und Bürgern

In Mecklenburg-Vorpommern bereiten sich nicht nur außerparlamentarische Gruppen auf den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm vor. Auch die SPD-Linkspartei-Landesregierung trifft ihre Vorkehrungen. Am Wochenende warnte Jan Steyer von der Roten Hilfe Greifswald gegenüber junge Welt, daß sich schon jetzt ein Großeinsatz der Sicherheitskräfte abzeichne, bei dem Grundrechte der Bürger auf der Strecke blieben. Grundlage dafür sei das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG), das der Landtag in einem Schnellverfahren im Juni auf Antrag von SPD und Linkspartei.PDS beschlossen hat.

Die Mecklenburger Polizei wußte auch ohne SOG, wie Demonstranten in ihrem Protest behindert werden können. Zwar war die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausdrücklich untersagt, doch andere Kontrollverfahren, wie Identitätsfeststellungen oder erkennungsdienstliche Behandlungen konnten die Beamten jederzeit anwenden. Auch Platzverweise, vorläufige Festnahmen, verdeckte Ermittlungen, Hausdurchsuchungen und das Einschleusen von V-Leuten in politische Bewegungen gehörten längst zum polizeilichen Repertoire.

SPD und Linkspartei reichte das nicht. Nach Hamburger Vorbild wurden vor allem Möglichkeiten für sogenannte präventive Polizeimaßnahmen erweitert. Kritikern aus den eigenen Reihen, wie dem Landtagsabgeordneten der Linkspartei, Gerhard Bartels, hielt Landeschef Peter Ritter entgegen, daß die Zustimmung der SPD zu einem neuen Informationsfreiheitsgesetz nur so zu erhalten sei. Damit sollen die Bürger mehr Einsicht in die über sie geführten Behördenakten bekommen.

An der Verschärfung von Repression und Überwachung durch das neue SOG ändert das nichts. War eine Rasterfahndung bisher zum Beispiel nur möglich, wenn ganz konkrete Gefahren vorliegen, so würde bei den Protestaktionen zum G-8-Gipfel schon ein »Internetaufruf zu Straftaten« ausreichen, um den Fahndungsapparat in Bewegung zu setzen. Angeblich um Beamte vor Infektionen zu schützen, können laut SOG nun bei »Gefahr im Verzug« Blutentnahmen ohne richterliche Anordnung durchgeführt werden. »Gefahr im Verzug« ist immer dann gegeben, wenn »Körperflüssigkeiten« auftreten. Daß es dabei in Wirklichkeit um den Aufbau einer DNA-Datenbank geht, zeigten die Landtagsberatungen. Linkspartei und SPD begründeten ihren Antrag ausdrücklich damit, daß so Möglichkeiten zum Abgleich der Daten mit denen aus Speichern von BKA und Bundespolizei geschaffen werden können. Vorbei ist auch die kameralose Zeit. Bei Massenveranstaltungen, wie den G-8-Protesten, so hieß es, habe die offene Verwendung von Videokameras den Vorteil, daß dies beim Bürger zu einer »Risikoabschätzung« führe. Im Klartext: Wer nicht auf dem Polizeivideo landen möchte, bleibt besser zu Hause. Angewandt werden sollen auch »automatische Kfz-Kennzeichen-Lesesysteme« und IMSI-Catcher, mit denen Handygespräche von G-8-Gegnern abgehört und deren genauer Standort geortet werden kann.

Das Material der Roten Hilfe kann per E-Mail abgefordert werden: greifswald@rote-hilfe.de

http://www.jungewelt.de/2006/08-21/006.php



Vorbereitung von Herbstaktionen gegen Sozialkahlschlag kommt in Fahrt

Nach dem Beschluß des Deutschen Gewerkschaftsbundes ( DGB ), am 21. Oktober fünf Großdemonstrationen gegen die »Reformpolitik« der Bundesregierung durchzuführen, haben nun auch Sozial- und Erwerbsloseninitiativen mit der Vorbereitung von Herbstaktionen begonnen. Doch während der Koordinierungskreis (Kok) des »Aktionsbündnisses Sozialproteste« (ABSP) auf eine Beteiligung an den DGB-Demos orientiert, die in Dortmund, Frankfurt/Main, Stuttgart, München, und Berlin stattfinden sollen, planen Gruppen aus dem Umfeld der Montagsdemos mit Unterstützung der MLPD für den 16. September erneut einen eigenen Sternmarsch in Berlin. ABSP-Kok-Mitglied Edgar Schu nannte dies am Mittwoch gegenüber jW eine »bewußte und absichtsvolle Aktion zur Spaltung der sozialen Bewegung«. Eine offene Abstimmung über den Sternmarsch habe nicht stattgefunden, so Schu. Deshalb hätten unabhängige Initiativen keinen Einfluß auf Verlauf und Datum dieses Sternmarsches nehmen können. Der »Reformwalze« von Kabinett und Kapital könne man aber nur gemeinsam mit Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Sozialinitiativen, kirchlichen Gruppen und Jugendorganisationen wirkungsvoll entgegentreten. Näheres dazu soll auf einem ABSP-Treffen am 19. August in Braunschweig beschlossen werden.

Daß ein solch gleichberechtigtes Bündnis, anders als bei der Demonstration am 3.April 2004, tatsächlich zustande kommt, dafür stehen die Chancen nicht schlecht, denn inzwischen hat auch DGB-Vizechefin Annelie Buntenbach die Sozialinitiativen für Anfang September zu einem Koordinierungsgespräch eingeladen. Dort soll unter anderem über den Ablauf der Demos und die Redner gesprochen werden. Für eine Dachkampagne, die unterschiedliche Aktionsformen einzelner Gruppen einschließt, hatten sich zuvor Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfe- und Erwerbsloseninitiativen (BAG-SHI) bei einem ersten Vorbereitungstreffen in Frankfurt am Main ausgesprochen. Dort betonte Hans-Jürgen Urban von der Grundsatzkommission der IG Metall, im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Mobilisierung stünden eigene Modelle zu Renten und Gesundheit sowie die Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn und einer stärkeren Besteuerung der Unternehmen. Wie eine armutsfeste Grundsicherung konkret aussehen muß, bewegte hingegen Erwerbslosen- und Sozialinitiativen. DGB-Vize Buntenbach hat nun zugesagt, daß all diese Forderungen Teil der gemeinsamen Kampagne werden.

Eine Veränderung der Protestformen regte unterdessen Peter Grottian vom Berliner Sozialbündnis an. Um eine »gesamtgesellschaftliche Mobilisierung« gegen »menschenrechtlich unzumutbare Not« auszulösen, will Grottian im Vorfeld der DGB-Demos Hungerstreiks organisieren. Breite Bündnisse sollten diese dann unterstützen, was auch »persönliche oder kollektive Arbeitsniederlegungen« mit einschließen könne. Eine weitere Idee kam aus Göttingen: Bei einer Aktion »Erwerbslose fordern den Mindestlohn« sollen sich vom Arbeitslose ihrer Vermittlung in Niedriglohn- und Ein-Euro-Jobs widersetzen. Demgegenüber verlangte Angela Klein Netzwerk Euromärsche eine stärkere Berücksichtigung des Themas Arbeitszeitverkürzung. Gewerkschafter widersprachen dem jedoch, weshalb diese Forderung nun nicht explizit bei den Herbstaktionen auftaucht.

http://www.jungewelt.de/2006/08-10/032.php