IG BAU befürchtet durch Bolkestein-Richtlinie weiteres Lohndumping. Am heutigen Dienstag wird in Strasbourg demonstriert. Ein Gespräch mit Andreas Steppuhn

* Andreas Steppuhn ist Mitglied des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bauen- Agrar-Umwelt (IG BAU) und außerdem Bundestagsabgeordneter der SPD

F: Am Samstag haben in Berlin 40000 Menschen gegen die Verabschiedung der Bolkestein-Richtlinie durch das Europäische Parlament demonstriert. Die IG BAU ruft auch zu der Protestdemonstration auf, die am heutigen Dienstag in Strasbourg stattfindet. Warum sind Sie gegen die Richtlinie?

Im ihrem Entwurf ist das sogenannte Herkunftslandprinzip – wenn auch nicht mehr mit diesem Begriff – verankert, wonach Beschäftigte aus dem Ausland in Deutschland zu den Bedingungen ihres Heimatlandes arbeiten dürften. Das würde einen großflächigen Prozeß des Sozial- und Lohndumpings auslösen.

F: Die EU-Kommission argumentiert, daß dadurch 600000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen könnten.

Das glaube ich nicht. Vielmehr würden sich vorhandene Arbeitsplätze verlagern. Die Probleme, die wir mit Schwarzarbeit und Lohndumping haben, würden sich noch verschärfen.

F: Was wären die Folgen auf den Baustellen?

Nach der Richtlinie könnte eine polnische Firma mit polnischen Arbeitskräften und zu polnischen Arbeitsbedingungen hier auf den Markt gehen. Damit würden Mindestlöhne am Bau keine Rolle mehr spielen. Es wäre aber auch denkbar, daß sich deutsche Bauunternehmer formal im Ausland ansiedeln, um dann hiesige Arbeitnehmer zu den schlechteren Bedingungen des Auslands zu beschäftigen. Damit würden sich die Arbeitsbedingungen in allen Ländern der EU verschlechtern, und bestehende Arbeitsplätze wären gefährdet.

Außerdem müßten Entsendefirmen hiesige Sicherheitsbestimmungen nicht mehr einhalten. Wir hätten keine Kontrolle mehr über das, was auf den Baustellen geschieht, weil unsere Arbeitsschutzbestimmungen nicht mehr greifen würden. Durch schlechteres oder fehlendes Arbeitsmaterial – zum Beispiel im Gerüstbau – wären die Menschen weitgehend ungeschützt. Entfallen würde auch die Pflicht, Schutzhelme und Sicherheitsschuhe zu tragen.

F: Warum hatten Sie auch zu der Demo in Berlin aufgerufen? Sollte da Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden?

Laut Koalitionsvertrag akzeptiert die Bundesregierung den bisherigen Richtlinienentwurf nicht. Jetzt ist es wichtig, daß die Bundesregierung auch in Brüssel eine klare Position bezieht. Auch dafür wollen wir Druck ausüben.

F: Vergangene Woche Mittwoch haben sich Vertreter der sozialdemokratischen und der konservativen EU-Parlamentsfraktionen auf einen Kompromiß zur Richtlinie geeinigt. Das Wort »Herkunftslandprinzip« soll demnach ganz aus der Richtlinie gestrichen werden.

Damit zeigen bisherige Proteste eine erste Wirkung. Allerdings bin ich eher verhalten optimistisch, denn wir müssen uns die Details erst mal genau anschauen. Es kommt ja nicht auf die Streichung einzelner Worte, sondern auf die Sache an. Wir müssen aufpassen, daß sich ähnliche Absichten nun nicht auf andere Weise durchsetzen. Zudem stehen die Parlamentsberatungen ja noch aus. So lange aber keine Entscheidungen in unserem Sinne getroffen sind, bleiben die Demonstrationen wichtig.

F: Kritiker des Kompromisses sagen, daß dieser nichts taugt, weil es damit gravierende Einschnitte in die nationale Gesetzgebung gibt. Regulierungen zur Leiharbeit sollen ganz entfallen.

Für eine abschließende Beurteilung ist es noch zu früh. Ich warte da ab, bis mir ein endgültiger Text vorliegt. Doch die Streichung des Herkunftslandprinzips ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung.

F: Zur Demo in Berlin hatte auch SPD-Vorsitzender Matthias Platzeck aufgerufen. Doch andererseits gibt es sozialdemokratische Europaabgeordnete, wie etwa den Aachener Martin Schulz, die für die Annahme des Richtlinienentwurfs sind. Wie bewerten Sie das?

Die SPD hat als Gesamtpartei eine klare und ablehnende Position zum vorgelegten Richtlinienentwurf bezogen. Daraus entsteht dann auch der Druck auf die Parlamentsfraktion in Strasbourg, wo es noch unterschiedliche Meinungen gibt. Ich leite daraus ab, daß wir diesen Druck noch verstärken müssen, damit Positionen herauskommen, die klar von Arbeitnehmerinteressen ausgehen.

F: Wie viele Mitglieder der IG BAU haben sich am Samstag an der Demo in Berlin beteiligt?

Ich gehe von 20000 Mitgliedern aus. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Demo für unsere Verhältnisse relativ kurzfristig festgelegt wurde und einige Bezirke schon für die heutige Demo in Strasbourg mobilisieren.

http://www.jungewelt.de/2006/02-14/052.php



Hamburger Enquete-Kommission untersucht Möglichkeiten zur Reform der Schulstruktur. GEW will »Schule für alle«. Ein Gespräch mit Klaus Bullan

* Klaus Bullan ist Vorsitzender der GEW in Hamburg

F: Die Hamburger Bürgerschaft hat eine Enquete-Kommission zur Schulstrukturreform eingesetzt. Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) schlägt ein zweigliedriges Schulsystem vor. Wie beurteilen Sie das?

Das bisher dreigliedrige System hat schwere Mängel. Doch wir fürchten, daß nun ausgerechnet die Gesamtschulen wegfallen, die dann mit Haupt- und Realschulen zur Mittelschule zusammengefaßt werden, während die Gymnasien unangetastet bleiben. Das lehnen wir ab, denn die Gesamtschule ist – neben der Grundschule – die einzige allgemeinbildende Schulform, die integrativ ist. Die Hauptschule in Frage zu stellen, war überfällig, denn sie ist in Hamburg Restschule. Sie führt nur noch zehn Prozent der Schüler, wovon Dreiviertel Risikoschüler sind, d.h. Schüler, deren Berufschancen minimal sind.

F: Hat die Gesamtschule nicht versagt?

Schwächen ergeben sich vor allem aus der Konkurrenz zum gegliederten Schulsystem, das auf Selektion gerichtet ist. Aufs Gymnasium gehen überwiegend Kinder aus mittleren oder höheren Schichten, während die übrigen Schulen eher bildungsfernere Schichten erreichen. Ihre volle Wirkung könnte die Gesamtschule erst entfalten, wenn sie die einzige Schulform wäre und damit die Selektion nach der vierten Klasse aufhört.

F: Um welche Inhalte geht es bei der Schulstrukturdebatte?

Es sind unterschiedliche Konzepte, die sich da niederschlagen. Während wir die Integration in heterogene Lerngruppen fordern und Möglichkeiten der individuellen Förderung ausbauen wollen, geht konservative Bildungspolitik von feststehenden und unterschiedlichen Begabungen aus, worauf sich dann die Selektion bezieht. Doch wir sind überzeugt, daß die Entwicklung jedes Schülers viel besser verläuft, wenn die Ausgangssituationen in einer Lerngruppe vielfältig sind. Der Lernerfolg des einzelnen hängt in der Regel nicht von Begabungen, sondern vom sozialen Hintergrund ab. Deshalb ist es unser Ziel, jedem Kind unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft die besten Chancen zu geben. Unser Zukunftsmodell ist die »Schule für alle«, wo Kinder und Jugendliche bis zur zehnten Klasse in einer gemeinsamen Schulform unterrichtet werden, die durch einen mittleren Bildungsabschluß endet. Erst danach ergäbe sich die Trennung in eine Oberstufe mit der Perspektive des Abiturs und/oder der beruflichen Ausbildung.

F: Und wie sollte eine solche Schule konkret aussehen?

Diese Schule wäre eine Ganztagsschule, die durch enge Stadtteilbezüge einen lebendigen Lebens- und Lernraum für alle Schüler schafft. Die Angebote einer Schule dürfen sich nicht nur auf den Unterricht beziehen. Sie müssen zahlreiche weitere Aktivitäten einbeziehen. Wir brauchen mehr Gruppenarbeit und weniger Frontalunterricht. Eigenarbeit und praxisorientierte Projektarbeiten müssen gestärkt werden. Für den Unterricht sollten Beziehungen aus dem Stadtteil und aus der Arbeitswelt stärker genutzt werden. Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Das ist angesagt. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.

F: Welche Auswirkungen für die Unterrichtsgestaltung hätte eine Schule für alle?

Verantwortung könnte nicht länger abgeschoben werden. Wir sind ja Weltmeister im Abschieben. Nirgendwo sonst gibt es so viel Sitzenbleiben, Zurückstellungen und Abschulungen wie in Deutschland. Bildungskarrieren erhalten häufig einen Knick, Kinder werden als Versager beschämt. Klassenarbeiten werden nicht geschrieben, um den Schülern Feedback zu geben, wo sie stehen, sondern um zu selektieren.

http://www.jungewelt.de/2006/02-06/038.php



WASG in Baden-Württemberg rechnet mit einem Wählerpotential von bis zu sieben Prozent. Schwerpunkt des Wahlkampfes sind soziale Fragen. Ein Gespräch mit Bernd Riexinger

* Bernd Riexinger ist Landessprecher der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) in Baden-Württemberg

F: Auf einem Landesparteitag hat die WASG am Wochenende ihre Vorbereitungen auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg am 26. März erörtert. Mit welchen Inhalten wollen Sie in den Wahlkampf ziehen?

Im Mittelpunkt steht der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für soziale Gerechtigkeit. Wir werden uns also mit der Macht der Konzerne auseinandersetzen, die hohe Gewinne machen und zugleich Arbeitsplätze abbauen. Die Verlängerung der Arbeitszeit – ohne Lohnausgleich! – hat diesen Stellenabbau überhaupt erst möglich gemacht. Wir wollen hingegen, daß durch Arbeitszeitverkürzung neue Arbeitsplätze entstehen. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst, wo wir die Arbeitszeitverlängerungen rückgängig machen wollen. Außerdem fordern wir ein öffentliches Investitionsprogramm, so daß soziale und ökologische Dienstleistungen ausgebaut werden können. So kann die Arbeitslosigkeit vor allem unter der Jugend bekämpft werden.

Der zweite Schwerpunkt ist der Kampf gegen die Privatisierungen. Die WASG fordert die Re-Kommunalisierung bereits privatisierter Bereiche der Grundversorgung, was insbesondere die Energieversorgung des Landes betrifft. Öffentliche Daseinsfürsorge darf nicht abgebaut, sondern muß ausgebaut werden.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Bildungspolitik – Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein. Deshalb fordern wir die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems und die Einführung von Ganztags- sowie Gesamtschulen. Kurzfristig könnten Bildungschancen für sozial Schwächere auch durch die Einführung eines 10. Hauptschuljahres und die Integration der Vorschulerziehung in das Bildungssystem erreicht werden. Für die Kinder von Migranten muß es zusätzliche Förderangebote geben. Das heißt, wir setzen überall auf Integration statt auf Ausgrenzung und Selektion, wie es leider das Programm der Landesregierung tut.

F: Es kreist also alles um Arbeit und Bildung?

Das sind unsere Schwerpunkte. Wir haben auf unserem Landesparteitag aber auch umweltpolitische Alternativen entwickelt, wenngleich wir sagen, daß die ökologische von der sozialen Frage nicht zu trennen ist. Damit grenzen wir uns deutlich von den Grünen ab, die reine Mittelstandspolitik machen. Soziale Gerechtigkeit ist unser Leitmotiv auch in der Wohnungspolitik. Wir fordern, daß es wieder sozialen Wohnungsbau geben muß. Zu einem linken Wahlkampf gehören natürlich auch der Antirassismus sowie unser Kampf für Frieden und Abrüstung. Wir greifen z. B. die großen Rüstungskonzerne an, von denen es gerade in Baden-Württemberg viele gibt.

F: Sehen Sie Chancen für einen Einzug in den Landtag?

Wir sind gut verankert und auch inhaltlich gut aufgestellt. Zudem wird unser Wahlkampf von der Linkspartei und anderen linken Kräften, wie etwa der DKP, vorbehaltlos unterstützt. Eine Chance, in den Landtag einzuziehen, ist deshalb vorhanden. Wahlanalysen zeigen, daß unser Potential bei fünf bis sieben Prozent liegt. Andererseits ist ein linker Wahlkampf in Baden-Württemberg auch kein Spaziergang. Das fängt schon mit dem Wahlrecht an, das uns zwingt, in allen 70 Wahlkreisen Direktkandidaten aufzustellen. Trotzdem rechne ich mit einem guten Ergebnis und hoffe, daß wir anschließend im Landtag vertreten sind. Doch selbst wenn das nicht klappt, hat sich ein Wahlkampf gelohnt, in dem wir offensiv für unsere Ziele werben.

F: Würde sich die WASG in Baden-Württemberg an einer Regierung beteiligen?

Nach den Wahlprognosen kann nur durch den Einzug der WASG in den Landtag eine schwarz-gelbe Landesregierung verhindert werden. Doch dann werden die Schwarzen die Grünen in die Landesregierung mit einbeziehen. Wir selber stehen für soziale und linke Opposition. Außerparlamentarisch und auch im Parlament. So sieht es auch die Linkspartei. Die Zusammenarbeit beider Parteien ist bei uns daher auch besser als in Berlin.

http://www.jungewelt.de/2006/01-25/024.php



In Hamburg sollen 2800 ALG-II-Bezieher ihre Miete senken. Ein großer Teil von ihnen wird zwangsweise umziehen müssen. Ein Gespräch mit Wolfgang Joithe

* Wolfgang Joithe ist Gründungsmitglied von »PeNG! Aktive Erwerbslose und Geringverdiener e.V. (i.G.)« in Hamburg

F: In Hamburg hat die Arbeitsgemeinschaft von Arbeitsagentur und Stadt (ARGE) jetzt 2800 Bezieher des Arbeitslosengeldes II (ALG II) aufgefordert, die Mietkosten zu senken. Was passiert, wenn das nicht geschieht?

Dann werden die Zahlungen für die »Kosten der Unterkunft« (KdU) auf das reduziert, was die Sozialbehörde in ihrer KdU-Richtlinie für »angemessen« hält. Für einen Alleinstehenden liegt dieser Betrag bei einer Bruttokaltmiete von 318 Euro.

F: Welche Fristen werden gesetzt?

Die Frist zur Senkung der Mietkosten liegt in Hamburg bei mindestens drei und maximal sechs Monaten. Es soll offiziell erst dann weniger Geld überwiesen werden, wenn der Betreffende nicht nachweisen konnte, daß er sich ausreichend um eine Kostensenkung bemüht hat. Mir liegen aber Fälle vor, in denen die Behörde bereits nach der ersten Aufforderung weniger zahlte, lange vor Ablauf der Frist von sechs Monaten. Im Anschreiben dazu heißt es dann, daß die Zahlung schon mal »vorsorglich« reduziert wurde. Das ist glatter Rechtsbruch.

F: Mario Spitzmüller, Sprecher der größten Hamburger Wohnungsbaugesellschaft SAGA/ GWG, hat behauptet, es sei nicht schwer, eine billigere Wohnung zu finden. 80 Prozent der Wohnungen seiner Firma entsprächen den Hamburger Richtwerten.

Ich habe mit ihm gesprochen und festgestellt, daß die SAGA/GWG von der Kaltmiete ausgeht, während die ARGE aber Kaltmiete plus Betriebskosten meint. Wenn man davon ausgeht, findet man in der Internet-Suchmaschine der SAGA/GWG kaum eine Wohnung, die dem Richtwert von 318 Euro für eine Einzelperson entspricht.

F: Was raten Sie betroffenen Erwerbslosen?

Zunächst muß geprüft werden, ob Ausnahmeregelungen geltend gemacht werden können. Nach der Hamburger KdU-Richtline wären z. B. Maßnahmen zur Senkung der Mietaufwendungen dann nicht zumutbar, wenn der Betroffene älter als 65 oder behindert ist oder schon sehr lange in der Wohnung lebt.

Wenn Betroffene nicht unter solche Ausnahmeregelungen fallen, müssen sie tatsächlich ihre Bemühungen nachweisen. Zuvor sollte man bei der ARGE aber klären, welche Kosten für diese Wohnungssuche übernommen werden, denn die sind im Regelsatz des ALG II nicht enthalten.

Kann dann – und unter zumutbaren Bedingungen – eine solche Wohnung nicht gefunden werden, und es kommt trotzdem zur Kürzung der Mietzuschüsse, sollten Betroffene Widerspruch einlegen. Formlos, denn die Begründung kann nachgereicht werden. Man sollte aber auch eine detaillierte Begründung der ARGE einfordern, warum sie den Mietzuschuß reduziert. Wird der Widerspruch abgelehnt, kann man beim Sozialgericht einen Antrag auf aufschiebende Wirkung der Entscheidung stellen.

F: Nach einer Schätzung des Mieterbundes werden in Hamburg insgesamt 12000 Haushalte von Zwangsumzügen betroffen sein. Bundesweit sind es 200000 Menschen. Wie kann man politisch dagegen Widerstand organisieren?

Wichtig ist, daß sich Erwerbslose selbst organisieren, um für Forderungen wie »Hartz IV muß weg« einzutreten. Erst dann können Bündnisse auch zur Durchsetzung kleinerer Schritte gebildet werden.

Gemeinsam mit Linkspartei.PDS und WASG fordern wir in Hamburg, daß konkrete Abschätzungen zur Mietraumstruktur und zu den verheerenden Auswirkungen der Zwangsumzüge auf die Stadtstruktur veranlaßt werden. Mietobergrenzen sollten sich an den Realmieten in den jeweiligen Stadtteilen orientieren – wir fordern daher die Aussetzung der Zwangsumzüge. Eine noch stärkere Aufspaltung der Stadt in arme und reiche Viertel muß verhindert werden.

http://www.jungewelt.de/2006/01-24/026.php



Europas Hafenarbeiter lassen sich EU-Vorschriften nicht gefallen. Die zwei Gewerkschaftsdachverbände gehen jetzt gemeinsam vor. Ein Gespräch mit Bernt Kamin

* Bernt Kamin ist Betriebsratsvorsitzender der Gesamthafenarbeiter in Hamburg

F: Für den morgigen Mittwoch haben die europäischen Hafenarbeiter massive Streiks angekündigt. Was wollen Sie damit bezwecken?

Der Versuch der Europäischen Kommission, mit Hilfe der Richtlinie »Port Package 2« die sozialen Rechte der Hafenarbeiter zu beschneiden, verdient genau diese Antwort. Es muß jedem Europaabgeordneten klar werden, daß wir diese neue Hafenrichtlinie nicht akzeptieren. Das werden wir auch durch eine Großdemonstration in Strasbourg zum Ausdruck bringen, die am Montag stattfindet.

F: Der Verband der deutschen Reeder hat den Arbeitskampf als rechtswidrig und zudem als wirkungslos bezeichnet.

Wäre ich Unternehmersprecher, würde ich das auch sagen. Tatsache ist aber, daß die Hafenarbeiter mit »Port Package 1« schon den ersten Versuch der EU-Kommission vereitelt haben. Durch diese Richtlinien würden sich unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtern -wir nehmen das nicht hin.

F: Sie kommen gerade von einer Konferenz der europäischen Hafenarbeitergewerkschaften in Le Havre. Was wurde da beschlossen?

Es gibt in Europa zwei Dachverbände der Hafenarbeitergewerkschaften. Zum einen die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF), zu der auch ver.di und die belgische Transportarbeitergewerkschaft gehören. Zum anderen gibt es das »International Dockworker Council« (IDC), dem die großen französischen, spanischen und griechischen Hafenarbeitergewerkschaften angehören. Beide Dachverbände hatten eigene Aktionsplanungen beschlossen – die ETF für den 11. Januar, die IDC für den 16. und 17. Januar.

In Le Havre haben sich jetzt die Vertreter von über 100 europäischen Häfen auf einen gemeinsamen Aktionsplan geeinigt. Das heißt: Wenn wir am Mittwoch z. B. Schiffe in Hamburg oder Bremerhaven blockieren, dann können die Reeder nicht einfach auf andere europäische Häfen ausweichen – sie würden dort ebenfalls blockiert. Außerdem wurde vereinbart, daß die Demonstration in Strasbourg auch durch Gewerkschaften der ETF unterstützt werden, so daß jetzt Hafenarbeiterdelegationen aus ganz Europa teilnehmen werden.

F: Konnten Gewerkschaften, die dem IDC angehören, bisher nicht an gemeinsamen Treffen teilnehmen?

Das ist erst jetzt möglich, weil wir die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten der Dachverbände beiseite geschoben haben und weil die Treffen auf Einladung einzelner Gewerkschaften und nicht der Dachverbände stattfinden. Zum Treffen in Le Havre hatte die französische CGT nicht nur die ETF-Gewerkschaften eingeladen, sondern auch solche aus dem IDC. So konnten erstmals die großen Hafenarbeitergewerkschaften aus Spanien, Portugal, Schweden, Griechenland und Zypern mit einbezogen werden. Die Widersprüche, wie sie aus der Spaltung der Weltgewerkschaftsbewegung in einen eher kommunistisch-linkssozialistischen Teil und in »freie Gewerkschaften« existieren, konnten bei der Planung gemeinsamer Widerstandsaktionen der Hafenarbeiter überwunden werden. Von großer Bedeutung ist es dabei, daß mit Manfred Rosenberg (ver.di) und Julian Garcia von der spanischen Coordinadora auch die führenden Repräsentanten der ETF-Hafenarbeitersektion und der des IDC an dem Treffen teilnahmen. Wenn sich diese Zusammenarbeit verstetigt, wird sich unsere Schlagkraft erheblich erhöhen.

F: Das ist in der Abschlußresolution der Konferenz bereits angedeutet, wo es heißt, daß »inakzeptable Initiativen« der Europäischen Kommission auch künftig gemeinsam bekämpft werden.

Durch regelmäßige Information, gegenseitige Unterstützung und engste Zusammenarbeit sind die europäischen Hafenarbeitergewerkschaften nun tatsächlich die ersten, die auf diese »Europäisierung« oder »Globalisierung« der Angriffe von Politik und Kapital eine wirkungsvolle Antwort durch gemeinsamen außerparlamentarischen Kampf finden. Das ist das strategische Element dieser Konferenz in Le Havre, was uns stärkt und neue Kraft gibt. Sollte das europäische Parlament die Hafenrichtlinie annehmen, dann geht der Tanz erst richtig los. Europaweit werden die Reeder und die Politiker angegriffen, die unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtern wollen.

http://www.jungewelt.de/2006/01-10/021.php



Hamburgs Hafenarbeiter wollen Mehrheitsverkauf der HHLA an die Bahn AG nicht zulassen. Auch längerer Arbeitskampf ist nicht ausgeschlossen. Ein Gespräch mit Gerd Müller

* Gerd Müller ist Mitglied des Gemeinschaftsbetriebsrates der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA)

F: Trotz aller Kritik hält der Hamburger Senat an einem Mehrheitsverkauf der HHLA an die Deutsche Bahn AG fest. Schon im Februar sollen fertige Verträge vorliegen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Als Betriebsrat haben wir uns immer gegen einen Mehrheitsverkauf der HHLA ausgesprochen, gleich an wen. Darüber existieren mit dem Haupteigner, also der Freien und Hansestadt Hamburg, auch Verträge. Die wurden abgeschlossen, als die HHLA vor einigen Jahren in Einzelgesellschaften aufgegliedert wurde. Doch der jetzige CDU-Senat hält sich nicht an diese Verträge und führt nun schon seit dem Frühjahr Geheimverhandlungen über einen Mehrheitsverkauf der HHLA an die Bahn AG, die erst im Dezember bekannt wurden. Einen solchen Verkauf werden wir nicht zulassen.

F: Hamburgs Wirtschaftssenator erhofft sich über den Mehrheitsverkauf Neuinvestitionen in Höhe von 400 Millionen Euro. Außerdem rechnet die Stadt mit dem Umzug der Bahnzentrale von Berlin nach Hamburg, wodurch 1000 neue Arbeitsplätze entstehen sollen.

Diese Arbeitsplätze werden doch zugleich in Berlin vernichtet. Auf eine solche Standortlogik, bei der Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden, werden sich Hamburgs Hafenarbeiter nicht einlassen. Es ist auch falsch, von Neuinvestitionen zu sprechen. Denn diese Investitionen, von denen der Wirtschaftssenator redet, gibt es auf jeden Fall – egal, ob die HHLA nun verkauft wird oder nicht. Sie sind auch schon angeschoben und werden größtenteils aus der HHLA heraus sowie zusätzlich über Kredite finanziert. Diese Investitionen sind nötig, weil die HHLA ein florierendes Unternehmen ist, das im Containerumschlag und im gesamten Arbeitsvolumen ständig wächst. Es sind normale Erweiterungsinvestitionen, für die niemand die Deutsche Bahn AG braucht.

Was eine mehrheitliche Privatisierung für die Beschäftigten heißt, hat schon das Beispiel des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) gezeigt. Ein öffentliches Unternehmen wurde mitsamt seinen Beschäftigten zum Spielball von Finanzinteressen. Auch bei der HHLA könnten Hunderte Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen – allein schon durch Rationalisierungsschübe, die vor allem im Verwaltungs- und Logistikbereich zu befürchten sind. Nicht ausgeschlossen wäre es zudem, daß die Bahn einzelne Filetstücke herausbricht, womit die ökonomische Gesamtstärke der HHLA verloren ginge.

F: Wie wollen Sie sich gegen die Privatisierung wehren?

Nachdem bekannt wurde, daß die HHLA verkauft werden soll, haben Hunderte Kollegen kurz vor Weihnachten mit einem Autokorso demonstriert. Wir haben damit deutlich gezeigt, daß wir eine Mehrheitsprivatisierung der HHLA nicht hinnehmen. Jetzt bereiten wir für den 11. Januar den internationalen Aktionstag der europäischen Hafenarbeiter gegen das »Port Package« vor. Wir planen einen 24-Stunden-Boykott. So wehren wir uns gegen diese neue Hafenrichtlinie, mit der die EU-Kommission Hafendienstleistungen europaweit privatisieren will. Da besteht ein enger Zusammenhang auch zu dem, was der Senat jetzt für die HHLA plant. Am 19. Januar werden wir unsere 3500 Mitarbeiter zur ersten Gesamtpersonalversammlung der HHLA einladen. Natürlich in der Arbeitszeit. Auch damit werden wir ein deutliches Signal setzen.

F: Reichen Signale aus?

Wir werden – nach und nach – weitere Aktionen organisieren, um die öffentliche Debatte im Sinne unserer Interessen zu beeinflussen. Der Senat sollte eigentlich wissen, daß er sich mit der Belegschaft des größten Hamburger Hafenbetriebs anlegt. Wir sind gut organisiert. Wir sind solidarisch und wir sind, wenn es sein muß, auch kampfstark. Zudem sind Hafenarbeiter sehr spontan. Beim Autokorso sind einige Kollegen anschließend gleich zum Rathaus weitergezogen. Daß da eine Bannmeile existiert, die Demonstrationen eigentlich ausschließt, hat sie nicht interessiert.

F: Ist ein längerfristiger Arbeitskampf denkbar?

Bei der jetzigen Stimmung kann ich mir das gut vorstellen.

http://www.jungewelt.de/2006/01-05/022.php



WASG-Landessprecher von NRW kritisiert Lafontaine. Gegen Regierungsbeteiligung, für ein Bündnis mit sozialen Bewegungen. Ein Gespräch mit Wolfgang Zimmermann

* Wolfgang Zimmermann ist Landessprecher der WASG in Nordrhein-Westfalen

F: In einem Interview mit der Berliner Zeitung forderte Oskar Lafontaine, Linkspartei und WASG sollten sich auf Regierungsbeteiligungen im Bund und in den Ländern einstellen. Wie ist Ihre Meinung?

Regierungskoalitionen z. B. mit der SPD sind nur sinnvoll, wenn damit eine Politik im Interesse der Arbeitnehmer, der Rentner und der Erwerbslosen durchgesetzt werden kann. Dafür müßte die SPD ihre Politik um 180 Grad drehen, wofür es nicht die geringsten Anzeichen gibt. Deshalb halte ich diese Debatte für völlig überflüssig.

Wir können eine Mitverantwortung für neoliberale Politik nicht dadurch rechtfertigen, daß ein paar Marginalien durchgesetzt werden. Das hat schon in Berlin nicht funktioniert, wo die SPD-PDS-Landesregierung eine Dimension des Sozialkahlschlags realisiert hat, die ich selbst von einer CDU-Landesregierung nicht erwartet hätte. Immerhin war Berlin auch das erste Bundesland, das aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ausgetreten ist. Wenn Gregor Gysi sagt, daß sich dadurch das Verhältnis zur PDS in der Bundesrepublik normalisiert habe, frage ich mich, was normal daran ist, wenn sich Linke an diesem Kahlschlag im Sozial-, Jugend- und Bildungsbereich beteiligen und zugleich die Privatisierung des öffentlichen Sektors vorantreiben. Linke Politik verliert so jede Glaubwürdigkeit.

F: In einem Thesenpapier hat die Berliner Linkspartei.PDS gerade bekräftigt, daß »linke Umgestaltung« nicht nur Superreiche betreffe, sondern auch »privilegierte Normalos«.

Das ist der Versuch, lohnabhängig Beschäftigte gegen Erwerbslose auszuspielen. Gelingt dies, wird sich die Spirale des Sozialabbaus für alle weiter nach unten drehen. Maßstab für soziale Gerechtigkeit kann doch nicht das allerniedrigste Sozialniveau sein. Dafür hätten wir die WASG nicht gründen müssen. Es ist deshalb irritierend, wenn – neben führenden Politikern der Linkspartei.PDS – nun auch Lafontaine diese Frage der Regierungsbeteiligungen so in den Mittelpunkt rückt. Lafontaine ist schließlich Mitglied der WASG und müßte wissen, daß eine solche Politik mit uns nicht zu machen ist. Im Programm der WASG heißt es eindeutig, daß wir uns an Regierungen nur beteiligen, wenn ein grundlegender Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen möglich wird. Anstatt über solche Regierungsbeteiligungen zu reden, sollten wir diskutieren, wie wir ein Bündnis mit sozialen Bewegungen aufbauen können, um so den Widerstand gegen neoliberale Politik auch auf die Straßen und in die Betriebe zu tragen. Das ist die Diskussion, die jetzt notwendig ist.

F: Angenommen, Sie wohnten in Berlin, würden Sie die Linkspartei.PDS bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus unterstützen?

Wenn sie ihre bisherige Politik fortsetzt? Nein. Trotzdem hätte ich es für besser gehalten, wenn die Berliner WASG zunächst über die Inhalte dieser Politik mit der Linkspartei.PDS diskutiert hätte, bevor sie eine Eigenkandidatur in den Mittelpunkt der Debatten stellt.

F: Darüber soll erst in einer Urabstimmung der Mitglieder entschieden werden, die im Februar stattfindet. Gemeinsame Diskussionsforen mit der Linkspartei.PDS, die im Vorlauf geplant waren, sind von dieser abgesagt worden.

Das Vorziehen der Urabstimmung auf den Februar hat der PDS einen Vorwand geliefert, diesen Diskussionsforen fernzubleiben. Würden sie stattfinden, würde ich hoffen, daß auch immer mehr PDS-Mitglieder überzeugt werden können, daß eine solche Regierungsbeteiligung nicht nur für Berlin schlecht ist, sondern auch für den gesamten bevorstehenden Sammlungsprozeß einer neuen Linken. Aber auch die Eigenkandidatur der WASG würde für diesen linken Formationsprozeß eine gefährliche Situation heraufbeschworen. Deshalb hoffe ich auf Vernunft. Ich will aber auch deutlich sagen, daß administrative Maßnahmen gegen unsere Berliner Landesorganisation vollkommen ausgeschlossen sein sollten.

http://www.jungewelt.de/2005/12-30/019.php



Hamburgs Autonome wollen sich vernetzen. Gemeinsame Demo soll der »revolutionären Linken« Impulse geben. Ein Gespräch mit Frank Krautner*

* Frank Krautner ist aktiv im Hamburger Demo-Bündnis gegen Umstrukturierung, Ausbeutung, Repression und Vertreibung

F: Sie rufen für den 19. November zu einer Demonstration unter dem Titel »Think of a Revolution« auf. Worum geht es?

Es geht um unseren Widerstand gegen die Umstrukturierung unserer Lebensverhältnisse, bei der sich das Leben nur noch der Kapitalverwertungslogik unterordnen soll. Während in Hamburg Luxushotels, Elbphilharmonie, eine neue Messe und die Hafencity gebaut werden, werden zugleich ärmere Menschen von Bildung, Gesundheit, sozialer Teilhabe, ja selbst aus ihren eigenen Wohnquartieren ausgegrenzt. Mit dem Umbau des Wasserturms im Schanzenviertel zum Luxushotel verlieren die Bewohner in dieser Gegend nicht nur ihre Grünfläche – sie werden durch anziehende Mieten und Preise auch aus ihrem eigenen Stadtteil vertrieben. Verdrängt werden außerdem Bettler, Obdachlose, Junkies und Punks, während Hilfeprojekte geschlossen werden.

Mit der Demo wehren wir uns zugleich gegen den Sozial- und Lohnabbau, wie er mit der Agenda 2010 und Hartz IV verbunden ist. Ziel unserer Demo ist gleichzeitig ein Naziladen in der Talstraße, der dort seit Monaten – weitgehend unbehelligt – existiert. Wir wollen unsere Widerstände miteinander verknüpfen.

F: Braucht das nicht auch eine gesellschaftspolitische Perspektive?

Ja, denn die Ursache all dieser Fehlentwicklungen liegt in der kapitalistischen Gesellschaft. Das müssen wir klar und radikal benennen. Unsere Demonstration soll ein Beitrag dazu sein, daß sich auch in Hamburg eine revolutionäre Linke neu konstituiert.

F: Was gab den Anstoß dazu, daß sich mehrere Gruppen auf diese Aktion geeinigt haben?

Der Demo-Aufruf wurde vor allem von Gruppen aus dem autonomen Spektrum unterzeichnet. Da drehte sich in letzter Zeit vieles um den Wasserturm im Schanzenviertel.

Der Widerstand gegen den Umbau des Wasserturms zu einem Luxushotel war für uns ein wichtiger Kristallisationspunkt, um wieder aktiver einzugreifen. Dabei haben wir gelernt, wie wichtig es ist, Kämpfe zu vernetzen. Auch wenn die Gruppen sehr heterogen sind, die unser Demo-Bündnis unterstützen, geht das nur mit einer gemeinsamen politischen Positionierung.

Parallel zur Demo gibt es sechs Veranstaltungen. Darin diskutieren wir einerseits Erscheinungsformen der Repression, der Armut und der Ausgrenzung – angefangen bei den Studentenprotesten über den Wasserturmwiderstand bis hin zur Bewertung von Zwangsarbeit und Schikanen für Erwerbslose. Andererseits befassen wir uns aber auch mit den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen.

F: Demonstrationen des autonomen oder linksradikalen Spektrums werden in Hamburg häufig von einem dichten Polizeispalier begleitet.

Früher war das nur beängstigend. Inzwischen hat sich die Polizeipräsenz so ausgeweitet, daß die Öffentlichkeit oft gar nicht mehr mitbekommt, was das eigentliche Ziel einer solchen Demonstration ist. Genau so war es beim Protest der Studenten gegen die Studiengebühren. Auch das ist Repression, die widerständiges Denken und Handeln verhindern soll. Das werden wir nicht akzeptieren – wir werden uns daher Mühe geben, den 19. November etwas aufzulockern.

* Think of a Revolution! Demo-Beginn: 19.11.2005, 14 Uhr, U-Bahn Feldstraße, Hamburg. Nähere Infos unter: www.regierung-stuerzen.de

http://www.jungewelt.de/2005/11-15/029.php



Betriebsrat der Hamburger Aluminiumswerke prüft rechtliche und politische Möglichkeiten. Werksschließung würde 440 Jobs kosten. Ein Gespräch mit Karl-Heinz Dieck*

* Karl-Heinz Dieck ist Betriebsratsvorsitzender im Hamburger Aluminiumwerk (HAW)

F: An der Schließung Ihres Werks konnte auch der Krisengipfel des Bundeskanzlers mit dem Vorstandsvorsitzenden des norwegischen Aluminiumkonzerns Norsk Hydro, Eivind Reiten, nichts mehr ändern. Haben Sie das erwartet?

Ja, denn die Konzernleitung hatte zuvor schon deutlich gemacht, daß sie am Erhalt unserer Arbeitsplätze kein Interesse hat. Potentielle Käufer, die das Werk fortführen wollten, wurden einfach verprellt. Zudem kam der Gipfel viel zu spät, um noch Einfluß auszuüben. 440 Mitarbeiter werden jetzt entlassen.

F: Hydro begründet die Stillegung mit überhöhten Strompreisen.

Diese Strompreise sind tatsächlich ein Problem. Dabei zeigt sich, wie kurzsichtig die Politik zur Privatisierung der Energieversorger war, die jetzt nur noch nach höchstem Gewinn streben. Produktionsverlagerungen in den Mittleren Osten oder in andere Regionen mit großen Energieressourcen und niedrigen Energiepreisen hatte Hydro-Chef Reiten schon im Mai 2004 angekündigt. Das erklärt aber nicht, warum das profitable Hamburger Werk schon jetzt geschlossen wird, denn eine Produktionsaufnahme in neuen Regionen ist vor 2009 gar nicht möglich. Doch Hydro erhöht mit der Schließung der HAW den politischen Druck, günstigere Strompreise für den Produktionsstandort in Neuss durchzusetzen, wo es um eine Alu-Hütte mit 5 000 Beschäftigten geht. Die HAW sollen also nur geschlossen werden, um noch höhere Gewinne einzufahren.

F: Für Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) ein »verantwortungsloses Handeln«, das dem Geist des Grundgesetzes widerspricht. Haben Sie deshalb die Bürgerschaftsfraktionen aufgefordert, die Enteignung des Hamburger Aluminiumswerks zu überprüfen?

1975 entstanden die HAW durch Übernahme der Reynolds-Aluminiumhütte, für deren Ansiedlung Steuergelder in Höhe von mehreren hundert Millionen DM aufgebracht werden mußten. Jahrelang subventionierte die Stadt den Strompreis. Das Werk hat seitdem rund eine Milliarde Euro Profit abgeworfen. Nun soll es geschlossen werden, obwohl eine wirtschaftliche Produktion fortgeführt werden könnte und sich gleich mehrere Übernahmeinvestoren fanden. Das ist ein klarer Bruch des Grundgesetzes, in dessen Artikel 14 es heißt: Eigentum verpflichtet und soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung wäre also möglich. Nur so könnte das Werk – entweder staatlich oder im Wege anschließender Reprivatisierung – noch fortgeführt werden. Dieses Fortführungsinteresse ist höher zu bewerten, als das Schließungsinteresse von Norsk Hydro.

F: Was müßte für eine Enteignung der HAW geschehen?

In einer Denkschrift hat uns eine Anwaltskanzlei gleich mehrere Enteignungsvarianten aufgeführt. Danach ist eine Enteignung möglich, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Das Hamburger Oberverwaltungsgericht hatte ein derartiges Verfahren erst im Juni dieses Jahres anerkannt. Es ging um die Landebahnerweiterung für das Airbus-Flugzeugwerk in Finkenwerder, für die Grundstücke anliegender Obstbauern und Anrainer benötigt wurden, die aber nicht verkaufen wollten. Um ein Enteignungsverfahren für das Aluminiumwerk durchzuführen, müßte das Hamburger Enteignungsgesetz aber durch die Bürgerschaft erst abgeändert werden, weil es Eingriffe in Anteilsrechte bisher nicht vorsah. Alternativ könnte die Enteignung aber auch direkt in einem Gesetz zum HAW festgelegt werden. Entsprechendes geschah 1964, als es darum ging, den Deichschutz kurzfristig zu gewährleisten. Das wurde vom Bundesverfassungsgericht anerkannt.

F: Was sagen die Politiker zu Ihrer Forderung?

Nach unserer Aufforderung an die Bürgerschaftsfraktionen, die Enteignung zu prüfen, hat sich Wirtschaftssenator Uldall gegen solche Enteignungen ausgesprochen, weil er ausländische Investoren nicht abschrecken möchte. Doch nach dem Krisengipfel beim Bundeskanzler stellt sich mir die Frage, wer dieses Land eigentlich regiert. Sind es Konzernstrategen oder sind es gewählte Politiker? Die Politik muß sich überlegen, wie sie handlungsfähig bleibt. Am Freitag werden wir uns mit unserer Anwaltskanzlei beraten, die uns die Enteignungsvarianten vorgestellt hat. Wir wollen überlegen, wie es uns gelingen kann, für unsere Forderung mehr politische Unterstützung zu erhalten. Auch unsere Gewerkschaft, die IG BCE, wäre da gefordert.

http://www.jungewelt.de/2005/11-10/024.php



Europas Hafenarbeiter bereiten sich auf den Kampf gegen neue Port-Package-Richtlinie vor. Fahrplan für Gegenaktionen vereinbart. Ein Gespräch mit Bernt Kamin

* Bernt Kamin ist Betriebsratsvorsitzender der Gesamthafenarbeiter in Hamburg

F: Im Jahr 2003 scheiterte die Port-Package-Richtlinie zur Deregulierung von Hafendienstleistungen am Widerstand der Hafenarbeiter. Ein Jahr später brachte EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio Port Package II ins Parlament. Wird es jetzt ernst damit?

Als Palacio sich erdreistete, die Richtlinie in leicht verschärfter Form erneut einzubringen, spekulierte sie auf bessere Parlamentsmehrheiten nach den Neuwahlen 2004. Leider konnte die konservative Europäische Volkspartei (EVP) ihren Einfluß tatsächlich ausbauen. Da entgegen ersten Annahmen der neue Verkehrskommissar Jacques Barrot die Richtlinie dann unterstützte, begannen die parlamentarischen Vorarbeiten. Am 22. November wird der Verkehrsausschuß darüber abstimmen, was er dem Parlament empfiehlt. In den Vorberatungen wurde vorgeschlagen, den für uns wichtigen Punkt der Selbstabfertigung durch die Schiffsbesatzungen zu streichen: Das war wegen der damit verbundenen Bedrohung unserer Arbeitsplätze natürlich ein Kristallisationspunkt im Widerstand gegen Port Package I. Die Reeder selbst hatten verdeutlicht, daß ihnen das Risiko zu hoch ist, wenn sich daran erneut internationaler Widerstand der Hafenarbeiter festmacht.

F: Wäre die neue Fassung denn notfalls hinnehmbar?

Auch der verbliebene Entwurf bleibt unakzeptabel. Die Richtlinie zielt darauf ab, die Sozialsysteme in den Häfen zu schleifen. Ein sehr wichtiger Punkt ist dabei: Tritt die Richtlinie in Kraft, müßten bei einem Betreiberwechsel vorhandene Belegschaften nicht mehr übernommen werden. Solche Hafendienstleistungen – also z. B. die eines Containerterminals – müssen künftig in bestimmten Abständen neu ausgeschrieben werden. Einige Großkonzerne versuchen, weltweit die Transportketten in den Griff zu bekommen. Bisherige Hafenbetriebe müßten ihre Belegschaften dann mangels Arbeit entlassen, während die Neubetreiber ihre Mitarbeiter zu schlechteren Bedingungen einstellen. Wobei auch das eine Frage der Kräfteverhältnisse ist.

F: Auf welche Kräfte im Parlament können Sie sich stützen?

Auf die Sozialisten, die Linken und die Grünen. Doch auch andere Abgeordnete fragen sich, warum die Häfen dereguliert werden sollen. Es gibt doch kaum einen anderen ökonomischen Bereich, der so effizient arbeitet wie die Häfen. Mehr als 200 Änderungsanträge zum Richtlinienentwurf sind bereits eingereicht. Die weitestgehenden Anträge zielen darauf ab, die Richtlinie komplett zurückzuziehen. Mitte Januar wird das Parlament voraussichtlich entscheiden, ob es die Richtlinie überhaupt geben soll.

F: Sie kommen gerade von einer Sitzung der Koordinationsgruppe der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF). Wie werden sich die Hafenarbeiter in die Debatte einbringen?

Ohne Gegenstimme haben wir uns darauf verständigt, den Richtlinienentwurf weiter zu bekämpfen. Anschließend haben wir einen Fahrplan für weitere Aktivitäten besprochen. So wie bei Port Package I werden wir alle parlamentarischen Beratungen – beginnend am 22. November – mit Aktionen und Demonstrationen begleiten. Zugleich sollen überall in Europa unsere Kollegen in den Häfen informiert werden. Dabei ist es sehr wichtig, daß die internationale Koordination unserer Aktionen deutlich wird, auch wenn die Aktionsformen variieren. Für den Hamburger Hafen planen wir – während der Arbeitszeit – »Informationsveranstaltungen«. Je nach dem Stand der Parlamentsberatungen werden wir als ETF solche Aktionen weiter eskalieren. Um erfolgreich zu sein, reicht die Überzeugungs- oder Lobbyarbeit im Parlament nicht aus. Da müssen außerparlamentarische Aktivitäten und der Druck der Hafenarbeiter hinzukommen. Wie beim ersten Mal gilt die klare Botschaft: Was immer ihr beschließt, die Hafenarbeiter Europas werden niemals akzeptieren, daß sie durch Billigkräfte ersetzt werden.

http://www.jungewelt.de/2005/10-22/020.php



Kongreß in Hamburg beleuchtet »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«. Und was man daraus lernen kann. Ein Gespräch mit Horst Bethge

* Horst Bethge gehört zu den Organisatoren des Kongresses »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«, der vom 21. bis 23. Oktober in Hamburg stattfindet

F: Ihre im Juli 1989 gegründete »Bürgerinitiative für den Sozialismus« will zur geistigen Auseinandersetzung mit dem real existierenden Kapitalismus beitragen. Warum gibt es gerade jetzt einen Kongreß zu den »Tabus bundesdeutscher Geschichte«?

Als sich im Sommer 1989 unsere Bürgerinitiative auf Betreiben von Eckart Spoo, Arno Klönne, Otto Köhler und anderen zusammenfand, hielten wir es für notwendig, den realen Kapitalismus von links zu analysieren, die Errungenschaften der französischen und deutschen Revolutionen zu verteidigen und die in der deutschen Geschichte immer vorhanden gewesenen Alternativen lebendig zu erhalten. Denn diese enthalten immer auch Möglichkeiten, Konzepte und Erfahrungen für heute. Als sich nach 1990 die kapitalistische BRD wie ein historischer Sieger gebärdete, haben wir die Geschichte der Gewerkschaften, der Sozialdemokraten und der Kommunisten beleuchtet.

Jetzt stehen wir vor einer großen Koalition, womit ein neues Kapitel bundesdeutscher Geschichte eingeleitet wird. Andererseits ist jetzt neu, daß »Links« auch wieder im Westen der Bundesrepublik eine nennenswerte Größe ist, also mehr Verantwortung hat und ein besonderes Interesse an der eigenen Geschichte haben wird. Da kommt ein Kongreß »Tabus der bundesdeutschen Geschichte« gerade recht. Gerade jetzt, wo von der CDU gern auch an Erhards »soziale Marktwirtschaft« erinnert wird und wo Sozialdemokraten erneut von der Verteidigung der Arbeitnehmerrechte reden, nachdem man sie zuvor gerade abgebaut hat, und wo auch die Grünen sich auf demokratische und rechtsstaatliche Traditionen berufen – gerade jetzt muß man doch fragen, auf welche Traditionen man sich da beruft.

F: Also Traditionspflege von links?

Im Gegenteil. Wir wollen Traditionslinien in Frage stellen und aufzeigen, welche Tabus dabei kultiviert werden, während anderes verdrängt und verschwiegen wird. Die Geschichte der BRD ist keine geradlinige Erfolgsgeschichte, wie das den Menschen heute vorgespiegelt wird. Es gab die Viermächtekonferenz in Potsdam. Es gab die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg. Beide wurden bewußt negiert und gebrochen. Die Nazivergangenheit in Justiz und Eliten wurde geleugnet und geschönt. Emigranten waren nicht willkommen. Statt dessen: neue Feindbilder, neue Macht für die Geheimdienste. Doch in all diesen Jahren gab es auch große Gegenbewegungen, gab es auch Alternativen.

F: Was steht im Mittelpunkt der Spurensuche?

Wir setzen unterschiedliche Akzente. Zum Beispiel zur Rolle außerparlamentarischer Bewegungen und Opposition. Oder: Wie kam es, daß Sozialdemokratie und Gewerkschaften antikapitalistische Inhalte vollständig bzw. weitgehend verloren? Das müßte Mitglieder der Linkspartei und der WASG brennend interessieren, denn Skeptiker befürchten ja schon, daß sich da etwas wiederholen könnte. Wir diskutieren aber auch, was Linke in der alten BRD erreichen und bewirken konnten. In Arbeitsgruppen stehen Fragen zur Diskussion, die gerade jetzt von der Linken wieder neu zu beantworten sind, die aber in der Geschichte der Bundesrepublik – auch in ihrer Vor- und Frühgeschichte – eine Rolle spielten: Neuordnung der Wirtschaft, Bildungsreform, Antikommunismus als Staatsdoktrin, die nationale Frage.

F: Das klingt nach einem Kongreß der Westlinken.

Ganz und gar nicht! Die Geschichte der BRD, auch ihre Tabus und Legenden, ist ohne die DDR, ohne den Antikommunismus als Bauplan für die Gesellschaft, nicht erklärbar. Deshalb treffen auf dem Kongreß Wissenschaftler und linke Akteure aus Ost und West, Alte und Junge zusammen. Dabei sind auch Zeitzeugen. Trotzdem ist es kein Geschichtskongreß, sondern es geht um die Frage, was wir daraus für heute lernen.

* »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«, 21. bis 23. Oktober, Universität Hamburg. Infos zum Programm und zur Anmeldung telefonisch über 030-42805228 oder im Internet unter www.vsa-verlag.de

http://www.jungewelt.de/2005/10-20/025.php



Hamburger Hafenarbeiter verhinderten Entladung eines Frachters und setzten Tarifverträge durch. Ein Gespräch mit Jörg Stange

* Jörg Stange ist Inspektor der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) für die norddeutschen Seehäfen

F: Mittwoch früh haben Hamburger Hafenarbeiter damit begonnen, die Entladung des Containerschiffs »Cap Lobos« zu stoppen. Warum?

Der Boykott hat zum Ende der Nachtschicht um 5 Uhr begonnen. Seitdem wurde am Schiff nicht mehr gearbeitet. Zuvor hatten wir den Kapitän gefragt, ob er bereit sei, einen Tarifvertrag zu unterschreiben. Als er es verneinte, weil er dafür keine Vollmachten habe, hat der Boykott begonnen. Erst am Nachmittag waren die Eigner des Frachters bereit, einen Tarifvertrag abzuschließen. Es hat sich mal wieder gezeigt, daß ein Boykott ein wirksames Kampfmittel der Hafenarbeiter ist, um die Seeleute zu unterstützen.

F: Was sind die Folgen für die Seeleute?

Seeleute, die ohne Tarifvertrag arbeiten, sind mit ihren Heuern nicht abgesichert. Gäbe es einen Tarifvertrag, wie er bei der Internationalen Transportarbeiterförderation (ITF) üblich ist, bekäme ein Vollmatrose eine monatliche Heuer von ca. 1 400 US-Dollar. Das ist inklusive Urlaubsgeld und Sonderzahlungen. Doch die Billigreeder zahlen nur 900 bis 1 000 Dollar. Auf Kosten der Besatzungen entsteht so ein Wettbewerbsvorteil. Gleichzeitig werden die Seeleute dieser Billigreeder damit unter Druck gesetzt, sich durch Hafenarbeit etwas hinzuzuverdienen. Dafür gibt es pro Stunde fünf Dollar. Hafenarbeit ist aber Sache der Hafenarbeiter.

F: Das Schiff gehört der Reederei Leonhardt & Blumberg. Chef dieser Reederei ist Frank Leonhardt, der auch Vorsitzender des Verbandes Deutscher Reeder ist.

Die Reederei wollte für keines ihrer 50 Schiffe einen Tarifvertrag unterschreiben. Es ist ein Skandal, wenn ausgerechnet der Chef des deutschen Reederverbandes ein solches Lohndumping betreibt. Zudem ist im konkreten Fall anzumerken, daß die »Cap Lobos« von der »Hamburg-Süd« gechartert wurde. In diesem Chartervertrag ist aber eine Klausel enthalten, daß für die Schiffe ein Tarifvertrag mit der ITF abgeschlossen sein muß.

F: Wie geht es weiter?

Im Schiffahrtsbereich müssen wir Tarifverträge häufig von Schiff zu Schiff durchsetzen, weil sie als einzelne Gesellschaften definiert sind. Doch der Boykott ist ein Mittel, um das durchzusetzen. Schon seit Januar wird von australischen, japanischen und koreanischen Kollegen ein weiteres Schiff von Leonhardt & Blumberg schichtweise boykottiert. Es ist die »NYK Prestige«, die an die Großreederei Nippon Yusen Kaisha (NYK) verchartert ist. Auch für dieses Schiff gibt es jetzt Anzeichen dafür, daß die Reederei einlenkt.

F: Kommt es häufiger vor, daß sich Reeder weigern, Tarifverträge zu unterschreiben?

In letzter Zeit ist es besser geworden. 90 Prozent der Reeder haben Tarifverträge unterschrieben und halten sie auch ein. Allerdings gibt es einige, die sich einerseits dem Risiko eines Boykotts durch ihre Unterschrift entziehen möchten, andererseits dann trotzdem Billiglöhne zahlen. Wenn wir das feststellen, wird es sanktioniert. So lange, bis die betroffenen Seeleute ihre Heuer nachgezahlt bekommen haben.

F: Sehen Sie einen Zusammenhang zum Kampf der Hafenarbeiter gegen die neue EU-Hafenrichtlinie Port Package?

Das Port Package zielt darauf, daß Seeleute auch Hafenarbeit verrichten. Wenn wir die Reeder dazu bewegen, einen ITF-Tarifvertrag zu unterschreiben, unterschreiben sie damit auch eine Klausel, in der sie sich verpflichten, daß ihre Leute keine Hafenarbeit verrichten. Das ist dann auch eine Unterstützung für die Hafenarbeiter. In der nächsten Woche wird übrigens die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) eine Tagung in Strasbourg durchführen, um weitere Aktionen gegen das Port Package zu koordinieren. Wenn sich diese Hafenrichtlinie der EU nicht in entscheidenden Punkten ändert, wird die ETF erneut zu großen Demonstrationen aufrufen.

http://www.jungewelt.de/2005/10-13/021.php



Gespräch mit Moshe Zuckermann über innergesellschaftliche
Spannungen in Israel, Voraussetzungen für eine Lösung des Konflikts mit den Palästinensern und Antisemitismus in Europa

F: Im Dezember hat Israels Ministerpräsident Ariel Scharon ein gutes Jahr für sein Land angekündigt. Er bezog dies auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber auch auf den ökonomischen Bereich. Ist ein Ausweg aus der Wirtschaftskrise erkennbar?

Das ist miteinander verschwistert. Ein Grund für die ökonomische Krise ist die Intifada, ist der israelisch-palästinensische Krieg. Ohne politischen Aufschwung kann es keinen ökonomischen geben. Kommt es zu einer Neubelebung des Friedensprozesses, könnte es sein, daß die Wirtschaft wieder anspringt.

F: Das statistische Amt meldete, daß mehr als eine Million Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Ist die israelische Gesellschaft eine zerrissene Gesellschaft?

Die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft ist seit vielen Jahren durch mehrere Konfliktachsen gekennzeichnet: die jüdisch-arabische, sowohl in Israel als auch in den in den besetzten Gebieten; die Konfliktachse zwischen orientalischen und ashkenasischen Juden; der Konflikt zwischen religiösen und säkularen Juden. Hinzu kommen Klassendiskrepanzen, wobei sich aber ethnische und klassenmäßige Widersprüche überlappen. Ashkenasische Juden sind weitgehend die, die die oberen Schichten der Gesellschaft ausmachen. In den unteren Schichten dominieren orientalische Juden. Darunter sind die Araber. Noch tiefer stehen die 350 000 Gastarbeiter aus Thailand, den Philipinen, Rumänien oder Schwarzafrika. Seit 50 Jahren ist die israelische Gesellschaft mehrfach zersplittert. Ob das zum Tragen kommt, ist immer auch davon abhängig, ob es äußere Konflikte gibt. In Kriegszeiten oder bei größeren Auseinandersetzungen mit der arabischen oder palästinensischen Seite sind die inneren Konflikte weniger sichtbar. In der Tat leben etwa 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der vom Staat selbst gesetzten Armutsgrenze. Darunter viele Araber, Äthiopier, orthodoxe Juden. Vermutlich auch viele der über eine Million in den 90er Jahren zugewanderten russischen Einwanderer.

F: Im Nahost-Konflikt gibt es seit der Wahl von Mahmoud Abbas, besser bekannt als Abu Mazen, zum neuen palästinensischen Präsidenten wieder Hoffnung. Warum entschieden sich die Palästinenser eigentlich für den Wunschkandidaten von Scharon und Georg W. Bush?

Abu Mazen ist von den palästinensischen Wählern mit über 60 Prozent gewählt worden. Das hatte sicherlich mit dem Vakuum nach dem charismatischen Arafat, der aber ausgegrenzt und ausgeschaltet war, zu tun. Gewählt wurde Abu Mazen, weil er die palästinensische Gesellschaft repräsentiert. Wer hätte denn sonst gewählt werden sollen? Die Hamas und der Dschihad tragen die palästinensische Gesellschaft nicht. Das Abu Mazen auch der Wunschkandidat von Bush und Scharon gewesen ist, geht damit einher, daß sich auch die Palästinenser mehr ins Einvernehmen mit Israel und der Hegemonialmacht USA setzen möchten. Die große Frage ist, ob er, ohne dabei die Interessen der Palästinenser zu verraten, die anstehenden politischen Fragen auch mit Scharon aushandeln kann. Das muß man sehen.

F: Ist das nicht auch Ausdruck eines Erschöpfungszustandes in der palästinensischen Gesellschaft?

Das ist zweifelsfrei auch Ausdruck eines Erschöpfungszustandes. Den kann ich auch daran festmachen, was ich von palästinensischen Kollegen hörte, als ich sie fragte, wie sie den Plan von Scharon beurteilen, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen. Dieser Abzug soll ja auch bedeuten, daß man bei der Frage der Westbank freie Hand behält, den Besatzungszustand zu zementieren. Das wäre aber eine Garantie dafür, daß es da nur schlimm aussehen kann. Palästinensische Kollegen aus dem Gazastreifen sagten mir, daß sie derartig die Schnauze voll haben von israelischen Siedlern und Militär und dermaßen ausgepowert sind, daß sie einfach eine Zeit der Ruhe brauchen. Unabhängig davon, ob die Absichten von Scharon nun honorig sind oder nicht, wäre allein schon der Abzug aus dem Gazastreifen positiv. In der Tat ist auch die palästinensische Gesellschaft von Erschöpfung gekennzeichnet. Man redet immer vom Kampf. Aber dieser kostet gesellschaftliche und ökonomische Ressourcen.

F: Nach einer Meinungsumfrage vom Juni 2004 unterstützen 57 Prozent der Palästinenser eine Zwei- Staaten-Lösung, 24 Prozent sehen in der Gründung eines bi-nationalen Staates eine Lösung, nur zwölf Prozent wollen die Schaffung eines islamischen Staates.

Daß die Palästinenser eine Zwei-Staaten-Lösung wollen, ist nichts Neues. Die große Frage ist eher, ob Israel daran interessiert ist und wenn ja, an welcher Zwei-Staaten-Lösung? Wenn die Zwei-Staaten-Lösung bedeutet: Israel zieht sich aus dem Gazastreifen und der Westbank zurück, dann würde der Frieden schon morgen von palästinensischer Seite zu haben sein. Auf der israelischen Seite bei weitem nicht. Für Scharon ist mitnichten abgemacht, daß er die Westbank oder deren größten Teil zurückgeben will.

F: Der Gush-Shalom-Aktivist Uri Avnery schrieb, daß die Chance für die Aussöhnung von Juden und Palästinensern nie größer gewesen sei, als jetzt. Teilen sie diese Einschätzung?

Ja. Dauerhafter Frieden ist aber nur zu erreichen, wenn die israelische Politik bereit ist, vier Bedingungen zu akzeptieren: Abzug aus den besetzten Gebieten, Räumung der Siedlungen, die Lösung der Jerusalem-Frage im Sinne einer Zwei-Staatenlösung, eine zumindest prinzipielle, also symbolische Anerkennung des Rückkehrrechts der Palästinenser. Bei letzterem geht es vor allem um eine symbolische Anerkennung dieses Rückkehrrechts. Darunter wird es sich von den Palästinensern niemand leisten können, einen Frieden mit Israel zu schließen. Ob dies mit Scharon ausgehandelt werden kann, bleibt für mich fraglich. Aber ich lasse mich gern überraschen.

F: Kann die Scharon-Regierung die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen innenpolitisch überhaupt durchhalten?

Der Gazastreifen ist ein Klacks. Das kann durchgehalten werden, wenn man es will. Ich gehe davon aus, daß auch Scharon dies will. Die große Frage ist nicht der Gazastreifen, sondern die Westbank. Das ist der neuralgische Punkt. Im Gazastreifen gibt es 6 000 bis 7 000 jüdische Siedler. In der Westbank sind es 220 000. Wenn es um die Räumung dieser Siedlungen gehen würde, ginge es ans Eingemachte. Da gibt es niemanden in Israel, der das so ohne weiteres durchführen kann. Ich vermute sogar, daß das zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen führen könnte.

F: Aber dann ist doch Gaza eher ein Alibi, um gleichzeitig die Siedlungspolitik in der Westbank nicht nur beizubehalten, sondern sogar noch zu verstärken?

Wenn »Peace Now« jetzt zum Beispiel sagt, daß mit dem Gazastreifen ein Anfang gemacht ist, dann will ich dem nicht widersprechen. Was mit der Westbank wird, müssen wir abwarten. Das ist im Moment nicht aktuell. Im Gegenteil: Es passiert genau das, was Sie in ihrer Frage angezeigt haben.

Prinzipiell ist die Frage eine andere: Will man sich auf einen Friedensprozeß wirklich einlassen? Solche politischen Prozesse halte ich nicht von vornherein für abgeschlossen. Da gibt es viel Dynamik. Ich glaube, daß Israel vor einer historischen Weggabelung steht, und deshalb hat der unilaterale Rückzug aus dem Gazastreifen auch politische Bedeutung. Der Weg zum Frieden führt über die vier Bedingungen, die ich genannt hatte. Das schließt dann natürlich irgendwann das Problem der Westbank ein. Schon jetzt bei der Diskussion um den Gazastreifen gab es in Israel heftige Proteste von rechts außen. Auch das zeigt, was hier in Bewegung kommen könnte. Es ist ein schwieriger Weg. Stellen Sie sich vor: Israel beschließt einen Rückzug aus der Westbank. Für national-religiöse Juden ist das eine nahezu endzeitliche Forderung, bei der sie sagen könnten: »Nur über unsere Leiche«. Damit könnte die Frage eines Bürgerkriegs aufgeworfen sein. Dies wird auch bei Umfragen unter den Siedlern deutlich. Ein Teil würde sich auch mit Gewalt gegen einen Abzug wehren. Tausende Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere unterstützten eine Petition, sich dann Befehlen zu verweigern. Die Gefahr ist vielen bewußt, zumindest ahnen sie diese. Aber was ist, wenn Israel diesen Beschluß nicht faßt? Dann gibt es entweder eine Situation der Apartheid oder es bilden sich – objektiv und längerfristig – binationale Strukturen heraus. Aus rein zionistischer Sicht, ist das die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das ist der reale Zustand, das ist aber auch die historische Weggabelung, von der ich rede.

Im Jahr 1967 hat man den Apfel in den Mund genommen, war weder in der Lage diesen herunterzuschlucken, noch ihn wieder auszuspucken. Man erstickt an ihm im Moment. Es gibt keinen dritten Weg. Vogel-Strauß-Politik führt nicht weiter. Eher dazu, daß das Land weiter von Terror und permanenter Wirtschaftskrise gebeutelt ist. Die große Mehrheit wünscht sich Frieden. Aber der Frieden hat einen Preis. Die Entscheidung steht an.

F: Unter den vier Bedingungen, die Sie genannt hatten, ist doch auch die Forderung nach einem Rückkehrrecht ein sehr neuralgischer Punkt.

In der Tat, denn die Rückkehr würde im wörtlichen Sinne ja nicht bedeuten in einen palästinensischen Staat zurückzukehren. Die Flüchtlinge kommen ja aus dem israelischen Kernland, aus dem sie 1948 vertrieben worden oder geflüchtet sind. Im Rahmen einer Zwei-Staatenlösung wäre die Einwanderung in den palästinensischen Staat möglich, weil es eben der Nationalstaat der Palästinenser wäre. Natürlich wäre das dann auch eine Frage, wie man die Gesellschaft ausbauen kann, die Infrastruktur, die Ökonomie und so weiter. Das Rückkehrrecht nach Israel kann entsprechend begrenzt sein. Darum habe ich von einem symbolischen oder prinzipiellen Recht gesprochen, denn mehr als zum Beispiel 200 000 Menschen wird Israel nicht aufnehmen wollen, denn die israelische Seite will ja den jüdischen Charakter des Staates wahren. Das ist zumindest der Standpunkt des Zionismus, und der wird von der großen Bevölkerungsmehrheit geteilt. Israel ist ein Staat, den die Juden gegründet haben, damit sie einen Nationalstaat haben. Das ist einer der Gründe, warum diese Frage des Rückkehrrechts ein so neuralgischer Punkt ist. Die Frage des Rückkehrrechts ist nicht nur eine Frage der Flüchtlinge, sondern eine, inwieweit sich Palästinenser und Israelis überhaupt auf eine Zwei-Staatenlösung einlassen. Haben sie sich auf eine solche eingelassen, ist die Frage des Rückkehrrechts insofern gelöst, als daß damit ja auch der Staat Israel als ein vornehmlich jüdischer Staat anerkannt wäre, wie auch der der Palästinenser.

Eine ganz andere Frage ist, wie sich dann die großen ökonomischen Probleme gestalten. Ich halte eine Staatsgründung der Palästinenser ohne eine Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung Israel zum Beispiel für nicht denkbar.

F: Geht es längerfristig nicht auch um konföderative Lösungen?

Die Probleme im Nahen Osten sind so gelagert – nehmen sie das Problem der Wasserversorgung –, daß man längerfristig in konföderativen Strukturen denken muß. Das heißt, daß Israel, Jordanien, Syrien und Palästina dann prüfen müssen, wie man gemeinsame Probleme angeht. Das können sie auch als eigenständige Nationalstaaten, die eng kooperieren. Früher oder später wird es dann sowieso zu einer Verflüssigung solcher Grenzen kommen. Ich glaube, daß die Zukunft der Nationalstaaten begrenzt ist.

F: Zu einer anderen Frage. Das US State Department hat eine Studie herausgegeben, die sich mit der Zunahme des Antisemitismus in Europa beschäftigt. Das sei – so die Studie – mit dem Zuzug von Muslimen verbunden. Was halten Sie davon?

Auf eine Studie, die vom State Department ausgeht, würde ich mich nie berufen wollen. Das ist von vornherein ideologisch verdächtig. Warum beschäftigt sich das State Department jetzt mit dem europäischen Antisemitismus und den Muslimen? Das hat doch mit der Politik der USA in der arabischen Welt zu tun, mit dem »Krieg gegen den Terror«. Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus sind drei Paar Schuhe. Israel-Kritik kann betrieben werden, ohne daß man antizionistisch ist. Man kann antizionistisch sein, ohne antisemitisch zu sein. Man kann auch antisemitisch sein, Israel und den Zionismus hassen und die Amerikaner ebenfalls. Umgekehrt ist es möglich, die Amerikaner zu bewundern und trotzdem antisemitisch zu sein. Das eine hängt mit dem anderem nicht zusammen. Von seinen Ursprüngen her, ist der Islam nicht antisemitisch. Der Antisemitismus kommt aus dem Abendland. Antisemitismus im Islam ist erst durch den Konflikt Israel-Palästina relevant geworden. Es gibt in der Tat Formen des Antisemitismus, die mit dem Islam zusammenhängen. Etwa nach folgendem Muster: Der Islam reagiert auf den Westen im antikolonialistischem Sinne. Der Westen wird mit Amerika gleichgesetzt. Amerika wird mit dem Kapitalismus gleichgesetzt. Der Kapitalismus wird mit der Zirkulationssphäre gleichgesetzt. Die Zirkulationssphäre wird schließlich mit dem Juden gleichgesetzt. Die antisemitische Formel entsteht so aus einem Ursprung, der zunächst nur etwas mit dem Ressentiment des Islam gegenüber dem Westen als dem Träger des Kolonialismus zu tun hat. Das jetzt als Regel für den Islam zu setzen, ist aber eher eine Sache, die die ideologischen Bedürfnisse des State Department bedient.

Es gibt in der Tat einen besorgniserregenden Anstieg des Antisemitismus in Europa. Die nach Europa gezogenen Islamisten mögen dabei eine Rolle spielen. Ich glaube, daß dieser Anstieg des Antisemitismus aber eher mit ganz anderen Ursachen zu tun hat. Mit sozialökonomischen Diskrepanzen, mit abgebrochenen Lebenswelten, mit anderen Problemen, die innergesellschaftlich eine Rolle spielen. Ich glaube auch nicht, daß der Antisemitismus heute noch eine größere Rolle für die Juden in der Welt spielt. Womit haben wir es tatsächlich zu tun, wenn wir vom europäischen Antisemitismus reden? Ich glaube, wir haben es mit dem Problem zu tun, daß aus der Verschmelzung von erster, zweiter und dritter Welt in Europa ein zunehmender Fremdenhaß entsteht. Mit dem Zufluß entstehen soziale Spannungen, besonders in den ehemaligen Kolonialländern. Der europäische Rassismus und Faschismus hat eher etwas mit Europa zu tun, als mit dem Zuzug von Islamisten. Warum aber kommen immer mehr Menschen aus der sogenannten dritten Welt in die erste? Das ist ziemlich klar: Weil es nichts zu fressen gibt – und dann suchen sich die Leute eben einen anderen Ort, wo es was gibt.

http://gnn-archiv.staticip.de/archiv/PB/2005/04pb.pdf // Seite 4-6



14. Januar 2005

Die Gewerkschaftslinke muss die Internationalisierung der Gewerkschaften vorantreiben

Dr. Werner Sauerborn (55) ist Gewerkschaftssekretär beim ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg. Als Autor zu Fragen gewerkschaftlicher Politik ist er am Wochenende zum Ratschlag der Gewerkschaftslinken in Stuttgart eingeladen. Andreas Grünwald sprach für ND mit ihm.

ND: Am Wochenende trifft sich die Gewerkschaftslinke. Welche Bilanz ziehen Sie für 2004?

Sauerborn: Das Jahr fing kämpferisch an. Es gab wichtige Höhepunkte: die Massendemos am 3. April, die Streiks bei Opel Bochum und DaimlerChrysler Mettingen. Das Ende des Jahres war dagegen eher deprimierend. Wir müssen überlegen, wie wir Kämpfe besser koordinieren und im Einzelfall besseren Widerstand leisten können. Im Kern hat die Defensivsituation der Gewerkschaften aber strukturelle Gründe. Wir schwanken ständig zwischen Widerstand, Proklamation und Einknicken. Hingegen ist die neoliberale Gegenfront sehr geschlossen und verfügt mit der weltweiten Lohnkostenkonkurrenz und dem Steuersenkungswettbewerb über ein neues Erpressungspotenzial, auf das wir noch keine Antwort gefunden haben.

Auf dem Perspektivenkongress in Berlin wurde das Bündnis mit den sozialen Bewegungen proklamiert. Ist das ein Ausweg?

Das ist sehr wichtig. Wirksame Gegenstrategien erfordern eine Vernetzung aller, die von dieser Politik betroffen sind. Aber auch im Bündnis kommt es darauf an, dass die Gewerkschaften in der Lage sind, ihr eigentliches Potenzial einzubringen: Gegenmacht durch Arbeitskämpfe auszuüben. Bündnisse sind wichtig, aber sie lösen nicht unsere Probleme. Unsere Schwäche hat mit globaler Erpressbarkeit zu tun. Um unsere Krise zu lösen, müssen wir sie zuerst deutlicher registrieren: Das ist kein Schnupfen, das ist eine lebensbedrohliche Erkrankung! Die ökonomische Globalisierung schränkt die Widerstandsfähigkeit der Gewerkschaften dramatisch ein. Weltweiter Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten können wir nur begegnen, wenn sich die Gewerkschaften längerfristig zu Global Unions entwickeln. Beim Opel-Konflikt wurde das deutlich. Dem Standort-Erpressungsversuch hätte die Gewerkschaft eine komplementäre Branchensolidarisierung entgegensetzen müssen. Da stehen sich polnische, schwedische, belgische und deutsche Standorte gegenüber. Nur mit einer grenzüberschreitenden Gegenwehr wäre die Auseinandersetzung zu gewinnen gewesen.

Ist das mit den deutschen Gewerkschaften überhaupt zu machen?

Als Gewerkschaften haben wir zwanzig Jahre Globalisierung verschlafen. Entweder haben wir diese geleugnet, als großen Bluff der Arbeitgeber abgetan, oder mit Unterwerfung reagiert. Zu den Global Unions gibt es langfristig keine Alternative. Nur wenn wir uns auf diesen Weg machen, die ersten Schritte bestimmen, werden wir das Blatt wieder wenden. Ein gutes Beispiel ist die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF). Hier zeigt sich: die Zukunft hat längst begonnen. Die ITF/Maritime Sektion ist ja im Grunde eine globale Seeleutegewerkschaft. Die nationale Tarifpolitik für Seeleute (ötv/ ver.di) war längst anachronistisch geworden. Die ITF hat einen Welttarifvertrag für Seeleute ausgehandelt. Das ist eine aufstrebende Gewerkschaft, mit Mitgliederzuwächsen und zunehmender Handlungsfähigkeit. Das wird aber kaum diskutiert und wahrgenommen.

Was sehen Sie als Aufgaben der Gewerkschaftslinken?

Die Krise der Gewerkschaften ist auch die der Gewerkschaftslinken. Aber die Gewerkschaftslinke ist geradezu dazu berufen, Antworten auf Globalisierungsdruck und Standorterpressung einzufordern und zu entwickeln. Die Gewerkschaften sind das wichtigste, was Arbeitnehmer haben. An ihrer Handlungsfähigkeit hängt die soziale Lage nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Rentner. Als Arbeitnehmer sind wir nicht Kunden der Gewerkschaft, es sind unsere Organisationen und deshalb müssen wir sie uns wieder so herstellen, wie wir sie brauchen.

»(…) Die Apparate sind nicht für sich selbst da. Strategische Antworten müssen gesucht und gefunden werden, auch und gerade durch die Gewerkschaftslinke. Man muss das ja auch noch differenzieren. Im Grunde muss man sagen, dass auch in den Apparaten eigentlich die linken Positionen in den letzten Jahren ganz deutlich an Einfluss gewonnen haben. Viele Linke sind da auch in Schlüsselfunktionen, die aber auch ziemlich ratlos mit dem umgehen, was gerade passiert. Diese Konstellation: Wir sind die Basis und die da oben in den Institutionen sind die rechten Bürokraten, die jede Mobilisierung abwürgen, stimmt so nicht (…)«

Verwendung: Neues Deutschland
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Ver.di-Linke nimmt Stellung zur BAT-Reform

Berno Schuckart gehört zur »Initiative Gewerkschaftslinke« und ist im Hamburger Ver.di-Landesvorstand

Im Öffentlichen Dienst steht die aktuelle Tarifrunde im Zeichen einer allgemeinen Reform des Tarifgefüges und der »leeren Kassen«. Ver.di sollte sich trotzdem weder Nullrunden noch Mehrarbeit aufnötigen lassen und nicht ohne Forderung in die Verhandlungen starten, so die Gewerkschaftslinke.

ND: Frank Bsirske hat in einem Brief an alle ver.di-Spitzenfunktionäre für die Tarifrunde 2005 gefordert, diese ganz im Zeichen der Reform des Bundesangestelltentarifs (BAT) zu sehen. Was bedeutet das?

Schuckart: Seit zwei Jahren gibt es diese Diskussion zur Neugestaltung des BAT. Das hat Einfluss auf 4 bis 5 Millionen Beschäftigte. Aber diese Diskussion wurde bisher nur in kleinen Zirkeln geführt. Außerdem ist die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) nicht mehr an den Modernisierungsverhandlungen beteiligt, weil sie die Vereinbarungen zur Arbeitszeit, zu den Sonderzuwendungen und zum Urlaubsgeld einseitig kündigte. Auch deshalb halten wir konkrete Forderungen zu Gehalt und Arbeitszeit für wichtig.

Der Ver.di-Tarifpolitiker Kurt Martin sagt, dass in der Tarifrunde 2005 zusätzliche Arbeitgeberkosten durch die Tarifrechtsreform berücksichtigt werden müssen.

Die Ausgangsposition der Arbeitgeber lautet Kostenneutralität. Das bedeutet, wenn wir nicht opponieren: Arbeitszeitverlängerung, Nullrunde mindestens 2005, Verschlechterungen bei der BAT-Reform. Wenn wir uns die These von den leeren Kassen im Öffentlichen Dienst kritiklos aneignen, kommen wir keinen Schritt voran. Die Abteilung Wirtschaftspolitik bei ver.di hat doch viele Vorschläge erarbeitet, wie mehr Geld in die öffentlichen Kassen kommen könnte.Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass Frank Bsirske Leistungslöhne und Arbeitszeitverlängerungen für Beamte bereits vereinbart hat.

Nun gut – aber sind offensivere Positionen derzeit durchsetzbar?

Natürlich gab es die Niederlagen der IG Metall. Aber dann müssen wir doch innerhalb unserer eigenen Gewerkschaft diskutieren über das, was die Mitglieder wollen, wie wir uns offensiv aufstellen, wie und ob wir bestimmte Forderungen durchsetzen können.

Was bemängeln sie an der BAT-Konzeption von ver.di?

Zum Beispiel die Einführung eines Arbeitszeitkorridors (ohne Überstundenzuschlag) auf 45 Stunden in der Woche. Die neue Eingruppierungstabelle, die mit 1286 Euro im Westen und 1189 Euro im Osten beginnt. Das liegt weit unter unserer Forderung für einen Mindestlohn von 1400 Euro. Höhere Einstiegsgehälter für Jüngere sollen mit einer Absenkung für Ältere verbunden sein. Natürlich gibt es Bestandsschutz. Aber wird es ein dynamischer Bestandsschutz oder nur ein statischer für den Übergangszeitraum vereinbart? Da gibt es keine klare Aussage.

Welche Forderungen wären für sie adäquat?

Die Gewerkschaftslinke orientiert sich an der IG Metall, die innerhalb des neutralen Verteilungsspielraumes vier Prozent fordert. Das Gebot der Stunde wäre, für kürzere Arbeitszeiten zu kämpfen, zumindest aber doch um den Erhalt des Status Quo. Nach dem 3. April, den Montagsdemonstrationen und dem Perspektivenkongress sollte sich Tarifpolitik politischer gestalten. Wie können wir Arbeitslosigkeit reduzieren? Doch nicht durch Gehaltsverzicht. Wir benötigen eine breite gesellschaftliche Debatte. Das beginnt in der Aufklärung, Mobilisierung und Beteiligung unserer eigenen Basis. Wir brauchen den Dialog mit den sozialen Bewegungen. Aber stattdessen lassen wir uns durch die kommunalen Arbeitgeber unter Druck setzen, wenn diese sagen: Wir verhandeln mit euch nur weiter, wenn ihr Arbeitszeitverlängerungen akzeptiert und auf Lohnforderungen verzichtet. Da sind wir in der Falle. Kaum jemand wird sich für eine solche Tarifrunde mobilisieren lassen. Wir fordern, dass die Tarifkommission am 16. Dezember entsprechend ihren Beschluss korrigiert.

Verwendung (unter Pseudonym): http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=63063&IDC=42&DB=Archiv



jW sprach mit Tina Sanders, Vorsitzende der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ)

F: Sie sind gerade aus Brasilien vom ersten internationalen Vorbereitungstreffen für die nächsten Weltfestspiele der Jugend und StudentInnen zurückgekehrt. Was wurde beschlossen?

Die 16. Weltfestspiele werden vom 5. bis 13. August 2005 in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela, stattfinden. An dem ersten Vorbereitungstreffen nahmen 60 Jugendorganisationen aus fünf Kontinenten teil. Dabei haben wir uns auch schon auf einen gemeinsamen Slogan geeinigt: »Für Frieden und Solidarität, wir kämpfen gegen Imperialismus und Krieg!« In Caracas wird die revolutionäre Jugend Venezuelas mit der fortschrittlichen und demokratischen Jugend aus aller Welt zusammentreffen. Wir haben einen Aufruf verabschiedet, der unterstreicht, daß das Festival seinen antiimperialistischen Charakter beibehält.

F: Vor 1989 fanden die Weltfestspiele zumeist in den Hauptstädten sozialistischer Länder statt, so etwa 1951 und 1973 in der DDR-Hauptstadt. Warum fiel die Wahl jetzt auf Venezuela?

Der Vorschlag, das Festival in Venezuela auszutragen, stammte sowohl vom Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) als auch Jugendorganisationen aus dem Land selbst. In Venezuela findet ein revolutionärer Prozeß statt, der sich gegen die imperialistischen Interessen, vor allem gegen den US-Imperialismus richtet. Die Regierung unter Hugo Chavez hat erhebliche soziale Fortschritte für die Menschen gebracht. Venezuela ist zu einem Ausdruck des Widerstands gegen die imperiale Ausbeutung geworden.

F: Wie ist die Resonanz in Deutschland?

Zunächst ist es an uns, die Einladung nach Caracas publik zu machen. Die Weltfestspiele sind der Ort, an dem sich junge Leute aus allen Teilen der Welt über ihre Kämpfe um soziale und demokratische Rechte austauschen. Erwartet werden 15 000 Jugendliche aus mehr als 150 Ländern. In Deutschland wollen wir ganz gezielt die Gewerkschaftsjugend ansprechen, die sich für eine bessere und qualifizierte Ausbildung einsetzt. Wir müssen klarmachen, daß die Auseinandersetzungen hierzulande auch Thema in Caracas sein werden. Genauso sollen die jüngsten Erfahrungen der Studierendenbewegung in Venezuela eine Rolle spielen. Für den Vorbereitungsprozeß sind natürlich alle Jugendorganisationen eingeladen, die sich dem Aufruf und dem Motto der Weltfestspiele verpflichtet fühlen. Im Spätsommer soll sich ein deutsches Vorbereitungskomitee bilden, das dann die gemeinsame Teilnahme plant.

F: In Venezuela findet noch in diesem Jahr ein Referendum statt, mit dem die rechte Opposition hofft, Hugo Chavez aus dem Amt zu jagen. Was dann?

Nicht nur die Kommunistische Jugend in Venezuela, sondern alle, die sich dort zu einem nationalen Vorbereitungskomitee zusammengeschlossen haben, konnten überzeugend darlegen, daß dieses Referendum keinen Erfolg haben und sich der revolutionäre Prozeß eher noch beschleunigen wird. Andererseits wird ein erneuter Putschversuch, wie zuletzt im April 2002, als reale Gefahr betrachtet. Das Festival ist Teil der notwendigen Solidarität, um dies zu verhindern.

* Infos: www.weltfestspiele.de

http://www.jungewelt.de/2004/06-22/017.php



Ronald Prieß ist Leiter einer Kindertagesstätte im Hamburger Schanzenviertel

* Seit dem 1. August 2003 gilt in Hamburg das bundesweit einmalige Kita-Gutscheinsystem. Eltern erhalten dabei einen Gutschein, auf dem die Leistung und die Anzahl der Betreuungsstunden vermerkt sind, und lösen diesen bei einer Einrichtung ihrer Wahl ein. Jeder Gutschein hat einen pauschalierten Gebäude-, Personal- und Sachkostenwert, auch Entgelt genannt.

F: Erzieher in den Hamburger Kindertagesstätten planen Protestaktionen bis hin zu einem Streik. Wogegen wehren Sie sich?

Ab 1. August werden die Entgelte für Krippenplätze um 30 Prozent gekürzt, was eine Vergrößerung der Gruppen auf 20 Kinder und eine sinkende Betreuungsqualität zur Folge haben wird. Zusätzlich sollen ab Januar 50 Millionen Euro eingespart werden. Für die Träger bleibt nur die Möglichkeit, beim Personal zu sparen. Kleineren Trägern droht die Insolvenz.

F: Auf die Umstellung vom Pflegesatz- auf das Gutscheinsystem hat die SPD mit einem Volksbegehren reagiert. Hat sich seitdem nichts verbessert?

Das Volksbegehren wurde gemeinsam von der SPD und verschiedenen Sozialinitiativen eingeleitet. Nach den Bürgerschaftswahlen im Fühjahr hat die SPD das Volksbegehren ohne Absprache einfach abgeblasen und wieder auf auf eigene Faust Verhandlungen mit der CDU geführt. Das Ergebnis war der Kita-Kompromiß, der ab 2005 eine Erhöhung des Rechtsanspruchs von vier auf fünf Stunden und eine Betreuungsgarantie vorsieht – letztere aber erst ab 1. August 2006. Schon das Gutscheinsystem brachte einen Abbau der Betreuungsstunden in den sozialen Brennpunkten mit sich. Jetzt sollen die mit der Betreuungsgarantie verbundenen Mehrkosten allein durch die Träger aufgefangen werden. Damit rutschen wir noch unter den Stand vor der Einführung des Gutscheinsystems. Ursprünglich sollten die Mehrkosten aus anderen Bereichen des Haushalts finanziert werden.

F: Streben Sie ein neues Bündnis mit der SPD an?

Wir werden uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen. Wir wollen ein breites Bildungsbündnis auf die Beine stellen: mit Schülern und Lehrern, Auszubildenden und Studierenden. Wenn andere mitziehen, auch Parteien, dann ist das in Ordnung.

F: Ist es Ihnen mit Ihrer Streikdrohung wirklich ernst?

Es geht ja nicht nur um Entgeltkürzungen, hinzu kommen die beabsichtigte Kürzung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes und eine geplante Arbeitszeitverlängerung auf bis zu 42 Stunden. Am 23. Juni wollen wir auf unserer nächsten Versammlung eine erste Aktion beraten. Ende August sollen Betriebsversammlungen in Verbindung mit einer Großdemonstration stattfinden. An diesem Tag werden die Hamburger Kitas bis maximal 14 Uhr geschlossen bleiben. Wir wollen die Intensität unserer Aktionen allmählich steigern. Auf unsere letzten Versammlung haben etliche Kolleginnen und Kollegen längere Arbeitsniederlegungen gefordert. Im Rahmen der tariflichen Auseinandersetzungen ist auch ein stadtweiter Streik möglich.

http://www.jungewelt.de/2004/06-15/015.php