18. Mai 2007
Neuer Dokumentarfilm über Opfer des SS-Massakers von Distomo: Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Ein Gespräch mit Argyris Sfountouris
Argyris Sfountouris hat als Vierjähriger im Juni 1944 das SS-Massaker im griechischen Distomo überlebt
In Berlin, Hamburg, Hannover und München fanden in dieser Woche Premiereveranstaltungen für den von Stefan Haupt gedrehten Schweizer Dokumentarfilm »Ein Lied für Argyris« statt. Der Film, in dem ihre eigene Lebensgeschichte dokument wird, soll dann noch in 50 weiteren Städten gezeigt werden. Was löst das bei ihnen aus, wenn Sie so immer wieder an das Massaker erinnert werden?
Tiefe Erschütterung, denn dieses Massaker war so schrecklich, daß es mein ganzes Leben geprägt hat. In weniger als zwei Stunden wurden 218 Einwohner unseres Dorfes ermordet. Bestialisch gequält. Die SS-Soldaten waren so verroht, dass sie auch schwangeren Frauen die Bäuche aufschnitten und Kinder mit ihren Stiefeln traktierten, bis sie tot waren.
Der Befehlshaber dieser SS-Einheit, Hauptsturmführer Fritz Lautenbach, behauptete später, es habe aus dem Dorf heraus Partisanenangriffe gegeben.
Das war eine Lüge. Denn tatsächlich war an diesem Tag nicht diese, sondern eine andere Einheit der SS in solche Partisanenkämpfe verwickelt. In Distomo gab es keine Partisanen.
Sind die Täter je zur Rechenschaft gezogen worden?
Alle Untersuchungen in Deutschland verliefen im Sande. Es gab nicht mal Gerichtsverhandlungen.
Sie haben damals Ihre Eltern verloren. Als Sie 1995 beim deutschen Botschafter in Athen nach einer Entschädigung fragten, hieß es, dies sei eine »Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung« gewesen. Eine Entschädigung dafür sei nicht vorgesehen.
Das hat mich wütend gemacht, denn es beruhte auf den Lügen von Lautenbach. Doch schon im Juli 1944 hat es einen Bericht der Geheimen Feldpolizei gegeben, der dies aufdeckte. Lautenbach wurde dann auch strafversetzt. Doch Deutschland tut noch immer so, als sei das nicht bekannt.
Ab 1995 haben Sie dann in Deutschland auf Entschädigung geklagt. Doch Ihre Klagen wurden schließlich sowohl vom Bundesgerichtshof (BGH) als auch vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.
Beim BGH mit der Bemerkung, es könne nicht Unrecht sein, was 1944 Recht gewesen ist. Filbinger mußte dafür gehen, doch in der Rechtssprechung gilt das noch immer.
In Griechenland gab es eine Sammelklage von Einwohnern von Distomo. Was wurde dort entschieden?
Wir erhielten recht, und Deutschland wurde zur Zahlung einer Entschädigungsleistung von 30 Millionen Euro verpflichtet. Doch als die dann bei deutschen Einrichtungen vollstreckt werden sollte, berief sich die Bundesrepublik auf die Staatsimmunität, und die griechische Regierung untersagte die Vollstreckungen.
Gegen die Urteile in Deutschland haben wir inzwischen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Und was das griechische Urteil betrifft, so ist es zwar nun in Griechenland nicht vollstreckbar. Doch dies heißt nicht, daß es nicht in anderen EU-Ländern vollstreckbar wäre. In Italien konnte jetzt eine erste entsprechende Anordnung auf der Basis des griechischen Urteils bereits in zweiter Instanz durchgesetzt werden.
Denken Sie, daß der Film den Druck auf die deutsche Politik erhöhen könnte?
Ich hoffe es, denn in dem Film wird auch gezeigt, wie ich dann in ein Waisenhaus nach Piräus kam. Dort traf ich auf Tausende Kinder, denen es anderenorts ähnlich ergangen war. Das ganze Ausmaß der Verbrechen wird dadurch deutlich.
Sie selber wurden dann 1948 vom Roten Kreuz in ein Schweizer Kinderdorf geschickt. Dort in der Schweiz wurden sie später sehr bekannt, weil sie griechische Poeten ins Deutsche übertrugen. Sie galten als ein Mittler der Kulturen. Doch nach dem Obristenputsch von 1967 wurde sie erneut heimatlos. Auch die Schweiz stellte sich mit ihrem Einbürgerungsantrag schwer.
Die brauchten dafür 52 Monate. Denn wegen meiner Beteiligung an Solidaritätsaktionen gegen die Putschisten, war ich nun auch den Schweizer Behörden nicht mehr geheuer.
Nicht geheuer waren Sie auch den deutschen Politikern, die sich schon 1995 weigerten, an einer von Ihnen organisierten »Tagung für den Frieden« aus Anlaß des 50. Jahrestages des Massakers teilzunehmen.
Im Film wird dazu der deutsche Botschafter in Athen interviewt. Er sagte, man habe nicht auf der Anklagebank sitzen wollen. Wir aber hatten die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Inzwischen ist klar: Sie sind nur deshalb nicht gekommen, weil sie Angst vor Entschädigungsforderungen hatten. Doch wer sich so aus den Konsequenzen der eigenen Geschichte stiehlt, wird aus ihr nichts lernen. Ich hoffe deshalb, daß viele Menschen den Dokumentarfilm sehen.
»Ein Lied für Argyris«, Schweiz 2006, 105 Min. Der Film läuft in Hamburg noch bis Anfang Juni im Zeise-Kino, im Kino 3001 und im Koralle-Kino. In Berlin wird er im Filmtheater Hackesche Höfe, im fsk, im Thalia und im Filmkunst 66 gezeigt. Weitere Infos über den Filmverleih bei www.salzgeber.de
Verwendung (vollständig) bei: 0815-info.de
Verwendung (zum Teil) in: Junge Welt
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15. Mai 2007
Das Ziel »Sieben plus x« wurde mit 8,4 Prozent für Die Linke weit übertroffen. Ein Gespräch mit Inga Nitz
Inga Nitz ist Landessprecherin der Linkspartei Bremen und wird nach der erfolgreichen Landesparlamentswahl vom vierten Listenplatz aus in die Bremer Bürgerschaft einziehen.
Kaum mehr als vier Prozent bei den letzten Umfragen 8,4 Prozent für Die Linke am Wahlabend. Wie erklären Sie sich die gewaltige Diskrepanz?
Es ist schon auffällig, daß uns ausgerechnet die allerletzte Erhebung vor dem Wahltag unter fünf Prozent gesehen hat und alle vorangegangenen deutlich darüber. Aber ganz egal, wie so etwas zustande kommt, die Wählerinnen und Wähler haben bewußt ihr Kreuz bei Der Linken gemacht. Die Bürgerinnen und Bürger in Bremen und Bremerhaven haben uns an unseren politischen Inhalten gemessen und so zu diesem großartigen Erfolg verholfen. Wir haben nicht nur unser Ziel, sieben Prozent plus x, grandios gemeistert. Der erste Einzug der Linken in ein westdeutsches Landesparlament ist sogar von historischer Bedeutung. Spätestens seit Sonntag ist Die Linke auch im Westen angekommen. Wir sprechen deshalb auch ganz ohne falsche Bescheidenheit vom »Wunder von Bremen«.
Was war Ihr Erfolgsrezept?
Die strikte Orientierung auf die soziale Gerechtigkeit. Die Bürger sind es leid, daß die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wächst, immer mehr Menschen arbeitslos werden, daß bei staatlichen Aufgaben gekürzt wird und die Regierenden Unsummen in irrwitzige Prestigeprojekte pumpen. Die Linke steht hier für eine klare Alternative: Wir wollen eine Gemeinschaftsschule, in der jedes Kind gleiche Bildungschancen hat, wir wollen keine privatisierten Krankenhäuser oder Wohnungsbaugesellschaften, wir fordern ein Sozialticket für den öffentlichen Nahverkehr und die Umwandlung von Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Welche Lehre sollte Die Linke bundesweit aus der Bremer Erfolgsgeschichte ziehen?
Unser Triumph wird natürlich auch in andere Bundesländer ausstrahlen, speziell auf die im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg. Die Menschen in Westdeutschland können dann ab sofort voller Stolz sagen, daß sie die erste wirkliche gesamtdeutsche Partei wählen.
Bedeutet der Erfolg nicht vor allem: Opposition heißt siegen, mitregieren heißt verlieren?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Unser Auftrag wird sein, Unruhe und Transparenz in die Bremische Bürgerschaft zu tragen. Natürlich wird die Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Berlin auch in Bremen kritisch begleitet. Dennoch ist die Konstellation dort eine ganz andere als hier. Der Politikansatz von SPD, CDU und Grünen ist von dem unsrigen so weit entfernt, daß sich die Frage nach einer Regierungsbeteiligung für uns derzeit nicht stellt. Wir arbeiten selbstverständlich mit Kräften zusammen, die sich beispielsweise für ein Sozialticket oder gegen die Privatisierung von Kliniken einsetzen.
Aber wurde nicht gerade die konsequente Absage an eine Regierungsbeteiligung vom Wähler honoriert?
Wir haben im Wahlkampf klipp und klar gesagt, daß es Die Linke nur in der Opposition geben wird. Das heißt aber nicht, daß wir politisch wirkungslos wären. Wahlkampfheucheleien für einen gesetzlichen Mindestlohn à la Böhrnsen (SPD, Bürgermeister, jW) wurden abgelehnt. Vielmehr sollen auch Pförtner im Rathaus ordentlich bezahlt werden. Soziale Gerechtigkeit ist kein Wahlkampfknüller, sondern sollte immer Leitbild im Alltag unserer Politik sein. Der Druck von links hinterläßt also bereits Spuren. Allerdings glauben wir nicht, daß die »soziale Ader« der Regierungsparteien mehr ist als Wahlkampfrhetorik. Wir werden die SPD an ihre Versprechen erinnern.
Was planen Sie beim Thema Mindestlohn an Initiativen in der Bürgerschaft?
Natürlich werden wir alle möglichen parlamentarischen Mittel zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns einsetzen und dabei der SPD ihre beabsichtigte Bundesratsinitiative ins Gedächtnis rufen.
Sehen Sie noch Chancen, die Krankenhausprivatisierung auf parlamentarischer Bühne zu verhindern?
Die Linke steht fest an der Seite des Konzernbetriebsrats der »Gesundheit Nord« gegen die Privatisierung der städtischen Kliniken und gegen Arbeitsplatzabbau im Gesundheitswesen.
[Dieses Interview wurde von meinem jW-Kollegen Ralf Wurzbacher geführt.]
Verwendung: Junge Welt
Dieses Interview ist zugleich Bestandteil einer Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 15.05.07. Lesen Sie daher auch die Artikel Überraschender Erfolg und Denkzettel. Wer mit wem?
Die gesamte Schwerpunktseite vom 15. Mai können Sie außerdem hier als PDF-Datei herunterladen.
12. Mai 2007
Die LINKE könnte am Sonntag bei der Bürgerschaftswahl in das erste westdeutsche Landesparlament einziehen. Ein Gespräch mit Peter Erlanson
Peter Erlanson ist Krankenpfleger und Spitzenkandidat der LINKEN bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen
Am Sonntag wird gewählt. Umfragen sehen ihre Partei bei 4,5 Prozent. Wird das eine Zitterpartie?
Wir sind guten Mutes, in die Bürgerschaft einzuziehen. Denn bei den Bundestagswahlen erreichten wir aus dem Stand 8,4 Prozent. Zwar sind die Bundestagswahlen mit Landtagswahlen nicht völlig vergleichbar, doch das Ergebnis hat zumindest gezeigt, wie groß das Potential für linke Politik ist.
Daß sich ein Rechter auf Ihre Bürgerschaftsliste für Bremerhaven eingeschlichen hat könnte das nun zum Stolperstein werden?
Ich will das nicht überbewerten, denn daß der Mann in die Bürgerschaft zieht, ist äußerst unwahrscheinlich. Dafür müßten wir in Bremerhaven auf zehn bis 15 Prozent kommen. Sollte dies aber doch der Fall sein und würde er dann das erschlichene Mandat nicht zurückgeben, dann würden wir ihn sofort aus unserer Fraktion ausschließen. Im übrigen sind wir der Presse dankbar, das aufgedeckt zu haben.
Besser wäre es, Sie hätten es selbst und vor der Nominierung bemerkt. Was sagen Sie nun den 2 000 Menschen, die noch am letzten Sonntag gegen den drohenden Einzug der DVU in die Stadtverordnetenversammlung von Bremerhaven demonstriert haben?
Daß uns der Mann belogen hat. Denn wie jeder andere wurde er vor seiner Wahl ausführlich zu seinen Positionen und zu seiner Biografie befragt. Ich muß aber eingestehen, daß dieser Fehler auch deshalb passierte, weil wir uns selbst als neue Kraft erst mal zusammenraufen mußten. Das hat er ausgenutzt.
Was wollen Sie in der Bürgerschaft? Die Haushaltslage ist in Bremen so schlecht, daß es selbst der LINKEN schwer fallen dürfte, finanzierbare sozialpolitische Alternativen vorzuschlagen.
Einige der uns bedrückenden Fragen können nur auf Bundesebene gelöst werden. Vieles ist aber hausgemacht. Zum Beispiel dieses Haushaltsanierungsprogramm, das seit zwölf Jahren läuft. Das war nichts anderes als Umverteilung von unten nach oben. Und während so die Ausgaben für Bildung, Soziales und Arbeit immer weiter gesenkt wurden, flossen Hunderte Millionen Euro in Prestigeprojekte, wie etwa den Space-Park, die Galopprennbahn oder das Musical-Haus. Das umzusteuern, werden wir in der Bürgerschaft fordern.
Experten sagen, daß die Verschuldung Bremens inzwischen so hoch ist, daß sie ohne Erhöhung der Gebühren, Steuern und Abgaben kaum beherrschbar ist.
Auch wir sind für höhere Einnahmen. Die Frage ist nur: Wie und durch wen? Steuergerechtigkeit bedeutet für uns, daß auch die Reichen zahlen müssen. Denn in kaum einer anderen Stadt gibt es so viele Millionäre wie in Bremen. Deshalb fordert die LINKE die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Geprüft werden muß auch, wie das Steueraufkommen verrechnet wird. Es kann nicht sein, daß Leute, die in Bremen arbeiten, ihre Lohnsteuer außerhalb der Stadtgrenzen verrechnen.
Zusätzliche Einnahmen erhofft sich der SPD-CDU-Senat durch eine Teilprivatisierung der Kliniken.
Das ist nicht anderes als Diebstahl öffentlichen Eigentums! Wie Kliniken zu finanzieren sind, das ist im Krankenhausfinanzierungsgesetz klar geregelt. Für das operative Geschäft sind die Krankenkassen zuständig. Für Investitionen das Land oder die Kommune. Fehlt es dafür an Geld, müßten notfalls Kredite aufgenommen werden.
Angenommen, es ergibt sich die Chance, die große Koalition zu beenden. Wie würde die LINKE das unterstützen?
Sicherlich nicht durch eine Regierungsbeteiligung. Die Programme der anderen Parteien sind mit unseren Vorstellungen nicht vereinbar. Druck für Veränderungen wollen wir als Opposition entwickeln. Eine andere Lage bestünde dann, wenn sich SPD und Grüne unseren eigenen Vorstellungen anpassen.
Beim Mindestlohn scheint dies der Fall zu sein. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hat dazu jetzt sogar eine Kampagne gestartet.
So lange die SPD unsere eigenen Anträge im Bundestag, einen solchen Mindestlohn einzurichten, fast geschlossen ablehnt, ist das doch nichts anderes als Wahlkampfgetöse. Ohne irgendeine Konsequenz will sich Böhrnsen so nur profilieren und uns die Stimmen nehmen.
Verwendung: Junge Welt
Dieses Interview ist ein Teilschwerpunktseite in der Jungen Welt. Lesen Sie hierzu auch den Artikel Bremer Sprungschanze.
Die gesamte Schwerpunktseite in der Jungen Welt vom 12. Mai können Sie außerdem hier als PDF-Datei downloaden.
07. Mai 2007
Härtefallregelung für Arbeitserlaubnis gilt nicht für alle Nachfahren von Opfern des Faschismus. Ein Gespräch mit Jan Sürig
Jan Sürig ist Rechtsanwalt in Bremen
Sie vertreten Zuwanderer der Sinti und Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, die darauf klagen, als Nachfahren von Opfern des deutschen Faschismus anerkannt zu werden. Warum ist das so wichtig?
Meine Mandanten wollen eine Arbeitserlaubnis ohne Vorrangprüfung erhalten. Mit einer Vorrangprüfung kontrolliert die Bundesagentur für Arbeit, ob ein Beschäftigungsangebot von einem Deutschen oder von Zuwanderern aus der Europäischen Union angenommen werden kann. Erst wenn dies nicht der Fall ist, erhält ein geduldeter Zuwanderer eine Arbeitserlaubnis. In der Dienstanweisung zu dieser Beschäftigungsverfahrensverordnung sind aber auch Härtefälle definiert. Jüdische Zuwanderer erhalten demnach eine solche Arbeitserlaubnis ohne die Vorrangprüfung.
Das ist auch in Ordnung, denn die Bundesrepublik Deutschland ist Rechtsnachfolgerin des »Dritten Reiches«. Wenn sie den Enkeln der NS-Verfolgten nun diese kleine Anerkennung zollt, bekennt sie sich damit zu ihrer historischen Verantwortung. Doch nicht nur die Juden, sondern auch die Sinti und Roma, wurden von den Schergen des NS-Regimes verfolgt. Auch ihre Nachkommen wollen deshalb »in den Genuß« dieser Härtefallregelung kommen. Das ist wichtig, denn in sämtlichen Rechtsverfahren, bei denen es um Aufenthaltserlaubnisse geht, wird den Betroffenen immer wieder vorgehalten, ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Arbeit zu sichern.
Die Dienstanweisung benennt aber ausdrücklich nur die jüdischen Zuwanderer?
Das ist richtig. Doch aus dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes ergibt sich auch, daß niemand nur wegen seiner Herkunft benachteiligt oder diskriminiert werden darf. Eine Ungleichbehandlung ist nur zulässig, wenn es sachliche Gründe gibt. Bezüglich der Verfolgung von Sinti und Roma durch die Nazis ist ein solcher Grund nicht erkennbar. In dem jetzt verhandelten Fall geht es um eine Roma, die 1999 aus dem Kosovo nach Bremen kam. Es ist nicht nachvollziehbar, daß ihr die Ausländerbehörde die Härtefallregelung verweigert.
Mit welcher Begründung wurde der Antrag dann aber abgelehnt?
Mit der Begründung, daß diese Härtefallregelung nur sehr eng auszulegen sei. Sie beziehe sich eben nur auf die Juden, hieß es.
Dagegen haben Sie Widerspruch bei Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) eingelegt. Doch auch der Senator hat Ihrem Antrag schließlich widersprochen. Wie begründete er seine Entscheidung?
Er meint, daß die Bildung einer Analogie zugunsten der Roma »willkürlich und abwegig« gewesen sei. Das finde ich empörend, denn mit dieser Formulierung wird das erlittene Unrecht der Sinti und Roma nachträglich einfach geleugnet. Der Beamte, der das bearbeitet hat, hat bezüglich seiner Wortwahl wohl nicht nachgedacht. Doch passiert so etwas nur dann, wenn einem das Unrecht dieser Verfolgung überhaupt nicht bewußt ist. Als Anwalt erlebe ich häufig, wie geduldete Ausländer durch die Behörden diskriminiert werden. Doch eine solche Formulierung, hätte selbst ich nicht erwartet.
Sehen Sie besondere Gründe, warum die Verfolgung der Sinti und Roma nur am Rande wahrgenommen oder wie jetzt in Bremen sogar geleugnet wird?
Die Roma und Sinti haben keine Lobby. Dazu kommt der insgesamt unsensible Umgang mit der eigenen Geschichte. Vielfach ist das bis heute von starker Verdrängung, aber auch von Diskriminierung geprägt. Gegen den Bescheid des Innensenators haben wir deshalb nun eine Klage beim Bremer Verwaltungsgericht eingereicht. Ähnliche Klagen sind in Oldenburg anhängig.
Ein Sprecher des Bremer Stadtamtes hat darauf verwiesen, daß die politische und rechtliche Verantwortung nicht in Bremen, sondern beim Gesetzgeber, also beim Bund liegt.
Das ist falsch, denn in Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes wird festgestellt, daß die beschriebenen Grundrechte nicht nur für die gesetzgebende, sondern auch für die vollziehende Gewalt, und auf allen staatlichen Ebenen, verbindlich sind. Auch der Innensenator wäre deshalb zur Einhaltung dieser Grundrechte verpflichtet gewesen.
Verwendung: Junge Welt
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12. April 2007
»Grüne Friedensinitiative« will durchsetzen, daß in der ehemaligen Antikriegspartei wieder über Friedenspolitik diskutiert wird. Ein Gespräch mit Wilhelm Achelpöhler
Der Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler ist Sprecher des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen in Münster
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat den Ostermarschierern Schwarzweißmalerei vorgeworfen. Das Militärische würde durch die Friedensbewegung zu pauschal abgelehnt, hieß es. Einige Grünen-Politiker haben deshalb am Ostermontag die »Grüne Friedensinitiative« (GFI) gegründet. Was ist deren Ziel?
Wir wollen die Debatte um friedenspolitische Alternativen wieder voranbringen, denn in der Friedensbewegung liegen die Wurzeln unserer Partei. Dafür stehen ja auch Namen, wie etwa Petra Kelly. Dafür steht aber auch unser jahrelanger Kampf gegen die Nachrüstung und für Abrüstungsinitiativen. Wenn Claudia Roth diese Traditionen jetzt negiert, so verdeutlicht das eine unheilvolle Entwicklung in unserer Partei. Als GFI betonen wir hingegen: Wir stehen in der Tradition dieser Ostermärsche. Wir sind gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wir wollen, daß auch bei den Grünen wieder mehr über Friedenspolitik diskutiert wird.
Sie sind Mitglied einer Partei, die nicht nur den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien, sondern auch den ebenso völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatz in Afghanistan gebilligt hat. Auf dem Rostocker Parteitag im November 2001 stimmten 80 Prozent aller Delegierten dem Militäreinsatz in Afghanistan zu. Das ist doch kaum noch zu wenden?
Kurzfristig nicht. Ob es langfristig möglich ist, weiß ich nicht. Ein wichtiger Unterschied zu den 80ern besteht ja darin, daß sich die weltpolitischen Konstellationen grundlegend verändert haben. Heute geht es auch um die Außenpolitik Deutschlands. In den 80er Jahren kritisierten wir die Politik der USA und des Warschauer Paktes. Die Kritik an der eigenen Außenpolitik ist aber deshalb sehr schwierig, weil dies mit einer Denkblockade verbunden ist. Es wird gesagt, daß nur diejenigen regierungsfähig sind, die diese Militäreinsätze der NATO billigen. Das ist ein sehr merkwürdiges Verständnis unserer parlamentarischen Demokratie. Denn im Grunde wird damit gesagt, daß es zwar Wahlen gibt, daß sich an der Politik, zumindest an der Außenpolitik, aber nichts verändern darf.
Sie haben sich eine große Aufgabe gestellt, denn alle Umfragen zeigen, daß die Zustimmung zu den Kriegseinsätzen unter den Anhängern Ihrer Partei besonders groß ist.
Das liegt doch auch daran, daß über Alternativen kaum noch nachgedacht und diskutiert wird. Wenn aber nun am Samstag im Länderrat der Grünen über einen Antrag des Bundesvorstandes diskutiert wird, mit dem dieser die Fortsetzung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan billigen will, soll es anders sein. Wir werden dann darauf hinweisen, daß derjenige, der zum ISAF-Einsatz ja sagt, auch ja zum Einsatz der »Tornado«-Flugzeuge sagt.
Ihr Kreisverband gilt als links. Doch im Bundestag werden Sie durch Winfried Nachtwei vertreten. Der war nicht nur für den Militäreinsatz in Jugoslawien, sondern er hat auch dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan zugestimmt. Wie paßt das zusammen?
Winni und ich sind hier unterschiedlicher Meinung, so wie sich sicher auch die Mitglieder unseres Kreisverbandes in dieser Frage nicht einig sind. Auch wenn Winni nicht immer die Mehrheit auf seiner Seite hatte, so wird er doch sicher von einer ganz großen Mehrheit des Kreisverbandes respektiert, mich eingeschlossen.
Wen vertritt die GFI dann aber eigentlich?
Daß wir mit unseren Positionen in der Minderheit sind, wissen wir selbst. Unsere Grundsatzkritik ist ja erst der Einstieg in eine neue Debatte. Völlig verloren hätten wir dann, wenn selbst eine solche Kritik nicht mehr möglich wäre.
Doch was verbindet Sie dann noch mit dieser Partei? Etwa die Sozialpolitik?
Ich bin seit 1980 dabei. Es gibt ja eine ganze Reihe von Themen, wie etwa beim Klimaschutz, bei denen ich mit meiner Partei sehr konform bin. In sozialpolitischen Fragen bin ich allerdings auch in der Minderheit. Und überhaupt: Was ist ein Ketzer ohne seine Kirche? Münster war schon immer ein Nest von Wiedertäufern.
Nähere Infos unter www.gruene-friedensinitiative.de
Verwendung: Junge Welt
11. April 2007
»Gedenkstätte Ernst Thälmann« in Hamburg will mit Hilfe eines Fördervereins das Überleben sichern. Ein Gespräch mit Hein Pfohlmann
Hein Pfohlmann ist Vorsitzender des »Fördervereins zum Erhalt der Gedenkstätte Ernst-Thälmann« in Hamburg
Seitdem die Gedenkstätte in Ziegenhals bei Berlin nicht mehr zugänglich ist, ist nun die Hamburger Gedenkstätte Ernst Thälmann die einzige in Deutschland, in der sich Besucher noch ein eigenes Bild vom Wirken des ehemaligen KPD-Vorsitzenden machen können. Warum ist das so wichtig?
In unserer ständigen Ausstellung dokumentieren wir die Entwicklung Ernst Thälmanns vom jungen Transportarbeiter und Sozialdemokraten bis hin zu der Zeit, zu der er als Vorsitzender der KPD und Repräsentant der Kommunistischen Internationale eine besondere Bedeutung für die deutsche Arbeiterbewegung hatte. Über 500 Exponate sind dazu in 32 Vitrinen und auf 34 Schautafeln dauerhaft ausgestellt. Das sind zahlreiche Schrift- und Bilddokumente, aber auch zeitgenössische Zeichnungen und Plakate. Wir zeigen, wie Thälmann in der Bürgerschaft und dann später im Reichstag, vor allem aber als Initiator der Antifaschistischen Aktion und weiterer großer Massenbewegungen wirkte. Das aber ist in einer Zeit, in der immer mehr verfälscht und nun selbst die Rolle der Kommunisten im antifaschistischen Widerstand diskreditiert werden soll, von ganz erheblicher Bedeutung auch für die heutigen Kämpfe.
Bezieht sich die Ausstellung nur auf Thälmann?
Er steht zwar im Mittelpunkt, doch es gibt auch etliche Exponate über seine Kampfgefährten, wie etwa den Hamburger Fiete Schulze. Dokumentiert wird auch das Schicksal von Frauen, Männern und Jugendlichen, die im Kampf gegen Hitler und den Krieg ihr Leben verloren. Wir zeigen fast ausschließlich Originaldokumente. Illegale Flugschriften genau so, wie die persönlichen Briefe der Gefangenen aus den faschistischen Konzentrationslagern. Dem stellen wir dann die Schutzhaftbefehle der Gestapo und die Todesurteile der Nazijustiz entgegen.
Doch damit ist die Gedenkstätte auch ein Ort der Diskussion. Über die Geschichte und die Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung. Über die Erfolge, aber auch über die Widersprüche und Probleme in der Geschichte der Kommunistischen Partei. Dazu kommen dann noch eine umfangreiche Bibliothek und ein Archiv. Letzteres reicht bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts und enthält auch viele Dokumente aus der Geschichte der SPD.
Die Gedenkstätte besteht seit 1969. Vor 1989 kamen auch viele Besucher aus dem sozialistischen Ausland. Wie hat es sich seitdem entwickelt?
Nicht nur die Besucherzahlen aus dem Osten gingen nach 1989 stark zurück. Hinzu kam, daß der Erhalt der Gedenkstätte auch aus finanziellen Gründen gefährdet war. Inzwischen haben sich die Besucherzahlen wieder stabilisiert. Wir zählen z. B. immer mehr Schulklassen.
Der CDU-Senat hat die Zuschüsse für die Geschichtswerkstätten stark gekürzt. Wie wirkt sich das auf die Gedenkstätte aus?
Diese Kürzungen sind katastrophal. Doch unsere Gedenkstätte ist nicht betroffen. Wir haben noch nie Zuschüsse aus der Kulturbehörde erhalten. Nur die Bezirksversammlung hat ab und zu einige hundert Euro bewilligt. Ohne die Spendenbereitschaft der Freunde und Unterstützer würde es unsere Gedenkstätte nicht mehr geben.
Es war ein großer Erfolg, daß wir Mitte der 90er so viel Geld sammeln konnten, daß wir die Ausstellungsräume kaufen konnten. Befreit von den Mietkosten verbleiben nun aber noch die laufenden und zum Teil sehr drückenden Reparatur- und Betriebskosten. Außerdem nagt der Zahn der Zeit nun an etlichen Dokumenten. Da werden wir nun noch einiges für die Pflege und den Erhalt aufwenden müssen. Ähnliches gilt für die Instandsetzung unserer Räume. Deshalb haben wir uns zur Gründung eines Fördervereins entschlossen Nur wenn es gelingt, möglichst viele Menschen zu finden, die uns mit einer regelmäßigen Spende oder einer Mitgliedschaft im Förderverein unterstützen, kann die Gedenkstätte gesichert werden.
An welche Voraussetzungen ist eine Mitgliedschaft gebunden?
Der Mindestbeitrag liegt bei fünf Euro im Monat. Mitglied kann jeder werden, der diese Gedenkstätte fördern und erhalten will.
Infos zum Förderverein können unter 040-474184 in den Öffnungszeiten der Gedenkstätte erfragt werden. Montags von 17-20, Mittwoch bis Freitags von 10 17 Uhr und am Samstag von 10 bis 13 Uhr.
Verwendung: Junge Welt
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02. April 2007
Bremen fordert Erwerbslose zur Mietminderung auf. Mietobergrenzen haben mit Realität nichts zu tun. Ein Gespräch mit Herbert Thomsen
Herbert Thomsen ist Sozialberater bei der Solidarischen Hilfe in Bremen
Seit Wochen protestieren Erwerbslose bei den Sitzungen des Sozialausschusses in der Bremer Bürgerschaft. Worum geht es?
Die für die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Bezieher zuständige ARGE hat rund 6500 Erwerbslose angeschrieben und sie zu einer Senkung ihrer Mietkosten aufgefordert. Am besten durch Umzug in eine billigere Wohnung. Während sich die Zahl solcher Anschreiben in diesem Frühjahr noch verdoppeln soll, gibt es in Bremen pro Jahr maximal 1 000 freie Wohnungen, die den Angemessenheitskriterien der Behörde entsprechen. Wem es aber nicht gelingt, eine billigere Wohnung zu finden, der muß Senkungen bei den Mietkostenzuschüssen hinnehmen. Die Differenz muß aus den Regelleistungen für die Grundsicherung aufgebracht werden. Das heißt für viele, daß sie dann ihren Lebensunterhalt von 200 bis 250 Euro im Monat bestreiten müssen.
Wie kommt es, daß die Mietobergrenzen so gering bemessen sind?
Nach dem Wohngeldgesetz richten sich die Mietobergrenzen nach dem Zeitpunkt, in dem eine Wohnung gebaut oder modernisiert wurde. Doch in Bremen wird die Mietstufe 3, die sich auf Neubauten ab 1992 bezieht, einfach nicht anerkannt. Für einen allein- stehenden Erwerbslosen liegt deshalb die Mietobergrenze für eine zulässige Bruttokaltmiete nicht bei 325, sondern bei 265 Euro im Monat. Für einen solchen Preis gibt es in Bremen kaum Wohnungen. Da die Stadt jeden Euro in die Haushaltssanierung stecken möchte, soll diese Praxis auch nicht geändert werden. Wie aber sollen dann die betroffenen 10000 bis 12000 Menschen eine Wohnung finden, die den Mietobergrenzen entspricht?
Sie haben die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt selbst untersucht. Wie waren Ihre Ergebnisse?
Unsere Untersuchung bezog sich auf alle Mietangebote, die im Monat Januar zur Verfügung standen. Insgesamt waren das 950 Wohnungen. Doch von diesen entsprachen nur etwa 100 den zulässigen Mietobergrenzen. Und zu 70 Prozent lagen sie in den Stadtteilen, in denen es schon jetzt eine Arbeitslosenquote von etwa 20 Prozent gibt. Würde man die Vorgaben der ARGE also rigide anwenden, dann müßten noch mehr Erwerbslose in solche Armutsquartiere ziehen. Die Bildung solcher Ghettos vor allem am Standrand würde noch zunehmen.
Sind nur Alleinstehende betroffen?
Die im besonderen Maße. Denn die Neubauten des sozialen Wohnungsbaus wurden früher meist auf Familiengröße zugeschnitten. Inzwischen haben sich die Lebensgewohnheiten vieler Menschen geändert. Deshalb gibt es einen besonderen Mangel für kleinere, bezahlbare Wohnungen. Betroffen sind aber auch die größeren Haushalte, denn auch bei ihnen entsprechen die Mietobergrenzen nicht der tatsächlichen Situation auf dem Wohnungsmarkt.
Was fordern Sie?
Wir fordern eine Besitzstandswahrung für alle, die schon jetzt mit Arbeitslosengeld II leben müssen. Das sind ja größtenteils Menschen, die früher Arbeitslosenhilfe bekommen haben. Deren Ersatz durch das Arbeitslosengeld-II war eine politische und keine sachliche Entscheidung. Sie darf aber nicht dazu führen, daß die Menschen auch noch ihre letzte Lebensgrundlage verlieren. Und wir fordern zudem, daß nun endlich auch in Bremen die Mietstufe 3 anerkannt wird.
Wie reagieren die Abgeordneten auf diese Forderungen, und wie verliefen Ihre Aktionen?
In der großen Koalition aus CDU und SPD wird meist gemauert. Vielfach ist man dort der Meinung, daß nur die Einhaltung der bisherigen Mietobergrenzen, die Wohnungsgesellschaften dazu zwingt, günstigeren Wohnraum anzubieten. Da ist sicherlich was dran. Doch das Perfide dieser Strategie besteht darin, daß die Erwerbslosen in diesem Konflikt mit den Wohnungsanbietern als Kanonenfutter benutzt werden. Sie werden im Mühlstein dieser unterschiedlichen Interessen zerrieben.
Dreimal hintereinander waren wir mit mehr als 100 Leuten bei Sozialausschußsitzungen. Das hat die Sozialsenatorin so sehr genervt, daß sie die Sitzung beim letzten Mal einfach abbrach, nachdem wir uns weigerten zu gehen. Mit unseren Aktionen werden wir aber nicht nachlassen. Am 13. Mai wird eine neue Bürgerschaft gewählt. Gemeinsam mit den Erwerbslosengruppen der IG Metall und von ver.di, aber auch mit den Montagsdemonstranten haben wir beschlossen, die Wahlkampfveranstaltungen von SPD und CDU zu besuchen.
Verwendung: Junge Welt
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15. März 2007
Hamburg: Senat verzichtet auf Verkauf von 49.9 Prozent der HHLA. Teil geht dennoch an die Börse. Ein Gespräch mit Thomas Mendrzik
Thomas Mendrzik ist stellvertretender Konzernbetriebsratsvorsitzender und Sprecher der Vertrauensleute der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA)
Der Hamburger Senat hat am Dienstag nachmittag einen Rückzieher gemacht und beschlossen, das bisherige Bieterverfahren, das einen Direktverkauf von 49,9 Prozent der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) vorsah, zu stoppen. Statt dessen sollen 30 Prozent des Aktienkapitals an der Börse verkauft werden. Wie bewerten Sie das?
Das ist ein hervorragendes Ergebnis für den Erhalt aller Arbeitsplätze, für die Sicherung sozialer Standards, für eine gute Entwicklung des Hafens. Internationale Finanzspekulanten haben hier keinen Platz. Wir haben uns heute bei allen Kollegen für die große Solidarität und ihre Entschlossenheit bedankt, mit der alle an einem Strang gezogen haben. Nur deshalb konnten wir uns in den Verhandlungen auch an allen Punkten durchsetzen, die uns wichtig waren.
Die Gefahr, daß Großinvestoren nun doch noch über die Börse in die HHLA hineindringen, sehen Sie nicht?
30 Prozent sind nicht 49,9 Prozent. Und diese 30 Prozent sollen als Streubesitz an möglichst viele Aktionäre verkauft werden. Bei einem Weiterverkauf gibt es dann auch Rückkaufoptionen. Außerdem wird zudem noch über eine Mitarbeiterbeteiligung durch stimmrechtslose Vorzugsaktien verhandelt.
Der Börsengang ist trotzdem nur die »zweitbeste Lösung«. Sie selber haben gesagt, daß eigentlich nichts hätte verkauft werden müssen, um die Modernisierung der Hafenanlagen zu finanzieren.
Das wäre sicher noch besser gewesen. Doch nachdem wir uns in allen Kernfragen, wie etwa der Verhinderung eines Großinvestors, durchgesetzt hatten, war nun die Zeit für einen Kompromiß bei dem dann auch der Senat irgendwie mitziehen kann. Das ist dann die Logik solcher Verhandlungen. Doch hierzu möchte ich anmerken, daß wir diese Lösung schon vor Wochen als einen denkbaren Kompromiß selbst angeboten hatten. Von Anfang an haben wir deutlich gemacht, wo unsere Schmerzgrenzen liegen.
Positiv ist auch, daß der Fischmarkt und die Speicherstadt nicht aus der HHLA herausgelöst werden. Das hatte der Senat ja bereits beschlossen. In den Gesprächen haben wir deutlich gemacht, daß dies mit uns auch dann nicht zu machen ist, wenn es nur wenige betrifft. Hätte sich der Senat darauf nicht eingelassen, hätte es schon heute ziemlich gerappelt im Hamburger Hafen. Einen Überstundenboykott, der den Hafen dann weitgehend lahmgelegt hätte, hatten wir ja bereits beschlossen.
Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Die große Solidarität zwischen allen Hafenarbeitern, aber ebenso zwischen den Belegschaften der unterschiedlichsten Hafenbetriebe. Hätten wir die Überstunden boykottiert, dann wären die Schiffe auch nicht in anderen Hafenbetrieben entladen worden. Nur so ist es möglich gewesen, weit über das Betriebsverfassungsgesetz hinauszugehen: Wir haben gesagt, daß die HHLA auch unser Unternehmen ist und wir schon deshalb die Geschäftspolitik nicht nur dem Management oder diesem Senat überlassen. Geholfen hat uns natürlich die große Solidarität der Bürger unserer Stadt. Viele spürten wohl, daß es hier um etwas Grundsätzliches geht. Der Senat hat demgegenüber den Fehler gemacht, diese Solidarität und diese Kampfbereitschaft zu unterschätzen.
Was ist das Besondere am Hafen. Was lief hier anders als bei den Kliniken, wo selbst mit einem Volksentscheid die Privatisierung nicht zu stoppen war?
Wir sind sehr gut organisiert. Wir arbeiten zudem direkt am Flaschenhals einer großen Transportkette. Wird im Hafen nicht gearbeitet, geht das sofort in die Millionen. Doch auch bei den Kliniken wäre dann mehr drin gewesen, wenn deutlicher geworden wäre, daß da wirklich alle an einem Strang ziehen. Die Botschaft unseres Kampfes war hingegen ziemlich klar: Nur wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still.
Bernt Kamin, Betriebsratschef der Gesamthafenarbeiter, hat nun vorgeschlagen, diesen Gedanken der Solidarität auch außerhalb des Hafen wieder stärker zu entwickeln. Er schlägt die Bildung von Koordinationsgremien der Interessenvertreter aller öffentlichen Unternehmen vor. Was halten Sie davon?
Das ist ein guter Vorschlag, der schon auf der nächsten Landeskonferenz von ver.di diskutiert und auch beschlossen werden sollte.
Verwendung: Junge Welt
9. März 2007
Bremer Mahnwache für den Frieden feierte gestern 25. Geburtstag. Ein Gespräch mit Ingeborg Kramer
Ingeborg Kramer ist 73 Jahre alt und gehört zu den Mitinitiatorinnen der seit 25 Jahren in Bremen bestehenden Mahnwache für den Frieden
Gemeinsam mit anderen Frauen organisieren Sie nun seit 25 Jahren die Bremer Mahnwache für den Frieden. Wie ist es dazu gekommen?
Unsere Mahnwache, die jeden Donnerstag vor dem Rathaus auf dem Marktplatz stattfindet, ist ursprünglich im Zusammenhang mit der Antiatombewegung entstanden. So wollten wir unsere Kinder unterstützen, die seinerzeit in Brokdorf und Gorleben demonstrierten. Doch schnell wurde uns dabei klar, daß es einen Zusammenhang zwischen dieser Frage und der Frage der Atombewaffnung gibt. Unsere Aktion wurde deshalb zu einer Mahnwache für den Frieden.
Wer beteiligt sich an der Aktion?
Meist sind wir zehn bis 15 Frauen, wovon die meisten inzwischen auch etwas älter sind. Angefangen hat alles mit einem Kontakt zur Evangelischen Frauenhilfe, heute beteiligen sich Frauen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Schichten. Es sind Christinnen, aber auch Kommunistinnen, die ja schon sehr lange für Frieden und Abrüstung eintreten. Gemeinsam ziehen wir jeden Donnerstag vor das Rathaus. Es gab auch Zeiten, wo unsere Mahnwache täglich stattfand. So war es zum Beispiel während des gesamten Krieges gegen Jugoslawien. Häufig verbinden wir die Mahnwache dann auch mit Unterschriftensammlungen oder der Verteilung von Materialien. Das ist unser Beitrag zur Aufklärung der Menschen.
Wie reagieren die Bremer?
Am Anfang war es manchmal sehr schwierig. Vor allem, wenn ehemalige Kriegsteilnehmer uns regelrecht beschimpften. Da schlug uns sehr viel Distanz und Ablehnung entgegen. Vor allem dann, wenn wir der antisowjetischen Hetze entgegen- und für Versöhnung auftraten. Doch heute überwiegt eher die Zustimmung, und die Leute sagen, das ist gut, daß ihr das macht.
Trotzdem gibt es Kriege mit deutscher Beteiligung, und die Kriegsgefahr wächst weiter. Ist das nicht manchmal frustrierend?
Natürlich. Doch durch die Solidarität in unserer Gruppe und auch die unserer Familien konnten wir uns gegenseitig immer wieder aufrichten.
Was steht heute, am 25. Geburtstag, im Vordergrund Ihrer Aktionen?
Der Widerstand gegen den Einsatz der »Tornados« in Afghanistan, der ja auch Deutschland immer stärker in diesen Krieg mit einbezieht. Wir hinterfragen auch die Funktion unseres Landes als eine große Drehscheibe für den US-Nachschub von Soldaten und Waffen. Ebenfalls wollen wir wissen, warum sich die politischen Führer der Industriestaaten beim G-8-Gipfel eigentlich hinter Mauern verstecken müssen.
Am heutigen Freitag will der Bundestag die deutsche Unterstützung bei der NATO-Frühjahrsoffensive in Afghanistan beschließen. Nur so sei der Wiederaufbau des Landes zu sichern. Was sagen Sie dazu?
Mit immer mehr Soldaten kann doch der Frieden nicht gesichert werden. Im Gegenteil: Dadurch wird es immer schlimmer. Wir sagen den Menschen, daß sie dabei nicht mitmachen dürfen. Meinungsumfragen haben ja bereits ergeben, daß rund 75 Prozent aller Deutschen gegen diesen Einsatz der »Tornados« sind.
So ähnlich ist es auch mit dem Iran, wo die Situation ja unter anderem deshalb immer weiter eskaliert, weil die Politik der USA, aber auch die der Europäischen Union und der Bundesregierung, diesem Land kaum noch einen Ausweg läßt. Auch wenn ich selber Kernenergie ablehne, hat das Land natürlich das Recht, diese Kernenergie friedlich zu nutzen.
In Hamburg hat die »Friedensinitiative Wilhelmsburg« der gesamten Friedensbewegung vorgeschlagen, alle Kräfte auf die Forderung nach einem »Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und dem Nahen und Mittleren Osten« zu konzentrieren.
Ich habe die Diskussion mit großem Interesse verfolgt und ich bin sehr dafür, diesem Aufruf zu folgen. Der Einsatz von deutschen Soldaten ist ein offener Bruch des Grundgesetzes, den die meisten Menschen ablehnen. Eine solche Kampagne müßte dann ähnlich laufen wie zum Beispiel in den achtziger Jahren der Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluß durch den Krefelder Appell.
Verwendung: Junge Welt
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8. März 2007
Appell an Friedensbewegung, Auslandseinsätze im Nahen und Mittleren Osten in den Mittelpunkt zu stellen. Ein Gespräch mit Inge Humburg
[dieses Interview führte jW-Redakteurin Wera Richter]
Inge Humburg ist Mitglied der »Friedensinitiative Wilhelmsburg« in Hamburg
Die Hamburger »Friedensinitiative Wilhelmsburg« hat die Friedensbewegung in einem offenen Brief aufgefordert, sich stärker auf bestimmte Fragen zu konzentrieren. Was haben Sie konkret vorgeschlagen?
Wir meinen, daß die Forderung »Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und dem Nahen und Mittleren Osten« in den Mittelpunkt der Aktivitäten gerückt werden muß. Alle Anzeichen sprechen für eine Zuspitzung der Lage in der Region: US-Luftschläge gegen den Iran werden propagandistisch und militä-risch vorbereitet, in Irak und Afghanistan sollen die Truppenstärken erhöht werden. Taliban und NATO haben große Frühjahrsoffensiven angekündigt. Die Kriegsereignisse von Georgien bis Somalia, vom Hindukusch bis Palästina stehen in engem Zusammenhang. Es geht um Öl, Gas und Vorherrschaft. In diese Kriege werden wir durch die Politik der Bundesregierung immer stärker hineingezogen.
Dann soll sich die Kampagne vor allem gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung richten?
Ein Erfolg der Friedensbewegung in diesem Land wäre angesichts der derzeitigen Probleme der US-Regierung ein wichtiger Beitrag gegen die Ausweitung der Kriege. Deshalb hebt unser Aufruf, den wir als Basis für die Kampagne und für eine Unterschriftensammlung vorschlagen, das Handeln gegen die Politik der jeweils eigenen Regierung hervor. In den USA, in Italien und Großbritannien gibt es sehr erfolgreiche Kampagnen und Massenproteste für den Truppenrückzug. Wir sollten in der BRD unseren Teil beitragen und uns an die Seite der Friedenskräfte in aller Welt stellen.
Was schlagen Sie außer einer Unterschriftensammlung vor?
Wir wollen diese Fragen auf den Ostermärschen und in Vorbereitung des G-8-Gipfels und in Heiligendamm selbst zuspitzen. Die Menschen müssen überall mit den Forderungen nach Truppenrückzug konfrontiert werden. Die Unterschriftensammlung gibt uns die Möglichkeit, mit ihnen in die Diskussion zu kommen. In unserem Stadtteil, einem Arbeiterviertel mit hohem Migrantenanteil, haben wir gute Erfahrungen gemacht. Insbesondere türkische Kollegen haben oft eine klare Haltung gegen den Krieg. Und wir wollen das Parlament zur Tribüne machen. Die Linkspartei.PDS leistet im Bundestag gute Arbeit. Mit einer Kampagne der Friedensbewegung würde diese auch auf der Straße stärker wahrgenommen werden.
Um die Bundesregierung unter Druck zu setzen braucht es etwas mehr, oder?
Sicher, aber wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur im Kopf gegen den Krieg ist oder es in Umfragen formuliert, sondern sich auch politisch formiert und mit Unterschriftensammlungen, Aktionen und Demonstrationen aktiv wird, sieht das schon anders aus. Erst recht, wenn man berücksichtigt, daß es bei den Kriegskräften im Land widersprüchliche Interessen gibt. Wir können uns nicht damit begnügen, die Politik zu kommentieren. Wir müssen, den Anspruch haben, unsere Forderungen durchzusetzen.
Halten Sie die Forderung nach Rückzug der Bundeswehr momentan wirklich für durchsetzbar?
Ich meine, daß wir mit unserem Aufruf die Köpfe und Herzen von Millionen erreichen können. Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist gegen die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo. Sie fürchten eine Ausweitung der Kriege und die möglichen Folgen. Das Thema wird uns wegen der Zuspitzung der Lage, wegen der deutschen EU-Präsidentschaft und des G-8-Gipfels ständig begleiten.
Hat »die Friedensbewegung« auf Ihren Vorschlag reagiert? Sie läßt sich ja nicht gern sagen, was sie zu tun hat, weil die lokalen Gruppen selbst über ihre Schwerpunkte entscheiden sollen.
Die Friedensbewegung ist vielfältig durch die unterschiedlichen weltanschaulichen Zugänge zur Friedensfrage und eine bunte Vielfalt von Aktionsformen. Das ist eine ihrer Stärken und soll es auch bleiben. Aber was spricht dagegen, gemeinsam die Lage einzuschätzen und dann die Kräfte zu bündeln? Unser Vorschlag für eine Kampagne ist ein Angebot zur Diskussion. Aufruf und Forderungen sind offen für Verbesserungen. Wir haben eine Homepage eingerichtet, wo wir die Debatte führen wollen. Wir wollen aber auch zu einem Ergebnis und zur gemeinsamen praktischen Arbeit kommen. Die Ereignisse drängen.
Der Offene Brief an die Friedensbewegung und der Vorschlag für die Kampagne finden sich unter: www.truppenabzug-jetzt.de
Quelle: Junge Welt
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3. März 2007
Die Airbus-Beschäftigten in Varel wollen den Verkauf des Werkes nicht kampflos hinnehmen. Ein Gespräch mit Jürgen Bruns
Jürgen Bruns ist Betriebsratsvorsitzender des Airbus-Werkes in Varel und Mitglied im Europäischen Komitee der Airbus-Betriebsräte
Im Rahmen des Sparprogramms »Power 8« hat hat die Airbus-Konzernspitze am Mittwoch verkündet, gleich mehrere Werke in Deutschland und Frankreich aufzugeben. Verkauft werden soll auch das Werk in Varel. Was aber wird dann aus den 1350 Mitarbeitern?
Das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen, denn außer dieser allgemeinen Ankündigung, gibt es bisher keine konkreten Daten. Völlig unklar ist auch, was eigentlich das Ziel eines solchen Ausverkaufs sein soll.
Daß aber verkauft werden soll, steht offenbar fest. Wie wurde diese Nachricht aufgenommen?
Mit sehr viel Enttäuschung. Etliche Kollegen waren sehr deprimiert. Doch immer stärker wuchs dann auch die Wut. Sechs Monate haben diese Spitzenmanager nun über dieses angebliche Sanierungskonzept diskutiert. Sechs Monate lang wurde auch über unsere Arbeitsplätze spekuliert. Und dann kommt so ein Papier. Völlig ohne Details und in bezug auf die Einzelmaßnahmen völlig unbegründet. Das ist doch absolut konzeptionslos! In Varel haben wir jahrelang für den Erfolg von Airbus hart gearbeitet. Manchmal auch in Sonderschichten am Samstag und Sonntag. Immer wieder wurde uns dabei die hohe Qualität unserer Arbeit bestätigt. Und nun soll unser Werk, das schon 50 Jahre existiert, einfach verramscht werden.
Wir waren die Reaktionen in der Bevölkerung?
Viele Einwohner haben uns schon am Mittwoch besucht. Denn würde das Werk tatsächlich in Gefahr geraten, wäre dies auch für die gesamte Region fatal.
Abgesehen von dem Verkauf einzelner Werke stehen europaweit mindestens 10000 Jobs zur Disposition. Nur so könne Airbus wieder flott und wettbewerbsfähig gemacht werden, heißt es. Wie sehen Sie das?
Die These, daß nur mit einer Kürzung der Personalkosten Airbus noch zu retten ist, müßten uns die Manager erst noch belegen. Fest steht aber, daß Airbus nicht wegen zu hoher Personalkosten in die Krise geraten ist, sondern aufgrund eklatanter Fehlplanungen des Managements. Auch darüber wurde nun monatelang gebrütet. Und was ist herausgekommen? Ein einfacher Dreisatz, bei dem die vorgegebene Sparsumme dann einfach durch die Personalkosten geteilt wird. So ergibt sich diese Zahl von 3700 Arbeitsplätzen allein für Deutschland. Auf welche Leistungen und an welchen Standorten nun aber konkret verzichtet werden soll, dazu gibt es dann keine Silbe. Ist das seriös?
Wie hat sich die Wut der Kollegen geäußert?
Als die Nachricht am Mittwoch bekannt wurde, haben die Kollegen ihre Arbeit spontan niedergelegt. Auch die Spät- und die Nachschicht trat dann nicht mehr an. Am Donnerstag wurde das mit einer Blockade des Werktors fortgesetzt; dabei haben die Kollegen dann auch die weitere Entwicklung erst einmal diskutiert. Das haben wir dann am Freitag mit einer Betriebsversammlung fortgeführt.
Sind weitere Aktionen geplant?
Der Kampf um unsere Arbeitsplätze, wird noch sehr lange dauern. Wir brauchen einen langen Atem, damit wir auch langfristig jederzeit mit den richtigen Aktionen antworten können. Ein dauerhafterer Arbeitskampf wäre jetzt noch verfrüht.
Das betont auch die IG Metall, die zunächst auf weitere Verhandlungen setzt. Doch worauf wartet man? »Power 8« ist in seinen Grundzügen doch festgelegt.
Gar nichts steht fest! Das war doch allenfalls ein erster Aufschlag, der uns da vorgelegt wurde. Deshalb denke ich, daß auch in Verhandlungen noch einiges zu bewegen ist. Wir haben schließlich die besseren Argumente. Der Druck aus den Betrieben muß allerdings aufrechterhalten werden. Wir müssen alle Handlungsspielräume, die sich uns anbieten, voll nutzen. Rechtlich und politisch. Und nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit.
Was haben Sie konkret vor?
Schon Mitte März wird es einen ersten europaweiten Aktionstag geben. Im Kreis der Betriebsräte und der beteiligten Gewerkschaften haben wir uns gerade darauf geeinigt. So setzen wir auch ein Zeichen der Solidarität, denn wir haben immer gesagt: Wird nur ein einziges Werk angegriffen, dann sind wir alle angegriffen. Das gilt europaweit. In Varel werden wir uns mit der ganzen Belegschaft an diesem Aktionstag beteiligen.
Verwendung: Junge Welt
21. Februar 2007
In »öffentlicher Verhandlung« wurden in Bremen Erwerbslose und Mitarbeiter von Beschäftigungsträgern befragt. Ein Gespräch mit Uwe Helmke
Uwe Helmke gehört zu den Mitinitiatoren einer »öffentlichen Verhandlung zu den Ein-Euro-Jobs«, die am Freitag in Bremen stattfand
Rund 150 Menschen, darunter auch etliche Erwerbslose, haben am Freitag an Ihrer Verhandlung zum Thema Ein-Euro-Jobs teilgenommen. Wie kam es zu dieser Aktion?
Diese Jobs sind Arbeitsgelegenheiten ohne Arbeitsvertrag und ohne ausreichende soziale Absicherung. Fast 4500 Menschen sind davon allein in Bremen betroffen, wo diese Maßnahmen »Injobs« genannt werden. Doch einen solchen Begriff lehnen wir ab, denn diese Maßnahmen sind für die Betroffenen meist völlig perspektivlos, führen eher dazu, daß die Menschen an Fähigkeiten verlieren. Der vom Gesetzgeber benannte Grundsatz des »Förderns und Forderns« ist nicht eingelöst worden. Nur aus der Not heraus sind nun etliche Erwerbslose gezwungen, sich auf solche, häufig entwürdigenden, Arbeitsgelegenheiten einzulassen. Das wollten wir thematisieren.
Wer war beteiligt, und wie war der Verlauf?
Beteiligt waren Menschen aus unterschiedlichsten Gruppen: Erwerbslose und Betroffene genauso wie Mitarbeiter der Beschäftigungsträger und von der Bremer Arbeit GmbH. Auch Mitarbeiter aus Behörden und vom Kirchlichen Dienst der Arbeitswelt kamen zu Wort. Es war uns wichtig, dieses Thema mit allen zu diskutieren, die in irgendeiner Form an der Organisation der Ein-Euro-Jobs beteiligt sind. Das Instrument einer öffentlichen Verhandlung sicherte zugleich eine sehr sachliche und sehr gründliche Debatte.
Während der Verhandlung kamen also nicht nur Kritiker, sondern auch Befürworter zu Wort. Als letzterer trat zum Beispiel der Geschäftsführer eines Beschäftigungsträgers auf, der schilderte, wie sich Erwerbslose auch freiwillig für solche Jobs bewerben. Die Erwerbslosen wollen etwas Sinnvolles tun, auch wenn es schlecht bezahlt ist. Berichtet wurde außerdem, wie etliche Träger sich bemühen, eigene Qualifizierungs- und Beratungsangebote zu unterbreiten.
Dazu gab es dann eine Kontroverse, in der sich viele auch auf die zunehmende gesellschaftliche Spaltung zwischen Arm und Reich bezogen. Die Ein-Euro-Jobs sind ein Teil davon und nur in diesem Zusammenhang zu verstehen. Deshalb war es uns bei der Abfassung der Klagen auch wichtig, nicht nur die Nutznießer und Organisatoren der Jobs zu kritisieren, sondern vor allem die politischen Entscheidungsträger und die Regierungen, aber auch Wirtschaftsführer und Medien.
Was wurde angeklagt?
Die mit Ein-Euro-Jobs verbundene Perspektiv-, Würde- und Rechtlosigkeit, aber auch die politischen Rahmenbedingungen, die diese möglich gemacht haben. Zu den Problemen gehören auch die unzureichenden Mietobergrenzen, die Erwerbslose dazu zwingen, die eigene Wohnung aufzugeben oder aber Kürzungen bei der Grundsicherung hinzunehmen.
Wer wurde als Zeuge aufgerufen?
Erwerbslose, die von ihrem Schicksal und von ihrer Situation berichteten. Auf seiten der Verteidigung dann die Träger, aber auch Mitarbeiter aus den Behörden. Die Träger sitzen oft zwischen zwei Stühlen: Einerseits lehnen sie die Ein-Euro-Jobs politisch ab andererseits möchten sie den Erwerbslosen helfen.
Gab es ein Urteil?
Wir haben uns entschieden, die Debatte zunächst fortzuführen. Doch gleichzeitig geht es auch darum zu handeln. Aus vier Ein-Euro-Jobs könnten leicht drei durchaus armutsresistente und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gemacht werden. Doch entscheidend dafür ist, daß die Politik wieder anerkennt, daß solche öffentlichen Aufgaben durch vernünftig finanzierte und reguläre Jobs abgedeckt werden.
Verwendung: http://www.jungewelt.de/2007/02-21/042.php
WASG in Bremen diskutiert über linkes Bündnis zu Bürgerschaftswahlen 2007. Bundesvorstand interveniert. Ein Gespräch mit Heino Berg
* Heino Berg ist Mitglied im Bremer Länderrat der WASG und des Koordinierungskreises des »Netzwerks Linke Opposition«
Fast 40 Mitglieder der Bremer WASG haben sich für die Bildung einer überparteilichen linken Wählergemeinschaft zu den Bürgerschaftswahlen im Mai 2007 ausgesprochen. Warum?
Dieser Vorschlag, über den die Mitgliederversammlung am 29. Oktober entscheiden wird, liegt bereits seit dem Frühjahr vor, wurde aber von der Linkspartei.PDS und dann auch vom neuen WASG-Landesvorstand kassiert. Eine linke Wählergemeinschaft als Personenbündnis könnte einen unpolitischen Parteienstreit über die Listenführung vermeiden und die inhaltlichen Alternativen zur Senatskoalition ins Zentrum rücken.
Die Bundesvorstände beider Parteien favorisieren eine Linkspartei.PDS-Liste.
Das würde vorhandenes Widerstandspotential gegen die Politik der großen Koalition nicht ausschöpfen, denn die PDS ist von ihrer Vergangenheit belastet und hat durch ihre Regierungsbeteiligungen bei vielen Bürgern an Glaubwürdigkeit verloren. Wenn wir unter dem Dach der Linkspartei.PDS gegen Stellenstreichungen, Privatisierungen oder Ein-Euro-Jobs antreten, würden uns die Betroffenen sofort entgegengehalten, daß wir in Berlin solche Maßnahmen mittragen.
Mit welchem Profil wollen Sie antreten?
Auch in Bremen werden nur die Armen, die Erwerbslosen und die abhängig Beschäftigten zur Kasse gebeten. Ohne eine klare linke Opposition bestünde die Gefahr, daß die vom Sozialraub betroffenen Menschen zu Hause bleiben oder vielleicht sogar die Rechten wählen. Wir können uns nicht nur auf die Umverteilung knapper Haushaltsmittel beschränken, sondern müssen grundsätzliche Alternativen etwa in der Steuer- und Lohnpolitik oder durch Arbeitszeitverkürzungen betonen. Sonst können wir niemanden überzeugen, selbst aktiv zu werden.
Auch der Bremer Axel Troost, Bundestagsabgeordnete und WASG-Mitglied hat sich für eine PDS-Kandidatur ausgesprochen.
Ja, obwohl er bis vor kurzem immer eine Kandidatur der WASG angekündigt hatte. Er will damit angeblich den Parteibildungsprozeß für eine Neue Linke erleichtern. Aber eine Vereinigte Linke kann nicht durch eine Unterordnung der WASG unter die Linkspartei.PDS und ihre Regierungspolitik entstehen. Durch diese Art von »Parteibildung« gewinnen wir nicht die vielen Menschen, die von der SPD enttäuscht sind, sondern verlieren eigene Mitglieder. Jeder in der WASG spürt, daß es so nicht weitergehen darf. Ich bin mir sicher, daß unser Antrag für eine Wählervereinigung auf der Mitgliederversammlung eine Mehrheit findet.
Der Bremer Landesvorstand hatte sich schon einstimmig für eine solche Wählergemeinschaft entschieden. Vier von sieben Vorstandsmitgliedern sind dann unter dem Druck des Bundesvorstandes umgekippt. Es ist skandalös, daß sich der Bundesvorstand schon wieder in die Angelegenheiten der Landesverbände einzumischen versucht.
Wenn Ihr Antrag angenommen wird, besteht dann nicht trotzdem die Gefahr einer Konkurrenzkandidatur durch die Linkspartei?
Wenn die Idee einer überparteilichen Wählergemeinschaft greift und sich daran auch Betriebsräte, soziale Initiativen und andere Linke, zum Beispiel aus der DKP, beteiligen, halte ich das für weitgehend ausgeschlossen. In Bremerhaven haben sich an der Ausarbeitung der inhaltlichen Grundlagen auch die PDS-Vertreter beteiligt. Das Störfeuer kommt fast ausschließlich von oben.
http://www.jungewelt.de/2006/10-24/004.php
Verlegerin des Gefangenen Info in Hamburg hat Klage gegen Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz durchgesetzt. Ein Gespräch mit Christiane Schneider
Die Verlegerin Christiane Schneider war bis Februar 2006 auch Landessprecherin der Linkspartei.PDS in Hamburg
Sie konnten vor dem Verwaltungsgericht gerade eine Unterlassungsklage gegen den Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Heino Vahldieck, (CDU) durchsetzen. Worum ging es?
Vahldieck hat am 23. Oktober 2005 in der ZDF-Sendung Mona Lisa behauptet, daß die Zeitung Gefangenen Info, die ich verlege und für die ich auch redaktionell Verantwortung trage, »jegliche Art von politisch motivierter Aktion, auch von gewalttätigen terroristischen Aktivitäten« rechtfertige und ich mich mit den »Tätern identifiziere«. Das haben Millionen Zuschauer gesehen. Weitere Verleumdungen folgten dann im Hamburger Abendblatt sowie in einer Sendung des NDR, wo Vahldieck seine eigenen Behauptungen über meine verlegerische Tätigkeit als Indiz für die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der Hamburger Linkspartei.PDS heranzog.
Produziert der Verfassungsschutz nicht fast täglich solche Lügen? Warum haben Sie das Risiko einer Klage auf sich genommen?
Ich bin seit knapp 18 Jahren für das Gefangenen Info zuständig. Dabei stand ich viele Jahre im Fadenkreuz strafrechtlicher Ermittlungen. Fast dreißig Verfahren sind gegen mich geführt worden. Die Vorwürfe haben sich jedoch immer wieder als haltlos erwiesen. Vahldieck hätte dies wissen müssen. Schließlich wird das Gefangenen Info im Hamburger Verfassungsschutzbericht nicht einmal erwähnt. Dann kam hinzu, daß das Hamburger Abendblatt mit der Schlagzeile »PDS-Landessprecherin unter Verdacht« Vahldiecks Behauptungen aufgriff. Die Springer-Presse schlachtete die Vorwürfe aus, um die Linkspartei zu diskreditieren.
Warum richtet sich die Kampagne ausgerechnet gegen das Gefangenen Info?
Bei uns kommen politische Gefangene auch aus der RAF schon seit vielen Jahren zu Wort. Die Meinungsfreiheit gilt auch für sie. Es ging hier also direkt um die Pressefreiheit, die auch kleine und kritische Verlage und Zeitungen schützt. Solche Verleumdungen, die die Zeitschrift in Verruf bringen und mich einschüchtern sollten, müssen nicht widerstandslos hingenommen werden. Dabei geht es nicht, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, darum, ob ein tatsächlicher Schaden entstand, schon die Gefahr einer Schädigung reicht aus.
Viele Linke nehmen solche Verleumdungen aber weitgehend widerstandslos hin. Man hat sich daran fast schon gewöhnt.
Wenn mein Erfolg andere dazu ermuntert, sich gegen Bespitzelungen und Verleumdungen künftig stärker zu wehren, würde ich mich freuen. Ob man klagen sollte, hängt natürlich vom Einzelfall ab, ein solches Verfahren kostet Anstrengungen und womöglich viel Geld. Generell halte ich es aber für notwendig und aussichtsreich, sich auch rechtlich stärker zu wehren.
Was bewegt Sie eigentlich, diese Zeitung noch immer herauszugeben?
Die Auseinandersetzung zwischen der RAF und der Bundesrepublik Deutschland hat über zwei Jahrzehnte angedauert und zu tiefen Erschütterungen in diesem Land geführt. Ich bin in einem Alter, daß ich Zeitzeugin dieser Auseinandersetzungen war. Als das Blatt 1989, im Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF, gegründet wurde, bestand in der Öffentlichkeit an der Aufklärung über diese Geschichte erhebliches Interesse, was sich auch an einer Verkaufsauflage von anfangs fast 10000 Exemplaren zeigte. Die Zeitschrift, die damals und über lange Zeit von den Angehörigen der Gefangenen aus der RAF herausgegeben wurde, erfüllte ein öffentliches Interesse, weil es die Gelegenheit bot, sich über die Motive der politischen Gefangenen aus erster Hand zu informieren.
Das alles ist Jahre her …
Ja, inzwischen sind andere Gründe hinzugekommen. Ich denke an die beunruhigende Entwicklung im deutschen und weltweiten Gefängniswesen, die sich unter anderem in einer Zunahme von Isolations- und Einzelhaft ausdrückt, wo Gefangene 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen werden. Wir beschäftigen uns auch mit den Abschiebegefängnissen und informieren über die Zustände in den USA, wo es zahlreiche politische Gefangene gibt, die oft schon seit 30 oder 40 Jahren im Knast einsitzen. In der deutschen Öffentlichkeit ist dies kaum bekannt.
Das Gefangenen Info kann bezogen werden bei: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg
http://www.jungewelt.de/2006/10-16/045.php
Datenschutzbeauftragter Schaar über Geheimdienstkompetenzen und Informationskontrolle
Peter Schaar, geboren 1954 in Berlin, ist seit Ende 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Der studierte Volkswirt war Anfang der 80er Jahre in der Hamburger Verwaltung tätig und wurde 1994 stellvertretender Hamburgischer Datenschutzbeauftragter. Schaar lebt in Hamburg und ist verheirateter Vater zweier Kinder.
ND: Anfang der Woche hat BND-Präsident Ernst Uhrlau eine stärkere internationale Kooperation der Geheimdienste bei der Weitergabe von Informationen gefordert. Was halten Sie davon?
Peter Schaar: Ernst Uhrlau will Informationen so weit wie möglich und nicht nur nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit gestreut wissen. Doch die Informationsweitergabe ist nach deutschem Verfassungsrecht an bestimmte Voraussetzungen gebunden, weshalb ich diese Forderung für problematisch halte.
Auch die Bundesregierung hat gerade eine Erweiterung der Anti-Terror-Gesetze beschlossen. Konto- und Telekommunikationsdaten können leichter angezapft werden.
Dieser Gesetzentwurf ist mit einem völlig veralteten Bericht aus dem Bundesinnenministerium begründet, in dem nur Maßnahmen bis 2004 ausgewertet sind. Es ist schon ziemlich mutig, damit jetzt eine Ausweitung von Geheimdienstkompetenzen zu begründen. Danach sollen die Befugnisse von BND und MAD so ausgeweitet werden, dass sie denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz entsprechen. Bevor ein neues Gesetz verabschiedet wird, sollte es einen aktualisierten Evaluationsbericht geben, der dann zunächst auch im Bundestag gründlich beraten werden muss. Noch ist es dafür nicht zu spät.
Im Koalitionsausschuss haben CDU und SPD größeren Informationspflichten für Fluggesellschaften, Banken, Post- und Telekommunikationsunternehmen bereits zugestimmt.
Eine Auskunftspflicht besteht nicht! Die Dienste haben die Befugnis, Daten abzufragen, doch eine Pflicht zur Beantwortung entsteht daraus nicht. Leider hat sich das Bundesinnenministerium dazu mehrfach missverständlich geäußert. Trotzdem ist die Befugniserweiterung für den BND problematisch, der damit nun auch das Recht erhalten soll, für seine Aufgabenerfüllung inlandsrelevante Informationen zu erheben.
Das hat die Regierung mit der Hetze von Rechtsextremen und Islamisten begründet. Gewalt könne so besser bekämpft werden.
Dies überzeugt mich nicht. Noch kritischer sehe ich aber, dass nun die Hürden für solche Maßnahmen gesenkt werden. Beispielsweise konnte es Datenanfragen bei Fluggesellschaften bisher nur auf Anordnung des Bundesinnenministeriums auf Antrag des Verfassungsschutz-Präsidenten geben, das dafür zuvor auch die G10-Kommission des Bundestages anhören musste. Diese Anordnungsbefugnis soll jetzt per Dienstanordnung auf einzelne Mitarbeiter des Verfassungsschutzes übertragen werden. Die G10-Kommission wird überhaupt nicht mehr eingeschaltet.
Zugriff sollen die Geheimdienste auch auf das europaweite Schengener Informationssystem (SIS) haben. Werden damit nicht die Grenzen geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit verwischt?
Ja, denn die Geheimdienste würden durch verdeckte Ausschreibungen Informationen an die Polizeibehörden übermitteln, während andererseits polizeiliche Informationen direkt an die Nachrichtendienste gehen könnten. Das aber halte ich bereits mit Blick auf die unterschiedliche Kontrolldichte für sehr problematisch, denn Maßnahmen der Polizei können anders als nachrichtendienstliche Aktivitäten von Gerichten überprüft werden. Auch gibt es grundlegende Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Befugnisse. Nachrichtendienste dürfen weit im Vorfeld beobachten und dabei auch »weiche« Daten sammeln, haben aber keine Exekutivbefugnisse. Der Trennungsgrundsatz zwischen Polizei und Geheimdiensten hat Verfassungsqualität, weshalb ich hier verfassungsrechtliche Probleme sehe.
Besorgnis haben Vorgänge bei der belgischen Firma SWIFT ausgelöst, die als Dienstleister im internationalen Zahlungsverkehr tätig ist. Diese hat Finanztransaktionsdaten aus ganz Europa an die CIA weitergeleitet. Wie kann man sich davor schützen?
Sicherlich muss bei Geldüberweisungen in die USA auch das US-Recht beachtet werden. Doch wenn es um Überweisungen an Drittländer geht, hätte SWIFT die Daten nicht weiterleiten dürfen. Die EU-Kommission und die europäischen Regierungen stehen jetzt in der Pflicht, solch rechtswidrigen Zugriffen vorzubeugen.
»Big brother is watching you«. Diesen Eindruck hatte man auch bei der Fußball-WM. Besteht nicht allmählich die Gefahr einer Totalüberwachung?
Es gibt in der Tat die Gefahr einer Überwachungsgesellschaft. Nicht nur auf Grund staatlicher Aktivitäten, sondern auch weil sich viele Bürger mit einer solchen Überwachung einverstanden erklären. Ich würde deshalb auch nicht vom Überwachungsstaat sprechen. Wenn es zum Beispiel, wie jetzt in Sachsen, um einen Gentest für bis zu 100 000 Menschen geht, trifft dies auf viel Verständnis in der Bevölkerung. Nicht nur hier sehe ich noch sehr viel Arbeit für uns Datenschützer.
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=94387&IDC=2
In Schleswig-Holstein sind vier Vorstandsmitglieder der Wahlalternative zurückgetreten. Ein Gespräch mit Lorenz Gösta Beutin
* Lorenz Gösta Beutin ist Landessprecher der WASG in Schleswig-Holstein
F: Am Dienstag sind vier Mitglieder des Landesvorstandes der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Schleswig-Holstein zurückgetreten. Wie kam es dazu?
Die Zurückgetretenen, ich gehöre nicht dazu, erklärten, daß der Anlaß für den Rücktritt der Verlauf einer Landesratssitzung eine Woche zuvor war. Dort stand die Acht-Euro-Mindestlohnkampagne der Linkspartei auf der Tagesordnung. Die Vertreter einiger Kreisverbände warfen die Frage auf, ob acht Euro ausreichend sind. Auf der Demo am 3. Juni in Berlin wurden zum Beispiel zehn Euro gefordert. Thematisiert wurde auch die Gefahr der weiteren Senkung der ALG-II-Sätze, die die Neoliberalen im Falle einer zu niedrigen Forderung mit dem »Lohnabstandsgebot« begründen könnten.
F: Was fordert denn die WASG?
Im Parteiprogramm fordern wir einen monatlichen Mindestlohn von 1500 Euro. Bei einer 35-Stunden-Woche entspricht das in etwa der Forderung nach zehn Euro in der Stunde. Auch die Linkspartei hatte in ihrem Wahlprogramm noch 1400 Euro gefordert. Acht Euro in der Stunde liegen aber unter diesem Betrag. Eine Reihe von Landesratsmitgliedern war der Meinung, daß wir die Kampagne der Linkspartei nicht mittragen können. Andere, darunter alle Mitglieder des Landesvorstandes, forderten, daß wir trotz der Kritik gemeinsame Aktivitäten hierzu mit der Linkspartei durchführen sollten. Es handelte sich um eine ganz normale Parteidebatte.
F: Warum dann aber der Rücktritt von vier Vorstandsmitgliedern?
Unterschwellig ging es darum, ob sich die WASG weiter als eigenständige Partei begreift, die auch eigene Positionen hat. Dem steht die Meinung gegenüber, daß wir politische Fragen aus dem Blickwinkel der Einheit mit der Linkspartei zu beantworten hätten. Doch diese Frage der Einheit soll ja gerade im Parteibildungsprozeß beantwortet werden. Da müssen wir klare inhaltliche Positionen entwickeln, die an der Basis zuvor diskutiert worden sind. Nur so entsteht Glaubwürdigkeit. Das ist der Kern des Konflikts, der sich so nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in anderen Ländern stellt.
F: Wie wollen Sie denn diese Glaubwürdigkeit erreichen?
Wir haben am Mittwoch eine Erklärung veröffentlicht, in der wir unter anderem für Mindestbedingungen bei Regierungsbeteiligungen eintreten kein Sozialabbau, keine Privatisierungen, keine Kriegseinsätze. Das wird aus unserer Sicht eine wichtige Debatte in diesem Parteibildungsprozeß sein. Zum anderen muß durch Programm, Satzung und Statut abgesichert werden, daß es sich um ein neues Projekt handelt, das wirklich die Mitglieder beteiligen will. Wir fordern die Trennung von Amt und Mandat, die paritätische Besetzung der Gremien und Vorstände für eine Übergangszeit sowie die Absicherung der Beteiligungsmöglichkeiten von Mitgliedern befreundeter Parteien oder sozialer Bewegungen wie es ja Anspruch der neuen Partei sein soll.
F: Aus dem Kreis der Zurückgetretenen hört man, daß dies eine unpolitische Haltung sei, welche die WASG letztlich politikunfähig mache.
Kontroverse Debatten gehören zum Selbstverständnis unserer Wahlalternative, die sich doch stets als linke Sammlungsbewegung verstanden hat. Mit »Politikunfähigkeit« hat das nichts zu tun. Eher damit, daß wir keine geschliffene Funktionärspartei sein wollen.
F: Die Zurückgetretenen sprechen von einer Allianz antikapitalistischer und basisdemokratisch orientierter Mitglieder in Schleswig-Holstein, deren gemeinsames Ziel es sei, den Parteibildungsprozeß zu stoppen und die realpolitisch orientierten Mitglieder herauszudrängen. Auch die Debatte zur Regierungsbeteiligung in Berlin hätte dies gezeigt.
Das ist eine Fehleinschätzung, denn in Schleswig-Holstein sind wir fast alle für eine neue linke Partei, die sich aus WASG, Linkspartei.PDS und weiteren Kräften herausbildet. Doch ein solcher Prozeß muß fair und demokratisch verlaufen, sonst schlägt die Stunde der Ankommer und Opportunisten. Das betrifft dann auch Berlin. Das ist ein politischer Konflikt, der nicht administrativ gelöst werden kann. Als Oppositionskraft können wir nur erfolgreich sein, wenn wir die neue linke Partei als Sammlungsbewegung verstehen, in der eine Pluralität von bürgerlichen Humanisten und sozialen Christen bis zu Sozialisten und Kommunisten ihren Platz hat.
http://www.jungewelt.de/2006/06-23/063.php
Rosenkäufer sollen Blumenimporteure auffordern, sich bei den Lieferanten in Kolumbien für eine freie Gewerkschaftsarbeit einzusetzen. Ein Gespräch mit Aidé Silva Mateus
Aidé Silva Mateus ist Vorsitzende der kolumbianischen Blumenarbeitergewerkschaft Untraflores
Interview: Andreas Grünwald
F: Allein in Deutschland werden jährlich Rosen im Wert von einer Milliarde Euro verkauft. Viele dieser Blumen kommen aus Kolumbien. Welche Bedeutung hat dies für Ihre Volkswirtschaft?
Der internationale Rosenmarkt gehört zu den wichtigsten Devisenquellen des Landes, weshalb auch die Anbauflächen ständig wachsen. Unsere Rosen werden vor allem in die USA gebracht. Gewinnbringend werden sie auch in Deutschland, Japan und Rußland verkauft. Doch dafür müssen auf den Plantagen 90000 Menschen, überwiegend Frauen, unter den erbärmlichsten Bedingungen schuften.
F: Hat sich die Ausbeutung der Blumenarbeiter noch verschärft?
Das Pensum ist durch ein neues Arbeitssystem noch einmal gestiegen. Einzelne Gruppen müssen nun monatelang die gleichen Tätigkeiten, zum Beispiel in gebückter Haltung ausüben. Erkrankungen wie Rückenleiden oder Sehnenscheidenentzündungen nehmen damit zu. Die zuständigen Stellen weigern sich aber häufig, sie dann auch als Berufskrankheit anzuerkennen. So werden die Kranken ohne Entschädigung und ohne Rente einfach entlassen. Die Ausbeutung nimmt aber auch durch Subunternehmen zu, die nur noch befristet einstellen. In Stoßzeiten sind Vertragslaufzeiten von acht bis 15 Tagen keine Seltenheit mehr. In diesen Zeiten arbeiten wir auch schon mal 36 Stunden ohne längere Pause.
F: Ruht die Arbeit denn zumindest nach der Behandlung der Rosen mit Pestiziden?
Nach dem Gesetz schon je nach Giftkategorie bis zu 18 Stunden. Doch ich kenne kein einziges Unternehmen, das sich daran hält. In der Regel müssen wir schon nach ein oder zwei Stunden wieder in die Gewächshäuser, wenn das Gift gerade mal getrocknet ist. 2003 kam es zu einem großen Unfall, als auf einer Plantage gleich 380 Arbeiter in Ohmacht fielen. Doch die Firma kam mit einer kleinen Geldstrafe davon; bis heute gibt es niemanden, der die Pestizideinsätze kontrolliert.
F: 2001 haben Sie dann Ihre Gewerkschaft gegründet.
Zunächst als Industriegewerkschaft. Doch gezielt strichen die Unternehmer unseren Mitgliedern alle Vergünstigungen und bedrohten sie sogar mit Kündigungen. Der Druck war so groß, daß wir landesweit nur noch sechs Mitglieder hatten. Erfolg brachte dann eine Doppelstrategie, bei der wir zusätzlich zum Dachverband auch Betriebsgewerkschaften gründeten. Vorstandsvertreter der Betriebsgewerkschaften haben nach dem kolumbianischen Arbeitsgesetz einen gewissen Kündigungsschutz. Heute haben wir 1 600 Mitglieder und sind in fünf großen Betrieben verankert.
F: Was können Rosenkäufer z. B. in Deutschland tun, um Ihre junge Gewerkschaft zu unterstützen?
Die Unternehmer haben Angst vor internationaler Solidarität, denn sie fürchten, daß dadurch ihr Bild von der sauberen Rose aus Kolumbien angekratzt wird. Das könnte zu Marktverlusten führen. 2003 war ich schon einmal in Deutschland und habe damals mit Blumenimporteuren diskutiert, was dann sofort eine nachhaltige Wirkung in meinem eigenen Betrieb hatte. Seitdem ist es mir erlaubt, zum Arzt zu gehen, um dort mein durch Pestizide verursachtes Asthma behandeln zu lassen. Natürlich erhalte ich dann keinen Lohn.
Gut wäre es, wenn Rosenkäufer ihre Blumenimporteure auffordern, sich ihrerseits bei den Lieferanten in Kolumbien für eine freie Gewerkschaftsarbeit einzusetzen.
http://www.jungewelt.de/2006/05-09/002.php
18. Februar in Hannover: Demonstration gegen Unternehmerwillkür im Bewachungsgewerbe. Ein Gespräch mit Gerald Richter
* Gerald Richter ist Bundesfachgruppenleiter der Gewerkschaft ver.di für den Bereich Sonstige Dienstleistungen und dort für das Wach- und Sicherheitsgewerbe zuständig
F: Verdi ruft für diesen Sonnabend alle Beschäftigten der Wach- und Sicherheitsbranche bundesweit zu einer Demonstration nach Hannover auf. Warum?
Dort hat die Heros Unternehmensgruppe ihren Sitz, die als Marktführer der Geld- und Werttransportbranche allein im letzten Quartal 2005 drei Konkurrenzfirmen darunter die SECURITAS Geld- und Wertdienste GmbH mit 1700 Beschäftigten aufgekauft hat. Diesen Mitarbeitern werden nun elementare Arbeitnehmerrechte verweigert, und Betriebsräte wurden aufgefordert, ihre Tätigkeit einzustellen, weil dies nicht zur Heros-»Unternehmenskultur« passe. Zudem hat das Unternehmen keinerlei Bereitschaft zur Aufnahme von Sozialtarifverhandlungen gezeigt, mit denen bestehende Arbeitsplätze gesichert werden sollen. Wir befürchten zudem, daß noch weitere Firmen aufgekauft werden sollen und wir am Ende in der ganzen Branche ähnliche Zustände haben wie bei Heros. Deshalb nehmen nicht nur Beschäftigte aus den aufgekauften Unternehmen, sondern aus der gesamten Branche an der Demonstration teil.
F: Wie kann man Betriebsräte dazu bringen, sich aufzulösen?
In Halberstadt wurde den Kollegen gesagt, daß sie »plattgemacht« würden, wenn sich der Betriebsrat nicht auflöst. Die Betriebsräte sollten eine Erklärung unterschreiben, mit der sie ihr Amt sofort niederlegen. Ähnlich ist es in Osnabrück gelaufen, wo die Beschäftigten ankreuzen sollten, ob sie noch einen Betriebsrat wünschen oder nicht. Garniert mit dem nötigen Druck, erhält man dann das gewünschte Ergebnis.
F: Ist das nicht rechtswidrig?
Selbstverständlich. Aber dieses Vorgehen entfaltet eine Schockwirkung unter den Kollegen, denn die Angst um den Arbeitsplatz ist riesengroß. Viele sind jenseits der 40 oder 50 und hätten bei Arbeitslosigkeit kaum eine Chance, erneut einen Job zu finden. Bezüglich der Vorkommnisse in Halberstadt haben wir einen Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft eingereicht.
F: Wie kann Heros einzelne Niederlassungen einfach »plattmachen«?
Bei der bisherigen SECURITAS GmbH war zum Beispiel jede Niederlassung eine eigenständige GmbH. Das ist so geblieben. Gleichzeitig ist Heros-Geschäftsführer Karl-Heinz Weis aber nun überall als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer zuständig. So kann er Aufträge einfach auf andere Teile seines Imperiums übertragen, und für die betroffene Niederlassung droht dann die Insolvenz. Ich befürchte, daß bei SECURITAS so verfahren werden soll, denn dort haben wir stabile und gute Betriebsräte, die dann gleich mit weg wären.
F: Was für Löhne zahlt Heros?
Obwohl die meisten Lohntarifverträge in der Wach- und Sicherheitsbranche allgemeinverbindlich sind, also auch gelten, wenn eine Firma nicht tarifgebunden ist, bleibt Heros meist darunter. In einigen Standorten, die Heros nun übernommen hat, sollten die Mitarbeiter neue Arbeitsverträge unterschreiben, in denen der Hinweis auf die Anwendung der Tarifverträge gestrichen ist.
F: Sind die Tariflöhne denn zu hoch?
In Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen liegen sie bei zehn bis über elf Euro in der Stunde, in Schleswig-Holstein bei 7,50 Euro. In Ostdeutschland haben wir Tariflöhne zwischen fünf und sechs Euro.
F: Wie konnte Heros zum Marktführer werden?
Viele Unternehmen haben Heros noch vor zehn oder zwölf Jahren als Subunternehmen für den eigenen Preiskampf genutzt. Offensichtlich ist ihnen Heros nun über den Kopf gewachsen, der Preiskampf setzt sich aber fort. So lavieren große Teile der Branche seit Jahren an der Grenze zur Insolvenz.
F: Wie lauten Ihre Forderungen bei der Demonstration in Hannover?
Für die aufgekauften Unternehmen fordern wir Sozialtarifverträge. Generell sollen alle Tarifverträge, die für die Branche gelten, auch bei Heros eingehalten werden. Genauso, wie die gesetzlich definierten Arbeitnehmerrechte, wozu auch das Recht zählt, einen Betriebsrat zu wählen.
http://www.jungewelt.de/2006/02-18/025.php