24. Januar 2005
Ausstellung über Zwangsarbeit in Hamburg eröffnet
Sie hätten sich eine andere Jugend gewünscht. Als der Krieg vorüber war, war jedoch auch sie für die Zwangsarbeiter in Deutschland dahin.
Kein anderer Ort atmet hanseatische Würde wie der Kaisersaal des Hamburger Rathauses. Große Ölgemälde zeigen die Mächtigen vergangener Tage. Prächtige Kronleuchter erhellen die Sicht. Hier trug sich jüngst Präsident Putin ins goldene Buch der Stadt ein. Am Freitagvormittag hatte Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) aus einem seltenen Anlass zum Empfang geladen: Eröffnung der Ausstellung »In Hamburg haben wir unsere Jugend gelassen Zwangsarbeit von 1940 bis 1945«. Erschienen war auch Innensenator Udo Nagel (parteilos). Der sei für Abschiebepolitik gegenüber Flüchtlingen zuständig, raunte eine Besucherin im Saal, wo man Angehörige der VVN, des Auschwitz-Komitees und die »Freunde der Gedenkstätte KZ Neuengamme« sah.
48 Ausstellungstafeln sind im Foyer des Rathauses aufgestellt. Sie zeigen Briefe und Fotos von Zwangsarbeitern. Ernste und ängstliche Gesichter sieht der Besucher auf den Fotos. 500000 Menschen haben die Stadt zwischen 1940 und 1945 als »Fremdarbeiter durchlaufen«. Man erkennt Franzosen, Italiener, Holländer. Vor allem aber Menschen aus Polen und der Sowjetunion. Seit der Entschädigungsdebatte ist die Zwangsarbeit wieder in das Gedächtnis von mehr Menschen in Deutschland gerückt. Wie das Ausbeutungssystem aber funktionierte, wissen, 60 Jahre nach dem Krieg, nur wenige. In der Ausstellungsmitte steht eine große Stadtkarte. 1500 Punkte sind darauf verzeichnet. Jeder Punkt trägt eine Nummer. Jede Nummer bezeichnet ein Lager.
Im Kaisersaal spricht die 80-jährige Ukrainerin Anna Naliwajko-Guk. 17 Jahre war sie alt, als sie deportiert wurde. Dankbar sei sie nun dafür, die »Stadt ihrer Jugend« zu sehen. So gehe es vielen Teilnehmern des Besuchsprogramms, sagte Katja Hertz-Eichenrode. Sie arbeitet in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und organisiert seit 2001 ein Besuchsprogramm für Zwangsarbeiter. Die Menschen seien dankbar, wenn sie die Einladung erhalten. Selbst dann, wenn sie so alt sind, dass sie nicht mehr reisen. Mit diesen Kontakten sei die historische Aufarbeitung besser möglich. Viele Ausstellungsexponate stammen von den Zwangsarbeitern.
Später sagt Steffi Wittenberg vom VVN-Landesvorstand, dass sie darauf hoffe, dass nach der Ausstellung Zwangsarbeiter nicht wieder in Vergessenheit geraten. Nur die Willi-Bredel-Gesellschaft unterhält eine kleine Dauerausstellung. Im Stadtteil Fuhlsbüttel konnte sie einstige Wohnbaracken von Zwangsarbeitern erhalten und nutzen. Vom Alltag der Zwangsarbeiter ist hier die Rede: Betten voller Ungeziefer, kalte Winter, Rübensuppe, täglich 12 Stunden Arbeit in der Rüstungsindustrie. Insgesamt 13,5 Millionen Menschen waren in Deutschland als Arbeitssklaven eingesetzt. Der größte Teil bestand aus Zivilpersonen. Hinzu kamen Kriegsgefangene und KZ-Insassen. Rassistisch wurden »Fremdarbeiter« in Kategorien eingeteilt. Polen und Russen standen ganz unten.
Nach der Ausstellungseröffnung widersprach die Historikerin Dr. Frederike Littmann auf einer Veranstaltung diffamierenden Unterstellungen, Zwangsarbeiter hätten gern in Deutschland gearbeitet: »Keiner der Zwangsarbeiter ist freiwillig gekommen.« Not und Elend der besetzten Länder hätten Anwerbungsversuchen der Arbeitsämter allerdings eine Grundlage gegeben. Später seien erzwungene Massendeportationen erfolgt. Seit Jahren erforscht Littmann die Zwangsarbeitergeschichte in Hamburg. Nicht leicht, hatten doch Gestapo und das Landesarbeitsamt alle Unterlagen vernichtet. In Militärarchiven, Akten aus der Industrie- und Handelskammer und der Werft Blohm + Voss wurde sie fündig.
Erst mit dem Heer von Arbeitssklaven aus dem Ausland habe Deutschland den Krieg führen können, stellt Littmann fest. Der Arbeitskräftemangel der Hamburger Industrie habe diese ab April 43 veranlasst, Deportationen sogar selbst zu organisieren. Im Mai 44 waren 40 Prozent aller Arbeitsplätze mit Zwangsarbeitern besetzt, in der Industrie sogar 60 Prozent. Das Unrecht sei offen und unter wissender Beteiligung der Bevölkerung erfolgt. Im Tagebuch des Werftbesitzers Walter Blohm hat Littmann gelesen, dass dieser den Krieg schon 1943 für verloren hielt. Zwangsarbeitereinsatz vollzog sich dann zur Produktionsmittelsicherung für die Nachkriegszeit, sagte Littmann.
Nur von einer Widerstandsaktion in Hamburg weiß man heute. Aber es habe doch Fluchtversuche gegeben, fragt eine ältere Dame. Diese seien im letzten Kriegsjahr so gravierend gewesen, bestätigt Littmann, dass Sanktionen, von der Züchtigung bis zum Arbeitserziehungslager, nicht mehr griffen. Die »Ordnung« wurde mit öffentlichen Hinrichtungen aufrechterhalten.
Am Abend sind nur noch wenige Besucher im Rathausfoyer zu sehen. Eine junge Frau und ihr Freund stehen vor einer der Tafeln, lesen entsetzt den Brief eines Zwangsarbeiters. Schon als Kind wurde er deportiert. Am Anfang hätten er und seine Kameraden gedacht, dass der Direktor ihnen die Hand zur Begrüßung reichen wolle. Doch dann seien sie geschlagen worden. In drei Jahren immer wieder. Wie Maschinen hätten sie am Ende funktioniert.
Die Ausstellung im Rathaus ist noch bis 11. Februar zu sehen. Eine Sonderführung in der Gedenkstätte der Willi-Bredel-Gesellschaft findet am 6. Februar ab 14 Uhr am Wilhelm-Raabe-Weg 23 statt.
Verwendung unter Pseudonym: Neues Deutschland
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier
1 Kommentar
14. Januar 2005
Nazi-Provokationen in Hamburg-Wilstorf
Zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen 100 Neonazis und 300 antifaschistischen Gegendemonstranten ist es am vergangenen Sonnabend im Hamburger Bezirk Harburg gekommen. „Freie Nationalisten“ unter dem Hamburger Neonazi-Chef Christian Worch hatten kurzfristig zu einer Mahnwache für einen „niedergestochenen Kameraden“ und „gegen Ausländergewalt“ aufgerufen. Tatsächlich war es in der Nacht zum 27. Dezember im Harburger Stadtteil Wilstorf zu einer Auseinandersetzung zwischen Skinheads und Jugendlichen gekommen, bei der gegen 2 Uhr in der Frühe sechs Skinheads die Tür eines Wohnhauses einschlugen und mit dem Ruf „Ausländer raus“ mehrere Bewohner bedrohten. Aus Angst wehrte sich einer der angegriffenen Jugendlichen mit einem Messer, wobei einer der Skinheads leicht verletzt wurde.
Solche Vorfälle sind im Stadtteil Wilstorf kein Zufall. Schon seit Jahren ist der Stadtteil eng mit dem Wirken von Nazi-Gruppen verbunden: als Rekrutierungsmittelpunkt der Naziszene südlich der Elbe wie auch als Tatort für ausländerfeindliche Übergriffe. Der ursprünglich eher kleinbürgerlich strukturierte Stadtteil hat durch Arbeitslosigkeit stark gelitten. Soziale Widersprüche sind besonders sichtbar. Zur Normalität des Viertels gehören das Schützenfest und Deutschtümelei, wie andererseits zunehmende Armut. Diese Problemlage hat gerade jüngst neuen Stoff erhalten: Das Harburger Traditionsunternehmen Phönix wird nach der Übernahme durch Continental 1000 Mitarbeiter entlassen. Viele von ihnen wohnen in Wilstorf. Ein idealer Nährboden für neonazistische Rekrutierungsversuche. Auch bundesweit bekannte Kader, wie die Nazianwältin Gisa Pahl, haben sich hier angesiedelt und im benachbarten Sinnstorf produziert die Naziskinband „Oi Drumz“ ihre CDs.
Gegen den Naziaufmarsch hatte ein antifaschistisches Bündnis aufgerufen. Man könne sich im Kampf gegen faschistische Umtriebe nicht auf den Staat verlassen, erklärte der Harburger Antifaschist Jan Malten. Nicht hingenommen werden könne, wenn Neonazis sich nun als Opfer darstellen. Ziel der Antifaschisten war es den Nazi-Aufmarsch zu verhindern. Das verhinderten wiederum mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei, die den Stadtteil weiträumig abriegelten. Immerhin gelang es den Antifaschisten mit lautstarkem Protest den Nazi-Aufmarsch zu stören.
Für den Hamburger Neonazi-Führer Christian Worch sind solche Aufmärsche gerade jetzt besonders wichtig, ist dieser doch durch seine Kritik an der NPD bei den „Freien Nationalisten“ nicht mehr unumstritten. Worch hatte die zunehmende Dominanz der NPD im rechten Lager beklagt, geriet damit aber – angesichts der Wahlerfolge der NPD – zunehmend in die Isolation. Mit dem Aufmarsch in Harburg wollte Worch Handlungsfähigkeit nachweisen.
Für den 5. Februar haben die „Freien Nationalisten“ von 11 bis 17 Uhr in der Seevepassage in Harburg einen „nationalen Infostand“ angekündigt. Das Antifa-Bündnis ruft erneut zu Protesten auf.
Verwendung: Unsere Zeit
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier
April 1994
„Wahlen sind Scheiße!!!“, so sprang es uns in der letzten Ausgabe der Lokalberichte ins Auge. Fast trotzig darunter: ein vermummtes schwarzes Sternchen. Viel mehr ist auf den ersten, sicherlich auch auf den zweiten Blick nicht zu erkennen.
Die Leserinnen und Leser beginnen sich zu fragen, was das soll? (F) wollte ganz offensichtlich provozieren, denn ein größerer Teil der LeserInnen, nicht nur des INFO, sondern auch der Lokalberichte, wird mit dieser einfachen Sicht der Dinge kaum etwas anfangen können. Das weiß auch (F). (F) hat sich wohl darüber geärgert, daß in den letzten Ausgaben auch über Debatten und Anlage des Wahlkampfjahres einiges zu lesen war, oder er wollte wohl einfach mal austesten, was er uns so zumuten kann.
Na ja: Die Absicht ist angekommen, erschrecken oder gar provozieren kann er damit freilich niemanden. Am allerwenigsten die LeserInnen aus dem PDS/Linke Liste-Spektrum. Uns ärgert am Artikel eher der Umstand, wie sich hier Teile der Antifa-Bewegung mit aller Gewalt selbst lächerlich machen. Denn erst auf den dritten Blick erkennt mensch, daß (F) Bezug nimmt auf Wahlergebnisse von populistischen, faschistischen und rassistischen Gruppen. Deren Wahlergebnisse bei den jüngsten Wahlen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind erschreckend hoch. Die geballte Faust des Sternleins soll wohl an die Parole erinnern „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“.
Ich meine, daß die politische Debatte zu Problemen antifaschistischer Arbeit schon auf höherem Niveau stattgefunden hat. Auch die Beiträge von (F) waren in diesem Zusammenhang schon lesenswerter. (F) läuft mit diesem Beitrag Gefahr, das Leseverhalten der Leser der Lokalberichte in einer Weise zu manipulieren, wie es ihm eigentlich nicht recht sein sollte. Denn durch diesen Beitrag scheinen (ungerechtfertigte?) Vorurteile über die Antifa-Bewegung nur bestätigt. Es ist aber gerade ein Fortschritt auch der letzten Ausgaben, daß ganz unterschiedliche Formen von politischem Widerstand und von Opposition diskutiert werden, auch über ganz unterschiedliche Bereiche berichtet wird. Unter anderem auch über die Verbindung von parlamentarischen und außerparlamentarischen Widerstandsformen, und daß wir so miteinander (und schrittweise) in eine ernsthafte Diskussion kommen.
Verwendung: Lokalberichte Nr. 8 1994 (April 1994)
Permalink zu diesem Artikel, Kommentare lesen oder schreiben: hier
Eintrag versenden: hier