Warum die Hamburger SPD überhaupt noch zur Bürgerschaftswahl im Frühjar 2008 antreten will und wozu sie gar einen Spitzenkandidaten braucht, ist eigentlich nicht ersichtlich. Selten hat sich ein Landesverband einer großen Partei so systematisch zerlegt wie der der Hamburger Genossen. Gegen deren Intrigensumpf wirkt selbst die brandenburgische CDU wie ein Musterbeispiel für Geschlossenheit. Höhepunkt waren vor rund zwei Wochen 1000 verschwundene Stimmzettel bei der parteinternen Urwahl eines Bürgermeisterkandidaten, was den kompletten Landesvorstand samt möglicher Kandidaten entnervt zum Rückzug bewog. Angefragte »Retter« wie Henning Voscherau winkten entsetzt ab. Dieser sozialdemokratischen Konkursmasse steht mit Amtsinhaber Ole von Beust (CDU) ein äußerst beliebter Politiker gegenüber, der seiner Partei längst vorgemacht hat, wie man die urbanen neuen Mittelschichten gewinnen kann.
Angesichts solcher Konstellationen schlägt stets die Stunde für Menschen, von denen nichts erwartet wird. Diese Stellenbeschreibung paßte punktgenau auf Michael Naumann, der zwar gerne den weltgewandten Intellektuellen mimt, aber weder als Publizist und Verleger noch bei seinem Ausflug in die Bundeskulturpolitik Bäume ausgerissen hat. Zuletzt wurde er noch als Verwalter gepflegter Langeweile in der Chefredaktion der Zeit bemerkt, bevor er sich auf eine Art Altersteilzeitstelle als Mitherausgeber des Blattes zurückzog.
Es spricht für die äußerst kargen beruflichen Perspektiven Naumanns, daß er am Donnerstag in Hinblick auf die ihm angetragene Spitzenkandidatur betonte: »Ich mache das gerne«. Postwendend warf er die Phrasendreschmaschine an. Er wolle »die wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs vorantreiben« und dabei »soziale Aspekte berücksichtigen«. Und dabei »durch Hartnäckigkeit überzeugen« und »die Innenpolitik neu fokussieren«.
Für die offizielle Nominierung durch den kommenden Landesparteitag der Hamburger SPD dürfte das dicke reichen. Man kann Ole von Beust schon jetzt zur Wiederwahl gratulieren.
[Dieser Kommentar wurde von meinem jW-Kollegen Rainer Balcerowiak verfasst.]
Verwendung: Junge Welt
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