Massiver Einsatz von Polizei und Milizen in Teheran. Gewerkschaft ruft zu weiteren Aktionen auf

[Der nachfolgende Beitrag ist ein Gemeinschaftsprodukt zusammen mit dem Müncher Journalisten Nick Brauns]
 
Die seit Wochen andauernden Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaft und Polizei in der iranischen Hauptstadt Teheran sind am Wochenende eskaliert. Dabei soll es zur Festnahme von Hunderten Arbeitern und ihren Familien gekommen sein. Für Samstag hatte die staatlich nicht anerkannte Verkehrsarbeitergewerkschaft Vahed zu einem Streik aufgerufen. Neben besserer Bezahlung forderten die Busfahrer die Legalisierung ihrer Gewerkschaft und die Freilassung ihres Vorsitzenden Mansur Ossanlou. Ossanlou war am 22. Dezember inhaftiert worden. Ihm soll nun ein politischer Prozeß wegen »Kontakten zu ausländischen Organisationen« gemacht werden. Als Beweis dient ein Spendenkonto mit den Solidaritätsgeldern ausländischer Gewerkschaftsaktivisten.
 
Teherans Bürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf, ein ehemaliger General der Revolutionsgardisten Pasdaran, erklärte den Streik für illegal, da die Gewerkschaft nicht offiziell registriert sei. Offensichtlich sollten gemeinsam mit der Polizei paramilitärische Milizen – die sogenannten Revolutionswächter – den Streik im Keim ersticken. So wurden 100 Streikposten bereits in der Nacht zum Samstag verhaftet. Zudem waren nach vorliegenden Augenzeugenberichten an allen Busdepots Tausende Sicherheitskräfte postiert, die Streikwillige verprügelten und Hunderte Personen festnahmen. Teilweise wurden Busfahrer mit Waffengewalt zum Dienst gezwungen. Auch die Bushaltestellen wurden belagert, um Solidaritätskundgebungen zu verhindern. Doch die Busfahrer geben nicht auf. 500 Verhaftete sind nach Angaben der Gewerkschaft am Sonntag früh in einen Hungerstreik getreten, und für Donnerstag rufen Aktivisten erneut zum Streik auf. Dann soll es zudem eine Solidaritätskundgebung in Teheran geben.
 
Die Bedeutung des Ausstandes ergibt sich auch aus der Tatsache, daß nach iranischem Gesetz Gewerkschaften eigentlich verboten sind. Als Interessenvertretung für einzelne Betriebe sind lediglich »islamische Arbeiterräte« zugelassen. Der erst im Juni 2005 gegründeten Vahed-Gewerkschaft gehört nach eigenen Angaben rund die Hälfte der 16000 Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Nahverkehrs im Großraum Teheran an.

http://www.jungewelt.de/2006/01-31/024.php



Niederländische Politiker in Furcht vor Unruhen Jugendlicher

Niederländische Politiker befürchten »französische Verhältnisse« in ihren Großstädten. Um Krawalle zu vermeiden, haben christdemokratische, sozialdemokratische und rechtsliberale Abgeordnete angekündigt, »Drill Camps« für arbeitslose und auffällig gewordene Jugendliche einzurichten.

»Anständigkeit und Verantwortungsbewusstsein« müsse den Jugendlichen in den »Drill Camps« beigebracht werden, erläuterte Hans de Boer, Chef der staatlichen »Task-Force« zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Auch Ministerpräsident Jan Peter Balkenende (Christdemokratischer Appell – CDA), hat Unterstützung signalisiert und sein Parteikollege, der Parlamentsabgeordnete Eddy van Hijum, sagte der »Volkskrant«, dass eine Ausweitung des Programms auch auf Schulschwänzer wünschenswert sei.

Ausgelöst wurde die Debatte durch Vorfälle in Amsterdam, wo sich marokkanische Jugendliche im Stadtteil Slotervaart erst kürzlich eine regelrechte Straßenschlacht mit der Polizei lieferten. Sie hatten nach dem Tod eines 17-Jährigen, der sich zuvor mit dem Motorrad eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert hatte und dabei am 11. Januar ums Leben gekommen war, eine Polizeidienststelle angegriffen. Mehrere Autos wurden demoliert. Daraufhin alarmierte Amsterdams Bürgermeister, der Sozialdemokrat Job Cohen, auf einer Konferenz mit 14 Stadtteilräten die Öffentlichkeit. Die Gewalt in den Problemvierteln der niederländischen Metropole nehme ständig und bedrohlich zu, sagte der Bürgermeister, der dann spektakulär daran erinnerte, dass ein ähnlicher Vorfall wie der in Slotervaart die wochenlangen Unruhen in französischen Großstädten ausgelöst hatte.
Ein besonderes Problem für Jugendliche mit ausländischer Herkunft ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Trotz Arbeitspflicht haben 40 Prozent von ihnen keinen Job, von Ausbildungsplätzen ganz zu schweigen. Perspektivlosigkeit ist für viele programmiert, denn auch Schulabschlüsse sind kaum vorhanden. Ohne Einnahmen ist das Leben in den Vorstädten noch trister. Die Gewalt nimmt vor allem untereinander deutlich zu, aber auch gegen alles, was als fremd oder feindlich empfunden wird.

»Disziplinlosigkeit« nennt dies de Boer, der von 40 000 »hochproblematischen Jugendlichen« allein in den niederländischen Metropolen spricht. 4000 von ihnen sollen nun jedes Jahr in ein Umerziehungslager. Fern ab der Großstädte, untergebracht in ehemaligen Kasernen und unter militärischer Leitung. Kontakt hat de Boer zur Armee, aber auch zur staatlichen Jugenderziehungsanstalt in Den Engh bereits aufgenommen.

In Den Engh sind schon jetzt 200 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, denen Straftaten zur Last gelegt werden, untergebracht. Konfrontationspädagogik, Drill, Gehorsam und Unterordnung sind dort angesagt. Das Heim erinnert an die umstrittenen Glenn-Mills-Camps in den USA und ist gesichert wie ein Gefängnis. Sie sollen »aus dem Nest herauskommen und sich die Schuhe putzen«, beschreibt Boer das pädagogische Programm.

Eher einsam ist hingegen die Kritik, die von Pädagogikprofessor Micha de Winter (Universität Utrecht) ausgeht. Im »Algemeen Dagblad« verwies Winter auf Forschungsergebnisse, die längst widerlegt hätten, dass durch »hartes Anpacken« Kriminalität und Vandalismus zu bekämpfen sind. Gehorsam sei zudem nicht mit verantwortungsvollem Handeln zu verwechseln. Dazu müssten Jugendliche aber erzogen werden, sagte Winter, der eine »pädagogische Offensive« forderte, die Familien, Schulen und alle staatlichen Institutionen einbezieht. Die Jugendlichen müssten fühlen, dass sie nicht abgelehnt, sondern in der Gesellschaft willkommen sind, was sich durch Arbeit und bessere Schulausbildung realisieren lasse.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=84874&IDC=2&db=Archiv



Demonstration mit über 10 000 Teilnehmern in Strasbourg. Weitere Streikwelle in vielen europäischen Häfen

Mehr als 10 000 Hafenarbeiter aus vielen Ländern haben am Montag vor dem Europäischen Parlament in Strasbourg gegen die Annahme der Dienstleistungsrichtlinie Port Package II demonstriert. An der Spitze des kilometerlangen Demonstrationszuges zogen 2 000 Hafenarbeiter aus Spanien, ihnen folgten Tausende aus Frankreich und Portugal. Mit über 60 Bussen waren Belgier angereist, ihnen schlossen sich Delegationen aus Deutschland, Malta, Zypern, Griechenland, Polen, Holland, Dänemark, Italien, Großbritannien, Schweden und vielen anderen europäischen Ländern an. Sogar aus Australien und von der Westküste der USA waren Hafenarbeiterdelegationen nach Strasbourg gereist.

Bernt Kamin, Betriebsratsvorsitzender des Gesamthafenbetriebs Hamburg, war mit 280 Kollegen gekommen. »Diese Demonstration ist unglaublich groß und kämpferisch«. sagte er zu junge Welt. »Die Hafenarbeiter haben unmißverständlich klargemacht: Port Package wird es mit uns nicht geben!« In einer ersten Streikwelle hatten die Hafenarbeiter der deutschen Seehäfen schon am Mittwoch letzer Woche die Arbeit niedergelegt.

Parallel zur Demo standen in vielen Häfen die Kräne still, u. a. in Barcelona, Lissabon, Nantes, Bordeaux, La Rochelle und Dünkirchen. Auch in Schweden legten die Hafenarbeiter für drei Stunden die Arbeit nieder. In den Niederlanden gab es kleinere Streiks, u. a. in Rotterdam, Amsterdam und Vlissingen. In Belgien beteiligten sich allein in Antwerpen 3 000 Hafenarbeiter am Arbeitskampf.

Streiks und Demo richten sich gegen die neue EU-Richtlinie Port Package II, von der die Hafenarbeiter den Verlust von Arbeitsplätzen, die Einschränkung sozialer Standards und Gehaltsverlust befürchten. Eine ähnliche Richtlinie, damals Port Package I genannt, war schon vor zwei Jahren an den Hafenarbeitern gescheitert. Die Abstimmung über Port Package II ist für Mittwoch vorgesehen. Nach Ansicht von Beobachtern ist die Chance deutlich gestiegen, daß auch dieser zweite Versuch der EU-Bürokraten scheitert.

http://www.jungewelt.de/2006/01-17/005.php



Europäische Docker wehren sich weiter gegen geplante neoliberale Richtlinie aus Brüssel. Port Package II im EU-Parlament vor dem Scheitern

Der Widerstand der europäischen Hafenarbeiter gegen die Hafenrichtlinie Port Package II (jW berichtete) setzt sich fort. In Frankreich, Belgien und Spanien haben heute morgen Tausende Hafenarbeiter für 48 Stunden ihre Arbeit niedergelegt. Blockadeaktionen haben zugleich in mehreren griechischen Häfen, wie in Piräus und Thessaloniki, begonnen. Kürzere Arbeitsniederlegungen sollen zudem in Schweden, Dänemark und Portugal stattfinden. Zeitgleich sind etwa 8000 Hafenarbeiter nach Strasbourg gereist, wo am heutigen Montag gegen 13 Uhr an der Rue de la Première eine Großdemonstration quer über den Place de la République beginnen wird. Sie führt zum Europäischen Parlament, dessen dreitägige Plenarberatungen dort um 17 Uhr beginnen. Zu der Demo haben sich Hafenarbeiterdelegationen aus Spanien, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Großbritannien, Deutschland, Italien, Finnland, Griechenland, Schweden, Norwegen, Portugal und Zypern angekündigt. Sie wollen den Druck auf das Europaparlament verstärken, bevor dieses am Mittwoch über Port Package entscheiden wird.

Für eine Ablehnung der Hafenrichtlinie stünden die Chancen nicht schlecht, sagte Sahra Wagenknecht, Abgeordnete der konföderalen Fraktion der »Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke« gegenüber junge Welt. Die Linkspartei.PDS-Politikerin begrüßte die Aktionen der Hafenarbeiter als beispielhaft. Von den Fraktionen der Linken, der Grünen und der Sozialdemokraten wird die Richtlinie fast einhellig abgelehnt. Selbst Abgeordnete der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei haben inzwischen angekündigt, mit Nein zu stimmen. Diese Ablehnungsfront betrifft nicht nur den Richtlinientext selbst, sondern auch jenen Rapport, den der CDU-Europaabgeordnete Georg Jarzembowski, Berichterstatter des Verkehrsausschusses, am morgigen Dienstag geben wird. Jarzembowski, der seit Jahren als eifrigster Kämpfer für Port Package und als Interessenvertreter der Reeder gilt, hat eine drohende Niederlage bereits eingeräumt. Im Interview mit der Tageszeitung Die Welt vermutete er, daß das Parlament Port Package »bedauerlicherweise« ablehnen werde.

Doch daß die Deregulierungsfanatiker der EU-Kommission nach dieser erneuten Niederlage (schon 2003 war Port Package I gescheitert) endlich Ruhe geben und die florierenden Häfen sich selbst überlassen werden, muß bezweifelt werden. Mit drohendem Unterton hat EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot schon angekündigt, daß notfalls das »Gemeinschaftsrecht zur Dienstleistungsfreiheit und Wettbewerbskontrolle« auch in den Häfen greife. »Wettbewerbshüter« aus Brüssel könnten Prüfverfahren für einzelne Häfen veranlassen, wo sie »Wettbewerbsverzerrung« konstatieren. Schon jetzt sind Rotterdam, Antwerpen und Hamburg im Gespräch. So könnte die EU-Kommission doch noch versuchen, neue Ausschreibungsverfahren für die Hafendienstleistungen durchzusetzen, was soziale Standards in den Häfen, samt relativ guter Löhne, gefährden würde.

Parlamentsentscheidungen zu beeinflussen, sei nur ein Teil des Kampfes, hatte der Betriebsratsvorsitzende des Hamburger Gesamthafenbetriebs (GHB), Bernt Kamin, dazu gegenüber junge Welt gesagt. Noch wichtiger sei es, daß die Hafenarbeiter kampfbereit blieben, in den Betrieben und auf der Straße. Werde der Widerstand internationalisiert, wären die Hafenarbeiter nur schwer zu besiegen. Das hat auch der Streik der deutschen Hafenarbeiter in der vergangenen Woche gezeigt, wo zum Abschluß der Aktionen allein in Hamburg am Mittwoch abend 4500 Beschäftigte aus allen Hafenbetrieben gemeinsam durch die Innenstadt demonstrierten. Gelassen reagieren sie jetzt auch auf das Getöse aus der Hafenwirtschaft und von einigen Reedern, die die Arbeitskämpfe als »rechtswidrig« bezeichneten. Begründung: Politische Streiks seien in Deutschland nicht erlaubt. Als »eitles Getue« bezeichneten Betriebsräte der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) diese Vorwürfe gegenüber jW.

http://www.jungewelt.de/2006/01-16/009.php



Gewerkschaften wollen geplante EU-Hafenrichtlinie zu Fall bringen / Auch Bahn-Pläne ein Thema

Im Rahmen EU-weiter Proteste streiken heute Arbeiter in deutschen Häfen. Schwerpunkt der Aktionen ist Hamburg.

Am Montag beginnen im Europäischen Parlament die Beratungen zur neuen EU-Hafenrichtlinie »Port Package II«, die der Verkehrsausschuss ohne Änderungsvorschläge ins Plenum eingebracht hat. Anträge der sozialistischen, der grünen und der linken Fraktion, die Pläne abzulehnen oder zumindest abzuschwächen, waren knapp gescheitert.

Doch nun machen die Hafenarbeitergewerkschaften mobil, die als Folge der Richtlinie Lohn- und Sozialabbau, aber auch den Verlust tausender Arbeitsplätze befürchten. Erstmalig haben sich die beiden internationalen Dachverbände, die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) und der International Dockworkers Council (IDC), auf einen gemeinsamen Aktionsplan geeinigt; er wurde auf einer Konferenz letzte Woche in Le Havre auf Einladung der französischen CGT beschlossen. Den Protestauftakt in Deutschland machen seit heute Nacht die Hamburger Hafenarbeiter, die für 24 Stunden ihre Arbeit niederlegten. Seit 6 Uhr früh wird auch in Bremerhaven gestreikt. Kürzere Arbeitsniederlegungen sind über den ganzen Tag in Emden, Norderham/Brake, Lübeck und Rostock geplant, wo Betriebsräte und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu Info-Veranstaltungen einladen. Parallel gibt es Aktionen in Dänemark, Schweden und Holland. Kommende Woche setzt sich die Streikwelle in Belgien, Frankreich und Spanien fort. Tausende Hafenarbeiter werden am Montag vor das europäische Parlament in Straßburg ziehen.

Am Widerstand der Gewerkschaften war im November 2003 bereits der erste Richtlinienentwurf »Port Package I« gescheitert; die Mehrheit des Parlaments verweigerte damals die Annahme. Doch nach den Europawahlen 2004 veränderten sich die Mehrheitsverhältnisse, so dass die EU-Kommission auf eine Annahme ihres Entwurfs hofft. Sie will mehr Wettbewerb in den Häfen durchsetzen, was zur Senkung der Umschlagspreise und zum Anstieg der Handelsströme führen soll. Das, so unterstreicht EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot, führe zu mehr Beschäftigung. Künftig sollen die Hafenbetreiber ihre Dienstleistungen regelmäßig ausschreiben. Käme es zum Betreiberwechsel, müssten bisherige Belegschaften nicht übernommen werden. Auf erbitterten Widerstand der gut organisierten Hafenarbeiter trifft zudem der Plan, wonach Reeder künftig eigenes Personal für Lotsendienste und zur Abfertigung der Schiffe mitbringen können.

Die Richtlinie ist auch in der Hafenwirtschaft und bei Politikern der betroffenen Regionen umstritten. Hier argumentiert man, die Pflicht zur Ausschreibung könne sich als Investitionshemmnis erweisen. Es bestünde die Gefahr, dass »Global Player« alteingesessene Betreiber verdrängen.

In Hamburg erwartet die Gewerkschaft eine 90-Prozent-Beteiligung der Hafenarbeiter an den als Blockaden bezeichneten Streikaktionen. Man ist zusätzlich erzürnt, weil der Senat durch den beabsichtigten Mehrheitsverkauf des Hafenbetreibers HHLA an die Deutsche Bahn AG seinerseits Arbeitsplätze gefährde. Unlängst wurde ein Geheimpapier von Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) und Bahn-Finanzvorstand Diethelm Sack bekannt, das ein Zweistufenmodell der Übernahme vorsieht. Das Argument des Senats, ein Umzug der Bahnzentrale von Berlin nach Hamburg bringe neue Jobs, lassen Betriebsräte nicht gelten. Sie befürchten Stellenabbau durch Synergieeffekte bei den Logistikdienstleistungen.

Allein bei der HHLA werden heute über 30 Schiffe liegen bleiben, was den Reedern und der Hafenwirtschaft, welche die Aktionen als rechtswidrig bezeichneten, Schäden in Millionenhöhe bescheren dürfte. Auch in Rostock und Lübeck wird es zu Behinderungen im Schiffsverkehr kommen. Dort sind Lotsen am Aufstand beteiligt.
Ihre Teilnahme an den Aktionen haben ver.di-Chef Frank Bsirkse sowie verschiedene Bundestags- und Europaabgeordnete der SPD angekündigt. Auch Linkspartei und WASG wollen im Hamburger Hafen ihre Solidarität mit den Arbeitern zum Ausdruck bringen.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=83896&dc=3&db=Archiv



In der Nacht zum Mittwoch beginnen in Hamburg die internationalen Protestaktionen der Hafenarbeiter gegen die geplante EU-Richtlinie »Port Package 2«

Die neoliberalen Privatisierungsfetischisten in der EU lassen nicht locker: Ab Montag nächster Woche soll im Europaparlament die neue Hafenrichtlinie »Port Package 2« beraten und beschlossen werden, nachdem der erste Richtlinienentwurf (»Port Package 1«) 2003 am Widerstand der Hafenarbeiter scheiterte. Diese machen jetzt erneut mobil. Ab heute Nacht um 23 Uhr wird die Arbeit in den Containerhäfen von Bremerhaven und Hamburg für 24 Stunden niedergelegt. Beteiligen werden sich auch die Lotsen, so daß Schiffe weder abgefertigt werden noch in die Häfen einlaufen können. Kürzere Arbeitsniederlegungen verbunden mit Infoveranstaltungen soll es am Mittwoch auch in Brake, Emden, Nordenham, Lübeck und Rostock geben.

Die Reeder schäumen und wollen ihre Schiffe umlenken. Doch wo sie in Europa auch anlaufen werden, auf eine Entladung können sie nicht hoffen, denn die Proteste sind Teil eines international koordinierten Aktionstages, dem sich zwölf europäische Hafengewerkschaften angeschlossen haben. In Dänemark, Finnland, Schweden, Holland, Griechenland, Zypern und Belgien wird es morgen ebenfalls zu Aktionen und Arbeitsniederlegungen kommen. Die Streikwelle setzt sich dann in der nächsten Woche in Spanien, Portugal und Frankreich fort, wo die Hafenarbeiter für 48 Stunden ihre Arbeit niederlegen werden.

Im Zentrum des Protestes steht die Absicht der EU-Kommission es den Reedern künftig zu ermöglichen, Schiffe mit eigenem Personal abzufertigen. Mit einem neuen Ausschreibungsverfahren besteht zudem die Gefahr, daß bei einem Betreiberwechsel der Hafengesellschaften bisherige Belegschaften nicht übernommen werden. Während sich Reeder und Teile der Großindustrie Senkungen der Hafenumschlagspreise erhoffen, befürchten die Hafenarbeiter schlechtere Arbeitsbedingungen, allgemeinen Lohnabbau sowie den Verlust von Arbeitsplätzen.

Auf einer Sitzung des EU-Verkehrsausschusses im November hatten sozialistische, kommunistische, grüne und linke Abgeordnete deshalb gefordert, den Richtlinienentwurf zurückzuziehen, was der Auschuß mit knapper Mehrheit von 26 zu 24 Stimmen aber zurückwies. Die Reederverbände hatten ihrerseits versucht, dem Protest der Hafenarbeiter die Spitze zu nehmen, indem auf die Möglichkeiten einer Selbstabfertigung der Schiffe verzichtet werden sollte. Doch der Ausschuß beschloß, den ursprünglichen Text im Parlament zur Abstimmung zu stellen. Der aber trifft auf erbitterten Widerstand der Hafenarbeiter.

Wie groß dieser ist, wird sich in Hamburg zeigen, wo die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di damit rechnet, daß 90 Prozent der Hafenarbeiter die als »Blockade« bezeichneten Streikaktion im größten deutschen Seehafen mittragen werden. Allein bei der Hamburger Hafen- und Logistik AG werden 30 Schiffe liegenbleiben. Die Hafenarbeiter treffen sich am Burchardkai, wo gegen 13 Uhr der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske spricht. Von dort geht es mit Bussen und Autos quer durch den Hafen zum Schuppen 42, wo gegen 15 Uhr eine Großdemonstration in Richtung Innenstadt beginnen wird. Eine Großdemonstration ist auch für kommenden Montag direkt vor dem EU-Parlament in Strasbourg angekündigt, zu der Tausende Kollegen aus ganz Europa erwartet werden.

http://www.jungewelt.de/2006/01-10/001.php



Europas Hafenarbeiter lassen sich EU-Vorschriften nicht gefallen. Die zwei Gewerkschaftsdachverbände gehen jetzt gemeinsam vor. Ein Gespräch mit Bernt Kamin

* Bernt Kamin ist Betriebsratsvorsitzender der Gesamthafenarbeiter in Hamburg

F: Für den morgigen Mittwoch haben die europäischen Hafenarbeiter massive Streiks angekündigt. Was wollen Sie damit bezwecken?

Der Versuch der Europäischen Kommission, mit Hilfe der Richtlinie »Port Package 2« die sozialen Rechte der Hafenarbeiter zu beschneiden, verdient genau diese Antwort. Es muß jedem Europaabgeordneten klar werden, daß wir diese neue Hafenrichtlinie nicht akzeptieren. Das werden wir auch durch eine Großdemonstration in Strasbourg zum Ausdruck bringen, die am Montag stattfindet.

F: Der Verband der deutschen Reeder hat den Arbeitskampf als rechtswidrig und zudem als wirkungslos bezeichnet.

Wäre ich Unternehmersprecher, würde ich das auch sagen. Tatsache ist aber, daß die Hafenarbeiter mit »Port Package 1« schon den ersten Versuch der EU-Kommission vereitelt haben. Durch diese Richtlinien würden sich unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtern -wir nehmen das nicht hin.

F: Sie kommen gerade von einer Konferenz der europäischen Hafenarbeitergewerkschaften in Le Havre. Was wurde da beschlossen?

Es gibt in Europa zwei Dachverbände der Hafenarbeitergewerkschaften. Zum einen die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF), zu der auch ver.di und die belgische Transportarbeitergewerkschaft gehören. Zum anderen gibt es das »International Dockworker Council« (IDC), dem die großen französischen, spanischen und griechischen Hafenarbeitergewerkschaften angehören. Beide Dachverbände hatten eigene Aktionsplanungen beschlossen – die ETF für den 11. Januar, die IDC für den 16. und 17. Januar.

In Le Havre haben sich jetzt die Vertreter von über 100 europäischen Häfen auf einen gemeinsamen Aktionsplan geeinigt. Das heißt: Wenn wir am Mittwoch z. B. Schiffe in Hamburg oder Bremerhaven blockieren, dann können die Reeder nicht einfach auf andere europäische Häfen ausweichen – sie würden dort ebenfalls blockiert. Außerdem wurde vereinbart, daß die Demonstration in Strasbourg auch durch Gewerkschaften der ETF unterstützt werden, so daß jetzt Hafenarbeiterdelegationen aus ganz Europa teilnehmen werden.

F: Konnten Gewerkschaften, die dem IDC angehören, bisher nicht an gemeinsamen Treffen teilnehmen?

Das ist erst jetzt möglich, weil wir die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten der Dachverbände beiseite geschoben haben und weil die Treffen auf Einladung einzelner Gewerkschaften und nicht der Dachverbände stattfinden. Zum Treffen in Le Havre hatte die französische CGT nicht nur die ETF-Gewerkschaften eingeladen, sondern auch solche aus dem IDC. So konnten erstmals die großen Hafenarbeitergewerkschaften aus Spanien, Portugal, Schweden, Griechenland und Zypern mit einbezogen werden. Die Widersprüche, wie sie aus der Spaltung der Weltgewerkschaftsbewegung in einen eher kommunistisch-linkssozialistischen Teil und in »freie Gewerkschaften« existieren, konnten bei der Planung gemeinsamer Widerstandsaktionen der Hafenarbeiter überwunden werden. Von großer Bedeutung ist es dabei, daß mit Manfred Rosenberg (ver.di) und Julian Garcia von der spanischen Coordinadora auch die führenden Repräsentanten der ETF-Hafenarbeitersektion und der des IDC an dem Treffen teilnahmen. Wenn sich diese Zusammenarbeit verstetigt, wird sich unsere Schlagkraft erheblich erhöhen.

F: Das ist in der Abschlußresolution der Konferenz bereits angedeutet, wo es heißt, daß »inakzeptable Initiativen« der Europäischen Kommission auch künftig gemeinsam bekämpft werden.

Durch regelmäßige Information, gegenseitige Unterstützung und engste Zusammenarbeit sind die europäischen Hafenarbeitergewerkschaften nun tatsächlich die ersten, die auf diese »Europäisierung« oder »Globalisierung« der Angriffe von Politik und Kapital eine wirkungsvolle Antwort durch gemeinsamen außerparlamentarischen Kampf finden. Das ist das strategische Element dieser Konferenz in Le Havre, was uns stärkt und neue Kraft gibt. Sollte das europäische Parlament die Hafenrichtlinie annehmen, dann geht der Tanz erst richtig los. Europaweit werden die Reeder und die Politiker angegriffen, die unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtern wollen.

http://www.jungewelt.de/2006/01-10/021.php



Hamburgs Hafenarbeiter wollen Mehrheitsverkauf der HHLA an die Bahn AG nicht zulassen. Auch längerer Arbeitskampf ist nicht ausgeschlossen. Ein Gespräch mit Gerd Müller

* Gerd Müller ist Mitglied des Gemeinschaftsbetriebsrates der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA)

F: Trotz aller Kritik hält der Hamburger Senat an einem Mehrheitsverkauf der HHLA an die Deutsche Bahn AG fest. Schon im Februar sollen fertige Verträge vorliegen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Als Betriebsrat haben wir uns immer gegen einen Mehrheitsverkauf der HHLA ausgesprochen, gleich an wen. Darüber existieren mit dem Haupteigner, also der Freien und Hansestadt Hamburg, auch Verträge. Die wurden abgeschlossen, als die HHLA vor einigen Jahren in Einzelgesellschaften aufgegliedert wurde. Doch der jetzige CDU-Senat hält sich nicht an diese Verträge und führt nun schon seit dem Frühjahr Geheimverhandlungen über einen Mehrheitsverkauf der HHLA an die Bahn AG, die erst im Dezember bekannt wurden. Einen solchen Verkauf werden wir nicht zulassen.

F: Hamburgs Wirtschaftssenator erhofft sich über den Mehrheitsverkauf Neuinvestitionen in Höhe von 400 Millionen Euro. Außerdem rechnet die Stadt mit dem Umzug der Bahnzentrale von Berlin nach Hamburg, wodurch 1000 neue Arbeitsplätze entstehen sollen.

Diese Arbeitsplätze werden doch zugleich in Berlin vernichtet. Auf eine solche Standortlogik, bei der Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden, werden sich Hamburgs Hafenarbeiter nicht einlassen. Es ist auch falsch, von Neuinvestitionen zu sprechen. Denn diese Investitionen, von denen der Wirtschaftssenator redet, gibt es auf jeden Fall – egal, ob die HHLA nun verkauft wird oder nicht. Sie sind auch schon angeschoben und werden größtenteils aus der HHLA heraus sowie zusätzlich über Kredite finanziert. Diese Investitionen sind nötig, weil die HHLA ein florierendes Unternehmen ist, das im Containerumschlag und im gesamten Arbeitsvolumen ständig wächst. Es sind normale Erweiterungsinvestitionen, für die niemand die Deutsche Bahn AG braucht.

Was eine mehrheitliche Privatisierung für die Beschäftigten heißt, hat schon das Beispiel des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) gezeigt. Ein öffentliches Unternehmen wurde mitsamt seinen Beschäftigten zum Spielball von Finanzinteressen. Auch bei der HHLA könnten Hunderte Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen – allein schon durch Rationalisierungsschübe, die vor allem im Verwaltungs- und Logistikbereich zu befürchten sind. Nicht ausgeschlossen wäre es zudem, daß die Bahn einzelne Filetstücke herausbricht, womit die ökonomische Gesamtstärke der HHLA verloren ginge.

F: Wie wollen Sie sich gegen die Privatisierung wehren?

Nachdem bekannt wurde, daß die HHLA verkauft werden soll, haben Hunderte Kollegen kurz vor Weihnachten mit einem Autokorso demonstriert. Wir haben damit deutlich gezeigt, daß wir eine Mehrheitsprivatisierung der HHLA nicht hinnehmen. Jetzt bereiten wir für den 11. Januar den internationalen Aktionstag der europäischen Hafenarbeiter gegen das »Port Package« vor. Wir planen einen 24-Stunden-Boykott. So wehren wir uns gegen diese neue Hafenrichtlinie, mit der die EU-Kommission Hafendienstleistungen europaweit privatisieren will. Da besteht ein enger Zusammenhang auch zu dem, was der Senat jetzt für die HHLA plant. Am 19. Januar werden wir unsere 3500 Mitarbeiter zur ersten Gesamtpersonalversammlung der HHLA einladen. Natürlich in der Arbeitszeit. Auch damit werden wir ein deutliches Signal setzen.

F: Reichen Signale aus?

Wir werden – nach und nach – weitere Aktionen organisieren, um die öffentliche Debatte im Sinne unserer Interessen zu beeinflussen. Der Senat sollte eigentlich wissen, daß er sich mit der Belegschaft des größten Hamburger Hafenbetriebs anlegt. Wir sind gut organisiert. Wir sind solidarisch und wir sind, wenn es sein muß, auch kampfstark. Zudem sind Hafenarbeiter sehr spontan. Beim Autokorso sind einige Kollegen anschließend gleich zum Rathaus weitergezogen. Daß da eine Bannmeile existiert, die Demonstrationen eigentlich ausschließt, hat sie nicht interessiert.

F: Ist ein längerfristiger Arbeitskampf denkbar?

Bei der jetzigen Stimmung kann ich mir das gut vorstellen.

http://www.jungewelt.de/2006/01-05/022.php



Hamburg: Antifaschisten rufen zur Kundgebung vor Alterswohnsitz des Kriegsverbrechers Gerhard Sommer auf

In Hamburg ruft ein antifaschistisches Bündnis für diesen Samstag zu einer Kundgebung und Demonstration unter dem Motto »NS-Mörder sind unter uns!« im Stadtteil Volksdorf auf. Dort lebt der ehemalige SS-Offizier Gerhard Sommer, der im Juni 2005 von einem italienischen Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haft wegen 560fachen Mordes verurteilt worden war. Das Massaker in dem italienischen Bergdorf gilt als eines der schwersten deutschen Kriegsverbrechen. Doch weil Bundesbürger nach deutschem Recht nicht ausgeliefert werden müssen und die deutsche Staatsanwaltschaft eine eigene Anklageerhebung systematisch verschleppt hat, lebt Sommer unbehelligt in einer noblen Altenresidenz.

Das Verbrechen wurde vor 61 Jahren am 12. August 1944 verübt. Angeführt vom Kompanieführer Sommer stürmten Soldaten der SS-Division »Reichsführer SS« das Bergdorf Saint’ Anna. Auf der Suche nach Partisanen stießen sie auf 560 Kinder, Frauen und viele ältere Leute, die sie innerhalb von vier Stunden erschlugen, erschossen oder verbrannten. Das gesamte Dorf wurde ausgelöscht.

Daß dieses Kriegsverbrechen erst heute verfolgt wird, geht auf die Öffnung des sogenannten »Schrankes der Schande« zurück. In den fünfziger Jahren wurden 695 von den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über deutsche Kriegsverbrechen in Italien mit Rücksicht auf den westdeutschen Bündnispartner auf unbestimmte Zeit in einen Aktenschrank geschlossen. Erst 1994 entdeckten Justizbeamte die Aktenbündel, mit deren Auswertung es möglich wurde, diverse Verfahren gegen noch lebende Täter einzuleiten.

Als das Verfahren gegen Sommer und seine neun Mitangeklagten im April 2004 begann, lebte der heute noch rüstige 84jährige Pensionär in einem Einfamilienhaus, das er inzwischen zugunsten einer sehr noblen Altenresidenz im Hamburger Stadtteil Volksdorf aufgegeben hat. Für mehr als 1 700 Euro im Monat verbringt er dort seine Tage in idyllischem Grün und mit ausgedehnten Spaziergängen. Reue plagt ihn dabei nicht. Er habe ein »absolut reines Gewissen«, sagte Sommer kurz nach seiner Entdeckung einem Fernsehmagazin der ARD.

Für Hamburger Antifaschisten ist die Nichtverfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern Ausdruck einer unzureichenden Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Die Kundgebung in Hamburg ist Teil einer Kampagne, mit der soviel Druck entwickelt werden soll, daß auch in Deutschland eine Anklageerhebung gegen Sommer erfolgt. Sonst, so Wolfram Siede, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA), würde »Überlebenden und ihren Angehörigen erneut und endgültig öffentliche Anteilnahme und juristische Genugtuung versagt« bleiben. Am Samstag will das Bündnis Tafeln mit den Namen der Opfer an den Zaun von Sommers Altenresidenz niederlegen. Aufgerufen haben dazu die VVN, der Arbeitskreis Distimo, das Auschwitz-Komitee, die Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände, der Freidenkerverband, die Willi-Bredel-Gesellschaft, DKP, Regenbogen sowie autonome Antifa-Gruppen.

* »NS-Mörder sind unter uns!« Beginn der Demo am Samstag, 26. November, 11.30 Uhr, Gedenkstein Weiße Rose (U-Bahn Volksdorf)

http://www.jungewelt.de/2005/11-25/014.php



Hafenarbeiter machen gegen neuen Versuch mobil, sie durch billige Schiffsbesatzungen zu ersetzen. Kampf gegen »Port Package II«

In Deutschland, Schweden, Dänemark, Belgien, Großbritannien und Spanien legen die Hafenarbeiter am heutigen Montag ihre Arbeit nieder, um sich an Veranstaltungen und Demonstrationen zu beteiligen. Koordiniert durch die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) gilt der Protest dem Verkehrsausschuß des Europäischen Parlaments, der am Dienstag in Brüssel über den »Richtlinienentwurf für den Marktzugang von Hafendienstleistungen« (Port PackageII) entscheiden will. Bei Zustimmung käme die Richtlinie schon im Januar 2006 zur Beschlußfassung ins Plenum des Parlaments. Tausende qualifizierte Hafenarbeitsplätze seien damit in Gefahr, begründete die ETF ihre Aktion, an der sich in Deutschland die Containerhäfen in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Kiel und Rostock beteiligen. Weil aber Streiks nach deutschem Recht nur bei Tarifverhandlungen erlaubt sind, laden die Betriebsräte zu »Info-Veranstaltungen« ein, damit die Beschäftigten zeitweilig ihre Arbeit niederlegen können. Gleichzeitig wollen sich Hafenarbeiter aus allen EU-Staaten in Brüssel versammeln und Institutionen des Europäischen Parlaments belagern.

Schon im Novembe 2003 hatten die Hafenarbeiter einen Richtlinienentwurf der damaligen Verkehrskommissarin Loyola de Palacio zum Scheitern gebracht. Nach wochenlangen Auseinandersetzungen in den Häfen verweigerte die Parlamentsmehrheit schließlich die Annahme von Port Package I. Doch bereits am 13. Oktober 2004 brachte Palacio einen zweiten, leicht modifizierten Entwurf in das Parlament ein. Die EU-Kommission hofft nun auf Zustimmung, denn die politische Parlamentsachse hat sich im Ergebnis der Wahlen 2004 nach rechts verschoben.

Seit Port Package I stand bisher vor allem eine Frage im Zentrum der Auseinandersetzung: Können die Reeder ihre Schiffe künftig mit eigenem Billigpersonal entladen? Das hätte besser bezahlte Hafenarbeit verdrängt. Doch unmittelbar vor den Ausschußberatungen am Dienstag deutet sich nunmehr an, daß dessen Berichterstatter Gerhard Jerzembowsky (CDU) diese Bestimmung ganz aus der Richtlinie herausnehmen will. Die Reederverbände hatten zuvor verdeutlicht, daß sie keinen neuen Konflikt mit gut organisierten Hafenarbeitern haben wollen.

Auf Ablehnung stößt Port Package aber nicht nur bei Hafenarbeitern. Olaf Ohlsen, hafenpolitischer Sprecher der Hamburger CDU, verwies darauf, daß die Umschlagspreise in Europa schon jetzt niedriger seien als in den USA oder in Asien. Ohlsen und weitere Regionalpolitiker befürchten zudem, daß etablierte Hafenunternehmen durch global agierende Konzerne aus dem Geschäft vertrieben werden. Ablehnung signalisieren auch Ralf Nagel, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, der auf die Folgekosten verwies, die allein in Deutschland bei 300 Millionen Euro lägen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Studien in Holland und Großbritannien.

Die Hafenarbeiter machen sich solche Konflikte zunutze und hoffen deshalb nicht nur auf die Unterstützung der Linken im Parlament, sondern auch auf die der Sozialisten und Grünen. Bernt Kamin, Betriebsratsvorsitzender des Gesamthafenbetriebs Hamburg, der zu den Organisatoren des internationalen Protestes gehört, sagte gegenüber junge Welt aber auch, daß für den Ausgang des Konflikts der außerparlamentarische Kampf der Hafenarbeiter entscheidend bleibe. Deswegen werde es im Januar weitere Proteste geben.

http://www.jungewelt.de/2005/11-21/017.php



Gewerkschaften wollen neue EU-Hafenrichtlinie zu Fall bringen

Europaweit legen Hafenarbeiter heute zeitweilig ihre Arbeit nieder. Zu den international koordinierten Aktionen hat die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) aufgerufen.

Der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments will am Dienstag seine Empfehlung zum »Richtlinienentwurf für den Marktzugang von Hafendienstleistungen« (Port Package II) abgeben. Richtig ernst wird es dann im Januar, wenn das Parlament über die Richtlinie abstimmt, die nach Meinung der ETF »tausende qualifizierte Hafenarbeitsplätze« gefährdet. Dagegen richtet sich gewerkschaftlicher Protest. Arbeitsniederlegungen gibt es heute in allen großen Containerhäfen in Deutschland wie Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Kiel und Rostock, wo die Betriebsräte zum Schichtwechsel zu Info-Veranstaltungen einladen. Weitere Proteste sind in Dänemark, Schweden, Großbritannien, Belgien und Spanien geplant. Gleichzeitig wollen 700 Hafenarbeiter, darunter auch Vertreter aus Holland, Frankreich, Griechenland, Zypern, Italien und Malta, europäische Institutionen in Brüssel belagern, wo die ETF auf ein Gespräch mit EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot hofft.

An solchem Widerstand war im November 2003 bereits der erste Richtlinienentwurf gescheitert, den die damalige Verkehrskommissarin Loyola de Palacio eingereicht hatte. Mehrheitlich hatte das Parlament die Annahme verweigert. Für Palacio bis dahin ein einmaliger Vorgang, weshalb sie, kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt, mit Port Package II einen neuen Entwurf ins Parlament einbrachte, in dem sich zudem mit den Europawahlen von 2004 die Mehrheitsverhältnisse änderten. Beim ersten Anlauf traf vor allem ein Passus, der eine Selbstabfertigung der Reeder mit eigenem Personal erlaubte, auf den Widerstand der Hafenarbeiter. Nun sieht es so aus, als ob der Berichterstatter des Verkehrsausschusses, Gerhard Jerzembowsky (CDU), von sich aus die Streichung dieses Passus vorschlägt. Zuvor hatten Vertreter der Reeder verdeutlicht, dass ihnen das Risiko eines erneuten Großkonfliktes mit den Gewerkschaften zu hoch sei. Trotzdem bleibt die ETF bei ihrer Ablehnung. Im Zentrum der Kritik steht jetzt ein neues Ausschreibungsverfahren für Hafendienstleistungen, das bei einem Betreiberwechsel die Übernahme der bisherigen Belegschaft nicht mehr vorsieht.

Widerstand kommt aber auch aus der Hafenwirtschaft sowie von Politikern betroffener Regionen. Im deutschen Bundesrat bezeichneten Vertreter der Küstenländer die Richtlinie als kontraproduktiv. Dabei stützten sie sich auf Studien der Bundesregierung sowie der Regierungen Hollands und Großbritanniens, in denen durch das erhöhte Investitionsrisiko negative Auswirkungen für die Wachstumsraten der Hafenwirtschaft befürchtet werden. Die Studien beziffern die Folgekosten der Richtlinie allein in Deutschland auf 300 Millionen Euro. Auch der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Ralf Nagel, empfahl deshalb, den Entwurf vom Tisch zu nehmen.

Gegen solche Einsicht stehe aber die EU-Kommission, warnt Gerald Kemski, Bundessprecher der AG »Betrieb & Gewerkschaft« der Linkspartei.PDS gegenüber ND. Brüssel sei das feste Regelwerk zwischen Hafenwirtschaft und Gewerkschaften, das bislang gute Arbeitsbedingungen sichere, schon lange ein Dorn im Auge.

Auf Deregulierung setzt auch Europaparlamentarier Jerzembowsky, der damit die Senkung der Hafenumschlagspreise erreichen will. Dagegen ist sein Parteifreund Olaf Ohlsen, hafenpolitischer Sprecher der Hamburger CDU, gegen die Richtlinie. Er befürchtet, dass etablierte Hafenunternehmen verdrängt werden könnten. Im Europaparlament hoffen die Hafenarbeiter vor allem auf die Unterstützung der Sozialisten, der Grünen und Linken, sagt Bernt Kamin, Betriebsratsvorsitzender des Gesamthafenbetriebs in Hamburg, der die internationalen Proteste mit organisiert hat. Für Kamin ist das heute erst ein Anfang. Im Januar soll es auch bei den Hafenarbeitern dann richtig losgehen.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=81300&Idc=3&db=Archiv



Betriebsrat des Hamburger Aluminiumwerks will den norwegischen Stammkonzern wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz enteignen. Wirtschaftssenator: Es ist nicht Aufgabe des Staates, ein Unternehmen zu führen

Die 450 Beschäftigten des Hamburger Aluminium-Werks (HAW) haben den Kampf um ihre Arbeitsplätze noch nicht aufgegeben. Wie berichtet, will deren Haupteigner, der norwegische Aluminiumkonzern Norsk Hydro, die Hütte zum Jahresende schließen, obwohl die Hamburger schwarze Zahlen schreiben, mehrere kaufwillige Übernahmefirmen vorhanden sind und der Konzern gerade das beste Gewinnergebnis seit seiner Gründung einfuhr. Mit einem Enteignungsvorschlag nach Paragraph 14 des Grundgesetzes will deshalb nun der Betriebsrat »an die Politik herantreten«, sobald eine Anwaltskanzlei das Vorhaben geprüft hat.

Mutwillig habe Hydro alle Verkaufsgespräche mit Übernahmeinvestoren ergebnislos platzen lassen, sagte Betriebsratsvorsitzender Karl-Heinz Dieck verärgert. Laut Hydro habe ein »annehmbares Geschäftsmodell« nicht vorgelegen, weil eine wirtschaftliche Produktion in Deutschland – schon wegen der »überhöhten Energiepreise« – nicht möglich sei. Da platzte selbst Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) der Kragen, der dem Konzern mit Sitz in Oslo schließlich vorwarf, nur nach Gewinnmaximierungsinteressen zu handeln.

Tatsächlich hat Norsk Hydro schon vor Jahren beschlossen, seine Primäraluminiumproduktion zu zentralisieren. Dafür mußten auch in Norwegen mehrere Hütten schließen. Die Werkschließung in Hamburg wird seit Jahren über hohe Sonderabschreibungen vorbereitet. Schon 2004 hatte der Konzern einen Vertrag mit dem Emirat in Katar abgeschlossen, wo demnächst ein neues Superwerk entstehen soll. 2009 soll es eine Jahresproduktion von 570000 Tonnen Primäraluminium aufweisen. Das ist soviel, wie die ganze Branche in Deutschland produziert. So eine Produktionszentralisierung verspricht noch höhere Gewinne, vor allem aber die bessere Eroberung neuer Absatzgebiete in Asien.

Doch im Artikel 14 (Absatz 2) des Grundgesetzes heißt es: »Eigentum verpflichtet«. Es soll danach dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Bei Mißbrauch, so sagt es das Grundgesetz, ist eine Enteignung durchaus möglich. Auch für Produktionsmittel, wie Artikel 15 ausdrücklich hervorhebt. Die Enteignung ist »durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes« möglich, in dem »Art und Ausmaß der Entschädigung« geregelt werden.

Das wäre im konkreten Fall für das HAW anwendbar, argumentieren die Anwälte des Betriebsrates. Die Vernichtung der Arbeitsplätze geschehe ohne Not. In der Tat hat allein das HAW seit seiner Gründung vor 30 Jahren den Kapitaleignern einen Profit von einer Milliarde Euro erbracht. Mögliche Neueigner sicherten bisherigen Eignern zudem zu, den Weiterbetrieb in Hamburg ohne jegliches Geschäftsrisiko für diese fortzuführen. Doch für eine Enteignung müßte die Bürgerschaft ein Enteignungsgesetz beschließen. Da allerdings winkt auch Uldall ab, der sich bislang als wahrer Samariter im Kampf um die Arbeitsplätze aufspielte. So etwas wäre keine Lösung, sagte der CDU-Wirtschaftssenator. Es sei nicht Aufgabe des Staates, ein Unternehmen zu führen. Zudem habe es seit 1949 Enteignungen in Westdeutschland nicht mehr gegeben. Wer enteigne, verjage ausländische Investoren – und die, die schon da sind, würden fliehen, sagte Uldall. Ein schwaches Argument, meinen nicht nur Mitarbeiter der HAW. Denn Norsk Hydro flieht ja sowieso.

http://www.jungewelt.de/2005/10-29/019.php



Europas Hafenarbeiter bereiten sich auf den Kampf gegen neue Port-Package-Richtlinie vor. Fahrplan für Gegenaktionen vereinbart. Ein Gespräch mit Bernt Kamin

* Bernt Kamin ist Betriebsratsvorsitzender der Gesamthafenarbeiter in Hamburg

F: Im Jahr 2003 scheiterte die Port-Package-Richtlinie zur Deregulierung von Hafendienstleistungen am Widerstand der Hafenarbeiter. Ein Jahr später brachte EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio Port Package II ins Parlament. Wird es jetzt ernst damit?

Als Palacio sich erdreistete, die Richtlinie in leicht verschärfter Form erneut einzubringen, spekulierte sie auf bessere Parlamentsmehrheiten nach den Neuwahlen 2004. Leider konnte die konservative Europäische Volkspartei (EVP) ihren Einfluß tatsächlich ausbauen. Da entgegen ersten Annahmen der neue Verkehrskommissar Jacques Barrot die Richtlinie dann unterstützte, begannen die parlamentarischen Vorarbeiten. Am 22. November wird der Verkehrsausschuß darüber abstimmen, was er dem Parlament empfiehlt. In den Vorberatungen wurde vorgeschlagen, den für uns wichtigen Punkt der Selbstabfertigung durch die Schiffsbesatzungen zu streichen: Das war wegen der damit verbundenen Bedrohung unserer Arbeitsplätze natürlich ein Kristallisationspunkt im Widerstand gegen Port Package I. Die Reeder selbst hatten verdeutlicht, daß ihnen das Risiko zu hoch ist, wenn sich daran erneut internationaler Widerstand der Hafenarbeiter festmacht.

F: Wäre die neue Fassung denn notfalls hinnehmbar?

Auch der verbliebene Entwurf bleibt unakzeptabel. Die Richtlinie zielt darauf ab, die Sozialsysteme in den Häfen zu schleifen. Ein sehr wichtiger Punkt ist dabei: Tritt die Richtlinie in Kraft, müßten bei einem Betreiberwechsel vorhandene Belegschaften nicht mehr übernommen werden. Solche Hafendienstleistungen – also z. B. die eines Containerterminals – müssen künftig in bestimmten Abständen neu ausgeschrieben werden. Einige Großkonzerne versuchen, weltweit die Transportketten in den Griff zu bekommen. Bisherige Hafenbetriebe müßten ihre Belegschaften dann mangels Arbeit entlassen, während die Neubetreiber ihre Mitarbeiter zu schlechteren Bedingungen einstellen. Wobei auch das eine Frage der Kräfteverhältnisse ist.

F: Auf welche Kräfte im Parlament können Sie sich stützen?

Auf die Sozialisten, die Linken und die Grünen. Doch auch andere Abgeordnete fragen sich, warum die Häfen dereguliert werden sollen. Es gibt doch kaum einen anderen ökonomischen Bereich, der so effizient arbeitet wie die Häfen. Mehr als 200 Änderungsanträge zum Richtlinienentwurf sind bereits eingereicht. Die weitestgehenden Anträge zielen darauf ab, die Richtlinie komplett zurückzuziehen. Mitte Januar wird das Parlament voraussichtlich entscheiden, ob es die Richtlinie überhaupt geben soll.

F: Sie kommen gerade von einer Sitzung der Koordinationsgruppe der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF). Wie werden sich die Hafenarbeiter in die Debatte einbringen?

Ohne Gegenstimme haben wir uns darauf verständigt, den Richtlinienentwurf weiter zu bekämpfen. Anschließend haben wir einen Fahrplan für weitere Aktivitäten besprochen. So wie bei Port Package I werden wir alle parlamentarischen Beratungen – beginnend am 22. November – mit Aktionen und Demonstrationen begleiten. Zugleich sollen überall in Europa unsere Kollegen in den Häfen informiert werden. Dabei ist es sehr wichtig, daß die internationale Koordination unserer Aktionen deutlich wird, auch wenn die Aktionsformen variieren. Für den Hamburger Hafen planen wir – während der Arbeitszeit – »Informationsveranstaltungen«. Je nach dem Stand der Parlamentsberatungen werden wir als ETF solche Aktionen weiter eskalieren. Um erfolgreich zu sein, reicht die Überzeugungs- oder Lobbyarbeit im Parlament nicht aus. Da müssen außerparlamentarische Aktivitäten und der Druck der Hafenarbeiter hinzukommen. Wie beim ersten Mal gilt die klare Botschaft: Was immer ihr beschließt, die Hafenarbeiter Europas werden niemals akzeptieren, daß sie durch Billigkräfte ersetzt werden.

http://www.jungewelt.de/2005/10-22/020.php



Hamburger Hafenarbeiter verhinderten Entladung eines Frachters und setzten Tarifverträge durch. Ein Gespräch mit Jörg Stange

* Jörg Stange ist Inspektor der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) für die norddeutschen Seehäfen

F: Mittwoch früh haben Hamburger Hafenarbeiter damit begonnen, die Entladung des Containerschiffs »Cap Lobos« zu stoppen. Warum?

Der Boykott hat zum Ende der Nachtschicht um 5 Uhr begonnen. Seitdem wurde am Schiff nicht mehr gearbeitet. Zuvor hatten wir den Kapitän gefragt, ob er bereit sei, einen Tarifvertrag zu unterschreiben. Als er es verneinte, weil er dafür keine Vollmachten habe, hat der Boykott begonnen. Erst am Nachmittag waren die Eigner des Frachters bereit, einen Tarifvertrag abzuschließen. Es hat sich mal wieder gezeigt, daß ein Boykott ein wirksames Kampfmittel der Hafenarbeiter ist, um die Seeleute zu unterstützen.

F: Was sind die Folgen für die Seeleute?

Seeleute, die ohne Tarifvertrag arbeiten, sind mit ihren Heuern nicht abgesichert. Gäbe es einen Tarifvertrag, wie er bei der Internationalen Transportarbeiterförderation (ITF) üblich ist, bekäme ein Vollmatrose eine monatliche Heuer von ca. 1 400 US-Dollar. Das ist inklusive Urlaubsgeld und Sonderzahlungen. Doch die Billigreeder zahlen nur 900 bis 1 000 Dollar. Auf Kosten der Besatzungen entsteht so ein Wettbewerbsvorteil. Gleichzeitig werden die Seeleute dieser Billigreeder damit unter Druck gesetzt, sich durch Hafenarbeit etwas hinzuzuverdienen. Dafür gibt es pro Stunde fünf Dollar. Hafenarbeit ist aber Sache der Hafenarbeiter.

F: Das Schiff gehört der Reederei Leonhardt & Blumberg. Chef dieser Reederei ist Frank Leonhardt, der auch Vorsitzender des Verbandes Deutscher Reeder ist.

Die Reederei wollte für keines ihrer 50 Schiffe einen Tarifvertrag unterschreiben. Es ist ein Skandal, wenn ausgerechnet der Chef des deutschen Reederverbandes ein solches Lohndumping betreibt. Zudem ist im konkreten Fall anzumerken, daß die »Cap Lobos« von der »Hamburg-Süd« gechartert wurde. In diesem Chartervertrag ist aber eine Klausel enthalten, daß für die Schiffe ein Tarifvertrag mit der ITF abgeschlossen sein muß.

F: Wie geht es weiter?

Im Schiffahrtsbereich müssen wir Tarifverträge häufig von Schiff zu Schiff durchsetzen, weil sie als einzelne Gesellschaften definiert sind. Doch der Boykott ist ein Mittel, um das durchzusetzen. Schon seit Januar wird von australischen, japanischen und koreanischen Kollegen ein weiteres Schiff von Leonhardt & Blumberg schichtweise boykottiert. Es ist die »NYK Prestige«, die an die Großreederei Nippon Yusen Kaisha (NYK) verchartert ist. Auch für dieses Schiff gibt es jetzt Anzeichen dafür, daß die Reederei einlenkt.

F: Kommt es häufiger vor, daß sich Reeder weigern, Tarifverträge zu unterschreiben?

In letzter Zeit ist es besser geworden. 90 Prozent der Reeder haben Tarifverträge unterschrieben und halten sie auch ein. Allerdings gibt es einige, die sich einerseits dem Risiko eines Boykotts durch ihre Unterschrift entziehen möchten, andererseits dann trotzdem Billiglöhne zahlen. Wenn wir das feststellen, wird es sanktioniert. So lange, bis die betroffenen Seeleute ihre Heuer nachgezahlt bekommen haben.

F: Sehen Sie einen Zusammenhang zum Kampf der Hafenarbeiter gegen die neue EU-Hafenrichtlinie Port Package?

Das Port Package zielt darauf, daß Seeleute auch Hafenarbeit verrichten. Wenn wir die Reeder dazu bewegen, einen ITF-Tarifvertrag zu unterschreiben, unterschreiben sie damit auch eine Klausel, in der sie sich verpflichten, daß ihre Leute keine Hafenarbeit verrichten. Das ist dann auch eine Unterstützung für die Hafenarbeiter. In der nächsten Woche wird übrigens die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) eine Tagung in Strasbourg durchführen, um weitere Aktionen gegen das Port Package zu koordinieren. Wenn sich diese Hafenrichtlinie der EU nicht in entscheidenden Punkten ändert, wird die ETF erneut zu großen Demonstrationen aufrufen.

http://www.jungewelt.de/2005/10-13/021.php



Durch Boykott eines Containerfrachters wurde in Hamburg der Abschluß von Tarifverträgen erzwungen

Mit ihrer Weigerung, das Containerschiff »Cap Lobos« zu entladen, haben Hamburger Hafenarbeiter am Mittwoch die Reederei zum Abschluß eines Tarifvertrages gezwungen. Der Boykott des am Vorabend eingelaufenen Frachters hatte um fünf Uhr morgens, nach Ende der Nachtschicht, begonnen. Zuvor hatten Inspektoren der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) zum dritten Mal vergeblich versucht, einen Tarifvertrag durchzusetzen.

Die »Cap Lobos« gehört zur Reederei Leonhardt & Blumberg, die sich allerdings weigert, mit der ITF Tarifverträge für ihre 50 Schiffe abzuschließen. Firmenchef Frank Leonhardt ist zugleich Vorsitzender des Verbandes Deutscher Reeder.

Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Jan Kahmann hält Leonhardts Geschäftspolitik für skandalös. Er sei aber auch gegenüber seinen Geschäftspartnern unfair, denn die »Cap Lobos« fahre im Auftrag des Charterers Hamburg-Süd. Deren Charterverträge sähen aber vor, daß die Reeder einen Tarifvertrag mit der ITF unterschrieben haben.

Zur Verhinderung von Billigjobs und zur Durchsetzung von Tarifverträgen hat die ITF die Reederei seit längerem im Visier. Schon seit Monaten boykottieren Hafenarbeiter in Australien, Japan und Korea die »NYK Prestige«, die ebenfalls zu Leonhardt & Blumberg gehört. Wie die japanische Seeleutegewerkschaft JSU hervorhob, ist dieses Schiff der einzige Containerfrachter zwischen Südostasien und Australien, der keinen geltenden Tarifvertrag hat.

Für die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geht es um mehr: Schlecht bezahlte Seeleute werden bevorzugt dazu eingesetzt, an Stelle der Hafenarbeiter Schiffe zu be- und entladen. Das soll u.a. die neue EU-Dienstleistungsrichtlinie Port Package in europäischen Häfen ermöglichen. Im ersten Anlauf war die Richtlinie am Widerstand der europäischen Hafenarbeiter gescheitert. Die zweite Runde ist eingeläutet.

* Siehe auch Interview mit Jörg Stange

http://www.jungewelt.de/2005/10-13/012.php



Gespräch mit Moshe Zuckermann über innergesellschaftliche
Spannungen in Israel, Voraussetzungen für eine Lösung des Konflikts mit den Palästinensern und Antisemitismus in Europa

F: Im Dezember hat Israels Ministerpräsident Ariel Scharon ein gutes Jahr für sein Land angekündigt. Er bezog dies auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber auch auf den ökonomischen Bereich. Ist ein Ausweg aus der Wirtschaftskrise erkennbar?

Das ist miteinander verschwistert. Ein Grund für die ökonomische Krise ist die Intifada, ist der israelisch-palästinensische Krieg. Ohne politischen Aufschwung kann es keinen ökonomischen geben. Kommt es zu einer Neubelebung des Friedensprozesses, könnte es sein, daß die Wirtschaft wieder anspringt.

F: Das statistische Amt meldete, daß mehr als eine Million Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Ist die israelische Gesellschaft eine zerrissene Gesellschaft?

Die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft ist seit vielen Jahren durch mehrere Konfliktachsen gekennzeichnet: die jüdisch-arabische, sowohl in Israel als auch in den in den besetzten Gebieten; die Konfliktachse zwischen orientalischen und ashkenasischen Juden; der Konflikt zwischen religiösen und säkularen Juden. Hinzu kommen Klassendiskrepanzen, wobei sich aber ethnische und klassenmäßige Widersprüche überlappen. Ashkenasische Juden sind weitgehend die, die die oberen Schichten der Gesellschaft ausmachen. In den unteren Schichten dominieren orientalische Juden. Darunter sind die Araber. Noch tiefer stehen die 350 000 Gastarbeiter aus Thailand, den Philipinen, Rumänien oder Schwarzafrika. Seit 50 Jahren ist die israelische Gesellschaft mehrfach zersplittert. Ob das zum Tragen kommt, ist immer auch davon abhängig, ob es äußere Konflikte gibt. In Kriegszeiten oder bei größeren Auseinandersetzungen mit der arabischen oder palästinensischen Seite sind die inneren Konflikte weniger sichtbar. In der Tat leben etwa 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der vom Staat selbst gesetzten Armutsgrenze. Darunter viele Araber, Äthiopier, orthodoxe Juden. Vermutlich auch viele der über eine Million in den 90er Jahren zugewanderten russischen Einwanderer.

F: Im Nahost-Konflikt gibt es seit der Wahl von Mahmoud Abbas, besser bekannt als Abu Mazen, zum neuen palästinensischen Präsidenten wieder Hoffnung. Warum entschieden sich die Palästinenser eigentlich für den Wunschkandidaten von Scharon und Georg W. Bush?

Abu Mazen ist von den palästinensischen Wählern mit über 60 Prozent gewählt worden. Das hatte sicherlich mit dem Vakuum nach dem charismatischen Arafat, der aber ausgegrenzt und ausgeschaltet war, zu tun. Gewählt wurde Abu Mazen, weil er die palästinensische Gesellschaft repräsentiert. Wer hätte denn sonst gewählt werden sollen? Die Hamas und der Dschihad tragen die palästinensische Gesellschaft nicht. Das Abu Mazen auch der Wunschkandidat von Bush und Scharon gewesen ist, geht damit einher, daß sich auch die Palästinenser mehr ins Einvernehmen mit Israel und der Hegemonialmacht USA setzen möchten. Die große Frage ist, ob er, ohne dabei die Interessen der Palästinenser zu verraten, die anstehenden politischen Fragen auch mit Scharon aushandeln kann. Das muß man sehen.

F: Ist das nicht auch Ausdruck eines Erschöpfungszustandes in der palästinensischen Gesellschaft?

Das ist zweifelsfrei auch Ausdruck eines Erschöpfungszustandes. Den kann ich auch daran festmachen, was ich von palästinensischen Kollegen hörte, als ich sie fragte, wie sie den Plan von Scharon beurteilen, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen. Dieser Abzug soll ja auch bedeuten, daß man bei der Frage der Westbank freie Hand behält, den Besatzungszustand zu zementieren. Das wäre aber eine Garantie dafür, daß es da nur schlimm aussehen kann. Palästinensische Kollegen aus dem Gazastreifen sagten mir, daß sie derartig die Schnauze voll haben von israelischen Siedlern und Militär und dermaßen ausgepowert sind, daß sie einfach eine Zeit der Ruhe brauchen. Unabhängig davon, ob die Absichten von Scharon nun honorig sind oder nicht, wäre allein schon der Abzug aus dem Gazastreifen positiv. In der Tat ist auch die palästinensische Gesellschaft von Erschöpfung gekennzeichnet. Man redet immer vom Kampf. Aber dieser kostet gesellschaftliche und ökonomische Ressourcen.

F: Nach einer Meinungsumfrage vom Juni 2004 unterstützen 57 Prozent der Palästinenser eine Zwei- Staaten-Lösung, 24 Prozent sehen in der Gründung eines bi-nationalen Staates eine Lösung, nur zwölf Prozent wollen die Schaffung eines islamischen Staates.

Daß die Palästinenser eine Zwei-Staaten-Lösung wollen, ist nichts Neues. Die große Frage ist eher, ob Israel daran interessiert ist und wenn ja, an welcher Zwei-Staaten-Lösung? Wenn die Zwei-Staaten-Lösung bedeutet: Israel zieht sich aus dem Gazastreifen und der Westbank zurück, dann würde der Frieden schon morgen von palästinensischer Seite zu haben sein. Auf der israelischen Seite bei weitem nicht. Für Scharon ist mitnichten abgemacht, daß er die Westbank oder deren größten Teil zurückgeben will.

F: Der Gush-Shalom-Aktivist Uri Avnery schrieb, daß die Chance für die Aussöhnung von Juden und Palästinensern nie größer gewesen sei, als jetzt. Teilen sie diese Einschätzung?

Ja. Dauerhafter Frieden ist aber nur zu erreichen, wenn die israelische Politik bereit ist, vier Bedingungen zu akzeptieren: Abzug aus den besetzten Gebieten, Räumung der Siedlungen, die Lösung der Jerusalem-Frage im Sinne einer Zwei-Staatenlösung, eine zumindest prinzipielle, also symbolische Anerkennung des Rückkehrrechts der Palästinenser. Bei letzterem geht es vor allem um eine symbolische Anerkennung dieses Rückkehrrechts. Darunter wird es sich von den Palästinensern niemand leisten können, einen Frieden mit Israel zu schließen. Ob dies mit Scharon ausgehandelt werden kann, bleibt für mich fraglich. Aber ich lasse mich gern überraschen.

F: Kann die Scharon-Regierung die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen innenpolitisch überhaupt durchhalten?

Der Gazastreifen ist ein Klacks. Das kann durchgehalten werden, wenn man es will. Ich gehe davon aus, daß auch Scharon dies will. Die große Frage ist nicht der Gazastreifen, sondern die Westbank. Das ist der neuralgische Punkt. Im Gazastreifen gibt es 6 000 bis 7 000 jüdische Siedler. In der Westbank sind es 220 000. Wenn es um die Räumung dieser Siedlungen gehen würde, ginge es ans Eingemachte. Da gibt es niemanden in Israel, der das so ohne weiteres durchführen kann. Ich vermute sogar, daß das zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen führen könnte.

F: Aber dann ist doch Gaza eher ein Alibi, um gleichzeitig die Siedlungspolitik in der Westbank nicht nur beizubehalten, sondern sogar noch zu verstärken?

Wenn »Peace Now« jetzt zum Beispiel sagt, daß mit dem Gazastreifen ein Anfang gemacht ist, dann will ich dem nicht widersprechen. Was mit der Westbank wird, müssen wir abwarten. Das ist im Moment nicht aktuell. Im Gegenteil: Es passiert genau das, was Sie in ihrer Frage angezeigt haben.

Prinzipiell ist die Frage eine andere: Will man sich auf einen Friedensprozeß wirklich einlassen? Solche politischen Prozesse halte ich nicht von vornherein für abgeschlossen. Da gibt es viel Dynamik. Ich glaube, daß Israel vor einer historischen Weggabelung steht, und deshalb hat der unilaterale Rückzug aus dem Gazastreifen auch politische Bedeutung. Der Weg zum Frieden führt über die vier Bedingungen, die ich genannt hatte. Das schließt dann natürlich irgendwann das Problem der Westbank ein. Schon jetzt bei der Diskussion um den Gazastreifen gab es in Israel heftige Proteste von rechts außen. Auch das zeigt, was hier in Bewegung kommen könnte. Es ist ein schwieriger Weg. Stellen Sie sich vor: Israel beschließt einen Rückzug aus der Westbank. Für national-religiöse Juden ist das eine nahezu endzeitliche Forderung, bei der sie sagen könnten: »Nur über unsere Leiche«. Damit könnte die Frage eines Bürgerkriegs aufgeworfen sein. Dies wird auch bei Umfragen unter den Siedlern deutlich. Ein Teil würde sich auch mit Gewalt gegen einen Abzug wehren. Tausende Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere unterstützten eine Petition, sich dann Befehlen zu verweigern. Die Gefahr ist vielen bewußt, zumindest ahnen sie diese. Aber was ist, wenn Israel diesen Beschluß nicht faßt? Dann gibt es entweder eine Situation der Apartheid oder es bilden sich – objektiv und längerfristig – binationale Strukturen heraus. Aus rein zionistischer Sicht, ist das die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das ist der reale Zustand, das ist aber auch die historische Weggabelung, von der ich rede.

Im Jahr 1967 hat man den Apfel in den Mund genommen, war weder in der Lage diesen herunterzuschlucken, noch ihn wieder auszuspucken. Man erstickt an ihm im Moment. Es gibt keinen dritten Weg. Vogel-Strauß-Politik führt nicht weiter. Eher dazu, daß das Land weiter von Terror und permanenter Wirtschaftskrise gebeutelt ist. Die große Mehrheit wünscht sich Frieden. Aber der Frieden hat einen Preis. Die Entscheidung steht an.

F: Unter den vier Bedingungen, die Sie genannt hatten, ist doch auch die Forderung nach einem Rückkehrrecht ein sehr neuralgischer Punkt.

In der Tat, denn die Rückkehr würde im wörtlichen Sinne ja nicht bedeuten in einen palästinensischen Staat zurückzukehren. Die Flüchtlinge kommen ja aus dem israelischen Kernland, aus dem sie 1948 vertrieben worden oder geflüchtet sind. Im Rahmen einer Zwei-Staatenlösung wäre die Einwanderung in den palästinensischen Staat möglich, weil es eben der Nationalstaat der Palästinenser wäre. Natürlich wäre das dann auch eine Frage, wie man die Gesellschaft ausbauen kann, die Infrastruktur, die Ökonomie und so weiter. Das Rückkehrrecht nach Israel kann entsprechend begrenzt sein. Darum habe ich von einem symbolischen oder prinzipiellen Recht gesprochen, denn mehr als zum Beispiel 200 000 Menschen wird Israel nicht aufnehmen wollen, denn die israelische Seite will ja den jüdischen Charakter des Staates wahren. Das ist zumindest der Standpunkt des Zionismus, und der wird von der großen Bevölkerungsmehrheit geteilt. Israel ist ein Staat, den die Juden gegründet haben, damit sie einen Nationalstaat haben. Das ist einer der Gründe, warum diese Frage des Rückkehrrechts ein so neuralgischer Punkt ist. Die Frage des Rückkehrrechts ist nicht nur eine Frage der Flüchtlinge, sondern eine, inwieweit sich Palästinenser und Israelis überhaupt auf eine Zwei-Staatenlösung einlassen. Haben sie sich auf eine solche eingelassen, ist die Frage des Rückkehrrechts insofern gelöst, als daß damit ja auch der Staat Israel als ein vornehmlich jüdischer Staat anerkannt wäre, wie auch der der Palästinenser.

Eine ganz andere Frage ist, wie sich dann die großen ökonomischen Probleme gestalten. Ich halte eine Staatsgründung der Palästinenser ohne eine Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung Israel zum Beispiel für nicht denkbar.

F: Geht es längerfristig nicht auch um konföderative Lösungen?

Die Probleme im Nahen Osten sind so gelagert – nehmen sie das Problem der Wasserversorgung –, daß man längerfristig in konföderativen Strukturen denken muß. Das heißt, daß Israel, Jordanien, Syrien und Palästina dann prüfen müssen, wie man gemeinsame Probleme angeht. Das können sie auch als eigenständige Nationalstaaten, die eng kooperieren. Früher oder später wird es dann sowieso zu einer Verflüssigung solcher Grenzen kommen. Ich glaube, daß die Zukunft der Nationalstaaten begrenzt ist.

F: Zu einer anderen Frage. Das US State Department hat eine Studie herausgegeben, die sich mit der Zunahme des Antisemitismus in Europa beschäftigt. Das sei – so die Studie – mit dem Zuzug von Muslimen verbunden. Was halten Sie davon?

Auf eine Studie, die vom State Department ausgeht, würde ich mich nie berufen wollen. Das ist von vornherein ideologisch verdächtig. Warum beschäftigt sich das State Department jetzt mit dem europäischen Antisemitismus und den Muslimen? Das hat doch mit der Politik der USA in der arabischen Welt zu tun, mit dem »Krieg gegen den Terror«. Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus sind drei Paar Schuhe. Israel-Kritik kann betrieben werden, ohne daß man antizionistisch ist. Man kann antizionistisch sein, ohne antisemitisch zu sein. Man kann auch antisemitisch sein, Israel und den Zionismus hassen und die Amerikaner ebenfalls. Umgekehrt ist es möglich, die Amerikaner zu bewundern und trotzdem antisemitisch zu sein. Das eine hängt mit dem anderem nicht zusammen. Von seinen Ursprüngen her, ist der Islam nicht antisemitisch. Der Antisemitismus kommt aus dem Abendland. Antisemitismus im Islam ist erst durch den Konflikt Israel-Palästina relevant geworden. Es gibt in der Tat Formen des Antisemitismus, die mit dem Islam zusammenhängen. Etwa nach folgendem Muster: Der Islam reagiert auf den Westen im antikolonialistischem Sinne. Der Westen wird mit Amerika gleichgesetzt. Amerika wird mit dem Kapitalismus gleichgesetzt. Der Kapitalismus wird mit der Zirkulationssphäre gleichgesetzt. Die Zirkulationssphäre wird schließlich mit dem Juden gleichgesetzt. Die antisemitische Formel entsteht so aus einem Ursprung, der zunächst nur etwas mit dem Ressentiment des Islam gegenüber dem Westen als dem Träger des Kolonialismus zu tun hat. Das jetzt als Regel für den Islam zu setzen, ist aber eher eine Sache, die die ideologischen Bedürfnisse des State Department bedient.

Es gibt in der Tat einen besorgniserregenden Anstieg des Antisemitismus in Europa. Die nach Europa gezogenen Islamisten mögen dabei eine Rolle spielen. Ich glaube, daß dieser Anstieg des Antisemitismus aber eher mit ganz anderen Ursachen zu tun hat. Mit sozialökonomischen Diskrepanzen, mit abgebrochenen Lebenswelten, mit anderen Problemen, die innergesellschaftlich eine Rolle spielen. Ich glaube auch nicht, daß der Antisemitismus heute noch eine größere Rolle für die Juden in der Welt spielt. Womit haben wir es tatsächlich zu tun, wenn wir vom europäischen Antisemitismus reden? Ich glaube, wir haben es mit dem Problem zu tun, daß aus der Verschmelzung von erster, zweiter und dritter Welt in Europa ein zunehmender Fremdenhaß entsteht. Mit dem Zufluß entstehen soziale Spannungen, besonders in den ehemaligen Kolonialländern. Der europäische Rassismus und Faschismus hat eher etwas mit Europa zu tun, als mit dem Zuzug von Islamisten. Warum aber kommen immer mehr Menschen aus der sogenannten dritten Welt in die erste? Das ist ziemlich klar: Weil es nichts zu fressen gibt – und dann suchen sich die Leute eben einen anderen Ort, wo es was gibt.

http://gnn-archiv.staticip.de/archiv/PB/2005/04pb.pdf // Seite 4-6



Verlagerung von Hamburg nach Toulouse angedroht

Im Streit um die geplante Erweiterung des Airbus-Standorts Hamburg-Finkenwerder setzen Konzern und Lokalpolitik auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Gegner des Vorhabens weiter unter Druck.

Das neue Auslieferungszentrum für den Super-Jet A 380 kommt zum Sitz der Airbus-Konzernzentrale nach Toulouse. Zumindest für ein Jahr wird der französische Standort den ab 2006 eigentlich für Hamburg vorgesehenen Anteil von Auslieferungen mit übernehmen. Damit entfallen für die Hansestadt auch der Innenausbau und die Lackierung der neuen Flugzeuge. Eine Rückverlagerung nach Hamburg sei möglich – aber nur wenn die Stadt endlich Planungssicherheit für die geforderte Verlängerung der Start- und Landepiste im dortigen Airbuswerk Finkenwerder herstelle, so Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken am Donnerstag. Gegen eine endgültige Absage an Hamburg hatte sich in den letzten Tagen auch die Bundesregierung in Person von Wirtschaftsstaatssekretär Dietmar Staffelt eingesetzt.
Airbus gehört zu zwei Dritteln dem Luft- und Raumfahrtriesen EADS, zu der sich einst die deutsche DASA und der französischen Rüstungskonzern Aerospatiale Matra zusammenschlossen hatten. Der in hohem Maße auf öffentliche Subventionen angewiesen Konzern wird von einer deutsch-französischen Führungsspitze gelenkt. Puttfarcken betonte, dass die nationale Balance nicht geändert werden solle. Doch faktisch ist nun eine Gewichtsverlagerung zu Gunsten von Toulouse gegeben. Schon wird in Hamburg darüber spekuliert, dass die Airbus-Spitze eine solche Standortentscheidung schon länger vorbereitet habe.

Dennoch begrüßte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) die Übereinkunft mit Airbus und kündigte nunmehr die Enteignung von Grundstücksbesitzern an, die sich nach wie vor weigern, ihre Immobilien für die Verlängerung der Start- und Landebahn zu veräußern, die Airbus zur Bedingung gesetzt hat, das Auslieferungszentrum in Hamburg zu errichten.

Ausgelöst wurde die gemeinsame Pressekonferenz durch eine Mitteilung des Kirchenvorstands der evangelischen Sankt-Pankratius-Gemeinde, »fortan keine außergerichtlichen Gespräche« über den Verkauf ihres Grundstücks mehr zu führen. Dieses wird für die Erweiterung der Landepiste allerdings benötigt. Zudem verhandelt die Kirchengemeinde auch für mehrere Obstbauern, die sich ebenfalls weigern, ihre Immobilien zu veräußern. Dabei hatte der Kirchenvorstand die Gespräche mit der Stadt abgebrochen, da keinerlei Konzessionen in Sicht waren, ließ sich aber auf Druck der Kirchenleitung auf weitere Gespräche mit Airbus ein. Diese wurden jetzt mit einstimmigem Beschluss wieder abgesagt.

Die Kirchengemeinde begründet ihre Haltung damit, dass sich Airbus weigert, Arbeitsplatzgarantien zu übernehmen, sollte die Landebahnerweiterung tatsächlich erfolgen. Für zusätzlichen Unmut sorgt, dass auch die vom Bürgermeister ausgesprochene Bestandsgarantie für das angrenzende Dorf Neuenfelde zeitlich befristet ist.

Landesbischöfin Maria Jepsen zeigte sich jetzt nach der Erklärung des Kirchenvorstandes verärgert und forderte die Respektierung öffentlicher Interessen. Die Bischöfin drohte damit, den widerständigen Gemeindevorstand abzusetzen. Doch laut der Kirchenverfassung der evangelisch-lutherischen Glaubensgemeinschaft ist eine solche Absetzung nur zulässig, wenn eine beharrliche Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann. Dies wäre aber angesichts eines Gerichtsurteils von Anfang August, das die Bauarbeiten für die Landebahnerweiterung stoppte und deren Gemeinnützigkeit verneinte, kaum begründbar. In dem Gerichtsverfahren konnte Airbus nicht nachweisen, dass eine Landebahnerweiterung für den A 380 nötig ist und zu mehr Arbeitsplätzen führen würde.

Bürgermeister von Beust will für die nun angekündigten Enteignungen den Planfeststellungsbeschluss nachbessern. Er betont, seit der Standortentscheidung von Airbus für Hamburg seien zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden, 1900 Stellen allein bei Luftfahrtzulieferern. Auch habe der Konzern angekündigte Investitionen getätigt.

Experten indes sagen, dass der Arbeitsplatzgewinn vor allem mit der Auftragsflut bei kleineren Modellreihen der Typen A318 bis A321 zu tun habe. Damit bleibt auch ein weiteres Enteignungsverfahren ungewiss.

Verwendung (unter Pseudonym): http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=63519&IDC=3&DB=Archiv



Port Package II soll erneut die Hafenwirtschaft in Frage stellen – Protestkundgebungen in deutschen Häfen

Am 20. November 2003 lehnte das Europäische Parlament mit 229 zu 209 Stimmen die Richtlinie zur „Liberalisierung von Hafendienstleistungen“ (Port Package) ab. Erstmalig hatten sich gewerkschaftliche Positionen im EU-Parlament durchgesetzt. Das war eine Sensation. Ein Jahr später sehen sich die Hafenarbeiter erneut herausgefordert. In sieben Ländern und in Rostock, Wismar, Lübeck, Kiel, Brake, Bremen, Bremerhaven, Emden, Nordenham und in Hamburg legten Arbeiter der ersten Schicht am Freitag für dreißig Minuten die Arbeit nieder. Sie informierten sich zum neuen Richtlinien-Entwurf (Port Package II), den die scheidende EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio am 13. Oktober einbrachte. Die Parlamentsentscheidung aus dem Vorjahr hält sie für nicht akzeptabel.

Mit Port Package steht die ganze Hafenwirtschaft in Frage: Dienstleistungen sollen ausgeschrieben, Schiffsabfertigungen durch Seeleute oder Billig-Jobber erledigt und auf Lotsendienste soll verzichtet werden. Jan Kahmann vom ver.di-Bundesvorstand befürchtet Qualitätsverlust und Sicherheitsmängel beim Warenumschlag. 10 000 Arbeitsplätze wären allein in den Kernbelegschaften gefährdet, 4 000 in Hamburg. Zudem gehe die Tarifbindung verloren. Gute soziale Bedingungen, modernste Technik und hohe Qualitätsstandards prägen die Häfen. Mit Port Package wäre das vorbei. Die Ausschreibung von Hafendienstleistungen für maximal 12 Jahre führe zum Verlust sozialer und technischer Standards, sagt Kahmann. Transnationale Konzerne würden dann Umschlag und Logistik konzentrieren. Tausende weitere Arbeitsplätze wären verloren.

Für den Hamburger Eurogate-Betriebsrat Wilkens waren die Aktionen am Freitag ein Zeichen in Richtung Brüssel: Wer Hafenarbeiter abschreibt, müsse mit Widerstand rechnen. Auch Armin Blechschmidt, VK-Leitung HHLA Burchardkai, TCT-Betriebsrat Harro Jakobs und Thomas Mendrzik, BR-Vorsitzender bei HHLA CT Altenwerder, sind sich einig: Das muss verhindert werden. Mendrzik fügt nachdenklich hinzu: mit der neuen „Bolkestein-Richtlinie“ zur Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes sei jetzt ein weiteres Problem vorhanden. Dereguliert wird nun alles, was nicht explizit geregelt ist. Wie die neue Strategie der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft (EFT) dagegen aussehen wird, wurde am Montag dieser Woche in der Leitung der Europäischen Transportarbeiterföderation beraten.

Lobbyarbeit allein reiche nicht, sagte Bernt Kamin vor 1 1/2 Jahren der UZ. Außerparlamentarischer Kampf müsse dazu. In der Tat: Erst in dieser Kombination konnte Port Package I verhindert werden. Für den Kommunisten Kamin, Betriebsratsvorsitzender im Gesamthafenbetrieb Hamburg, war es wichtig diese Aktionen mit verschiedenen Ländern zu koordinieren. So gelang das, was bisher selten eingelöst wurde: Grenzüberschreitende politische Arbeitskämpfe. Bevor es nun um neue Strategien gehe, sagt Kamin, müssen deshalb diese Erfahrungen ausgewertet werden.

Die meisten Transportarbeitgewerkschaften in Europa sind Mitglied der Internationalen Transportarbeiter Förderation (ITF) und ihrer europäischen Dependance ETF. Trotzdem blieb es häufig beim Informationsaustausch. Zu unterschiedlich sind die rechtlichen Bedingungen (z. B. Streikrecht), das Verhältnis zum Establishment, Agreements mit Regierungen. Zudem existiert neben dem ITF dasIinternationale Dockworkers Council (IDC), dem die französische CGT und die spanische Coordinadora angehören. Zu den sprachlichen kamen strukturelle Blockaden.

In Deutschland gibt es nur noch 16 000 Hafenarbeiter. Aber diese arbeiten an einem Kernpunkt volkswirtschaftlicher Transportketten. Ein Flaschenhals: Zugedreht, ist der Zu- oder Abfluss von Gütern gestoppt, und die Hafenarbeiter sind gut organisiert. Als im Mai 2003 an der Westküste der USA Arbeitskämpfe stattfanden, bezifferte die Bush-Regierung den Schaden auf 2 Milliarden Dollar am Tag. Just-in-time-Produktion verträgt Transportunterbrechungen nicht.

Um diese Stärke auf Europa zu übertragen war die Verständigung auf ein Kernthema notwendig. Das war die Selbstabfertigung der Schiffe durch Seeleute oder Billigpersonal. Die Hafenarbeiter forderten: Hafenarbeit für Hafenarbeiter, wie es die ILO-Norm 137 vorsieht. Vier strategische Elemente waren das Ergebnis der Verständigung. Das Werben im Parlament für die Rücknahme der Richtlinie. Lobbyarbeit für Korrekturen zur Sicherung sozialer, ökologischer und sicherheitstechnischer Mindeststandards. Kann Letzteres nicht erreicht werden, müssten Restriktionen in die Richtlinie rein, sodass sich diese wieder aufhebt. Koordinierte außerparlamentarische Aktionen, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen. Die Botschaft war klar: Wir werden nicht zulassen, dass Hafenarbeit durch Billig-Jobber oder Seeleute verrichtet wird. Wir sind gut organisiert, durchsetzungsfähig und kampfwillig. Schiffseigner sollten damit rechnen, dass ihre Schiffe notfalls boykottiert werden: in Europa und weltweit. Bei gegebenem Anlass sollten Aktionen zeitgleich in allen Ländern der EU stattfinden. Die CGT konnte über „Nord-Range-Konferenzen“ der belgischen BTB einbezogen werden. Auch das war eine klare Botschaft: die Hafenarbeiter sind koordiniert.

Um das zu erreichen mussten Unterschiede beachtet werden: Was im vereinigten Königreich die Pausenaktion war, war in Malta eine mehrstündige Demonstration, in Deutschland das „Recht auf Demonstration“ (vier Stunden pro Schicht), war in Holland, Frankreich und Belgien ein 24-stündiger Streik. Politisch begründete Arbeitsniederlegungen konnten so in 14 Ländern gleichzeitig stattfinden. Jede Organisation sollte im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitmachen und das wurde respektiert. Bernt Kamin zeichnet dafür das Bild einer Familie: da gibt es Stärkere und Schwächere, Kleine und Große, Mutige und nicht so Mutige. Aber eine Familie hält im entscheidenden Moment zusammen. Dann ist alles gleich wichtig.

Die Strategie des Widerstandes entstand im Prozess. Alles wurde mit der Basis rückgekoppelt. 20 000 Hafenarbeiter kamen so aus allen Teilen Europas am 29. September 2003 nach Rotterdam und Barcelona. Das war der Tag, an dem der EU-Vermittlungsausschuss Positionen festlegte. Zuvor hatte es 200 Anträge von EU-Parlamentariern gegeben. Heute sagen die Hafenarbeiter: Wir haben gelernt, wie man gewinnen kann, und es war gar nicht so schwierig.

http://www.dkp-online.de/uz/3648/s0403.htm



Ratschlag der deutschen Netzwerksektion

Rund 300 Aktivisten des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac trafen sich Ende der Woche in Hamburg zum Herbstratschlag.

Einstimmig verabschiedeten die Attac-Mitglieder eine Resolution gegen den vorliegenden Entwurf der EU-Verfassung und eine Aufklärungs- und Unterschriftenkampagne. Zudem wird sich Attac an einer europaweiten Kampagne gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie (»Bolkestein-Richtlinie«) und an einer europaweiten Demonstration am 19. März 2005 in Brüssel beteiligen.

Die EU offenbare sich als treibende Kraft der neoliberalen Globalisierungsmaschinerie, sagte Stephan Lindner, Mitglied der EU-AG und neu im Attac-Koordinierungskreis. Der inhaltlich kaum bekannte Verfassungsentwurf schreibe eine militaristische, neoliberale Politik dauerhaft fest und versage dem Parlament zentrale Rechte.

Zuvor hatte Oliver Moldenhauer, Mitglied des Koordinierungsrates, auf einer Pressekonferenz eine positive Bilanz der Entwicklung des globalisierungskritischen Netzwerkes gezogen. Mit jetzt 16 000 Mitgliedern habe der Zuwachs im laufenden Jahr bei 5,9 Prozent gelegen. Über 170 Ortsgruppen und zahlreiche Arbeitsgemeinschaften hätten an wichtigen Projekten Anteil gehabt. Dazu zählte Moldenhauer die Großdemonstration vom 3. April, die Unterstützung der Montagsdemonstrationen, Aufklärungsaktivitäten über die Welthandelsorganisation WTO und über das Problem der Steuerhinterziehung.

Künftig sei es aber besonders wichtig, dass Attac sich wieder Problemen mit größerer internationaler Dimension zuwende. So könne es 2005 wieder zu einem Aufschwung außerparlamentarischer Aktivitäten kommen. Kurskorrekturen seien nicht in erster Linie über parlamentarische Aktivitäten oder eine neue Linkspartei zu erreichen, sondern durch soziale Bewegung.

Auf Nachfrage räumte der Attac-Sprecher ein, dass sich der »heiße Herbst« aber nicht so entwickelt habe, wie man es Anfang 2004 dachte. Moldenhauer kritisierte in diesem Zusammenhang die zu zögerliche Haltung des DGB. Man halte aber eine Wiederbelebung der Proteste ab Frühjahr 2005 für wahrscheinlich.

Bei der Antragsberatung zu den Schwerpunkten für 2005 gestaltete sich der Attac-Ratschlag sehr kontrovers. Unter dem Titel »Arbeit solidarisch umverteilen« sollte die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung herausgestellt werden. Nur so sei Erwerbslosigkeit zu reduzieren. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit müsse bei 30 Stunden liegen. Diese Forderung sei jedoch »strategisch problematisch«, meinte dazu Attac-Mitglied Harry Klimenta. Erinnert wurde daran, dass die IG Metall gerade mit ihrer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung gescheitert ist. Andere Teilnehmer sahen in der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung eine unzulässige Vereinfachung von komplexen Problemen. Mehrfach wurde das Wort von der »defensiven Offensive« bemüht, angesichts dessen, dass neoliberale Gedanken in der Gesellschaft tief verwurzelt seien. Diese Diskussionen sollen nun – so der Kompromiss – auf einer Tagung fortgeführt werden. Umstritten war auch die Forderung nach einem Grundeinkommen für alle. Das müsse zunächst breit diskutiert werden.

Verwendung: Printausgabe Neues Deutschland, 01.11.04



Krisenstimmung im Hamburger Rathaus: Das neue Auslieferungszentrum für den Airbus 380 ist in Gefahr

Einen festen Zeitplan hatte Hamburgs Senat für die von Airbus geforderte Verlängerung der Landebahn im Flugzeugwerk Finkenwerder mit dem Konzern bereits beschlossen: um 589 Meter sollte die 2,68 Kilometer lange Landebahn erweitert werden. Doch am 9. August entschied das Hamburger Oberverwaltungsgericht, dass die dafür notwendige Enteignung von 15 Grundeigentümern unrechtmäßig sei. Airbus – samt dem neuen Auslieferungszentrum A 380 – käme auch ohne eine Landebahnverlängerung aus. Nur die Frachtflugzeuge des neuen A 380 könnten hier nicht landen, für diese wenigen Flugzeuge sei aber der Lufthansa-Airport eine durchaus denkbare Alternative.

Airbus-Konzernchef Noel Forgeard knüpft seine Zustimmung für ein Auslieferungszentrum in Hamburg dennoch weiter an die Landebahnverlängerung. Bestünde diesbezüglich bis Ende Oktober keine Planungssicherheit, so sagte er es dem nach Toulouse geeiltem Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU), entscheide sich Airbus neu.

170 Hektar Natur sind schon zugeschüttet

Für dieses Auslieferungszentrum hat Hamburg 170 Hektar des Mühlenberger Lochs – ein großes Naturschutzgebiet – zugeschüttet. 750 Millionen Euro kostete das die Stadt. Nichts war dem Senat zu teuer um den A 380 nach Hamburg zu holen. Bis vor drei Jahren schien selbst die Endmontage des A 380 eine Option für Hamburg. 10 000 Arbeitsplätze sollten so entstehen. Doch diese Endmontage, das stand schnell fest, geht nach Toulouse. Wirtschaftssenator Gunnar Ulldal (CDU) musste deshalb seine Schätzungen immer wieder korrigieren. Zum Schluss ist er bei 2 000 neuen Arbeitsplätzen gelandet. Filmregisseur Hark Bohm – einer der prominentesten Kritiker des Projekts – bezweifelt selbst dies. Neue Arbeitsplätze – so Bohm – entstünden vor allem bei kleineren Modellreihen, während das Auslieferungszentrum selbst „maximal“ 100 bis 150 brächte.

Airbus-Werk bekam Status der Gemeinnützigkeit

Die Landebahnverlängerung wurde erst öffentlich, als das Mühlenberger Loch bereits zugeschüttet war. Weitere 56 Millionen Euro kostet das nun. Zur Befriedung auch dieses Wunsches beschloss eine große Allparteienkoalition noch vor den Wahlen dem Airbus-Werk per Gesetz den Status der Gemeinnützigkeit zu verleihen. Eine Enteignung der Grundeigentümer schien so besser möglich. 236 Anrainer bildeten darauf hin die Klagegemeinschaft „Schutzbündnis für die Elbregion“. An der Spitze steht die Obstbäuerin Gabi Quast, deren Familie hier schon in der elften Generation ansässig ist.

Dem Bündnis geht es um ein großes Obstanbaugebiet und um das 943 Jahre alte Dorf Neuenfelde. Nun aber sollen rote Backsteinhäuser und Apfelbaumplantagen weichen. Immer wieder verwiesen die Anrainer darauf, dass die Landebahnerweiterung gar nicht nötig sei. Ihre Heimat für vage Zukunftsplanungen zu opfern, kam für sie nicht in Frage.

Eigner wollen sich nicht kaufen lassen

So war es kein Wunder, dass der Senat auch bei weiteren Initiativen auf Widerstand stieß. Nach verlorener Gerichtsschlacht dachten sich die Hamburger Politiker das, was sie immer denken: alles ist eine Frage des Preises. So verdreifachte der Senat sein Kaufangebot für die begehrten Grundstücke auf satte 61,50 Euro pro Quadratmeter. Gleichzeitig aber setzte er die Bedingung, dass die nun bis 1. Oktober verkauft haben. Doch sieben dieser Eigner sind Teil des Schutzbündnisses. Sie hielten an ihrer Entscheidung fest: „Wir bleiben, wo wir sind.“

Ole von Beust: „Es geht um nationale Interessen“

Seitdem herrscht hektische Betriebsamkeit im Rathaus. Am 12. Oktober trat Ole von Beust schließlich vor die Landespressekonferenz. 100 Journalisten drängten sich im Raum 151 des Rathauses. So voll war es seit der Entlassung von Schill nicht mehr. Beust zog alle Register: Es gehe um „nationale Interessen“, denn nur noch in wenigen Bereichen könnten wir „weltweit mithalten“. Dazu zähle die Luftfahrtindustrie. Hier gehe es nicht um einen Kampf „David gegen Goliath“, sondern um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der ganzen Welt.

Ganz der Stadtvater, gab es aber auch warme Worte des Verständnisses: Legitim und nachvollziehbar sei der Widerstand gewesen. Nun aber müsse Schluss sein, denn die „Glaubwürdigkeit des Landes als internationaler Industriestandort“ sei sonst erschüttert.

Definitiv sei dies die letzte Werkserweiterung, so der Bürgermeister, der nun selbst eine Bestandsgarantie für das Dorf abgeben wollte. Gute Nachbarschaft will auch Airbus-Deutschland-Chef Gerhard Puttfarcken. Drei Millionen Euro spendet er dem Dorf, vorausgesetzt die Grundstücke werden endlich verkauft. Zuschüsse für die freiwillige Feuerwehr und den Sportverein seien möglich. Was, so fragt Gabi Quast, sei aber eine Bestandsgarantie wert, wenn Airbus selbst diese nicht gebe? Und auch die Spende des Konzerns konnte das Dorf nicht wirklich erfreuen. John-Henry Köster vom Vorstand der Kirchengemeinde bringt es auf den Punkt: „Was soll eine Gemeinde mit Geld, wenn sie keine Gemeinde mehr hat.“

Mit EADS auf Augenhöhe zu US-Amerikanern

Ändert sich an der Haltung der Eigner bis Ende Oktober nichts, könnte der Stadt eine große Subventionspleite drohen. Auf der anderen Seite bildet aber die Luftfahrtindustrie nicht zufällig ein Prioritätsprojekt Deutsch-Französischer Zusammenarbeit. Hier besteht eine enge Symbiose zur Rüstungsindustrie.

Airbus gehört zu zwei Dritteln der „European Aeronatic Defence and Space Company“ (EADS), die den Kern eines neuen militärisch-industriellen Komplexes darstellt. Über die Vereinigung der deutschen DASA (Daimler Crysler und die Deutsche Bank) mit dem französischen Rüstungskonzern „Aerospatiale Matra“ ist ein Konzern entstanden, der insbesondere von staatlichen Subventionen wie Rüstungsaufträgen lebt, ja dafür geschaffen wurde. „Mit EADS sind die Europäer endlich auf Augenhöhe mit den Amerikanern“ schwärmte der damalige Co-Chef von EADS Rainer Hertrich schon bei der Gründung des europäischen Riesen. Kürzlich konnten sogar Nautikaufträge aus dem Pentagon übernommen werden.

Träumt Ole von Beust schon vom Airbus 400 M?

Zum Produktionsprogramm der Airbus gehört auch das neue Militärtransportflugzeug A 400 M. Ist es nicht denkbar, dass Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, nach verlorener Schlacht mit den Bauern – und mit bekannt unschuldiger Miene – dann von Verhandlungen mit Konzernchef Forgeard zurückkommt, um die Übernahme der Produktion des A 400 M oder bestimmter Komponenten daran zu feiern? Im benachbarten Bremen wird darüber schon spekuliert. Jedenfalls ist es schwer vorstellbar, dass 750 Millionen Euro staatlicher Subventionen und 600 Millionen Euro betrieblicher Investitionen einfach so in den Sand gesetzt werden.

http://www.dkp-online.de/uz/3643/s0604.htm



Konferenz gegen Repression in Hamburg analysiert Terrorhysterie und Abbau von Grundrechten

Mit dem Hinweis auf den am 27. Oktober beginnenden Prozeß gegen Teilnehmer der Protestaktionen zum NATO-Gipfel in der Türkei begann am Dienstag in Hamburg eine »Konferenz gegen Repression«, die gemeinsam vom örtlichen Tayad-Komitee und der Hamburger »Angehörigeninfo« organisiert wurde. Das Komitee möchte eine Delegation aus Deutschland entsenden, die den Prozeß beobachtet, denn den 67 Beschuldigten solle unter »Nutzung gefälschter Unterlagen« die Unterstützung einer »terroristischen Organisation« nachgewiesen werden.

Ein Vertreter des örtlichen Tayad-Komitees machte zu Beginn der Konferenz auf die seit mehreren Jahren stattfindenden Hungerstreiks von politischen Gefangenen in der Türkei aufmerksam, mit dem sie sich gegen die Einführung von Isolationszellen wehren. Der Hungerstreik, an dem sich gegenwärtig vor allem Angehörige der DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/ Front) beteiligen, soll, wie ein Vertreter des Komitees betonte, trotz der inzwischen 107 Todesopfer fortgesetzt werden.

Zunehmende Repression und Terrorhysterie – das war auch das Thema des Hamburger Strafverteidigers Dr. Heinz-Jürgen Schneider, der sich mit den Veränderungen in Deutschland und der EU seit dem 11. September 2001 befaßte. Mit dem von der EU-Kommission ausgearbeiteten »Rahmenplan zur Bekämpfung des Terrorismus« sei seinerzeit ein Paket geschnürt worden, das der politischen Willkür Tür und Tor öffne. Beispielhaft nannte Schneider die »EU-Terrorliste«, die in keiner Weise in ein juristisch überprüfbares Verfahren eingebettet sei, für die betroffenen Gruppen und Einzelpersonen aber schwerwiegende Konsequenzen habe und sie darüber hinaus – wie die kurdische KADEP – grundsätzlich vom politischen Dialog ausschließe. Auch der im September 2002 neu in das Strafgesetzbuch eingeführte Paragraph 129b, mit dem der Bundestag die Möglichkeit zur Strafverfolgung der sogenannten Unterstützung und Werbung für »terroristische« Organisationen auf das Ausland ausweitete, sei durch »juristische Grauzonen« gekennzeichnet, bei dem die Eindeutigkeit eines Straftatbestandes in einer »schwammigen Masse« verlorengehe. Im Gesetz heißt es, allein das Bundesjustizministerium entscheide, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung erfolgt. Dabei sei »in Betracht zu ziehen, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen«. Schneider sieht das eigentliche Ziel des Gesetzes in der Kriminalisierung und Gefährdung internationaler Solidaritätsarbeit.

In einem Dossier hatte sich Schneider bereits vor der Konferenz scharf gegen die Terrorhysterie gewandt, mit der ein »gesellschaftliches Klima für Ängstlichkeit« geschaffen und Rassismus befördert werde. Im Mißverhältnis zwischen der Zahl der Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a einerseits (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) und tatsächlichen Verurteilungen, die bei lediglich drei Prozent aller Fälle liegen, sieht Schneider die These gestützt, daß es sich dabei vor allem um einen »Ausforschungsparagraphen« für den Staatsschutz handele, bei dem mit Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen zusätzliche Informationen gewonnen werden können.

Schließlich warnte Schneider vor einem bevorstehenden Umbau von Europol zu einer »Art europäischem FBI« und stellte fest, daß die Konzentration von Erkenntnissen aller europäischen Geheimdienste an einer einzigen Stelle, wie sie durch die Konferenz der Innenminister im April beschlossen wurde, ein weiteres und gefährliches Repressionspotential bilde. Anwalt Schneider forderte eine stärkere Vernetzung demokratischer Kräfte auch im Rahmen der Europäischen Union. Kooperationen von Bürgerrechtsorganisationen oder von Anwälten seien dringend notwendig.

Die Erfahrungen zweier Jugendlicher aus Magdeburg, die im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten für einen »Autonomen Zusammenschluß« im Dezember 2003 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden (jW berichtete), belegten diese Ausführungen. Auch sie sahen, wie sie jetzt in Hamburg berichteten, in der »Durchleuchtung und Zerschlagung« politischer Strukturen das eigentliche Ziel, weshalb sie angeklagt und verurteilt wurden. Selbstbewußt forderten sie für die Revisionsverhandlung eine Entschädigung für ihre Haftzeit, den Freispruch aller Angeklagten sowie die Rückgabe enteigneter Räume.

http://www.jungewelt.de/2004/07-08/012.php



jW sprach mit Tina Sanders, Vorsitzende der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ)

F: Sie sind gerade aus Brasilien vom ersten internationalen Vorbereitungstreffen für die nächsten Weltfestspiele der Jugend und StudentInnen zurückgekehrt. Was wurde beschlossen?

Die 16. Weltfestspiele werden vom 5. bis 13. August 2005 in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela, stattfinden. An dem ersten Vorbereitungstreffen nahmen 60 Jugendorganisationen aus fünf Kontinenten teil. Dabei haben wir uns auch schon auf einen gemeinsamen Slogan geeinigt: »Für Frieden und Solidarität, wir kämpfen gegen Imperialismus und Krieg!« In Caracas wird die revolutionäre Jugend Venezuelas mit der fortschrittlichen und demokratischen Jugend aus aller Welt zusammentreffen. Wir haben einen Aufruf verabschiedet, der unterstreicht, daß das Festival seinen antiimperialistischen Charakter beibehält.

F: Vor 1989 fanden die Weltfestspiele zumeist in den Hauptstädten sozialistischer Länder statt, so etwa 1951 und 1973 in der DDR-Hauptstadt. Warum fiel die Wahl jetzt auf Venezuela?

Der Vorschlag, das Festival in Venezuela auszutragen, stammte sowohl vom Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) als auch Jugendorganisationen aus dem Land selbst. In Venezuela findet ein revolutionärer Prozeß statt, der sich gegen die imperialistischen Interessen, vor allem gegen den US-Imperialismus richtet. Die Regierung unter Hugo Chavez hat erhebliche soziale Fortschritte für die Menschen gebracht. Venezuela ist zu einem Ausdruck des Widerstands gegen die imperiale Ausbeutung geworden.

F: Wie ist die Resonanz in Deutschland?

Zunächst ist es an uns, die Einladung nach Caracas publik zu machen. Die Weltfestspiele sind der Ort, an dem sich junge Leute aus allen Teilen der Welt über ihre Kämpfe um soziale und demokratische Rechte austauschen. Erwartet werden 15 000 Jugendliche aus mehr als 150 Ländern. In Deutschland wollen wir ganz gezielt die Gewerkschaftsjugend ansprechen, die sich für eine bessere und qualifizierte Ausbildung einsetzt. Wir müssen klarmachen, daß die Auseinandersetzungen hierzulande auch Thema in Caracas sein werden. Genauso sollen die jüngsten Erfahrungen der Studierendenbewegung in Venezuela eine Rolle spielen. Für den Vorbereitungsprozeß sind natürlich alle Jugendorganisationen eingeladen, die sich dem Aufruf und dem Motto der Weltfestspiele verpflichtet fühlen. Im Spätsommer soll sich ein deutsches Vorbereitungskomitee bilden, das dann die gemeinsame Teilnahme plant.

F: In Venezuela findet noch in diesem Jahr ein Referendum statt, mit dem die rechte Opposition hofft, Hugo Chavez aus dem Amt zu jagen. Was dann?

Nicht nur die Kommunistische Jugend in Venezuela, sondern alle, die sich dort zu einem nationalen Vorbereitungskomitee zusammengeschlossen haben, konnten überzeugend darlegen, daß dieses Referendum keinen Erfolg haben und sich der revolutionäre Prozeß eher noch beschleunigen wird. Andererseits wird ein erneuter Putschversuch, wie zuletzt im April 2002, als reale Gefahr betrachtet. Das Festival ist Teil der notwendigen Solidarität, um dies zu verhindern.

* Infos: www.weltfestspiele.de

http://www.jungewelt.de/2004/06-22/017.php