02. Juli 2008

Das Reiherstieg-Viertel in Hamburg WilhelmsburgHamburger Armutsviertel soll flottgemacht werden. Berliner Soziologe warnt vor Folgen der Gentrifizierung

Mit einem »Sprung über die Elbe« und einer Internationalen Bauausstellung (IBA) will der CDU-geführte Hamburger Senat den auf einer Elbinsel gelegenen Armutsbezirk Wilhelmsburg »aufwerten«. Für CDU-Bürgermeister Ole von Beust hat die Aufgabe »höchste Priorität«, denn die Elbinsel biete den Raum für die »wachsende Stadt«. Doch die Wilhelmburger selbst sind indes wenig angetan von dem Bemühen um ihr Quartier.

Während Medien und IBA-Geschäftsführer Ulrich Hellwig seit Monaten keine Gelegenheit auslassen, zu betonen, daß nun endlich die Chance da sei, einen seit den 80ern als »restlos kaputt« geltenden »Problembezirk« zu heilen, lehnen viele der Inselbewohner die Planungen ab. Man sei »in tiefer Sorge«, daß die als Aufwertung verkaufte Umstrukturierung am Ende nur dazu führe, daß die Mieten steigen und der Stadtteil zum »Spekulationsobjekt für Privatinvestoren« werde, hieß es am Montag abend auf einer gut besuchten Protestveranstaltung. Zu Gast war auch der Berliner Soziologe Andrej Holm, der die sozialen Verdrängungsprozesse im Zuge einer »neoliberalen Stadtpolitik« am Beispiel des Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg verdeutlichte.

Von Beust setzt dagegen, daß Hamburg wachsen müsse und die Elbinsel den dafür nötigen Raum biete. 35 Quadratkilometer ist das Eiland groß. Fast die Hälfte der rund 50000 Einwohner sind so arm, daß sie auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. In keinem anderen Viertel Hamburgs sind die Erwerbslosenquote sowie der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund höher als in Wilhelmsburg. »Wieviel Gucci verträgt die Insel?« fragte deshalb Hellwig gleich zu Beginn des von ihm geleiteten Aufwertungsprozesses. Besonders das Reiherstieg-Viertel – ein durch zahlreiche Gründerzeitbauten geprägtes Altstadtviertel – hat es dem Geschäftsführer der für 2013 geplanten IBA angetan.

Stadtplaner nennen das, was er betreibt, Gentrifizierung: Um die Stadtentwicklung voranzutreiben, werden »Pioniere« angelockt. Meist sind es Studenten, die mit extra bezuschußtem und damit sehr günstigen Wohnraum versorgt werden. Hellwigs Kalkül: Mit jedem dieser Studenten ändert sich der Alltag im Viertel, geraten gewachsene Milieus durcheinander. So entdecken schließlich auch Künstler die »inspirierende Vielfalt« dieses Stadtteils und Investoren scharren mit den Hufen. Da dies nicht von allein passiert, hilft Hellwig mit einer millionenschweren Imagekampagne. Wilhelmsburg, das sei die »neue Mitte«, die »Zukunft Hamburgs«, heißt es in zahlreichen bunten Werbeflyern. Events und staatlich finanzierte Dauerpartys sollen die Stimmung anheizen. Ist das Viertel erst aufpoliert, so hofft Hellwig, würden sich auch finanzkräftige Neubewohner in den mit öffentlichen Mitteln sanierten Altbaubeständen niederlassen.

»Scheiß auf Gucci« ist die Antwort vieler Bewohner. Sie schimpfen über »unerträglichen Dauerlärm« und verlangen, daß der »bezahlbare Wohnraum« auch für sie geschützt werde. Andrej Holm warnte am Montag abend: »Sie werden euch mit Beteiligungs- und Partizipationsformen kommen, sie werden sagen, daß alles, was gemacht werde, mit den Bewohnern besprochen werde«. Doch am Ende eines solchen »Stadtplanungsregiments« stünde allein das »ökonomische Verwertungsinteresse«. »Prüft deshalb jede Maßnahme, die sie euch anbieten, auf ihren realen Gebrauchswert für euch selbst«, riet Holm den widerständigen Wilhelmsburgern.

Verwendung: Junge Welt vom 2. Juli 2008
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