Seit drei Jahren hilft das Erwerbslosen Forum Betroffenen, ihre Rechte durchzusetzen. Ein Gespräch mit Martin Behrsing
Martin Behrsing ist Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland
Das Erwerbslosen Forum Deutschland beging soeben sein dreijähriges Bestehen. Was haben Sie in dieser Zeit erreicht?
Bundesweit gehört das Forum zu den bekanntesten Internet-Portalen für Erwerbslose. Inzwischen verzeichnen wir jeden Tag Seitenzugriffe von über 30000 Besuchern. Etwa 12000 Erwerbslose haben sich registriert. Sie haben damit einen Zugang auch zu den internen Foren, in denen sich Erwerbslose über ihre Erfahrungen mit Arbeitsämtern austauschen. Diese gegenseitige Hilfe, das Gefühl, nicht allein zu sein, ist auch der Punkt, an dem politische Aktionen entstehen. So ist unser Forum zu einer großen Erwerbsloseninitiative geworden. Bei diesen Aktionen konfrontieren wir die Verantwortlichen mit den Folgen der Hartz-IV-Gesetze und machen zudem auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten der Behörden aufmerksam. Bundesweit hat sich das Forum damit als anerkannter Interessenvertreter der Erwerbslosen profiliert.
Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Von Erfolg würde ich nicht reden, denn die Hartz-IV-Gesetze sind weiterhin in Kraft. Wir können mit unseren Informationen lediglich helfen, daß einzelne ihre Rechtsansprüche besser durchsetzen können.
Wäre es nicht Aufgabe der Arbeitsämter bzw. Jobagenturen, die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren?
Nach dem Sozialgesetzbuch sind sie dazu sogar verpflichtet. Doch in der Praxis erleben wir, daß das meist nicht geschieht. Wenn ich mir etwa die Leistungsbescheide ansehe, dann muß ich feststellen, daß nach wie vor fast 70 Prozent aller Bescheide falsch berechnet worden sind, also zu Lasten der Betroffenen. Und die Betroffenen werden meist entweder falsch oder lückenhaft über die rechtlichen Möglichkeiten informiert, dagegen vorzugehen. Ähnlich ist es mit den sogenannten Eingliederungsvereinbarungen. Vielfach werden die Betroffenen dabei genötigt, etwas zu unterschreiben, was sie gar nicht wollen. Das ergibt auch arbeitsmarktpolitisch keinen Sinn.
Neben Ihrem Forum gibt es bundesweit zahlreiche weitere Erwerbsloseninitiativen. Wie ist die Zusammenarbeit?
Daß es vor Ort Initiativen gibt, halte ich für besonders wichtig. Denn der direkte Kontakt kann durch ein Internet-Forum nicht ersetzt werden. Doch in vielen Kommunen gibt es solche Initiativen noch nicht. Da sind wir dann häufig der erste Ansprechpartner, können aber auch dabei behilflich sein, daß sich solche Initiativen gründen.
Bei Einführung der Hartz-IV-Gesetze haben Sie gesagt, das sei Armut per Gesetz. Hat sich daran etwas verändert?
Nein, denn die Armut hat durch Preissteigerungen und die Willkür der Behörden seitdem zugenommen. Die Gründung unseres Forums war eine Reaktion auf Äußerungen des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement (SPD). Nachdem dieser Erwerbslose mit Parasiten verglichen hatte, haben wir uns gesagt: Jetzt ist Schluß! Jetzt müssen wir selbst für unsere Interessen aktiv werden. Auch und vor allem im politischen Raum.
Trotzdem fällt auf, daß sich noch immer nur wenige dafür mobilisieren lassen. Woran liegt das?
Erwerbslose sind eine sehr heterogene Gruppe. Die meisten Betroffenen haben bis zum Eintritt in die Erwerbslosigkeit kaum gelernt, wie sie für ihre Interessen selbst aktiv werden können. In die Armut getrieben, geht viel Energie dafür drauf, mit der eigenen Lebenslage zurechtzukommen. Die Erkenntnis, daß es auch andere gibt, denen es ähnlich geht, vor allem die Erfahrung, daß man sich gegenseitig helfen kann, ist dann häufig der Anstoß für eine nachhaltige Politisierung. Wir haben gelernt: Kombinieren wir Fragen der unmittelbaren sozialen Interessenvertretung mit politischen Forderungen! Das spricht viele an.
Anfang 2009 sollen die Hartz-IV-Gesetze noch einmal verschärft werden …
Aus dem Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums geht hervor, daß die Rechte des einzelnen Erwerbslosen weiter beschnitten werden sollen. Bislang war es möglich, mit Widersprüchen gegen unsinnige Maßnahmen zumindest eine Aufschiebung zu erreichen das soll nun ganz wegfallen. Im Kreis der Erwerbsloseninitiativen müssen wir deshalb dringend koordinieren, wie wir dagegen politisch vorgehen können.
Nähere Infos unter http://www.erwerbslosenforum.de/
Verwendung: Junge Welt vom 18. Juni 2008
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