22. April 2008

Regierungsspöttische Aufforderung zum Schwarzfahren
Hamburg: CDU und Grüne gewähren Bedürftigen Preisnachlaß im öffentlichen Nahverkehr. »Sozialticket« soll 67 Euro kosten

Die Wiedereinführung des von der CDU 2003 abgeschafften Sozialtickets für Erwerbslose und Geringverdiener hatten Hamburgs Grüne noch wenige Tage vor Abschluß der schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen versprochen: »Falls es in Hamburg eine schwarz-grüne Regierung gibt, wird es auch das Sozialticket wieder geben«, so die Bürgerschaftsabgeordnete Martina Gregersen am Mittwoch letzter Woche im Landesparlament. Doch nach Vorlage der Einzelheiten des inzwischen unterschriebenen Koalitionsvertrages, erweise sich dies nun als eine Luftblase, monierte der sozialpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Wolfgang Joithe, am Montag gegenüber junge Welt. Denn nicht ein Sozialticket – es berechtigt zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für einen angemessenen Preis – werde es demnach geben, sondern lediglich einen »Preisnachlaß auf Zeitkarten« in Höhe von 18 Euro im Monat. Dies aber sei »kein Sozialticket, sondern nur eine Mogelpackung«, sagt Joithe.

»Wie schnell ein sozial ausgrenzender Regierungsstil abfärben kann«, kommentiert der ehemalige Erwerbslose. Selbst bis zum Einzug ins Parlament ein »Hartz-IV-Geschädigter«, rechnet Joithe nun vor, … [[daß „eine CC-Karte mit zeitlicher Nutzungsbeschränkung für den Großbereich Hamburg“, mit diesem Preisnachlass, dann immer noch 28,50 Euro im Monat koste. Ohne zeitliche Beschränkung würde sich nach einem solchen Preiserlass sogar ein Fahrpreis von 67 Euro im Monat ergeben. [Anm. Verfasser: Dieser wichtige Satz wurde bei der Veröffentlichung in der jW leider weggekürzt. So ergibt sich aber durch den folgenden Teilsatz dann ein falsches Bild. Ich entschuldige mich dafür ausdrücklich bei Herrn Joithe!]] … daß eine Monatskarte mit diesem Preisnachlaß für den Großbereich Hamburg 67 Euro kosten würde. Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm versprochen, daß es mit ihnen »ein echtes Sozialticket zum Abgabepreis von 20 Euro« geben werde.

»Leistungsberechtigten« stünden im Hartz-IV-Satz aber lediglich 15 Euro für Aufwendungen im Öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung. Alles was darüber hinausgehe, müssen sie sich »buchstäblich vom Munde absparen«, so Joithe. Die von den Koalitionären ausgehandelte Regelung sei deshalb auch nur ein »Mogelticket«. Es sei wie eine »regierungspolitische Aufforderung zum Schwarzfahren«. Er sieht seine Befürchtungen, daß wer die Grünen wählt, sich anschließend schwarz ärgert, bestätigt. »Außer einem Darlehen für Bestattungen fällt dieser Koalition kaum etwas ein«, fügt er verärgert hinzu.

Ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose sieht das ähnlich: »Ich vermisse Antworten, die der Dimension der sozialen Spaltung und der Abstiegsangst vieler Menschen gerecht werden.« Da die Sozialkürzungen des ehemaligen CDU-Senats kaum korrigiert würden, sieht er den wörtlichen Hinweis im Vertrag, daß es in Hamburg – »wie in jeder Stadt« – sowohl reiche wie arme Menschen geben würde, als eine sozialpolitische »Bankrotterklärung« des neuen Senats, noch bevor dieser sein Amt antritt. Für »Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Erwerbslose, Auszubildende, Studierende, Seniorinnen und Senioren« finde sich dort nichts. Keine Abkehr von Ein-Euro-Jobs und Leiharbeit, kein Ausbau der Mitbestimmung, keine Ausbildungsumlage für Jugendliche und auch kein Mindestlohn, so der Gewerkschafter. Damit aber präsentiere sich Schwarz-Grün als eine »Koalition der Besserverdienenden«, so Rose gegenüber junge Welt.

Verwendung: Junge Welt vom 22. April 2008
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