18. April 2008

Schlagabtausch in der Hamburgischen Bürgerschaft vor der Koalitionsbildung

Die bevorstehende Besiegelung der ersten schwarz-grünen Länderkoali­tion hat in der Hamburgischen Bürgerschaft zum einem heftigen Schlagabtausch geführt. Die SPD hatte eine »Aktuelle Stunde« zum Thema »Nach der Wahl ist vor der Wahl« angemeldet. Öffentlichkeitswirksam sollten am Mittwoch abend so vor allem die Grünen an ihre Wahlversprechen erinnert werden: Kein neues Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg, keine Fahrrinnenvertiefung der Elbe. Doch das Spiel »Alte Freunde, neue Feinde« ging zumindest für die beantragende Partei von SPD-Landeschef Ingo Egloff kräftig daneben. Mit Blick auf Äußerungen von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gab die Grünen-Frak­tionsvorsitzende Christa Goetsch diesen Ball geschickt zurück: Es sei nicht zu erkennen, ob die Sozialdemokraten nun für oder gegen das Kraftwerk sind. Leichtes Spiel hatte da Dora Heyenn: Die Linke-Fraktionschefin geißelte die »Prinzipienlosigkeit« beider Parteien, nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auch und vor allem in der So­zialpolitik. Diese habe für die Bildung einer neuen Stadtregierung offenbar kaum eine Rolle gespielt.

Unter Schwarz-Grün werde die »Spaltung der Stadt« vertieft, konstatierte Joachim Bischoff. Von Zwischenrufen unbeirrt, verwies der Linke-Parlamentarier darauf, daß allein in Hamburg 200000 Menschen von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Die Grünen deuteten daraufhin immerhin an, daß es mit der neuen Regierung in Hamburg die Wiedereinführung des 2003 von der CDU geschliffenen Sozialtickets geben wird. Doch zu welchem Preis? Redner unterstrichen unisono, daß für diese »Mindestmobilität« der Bezieher von Arbeitslosengeld II dann auch jene Anteile mitberücksichtigt werden müßten, die in den Hartz-IV-Sätzen für den öffentlichen Nahverkehr bereits enthalten sind. Wie erschreckend gering diese sind, das vermochte im Plenum dann aber nur der linke Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Joithe zu sagen. Selbst bis zu seinem Parlamentseinzug »Hartz-IV-Betroffener«, wies er Cent für Cent nach, daß ein Sozialticket, das im Monat mehr als 15 Euro kostet, seinen Namen nicht verdient. »Leistungsberechtigte« müßten sich dieses Ticket dann nämlich »buchstäblich vom Munde absparen«. Joithe forderte, daß auch Bezieher von Grundsicherungsleistungen, die wegen Alters oder dauerhafter Erwerbsminderung längst aus der offiziellen Arbeitslosigkeit herausgefallen sind, zum Kreis der Berechtigten gehören müßten. Viel Aufmerksamkeit hatte der 57jährige Erwerbslosenvertreter schon zuvor erregt: Obwohl die mit nur acht Abgeordneten vertretene Linke kein Anrecht darauf hatte, wurde er vom Parlament zu einem seiner Vizepräsidenten gewählt.

Ebenso gut vorbereitet zeigte sich die Linksfraktion auch bei der Behandlung ihres Antrags, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD durch Hamburg zu unterstützen. »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, das geächtet gehört«, mit diesen Worten attackierte die Abgeordnete Christiane Schneider Innensenator Udo Nagel (parteilos). Dieser hatte sich geweigert, Erkenntnisse seiner Behörde, die ein Verbotsverfahren stützen, an die Bundesbehörden zu übermitteln. Schneider forderte außerdem, daß ein für den 1. Mai in Hamburg geplanter Aufmarsch militanter Neonazis wegen »Volksverhetzung« verboten wird. Die Aktivitäten von Antifaschisten gegen diesen Marsch, seien hingegen ein »ermutigendes Zeichen«. Die Finanzierung sogenannter V-Leute in der NPD müsse eingestellt werden, forderte Schneider. Die seien »Fleisch vom Fleisch der Neofaschisten«. Eine derartig klare Sprache wohl bisher nicht gewohnt, wurde der Linken-Antrag nicht abgelehnt, sondern zur weiteren Prüfung in den zuständigen Ausschuß verwiesen.

Verwendung: Junge Welt vom 18. April 2008
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