03. Dezember 2007

Aktion_gegen_Kriegsverbrecher_in_Hopfgarten_TirolIn Italien verurteilte NS-Verbrecher leben unbehelligt in Deutschland

Mit einem Aktionstag unter dem Motto »Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen« haben Antifa-Initiativen am Samstag auf das Unrecht verwiesen, daß in Italien zu lebenslanger Haft verurteilte Kriegsverbrecher sowohl in Deutschland als auch in Österreich auf freiem Fuß leben. In zwölf Städten zogen die Antifaschisten vor die Wohnhäuser der ehemaligen SS- und Wehrmachtsoffiziere. Sie waren von italienischen Gerichten zwischen 2005 und 2007 zu lebenslanger Haft und zu hohen Entschädigungsleistungen verurteilt worden, weil sie im Jahre 1944 an Massakern in Marzabotto, Sant’Anna di Stazzema oder Civitella beteiligt waren. Die deutschen und österreichischen Justizbehörden weigern sich jedoch, die Mörder auszuliefern oder die Urteile zu vollstrecken.

Die Massaker gehören zu den brutalsten Kriegsverbrechen des II. Weltkriegs in Italien. Mehr als 800 Menschen, darunter 216 Kinder, starben allein als zwischen dem 29. September und dem 2. Oktober 1944, als gemischte Einheiten der SS und der Wehrmacht in das Bergdorf Marzabotto und in die umliegenden Gemeinden der Emilia Romagna eindrangen. Als „Vergeltung“ für Partisanenaktionen wurden die Bewohner erschlagen und erschossen. Schon im Sommer 1944 traf es die Bewohner von Sant’ Anna di Stazzema. Hier wurden 560 Dorfbewohner auf brutalste Weise ermordet. 207 Zivilisten starben in Civitella in Val di Chiana.

Doch nach dem Krieg gelang es vielen der daran beteiligten Kriegsverbrecher unterzutauchen oder ihre Taten zu verwischen. Ermittlungsakten der Alliierten wurden zudem von den italienischen Behörden jahrelang verschlossen. Im beginnenden kalten Krieg wollte es es sich die italienische Regierung mit ihrem neuen Verbündeten nicht verderben. Die rund 700 Aktenbündel kamen so erst Mitte der 90er Jahre wieder ans Licht. Erst jetzt wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen. Doch die Verurteilung der Kriegsverbrecher blieb in Deutschland ohne Folgen. Nach BRD-Recht dürfen deutsche Staatsbürger nicht ausgeliefert werden und die dann begonnenen Ermittlungen der hiesigen Staatsanwälte, werden verschleppt. Die alten Herren seien zum Teil nicht mehr verhandlungsfähig, ein „niedriger Beweggrund“ und eine „besondere Schwere“ der Kriegstaten zudem kaum nachzuweisen, hieß es bei den zuständigen Staatsanwälten in Stuttgart.

Die Aktionen sollten zu einer »stärkeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung« und dazu beitragen, daß die Täter endlich zur Verantwortung gezogen werden, sagte der Sprecher der Antifa-Initiativen, Ralph Klein, zu junge Welt. Zugleich sollten aber auch die Bürger darüber aufgeklärt werden, daß in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Mörder lebt. So war es Samstag früh in Berlin, als etwa 40 Nazigegnern zur Wohnung des Kriegsverbrechers Max Schneider in der Rheinberger Straße 22 zogen. In Hopfgarten (Tirol) gelang es den Nazigegnern sogar, den ehemaligen SS-Offizier Hubert Bichler direkt zu stellen. Reue zeigte er nicht. In Hamburg zogen rund 50 Antifaschisten vor die noble Wohnresidenz in der Lerchenstraße Nummer 4 des ehemaligen SS-Untersturmführers Gerhard Sommer. Sommer hatte in Sant Anna di Stazzema den Schießbefehl gegeben. Schuldig fühlt er sich trotzdem nicht. Genauso wenig, wie Max Josef Milde aus Bremen. Vor dem Haus des ehemaligen Unteroffiziers aus der Devision Hermann Göring versammelten sich am Samstag rund 100 Menschen. Aktionen fanden auch im nordrhein-westfälischen Greven, in Duisburg, in Saarbrücken, in Ottobrunn und Eurasburg (Bayern)sowie im sächsischen Freiberg statt.

Dies sind einige der Kriegsverbrecher, die in Deutschland auf freiem Fuß leben: Paul Albers (Saarbrücken), Josef Baumann (Grafenwiesen), Max Roithmeier (Eurasburg), Adolf Schneider (Nürnberg), Max Schneider (Berlin), Kurt Spieler (Wurzen), Heinz Fritz Träger (Duisburg), Georg Wache (Düsseldorf), Helmut Wulf (Darmstadt), Werner Bruss (Reinbek), Alfred Mathias Concinca (Freiberg), Ludwig Göring (Karlsbad, Baden-Württemberg), Karl Gropler (Wollin), Georg Rauch (Lörrach), Horst Richter (Krefeld), Heinrich Schendel (Lißberg/Ortenberg), Gerhard Sommer (Hamburg), Josef Scheungraber (Ottobrunn), Herbert Stommel (Wohnort unbekannt), Heinrich Nordheim (Greven), Max Milde (Bremen).

Ausführliche Informationen zu diesen Aktionen finden Sie in meinem Beitrag Erste Berichte vom Aktionstag gegen Kriegsverbrecher in Deutschland. Eine Übersicht, über welche Kriegsverbrecher es sich dabei handelt und wo diese wohnen, habe ich in meinem Beitrag In Deutschland lebende Kriegsverbrecher gegeben.

Verwendung: Zum Teil in Junge Welt vom 3. Dezember 2007
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