30. August 2007

Wolfgang Joithe
Hamburgs Erwerbslose wurden ausgeschnüffelt. »Aufwandsentschädigung« half den Datensammlern. Ein Gespräch mit Wolfgang Joithe

Wolfgang Joithe ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft »Arbeit und Armut« der Partei Die Linke in Hamburg und Mitbegründer des Erwerbslosenselbsthilfevereins »PenG! Aktive Erwerbslose und Geringverdiener«

In Hamburg hat die Wirtschaftsbehörde für rund 790000 Euro eine umfangreiche Befragungsaktion zur Erstellung eines »soziologischen und psychologischen Profils« von Erwerbslosen durchgeführt. Was genau wurde gemacht?

Auf der Grundlage eines neunseitigen Fragebogens wurden seit Mai dieses Jahres fast 2 200 ALG-II-Bezieher interviewt. Wir Erwerbslosen sind von den Erfindern und Durchsetzern der Hartz-IV-Gesetze inzwischen einiges gewöhnt. Doch diese Befragungsak­tion ist der Gipfel der Unverschämtheit. Neben der täglichen Ausschnüffelung des Privatlebens sollen Hartz-IV-Geschädigte nun auch noch Auskunft darüber geben, ob sie Sympathien für die ehemalige DDR hegen, ob sie Gewalt verherrlichende Filme sehen oder gerne exotische Gerichte essen oder ob sie es wichtig finden, daß eine Liebe ein ganzes Leben hält. Das ist ein so ungeheures Ausmaß der Beschnüffelung, daß es selbst für die ARGE (Arbeitsgemeinschaften zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II) völlig neue Maßstäbe setzt.

Es wurde auch danach gefragt, ob Gewalt als ein legitimes Mittel für die Durchsetzung eigener Ziele betrachtet wird. Sollen Erwerbslose kriminalisiert werden?

Meines Erachtens verfolgen diese vielen Fragen, die sich in erster Linie um Familie, Freizeit, Eß- und Lebensgewohnheiten drehen, zunächst das Ziel, einen Leistungsmißbrauch zu konstruieren bzw. zu unterstellen. Darin ist die ARGE in Hamburg sehr erfahren.

Daß einige der Fragen des von einem Berliner Meinungsforschungsinstitut entwickelten Bogens völlig überzogen sind, hat inzwischen auch Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) eingestanden. Er hat die Befragung zunächst gestoppt. Nicht ohne den Verweis, daß die Teilnahme an der Befragung »freiwillig« gewesen und die Auswertung anonymisiert worden sei.

Dem widerspricht, daß auf dem Fragebogen die Kundennummer für den einzelnen Erwerbslosen notiert wurde. Nur so kann ja auch ein Psychogram für den einzelnen erstellt werden. Auch die sogenannte Freiwilligkeit muß angezweifelt werden, wenn man die vorhandene Angst vieler Hartz-IV-Geschädigter vor weiteren Repressalien berücksichtigt. Zudem wurde mit einer sogenannten Aufwandsentschädigung von 20 bis maximal 65 Euro nachgeholfen. Das ist für einen Hartz-Geschädigten viel Geld. Die Behörde hat inzwischen selbst angegeben, daß sie andernfalls ihr Ziel, rund 2 500 ALG-II-Beziher durch die Befragung zu erfassen, nicht erreicht hätte. Hinzu kommt, daß die von seriösen Meinungsforschungsinstituten bekannte Möglichkeit, auf einzelne Fragen in einem Fragebogen nicht antworten zu müssen, hier nicht einmal theoretisch vorhanden ist. Ausdrücklich werden die Erwerbslosen dazu aufgefordert, alle Fragen zu beantworten.

Unverschämt ist auch die Bemerkung von Uldall, was die sogenannten Fördermöglichkeiten betrifft. Hamburg hat fast alle Förder- und Qualifizierungsmöglichkeiten, die es für Erwerbslose gab, auf Eis gelegt. Favorisiert wird die Vermittlung von Ein-Euro-Jobs, die immer mehr reguläre Arbeitsplätze verdrängen.

Worum geht es aber dann?

Um den gläsernen Menschen, der dann der Willkür seiner Fallmanager vollständig ausgeliefert ist. Das aber verstößt ganz eindeutig gegen die bestehenden Datenschutzgesetze.

Trotzdem hat Uldall jetzt angekündigt, das bereits erhobene Datenmaterial vollständig auszuwerten

Daß die Umsetzer der Hartz-IV-Gesetze nicht demokratisch ticken, ist inzwischen hinreichend bekannt. Die nachgewiesene Kriminalität des Namensgebers dieser Gesetze scheint auch auf jene abzufärben, die seine Claqueure waren und noch sind. Diese Fragebögen müssen sofort eingestampft werden. Sie verstoßen gegen geltendes Recht. Und die Verantwortlichen dieser Aktion müssen rechtlich wie auch politisch zur Verantwortung gezogen werden. In der Wirtschaftsbehörde und in der ARGE muß sich endlich herumsprechen, daß deren »Kunden« Menschen sind und daß Menschenrechte auch und gerade für Erwerbslose gelten.

Verwendung: Junge Welt vom 30. August 2007
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