2. März 2007

BRIAN GARVEY und BARRY FAWCETTBritische Lehrergewerkschafter über die Folgen der Bildungsreformen Tony Blairs

In der schulpolitischen Debatte wird hierzulande gern auf das britische Vorbild verwiesen. Doch mittlerweile warnen selbst konservative Politiker vor einer »Rückkehr ins viktorianische Klassenschulsystem«. ANDREAS GRÜNWALD sprach am Rande des von der GEW organisierten »deutsch-britischen Gewerkschafterdialogs« in Hamburg mit den beiden britischen Lehrergewerkschaftern BRIAN GARVEY und BARRY FAWCETT.

ND: Welche Erfahrungen haben Sie mit der von Tony Blair forcierten Schulpolitik?

Barry Fawcett: Unsere Regierung versteht Erziehung als ein kommerzielles Geschäft. Wie auf dem Markt sollen die Schulen in einen Wettbewerb treten. Alle Schüler müssen sich deshalb gleich vier Mal in ihrer Schulkarriere einem landesweiten Test unterziehen. Das Ergebnis determiniert die weitere Laufbahn eines Schülers, entscheidet aber auch über das Wohl und Wehe ganzer Schulen. Sind die Ergebnisse schlecht, werden die Schulen geschlossen und das Personal entlassen. In den Tests wird aber nur Faktenwissen in Englisch, Mathematik und den Naturwissenschaften abgefragt. Die Lernfortschritte des Einzelnen und Allgemeinbildung spielen keine Rolle. Auch nicht die Umfeldbedingungen einer Schule.

Brian Garvey: Ähnlich verlaufen die Schulinspektionen, bei denen externe Prüfer die Standards und Abläufe einer Schule bewerten. Das fließt in ein Ranking-System, das dann, wie der Medaillenspiegel bei olympischen Spielen, in den Massenmedien veröffentlicht wird. Schulen, die gut abschneiden, sind so in die Lage versetzt, sich Schüler selbst auszusuchen. Schwerer haben es dann die Kinder aus den bildungsferneren Schichten.

Welche Auswirkungen hat das für die Lehrer?

Brian Garvey: Da vom Test das Image einer Schule abhängt, wird vielfach nur noch für den Test gelernt. Für Projektunterricht oder das Eingehen auf Schülerwünsche bleibt keine Zeit. Völlig unberücksichtigt ist dabei auch die pädagogische Arbeit, die gerade Schulen in den sozialen Brennpunkten leisten müssen.

Barry Fawcett: Dieses Kontrollsystem belastet sowohl die Lehrer als auch die Schüler. Viele Kollegen klagen über gestiegene Arbeitszeiten und den zunehmenden Stress. Und bei den Schülern weist bereits ein Drittel aller siebenjährigen Kinder Stresssymptome auf.

Was passiert, wenn Schulen geschlossen werden?

Brian Garvey: Sie werden durch privat gesponserte City-Akademien ersetzt, die je nach dem Einsatz der privaten Mittel zusätzliches Geld aus dem Erziehungsministerium erhalten. Das ist eine oberflächliche Politik, denn dieses Geld fehlt anschließend bei der Masse »normaler« Schulen.

Barry Fawcett: Diese Akademien werden nur noch durch die privaten Träger kontrolliert. Sie legen den Lehrplan fest, entscheiden über das Schulbudget, haben die Personal- und Tarifhoheit. Sie suchen auch die Schüler aus.

Von wem werden solche Akademien denn gegründet?

Barry Fawcett: Häufig von Großbetrieben oder Universitäten. In letzter Zeit auch von rechts-religiösen Sekten. Dort wird dann Evolutionstheorie durch die »Schöpfungsgeschichte« ersetzt. Das ist nicht nur eine Geldverschwendung, sondern auch höchst gefährlich.

Verwendung: Neues Deutschland