16. Januar 2007

Die Junge Welt wird am 12. Februar 60 Jahre alt, denn kurz nach dem Krieg, am 12. Februar 1947, erschien bereits das erste Exemplar.

Heute ist diese Zeitung – und trotz aller Rückschläge – das wohl wichtigste Medium, das die sozialistische und antikapitalistische Linke in Deutschland noch hat. Hier kann ich auch als Textautor die Dinge so beschreiben wie sie sind.

Für die nächsten 60 Jahre wünsche ich deshalb meiner Zeitung alles Gute, Kraft und Gesundheit und vor allem viele neue Abonnenten, denn das hat die Junge Welt verdient!

Andreas Grünwald

Für Sie, liebe Leser, dokumentiere ich hier sämtliche Artikel, wie sie in der Eigenbeilage zum 60. Geburtstag der Zeitung am 13. Januar 2007 erschienen sind.

Weiter mit uns rechnen
Eine konsequent linke, sozialistische Tageszeitung bleibt machbar, Herr Nachbar

von Arnold Schölzel

Dr. Arnold Schölzel (Jahrgang 1947) gehört seit 1997 zur Redaktion und ist seit 2000 Chefredakteur der Tageszeitung junge Welt.

Neulich war zu lesen, daß ein US-Medienwissenschaftler ziemlich genau das Datum kennt, an dem es in den USA keine Zeitung mehr geben wird: Erstes Quartal 2043. Für Vorhersagen dieser Art gilt generell: »Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.« Diese erinnert an das Kalkül des IBM-Chefs im Jahr 1943, es gebe einen Weltmarkt für etwa fünf Computer.

Eine völlig unkomplizierte Prognose läßt sich für die junge Welt abgeben: Es wird sie auch in den nächsten sechs Jahrzehnten geben. Ob auf Papier oder in anderer Form, sei dahingestellt, aber als Zeitung in jedem Fall. Das läßt sich schon daraus ableiten, daß keine andere Zeitung derart viele Meldungen über ihr Ableben hinter sich hat. Die junge Welt ist bankrotterfahren. Es gab sie schon öfter nicht mehr, was sie nicht daran hinderte, erneut zu erscheinen. Vorgänge solcher Art waren in der Vergangenheit Anlaß, Weltreligionen zu stiften – davon kann hier keine Rede sein. Die junge Welt schien mehrfach abgewickelt, aus und vorbei, keiner rechnete mehr mit ihr. Zum Glück für die Zeitung, wie der Publizist Otto Köhler in seiner Laudatio zur Verleihung des Erich-Mühsam-Preises an die junge Welt 2003 meinte.

Aber es gibt einen wichtigeren Grund dafür, daß die Zukunft der jungen Welt ziemlich klar ist. Das ist das tiefsitzende, schwer zu beseitigende, weil völlig einfache Bedürfnis sehr vieler Leute: Die Nachrichten zu erfahren, die besagen, daß die Zustände, in denen wir derzeit leben, nicht das letzte Wort der Geschichte sind. Jene kleinen Ereignisse mitgeteilt zu erhalten, aus denen sich auf große Veschiebungen in der Weltgeschichte schließen läßt. Wer möchte schon, daß Angela Merkel und George W. Bush den Weltlauf bestimmen? Man kann es auch Lust auf Veränderung nennen oder wenn es ganz hartnäckig kommt: Arbeiten für Sozialismus. Unbankrottbar ist offenbar die Vorstellung, daß niemand sich das tägliche An-der-Nase-Herumführen in Politik und Medien gefallen lassen muß. Es gibt Menschen, die ein Gedächtnis haben und sich daran erinnern, daß nicht alles im Leben auf Kaufen und Verkaufen reduziert werden muß, auf blöde Öde und brutale Idiotie, auf Senkung der Lohnnebenkosten und Landesverteidigung am Hindukusch. Die Macher der jungen Welt haben den Eindruck, daß die Zahl solcher Menschen zunimmt. Nicht sehr schnell, in der Bundesrepublik und in Europa vielleicht etwas langsamer als anderswo in der Welt, aber stetig. Deswegen ist die Vorhersage, was die zukünftige junge Welt angeht, nicht besonders kompliziert.

Sie läßt sich auch so zusammenfassen: Je länger der Kapitalismus dauert, desto größer das genannte Bedürfnis. Wo eine offizielle Arbeitslosigkeit von vier Millionen Menschen wirtschaftlicher »Aufschwung« heißen, wo Kriege mit Zehntausenden und Hunderttausenden Toten geführt und unterstützt werden, da breitet es sich aus, da drängt es viele, etwas zu tun. Da geht es nicht ums Warten auf den St. Nimmerleinstag, sondern darum, hier und heute das Verscherbeln von Wohnungen, Energie und Wasser zu verhindern, das Drehen an der Schikanespirale gegen Arbeitslose, Alte, Jugendliche und Kranke zu stoppen und die Kriegsführer zu lehren, daß sie die Waffen haben, aber nicht die Mehrheit der Bevölkerung.

Antifaschistisch, antikapitalistisch und gegen den imperialistischen Krieg: Solange der Kapitalismus dauert, bleibt die junge Welt nötig. Je rascher er überwunden werden muß, desto nötiger wird sie. Daß es sie im Sozialismus geben muß, wurde schon geprobt.

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Unbankrottbar – open end

Daten, Fakten, Zahlen aus der Geschichte der jungen Welt, die am 12. Februar 1947 als Wochenzeitung Junge Welt gegründet worden ist

Aus einem Leitartikel zum »Tag der Jungen Welt« am 21. Januar 1950: »Zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands hat die Jugend ihre eigene Presse, eine mächtige Zeitung, die nicht dazu dient, sie mit Rassevorurteilen und nationaler Überheblichkeit zu erfüllen, sie andere Nationen hassen zu lehren, sondern die ihr ganzes Streben darauf ausrichtet, die Jugend für den Frieden, das Leben und den Aufbau zu gewinnen.«

Zeitung der Jugend. Später als ursprünglich gewollt erscheint am 12. Februar 1947 die erste Ausgabe der Jungen Welt mit dem Untertitel »Zeitung der Jugend«. Die Wochenzeitung, im Impressum als Organ der im Jahr zuvor als einheitlicher überparteilicher Jugendverband gegründeten Freien Deutschen Jugend (FDJ) ausgewiesen, wird vom Verlag Neues Leben GmbH – am 17. Juni 1946 als Verlag für Jugendliteratur gegründet – herausgegeben. Das von der Sowjetischen Militäradministration unter der Lizenz-Nummer 134 registrierte Blatt kostet 0,25 Reichsmark. Gedruckt wird es mit einem Umfang von acht Seiten im sogenannten Berliner Format. Die Start­auflage wird mit 125000 Exemplaren angegeben.

Zentralorgan mit Zuwachs. Am 7. Dezember 1949 teilt die Junge Welt mit, daß am 2. Dezember die Wochenzeitung Start ihr Erscheinen eingestellt hat und deren Redakteure nun die JW-Mannschaft verstärken werden. Start war bereits im Juni 1946 als »Illustriertes Blatt der jungen Generation« gegründet worden; die im Berliner Verlag herausgegebene Zeitung mit einem Umfang von zwölf Seiten stand jedoch nicht unter dem Einfluß des Jugendverbandes. Gewissermaßen als Trost für die Start-Leser erscheint die Junge Welt, seit November 1947 im Untertitel als Zentralorgan der FDJ ausgewiesen, in veränderter Aufmachung ab 1. Januar 1950 zweimal wöchentlich – zum Preis von 20 Pfennig (Monatsabo: 1,70 Mark). Gegenüber dem Vorjahr steigt ihre Auflage 1950 von 153000 auf 231200 Exemplare.

Übergang zur Tageszeitung. Im Februar 1951 wird im FDJ-Zentralrat die Herausgabe der Jungen Welt als Tageszeitung diskutiert. Während der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1951 in der DDR-Hauptstadt findet mit einer etwa 50köpfigen Mannschaft ein entsprechender Probelauf statt, als die Zeitung mit 21 achtseitigen Festivalausgaben und einer Gesamtauflage von 13 Millionen erscheint. Im Dezember wird der Start der Tageszeitung zum 1. März 1952 beschlossen. Sie erscheint nun im neugegründeten Verlag Junge Welt zunächst sechsmal wöchentlich außer montags mit sechs und sonntags mit acht Seiten zum Preis von zehn Pfennig (Monatsabo 2,50 Mark). Die Auflage liegt bei 261000 Exemplaren. Ihr Markenzeichen wird gebührend betont: »Noch nie hat die junge Generation Deutschlands eine eigene Tageszeitung besessen.« Allerdings nennt sie sich fortan und bis zum 9. Januar 1990 im Untertitel »Organ des Zentralrats der FDJ«.

Sportlerumfrage. Mit dem Namen Junge Welt verbinden sich viele Neuerungen im DDR-Journalismus (wie die wöchentliche Seite mit Antworten auf Leserfragen, die Wochenendbeilage »Du und deine Zeit«, die regelmäßige Literaturbeilage »Du und das Buch« oder die Rubrik »Unter vier Augen«, in der ebenfalls Leserfragen rund um Pubertät und Partnerschaft beantwortet werden, umfangreiche historische Tatsachenserien und biografische Berichte sowie Leserinterviews mit Weltmeistern und Olympiasiegern). Dazu gehört auch die alljährliche Sportlerumfrage. Die von der JW-Sportredaktion kreierte Umfrage nach den DDR-Sportlern des Jahres startet am 15. November 1953. Im Unterschied zu anderen Ländern besteht die Besonderheit darin, daß die Leser mit ihrer Stimmabgabe darüber entscheiden, auch wenn dies seit 1964 anhand einer von Sportjournalisten zusammengestellten Kandidatenliste erfolgt. Seit 1958 werden die Sportlerinnen des Jahres extra gewählt; im Folgejahr wird zudem die Mannschaft des Jahres ermittelt. Die erstplazierten Sportler erhalten die Ehrenschale der Zeitung, die beste Sportlerin den Ehrenpokal des Senders Radio DDR und die Siegermannschaft den Ehrenlorbeer des DDR-Fernsehens. Die Anzahl der abgegebenen Stimmen erhöhte sich von 11773 (1953) auf 833401 (1968) und überschritt in den Jahren danach jeweils die Millionengrenze, viermal (1974, 1977, 1980 und 1988) sogar die Zwei-Millionen-Marke. Da jeder Teilnehmer in jeder Kategorie sein Votum abgeben konnte, heißt das bei zwei Millionen, es beteiligten sich jeweils 700000 JW-Leser bzw. -Mitleser an den Umfragen. Im letzten Umfragejahr kommen allerdings nur noch 686408 Stimmen zusammen. Die traditionelle Auszeichnungsveranstaltung, zu der stets auch die früheren Sportler des Jahres eingeladen sind, findet 1989 dennoch statt.

Leserresonanz. Zwischen 1952 und 1961 erhält die Redaktion im Jahresdurchschnitt 162800 Leserzuschriften (inklusive Einsendungen zur Sportlerumfrage). Für das Jahr 1971 sind exakt 679409 Briefe ausgewiesen, von denen 6791 veröffentlicht bzw. auf der Antwortseite beantwortet werden. Eine Analyse aus dem Jahr 1984 etwa ergibt – bei einer durchschnittlichen Auflage von 1238526 Exemplaren – neben 613826 Zusendungen zur Sportlerwahl (mit insgesamt 1841478 Stimmen) 139928 weitere Leseräußerungen. Dazu gehörten 7756 Problembriefe, die wie Eingaben zu behandeln sind, sowie u.a. Einsendungen zu Preisausschreiben, Leserdiskussionen oder anderen JW-Aktionen (etwa zur Wahl der Amateurband des Jahres), Protest- bzw. Solidaritätsbekundungen und Briefwechselwünsche.

Traumgrenzen. Im Juli 1966 überschreitet die JW-Auflage erstmals die Marke von 300000 Exemplaren. Der frisch ins Amt berufene Chefredakteur Horst Pehnert spricht aus diesem Anlaß von einer »Traumgrenze«, die die Zeitung auf eine Stufe mit renommierten ausländischen Tageszeitungen hebe. Seit Jahren gibt es die Zeitung montags bis donnerstags sowie am Wochenende mit acht und freitags mit 16 Seiten zum Preis von zehn (freitags 15) Pfennig und im Monatsabo 2,70 Mark. Seit 1960 werden zudem täglich zwei Ausgaben produziert: eine Republikausgabe (A) und eine aktualisierte Ausgabe für Berlin und das Umland (B). 1976 geht schließlich ein weiterer Traum der Redaktion in Erfüllung: Mit der Umstellung auf Offsetdruck und dem parallel eingeführten dezentralen Druck (in Berlin, Dresden, Erfurt, Halle und Rostock) konnte der Redak­tionsschluß der A-Ausgabe um rund fünf Stunden auf 17.30 Uhr verschoben werden, während der B-Termin bei 23.50 Uhr lag. 1977 wird mit der Auflage dann eine weitere Schallmauer – die Millionengrenze – durchbrochen.

Dank und Anerkennung mit Marx. Wie schon zu vergangenen Jahrestagen bedenken Zentralkomitee der SED und Zentralrat der FDJ sowie viele andere Gratulanten die Junge Welt auch zu ihrem 40. Jubiläum im Februar 1987 mit Grüßen, Dank und Anerkennung. Der Glückwunsch aus dem Hause Honecker ist verbunden mit der Verleihung des Karl-Marx-Ordens, der höchsten staatlichen Auszeichnung, die die bisher erhaltenen Ehrungen – Artur-Becker-Medaille der FDJ, Banner der Arbeit und Vaterländischer Verdienstorden (Gold) zehn Jahre zuvor – ergänzt.

Neue Chefredaktion. Am 21. November 1989 teilt die Zeitung auf der Titelseite »In eigener Sache« ihren Leserinnen und Lesern mit: »Seit heute hat die Junge Welt eine neue Chefredaktion. Die Mitarbeiter der Redaktion haben ihr mehrheitlich das Vertrauen ausgesprochen. Es sind die radikalen Anforderungen der Zeit, vor allem eure Anforderungen, … die diesen Schritt notwendig gemacht haben. Wir wollen eine neue Zeitung machen.« Nicht mitgeteilt wird, daß diesem Schritt eine Empfehlung der bisherigen Redaktionsleitung unter dem 1984 vom Herausgeber berufenen Chefredakteur Hans-Dieter Schütt zugrunde liegt. Die Junge Welt gehört damit zu den ersten der etwa 40 in der DDR erscheinenden Tageszeitungen, die personelle Konsequenzen aus der Vergangenheit ziehen. Am 10. Januar 1990 verabschiedet sich die JW auch von der FDJ. Statt »Organ des Zentralrats der FDJ« nennt sie sich im Untertitel nun »Linke Sozialistische Jugendzeitung« und will fortan für eine Republik streiten, »die sich ihrem antifaschistisch-demokratischen Ursprung verpflichtet fühlt und reaktionärem Gedankengut keinen Fußbreit Platz macht. Für eine Republik, die verhindert, daß der großdeutsche Traum westlich der Elbe, mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor zu ziehen, nun mit klingender Münze unter Schirmherrschaft des BRD-Finanzkapitals verwirklicht wird. Dagegen stellen wir unseren Traum: daß sich die DDR als eine humanistische und demokratische Alternative zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland entwickelt.«

Expansionsversuch. »Guten Tag nach Flensburg, Stuttgart und Castrop-Rauxel, hallo Nachbarn von Ostfriesland bis Oberammergau: Da sind wir!« Mit dieser Ankündigung will die Junge Welt ab 26. Februar 1990 den sprichwörtlichen Spieß umdrehen. »Wenn auswärtige Blätter auf den DDR-Markt drängen, expandieren wir halt auf den ihren.« Bei einem Preis von einer D-Mark bleibt der erhoffte Erfolg allerdings aus.

Neues Logo. Nach einem von der Westberliner Werbeagentur Dorland entwickelten Konzept erscheint die nun modernistisch durchgestylte Junge Welt ab dem 2. April 1990 mit einem neuen Seitenlayout und neuen Rubriken, ab Mai auch mit einer Umfangserweiterung von 56 auf 72 und ab Juli auf 76 Seiten wöchentlich zum vermeintlich marktgerechteren Preis von 40 (ab September 50) Pfennig; der Einstiegspreis der nun nicht mehr »Linken Sozialistischen Jugendzeitung« im Westen bleibt bei einer D-Mark. Der nach den Wahlen vom 18. März einsetzende und durch die Währungsunion zum 1. Juli 1990 forcierte Auflagenrückgang kann allerdings nicht mehr gebremst werden. Im Dezember 1990 werden statt der 1,6 Millionen zu Jahresbeginn nur noch 200000 Exemplare abgesetzt.

Verlegerwechsel. Während die meisten ostdeutschen Tageszeitungen von der Treuhand westdeutschen Großverlagen zugeschlagen worden sind, entgeht die Junge Welt, obwohl entsprechende »Angebote« vorlagen, solch einem ungewissen Schicksal. Am 24. April 1991 gibt die alternative Westberliner Mediengruppe Schmidt & Partner (MSP) die Gründung einer »Tageszeitung Junge Welt Verlag GmbH bekannt, in der nun die JW – Auflage inzwischen nur noch 170000 – erscheint. An diesem Verlag sind die MSP-Töchter Tribüne Druck GmbH und die Treptower Verlagshaus GmbH zu jeweils 50 Prozent beteiligt. Die Redaktion verlegt ihren 1975 bezogenen Sitz am Alexanderplatz, in der Karl-Liebknecht-Straße, am 14. Juli 1991 mit rund 70 Mitarbeitern nach Berlin-Treptow, ins alte Verlagshaus der Gewerkschaftszeitung Tribüne. Der Wechsel der Druckerei hat weitere Umstellungen zur Folge; die Verkleinerung auf das halbrheinische Format soll durch eine Umfangserweiterung auf dreimal 16 und dreimal 32 Seiten pro Woche kompensiert werden. Ab 1992 erscheint die Zeitung in der Verlagsanstalt in Berlin GmbH.

»Die ostdeutsche Tageszeitung«. So lautet seit dem 6. September 1993 der neue Untertitel. Zur Begründung werden Herkunft und Verbreitung genannt; angemerkt wird zudem, daß ein bewußter Kontrast zur Verwestlichung der Zeitungslandschaft im Osten gesetzt werden soll. Versprochen wird ein originärer Blick aus dem Osten in den Westen und darüber hinaus. Die Zeitung kostet inzwischen täglich 1,20 und im Monatsabo 23,80 DM (ermäßigt 19,90 DM) zuzüglich zehn DM Vetriebskosten in der Alt-BRD. Preiserhöhungen werden vom Verlag damit begründet, daß Abonnements und Kioskverkauf nahezu die einzige Einnahmequelle und finanzielle Basis der Zeitung sind. Steigende Preise und sinkende Auflage – ein Circulus vitiosus.

Hamburger Kurskorrektur. Dem weiteren Rückgang der Abonnementszahlen will der inzwischen für die JW zuständige Azzurro-Medienverlag mit einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Zeitung begegnen. Bei einer Auflage von 27865 Exemplaren wird dafür Hermann L. Gremliza, Herausgeber des linken Hamburger Monatsmagazins konkret, als Berater hinzugezogen. Sein stärker auf Befindlichkeiten westdeutscher Altlinker (»Die Zielgruppe bin ich«, zitiert ihn die taz) orientiertes Konzept startet, gepaart mit dem neuen Zeitungslogo junge Welt und entsprechend neuem Seitenlayout am 9.Mai 1994. Die nun 24 Seiten umfassende Ausgabe kostet 1,50 bzw. monatlich 45/30 DM.

Konkurs mit »Osterwunder«. Der erhoffte Zugewinn von Abonnenten stellt sich zwar ein; er kann jedoch die im größeren Umgang erfolgenden Abbestellungen nicht ausgleichen. Im Gegenteil: Bei einer Tagesauflage von 17405 meldet der Verlag am 5. April 1994 Insolvenz an. Am folgenden Tag teilt der aus dem Westen stammende Chefredakteur seinen LeserInnen mit: »Diese Ausgabe der Jungen Welt ist die letzte.« Doch ein Teil der zuletzt rund 50 Mitarbeiter will nicht kampflos aufgeben. Vorübergehend ohne Computer und sonstige Technik, werden die nötigen Wege, Mittel und Möglichkeiten gefunden. Eine Woche nach dem Konkurs und rechtzeitig zum Osterfest erscheint die Zeitung wieder mit einer ersten »Mut-Ausgabe« – zum Sonderpreis von einer Mark. Ein Mitarbeiterverlag wird gegründet: Der bevorstehende Tag der Befreiung liefert den Namen: Seit 21. April erscheint die jW im »Verlag 8. Mai GmbH i. G.«. Zur Existenzsicherung wird ein Genossenschaftsmodell diskutiert – und die Umsetzung noch im selben Jahr in Angriff genommen. Allen Unkenrufen zum Trotz machen Verlag und Redaktion nicht nur mit der Zeitung von sich reden, sondern z.B. auch im Januar 1996 mit der von ihr veranstalteten ersten Rosa-Luxemburg-Konferenz.

Internet-Pioniere. Nachdem die Zeitung bereits seit Juni 1993 eine bis dahin in der Zeitungslandschaft einmalige E-Mail-Ausgabe anbietet, gehört sie im März 1996 auch zu den ersten Tageszeitungen, die das World Wide Web nutzen. Zunächst nur mit wenigen ausgewählten Beiträgen im Internet präsent, wird das Angebot im Lauf der Jahre schrittweise erweitert. Seit Februar 2006 ist nahezu die komplette Ausgabe am Vorabend des Erscheinungstages on­line abrufbar.

Genossen – schafft. Gut zwei Jahre nach ihrer am 7. Oktober 1995 erfolgten Gründung wird die »Linke Presse Verlags- Förderungs- und Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e. G.« beim Amtsgericht Charlottenburg (Berlin) unter der Nummer 545 Nz in das Genossenschaftsregister eingetragen. Die Zahl der LPG-Mitglieder hat sich von anfangs 28 zum Jahresende 2006 auf 610 erhöht, die insgesamt 936 Anteile (à 500 Euro) gezeichnet haben.

Träumer-Bankett. Großes Medienecho findet am 8. Januar 2000 das im Anschluß an die V. Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Berliner Humboldt-Universität von der Redaktion ausgerichtete »Bankett 2000«. Dazu hatte die Junge Welt bereits vor 30 Jahren die 500 Gewinner eines Preisausschreibens zum 100. Lenin-Geburtstag im April 1970 eingeladen. Unter dem Motto »Träume ins Jahr 2000« waren damals Zukunftsvisionen gefragt: »Was tust Du am Donnerstag, den 6. Januar 2000?« Mit großer Unterstützung ehemaliger JW-Mitarbeiter ist es drei Jahrzehnte später der Redaktion gelungen, das Bankett-Versprechen von 1970 – wenn auch bescheidener als von den Erfindern geplant – einzulösen.

Neues Format. Seit 1999 wieder in Berlins Mitte, in der Karl-Liebknecht-Straße, zu Hause, türmen sich vor der Redaktion im Januar 2004 mit der Insolvenz des Druckhauses am Treptower Park plötzlich neue Schwierigkeiten auf. Auf der Suche nach Ersatz gibt es die Zeitung zwei Tage lang nur mit einer Online-Ausgabe. Nach einer Zwischenlösung bei der Märkischen Verlags- und Druck-Gesellschaft mbH Potsdam kommt die junge Welt seit September 2004 wieder aus Ostberlin, aus der Union Druckerei Berlin GmbH. Damit verbunden ist eine neuerliche Umstellung von Zeitungslayout und Format: Das neue Format entspricht dem der ersten Jahre, statt der damals acht nun allerdings mit 16 und am Wochenende mit 24 Seiten sowie regelmäßigen Extras – wie diese Beilage.

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Endlich! Die Junge Welt ist da!
Geleitwort des FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker zur ersten Ausgabe am 12. Februar 1947

Sie betrachtet es als ihre Aufgabe, mit allem Elan, der jungen Menschen eigen ist, die Interessen der jungen Generation zu vertreten. Diese Aufgabe ist keine leichte. Viel leichter wäre es, in den Chorus derer einzustimmen, die sich in der bloßen Aufzählung negativer Erscheinungen mit der »verlorenen Generation beschäftigen. Wollten wir auch in diese Linie einschwenken, brauchte unsere Zeitung nicht zu erscheinen.

Die Junge Welt stellt sich die Aufgabe, der Jugend den Weg in die Zukunft zu weisen. Sie ist daher das Sprachrohr der Hunderttausenden, die diesen Weg bereits beschritten haben.

Die Junge Welt bekennt sich zur fortschrittlichen Demokratie, die das Mitbestimmungsrecht der Jugend in sich schließt.

Die Junge Welt wird alle die entlarven, die unter dem Deckmantel der Demokratie jugendfeindliche Maßnahmen durchführen wollen. Sie wird daher Freunde der Jugend Freunde und Feinde der Jugend Feinde nennen.

Die Junge Welt wird unentwegt für Frieden, Freiheit und Recht eintreten. Sie wird die freundschaftlichen Beziehungen zur Weltjugend pflegen und die Einigungsbestrebungen der deutschen Jugend fördern.

Die Junge Welt soll in der Hand der Freien Deutschen Jugend eine Waffe sein in ihrem Kampf für die Durchsetzung und Verwirklichung der Grundrechte der jungen Generation, der Verteidigung der Einheit der Jugend und der Herstellung der Einheit Deutschlands. Sie wird diese Aufgabe um so eher erfüllen können, je mehr Jungen und Mädel aus Stadt und Land, aus Fabriken und Kontoren sie als ihre Zeitung betrachten und an ihrer Ausgestaltung mitarbeiten.

Erich Honecker

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Grund- und Gründungskonsens

Antifaschismus und antiimperialistische Solidarität – Markenzeichen der Zeitung seit sechs Jahrzehnten

von Peter Rau

Auch wenn im umstehend veröffentlichten Geleitwort von Erich Honecker die Begriffe »Antifaschismus« und »Solidarität« nicht expressis verbis auftauchen, so gehören die damit zu verbindenden Inhalte gleichwohl zum Gründungs- wie Grundkonsens dieser Zeitung, der alle jähen Wendungen der Geschichte überdauert hat. Was die Gründerjahre betrifft, läßt sich das schnell an zwei Beispielen belegen: Da ist Adolf Buchholz: Der erste Chefredakteur der FDJ-Zeitung kam – wie seine drei Nachfolger Horst Brasch, Rudolf Mießner und Heinz Stern in den 40er Jahren, ehe sie dann gewissermaßen den Staffelstab an Vertreter der inzwischen herangewachsenen Generation übergaben – aus dem antifaschistischen Widerstand. Der Jungkommunist und Berliner KJVD-Funktionär war in den 30er Jahren aus Hitlerdeutschland geflohen, in die CSR und später nach Großbritannien emigriert, wo er wie schon in Prag eine überparteilich organisierte Jugendorganisation namens Freie Deutsche Jugend gründen half. Im Auftrag der KPD stellte er sich 1944/45 dem US-Geheimdienst OSS zur Verfügung, in dessen Auftrag er in den letzten Kriegswochen illegal in Berlin eingesetzt war. Daß Leute wie er und seine Gefährten der von Honecker erwähnten »verlorenen Generation« antifaschistisches Gedankengut nahebrachten und vertraut machten, ist klar. Und wenn es denn auch »verordneter Antifaschismus« gewesen sein soll – so war das gewiß nicht die schlechteste Medizin.

Von diesem Grundkonsens der Zeitung zeugen seither unzählige Tatsachenberichte, Hintergrundbeiträge und Geschichtsserien, veröffentlichte Erinnerungen und Erfahrungen, Gespräche mit und Lebensbilder von antifaschistischen Widerstandskämpfern – bis in die Gegenwart hinein. Heute sind es verstärkt auch Auseinandersetzungen mit dem Geschichtsrevisionismus – Stichwort etwa »saubere Wehrmacht« –, mit der Diffamierung des kommunistischen Widerstandes, mit rassistischen Ausfällen, neofaschistischen Umtrieben und Gefahren. Angesichts solcher Erscheinungen, die zudem auch über die Mainstreammedien verbreitet werden – vor Jahresfrist etwa hieß es in der Berliner Morgenpost: »Die Ideologie des ›Antifaschismus‹ gehört auf den Schrottplatz der Zeitgeschichte« –, bleibt die junge Welt unverzichtbar. Die seit Jahren wöchentlich erscheinende antifa-Seite ist dafür als plakatives Aushängeschild nur ein sinnfälliger Ausdruck.

In Sachen Solidarität setzte die Junge Welt bereits zwei Monate nach ihrer Gründung ein erstes Wegzeichen, wenngleich hier noch ohne internationale Dimension, aber schon unmittelbar praktisch wirksam werdend: Im April 1947 richtete die Wochenzeitung ein Spendenkonto »Hilfswerk Oderbruch« ein, um den von einer großen Überschwemmungskatastrophe im Odergebiet Betroffenen helfen zu können. Bis Juni kamen so 87900 Mark zusammen.

Weit mehr noch im Gedächtnis verankert dürften jedoch jene Aktionen der Zeitung sein, die über den Rahmen der Republik hinaus Zeichen setzten: Das reicht von der ersten Protestkartenaktion gegen die in Frankreich geplante Hinrichtung der algerischen Freiheitskämpferin Djamila Bouhired im Jahr 1958, über die Grußaktion zum 70. Geburtstag des von der Apartheid eingekerkerten Präsidenten des südafrikanischen ANC Nelson Mandela 1998 bis zu den aktuellen Forderungen nach Freilassung des seit 25 Jahren in einer Todeszelle lebenden US-amerikanischen Bürgerrechtsaktivisten Mumia Abu-Jamal oder den in den USA völkerrechtswidrig festgehaltenen »Cuban Five«. Parteinehmend engagiert in der Berichterstattung über die kubanische Revolution wie über die Befreiungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent oder den Widerstand des vietnamesischen Volkes gegen die Aggressoren aus den USA. Solidarität galt der Unidad Popular in Chile wie dem Widerstand gegen die mörderische Pinochet-Diktatur – genauso, wie die junge Welt heute Partei ergreift für Hugo Chávez und die bolivarische Revolution in Venezuela oder die Umwälzungen in Bolivien.

Ein ganz besonderes Kapitel der internationalen antiimperialistischen Solidarität, das 1971/1972 von dieser Zeitung maßgeblich mitgeschrieben wurde und erst jüngst eine Fortsetzung fand, galt dem weltweit geführten Kampf um die Freilassung der in den USA von der Todesstrafe bedrohten Bürgerrechtskämpferin Angela Davis. Zu Hunderttausenden waren die Leserinnen und Leser der FDJ-Zeitung damals dem Ruf gefolgt, ihr eine Million Rosen ins Gefängnis zu senden; um so größer die Freude, die »schwarze Rose aus Alabama« (so war ein JW-Tatsachenbericht über ihr Leben überschrieben) nach ihrer erzwungenen Freilassung bei uns begrüßen zu dürfen. Das war 1972 zum ersten, jedoch nicht zum letzten Mal. Und so war es der jungen Welt im Januar 2005 eine ganz besondere Genugtuung, sie erneut bei uns zu wissen – als Rednerin auf der von der Redaktion veranstalteten X. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz.

Womit ein weiteres Kapitel zum Thema junge Welt und antiimperialistische Solidarität aufgeschlagen ist: Von der ersten bis zu der am heutigen Sonnabend stattfindenden XII. waren diese Konferenzen in der Regel auch international angelegt und ausgerichtet – sowohl mit ihren Themen als auch – spätestens seit 1999 – mit ihren Podiumsgästen. Um hier nur einige aus den letzten Jahren in Erinnerung zu rufen: Gast der V. zum Thema »Kapitalismus im 21. Jahrhundert. Neoliberalismus, Sozialabbau und gewerkschaftliche Gegenwehr« war im Jahr 2000 unter anderem der stellvertretende Vorsitzende der nun von einem Verbot bedrohten KP Böhmens und Mährens, Miloslav Ransdorf. Ein Jahr später diskutierten u.a. John Catalinotto (USA), Maria Rojas (Chile) und Said Dudin (Palästina) über »Menschenrechtsimperialismus und Widerstand«. Aus Kuba, Rußland, Pakistan und Frankreich kamen im Januar 2002 die Referenten zum Thema »Tot oder lebendig. Widerstand in der neuen Weltkriegsordnung.« »Die Revolution verteidigen. Strategien der Konterrevolution« war Gegenstand der IX. im Jahr 2004; u.a. mit Ministerin Ana Elisa Osorio Granado aus Venezuela. Und auch hier war, wie schon zu vorangegangenen Konferenzen, Mumia Abu-Jamals Botschaft aus der Todeszelle zu vernehmen: On a move!

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Die Unverbesserliche

Mehr als eine linke Tageszeitung – seit 60 Jahren steht bei der jungen Welt Sozialismus auf dem Plan

von Dietmar Koschmieder

Der Autor (Jahrgang 1955) kam 1991 in die Redaktion und ist seit 1995 Geschäftsführer des Verlages 8. Mai.

Das ökonomische Lexikon, herausgegeben 1980 im Verlag der Wirtschaft Berlin, beschreibt die Übergangsperiode vom Sozialismus zum Kapitalismus folgendermaßen: »Der Kapitalismus entsteht gesetzmäßig im Ergebnis der kapitalistischen Konterrevolution und der kapitalistischen Umgestaltung aller Lebensbereiche vom Sozialismus zum Kapitalismus. Während der Übergangsperiode siegen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse und die der kleinen Warenproduktion in allen Bereichen und verdrängen die Produktionsverhältnisse des Sozialismus.« Zwangsläufig führe das zur Senkung des Lebensstandards der Werktätigen und durch den Sieg des Kapitalismus entstünden »die Bedingungen für das uneingeschränkte Wirken der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus«, heißt es dort weiter.

Abgesehen von dem kleinen Umstand, daß in diesem Text einfach Vorzeichen und Folgen vertauscht wurden (denn in Wirklichkeit wird im Originaltext an dieser Stelle unter dem Stichwort Sozialismus der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus durch eine sozialistische Revolu­tion beschrieben), beschreibt der geänderte Text doch ziemlich genau die Situation, in der sich die Junge Welt nach der »Wende« befand. Verlagsmitarbeiter und Redak­tion mußten mit den neuen Verhältnissen klarkommen. Die Veränderungen betrafen nicht nur sie persönlich, sondern auch die Gegenstände ihrer Berichterstattung. Zwar half eine marxistisch-leninistische Grundausbildung bei der Analyse der neuen Verhältnisse – dieses Handwerkszeug schien aber vielen entwertet oder gar unbrauchbar. Und so fand man in den ersten Jahren nach 1989 in der jungenWelt eine bunte Mischung an inhaltlicher Orientierung: Präzise soziale Reportagen neben engagierter Berichterstattung aus Betrieben, in denen schonungslos die neuen Produktions- und Eigentumsverhältnisse durchgesetzt wurden. Aber auch eine vielteilige Serie »Wie werde ich Unternehmer« neben zahlreichen Ratschlägen für Politiker, wie man so manches noch besser machen könne.

Schon damals war klar, daß die neuen Bundesländer Experimentierfelder dafür waren, wie Betriebsstillegungen und Massenentlassungen in großem Stil auch im Westen durchgezogen werden können. Und wie man drohende Protestbewegungen und Gewerkschaften klein hält, vor allem ihre Vernetzung verhindert. Schon damals spielten Medienexperten eine wichtige Rolle bei der Desinformation. Und nicht nur in den Redaktionen: Der für die Abwicklung von DDR-Betrieben zuständige Treuhanddirektor hatte zuvor seine Eignung für den neuen Job nicht zufällig als Bild-Zeitungsreporter bewiesen. Wenn es sein mußte, agitierte er fleißig mit und war auch persönlich dabei, wenn sich Hunderte Beschäftigte per Handzeig ihrer Rechte entledigten. Es gab zwar große Kampfbereitschaft in den ehemaligen DDR-Betrieben, aber niemanden, der diese Bereitschaft zu einem einheitlichen und geschlossenen Kampf geführt hätte. So ging es zu wie in den Bauernkriegen: Mit bescheidenem Aufwand reiste der Treuhanddirektor mit seinem Gefolge von den DKK-Kühlschrankherstellen in Scharfenstein über die Kalikumpels von Bischofferode zu den Stahlwerkern von Sket in Magdeburg. Und warf eines nach dem anderen der Widerstandsnester nieder. Wie zu erwarten, wurden diese Erfahrungen bald darauf auch im Westen der neuen Republik angewandt. Und als auch dort einheitlicher und überregionaler Widerstand nicht zustande kam, war bald im ganzen Deutschland nichts mehr so wie vorher. Auch in der alten BRD gab es erst jetzt Bedingungen für das uneingeschränkte Wirken der ökonomischen Gesetze des Kapitals. Wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen und Bedingungen: Die Wende fand hüben wie drüben statt.

Dem massiven Abbau von Arbeitsplätzen folgte sehr schnell der Abbau von sozialen und demokratischen Rechten in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Dieser Prozeß geht bis heute ungebremst weiter. Nach Hartz IV und diversen als Antiterrorgesetze verkauften weiteren Einschränkungen wurde Anfang 2007 die größte Steuererhöhung in der deutschen Nachkriegsgeschichte durchgezogen – wiederum ohne nennenswerten Widerstand. Eine weitere Folge dieser Umgestaltung: Von deutschem Boden geht wieder Krieg aus, ist das Militärische nicht länger Tabu, finden faschistische Demagogen neuen Zuspruch.

Von diesen Entwicklungen blieb die Medienlandschaft nicht unberührt: Redaktionen werden aus Kostengründen verkleinert, es ist kaum Platz für eigene Recherche, und so bleibt der Griff zu den Agenturmeldungen und Pressemitteilungen. Der Druck von Wirtschaft, Kirche und Politik auf die Entscheidungsträger wächst. Antikommunismus, von intelligenteren Bürgerlichen einst als Grundtorheit des Jahrhunderts erkannt, wird zur Grundtugend erklärt. Wer da noch gegen Unterdrückung und für Befreiungsbewegungen, wer da noch gegen Krieg und für andere Eigentumsverhältnisse eintritt, ja selbst, wer mit solchen Leuten auch nur spricht, die solches vertreten, ist zumindest Verfassungsfeind – wenn nicht gleich selbst Terrorist. Diesem Druck sind nicht alle gewachsen: Linke distanzieren sich von sich selbst, Redakteure schreiben nicht mehr das, was sie wissen und erkennen. Überregionale Medien verbreiten fast nur noch die Positionen der Herrschenden.

Diese veränderte Situation hat die Kampfbedingungen der Linken gravierend verändert. Denn die, die weiter festhalten an einer sozialistischen Perspektive, können es sich immer weniger erlauben, in unproduktiven Grabenkämpfen ihre verbliebene Kraft weiter zu dezimieren. Der inhaltliche Streit geht weiter, aber es gibt eine neue Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Vernetzung. Jahrelang war das kaum mehr als eine theoretisch erkannte Möglichkeit. Heute wird sie immer mehr zum dringenden Bedürfnis: Gewerkschafter und Sozialdemokraten, Revolutionäre und Reformisten, Christen und Anarchisten, Internationalisten und Aktivisten aus diversen Bewegungen erkennen, daß die Zusammenführung der Kräfte die einzige Chance ist, sich relevant gegen die neuen Verhältnisse erfolgreich zu Wehr zu setzen – aber auch wichtige Voraussetzung, um die soziale Demagogie der alten und neuen Nazis zurückzudrängen. In einer Zeit, in der fast alle Tagesmedien sich mehr oder weniger auf die eine oder andere Seite des Kapitals geschlagen haben, steht die einzig verbliebene, die mit Analysen, Positionen und Berichten für Antikapitalismus und Sozialismus jahrzehntelange Erfahrung hat, in einer besonderen Verantwortung. Sie wird Bezugspunkt unterschiedlicher Linker – nicht weil sie so gut ist, wie sie sein sollte, sondern weil es keine Alternative gibt und in absehbarer Zeit auch keine geben wird. Diese banale Erkenntnis setzt die Macherinnen und Macher dieser Zeitung, aber auch die Linke insgesamt in eine besondere Verantwortung. Der Ausbau und die Entwicklung der jungen Welt stärkt die Linke im Lande, ihr Niedergang oder gar ihr Verschwinden würde sie hingegen empfindlich schwächen. Egal, ob es um theoretische Debatten und Analysen geht, um die Herausbildung einer neuen starken sozialreformerischen Partei, um die Stärkung der kommunistischen Fraktion innerhalb der Linken und schließlich um starke außerparlamentarische Bewegungen und kämpferische, erfolgreiche Gewerkschaften: gemeinsam und mit einer linken unabhängigen Tageszeitung können wir dafür sorgen, daß das Wirken kapitalistischer ökonomischer Gesetzmäßigkeiten nicht uneingeschränkt bleibt und schließlich sozialistische Produktionsverhältnisse wieder auf der Tagesordnung stehen.

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Absolvent des »Roten Klosters«

Vom Volontariat über das Journalistikstudium bis ins Redaktionssekretariat

von Peter Rau

Der Autor (Jahrgang 1944) war 1966–1968 Volontär bei der JW und ist seit Abschluß eines Journalistikstudiums 1974 Mitarbeiter der Redaktion

Mit Journalismus hatte ich ursprünglich nichts am Hut. Zwar JW-Leser seit der Oberschulzeit, sah meine – wie man heute zu sagen pflegt – Lebensplanung für die Zeit nach dem Abitur anders aus. So stand nach vier Jahren bei der Volksmarine der Nationalen Volksarmee die Frage: Wie weiter? Da half der DDR-Hochschulführer. Der dortige Eintrag der Fakultät für Journalistik an der Leipziger Karl-Marx-Universität überzeugte; er entsprach der daheim genossenen sozialistischen Erziehung und irgendwie auch eigenen Neigungen, andere mit der in Anfängen begriffenen marxistisch-leninistischen Weltanschauung von der Richtigkeit des sozialistischen Aufbaus in der DDR und von der Bösartigkeit des Imperialismus zu überzeugen. Vorm Studium war allerdings ein Praktikum – gewissermaßen als Eignungsprüfung – zu absolvieren. Dieses Volontariat hatte mir die Junge Welt angeboten.

Und so betrat ein eben erst in Ehren entlassener Obermaat d. R. am 2. November 1966 zwar ein wenig beklommen, doch auch voller Erwartungen und Neugier das altehrwürdige JW-Verlagsgebäude in der Mohrenstraße 26/27 in Berlin-Mitte, in dem die Redaktion seit 1953 ihren Sitz hatte und bis 1975 haben sollte. Zwei Sätze und eine Frage der künftigen Kollegen in der Abteilung Nachrichten/Außenpolitik sind mir noch in Erinnerung. Der Ressortchef meinte sinngemäß: Zeit hat hier keiner, sich groß um dich zu kümmern. Wir können dich nur ins Wasser schmeißen, schwimmen lernen mußt du allein. Dann Frage der aus dem Mecklenburgischen stammenden Absolventin des »Roten Klosters« (so ein gängiges Synonym für die Journalistenfakultät) am benachbarten Schreibtisch, ob mir bewußt sei, daß man in diesem Beruf und in dieser Redaktion in erster Linie Jugend- bzw. Parteifunktionär und erst in zweiter Instanz ein Schreiber sei? Damit hatte ich, seit acht Jahren Jahren FDJ- und zwei Jahren auch SED-Mitglied, keine Probleme, zumal mir Lenins Wort von der Presse als kollektivem Agitator, Propagandisten und Organisator schon geläufig war. Beim Schwimmenlernen im neuen Metier gab’s dann allerdings doch kräftige Hilfe von den Kollegen.

Überhaupt war der Umgangston in der Redaktion freundschaftlich und jugendgemäß locker – das Durchschnittsalter der damals etwa 80 Mitarbeiter lag bei 30 Jahren; der Chefredakteur etwa, der 1950 als Jugendkorrespondent zur Zeitung gekommen war, hatte gerade seinen 34.Geburtstag begangen; von einem seiner Stellvertreter, von Beruf Klempner, erfuhr ich am Rande einer Abteilungsfete rund um ein ordentliches Faß Bier, daß er ebenfalls über seine Tätigkeit als Jugendkorrespondent entdeckt und von seinem Großbetrieb weg für die Junge Welt abgeworben worden war. Damit soll gesagt sein, daß in dieser Redaktion keine abgehobene Intelligenzlerschicht oder Elite gehobener FDJ-Kader versammelt war, sondern durchaus eine dem Alltag verbundene Schar junger bzw. junggebliebener Leute. Diesem Mix entsprangen oft unkonventionelle, ausgefallene Ideen – eine Garantie für die weitestmögliche Nutzung der durchaus vorhandenen journalistischen Freiräume.

Die Beschränkung der (bürgerlicherseits so hochgelobten) Pressefreiheit empfand ich übrigens selbst nach dem Studium nicht so. Und was ist schon von einer Pressefreiheit zu halten, von der Altkanzler Helmut Schmidt im Bundestag mal sagte, »daß in Brüssel wie in Frankfurt, genauso wie in Bonn, aber anders als in Ost-Berlin die Journalisten Gott sei Dank schreiben dürfen, was sie für richtig halten, auch wenn es falsch ist. Sie dürfen sogar etwas schreiben, von dem sie wissen, daß es nicht richtig ist.«

An dieser Stelle bietet sich ein kleiner Exkurs zum Journalistikstudium an, das in meinem Fall 1968 begann (und das ich übrigens für mehr als zwei Jahre mit Kommilitonen aus Guinea, Ghana, Nigeria und Frankreich im Seminar bestritt) und 1974 endete: In Leipzig wurde so etwas in der Tat nicht gelehrt, sondern zum Beispiel Karl Marx studiert: »Die erste Freiheit einer Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.«

Die vielgeschmähte, in der Tat oft hölzerne und schwerverdauliche Sprache in den Zeitungen der DDR war übrigens beileibe keine Muß-Bestimmung, wie die Junge Welt oft genug demonstrierte. Lesbarkeit und Wirksamkeit, Verständlichkeit und Emotionalität bzw. Ausdruckskraft der Journalisten-Sprache in der DDR zu verbessern, war übrigens auch Gegenstand eines Forschungsprojektes in Leipzig, an dem ich während meines Studiums selbst mitwirken konnte.

1974 also kehrte ich in die Redaktion zurück. Ich hatte ihr ja auch mit regelmäßigen Ferieneinsätzen die Treue gehalten – frei nach dem Motto »Alte Liebe rostet nicht«. (Das muß ich hier schon der Familie wegen bekennen, von der ich oft genug zu hören bekam und bekomme: Du bist ja mit der Jungen Welt verheiratet!) Die alljährlich den Absolventeneinsatz koordinierende Kommission des ZK der SED (»Kann doch nicht jeder nach Berlin!«) hatte glücklicherweise keine Einwände.

1975 wurde ich von der Nachrichten- in die Propagandaabteilung und 1982 in das Redaktionssekretariat gewechselt. Propaganda – das klingt nach Holzhammer, war in unserem Fall aber doch was anderes und weit mehr. Dazu gehörten neben der journalistischen Begleitung des FDJ-Studienjahres immerhin die Verantwortung für die Bereiche Geschichte und Wissenschaft sowie Militärpolitik, vor allem aber für die 1956 eingeführte und seinerzeit rundum beliebte, wöchentlich erscheinende Antwortseite, die dann am 29. März 1990 im Zuge der ausufernden DDR-Medien-Kritik eingestellt wurde. »Antworten« klang zu sehr nach »Indoktrination« … Ein Wort noch zur Militärpolitik, für die ich zeitweise auch nach 1982 – zugegebenermaßen gern – zuständig war: Gegen die der DDR oft vorgehaltene Durchmilitarisierung der Gesellschaft spricht deren Gewichtung in der Jungen Welt; unsere Militärpolitikseite etwa erschien einmal monatlich, die Seite Wissenschaft und Technik dreimal …

P.S. Mit der »Wende« 1989/1990, mit der nun massiv artikulierten und ausgeteilten Medienschelte stellte sich Lenins berühmte Frage ganz neu und ganz individuell: »Was tun?« In dieser Redaktion bleiben, überhaupt im Beruf bleiben? Im Gegensatz zu manch anderen Kollegen kam eine andere Zeitung für mich nicht in Frage. Die Häme, mit der heute noch die sozusagen gewendeten DDR-Journalisten bedacht werden, gibt mir im nachhinein Recht. Die Erfahrungen mit dem real existierenden Kapitalismus sorgten allerdings bald dafür, daß der vorübergehende Rückzug in eine Art innerer Emigration und die selbstverordnete Schreibpause nicht allzu lange vorhielten. Anteil daran hatten immer wieder auch Leser, die uns zu jeder Nachwendezeit bis heute in allen komplizierten Situationen unterstützten und manchmal ziemlich ultimativ zum Erhalt dieser ziemlich einmaligen Stimme aufforderten und ermutigten, den 1990 eingeschlagenen Weg einer unabhängigen linken Tageszeitung trotz mancher Abwege weiterzugehen. Dazu gehört es, Kontrapunkte gegen den schier schrankenlosen bürgerlichen Mainstream zu setzen und – zum Beispiel – die Geschichte der DDR nicht ihren westdeutschen Interpreten und heutigen Schlechtschreibern zu überlassen, sondern sie mit den eigenen DDR-Erfahrungen kritisch aufzuarbeiten, statt sie antikommunistisch verbildeten Delegitimierern zu überlassen. Allein auf diesem Feld bleibt auch künftig noch viel zu tun, um aus dem gescheiterten Alternativversuch jene Ansätze zu bewahren, aus denen heraus eine andere Welt möglich wird. Mehr denn je gilt schließlich eine jener Lieblingssentenzen des weltweit bekannten Wirtschaftshistorikers und langjährigen, ich glaube seit 1972, Autoren dieser Zeitung Prof. Jürgen Kuczynski: Sozialismus oder Barbarei.

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Der Pionierleiter hatte immer Recht

Bei der ersten Begegnung mit der jungen Welt war die Welt noch in Ordnung

von Wera Richter

Die Autorin (Jahrgang 1969) absolvierte 1999/2000 ein Praktikum bei der jW und gehört seit 2004 fest zur Redaktion.

Ich bin schon mehrmals in der DDR im Kinderferienlager gewesen. Ich habe mir alles genau angesehen und vieles von dem, was ich sah, verglichen mit meinen Erlebnissen in der BRD. Hier in der DDR habe ich den herrlichen Pionierpalast und die schöne Pionierrepublik kennengelernt. Auch wir wollen Häuser, in denen wir basteln, tanzen, singen und spielen können. Aber dafür ist in unserem Land kein Geld da.« Das war mein erster Kontakt zur Jungen Welt, die nach dem VII. Pioniertreffen in Dresden 1982 unter der Überschrift »Kinder der Welt klagen den Imperialismus an« auch »Wera aus der BRD« zu Wort kommen ließ.

Natürlich konnte ich damals als Zwölfjährige schon erklären, daß das fehlende Geld in die Rüstung fließt und deshalb der Brüsseler Raketenbeschluß dringend vom Tisch muß. Die Rede, die ich für die Delegation der Jungen Pioniere hielt, begann mit den Worten »Auch mein Vater ist ein Arbeiter.« Der unterrichtete damals Architektur an der Fachhochschule Dortmund, und ich handelte mir wegen dieses Satzes, den ich auf keinen Fall vorlesen wollte, den ersten Krach mit meinem Pionierleiter ein.

Den zweiten Knatsch hatte ich später mit Pionierleitern der FDJ. Da war ich bei einer Kinderferienfahrt in die DDR Jugendbetreuerin einer Gruppe Dortmunder Nordstadtkids, die am Abend nach dem Besuch einer KZ-Gedenkstätte durch das Pionierlager rannten und »Nazis raus« an die Unterkünfte sprühten. Ich fand das ziemlich gut und den richtigen Lerneffekt. Die Freunde von der FDJ fanden es aber überhaupt nicht witzig. Nicht wegen der beschmierten Wände, sondern weil es in der DDR doch keine Nazis gab. Friedenspanzer, Morgenappelle, gute Ärzte gegen Homosexualität und am Ende die versöhnliche Frage »Brauner oder Weißer?« geben noch heute abendfüllenden Stoff unter Alt-SDAJlern.

Lebenslänglich die Antifaseite betreuen zu dürfen – zunächst bei der UZ, schließlich bei der jungen Welt – war dann vermutlich die gerechte Strafe für meinen Fauxpas beim Dortmunder Hammelsprung 1989. Bei der Abstimmung über die Zukunft des sozialistischen Jugendverbands ging ich zielstrebig durch die falsche Tür, verließ damit die in der SDAJ verbleibenden »Betonköpfe« und fand eine Weile politisches Asyl bei den Schwarzgekleideten mit Sonnenbrille und Kapuze. Als die DKP 1993 mit den »Bottroper Wasserspielen«, dem Pressefest der UZ ’93, unter Beweis stellte, daß sie immer noch feste feiern konnte, ging es »zurück zum Beton«. Nicht nur wegen der Party, sondern weil doch klar war, daß der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und die leidige Organisationsfrage beantwortet sein will. Da gab es längst in ganz Deutschland keine Häuser mehr, in denen Kinder kostenlos basteln, singen, tanzen und spielen konnten. Dafür in beiden Teilen Deutschlands organisierte Neofaschisten und die »Enttabuisierung des Militärischen«.

Die junge Welt blieb über die Zeit immun gegen antikommunistische Attacken, etablierte sich vor allem als konsequente Antikriegszeitung und handelte sich dafür Einträge in Verfassungsschutzberichte ein. Daß es mich deshalb zu dieser Zeitung gezogen hat, wäre übertrieben. Nach jahrelanger Gartenarbeit ging es zunächst zur UZ, der DKP-Wochenzeitung, und dann zum Journalistikstu­dium. An der Dortmunder Uni bescheinigte man mir, daß ich nicht in der Lage sei, zwischen Hausarbeiten und politischen Pamphleten zu unterscheiden. Auf der Suche nach einem Volontariatsplatz, der den Weg ins Hauptstudium ebnen sollte, waren sich die Chefredakteure diverser Lokalzeitungen nach Durchsicht der Mappe mit vor allem UZ-Artikeln schnell einig, daß ich nicht zwischen Nachricht und Kommentar unterscheiden könne. So landete die Bewerbung schließlich bei der jungen Welt, wo noch nicht geklärt war, ob die Zeitung für westlinke Sekten und Randgruppen gemacht wird oder Interessenvertreterin der Ostdeutschen sein will oder beides oder noch ganz was anderes. Nach dem Volontariat führte der Weg 2000 noch einmal zurück in den Ruhrpott, nicht mehr zur Uni, sondern in die UZ-Redaktion.

Nun wieder in Berlin, erstaunt die wilde Mischung von Kommunisten, Trotzkisten, Oskaristen und irgendwie Linken aus Ost und West, die hier unter einem Dach lebt oder arbeitet. Die würde wohl kaum einen gemeinsamen Demoaufruf zustande bringen. Aber die Fragestellung der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz »Worin unsere Schwäche besteht – was hindert die Linken ihre Kräfte zu bündeln?« steht in den Redaktionsräumen weniger scharf, weil am Abend eine Zeitung druckreif sein muß. Da bleibt manches unausdiskutiert, aber am Ende werden die Fragen ja immer noch draußen und nicht drinnen entschieden.

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Die JW zur Wendezeit oder: Wie macht man eine Zeitung, wenn jeder Tag ein Chaostag ist?

von Roland Etzel

Der Autor (Jahrgang 1950) war nach einem Studium der Arabistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig von 1974 bis 1994 Redakteur, ab 21. November 1989 stellvertretender Chefredakteur der Zeitung

Wann und wie begann sie eigentlich – die Wendezeit in der Jungen Welt? Für den politischen Umbruch in der DDR gibt es neuralgische Daten: GroßdemoS in Leipzig und Berlin, Honecker-Rücktritt, Maueröffnung… Der Staat wurde viel schneller abgewickelt, als selbst seine frei gewählten Konkursverwalter es planten, und versenkte manche mit, die wie Galeerensklaven an ihn geschmiedet waren. Auch die bis Mitte 1989 noch so stolze FDJ, deren Sprachrohr die Junge Welt ja war, verschwand kampflos im Orkus.

Müßig zu erwähnen, daß in der nicht weniger stolzen Jungen Welt gar keiner Lust auf Untergang hatte und auch kaum einer überhaupt einen Gedanken daran verschwendete. War ja zunächst auch gar nicht nötig, denn die Abenddämmerung des Landes kam den meisten Medien als schillerndstes Morgenrot daher. Das süße Wort Pressefreiheit durchwölkte die Großräume und riß selbst die trägsten Hirne zu eigenen Gedankengängen hin.

Anfang Oktober 1989 hatte sich die Staatsführung zaghaft entschlossen, ihre politischen Stehversuche zu beenden. Ein Schritt nach vorn oder ein Zurückweichen vor der Realität? Wahrscheinlich beides. In jenen Tagen hatte die Chefredaktion auf abenteuerlichen Wegen einem Brief des Präsidenten des Schriftstellerverbandes den Weg ins Blatt gebahnt, der in kantig geschliffenen Worten von unakademischer Klarheit neues Denken einforderte. Das sprach sich rum.

In den folgenden Wochen überschlugen sich die Ereignisse, im Staate DDR wie im Mikrokosmos Junge Welt. Kein nennenswertes Gremium des Landes blieb ohne Führungsrücktritte, vom SED-Politbüro bis zur Kreisebene der Sportverbände. Auch die Chefredaktion verabschiedete sich, aus freien Stücken. Der neu eingesetzte Chefredakteur durfte sich selbst ein Führungsteam aussuchen. Auch ich gehörte dazu. Es gelang uns, einen aus der alten Garde, den kürzlich verstorbenen Dieter Rothe, zum Bleiben zu überreden. Eine Redaktionsvollversammlung bestätigte alle Personalentscheidungen – zum ersten und auch zum letzten Mal.

Erfahrung, Entscheidungskraft und Verläßlichkeit waren gerade damals bitter nötig, denn alles um uns herum war, wenn nicht schon in Auflösung, so doch in heftigster Bewegung: der Staat, dessen so schnelles Ende noch nicht zu ahnen war, die gesamte politische Landschaft, die Industrie und nicht zuletzt die Gefühlswelt der Menschen. Und mittendrin ein papierenes Schiffchen namens Junge Welt – inmitten untergehender Tanker.

Ungeachtet dessen ging es zunächst aufwärts – mit der Auflage. Zum Feiern war indes kaum einem von uns zumute. Zu sehr trieben uns die Ereignisse, als daß ich sagen könnte, wir hätten die folgenden Entscheidungen immer nach reiflicher Überlegung treffen können. So mancher, mit dem wir heute noch Druck, Produk­tion, Vertrieb und anderes verhandelten, war morgen schon nicht mehr im Amt.

Leichter wurde es deshalb nicht. Zwar arbeitete die gesamte Redaktion mit Inbrunst das täglich neue Chaos im Lande auf, aber die äußeren Bedingungen wurden ständig schlechter. Obwohl der Ministerrat Regeln erlassen hatte, welche Westzeitungen in welcher Stückzahl über die offene Grenze in die DDR gelangen dürften, haben die Medienkonzerne in der BRD darüber bestenfalls herzlich gelacht. Sie überschwemmten das Land mit ihrem Papier, und so wie alle DDR-Betriebe der neuen Konkurrenz ziemlich hilflos ausgesetzt waren, so ging es auch uns.

Und zwar steil bergab. Gründe dafür gab es viele. Eine wesentliche Ursache für das Sinken der Auflage war ganz gewiß unsere Entscheidung, die einsetzende allgemeine und kritiklose Einheitsbesoffenheit nicht mitzumachen. Auch hielten wir trotzig am Gedanken eines demokratischen Sozialismus fest. Die gewendeten Zeitungen der DDR, besonders von Ost-CDU und LDPD, obwohl ebenfalls unter heftigem Auflagenverfall leidend – fielen zum eigenen Trost gern über uns her. Wir haben es ihnen später mit Nachrufen danken können. Nervender war, daß kaum eine Woche verging, in der wir nicht mit – zumeist uneingeladenem – Besuch aus dem Westen zu kämpfen hatten. Ganze Gruppen von »Kollegen« von Hamburg bis München fielen ein und verlangten von uns ungeniert Tips für ihre neuen Ost-Reporter, wenn nicht gar unsere Quellen. Und aus Naivität und Unsicherheit haben wir sie viel zu selten rausgeschmissen.

Andere wollten uns gleich ganz haben, denn noch hatten wir ja eine für sie atemberaubend hohe Auflage. Damals nicht, aber im nachhinein zum Lachen war der Versuch einer Gruppe Demonstranten, die meinten, wegen unserer Vergangenheit müßte die Redaktion in demokratische Hände übergeben werden, und zwar in ihre. Stundenlang belagerten sie das Vestibül des Hauses – ehe die Pförtner die Revolution für beendet erklärten, denn sie wollten nach Hause. Schwerer wog schon der Versuch einer zwar sehr wohlklingend formulierten, aber ebenfalls kaum freundlich gemeinten Übernahme. Der Chef eines großen Hamburger Verlagshauses offerierte uns die Aussicht, das erste Boulevardblatt für den Osten zu werden. Die Begeisterung hielt sich in engen Grenzen, und vielleicht entschied er sich auch deshalb für ein anderes Berliner Blatt.

Dort ließ sich auch viel besser mit Anzeigen eine Menge Geld verdienen. Für uns als überregionale Zeitung ohne einen Mediengiganten aus dem Westen im Rücken und mit noch dazu unwillkommener politischer Botschaft interessierte sich so gut wie kein Werbekunde. Dabei waren wir noch im Dezember 1989 die erste DDR-Tageszeitung gewesen, die eine kommerzielle Anzeige geschaltet hatte und so auch die ersten D-Mark verdiente. In unserer Naivität diskutierten wir danach darüber, für welche Bereiche wir in der JW auf keinen Fall werben lassen wollten: Alkohol, Tabak, Pornographie, Banken, Dritte-Welt-Ausbeuter… Es erübrigte sich schließlich, denn die Angebote blieben aus.

Bisweilen haben wir uns aber auch selbst ins Knie geschossen. Ein neues Layout sollte 1990 unbedingt her. Die anderen DDR-Zeitungen hatten das ja inzwischen auch alle. Aber es mußte natürlich eine Firma aus dem Westen sein. Das Blatt war danach jedenfalls nicht mehr wiederzuerkennen, jedenfalls nicht als ernstzunehmende Tageszeitung. Daß ich damals bei der Präsentation aus falsch verstandener Loyalität und auch mangelnder Sachkunde tapfer mitgelächelt habe, kann ich mir noch heute kaum verzeihen. Mit dem Leser ging das nicht so einfach oder gar nicht. Es hagelte Abbestellungen, sicher nicht allein wegen des Layouts, aber angegeben als Begründung wurde es oft.

* Vieles, was wir damals zu entscheiden hatten, ist sicher aus heutiger Sicht abenteuerlich zu nennen. Aber vielleicht war ja auch nicht alles falsch, denn immerhin: Das Abenteuer Junge Welt dauert an. Ich erinnere mich eines Tages Mitte 1990, da der schon erwähnte Dieter Rothe in der Chefredaktion mit ernstem Blick und flüsternder Stimme mitteilte, daß die Auflage jetzt nur noch bei 500000 liegt. Die Besorgnis von damals wäre doch eine schöne Zukunftsvision.

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Realismus à la Che

Das Unmögliche versucht: Im März 1995 war die junge Welt am Ende. Mitarbeiter und Leser machten ein Startup der besonderen Art daraus – und gründeten eine Genossenschaft

von Klaus Fischer

Klaus Fischer (Jahrgang 1951) ist seit 1994 Redakteur der jungen Welt und Gründungsmitglied der jW-Genossenschaft.

Der März 1995 war ein besonderer Pleitemonat: Neben zahlreichen in- und ausländischen Firmen, wie z.B. dem US-Supercomputerhersteller Cray, meldete die azzurro Medien GmbH am 5. April Insolvenz an. Letzteres mochte in der weiten und nahen Welt kaum registriert worden sein, wäre da nicht ein besonderer Umstand gewesen: In jenem Verlagskonstrukt wurde die junge Welt publiziert, und für viele war klar: Hier wurde ein weiteres Stück DDR zu den Akten gelegt. Und tschüs.

Keine Nostalgie

Allerdings war die jW inzwischen ein wenig mehr, als ein mühsam über die »Wende« gerettetes Stück Geschichte jener aufgegebenen Republik. Eine hörbare Gegenstimme gegen nationalistisches Einheitsgesülze zum Beispiel, gegen plötzlich wieder »führbare« Kriege und eine kapitalistische Globalisierung, die alles und jeden der Verwertungsdoktrin großer Shareholder unterwerfen will. Die junge Welt schrieb als einzige, daß Rostock und Hoyerswerda keine Ost-Phänomene waren. Dort war zu lesen, daß der angeblich so neue Faschismus auf dem Mist einer nie erfolgten Entnazifizierung in Westdeutschland wurzelte. Diese Stimme sollte auf solch profane Weise verstummen?

Nein, sagten ein paar Mitarbeiter der Zeitung, und begannen fieberhaft nach Rettungsmöglichkeiten zu suchen. Viele Leserinnen und Leser unterstützten diesen Versuch, einen neuen Anfang zu wagen. Hunderte von Leserbriefen beschworen die Redaktion, nicht aufzugeben. Doch guter Wille und sozialistische Ideale reichen nicht, um eine Zeitung auf den Markt zu bringen. Dazu braucht es Geld. Eine Menge sogar. Und eine neue Firma, die die Zeitung verlegen konnte.

Irgendwie klappte es, und das jW-Projekt wurde zum Startup der besonderen Art: Zwei Redakteure gründeten eine GmbH. Beschäftigte erklärten sich bereit, eine gewisse Zeit unentgeltlich zu arbeiten. Leserinnen und Leser gewährten der Zeitung einen Vertrauensvorschuß, indem sie ihre Abonnements nicht kündigten bzw. neue schalteten. Hatten doch die alten Besitzer der jW noch Kasse gemacht, Monats, Quartals-, Halbjahres- und Jahresabonnements eingezogen. Die neue Firma – u.a. wegen des nahenden 50. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus Verlag 8. Mai genannt – übernahm die Lieferverpflichtungen aus den kassierten Abos. Zulieferer und Kooperationspartner wie Druckerei, Satz, Vertriebsfirmen oder Nachrichtenagenturen ließen erkennen, daß sie mitspielen würden. Bedingung wie Hoffnung zumeist: eine Mindestgarantie auf Weitererscheinen der Zeitung. Manche davon wollten allerdings Cash sehen. So brachten beispielsweise die Mitarbeiter das Geld für die erste Druckrechnung selbst auf – eine fünfstellige Summe.

Kein Osterwunder

Seit 13. April 95 gab es wieder eine junge Welt. Manche nannten es ein rotes Osterwunder, andere mutmaßten dunkle Machenschaften und Geldgeber aus der kommunistischen Weltverschwörung. Doch die erste »Mutausgabe« der jW nach dem Konkurs ließ sich mehr mit den Worten Ernesto Guevaras erklären: »Seien wir realistisch. Versuchen wir das Unmögliche.« Real war sie, die wiedererstandene junge Welt. Dünner allerdings als die Alte, ein Provisorium, das kaum über den Monat hinaus geplant werden konnte. Allen Beteiligten war klar: Nur aus den monatlichen Aboeinnahmen, aus Spenden und unentgeltlichen Leistungen der Mitarbeiter ließ sich kein zukunftsfähiges Projekt gestalten. Eine Sicherung der Finanzierung über Banken schloß sich von vornherein aus. Allein eine Bank zur Geschäftsabwicklung des neuen Verlages zu finden war schon mühsam genug. An Kreditite von den Geldhäusern für ein linkes Zeitungsprojekt war überhaupt nicht zu denken. Also verfielen die Beteiligten auf die Genossenschaftsidee.

Muttergesellschaft

Das mochte der angemessene Weg sein, »Kapital« für ein Projekt zu sammeln, das sich im rauhen kapitalistischen Marktgeschehen behaupten mußte. Auf diese Weise konnten Sympathisanten und Leser in das Projekt eingebunden und gleichzeitig die redaktionelle Unabhängigkeit der Zeitung erhalten werden. Am 7. Oktober 1995 wurde in Berlin-Treptow die Linke Presse-, Verlagsförderungs- und Beteiligungsgenossenschaft gegründet. Aus dem offiziellen Namen wurde im Tagesgebrauch bald schlicht »LPG junge Welt«. Doch allein das amtliche Namensmonster deutete an, welch bürokratische Hindernisse notwendig waren, eine funktionierende Kapitalgesellschaft dieser Art auf die Beine zu stellen. Zwei Jahre sollten vom Gründungsakt bis zur Eintragung ins amtliche Genossenschaftsregister Berlins vergehen. Knapp drei Jahre, eine existenzbedrohende Krise und zahlreiche »unlösbare« Probleme später war es so weit. Aus der Kopfgeburt vom Oktober ’95 wurde Realität, als im Februar 1998 die LPG junge Welt Mehrheitseigner der Verlags-GmbH wurde.

Diese gewollte, freundliche Übernahme stabilisierte das Gesamtprojekt Tageszeitung junge Welt. Die Genossenschaft wandelte sich vom arbeitsaufwendigen Anhängsel zur tatsächlichen Muttergesellschaft für die junge Welt. Jedes neugewonnene Mitglied trug und trägt mit seinen eingezahlten Genossenschaftsanteilen – ein Anteil zu 1000 DM bzw. später zu 500 Euro – zur finanziellen Absicherung der Unternehmung bei. Den dabei engagierten Leserinnen und Lesern war stets klar: Wir sind Kapitalgeber für ein linkes Medienprojekt. Renditen im materiellen Sinne sind kaum zu erwarten. Die Abonnenten und Genossenschafter der Zeitung erwarten ihre Dividende als tägliche, aktuelle und bissige jW.

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Weitere Beiträge aus der Geburtstagsbeilage der Jungen Welt, lesen Sie hier.

Quelle für alle Beiträge: Sonderbeilage der Jungen Welt am 13. Januar 2007