Hamburg: Bezieher von ALG II werden unter Druck gesetzt
Als »Hartz IV« in Kraft trat, geschah dies mit dem Versprechen, mehr Geld und Personal für Vermittlungsaktivitäten aufzuwenden. »Eingliederungsvereinbarungen« zwischen »erwerbsfähigen Hilfebedürftigen« und Bundesagentur für Arbeit sollten deshalb »paßgenau« festlegen, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung erhält. Nachzulesen ist dies heute in Paragraph 15 des Sozialgesetzbuches II (SGB II). Doch es fehlt an Personal. So wurden Tausenden auch ohne individuelle Vereinbarungen zum Beispiel Ein-Euro-Jobs zugewiesen.
Zahlreiche Sozialgerichte haben inzwischen die Rechtswidrigkeit dieses Verfahrens festgestellt. Im »Job Center« für den Hamburger Stadtteil Bramfeld haben Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft SGB II (ARGE) für das Problem nun eine praktische Lösung ohne zusätzlichen Personalaufwand gefunden. Eingliederungsvereinbarungen werden dort inzwischen im Massenverfahren erstellt, wie ARGE-Hamburg-Sprecher René Tollkühn gegenüber jW bestätigen mußte.
Doch auch dieses Verfahren ist nach Überzeugung von Ronald Wilken, Vorsitzender des Ortsverbandes Kirchdorf/Wilhelmsburg des Sozialverbandes Deutschland (SOVD), rechtswidrig. Es könne nicht sein, daß Erwerbslose zu Informationsveranstaltungen eingeladen werden, bei denen sie am Ende vorgefertigte Eingliederungsvereinbarungen unterschreiben müssen. Genau dies war einem von Wilkens Klienten wiederfahren.
Bei der in Rede stehenden Veranstaltung gab es zunächst Informationen zu den »Zumutbarkeitsregelungen«, zu Fördermöglichkeiten, »Bewerbungsverpflichtungen« und Trainingsmaßnahmen, die die ARGE vorhält. Immer mit dem Hinweis verbunden, daß einem Arbeitslosengeld-II-Bezieher Leistungskürzungen drohen, sollte er Angebote ausschlagen. Anschließend verteilten die Fallmanager Eingliederungsvereinbarungen, die abgesehen von den Personaldaten für alle Teilnehmer identisch waren. Nach kurzer Lesepause sollten die Papiere unterschrieben zurückgegeben werden. Mit ihrer Unterschrift verpflichteten sich die Betroffenen, an vorgeschlagenen Maßnahmen teilzunehmen und mindestens 15 Bewerbungen pro Monat anzufertigen. Wilkens Klient verweigerte die Unterschrift und verwies auf gesetzliche Bestimmungen. »Jetzt vertrete ich das Gesetz«, wurde er daraufhin barsch von einer Fallmanagerin angefahren, woraufhin der Arbeitslose dann doch, wenn auch unter Vorbehalt, unterschrieb.
ARGE-Sprecher Tollkühn versuchte gegenüber jW, diesen Fall von Einschüchterung herunterzuspielen: Die »Kunden« seien dankbar für solche Veranstaltungen, nach denen sie dann »selbstverständlich« zu Einzelgesprächen eingeladen würden. Doch auf eine Einladung wartet der Betroffene, der beim Sozialverband Rat suchte, trotz mehrfacher eigener Bemühungen seit Monaten vergeblich. Eine »Nichterfüllung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten« hätte indes sofort nach Unterschrift »leistungsrechtliche Folgen wie die Absenkung des ALG II« für ihn gehabt. So steht es jedenfalls in den Fachinformationen der ARGE für ihre Fallmanager.
http://www.jungewelt.de/2006/08-29/004.php
http://www.initiativenzeitung.org/nachricht/meldung/massenabfertigung-und-einschuechterung/
Immer schön fragen, was denn passiert, wenn man die Eingliederungsvereinbarung nicht sofort unterschreibt.
Sollte dann die Antwort kommen, dass die Leistungen gekürzt werden , ist der Antwortende dran. Das ist eine strafbare Nötigung.
Unterschreibt der Betroffene dann nicht, bleibt es immer noch eine strafbare versuchte Nötigung.
Sehr von Vorteil wäre es allerdings, wenn der Betroffene dafür einen Zeugen hat. Also niemals allein einem ARGE-Mitarbeiter gegenüber treten. Das ist sowieso Regel Nr. 1.
Man sollte dem ARGE-Mitarbeiter seine strafbare Handlung vorhalten. In einigen Fällen werden sie nachdenklich und machen einen fast sichtbaren Salto rückwärts.
Niemand ist verpflichtet, die Eingliederungsvereinbarung sofort zu unterschreiben. Man hat immer einige Tage Bedenkzeit, um die Vereinbarung in aller Ruhe zu überprüfen bzw. von anderen überprüfen zu lassen.
Sind die Masseneingliederungsvereinbarung auf Grund des Artikels in Hamburg eingestellt worden?
Laut Auskunft des Alg II Empfänger, der die Massenein-gliederungsvereinbarung unter Vorbehalt unterschrieben hat, fand bisher keine weitere M-EV in Bramfeld statt.
Alles weitere bleibt abzuwarten.
Lieber Ronald,
ich werde demnächst bei der ARGE in Hamburg offiziell nachfragen und darüber dann erneut in der Zeitung informieren.
Freundliche Grüße!
Andreas Grünwald