Erzwingungsstreik in Hamburgs Krankenhäusern wird immer wahrscheinlicher

In Hamburg bereitet sich die Gewerkschaft ver.di auf den »massivsten Arbeitskampf der letzten Jahrzehnte« vor, wie ihr Landesbezirksvorsitzender Wolfgang Rose erklärt. Sollten sich die Krankenhausbetreiber der Übernahme des »Tarifvertrages öffentlicher Dienst« (TVöD) weiterhin verweigern, sei ein »großflächiger Erzwingungsstreik« im ersten Quartal 2006 unumgänglich, so Rose gegenüber jW.

Wie berichtet wollen die Krankenhausbetreiber statt des TVöD einen Branchentarifvertrag durchsetzen. Dieser soll Arbeitszeitsverlängerungen ohne Lohnausgleich, die Streichung von Schicht-, Weihnachts- und Urlaubszulagen sowie Lohnkürzungen von bis zu 20 Prozent beinhalten.

Angesichts eines schwachen gewerkschaftlichen Organisationsgrades von nur 30 Prozent sowie der Angst vieler Mitarbeiter vor Arbeitsplatzverlust sah es längere Zeit tatsächlich so aus, als könnten die Dienstherren diese Forderung relativ mühelos durchsetzen. Doch mit immer neuen Provokationen sorgten sie dafür, daß die Zeichen inzwischen eher auf Sturm stehen. So wurden Ende November bereits ausgezahlte Einmalzahlungen einfach wieder vom Gehalt abgezogen, ohne Verhandlungen abzuwarten. Und dann kam die Nachricht, daß für Teile des Personals selbst das Weihnachtsgeld nicht mehr ausgezahlt wird. Spätestens damit war der Bogen überspannt, und die Warnstreiks Anfang Dezember haben gezeigt, daß auch das nichtärztliche Personal aus den Bereichen Pflege, Technik und Reinigung zum Streik bereit ist.

Inzwischen geben sich auch die Funktionärsetagen der Gewerkschaft in der Hansestadt kämpferisch. Monatelang hatte die ver.di-Führungsriege trotz aller Kritik der Basis Einzelheiten des neuen TVöD und diverse Zusatzverträge mit den Dienstherren verhandelt. Einige Kröten, wie beispielsweise eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten, hatte ver.di bereits geschluckt.

Doch den Krankenhausbetreibern war dies noch nicht genug. Kurz vor Unterzeichnung des neuen Tarifvertrages, der ab 1. Oktober mit einer Laufzeit von 35 Monaten gelten sollte, traten sie aus der Tarifgemeinschaft der »Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg« (AVH) aus. Sie gründeten die neue »Krankenhaus-Arbeitgebervereinigung Hamburg« (KAH) und forderten gänzlich neue Verhandlungen. So fühlt sich nun auch manch Gewerkschaftsfunktionär ausgetrickst.

Für zusätzlichen Ärger sorgt, daß der ebenfalls aus der Tarifgemeinschaft geflohene Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Frank Ulrich Montgomery, inzwischen behauptet, daß nur die Ärzte beim TVöD Lohnverluste hinnehmen müßten, weshalb Arbeitsplätze des übrigen Personals auch zu Lasten der Ärzte gesichert worden seien. So will Montgomery seine Forderung von 30 Prozent mehr Gehalt nur für die Ärzte begründen.

Doch bevor auch das pflegerische, technische und Reinigungspersonal in den Streik tritt, muß die Gewerkschaft tarifrechtliche Voraussetzungen dafür schaffen. Nach deutschem Recht können Urabstimmungen erst eingeleitet werden, wenn Verhandlungen gescheitert sind. Deshalb hat ver.di dem neuen Unternehmerverband KAH nun gleich fünf Verhandlungstermine im Dezember vorgeschlagen. Doch von der KAH kam bisher keine Reaktion; sie sah sich nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Verhandlungstermin zu bestätigen. Alles laufe deswegen auf einen Streik hinaus, schätzt Rose die Situation ein.

http://www.jungewelt.de/2005/12-12/014.php