Hamburg: Antifaschisten rufen zur Kundgebung vor Alterswohnsitz des Kriegsverbrechers Gerhard Sommer auf

In Hamburg ruft ein antifaschistisches Bündnis für diesen Samstag zu einer Kundgebung und Demonstration unter dem Motto »NS-Mörder sind unter uns!« im Stadtteil Volksdorf auf. Dort lebt der ehemalige SS-Offizier Gerhard Sommer, der im Juni 2005 von einem italienischen Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haft wegen 560fachen Mordes verurteilt worden war. Das Massaker in dem italienischen Bergdorf gilt als eines der schwersten deutschen Kriegsverbrechen. Doch weil Bundesbürger nach deutschem Recht nicht ausgeliefert werden müssen und die deutsche Staatsanwaltschaft eine eigene Anklageerhebung systematisch verschleppt hat, lebt Sommer unbehelligt in einer noblen Altenresidenz.

Das Verbrechen wurde vor 61 Jahren am 12. August 1944 verübt. Angeführt vom Kompanieführer Sommer stürmten Soldaten der SS-Division »Reichsführer SS« das Bergdorf Saint’ Anna. Auf der Suche nach Partisanen stießen sie auf 560 Kinder, Frauen und viele ältere Leute, die sie innerhalb von vier Stunden erschlugen, erschossen oder verbrannten. Das gesamte Dorf wurde ausgelöscht.

Daß dieses Kriegsverbrechen erst heute verfolgt wird, geht auf die Öffnung des sogenannten »Schrankes der Schande« zurück. In den fünfziger Jahren wurden 695 von den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über deutsche Kriegsverbrechen in Italien mit Rücksicht auf den westdeutschen Bündnispartner auf unbestimmte Zeit in einen Aktenschrank geschlossen. Erst 1994 entdeckten Justizbeamte die Aktenbündel, mit deren Auswertung es möglich wurde, diverse Verfahren gegen noch lebende Täter einzuleiten.

Als das Verfahren gegen Sommer und seine neun Mitangeklagten im April 2004 begann, lebte der heute noch rüstige 84jährige Pensionär in einem Einfamilienhaus, das er inzwischen zugunsten einer sehr noblen Altenresidenz im Hamburger Stadtteil Volksdorf aufgegeben hat. Für mehr als 1 700 Euro im Monat verbringt er dort seine Tage in idyllischem Grün und mit ausgedehnten Spaziergängen. Reue plagt ihn dabei nicht. Er habe ein »absolut reines Gewissen«, sagte Sommer kurz nach seiner Entdeckung einem Fernsehmagazin der ARD.

Für Hamburger Antifaschisten ist die Nichtverfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern Ausdruck einer unzureichenden Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Die Kundgebung in Hamburg ist Teil einer Kampagne, mit der soviel Druck entwickelt werden soll, daß auch in Deutschland eine Anklageerhebung gegen Sommer erfolgt. Sonst, so Wolfram Siede, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA), würde »Überlebenden und ihren Angehörigen erneut und endgültig öffentliche Anteilnahme und juristische Genugtuung versagt« bleiben. Am Samstag will das Bündnis Tafeln mit den Namen der Opfer an den Zaun von Sommers Altenresidenz niederlegen. Aufgerufen haben dazu die VVN, der Arbeitskreis Distimo, das Auschwitz-Komitee, die Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände, der Freidenkerverband, die Willi-Bredel-Gesellschaft, DKP, Regenbogen sowie autonome Antifa-Gruppen.

* »NS-Mörder sind unter uns!« Beginn der Demo am Samstag, 26. November, 11.30 Uhr, Gedenkstein Weiße Rose (U-Bahn Volksdorf)

http://www.jungewelt.de/2005/11-25/014.php