Rechtliche Situation, Gegenwehr und Alternativvorstellungen – aus einem Vortrag im Erwerbslosenrat Hamburg

600 000 bis 1 Million Ein-Euro-Jobs will die Regierung in 2005 einführen. 10 000 sind es in Hamburg, 12 000 in Dortmund, 50 000 in Berlin. ALG-II-Bezieher sind verpflichtet diese rechtlosen Arbeitsgelegenheiten (ohne Vertrag, Kündigungsschutz oder Entgeltfortzahlung) anzunehmen. Die Mehraufwandsentschädigung beträgt einen, maximal zwei Euro pro Stunde. Viele der Jobs entstehen in Wohlfahrtsverbänden, Krankenhäusern, Schulen, Kitas und im öffentlichen Dienst. Mancherorts gehen klassische Beschäftigungsträger leer aus, anderenorts bilden sie Schnittstellen.

Mit den Ein-Euro-Jobs wird das klassische Mittel zur „Überprüfung der Arbeitswilligkeit“, wie es im BSHG schon vorgesehen war, auf alle Arbeitslosen übertragen. Wer sich weigert, riskiert Leistungskürzungen. Ein-Euro-Jobs flexibilisieren den Arbeitsmarkt. Als Billig-Jobber drücken sie die Löhne. Kostenneutrale Arbeit ist im öffentlichen Sektor gefragt, um Finanzierungsverluste zu kompensieren. So sollen Kindergärten, Krankenhäuser, Sozialstationen und soziale Dienste billiger werden.

Außer dem Recht auf Urlaub und Arbeitsschutz haben Ein-Euro-Jobber keine Rechte. Das beginnt schon bei der Zuweisung durch das Arbeitsamt. Fehlende Eingliederungsvereinbarungen können durch Verwaltungsakt ersetzt werden. Auf Möglichkeiten der individuellen Gegenwehr haben Tacheles e. V. und andere Initiativen verwiesen. Dort gibt es gute Muster für die Begründung individuellen Widerspruchs. Doch eine aufschiebende Wirkung hat das nicht. Deshalb sollten Widersprüche mit der Gewerkschaft oder dem Sozialverband besprochen sein.

Möglichkeiten von Betriebs- und Personalräten

Kollektivere Gegenwehr ergibt sich aus den Mitwirkungsmöglichkeiten der Betriebs- und Personalräte. Nach dem Sozialgesetzbuch ( SGB ) II müssen Kriterien eingehalten werden: öffentliches Interesse, Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit. So soll verhindert werden, dass reguläre Arbeitsplätze verdrängt werden und Dumpingpreise bei Gütern und Dienstleistungen greifen. Arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit soll die Vermittlungschance verbessern. Betriebs- und Personalräte haben bei der Einstellung von Ein-Euro-Jobbern ein Mitbestimmungsrecht, denn die betriebliche Integration gilt arbeitsrechtlich als Einstellung, auch unabhängig vom Arbeitnehmerstatus. Deshalb können und sollen sie prüfen, ob die Kriterien erfüllt sind. Die Prüfung kann an Hand der Betroffenheit der eigenen Belegschaft erfolgen. Ein Informationsrecht besteht schon bei der Planung. Das gilt auch, wenn Jobber über private Träger kommen. Auf die Weisungsgebundenheit kommt es an. Wenn die SGB-II-Kriterien nicht erfüllt sind oder negative Auswirkungen (Arbeitsplatzgefährdung) zu befürchten sind, sollten Betriebsräte der Einstellung widersprechen.

Sind Ein-Euro-Jobber erst mal integriert, stellt sich die Frage, wer für ihre Interessenvertretung zuständig ist? Aus der Weisungsgebundenheit ergibt sich ein arbeitnehmerähnlicher Status. Zwar haben Ein-Euro-Jobber bei Betriebsratswahlen keine Rechte, auch bei der Größe des Betriebsrates und der Anzahl von Vollfreistellungen werden sie nicht mitgezählt, aber wenn ein Betriebsrat Mehrarbeit hat, ist eine aus dem Anlass bezogene Freistellung möglich.

Die Prüfung der SGB-II-Kriterien ist auch auf der kommunalen Ebene ein wichtiger Hebel, um Ein-Euro-Jobs zu widersprechen. Doch gleichzeitig benennt das SGB II eine Menge von Ausnahmen und der Gesetzgeber kündigt an, die Kriterien zu liberalisieren. Jede Einsparung bei öffentlichen Dienstleistungen schafft zusätzlichen Interpretationsraum. Die Grenzen zwischen zusätzlicher und regulärer Arbeit werden schwammig. Arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit ist durch die Vergabe schon auf den Kopf gestellt. Maximal 500 Euro monatlich Fallkostenpauschale zahlt die Agentur für Arbeit pro Jobber. Nach Abzug der Mehraufwandsentschädigung, verbleiben 300 Euro. Deshalb gab es in Hamburg für 10 000 Stellen 20 000 Angebote. Den Zuschlag erhalten die Billigsten. Qualifizierung gerät unter die Räder eines gnadenlosen Anbieterwettbewerbs.

Niedriglöhne und Deregulierung kennzeichnen zunehmend auch den ersten Arbeitsmarkt: Leiharbeit, 8 Millionen Mini-Jobs, zwei Millionen Vollzeitbeschäftigter im unteren Armutsbereich. Mit Ein-Euro-Jobs werden Menschen diszipliniert Arbeit anzunehmen: egal unter welchen Bedingungen. Wo jede Arbeit zumutbar und erzwungen werden kann, wird die Gelegenheit zu arbeiten selbst zum Lohn. Verteilungsgerechtigkeit und Einkommensstrukturen sollten unsererseits ins Zentrum der Debatte rücken, denn staatliche Aktivierung exerziert nur vor, was Standard werden soll. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion um einen Mindestlohn ein wichtiges Arbeitslose und Beschäftigte verbindendes Element. Da sich die Degradation größerer Teile der arbeitenden Bevölkerung in der öffentlichen Daseinsvorsorge vollzieht, muss die einkommenspolitische mit einer Qualitätsdebatte kombiniert sein.

Der dritte Arbeitsmarkt erfordert politische Antworten

Gegenmacht erfordert strategische Allianzen. Sonst steht demnächst auch bei Aldi oder im Hafen der Ein-Euro-Jobber. Um strategische Allianzen zu bilden, müssen zunächst neue Formen der politischen Interessenvertretung für Ein-Euro-Jobber gefunden werden. Die sichtbare Not, die sich darin ausdrückt, dass sich viele auch freiwillig auf solche Jobs bewerben, ist dafür ein weiterer Grund. In Hamburg sollte sich der Erwerbslosenrat, unterstützt durch die Gewerkschaft, für zuständig erklären. Das grundsätzliche „Nein“ zu den Ein-Euro-Jobs müssen wir verbinden mit dem Kampf um jeden Zentimeter der politischen und ökonomischen Gestaltung. Das fängt mit dem Ticket für den Nahverkehr an, reicht schließlich bis zu der Forderung rechtlose durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen. Politische Interessenvertretung bildet sich hier nicht nur durch Selbstorganisation, sondern bedarf nachhaltiger Impulse von außen. Zugleich entsteht damit ein bündnispolitischer Rahmen, bei dem wir auch fragen: Was ist mit der Qualität öffentlicher Dienstleistung? Bündnispartner sind auch die Kernbelegschaften und die Gewerkschaften, die Billig-Konkurrenz fürchten. Eine Forderung könnte darin bestehen, die Differenz zwischen ALG II, Mehraufwandsentschädigung und Leistungen für die Unterkunft einerseits und ortsüblichen Löhnen andererseits durch Zuschüsse der Stadt, des Landes, der Träger auszugleichen. Die Debatte um die Freiwilligkeit gewinnt an Plausibilität, wenn wir fragen, ob ernsthaft Unfreiwillige Pflegebedürftige pflegen sollen?

Nähere Informationen zu den Mitbestimmungsmöglichkeiten für Betriebs- und Personalräte, finden Sie im Internet unter: www.verdi.de/recht_mitbestimmung. Musterexemplare für einen Widerspruch finden Sie bei Tacheles e. V. unter www.tacheles-sozialhilfe.de. Ebenfalls auf den Seiten des Vereins zur Förderung der Sozialhilfeberatung unter www.sozialhilfe-online.de.

http://www.dkp-online.de/uz/3705/s0402.htm