Initiative will in Hamburg per Bürgerbegehren die Verfassung ändern
Mit einer Volksinitiative »Hamburg stärkt den Volksentscheid« geht das Ringen um die Zukunft der Volksgesetzgebung in die nächste Runde.
Ein Bündnis aus Initiativen, Vereinen, Gewerkschaften und Parteien will die Hamburger Landesverfassung ändern, um die Bindungswirkung von Volksentscheiden für die Bürgerschaft zu erhöhen. Schon im Dezember wurde die Volksinitiative zur »Rettung des Volksentscheids« eingereicht. Sie richtet sich gegen ein Gesetz, mit dem der CDU-Senat die Hürden für Volksentscheide erhöhen möchte. Die Initiativen verfolgen unterschiedliche Zwecke, aber dasselbe Ziel, begründet Angelika Gardiner vom Landesvorstand des Vereins »Mehr Demokratie« die komplizierte Situation.
Nun müssen je 10000 Unterschriften gesammelt werden, damit Volksbegehren stattfinden können, bei denen je 60000 Wahlbürger zustimmen müssen. Erst dann können Volksentscheide stattfinden. Dabei müssen der Verfassungsänderung Zwei-Drittel der Abstimmenden und mindestens 50 Prozent aller Wahlbürger zustimmen.
Immer wieder konnten Volksbegehren und -entscheidungen Vorhaben des Senats in Zweifel ziehen. Im Februar 2004 waren 77 Prozent der Wähler gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser. Zuvor konnte eine Wahlrechtsreform durchgesetzt werden, die den Bürgereinfluss erhöht. Volksbegehren gegen die Privatisierung der Berufsschulen und der Wasserwerke im September gab der Senat nach, um nicht erneut Volksentscheide zu verlieren.
Jetzt will die CDU Volksabstimmungs- und Wahltermine entkoppeln. Unterschriften für Volksbegehren sollen nur noch in Ämtern, nicht bei Sammlungen geleistet werden dürfen. So aber würde das Zustimmungsmindestquorum von 20 Prozent aller Wahlberechtigten (50 Prozent bei Verfassungsänderungen) häufig nicht mehr erreicht werden, befürchtet Gardiner. Viele Initiativen würden scheitern. Das will die im Dezember eingereichte Volksinitiative verhindern.
Mit der zweiten Initiative antwortet das Bündnis auf ein Urteil des Hamburger Verfassungsgerichts, das der Bürgerschaft zwischenzeitlich zusprach, Volksentscheide jederzeit wieder aufheben zu können. Verfassungsgerichtspräsident Wilhelm Rapp begründete: Volksentscheide haben keine höhere Verbindlichkeit als Parlamentsbeschlüsse.
Das macht Volksentscheide, die einen langen Vorlauf benötigen, unsinnig, sagte Hamburgs IG-Metall-Chef Frank Teichmüller. Auch er will die Verfassungsänderung, damit Aufhebungsentscheidungen des Parlaments erneut dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden. »Das Volk soll das letzte Wort erhalten«, sagte der grüne Abgeordnete Farid Müller und SPD-Chef Mathias Petersen ergänzt: Volksentscheidungen sind zu respektieren.
Das Bündnis muss sich zu den erschwerten Bedingungen durchsetzen, die die CDU mit absoluter Parlamentsmehrheit beschließen wird. Nur mit einer großen Volksmobilisierung könnte die Verfassungsänderung erreicht werden. Gegenüber ND verwies Angelika Gardiner deshalb auf die Breite des Bündnisses: Gewerkschaften, SPD, Grüne, Mieterbund, Naturschutzverbände, Stadtteilinitiativen und die Patriotische Gesellschaft gehören dazu. Selbst von der FDP und der Handwerkskammer erwartet die 63-jährige Journalistin Unterstützung.
Gardiner kommt ursprünglich aus Bayern, wo es seit 1946 Volksentscheidungen gibt. Als sie nach Hamburg kam, wäre sie erschüttert gewesen, wie gering die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger in der als weltoffen, demokratisch und liberal bezeichneten Stadt waren. Bei der Gründung von »Mehr Demokratie e.V.« war Gardiner 1997 deshalb sofort dabei. Jetzt hat sie das breiteste Bündnis geschaffen, das es in der Hansestadt je gab. Ist es erfolgreich, wäre das für die CDU ein Super-GAU.
Verwendung: Neues Deutschland
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