14. Januar 2005

Die Gewerkschaftslinke muss die Internationalisierung der Gewerkschaften vorantreiben

Dr. Werner Sauerborn (55) ist Gewerkschaftssekretär beim ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg. Als Autor zu Fragen gewerkschaftlicher Politik ist er am Wochenende zum Ratschlag der Gewerkschaftslinken in Stuttgart eingeladen. Andreas Grünwald sprach für ND mit ihm.

ND: Am Wochenende trifft sich die Gewerkschaftslinke. Welche Bilanz ziehen Sie für 2004?

Sauerborn: Das Jahr fing kämpferisch an. Es gab wichtige Höhepunkte: die Massendemos am 3. April, die Streiks bei Opel Bochum und DaimlerChrysler Mettingen. Das Ende des Jahres war dagegen eher deprimierend. Wir müssen überlegen, wie wir Kämpfe besser koordinieren und im Einzelfall besseren Widerstand leisten können. Im Kern hat die Defensivsituation der Gewerkschaften aber strukturelle Gründe. Wir schwanken ständig zwischen Widerstand, Proklamation und Einknicken. Hingegen ist die neoliberale Gegenfront sehr geschlossen und verfügt mit der weltweiten Lohnkostenkonkurrenz und dem Steuersenkungswettbewerb über ein neues Erpressungspotenzial, auf das wir noch keine Antwort gefunden haben.

Auf dem Perspektivenkongress in Berlin wurde das Bündnis mit den sozialen Bewegungen proklamiert. Ist das ein Ausweg?

Das ist sehr wichtig. Wirksame Gegenstrategien erfordern eine Vernetzung aller, die von dieser Politik betroffen sind. Aber auch im Bündnis kommt es darauf an, dass die Gewerkschaften in der Lage sind, ihr eigentliches Potenzial einzubringen: Gegenmacht durch Arbeitskämpfe auszuüben. Bündnisse sind wichtig, aber sie lösen nicht unsere Probleme. Unsere Schwäche hat mit globaler Erpressbarkeit zu tun. Um unsere Krise zu lösen, müssen wir sie zuerst deutlicher registrieren: Das ist kein Schnupfen, das ist eine lebensbedrohliche Erkrankung! Die ökonomische Globalisierung schränkt die Widerstandsfähigkeit der Gewerkschaften dramatisch ein. Weltweiter Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten können wir nur begegnen, wenn sich die Gewerkschaften längerfristig zu Global Unions entwickeln. Beim Opel-Konflikt wurde das deutlich. Dem Standort-Erpressungsversuch hätte die Gewerkschaft eine komplementäre Branchensolidarisierung entgegensetzen müssen. Da stehen sich polnische, schwedische, belgische und deutsche Standorte gegenüber. Nur mit einer grenzüberschreitenden Gegenwehr wäre die Auseinandersetzung zu gewinnen gewesen.

Ist das mit den deutschen Gewerkschaften überhaupt zu machen?

Als Gewerkschaften haben wir zwanzig Jahre Globalisierung verschlafen. Entweder haben wir diese geleugnet, als großen Bluff der Arbeitgeber abgetan, oder mit Unterwerfung reagiert. Zu den Global Unions gibt es langfristig keine Alternative. Nur wenn wir uns auf diesen Weg machen, die ersten Schritte bestimmen, werden wir das Blatt wieder wenden. Ein gutes Beispiel ist die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF). Hier zeigt sich: die Zukunft hat längst begonnen. Die ITF/Maritime Sektion ist ja im Grunde eine globale Seeleutegewerkschaft. Die nationale Tarifpolitik für Seeleute (ötv/ ver.di) war längst anachronistisch geworden. Die ITF hat einen Welttarifvertrag für Seeleute ausgehandelt. Das ist eine aufstrebende Gewerkschaft, mit Mitgliederzuwächsen und zunehmender Handlungsfähigkeit. Das wird aber kaum diskutiert und wahrgenommen.

Was sehen Sie als Aufgaben der Gewerkschaftslinken?

Die Krise der Gewerkschaften ist auch die der Gewerkschaftslinken. Aber die Gewerkschaftslinke ist geradezu dazu berufen, Antworten auf Globalisierungsdruck und Standorterpressung einzufordern und zu entwickeln. Die Gewerkschaften sind das wichtigste, was Arbeitnehmer haben. An ihrer Handlungsfähigkeit hängt die soziale Lage nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Rentner. Als Arbeitnehmer sind wir nicht Kunden der Gewerkschaft, es sind unsere Organisationen und deshalb müssen wir sie uns wieder so herstellen, wie wir sie brauchen.

»(…) Die Apparate sind nicht für sich selbst da. Strategische Antworten müssen gesucht und gefunden werden, auch und gerade durch die Gewerkschaftslinke. Man muss das ja auch noch differenzieren. Im Grunde muss man sagen, dass auch in den Apparaten eigentlich die linken Positionen in den letzten Jahren ganz deutlich an Einfluss gewonnen haben. Viele Linke sind da auch in Schlüsselfunktionen, die aber auch ziemlich ratlos mit dem umgehen, was gerade passiert. Diese Konstellation: Wir sind die Basis und die da oben in den Institutionen sind die rechten Bürokraten, die jede Mobilisierung abwürgen, stimmt so nicht (…)«

Verwendung: Neues Deutschland
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