Parlament ist an Willen des Volkes nicht gebunden
Volksgesetzgebung in Hamburg per Gericht de facto eliminiert

Das Hamburger Verfassungsgericht hat die Beschwerde der Gewerkschaften gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser zurückgewiesen. Nebenbei wurde die gesamte Volksgesetzgebung in Frage gestellt.

77 Prozent der Hamburger Wahlbürger sprachen sich am 29. Februar gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) aus. »Der Senat wird aufgefordert, sicherzustellen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg Mehrheitseigentümer des Landesbetriebs Krankenhäuser bleibt«, so der Abstimmungstext anlässlich der Bürgerschaftswahlen. Die Gewerkschaften hatten dann eine Klage beim Verfassungsgericht eingereicht, um Bürgermeister Ole von Beust (CDU) daran zu hindern, den LBK – trotz Volksentscheid – an den privaten Klinikbetreiber Asklepios zu verkaufen.

Beust hatte argumentiert, dass der Volksentscheid rechtlich nicht bindend sei, da lediglich ein Ersuchen formuliert worden sei. Das ist nun gerichtlich bestätigt. Auch für Wilhelm Rapp, Präsident des Hamburger Verfassungsgerichts, steht fest, dass eine rechtliche Bindung von Bürgerschaft und Senat nicht gegeben sei, wie er am Mittwoch bei der Urteilsverkündung betonte.

So kann die Bürgerschaft nun den Verkauf des LBK zum 1.Januar 2005 beschließen. Tarifabsenkungen, Kündigungen und der Abbau sozialer Standards für die Mitarbeiter sind damit verbunden. Noch schlimmer: Zukünftig kann das Parlament auch jeden anderen Volksentscheid sofort wieder aufheben. In seiner Urteilsbegründung betonte Rapp die Gleichrangigkeit von Volksgesetzgebung und parlamentarischer Gesetzgebung. Deshalb könne die Bürgerschaft jederzeit ein Gesetz mit anderem Inhalt beschließen. Einem Volksentscheid käme keine höhere Verbindlichkeit als einem Bürgerschaftsbeschluss zu. Das Parlament müsse nur gründlich abwägen, dürfe sich aus Gründen der Organtreue nicht leichtfertig über einen Volksentscheid hinwegsetzen. Eine gründliche Abwägung habe es im Fall des LBK aber durch eine Vielzahl von Erörterungen und Abstimmungen in der Bürgerschaft und in den Ausschüssen gegeben.

Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) freute sich sichtlich: Der Beschluss des Gerichts setze klare Spielregeln. Röder hat Grund zur Freude, denn immer wieder gelang es Hamburgs Gewerkschaften, Privatisierungsvorhaben des CDU-Senats mit Volksbegehren und Volksentscheiden zu hinterfragen. Entnervt wollte die CDU zuletzt das Volksgesetzgebungsverfahren schon korrigieren und den Volksinitiativen höhere Hürden setzen. Eine »Volksinitiative zur Rettung des Volksentscheids« kündigte Widerstand an (ND berichtete).
Das Verfassungsgericht hat diesen Streit nun faktisch entschieden. Jürgen Kühling, Anwalt der Gewerkschaften und selbst ehemaliger Verfassungsrichter betonte nach dem Urteilsspruch, dass Volksentscheide keinen Sinn machen, wenn diese vom Parlament sofort wieder außer Kraft gesetzt werden können. Die Niederlage der Hamburger Gewerkschaften ist fundamental. Denn auch die bisherigen Volksentscheide etwa gegen die Privatisierung der Berufsschulen und der Wasserwerke könnten nun ignoriert werden.

Schon im August hatte Rapp zu erkennen gegeben, dass die Klage der Gewerkschaften in Sachen LBK nur geringe Erfolgsaussichten hat. Gerald Kemski, Sprecher der AG Gewerkschaftspolitik der örtlichen PDS, forderte deshalb, Entscheidungen nicht nur auf juristischem Weg zu suchen, sondern auch den politischen Druck durch Aktionen der Beschäftigten zu verstärken. Kemski konnte sich seinerzeit nicht durchsetzen. Jetzt sind Hamburgs Gewerkschaften zur Strategieüberprüfung gezwungen.

Verwendung (unter Pseudonym): http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=64654&IDC=2&DB=Archiv