In Hamburg fragen sich Beschäftigungsgesellschaften, ob sie bei Hartz IV mitmachen sollen

Anfang 2005 wird mit Hartz IV alles anders: Bisherige ABM und Beschäftigungsprojekte werden flächendeckend von Ein-Euro-Jobs abgelöst. In Hamburg fragen sich die Trägerfirmen, ob sie dabei mitmachen sollen.

Wände mauern, die wieder abgerissen werden, Teppichreste zerlegen, die im Mülleimer landen, Fliesen kleben, die wieder abgehauen werden. So soll es zugehen beim größten Hamburger Beschäftigungsträger, der städtischen »Hamburger Arbeit« (HAB). Zwei Wochen ist es her, als zwei 1-Euro-Jobber vor die Presse traten und die »Sinnhaftigkeit« der ihnen gegebenen Arbeit hinterfragten. 225 Millionen Euro sollen in Hamburg im Jahr 2005 »zur Förderung und Beschäftigung von Arbeitslosen« ausgegeben werden. Im Zentrum stehen zehntausend 1-Euro-Jobs, 2000 davon gibt es schon. Der neue Markt ist umkämpft: 18000 Anfragen liegen bereits vor.

2500 Teilnehmerplätze hat die HAB. Bei einer Besichtigung einer seiner Betriebsstätten beruhigt Geschäftsführer Detlef Scheele, dass sich die Vorfälle nur auf Übungsphasen beziehen. Zweieinhalb Monate dauern die im Schnitt. Danach stünden 1500 Kooperationsarbeitsplätze zur Verfügung: bei Bildungseinrichtungen, Bezirksämtern, im Theater und anderenorts.

ABM wird es an der Alster nicht mehr geben

Bei der Beschäftigung arbeitsloser Sozialhilfebezieher nach §19 des Bundessozialhilfegesetzes hatte die HAB lange ein Monopol. Bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) – dem Kerngeschäft der freien Träger – sind Aufträge nur zulässig, wenn diese ohne Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden. Ausgeschlossen sind öffentliche Regelaufgaben. Zudem ist öffentliches Interesses vorgeschrieben. Für die neuen Arbeitsgelegenheiten (1-Euro-Jobs) gilt das nun gleichermaßen. Bleibe es dabei, sagt Scheele, erweise sich das Programm als »Luftbuchung«.

Nicht nur für die HAB hat sich viel geändert. ABM wird es in Hamburg nicht mehr geben. Ohne die Ein-Euro-Jobs kann keiner der Träger überleben. Gleichzeitig sinken die monatlichen Pauschalen für die Träger. Statt zuletzt 850 sind es jetzt nach Hartz IV maximal 500 Euro pro Teilnehmer. Davon müssen Betriebsstätten, Maschinen, Material und auch das Personal finanziert werden. Für die Teilnehmer ist eine Mehraufwandsentschädigung von im Schnitt 210 Euro pro Monat kalkuliert. Gibt es das zusätzlich oder ist es Teil der Trägerfinanzierung? Keiner weiß es genau. Jeder Träger macht sein eigenes Angebot. Sie fragen sich: Sollen wir unter solchen Bedingungen weiter machen? Für die HAB ist das kein Thema, für die freien Träger schon. Die Debatte ist aufgeheizt.

Einer dieser Träger ist die »Kooperation Arbeiten und Lernen in Altona« (KoALA), zu der sich vier kleinere Träger zusammenschlossen. Projektidentität ist wichtig. Da gibt es die Suppenküche für diejenigen, »deren Magen sonst leer bleibt«, das »Restaurant zum kleinen Zinken«, Servicestationen für ältere Mitbürger und Hilfsbedürftige. Hinzu kommen Gartenbau und eine Holzwerkstatt sowie diverse andere Projekte. Seit dem Frühjahr 2004 diskutieren die KoALA-Mitarbeiter, ob und wie weitergemacht werden könne. Es sei schwer akzeptabel, dass es für Teilnehmer keine Arbeitsverträge mehr gäbe, sagt Geschäftsführer Aram Ockert. Auch die Bezahlung löse keine Begeisterung aus. Andererseits sei aber, bei Einrechnung staatlicher Zuwendungen, der materielle Unterschied zu ABM nicht gravierend.

Werkstätten sind bei den meisten Trägern inzwischen gestrichen. Die Einrichtung und der Unterhalt der Holzwerkstatt kostet viel, sagt Ockert. Die Erfahrung zeige aber, dass hier viel gelernt und das Selbstwertgefühl der Teilnehmer steigt. Das Bedürfnis Sinnvolles zu tun, sei enorm. Zur Werkstatt gehören 20 Teilnehmer, 4ABM-Anleiter und ein Meister. Die Einarbeitung erfolgt im Team. Gilt nun mit den 1-Euro-Jobs Masse statt Klasse? Ockert schüttelt den Kopf: »Die Anleiter sagen dir konkret, was machbar ist und was nicht. Ausgelastet ist ausgelastet! Wenn die Leute herum stehen, nichts zu tun haben, gibt es hohe Krankenstände.« Der Druck, Billigangebote zu unterbreiten, ist groß. Da gehen dann Leute »auftragsgemäß« durch den Stadtteil und schauen nach einem Abfallhaufen, der dann der Müllreinigung gemeldet wird. Bei KoALA will das niemand. Jede Tätigkeit soll sinnvoll, nützlich und qualifizierend sein. Hohe Betreuungsintensität sei wichtig. Dafür haben die Mitarbeiter Gehaltseinbußen hinnehmen müssen. Ein gutes Betriebsklima und Spaß seien trotzdem vorhanden. So lange das auch im Verhältnis zu den Teilnehmern bleibt, will KoALA nicht aufgeben. Gesunder Egoismus paart sich mit Empathie für die Zielgruppe.

Zu den Mitbewerbern gehört die Abakus GmbH. Das Unternehmen existiert seit 20 Jahren. Dienstleistungen in benachteiligten Quartieren zu erbringen gehört auch hier zur Philosophie. So existieren verschiedene Stadtteilangebote, eine Schulmensa, Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, eine Tischlerei und ein Projekt zur Berufsvorbereitung, das den Übergang in Ausbildung vorsieht. Gut ausgestattet sind die Betriebsstätten. Abakus will aber seinen Betrieb zum 31. Dezember 2004 einstellen. »Wahrhaft keine spaßige Angelegenheit«, meint Geschäftsführerin Gaby Gottwald. Als klar wurde, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch 1-Euro-Jobs ersetzt wird, habe Abakus gesagt: Das geht nicht. Gottwald verweist auf die Geschichte des Trägers, auf Profil. Qualifizierung, individuelle Förderung, die gewollte Parteinahme für sozial Schwache und Freiwilligkeit sind Prüfkriterien, die Mitarbeiter aufgestellt haben. Mit Ein-Euro-Jobs sei das nicht möglich. Skandalös sei es, wenn Menschen gezwungen sind Arbeit zu verrichten, die keinen Sinn mache und Qualifizierung nicht enthalte. »Deshalb haben wir gesagt: Tschüs, das war es, das machen wir nicht mit. Das ist das Ende.« Gottwald argumentiert betriebswirtschaftlich: Die Fallkostenpauschale werde ständig gesenkt, der Zwang für immer mehr Teilnehmer bei schlechterer Ausstattung größer. Würde man das akzeptieren, hätten 40 Prozent des Personals entlassen werden müssen. Weiterer Qualitätsverlust wäre die Folge. Dann wäre es an die Rücklagen gegangen. »Aber wir wollen doch nicht diese Politik mit unseren Rücklagen finanzieren«, sagt die streitbare Geschäftsführerin. Sanierung mache nur Sinn, wenn Perspektive entstehe. Manchmal sei es besser, eine Sache zu verlassen, bevor einen die Sache verlässt. Alle Abakus-Mitarbeiter erhalten eine Abfindung nach dem BAT. Für ein Jahr wird eine Transfergesellschaft gegründet: Zeit für jeden, neue Perspektiven zu entwickeln. Das sei besser als sich zu Tode zu sanieren, sagt Gottwald und fügt hinzu: »Wenn schon Beerdigung, dann bestellen wir die Musik.« Das aber könne man nur so lange, wie man noch nicht fertig ist. »Kürzen, kürzen, kürzen« führe zu nichts, denn Inhalte gehen verloren. Wie lange könne man das machen, fragt sich Gottwald, um noch ehrlichen Herzens in den Spiegel schauen zu können.

Ulli Dreßler (60), Geschäftsführer der Passage gGmbH, war früher Vorsitzender des Landesjugendrings. »Da hatte ich es auch mit der Vorbereitung der Weltfestspiele zu tun, um alle zu beteiligen: von der SDAJ bis zur katholischen Jugend«. Nach dem Studium drängte es Dreßler wieder in die Praxis. Als Christ gründete er eine sozialpädagogische Beratungsstelle. 1998 dann die Rathauspassage. Die Idee: 50 Meter Luftlinie vom Bürgermeisterbüro entfernt, sollte deutlich werden, was es heißt, von Arbeit ausgeschlossen zu sein. Für die Sanierung sammelte Dreßler 1,6 Millionen DM Spenden. Daraus wurde ein kleiner Beschäftigungsträger. Anfang des Jahres kamen die Textilwerkstatt in Altona, »Sanft und Seife« in Steilshoop und die Jugendwerkstatt Rosenallee hinzu. Dreßler kommt gerade von der Jugendwerkstatt. Im Vergabeverfahren hat sie nichts bekommen. Irgendwie will Dreßler es schaffen, die Mitarbeiter abzufedern. Er denkt sich: »Gut, dass wir Teil des Diakonie sind.«

Das wollen auch die Mitarbeiter der »Gesellschaft für Arbeit, Technik und Entwicklung« (GATE) GmbH in Harburg sein. Vor Jahren betrieb die Gesellschaft große ABM-Projekte. Dann mussten Bereiche geschlossen und Kündigungen ausgesprochen werden. Die Gehälter sanken. Seit dem 15. November ist GATE Teil der Passage: »Verschmelzung nach dem Umwandlungsgesetz«. Zwei Dienstleistungszentren bringt die Gesellschaft ein. Dazu gehören ein Mittagstisch, das Callcenter sowie der Bereich häusliche Pflege.

Nichts von dem, was Gaby Gottwald sagte, hält Dreßler für falsch. Er zieht andere Konsequenzen. Haben wir nicht die Pflicht unser Wissen, unsere Plätze, unsere Ideen für die einzusetzen, die unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gekommen sind, fragt Dreßler. Keiner könne sagen, was dabei rauskommt. Qualitätsverlust sei unbestreitbar. Das Herz krampft sich ihm zusammen, wenn Dreßler vom Verlust der Arbeitsverträge für Teilnehmer spricht. Das müsse geändert werden! Andererseits gäbe es viele Familien, die schon seit Generationen Sozialhilfe beziehen. »Die fragen: Was habe ich am Ende?«

Freiwillige Arbeit ist motivierender

Wirklich furchtbar wären gewisse Einzelheiten bei Hartz IV: Wenn jemand krank wird, der sich gerade eine Monatskarte gekauft habe und dann keine Mehraufwandsentschädigung erhalte. Die, die sich zunächst dafür entschieden haben, weiterzumachen, müssten jetzt sehen, wie ein Optimum herauszuholen ist. Sonst laufe man mit angezogener Handbremse auf der Überholspur der Autobahn. Nachdenklich fügt Dreßler hinzu: »Wenn wir jetzt unsere Infrastruktur aufgeben, kommt sie nie wieder.«

Und die Freiwilligkeit? Für Ulli Dreßler ist das ein Essential. Er bekäme Angstschweiß, wenn er sich vorstelle, dass eine 89-Jährige, die zwei Inflationen erlebt hat, nun im Alter einem Unwilligen ausgesetzt wird. Aram Ockert verweist auf eine Erklärung der Agentur für Arbeit, des Städtetages und der Arbeitsgemeinschaft freier Wohlfahrtspflege. Dort heißt es, dass erhöhte Freiwilligkeit die Motivation steigere. Träger sollen entscheiden können, ob sie jemanden nehmen oder nicht. Damit kann ich leben, sagt Ockert. Nicht leben könne er mit Zwangszuweisungen, die die Träger dann nehmen müssen. Detlef Scheele von der HAB sagt hingegen: »Wir nehmen jeden«.

Verwendung: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=63578&IDC=2&DB=Archiv