Port Package II soll erneut die Hafenwirtschaft in Frage stellen – Protestkundgebungen in deutschen Häfen
Am 20. November 2003 lehnte das Europäische Parlament mit 229 zu 209 Stimmen die Richtlinie zur „Liberalisierung von Hafendienstleistungen“ (Port Package) ab. Erstmalig hatten sich gewerkschaftliche Positionen im EU-Parlament durchgesetzt. Das war eine Sensation. Ein Jahr später sehen sich die Hafenarbeiter erneut herausgefordert. In sieben Ländern und in Rostock, Wismar, Lübeck, Kiel, Brake, Bremen, Bremerhaven, Emden, Nordenham und in Hamburg legten Arbeiter der ersten Schicht am Freitag für dreißig Minuten die Arbeit nieder. Sie informierten sich zum neuen Richtlinien-Entwurf (Port Package II), den die scheidende EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio am 13. Oktober einbrachte. Die Parlamentsentscheidung aus dem Vorjahr hält sie für nicht akzeptabel.
Mit Port Package steht die ganze Hafenwirtschaft in Frage: Dienstleistungen sollen ausgeschrieben, Schiffsabfertigungen durch Seeleute oder Billig-Jobber erledigt und auf Lotsendienste soll verzichtet werden. Jan Kahmann vom ver.di-Bundesvorstand befürchtet Qualitätsverlust und Sicherheitsmängel beim Warenumschlag. 10 000 Arbeitsplätze wären allein in den Kernbelegschaften gefährdet, 4 000 in Hamburg. Zudem gehe die Tarifbindung verloren. Gute soziale Bedingungen, modernste Technik und hohe Qualitätsstandards prägen die Häfen. Mit Port Package wäre das vorbei. Die Ausschreibung von Hafendienstleistungen für maximal 12 Jahre führe zum Verlust sozialer und technischer Standards, sagt Kahmann. Transnationale Konzerne würden dann Umschlag und Logistik konzentrieren. Tausende weitere Arbeitsplätze wären verloren.
Für den Hamburger Eurogate-Betriebsrat Wilkens waren die Aktionen am Freitag ein Zeichen in Richtung Brüssel: Wer Hafenarbeiter abschreibt, müsse mit Widerstand rechnen. Auch Armin Blechschmidt, VK-Leitung HHLA Burchardkai, TCT-Betriebsrat Harro Jakobs und Thomas Mendrzik, BR-Vorsitzender bei HHLA CT Altenwerder, sind sich einig: Das muss verhindert werden. Mendrzik fügt nachdenklich hinzu: mit der neuen „Bolkestein-Richtlinie“ zur Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes sei jetzt ein weiteres Problem vorhanden. Dereguliert wird nun alles, was nicht explizit geregelt ist. Wie die neue Strategie der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft (EFT) dagegen aussehen wird, wurde am Montag dieser Woche in der Leitung der Europäischen Transportarbeiterföderation beraten.
Lobbyarbeit allein reiche nicht, sagte Bernt Kamin vor 1 1/2 Jahren der UZ. Außerparlamentarischer Kampf müsse dazu. In der Tat: Erst in dieser Kombination konnte Port Package I verhindert werden. Für den Kommunisten Kamin, Betriebsratsvorsitzender im Gesamthafenbetrieb Hamburg, war es wichtig diese Aktionen mit verschiedenen Ländern zu koordinieren. So gelang das, was bisher selten eingelöst wurde: Grenzüberschreitende politische Arbeitskämpfe. Bevor es nun um neue Strategien gehe, sagt Kamin, müssen deshalb diese Erfahrungen ausgewertet werden.
Die meisten Transportarbeitgewerkschaften in Europa sind Mitglied der Internationalen Transportarbeiter Förderation (ITF) und ihrer europäischen Dependance ETF. Trotzdem blieb es häufig beim Informationsaustausch. Zu unterschiedlich sind die rechtlichen Bedingungen (z. B. Streikrecht), das Verhältnis zum Establishment, Agreements mit Regierungen. Zudem existiert neben dem ITF dasIinternationale Dockworkers Council (IDC), dem die französische CGT und die spanische Coordinadora angehören. Zu den sprachlichen kamen strukturelle Blockaden.
In Deutschland gibt es nur noch 16 000 Hafenarbeiter. Aber diese arbeiten an einem Kernpunkt volkswirtschaftlicher Transportketten. Ein Flaschenhals: Zugedreht, ist der Zu- oder Abfluss von Gütern gestoppt, und die Hafenarbeiter sind gut organisiert. Als im Mai 2003 an der Westküste der USA Arbeitskämpfe stattfanden, bezifferte die Bush-Regierung den Schaden auf 2 Milliarden Dollar am Tag. Just-in-time-Produktion verträgt Transportunterbrechungen nicht.
Um diese Stärke auf Europa zu übertragen war die Verständigung auf ein Kernthema notwendig. Das war die Selbstabfertigung der Schiffe durch Seeleute oder Billigpersonal. Die Hafenarbeiter forderten: Hafenarbeit für Hafenarbeiter, wie es die ILO-Norm 137 vorsieht. Vier strategische Elemente waren das Ergebnis der Verständigung. Das Werben im Parlament für die Rücknahme der Richtlinie. Lobbyarbeit für Korrekturen zur Sicherung sozialer, ökologischer und sicherheitstechnischer Mindeststandards. Kann Letzteres nicht erreicht werden, müssten Restriktionen in die Richtlinie rein, sodass sich diese wieder aufhebt. Koordinierte außerparlamentarische Aktionen, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen. Die Botschaft war klar: Wir werden nicht zulassen, dass Hafenarbeit durch Billig-Jobber oder Seeleute verrichtet wird. Wir sind gut organisiert, durchsetzungsfähig und kampfwillig. Schiffseigner sollten damit rechnen, dass ihre Schiffe notfalls boykottiert werden: in Europa und weltweit. Bei gegebenem Anlass sollten Aktionen zeitgleich in allen Ländern der EU stattfinden. Die CGT konnte über „Nord-Range-Konferenzen“ der belgischen BTB einbezogen werden. Auch das war eine klare Botschaft: die Hafenarbeiter sind koordiniert.
Um das zu erreichen mussten Unterschiede beachtet werden: Was im vereinigten Königreich die Pausenaktion war, war in Malta eine mehrstündige Demonstration, in Deutschland das „Recht auf Demonstration“ (vier Stunden pro Schicht), war in Holland, Frankreich und Belgien ein 24-stündiger Streik. Politisch begründete Arbeitsniederlegungen konnten so in 14 Ländern gleichzeitig stattfinden. Jede Organisation sollte im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitmachen und das wurde respektiert. Bernt Kamin zeichnet dafür das Bild einer Familie: da gibt es Stärkere und Schwächere, Kleine und Große, Mutige und nicht so Mutige. Aber eine Familie hält im entscheidenden Moment zusammen. Dann ist alles gleich wichtig.
Die Strategie des Widerstandes entstand im Prozess. Alles wurde mit der Basis rückgekoppelt. 20 000 Hafenarbeiter kamen so aus allen Teilen Europas am 29. September 2003 nach Rotterdam und Barcelona. Das war der Tag, an dem der EU-Vermittlungsausschuss Positionen festlegte. Zuvor hatte es 200 Anträge von EU-Parlamentariern gegeben. Heute sagen die Hafenarbeiter: Wir haben gelernt, wie man gewinnen kann, und es war gar nicht so schwierig.
http://www.dkp-online.de/uz/3648/s0403.htm