Hamburger Senat will bei Kitas drastisch kürzen. Erzieher und Eltern fürchten unzumutbare Bedingungen
Fünfzig Millionen Euro sollen Hamburgs Kindertagesstätten ab 1. Januar 2005 »einsparen«. Gleichzeitig soll sich aber die Anzahl der Kita-Plätze um 5 000 erhöhen. Mit weniger Geld mehr Plätze? Hamburgs Erzieher fürchten drastische Verschlechterungen nicht nur beim Gehalt, sondern auch bei ihren Arbeitsbedingungen und in den Standards der Kinderbetreuung.
Der Unmut ist so groß, daß schon am Abend des 26. August 700 Mitarbeiter unter lautstarkem Protest an einer Sitzung des Familienausschusses der Bürgerschaft teilnahmen. Für den 2. September haben die Mitarbeitervertretungen nun flächendeckend Aktionen und Demonstrationen angekündigt. Erstmals werden an diesem Tag fast alle Einrichtungen der Kinderbetreuung in der Hansestadt schließen.
Darum geht es: Seit dem 1. August 2003 gilt in Hamburg ein neues Kita-Gutscheinsystem. Eltern erhalten dabei einen Gutschein, auf dem die Leistung und die Anzahl der Betreuungsstunden vermerkt sind, und lösen diesen bei einer Einrichtung ihrer Wahl ein. Jeder Gutschein hat einen pauschalierten Gebäude-, Personal- und Sachkostenwert, auch Entgelt genannt. Bei der Umstellung vom Pflegesatz- auf dieses Gutscheinsystem hatten Sozialinitiativen, freie Träger und die oppositionelle SPD mit einem Volksbegehren reagiert, um vorhandene Standards zu sichern. Das Hamburger »Kita-Chaos« war eines der großen Themen, die zur Auflösung des alten CDU-FDP-Schill-Senats führten.
Nach den Wahlen im Frühjahr sagte die SPD das Volksbegehren im Alleingang einfach ab. Im »Kita-Kompromiß« mit der regierenden CDU setzte die SPD eine Ausweitung von Rechtsansprüchen für die Betreuung durch. So besteht ab 1. Januar 2006 ein Rechtsanspruch in der Kita-Betreuung für bis zu 14 Jahre alte Kinder von Berufstätigen. Schon ab 1. Januar 2005 wird für alle Drei- bis Sechsjährigen der Betreuungsanspruch von vier auf fünf Stunden ausgeweitet. Experten berechneten, daß damit schon für 2005 eine Steigerung bei den Kita-Plätzen von 50 000 auf 55 000 erforderlich ist. Nun wird um die Mehrkosten gestritten. Während die anbietenden Träger von zusätzlichen Mitteln ausgingen, will Hamburgs zweite Bürgermeisterin und Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram, aber nicht aufstocken, sondern die Zuschüsse um 50 Millionen Euro kürzen. Bei Einrechnung der zusätzlich anzubietenden Kita-Plätze so rechnete der Wohlfahrtsverband SOAL jetzt vor eine tatsächliche Mittelkürzung um satte 85 Millionen Euro zum 1. Januar 2005.
Die Senatorin will ihr »Sparziel« insbesondere durch eine Absenkung der Personalkosten erreichen. 49 Millionen Euro sollen durch Stellenstreichungen (jeder vierte Arbeitsplätze) und abgesenkte Löhne »eingespart« werden. Die Gruppenfrequenzen erhöhen sich damit drastisch: Im Hortbereich steigt die Anzahl der Kinder zum Beispiel von 20 auf 25 pro Gruppe. Hinzu kommen beträchtliche Kürzungen im Sachmittelhaushalt.
Michael Edele, Geschäftsführer der »Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege« stellte hierzu am 17. August fest: »Das Verhandlungsangebot der Behörde ist für die Verbände nicht akzeptabel. In Verantwortung für die von uns betreuten Kinder können wir den Forderungen nicht entsprechen.«
Schnieber-Jastram greift nun zu härteren Methoden. Ganz unverhohlen droht sie mit einem neuen Gesetz. Dieses soll den Senat in die Lage versetzen, widerspenstigen Trägern Betreuungsstandards einfach vorzuschreiben. In einer junge Welt vorliegenden und noch nicht veröffentlichten Bürgerschaftsdrucksache heißt es zur Begründung des geplanten Gesetzes: »Mit der Leistungsverordnung werden die Leistungsmerkmale auch im Verhältnis zu den Leistungsberechtigten verbindlich festgelegt. Der beschriebene Leistungsumfang bildet damit zugleich die Grundlage für die Kalkulation der erstattungsfähigen Kosten.«
»Ohne Rücksicht auf bestehende Vergütungstarife und Arbeitsverträge, ohne Rücksicht auf bestehende Leistungszusagen gegenüber den Eltern und ohne Rücksicht auf die hohe Verantwortung, der sich die Träger durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz mit seinem Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrag verpflichtet haben« so die Gewerkschaften GEW und ver.di in einer gemeinsamen Stellungnahme wolle Frau Schnieber-Jastram nun die Kürzungen einfach anordnen.
Ohne das Wort vom »Streik« zu nutzen, sind Hamburgs Erzieher nun zum Äußersten entschlossen. Für den 2. September sind Aktionen, Betriebsversammlungen und Demonstrationen in nahezu allen Einrichtungen angekündigt. In mehreren Marschsäulen werden sie zum Jungfernstieg demonstrieren, um sich dort ab 17 Uhr zu einer gemeinsamen und großen Demonstration zu vereinigen. Unterstützung erhalten die Erzieherinnen und Erzieher dabei von der GEW, der Gewerkschaft ver.di und dem Hamburger Sozialforum.
http://www.jungewelt.de/2004/09-01/014.php