Konferenz gegen Repression in Hamburg analysiert Terrorhysterie und Abbau von Grundrechten

Mit dem Hinweis auf den am 27. Oktober beginnenden Prozeß gegen Teilnehmer der Protestaktionen zum NATO-Gipfel in der Türkei begann am Dienstag in Hamburg eine »Konferenz gegen Repression«, die gemeinsam vom örtlichen Tayad-Komitee und der Hamburger »Angehörigeninfo« organisiert wurde. Das Komitee möchte eine Delegation aus Deutschland entsenden, die den Prozeß beobachtet, denn den 67 Beschuldigten solle unter »Nutzung gefälschter Unterlagen« die Unterstützung einer »terroristischen Organisation« nachgewiesen werden.

Ein Vertreter des örtlichen Tayad-Komitees machte zu Beginn der Konferenz auf die seit mehreren Jahren stattfindenden Hungerstreiks von politischen Gefangenen in der Türkei aufmerksam, mit dem sie sich gegen die Einführung von Isolationszellen wehren. Der Hungerstreik, an dem sich gegenwärtig vor allem Angehörige der DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/ Front) beteiligen, soll, wie ein Vertreter des Komitees betonte, trotz der inzwischen 107 Todesopfer fortgesetzt werden.

Zunehmende Repression und Terrorhysterie – das war auch das Thema des Hamburger Strafverteidigers Dr. Heinz-Jürgen Schneider, der sich mit den Veränderungen in Deutschland und der EU seit dem 11. September 2001 befaßte. Mit dem von der EU-Kommission ausgearbeiteten »Rahmenplan zur Bekämpfung des Terrorismus« sei seinerzeit ein Paket geschnürt worden, das der politischen Willkür Tür und Tor öffne. Beispielhaft nannte Schneider die »EU-Terrorliste«, die in keiner Weise in ein juristisch überprüfbares Verfahren eingebettet sei, für die betroffenen Gruppen und Einzelpersonen aber schwerwiegende Konsequenzen habe und sie darüber hinaus – wie die kurdische KADEP – grundsätzlich vom politischen Dialog ausschließe. Auch der im September 2002 neu in das Strafgesetzbuch eingeführte Paragraph 129b, mit dem der Bundestag die Möglichkeit zur Strafverfolgung der sogenannten Unterstützung und Werbung für »terroristische« Organisationen auf das Ausland ausweitete, sei durch »juristische Grauzonen« gekennzeichnet, bei dem die Eindeutigkeit eines Straftatbestandes in einer »schwammigen Masse« verlorengehe. Im Gesetz heißt es, allein das Bundesjustizministerium entscheide, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung erfolgt. Dabei sei »in Betracht zu ziehen, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen«. Schneider sieht das eigentliche Ziel des Gesetzes in der Kriminalisierung und Gefährdung internationaler Solidaritätsarbeit.

In einem Dossier hatte sich Schneider bereits vor der Konferenz scharf gegen die Terrorhysterie gewandt, mit der ein »gesellschaftliches Klima für Ängstlichkeit« geschaffen und Rassismus befördert werde. Im Mißverhältnis zwischen der Zahl der Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a einerseits (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) und tatsächlichen Verurteilungen, die bei lediglich drei Prozent aller Fälle liegen, sieht Schneider die These gestützt, daß es sich dabei vor allem um einen »Ausforschungsparagraphen« für den Staatsschutz handele, bei dem mit Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen zusätzliche Informationen gewonnen werden können.

Schließlich warnte Schneider vor einem bevorstehenden Umbau von Europol zu einer »Art europäischem FBI« und stellte fest, daß die Konzentration von Erkenntnissen aller europäischen Geheimdienste an einer einzigen Stelle, wie sie durch die Konferenz der Innenminister im April beschlossen wurde, ein weiteres und gefährliches Repressionspotential bilde. Anwalt Schneider forderte eine stärkere Vernetzung demokratischer Kräfte auch im Rahmen der Europäischen Union. Kooperationen von Bürgerrechtsorganisationen oder von Anwälten seien dringend notwendig.

Die Erfahrungen zweier Jugendlicher aus Magdeburg, die im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten für einen »Autonomen Zusammenschluß« im Dezember 2003 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden (jW berichtete), belegten diese Ausführungen. Auch sie sahen, wie sie jetzt in Hamburg berichteten, in der »Durchleuchtung und Zerschlagung« politischer Strukturen das eigentliche Ziel, weshalb sie angeklagt und verurteilt wurden. Selbstbewußt forderten sie für die Revisionsverhandlung eine Entschädigung für ihre Haftzeit, den Freispruch aller Angeklagten sowie die Rückgabe enteigneter Räume.

http://www.jungewelt.de/2004/07-08/012.php